Johann Nepomuk Nestroy
Der Zerrissene
Johann Nepomuk Nestroy

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Zweiter Akt

Die Bühne stellt das Innere eines Wirtschaftsgebäudes und Getreidespeichers auf dem Pachthofe Krautkopfs vor. Rechts, links und in der Mitte des Fußbodens befinden sich drei praktikable Falltüren. Rechts führt eine Seitentüre nach dem Wohngebäude, links eine Seitentüre ins Freie. Im Hintergrunde in der Mitte ist ein großes Tor, welches zur Dreschtenne führt; im Hintergrunde derselben liegen Getreidegarben hoch aufgeschichtet, rechts im Vordergrunde stehen ein Tisch und zwei Stühle, links zwei Stühle.

Erste Szene

Krautkopf, Kathi, zwei Bauernknechte

Krautkopf (zu den Knechten) Is der Kleeacker schon g'mäht?

Erster Knecht Das g'schieht heut'.

Krautkopf Is 's Heu schon aufg'schobert?

Zweiter Knecht Das g'schieht heut'.

Krautkopf (ärgerlich) Heut', heut', alles g'schieht heut'!

Erster Knecht Wir können's auf morgen auch lassen.

Krautkopf Ich werd' dich gleich umbringen; gestern, gestern hätt's schon soll'n g'schehn sein. Gedroschen muß auch werd'n – au weh, mein Kopf! – Auf alls soll man denken! – Die Drescher soll'n kommen, sonst bring' ich s' auch um.

Erster Knecht Sie wer'n noch beim Fruhstuck sein. (Die beiden Knechte gehen zur Seite links ab.)

Krautkopf (zu Kathi) Und du kommst wieder gar nicht von Fleck? Rühr' dich, lustig, lebendig!

Kathi (welche traurig im Vordergrunde rechts gestanden) Ich soll lebendig sein, und er – er is tot! (Bricht in Tränen aus.)

Krautkopf Alles mit Maß, die Weinerei is z'viel! Wenn ein Göd stirbt, so weint man in der ersten Stund' und in der zweiten fragt man, ob er ei'm was vermacht hat, und is das nicht der Fall, so schimpft man in der dritten Stund' über ihn und in der vierten arbeit't man wieder darauf los wie vor und eh'.

Kathi Der Herr Vetter kann das Gefühl nicht haben, der Vetter hat ihn nicht kennt, hat ihn gar nie g'sehn, den guten Herrn, aber ich – (weint).

Krautkopf Warum war er nie heraußt? Wann hätt' ich Zeit zu Visitenmachen g'habt? Ich weiß eh' nicht, wo mir der Kopf steht.

Dritter Knecht (tritt mit einer hochaufgetürmten Butten von Krauthäupteln Seite links ein) Wo kommt denn das Kraut hin?

Krautkopf (eilig die Falltüre rechts öffnend) Da in den Keller herunter! Leer' die Butten um!

(Dritter Knecht stürzt die Butten um und läßt die Krauthäupteln in den Keller hinabrollen.)

Krautkopf So –

(Der Knecht geht Seite links ab.)
(Vierter Knecht tritt Seite links ein mit einer Butten voll weißer Rüben.)

Krautkopf Was bringt denn der?

Vierter Knecht Ruben haben wir ausgenommen.

(Will die Butten in denselben Keller hinableeren.)

Krautkopf Halt! Nicht da herein! (Eilt zur Falltüre links.) Da g'hören die Ruhen her! (Indem er die Falltüre öffnet.) An keine Ordnung g'wöhnt sich das Volk. – Kraut und Ruben werfeten s' untereinand' als wie Kraut und Ruben!

(Vierter Knecht hat abgeleert, wie ihm befohlen, und geht Seite links ab.)

Krautkopf (zu Kathi) Und du, Kathi, schau nach wegen Fruhstuck – und jetzt soll ich noch wegen Robotausweis – und wenn extra heut' noch die Herrn mit 'n Herrn Justitiarius – auf was soll ich noch alles denken! Au weh, mein Kopf! (Eilt in die Seitentüre rechts ab.)

Zweite Szene

Kathi; dann Lips

Kathi (allein) Manchen Augenblick is mir g'rad nicht anders, als ob die ganze Welt g'storben wär', und manchen Augenblick denk' ich mir wieder, es kann nicht sein, er muß leben, er muß wieder zum Vorschein kommen.

Lips (als Bauernknecht verkleidet, mit ängstlicher Vorsicht durch die Türe Seite links hereinkommend) Kathi! Kathi!

Kathi (zusammenfahrend) Gott im Himmel –! Das war seine Stimm' –!

Lips (vortretend) Es is mehr, es is der ganze Herr von Lips!

Kathi (im höchsten Ausbruch der Freude) Is's möglich! Ja – ja, er lebt! Mein Herr Göd is nicht ertrunken –!!

Lips Nein, das Wasser hat mich verschont, ich scheine eine andere Bestimmung zu haben.

Kathi Gott – die Freud' –! Herr Vetter, der gnädige Herr als Bauer verkleidet –! Ich ruf's ganze Haus z'samm'!

Lips Still, um alles in der Welt – ich bin ja kriminalisch!

Kathi Ah, gehn S' doch –!

Lips Ja, ja, Kathi, in Ernst, was du da siehst, (auf sich zeigend) das is dem Kriminal verfallen.

Kathi Warum nicht gar! Weil a paar dumme Leut' aussprengen, Sie haben absichtlich –

Lips 's waren Zeugen! Meine G'sellschaft hat 's Fenster aufg'rissen in Billardzimmer – in dem Augenblick, wie ich auf 'n Balkon zum Schlosser g'sagt hab': »Wart', Kerl, g'freu' dich!« – In dem »Wart', Kerl, g'freu' dich!« liegt scheinbar vorsätzlicher Mord, das »Wart', Kerl, g'freu' dich!« bricht mir 's G'nack und wird zum furchtbaren »Wart', Kerl, g'freu' dich!« für mich selbst.

Kathi Ich darf also dem Vetter Krautkopf nix sagen?

Lips Keine Silb'n, ich bin ersoffen für die ganze Welt! Auf dem allgemeinen Glauben, daß ich bereits den Grundeln Magenbeschwerden verursach', gründet sich meine Existenz. 's fatalste is aber, mir is 's Geld aus'gangen, bei einer so unverhofften Wasserreis' steckt man nicht besonders was zu sich. Dieses Bauerng'wand war meine letzte Dépense.

Kathi Lieber Himmel, wenn ich nur die hundert Gulden noch hätt', die ich Ihnen schuldig war, aber ich hab's Ihrem alten Bedienten übergeben.

Lips Da haben wir einen Beweis, was das für üble Folgen haben kann, wenn man zu voreilig is im Schuldenzahlen.

Kathi Ein Glück, daß Euer Gnaden so viel Freunde haben.

Lips Freunde? Kind, ins Wasser g'fall'n bin ich eh schon, soll ich jetzt abbrennen auch noch wie jeder, der im Unglück auf Freunde baut?

Kathi Wer hat Ihnen denn gerettet?

Lips Ich selbst war der edle Mann, dem ich so hoch verpflichtet bin; ich bin ans Land geschwommen, aber jetzt erst, seitdem ich im Trocknen bin, fang' ich an unterzugehn. Ich hab' zwar drei Freunde, das sind treue Freund', die drei! Die werden viel für mich tun, das kann aber erst in einige Wochen g'schehn! Dann flücht' ich ins Ausland. Jetzt soll'n s' aber noch gar nix erfahren –

Kathi Also haben Sie doch Hoffnungen für die Zukunft?

Lips Das wohl, aber die Zukunft is noch nicht da, und wie hinüberkommen in die Zukunft? Ohne Essen kommt man nicht durch die Gegenwart. Wenn ich jetzt das Geld hätt', was ich so oft auf ein einziges Garçondiner ausgegeben hab'! Heut' z' Mittag komm' ich auf den Punkt, wo ich jeden vierfüßigen Garçon um sein Diner beneiden werde.

Kathi (die Hände ringend) Mein Herr Göd in Not –! Nein, das kann, das derf nicht sein!

Lips Ich hab' da heraußt so ein schönes Schloß, ich war schon jahrelang nicht da, weil's mir zu fad war. Wenn ich jetzt einbrechen könnt' in mein Schloß, wie ich mir alle wertvollen Gegenstände raubet –! Aber 's geht nicht, mein Inspektor tät' mich erwischen, mein eigener Amtmann liefert' mich ins Kriminal.

Kathi Gott, wenn ich jetzt eine Millionärin wär' –! Aber ich hab' nichts – gar nichts – 's is schrecklich! Was werden S' denn jetzt anfangen, mein lieber, guter gnädiger Herr?

Lips Sag' deinem Vetter, du kennst mich, ich war Geschäftsführer bei deiner Mutter ihrem ehemaligen Miliweib, und leg' ein gutes Wort ein, daß er mich in Dienst nimmt.

Kathi Was? Euer Gnaden wollen dienen auf dem Grund und Boden, wo Sie Herr sind?

Lips Red' nicht, Kathi, ich bin ja kriminalisch!

Kathi Aber bedenken S' doch – (nach der Seitentüre rechts sehend) der Vetter Krautkopf –

Lips Jetzt, Kathi, red'!

Dritte Szene

Krautkopf; die Vorigen

Krautkopf (aus der Seitentüre rechts kommend) Au weh, mein Kopf – g'schwind, Kathi, schau nach – (Lips bemerkend) wer is denn das?

Kathi Es is – (für sich) ich trau' mir's nicht zu sagen – (stockend) es is –

Lips Ein Knecht.

Kathi Er möcht' gern hier bei Ihnen, Herr Vetter, in Dienst.

Krautkopf Mir sind die z'wider, die ich schon in Dienst hab', der ging' mir g'rad noch ab!

Kathi Sie haben ja vorgestern zwei fortgejagt.

Krautkopf Richtig, hast recht. Man kann nicht auf alles denken –

Kathi Und der is so brav, so gut –

Krautkopf Woher kennst du ihn denn?

Kathi Ich – ich kenn' ihn – (stockend) aus der Stadt.

Krautkopf Aus der Stadt?

Lips (ganz bäurisch) Ich hab' d' Mili einig'führt.

Krautkopf Bei wem war Er denn?

Lips (grob) Wo werd' ich denn g'wesen sein? Bei ein' Miliweib.

Krautkopf (über Lips' Ton aufgebracht) Wie red't denn Er mit mir?

Lips G'rad so, wie ich mit mein' Miliweib g'redt't hab'.

Kathi (ihn leise zurechtweisend) Aber, Euer Gnaden –

Krautkopf (zu Lips) Möglich, daß 's Miliweib ihre Ursachen hat g'habt, ich vertrag' aber Seinen Ton nit – (für sich) und wo nur die Kerl'n wieder bleiben – (ruft zur Seitentüre links hinaus) he, Seppel, Martin!

Lips (zu Kathi) Ich hab' glaubt, auf 'n Land is die Grobheit z' Haus, und nach dem Grad von Flegelei, der in der Stadt Mode is, hab' ich mir denkt, muß ich recht –

Kathi Ach nein, bei die Bauern halt't man doch auf Art!

Krautkopf (Lips messend) Der Pursch schaut mir so ung'schickt aus. (Laut zu Lips.) Versteht Er was? Kann Er ordentlich ackern?

Lips (erschrocken) Ackern –? Werden hier Menschen vor den Pflug gespannt –?

Krautkopf Red' Er nicht so einfältig! Kann Er anbauen?

Lips An'baut hab' ich wohl schon viel –

Krautkopf Aber auch ordentlich, daß was aufgehn kann?

Lips Bei mir is sehr viel auf'gangen.

Krautkopf Aber noch kein Licht über d' Landwirtschaft.

Lips Ich war zehn Jahr' bei einem Miliweib.

Krautkopf Also paßt er vermutlich mehr zum Vieh.

Lips Soll das eine Kränkung für mich oder fürs Miliweib sein?

Krautkopf Ich mein', ob Er Kenntnis für den Viehstand hat. Was habts denn für Küh' g'habt?

Lips Eine Schweizer Kuh, die hat alle Tag' sechs Maß Obers gegeben.

Krautkopf Warum nicht gar ein' Milirahm!

Lips Für die g'wöhnliche Mili haben wir ordinäre Küh' g'habt.

Krautkopf (für sich). Ich werd' nicht klug aus dem Menschen. (Zu Lips.) Habts ihr Stallfütterung g'habt?

Lips G'schlafen haben wir im Stall, aber gegessen in Zimmer.

Krautkopf Wer red't denn von euch? Ich mein' die Küh'.

Lips Die hab' ich alle Tag' auf die Wiesen begleit't.

Krautkopf Schlechte Manipulation! Warum war die Milifrau gegen die Stallfütterung?

Lips Vermutlich hat sie den Jodl nicht beleidigen wollen.

Krautkopf Er is a Narr. Von die Schaf' und von die Ziegen wird Er wohl auch nicht zuviel verstehen?

Lips Hm! Die Schaf', wenn s' fromm sein, gehn viele in einen Stall, und wenn's donnert, stecken s' die Köpf' z'samm'; sonst is an ihnen nichts Bemerkenswertes. Um die Geißböck' hab ich mich nie umg'schaut, die sind mir zu fad.

Krautkopf Fad? Warum sollen g'rad die Geißböck' fad sein?

Lips Daß s' b'ständig den nämlichen Witz anbringen mit 'n Schneider-Ausspotten, das heißt nix.

Kathi Nehmen S' ihn nur, Herr Vetter – was er nicht kann, wird er schon noch lernen.

Lips Freilich, bedenken S' nur meine Jugend!

Krautkopf Na, meintwegen, probieren will ich's mit Ihm, Er kann gleich beim Dreschen mithelfen, das wird Er doch können?

Lips Lassen S' a Fruhstuck bringen, nach dem Sprichwort: »Der ißt wie ein Drescher« werd' ich Ihnen gleich zeigen, daß ich als solcher zu großen Erwartungen berechtige.

Krautkopf Bei mir wird zuerst gearbeitet und nachher gegessen.

Vierte Szene

Drei Knechte; die Vorigen

(Die drei Knechte treten zur Türe links herein.)

Krautkopf Na, seids einmal da? G'schwind dazu g'schaut, sonst bring' ich euch um!

(Die Knechte sind zur Tenne gegangen und fangen zu dreschen an.)

Krautkopf (zu Lips, welcher zögert) Is's Ihm g'fällig –?

Lips Na, ich glaub's, das is ja sehr eine angenehme Beschäftigung. (Geht zur Tenne und nimmt einen Dreschflegel zur Hand.)

Kathi (ängstlich für sich) Wenn er's nur trifft, wie sich's g'hört!

Krautkopf (zu Lips) Aber, Mensch, was treibt Er denn? Er nimmt ja den Flegel verkehrt.

Lips Das derf man ja nur sagen, die größten Künstler haben schon manches vergriffen. (Wendet den Dreschflegel um und drischt mit den übrigen, ohne sich in den taktmäßigen Schlag dieser Arbeit finden zu können.)

Krautkopf (zu Kathi) Du, mir scheint, mit dem wird's es nicht tun. (Zu Lips.) Nicht einmal g'schwind, einmal langsam! Das muß nach 'n Takt gehn.

Lips (indem er drischt, zu Krautkopf) Die sollen mir nachgeben! Schreiben Sie ihnen ein colla parte vor! (Trifft den einen Knecht mit dem Dreschflegel auf den Kopf.)

Erster Knecht (schreit) Ah! Der haut uns auf d' Köpf' –

Zweiter und dritter Knecht Zum Teufel hinein!

Krautkopf (ärgerlich zu Lips) Aber Er haut ja die Leut' auf die Köpf', was is denn das?

Lips (nach vorne kommend) Ich hab' halt in Gedanken leers Stroh gedroschen, das hab'n schon gar viele getan.

Erster Knecht (zu Krautkopf) Der kann ja nicht dreschen. Schick' ihn der Herr Krautkopf lieber aufs Feld zum Aufladen hinaus.

Krautkopf Was? Is noch nicht alles hereing'führt?

Erster Knecht Freilich nit!

Krautkopf Nit? Ich muß euch umbringen. Laufts nur gleich aufs Feld und helfts z'samm', daß noch alles hereinkommt vor 'n Regen.

Die drei Knechte Schon recht, gleich! (Gehen durch die Türe Seite links ab.)

Krautkopf Auf was ich alles z' denken – halt, das darf ich nit vergessen. – (Lips, welcher den übrigen folgen will, nachrufend.) He – hört Er nicht –? Dummkopf!

Lips (sich umwendend) Was schaffen S'?

Krautkopf Wenigstens versteht Er's doch gleich, wenn man Ihn bei sein' Nam' nennt.

Lips Eigentlich heiß' ich Steffel.

Krautkopf Er geht jetzt an der Stell' zum Herrn Justitiarius.

Lips (erschrocken) Zu was für einen Arius?

Krautkopf Zum Justitiarius, mach' Er die Ohren auf!

Lips (für sich) Das Wort »Justiz« verursacht mir so ein halswehartiges Gruseln –

Krautkopf Und sag' Er, ich lass' fragen, ob die Herren schon da sein und bis wann er mit ihnen herkommen wird.

Lips (stutzend) Was denn für Herrn?

Krautkopf Geht Ihn das was an? Tu' Er, was man Ihm schafft. (Zu Kathi.) Kathi! Führ' ihn bis ans Eck, da kannst ihm von weitem 's Amtshaus zeigen.

Lips (für sich) Wenn s' mich erkenneten auf 'n Amt! (Zu Krautkopf.) Aber was es in Ihrem Stadl für einen Zug hat, (nimmt ein Schnupftuch hervor) die Türen, scheint mir, schließen so schlecht! (Bindet sich mit dem Schnupftuche das Gesicht ein.)

Krautkopf Was wären denn das für Heiklichkeiten –?

Lips Ich hab's Reißen – mein rechter Weisheitszahn is in einem elendigen Zustand. (Zu Kathi.) So, Kathi, jetzt gehn wir zum Justitiarius. (Geht mit Kathi Seite links ab.)


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