Johann Nestroy
Frühere Verhältnisse
Johann Nestroy

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Fünfte Szene

Muffl (allein).

Muffl (tritt während dem Ritornell des folgenden Liedes durch die Mitteltüre ein; er ist ziemlich ordinär und herabgekommen in der Kleidung).

Lied  
1.
              Die Rasse guter Mensch'n is noch lang' nicht ausg'storb'n,
Doch werd'n s' durch böse Leut' oft verleit't und verdorb'n. –
Man hat Geld, fangt ein G'schäft an, da b'sucht ei'm ein Mann,
Tragt mit redlichem Sinn Kompagnieschaft ei'm an –
Er sagt, er hat Vermög'n, versteht alls aus 'n Grund,
Man schließt ab – jetzt kommt 's G'schäft durch ihn etwas au'm Hund.
Manchen Mißgriff zwar könnt' er noch gutmachen wohl;
Doch da rat'n ihm die Freund', daß 'r in d' Schweiz flüchten soll –
Er nimmt 's Rest'l aus der Kassa und 's Tags drauf is er weit –
So gibt's viel gute Mensch'n, aber grundschlechte Leut'.
2.
Man lernt eine kennen, die der Himmel schön schuf,
Sie is grad' ka Must'r, aber bess'r als ihr Ruf;
Man denkt sich: »Wann i nur ihre Liebe erst hab',
Dann g'wöhn' ich für immer ihr den Flattersinn ab –«
Doch da kommen zwei, wie s' schon fast völlig war brav,
Tun sich ausgeb'n bei ihr für Baron und für Graf,
Und richtig, d' Gebesserte laßt sich betör'n,
Verlaßt den Getreu'n und nimmt ein' von die Herrn –
Ohne Zweif'l hat s' den Schritt hundertmal schon bereut –
So gibt's viel gute Mensch'n, aber grundschlechte Leut'.

(Nach dem Liede.)
Grad' so war auch ich ein Opfer der Freundschaft und Liebe. Mein großartiges Materialgeschäft konnte, in dieser materiellen Zeit, durch einen allein nicht heruntergebracht werd'n. Ich hab' mir einen Kompagnon genommen, und das Tschaligehn war dadurch ermöglicht. Nach Kridagebrauch hab' ich mir wohl einen Notpfennig von zehntausend Gulden gerettet, aber es hat mich doch so angegriffen, daß ich eine Bad-Kur hab' gebrauchen müssen – natürlich keins von die ersten renommierten Bäder, denn das wär' aufg'fall'n bei einem eben erst Vergleichsverfahrenwordenen, sondern ich bin in ein kleines Bad, in ein neuentdecktes, das heißt, sie haben erst ein' Doktor entdeckt, der ihnen durch chemische Analyse hat entdecken müssen, daß der Kubikmeter von ihrem G'schwabetz dritthalb Gran Jod-Kali, ein neunundzwanzigstel Hektoliter kohlensaures Natron und vierdreiachtel Milligramm Schwefel-Sublimat enthalt't, folglich allen übrigen Bädern vorzuziehen ist, bei welchen durch mineralischen Hydro-Pepsin das Kalzinierungs-Ferment mehr oder minder neutralisiert und dadurch offenbar die Heilkraft um sieben dreisechzehntel Prozent, bei Unterleibskrankheiten sogar um neun elfachtzehntel Prozent, vermindert wird. – Wer daran zweifelt, dem bleibt es unbenommen, seine eignen Untersuchungen zu machen. – Da bin ich hin und war wirklich überrascht; es war zwar alles schlecht, aber teuer wie in die berühmtesten Badeorte. Auch für Unterhaltung war gesorgt; 's Theater war klein, die Künstler gar nicht, das heißt, es waren keine eigentlichen Künstler, nur so Spieler, daß der Abend auf dramatisch hin wird und daß man etwas deprimiert und mit geringeren Anforderungen ins Gasthaus kommt – da stoßt auf einmal eine verspätete Sternin erster Größe zur Trupp' als glanzpunktlicher Umundauf der ambulanten Entreprise. Gleich nach ihrer ersten Vorstellung hab' ich mir kühn den Weg zu ihr gebahnt; es war nicht leicht, schon wegen ihrem Künstlerstolz, sie hat sich noch viel mehr eingebildet, als wirklich dran war – wie s' schon sind bei die kleinen Theater, bei die großen is das anders! – Ihre zweite Rolle war die Pompadour. »Narziß« wird überall gegeben, also haben schon viele gepompadourt, aber so was –! Nein! – Mit einem Wort, ich bin ihr den andern Tag mit dem Ausruf: »Pompadour!« zu Füßen gestürzt. Sie hat mir früher schon Avancen gemacht, denn kokett war sie – wie s' schon sind bei die kleinen Theater, bei die großen is das anders! – Wir waren Verliebte, nach mehreren Tagen Verlobte – aber ohne Erfolg; denn es sind bald drauf sehr reiche Ausländer ins Bad kommen, ich glaub', Russen und Engländer, jeder ein gelernter Krösus, und da is sie mir – wie s' schon sind bei die kleinen Theater, bei die großen is das anders! – da is sie mir untreu geword'n. Ich bin dann mit meinen Vermögensresten ein Weinreisender geword'n – das heißt, ich bin unstät herumgereist und hab' in der Desperation nix als Wein trunken. Schuldenarrest, Unterstandslosigkeit, gänzliches Verkommen waren die reizende Stufenleiter nach abwärts – o, es is ein bitteres Gefühl, wenn man oft so hungrig is, daß man vor Durst nicht weiß, wo man die Nacht schlafen soll! Ich hab' das durchgemacht. Da is mir die Idee gekommen, Hausknecht zu werd'n. Es is durchaus keine schöne Idee, die Wirklichkeit is aber noch viel wilder. So war ich Sklav' nacheinand' bei zwei Herrn – das hier is der dritte Versuch, den ich als lichter Neger mach' – es kommt wer – aha, mein künftiger Prinzipal.

Sechste Szene

Scheitermann. Der Vorige.

(Scheitermann kommt, vollständig angekleidet, mit Hut und Stock durch die Seitentüre rechts.)

Muffl (ihm entgegentretend). 'täniger Diener!

Scheitermann. Was steht zu Diensten?

Muffl. Ich! Sie haben alles, was Ihr Herz begehrt, nur keinen Hausknecht.

Scheitermann (für sich, ihn oberflächlich musternd). Kurioses Subjekt! (Zu Muffl.) Hat man Ihn vom Dienstbotencomptoir zu mir gewiesen?

Muffl (einen Zettel hervorziehend). 's Hausnumero is richtig, zweiter Stock – Namen steht keiner da –

Scheitermann. Ganz recht, ich bin's schon. Hat Er Seine Zeugniss' –? (Sieht ihn näher an.) Himmel –! (Fast sprachlos vor Erstaunen.) Kruzi –! Kruzi –!

Muffl. Na? Was hab'n Ihnen die »Türken« getan, daß Sie s' nicht loslassen? (Betrachtet ihn näher und prallt mit einem halbunterdrückten Ausruf zurück.) Ah

Scheitermann, Muffl (zugleich, aber jeder für sich). Das is ja –!

Muffl (für sich). Der Johann, mein eh'maliger Hausknecht –

Scheitermann (für sich). Der Muffl, mein eh'maliger Prinzipal –

Muffl (staunend, für sich). Is der obenauf!

Scheitermann (staunend, für sich). Hat der abg'wirtschaft't! (Tut sich eilig den Rockkragen in die Höhe, um sein Gesicht einigermaßen zu verbergen.) Mich treffet der Schlag –!

Muffl (geht auf der andern Seite ihm ganz nahe). Teuxelspursch'! Kennst mich nicht mehr?

Scheitermann (in größter Verlegenheit). Sie scheinen in einem Irrtum – ich bin nicht der, den Sie zu meinen scheinen.

Muffl. Verstell' dich nicht, sonst hilf ich dir aus 'n Traum.

Scheitermann (sich mit Anstrengung aufrichtend und ermutigend). Mein Herr, ich ersuche Sie, sich zu entfernen.

Muffl. Ich werd' doch meinen eh'maligen Hausknecht kennen! – Keine Dummheiten, Johann, sonst –! (Verfällt in etwas drohenden Ton.)

Scheitermann (für sich). Da nutzt nix, ich komm' ihm nicht aus. (Laut zu Muffl.) Na ja, ich bin's, aber – um alles in der Welt – daß nur kein Mensch –

Muffl. Also wirklich –!? Reich geworden is der Kerl –! Das is stark –! Und ich betteltutti – da heißt's auch: je größer –

Scheitermann (ängstlich). Ich bitt' Ihnen, Herr Muffl, schreien S' nicht so – wenn's meine Frau höret, ich wär' des Todes –!

Muffl. A Frau hast? Und fürcht'st dich vor ihr? Das söhnt mich wieder a bissel aus mit 'n Schicksal. Hast halt auch dein G'frett'.

Scheitermann. Sie sind abermals in Irrtum; sie is eine noch junge, schöne Frau.

Muffl. Und du bist ihr Mann – armer Teufel, jetzt krieg' ich schon ein Mitleiden mit dir.

Scheitermann. Eine Frau aus sehr ein' guten Haus, eine Professorstochter. Sie kennt mein Vorleben nicht, ich hab' mich für den Sohn eines Realitätenbesitzers ausgegeb'n, sonst besitzet ich sie ja gar nicht.

Muffl. Also Realitäten hast du vorspiegeln müssen, um etwas Unreelles zu kriegen? Ah, es gibt schlechte Leut', b'sonders unter die Weibsleut'.

Scheitermann. Erlauben Sie mir, Sie beleidigen meine Frau.

Muffl. Du bist noch der nämliche dumme Kerl, der du warst.

Scheitermann (beleidigt). Sie reden überhaupt in einem Ton –

Muffl. Das Unglück hat mich so verstimmt, daß ich immer die Wahrheit sag'. Schmeichelei hast du von mir nicht zu befürchten.

Scheitermann. Sie sind also wirklich bis zum Hausknecht herabgesunken?

Muffl. Das hat von nun an nicht mehr das Drückende, weil ich jetzt dein Hausknecht werd'.

Scheitermann. Sie – mein Hausknecht –?

Muffl. Na, du wirst deinen ehemaligen Prinzipal doch nicht vazierend lassen?

Scheitermann. Sie mein –? Nein, Sie, das geht nicht!

Muffl. Warum nicht? Alles geht!

Scheitermann. Ich könnt' nie so gehörig grob werden mit Ihnen.

Muffl. Ich hab' dir die Höflichkeit nicht verboten.

Scheitermann. Der alte Respekt machet es unmöglich, daß ich mir von Ihnen die Stiefeln putzen ließ'.

Muffl. Ich bin nicht eifersüchtig auf diese Dienstleistung; kannst dir s' putzen lassen, von wem du willst.

Scheitermann. Dann kann ich auch keinen Menschen ins Haus nehmen, der sich bereits mehrmalen an mir vergriffen hat.

Muffl. Ja, richtig! Ich hab' dich öfters durchkarbatscht – ich bin nicht unversöhnlich und hab' das längst vergessen.

Scheitermann. Ich aber nicht; es bleibt immer eine gewisse Erinnerung –

Muffl. Daß du alle Sonntag' b'soffen nach Haus kommen bist, liederlichs Tuch!

Scheitermann. Mit einem Wort, es geht durchaus nicht.

Muffl. Du elender Parfimör – (sich korrigierend) Parfenü will ich sagen. Deinen Brotherrn von eh'mals wolltest du brotlos hinausstoßen? Ah, was es für schlechte Leut' gibt, b'sonders unter die g'wesenen Hausknecht'! Undankbarer Glückspilz! Hast du vergessen, daß ich dir immer ein gnädiger Prinzipal war? Daß ich dir immer durch die Finger g'sehn hab', wenn du lange Finger hast g'macht?

Scheitermann. Keine Verleumdung

Muffl. Du hast nie etwas Anständigs g'stohlen, du warst nie kriminalfähig, aber du hast alle Augenblick' vergessen, a Guldenzettel z'ruckz'bringen, dann hast wieder a paar Sechserln verloren, dann hab'n s' dir nicht richtig g'wechselt oder du hast 's kleine Geld verstreut – mit einem Wort, du warst ein sanfter Dieb, aber mit der Zeit macht es auch was aus.

Scheitermann (aufgebracht, nach der Tür weisend). Augenblicklich hinaus!

Muffl. Gut, ich gehe, aber ich erzähle der Residenz eine Geschichte, wie man Holzhandler wird. (Wendet sich zum Abgeben.)

Scheitermann (will ihn ängstlich zurückhalten). Halt, bleiben Sie –!

Muffl. Warum? Die Bevölkerung soll erfahren, daß du mir drei Jahr' – wenn auch nicht immer treu und redlich – aber doch gedient hast; daß du dann beim Bankier Reichenbach –

Scheitermann (sich ängstlich an ihn klammernd). Sie werd'n mir doch das nicht antun –? Wenn meine Frau – es wäre schrecklich – wenn sie, die aus einem so entsetzlich guten Haus is – (sehr freundlich) Sie sollen bei mir als Hausknecht angestellt werden, wenn Sie's durchaus wünschen, aber Sie schwören mir, daß Sie keine Silben –

Muffl. Du bist ein Esel.

Scheitermann (pikiert). Hören Sie –

Muffl. Tracht' du nur, daß du dir immer meine Zufriedenheit erwirbst, und du hast nix zu befürchten, denn nur in Zorn oder wann ich in Trübsinn verfall', da plausch' ich alles aus.

Scheitermann (desperat beiseite). Das is ein Höllenkerl –!

Muffl. Und was is es denn wegen Lohn? Wieviel krieg' ich denn?

Scheitermann (etwas zaghaft). Ein Hausknecht hat bei mir acht Gulden monatlich und die Kost.

Muffl. Schmutzian! Du hast bei mir zehn Gulden g'habt; bin ich etwan weniger wert? Was du bist, das bin ich auch, du Lump, du!

Scheitermann (erbost). Das verbitt' ich mir –! Sie entwickeln eine Grobheit –

Muffl. Erst entwickeln? Meine Grobheit datiert sich schon lang her, ich hab' ein historisches Recht, mit dir grob zu sein.

Scheitermann (wieder begütigend). Sie müssen aber doch einsehn, daß die gegenwärtigen Verhältnisse –

Muffl. Der Historische hat nie ein Einsehn. Übrigens, zehn Gulden Monatslohn und einen Gulden 's Tags Kostgeld, sind wir in der Ordnung.

Scheitermann. Zu was Kostgeld? Meine Leut' haben alle im Haus –

Muffl. Das geht nicht bei mir; ich müßt' da auftrag'n sehn und will nicht wissen, wie du dich anfrißt, während ich bloß Suppen, Rindfleisch und Zuspeis – das erreget Empfindungen, vor deren Folgen ich dich bewahren will. Ein' Gulden kannst mir gleich drangeben.

Scheitermann. Ein' Gulden? (Nimmt sein Portemonnaie aus der Tasche und sucht darin.) Ich hab' da lauter Zehner-Banknoten –

Muffl. Na, so gib halt eine her, kannst mir s' ja aufnotieren.

Scheitermann. Na ja, 's is wahr – (gibt ihm eine Banknote).

Muffl (dieselbe einsteckend). So – aber halt! Ich könnt' noch allerhand – gib noch ein' Zehner her! (Greift ungeniert in Scheitermanns Portemonnaie, welches dieser noch offen in der Hand hält, und nimmt sich.)

Scheitermann (verblüfft). Sie nehmen sich aber da eigenmächtig –

Muffl. Glaubst, ich nimm dir z'viel? Mißtrauischer! Da hast 'n wieder, den zweiten Zehner, heb' mir 'n auf! Mußt mir ja doch geb'n, was ich will, sonst schauet's schlecht aus mit meiner Verschwiegenheit, das derfst du nie vergessen.

Scheitermann (beiseite). Der Schuft is mein Tod! (Laut.) Und, lieber Muffl, sagen Sie nicht immer »Du« zu mir.

Muffl. Das is ja nur unter vier Augen, du Dalk! Aber du hast ausgehn wollen, was stehst denn so lang herum?

Scheitermann. Ich hab' Ihnen nur sagen wollen, wenn Sie zufällig mit meiner Frau zusammenkommen, reden Sie nur unendlich artig und devot, denn ihre Nerven gehören der feinen Welt an, und Sie haben keinen Begriff, was sie in die guten Häuser für Nerven haben.

Muffl. Is schon recht, schau, daß du weiter kommst!

Scheitermann (für sich). Gräßlicher Kerl! (Geht desperat zur Mitteltüre ab.)


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