Johann Nestroy
Der Unbedeutende
Johann Nestroy

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Achtzehnte Szene

Puffmann, dann Tupper.

Puffmann (allein). Schicksal, sag' mir nur, was du auf einmal für ein vermaledeites Schicksal wirst!?

Tupper (aus der Seitentüre rechts kommend). Herr von Puffmann!

Puffmann (erschöpft vor Ärger). Oh, mein lieber Tupper –

Tupper. Die Desperation des gnädigen Herrn –

Puffmann. Kommt auf keinen Fall der meinigen gleich.

Tupper. Wieso? Ihr Blutegel war doch nicht schon wieder da?

Puffmann. Nicht genug, daß er zufällig Mitwisser der Geburtsscheinverfälschung ist, er ist noch viel zufälliger der Vater vom Bräutigam des Mädels.

Neunzehnte Szene

Friedrich; Vorige.

Friedrich (tritt meldend ein). Es sind zwei Leute draußen –

Puffmann. Sollen warten!

Friedrich. Sie sagen, sie sein herb'stellt.

Puffmann. Dann soll'n s' erst recht warten.

Friedrich. Ganz wohl. (Zur Mitte ab.)

Zwanzigste Szene

Vorige ohne Friedrich.

Puffmann (kleinlaut). Sie haben mir was sagen wollen vom –

Tupper. Vom gnädigen Herrn, daß er über den Brief, den er eben von seiner entflohenen Hermine, nunmehrigen Frau von Gröning, erhalten, außer sich ist.

Puffmann. Brief von der Hermine? Das is wichtig, da wollen wir vor allem an seiner Türe Barometerbeobachtungen über den Grad und die mutmaßliche Dauer seiner Desperation anstellen. Kommen Sie, Tupper! (Beide gehen zur Seite rechts ab.)

Einundzwanzigste Szene

Peter, Klara.

Klara (noch unter der Türe zu Peter, der ungeduldig eintritt). Aber, Peter, du sollst doch nicht –

Peter. Der Livreeknopf hat Zeit g'habt, daß er gegangen is.

Klara. In dem Zimmer is niemand.

Peter. Macht nix, ich wart' hier leichter als im Vorzimmer. Ich bin doch Zimmermann, aber in die Vorzimmer kann ich mich nicht finden. Ein Vorzimmermann is halt eine ganz eigene Profession. Viele erheben s' zur Kunst, mancher bringt's bis zur Virtuosität darin, 's is schwer z' lernen, und doppelt schwer für den, den sein Unstern in sein' alten Tag'n erst zum Lehrbub'n im Vorzimmermannhandwerk macht.

Klara. Ich begreif' aber nicht – –

Peter (ohne auf sie zu hören, für sich, indem er auf seine silberne Uhr sieht). Jetzt wart' ich noch da fünf Minuten – wenn der Herr Puffmann aber vielleicht glaubt, ich geh' fort aus Ungeduld, dann wart' ich erst noch den ganzen Tag.

Zweiundzwanzigste Szene

Puffmann; Vorige

Puffmann (aus der Seitentüre rechts kommend und die Anwesenden erblickend). Was is denn das für eine Art?

Peter. Euer Gnaden verzeihn –

Puffmann. Hab' ich nicht gesagt, draußen warten?

Peter. Euer Gnaden haben aber nicht gesagt, wie lang; drum bin ich herein'gangen.

Klara (ängstlich, leise). Gehn wir, Bruder!

Puffmann. Was will das Frauenzimmer?

Peter. Die Tücheln hat s' bracht.

Puffmann. Was für Tücheln?

Klara (schüchtern). Die ich vom Kaufmann zum Einsaumen hab' kriegt; mein Bruder sagt, sie g'hören für Euer Gnaden, und hat g'sagt, Euer Gnaden haben befohlen, ich soll s' selbst überbringen. (Will Puffmann ein Päckchen seidne Sacktücher reichen.)

Puffmann. Ich weiß nichts von Tücheln. (Zu Peter.) Und wie kann Er ihr denn sagen, ich hab' sie bestellt, eine Person, die ich in meinem Leben nicht gesehn hab'?

Peter (welcher Klara und Puffmann mit prüfendem Blicke betrachtet). An mein Herz, du unschuldiges Wesen, ich hab's voraus g'wußt, aber nur nicht ganz g'wiß. (Umarmt sie.)

Puffmann (erstaunt). Was is denn das?! Seit wann umarmt man sich in meinem Bureau?

Peter (zu Klara). Sei nicht bös, aber ich hab' die Überzeugung zu notwendig gebraucht.

Klara (unruhig). Ich weiß nicht, Peter –

Peter (auf Puffmann zeigend). Da schau dir 'n an, das is der noble Herr, der sich mit deiner gemeinen Ehre einen noblen Spaß hat g'macht.

Klara (sehr ergriffen). Was? Der is es – also gibt's wirklich so einen Menschen? – Himmel – mir wird ganz –

Peter. Nein, dir braucht gar nicht zu werden, laß mich für alles sorgen und geh.

Klara. Aber, lieber Bruder –

Peter. Unten vor 'n Schloßtor wart' auf mich, meine gute, reine Klara. (Führt sie zur Mitteltüre, Klara geht ab, er kehrt um.)

Dreiundzwanzigste Szene

Puffmann, Peter.

Puffmann (halb für sich). Hab' ich recht g'hört? – Klara, hat er g'sagt?

Peter. Ja, Klara Span, g'spannen S' was?

Puffmann (verlegen und mit erzwungener Freundlichkeit). Und der Herr is der Bruder? Älterer Bruder vermutlich. Na, mich g'freut's, daß ich die ganze Familie kennenlern'.

Peter. Besteht nur aus zwei Personen, aus einer beleidigten Schwester und aus einem Rechenschaft fordernden Bruder, is ganz eine unbedeutende Familie.

Puffmann (verlegen). Es scheint bei der ganzen Sache die Obwaltung eines Irrtums stattzufinden.

Peter. Bei Ihnen kann man sich auch leicht irren. Ich, zum Beispiel, hätt' Ihnen für einen honetten Mann gehalten. Entschuldigen, das kommt von dem distinguierten Futteral, in dem Ihre verleumderische Schlechtigkeit steckt.

Puffmann (imponieren wollend). Freund, bedenk' Er, was Er spricht!

Peter. Ich sprech', wie ich denk'.

Puffmann. Denk' Er, was Er will, aber menagier' Er sich im Reden!

Peter. Ja, ja, ich red' zu viel und vergiß, daß ich (etwas die Faust ballend) handeln soll. (Ihm nähertretend.) An das haben Sie mich doch nicht erinnern woll'n?

Puffmann (sich etwas retirierend). Hat Er Beweise?

Peter. Ich war dabei, wie Ihnen der kleine Bub wiedererkannt und von Ihnen 's zweite Mal Geld kriegt hat.

Puffmann. Also Er und ein kleiner Bub? Letzterer kann keine gültige Zeugenschaft –

Peter. Kinder und Narren reden die Wahrheit.

Puffmann. Dann hat's aber nur ein Kind und, salva venia, ein Narr g'sagt.

Peter (geht erzürnt auf Puffmann los). Herr, wissen Sie, daß einem Narren nicht zu trauen is?

Puffmann (retiriert sich hinter das Pult). Zurück, ich steh' unter dem Schutz mehrerer Kodexe, Paragraph –

Peter. Ich brauch's Numero nicht zu wissen, genug, daß ich den Inhalt weiß. Den Geldräuber darf ich aus Notwehr niederstechen, aber wer mir Unersetzliches raubt, dem soll ich nachschauen mit trostlosen Kalbsaugen und ungeballter Faust? – Wissen Sie aber auch, daß gerade dieser Paragraph am wenigsten auf wallendes Blut und zuckende Nerven berechnet is?

Puffmann (einlenkend). Zu was Zuckung, zu was Wallung? Wir richten's ungezuckt und ungewallt. Ich gesteh's, ich hab' g'fehlt, und daß ich das eing'steh', is ja schon edel, und da schau' Er her! – (Ein Fach in seinem Schreibpult aufschließend.) Dieses Metall is noch edler.

Peter. Sie wollen mir Ihren Reichtum produzieren? Das is ja eine ganz verfehlte Spekulation! Wenn man die Nachsicht des gereizten Armen braucht, soll man ihn am wenigsten erinnern an die angeborne Feindschaft zwischen arm und reich.

Puffmann. Ich zeig' Ihm ja das Geld, um Ihm einen Ersatz zu leisten –

Peter. Sie haben also wirklich die Keckheit, mir Geld für Ehre anzubieten? Möglich, daß Ihre Ehre fünfmal Platz hat in dem Dukatenladl, für einen rechtschaffenen Mann seine is die Schatzkammer z' klein.

Puffmann. Ah, das is stark! Ein Mensch, der kein Geld nimmt! (Außer sich vor Staunen.) Das is über ein' Starl, der kein' Mehlwurm frißt! Red', liebes Wundertier, das ich so gern befriedigen möchte! Red', was ist dein Gusto, was willst du?

Peter. Nichts als eine Erklärung!

Puffmann. Erklärung? Hm, kuriose Passion!

Peter. Eine vor Zeugen, die ich bestimmen werd', abzugebende beweiskräftige Erklärung, wo Sie waren und was Sie unternommen haben am siebenten September abends, nämlich an demselben Abend, wo Sie durch schmähliche Lügen meine Schwester um ihre Reputation gebracht.

Puffmann (betroffen). Was ich am siebenten September abends unternommen?

Peter. Müssen Sie unwiderlegbar dartun, denn die Zeugen müssen überzeugt werden, daß Sie gar nicht haben bei meiner Schwester sein können.

Puffmann (kleinlaut). Freund, das geht nicht, das kann ich nicht.

Peter (auffahrend). Was? – Sie weigern sich noch?

Puffmann. Fordre, was du willst, nur den siebenten September lasse mir ungeschoren!

Peter. Das scheint ja mit dem siebenten September ein eigenes Bewandtnis zu haben?

Puffmann. Na, freilich. (Zutraulich.) Drum verlang' Geld, viel Geld und extra noch Septemberbeweise, so viel du willst, nur den siebenten b'halt' ich mir vor.

Peter (ihn verächtlich betrachtend). Wie doch der letzte gute Freund des Schlechten, das bisserl Verstand, Reißaus nimmt in der Angst! Ihr Hirn muß Staubferien haben oder es is mit dem Naturalquartier in Ihrem Kopf nicht zufrieden, daß es Ihnen feindlich den Rat gibt, mir Ihren verwundbarsten Punkt zu verraten.

Puffmann (von Angst ergriffen). Freund, Er wird doch nicht –

Peter (entschlossen). Gerade jetzt mit doppelter Unerbittlichkeit auf die Erklärung dringen! Sieben is die Zahl des Bösen; mit Ihrem Leibnumero geh' ich Ihnen zu Leib. Unsere abgeschnittene Ehre kann Ihnen Ihr ganzes Ansehen kosten. Sie sollen womöglich Ihre Ehrenstelle verlieren, weil sie bei Ihnen, wie bei manchem andern, nur die Stelle der Ehre vertritt.

Puffmann. Nehm' Er Räson an, Er wird's bereuen!

Peter. Drohen Sie nicht, Sie Hochgestellter, der gerechte Zorn hat Flügel, die einen hoch über jeden Beleidiger erheben! Wart' nur, Bedeutender, du sollst die Bedeutendheit des Unbedeutenden empfinden. (Will zur Mitte ab.)

Puffmann (in der Angst einen Entschluß fassend). Halt, Freund, halt! (Für sich.) Ist denn kein Tupper in der Nähe? (Zu Peter.) Ich werd' Ihn befriedigen.

Vierundzwanzigste Szene

Tupper; die Vorigen.

Tupper (aus der Seitentüre rechts kommend, zu Puffmann). Der gnädige Herr hat soeben –

Puffmann (zu Peter, indem er ihm andeutet, zurückzutreten). Es betrifft Amtsgeschäfte. (Tupper entgegeneilend, leise.) Du himmlischer Wolf, der du gerennt kommst, wenn man ihn nennt.

Tupper. Nun, Herr von Puffmann?

Puffmann (ihn beiseite führend, leise). Die Handnähterin war da mit ihrem handfesten Bruder dort. (Verstohlen auf Peter zeigend.) Schau' sich 'n der Tupper an, diesen grimmigen, satisfaktionlechzenden Kerl.

Tupper (leise). Verdammt!

Puffmann (wie oben). Wie werd' ich ihn los?

Tupper. Wenn man ihn nicht loslaßt.

Puffmann. Aha, Arrest!

Tupper. Im Kotter.

Puffmann. Provisorisch –

Tupper. Interimistisch –

Puffmann. Bis ich mit dem Baron eine Zerstreuungsreise angetreten.

Tupper. Ganz recht; und der Vorwand?

Puffmann. Unanständiges Bureaubetragen in meinem Zimmer.

Tupper. Werde sogleich das Nötige veranstalten. (Geht durch die Mitte ab.)

Fünfundzwanzigste Szene

Vorige ohne Tupper.

Peter. Sie haben g'sagt, Sie wollen mich befriedigen.

Puffmann. Kann Er's denn gar nicht erwarten?

Peter. Nein, und wegen die Zeugen muß eine Stund' festg'setzt werd'n –

Puffmann. Festg'setzt, nach Gusto!

Peter. Und zwar das heut' noch –

Puffmann. In dieser Stund' noch wird festgesetzt, hab' Er nur eine kleine Geduld!

Sechsundzwanzigste Szene

Franz; Vorige.

Franz (aus der Seitentüre rechts kommend). Der Herr Sekretär möchten geschwind zum gnädigen Herrn –

Puffmann. Was is es denn?

Franz. Er kränkt sich, Sie sollen ihn g'schwind trösten, eh' er ganz außer sich kommt. (Geht wieder in die Seitentüre rechts ab.)

Puffmann (für sich). Fatal –! (Zu Peter.) Jetzt muß Er schon noch einen Augenblick Geduld haben. (Geht in die Seitentüre rechts ab.)

Siebenundzwanzigste Szene

Peter (allein).

Peter. Meine Geduld setzt den Hut auf, und ich seh' s' völlig nach 'n Stock greifen, mir scheint, sie geht aus. – Und die verdächtige Wisplerei – am End' bin ich schon in eine Falle gegangen – hm – wenn auch – ich komm' schon wieder heraus. Gott sei Dank, 's Mittelalter is beim Teufel – Hungertürm', Torturvermummte, Bleidächer und Eiserne Jungfrauen hat man in unserm milden Säkulum nicht mehr.

Achtundzwanzigste Szene

Voriger; Tupper, Rumpf, vier Wächter.

Tupper (zu Rumpf und den Wächtern, auf Peter zeigend). Der ist's!

Peter (für sich). Jetzt gilt's.

Rumpf (zu den Wächtern, welche zur Mitteltüre eintreten). Aufgepaßt! Aufgestellt! Und auf Kommando angepackt!

Neunundzwanzigste Szene

Packendorf; Vorige.

Packendorf (a tempo zur Mitteltüre eintretend). Und zwar auf mein Kommando! Herr Tupper wird arretiert, ich werd' es verantworten.

Tupper. Erlauben Sie, Herr von Packendorf –

Packendorf. Daß Sie bis elf Uhr nachts wieder auf Ihr Zimmer gehen, das erlaub' ich, bis dahin aber ist der Kotter Ihr Quartier.

Rumpf (zu Tupper). Mir is leid, aber meine amtliche Stellung – (winkt den Wächtern.)

Packendorf. Vorwärts! (Tupper wird zur Mitteltüre abgeführt, Rumpf und Wächter folgen.)

Dreißigste Szene

Packendorf, Peter.

Peter (erstaunt). Ein unbekannter Retter aus Wachtershand –

Packendorf (sich freundlich Peter nähernd). Ihr seid ein braver Mann, Eure Schwester schwört's mit einem Gesicht, dem man alles ungeschworen glaubt! (Reicht ihm die Hand.)

Peter (treuherzig). Mich g'freut's, denn Euer Gnaden scheinen keiner von denen zu sein, die jeden Brudern brav finden, der eine saubere Schwester hat.

Packendorf. Als sie unten zufällig den Befehl zu einer Arretierung hörte, dachte sie gleich, es gehe Euch an, und suchte in ihrer Herzensangst Hilfe bei mir, den sie irrigerweise für den Gutsherrn hielt. Ich weiß nun, wie schmählich Puffmann sich an Euch vergangen. Da es aber den siebenten September betrifft, einen Abend, für dessen Dunkelheit auch wir neuerdings Licht bedürfen, so ist unsere Sache eine gemeinsame, und ich werde Euch meinen Plan mitteilen. Kommt sogleich mit mir, denn Puffmann muß glauben, Ihr seid eingesperrt.

Peter (mit Packendorf zur Mitte abgehend). Den Gutsherrn hat meine Schwester in Euer Gnaden verfehlt, aber den guten Herrn hat s' auf alle Fäll' getroffen. (Beide zur Mitte ab.)

Verwandlung

Dieselbe Dekoration wie am Ende des zweiten Aktes. Es ist Abend, alles mit bunten Lampen erleuchtet.

Einunddreißigste Szene

Klopf, Frau Klopfin, Netti, Schmalzer, Frau Schmalzerin, Kübler, Frau Küblerin, Susi, Spring, Biegel, Leicht, Flachs, Frau Flachsin, mehrere Bürgersleute, Wirt, Kellner.

(Die benannten Personen sitzen an den Tischen, mit Ausnahme des jüngeren Teils der Anwesenden, welche auf dem erhöhten Tanzplatze tanzen. Mit Beginn der Verwandlung ist eben die Koda einer Walzertour.)

Klopf (zum Wirt). Recht lustig geht's halt immer zu bei Ihnen, Herr Wirt.

Wirt. Die Zufriedenheit meiner werten Gäst' –

Kübler (des Wirtes Rede ergänzend). »Is meines Strebens höchstes Ziel«. Die Redensart kennen wir. Glaub' aber doch nicht, daß der Nachkirtag heut' so lustig wird, als der Kirtag war.

Schmalzer. Warum?

Kübler. Es kommen hohe Herrschaften, und das is genant.

Wirt. Das ganze hochfreiherrliche Haus is ang'sagt.

Klopf. 's is immer schmeichelhaft und ehrenvoll für uns, diese Herablassung.

Kübler. Ah was, Herablassung! Wenn's ihn nicht g'freuet, den Baron, so tät er's nicht.

Wirt (hat vorne rechts in die Szene gesehen). Da steigen s' schon ab.

Flachs. Siebzehn Wägen.

Kübler. Ich seh' nur drei.

Zweiunddreißigste Szene

Massengold, Fräulein Ottilie, Packendorf, Althof, Seewald, Lockerfeld, Puffmann; Vorige.

Massengold. Da wären wir. – (Grüßend zu den Anwesenden.) Laßt euch in eurer Unterhaltung nicht stören, wackre Bürger.

Kübler (mit tiefster Devotion). Dero glorreiche Gegenwart is die schönste Unterhaltung für die untertänigsten Kobelstädter.

Ottilie. Es ist dies recht ein freundlicher Ort.

Massengold (trübsinnig). Ist mir sonst auch immer so vorgekommen, aber heute –

Kübler (sich mit tiefen Bücklingen Massengold nähernd). Der Wirt möcht' gern Euer Hochfreiherrlichen Gnaden die großartigen Anstalten produzieren –

Massengold. Wir wollen sie in Augenschein nehmen.

(Kübler und der Wirt führen Massengold, welchen Lockerfeld begleitet, auf den erhöhten Tanzboden.)

Kübler (den Cicerone machend). Dieser Tanzboden ist von echten Brettern, die Säulen mit echtem Tannengreis umwunden, die Lampen mit echtem Inslicht gefüllt. (Die übrigen Spielenden haben sich auch zurückgezogen bis auf Puffmann und Ottilie.)

Puffmann (kopfschüttelnd, für sich). Hm, diese Spazierfahrt – Packendorf hat sie über Hals und Kopf arrangiert ich wittre Unheil.

Ottilie (hat sich mittlerweile von Althof und Seewald getrennt und nähert sich Puffmann). Herr Puffmann (mit innerer Angst) sind Sie ganz sicher vor Entdeckung?

Puffmann. Ich hoffe – ich habe das möglichste getan.

Ottilie (ängstlich und leise). Das ist nicht genug, um mich vor Verzweiflung zu schützen.

Puffmann. Kann ich davor, daß –

Ottilie. Ja, niemand als Sie. Jetzt, wo man mir noch nichts beweisen kann als Mangel an Wachsamkeit, muß ich schon seufzen unter den Kränkungen dieses Massengolds, dessen Tyrannei mich Familienschicksal unterworfen.

Puffmann. Die meisten Familien haben ein Schicksal, aber deßtwegen –

Ottilie. Wenn er nun aber erst Ihr verbrecherisches Unternehmen mit dem Geburtsschein erführe, was rettet dann mich vor dem Verdacht der Mitschuld?

Puffmann. Fräulein, machen Sie einem den Kopf nicht warm, der ohnedem –

Ottilie (bemerkend, daß der Baron sich nähert). Der Baron! (Entfernt sich schnell von Puffmann.)

Puffmann (für sich). Z'widere Bisgurn, die geht mir noch ab!

Massengold (mit Kübler, Lockerfeld, Wirt und allen Spielenden vorkommend). Schön, recht schön!

Kübler. Und alles Euer Hochfreiherrlichen Gnaden zu Ehren!

Dreiunddreißigste Szene

Peter, Klara; Vorige.

Massengold (nach dem Vordergrunde kommend). Nun, lieber Puffmann –

Puffmann (Peter und Klara von rechts kommen sehend). Ah!!

Massengold. Was ist Ihnen?

Die Anwesenden (mit Ausnahme der Gesellschaft des Barons). Der Span mit seiner Schwester? (Drücken ihr mißbilligendes Staunen aus.)

Peter (grüßend). Schön' guten Abend!

Schmalzer, Kübler, Flachs, Frau Flachsin, Frau Küblerin, Frau Schmalzerin. Das is stark!

Seewald, Althof, Lockerfeld. Wer ist der Mensch?

Massengold (frappiert). Warum macht sein Erscheinen solche Sensation? Und selbst mein Puffmann –

Puffmann (für sich). Halt't ein' Puff aus, der Puffmann, aber über den Puff is er baff!

Lockerfeld (Klara ins Auge fassend). Und das Mädchen –

Packendorf. Ist die, welche Puffmann sich zur schnöden Ausrede gewählt.

Massengold (stutzend). Wie? Was?! –

(Packendorf spricht während dem Folgenden leise mit Massengold weiter.)

Kübler (pikiert). Der Mussi Peter will uns mit Gewalt seine Schwester –

Peter (ihm scharf in die Rede fallend). Als gerechtfertigt vorstellen.

Kübler (wie oben). Dazu ist doch hier weder Zeit noch Ort.

Peter. Der beste Ort, denn hier auf 'n Kirchtag hat man sie beschimpft. – Die beste Zeit, denn jetzt, auf 'n Nachkirtag, wird mit der Verleumdung der Kehraus gemacht.

Klara (tief ergriffen, an Peter sich anschmiegend). Bruder, ich kann mich kaum aufrechthalten!

Puffmann (bittend, leise zu Peter). Freund, schon' Er mich! –

Peter (frostig zu Puffmann). Weil Sie statt der versprochenen Genugtuung mich haben wollen einsperren lassen –

Puffmann (wie oben). Um 's Himmels willen! –

Peter (wie oben). So sollen Sie nicht bitten, denn was ich um 's Himmels willen tue, das kann nie zu Ihren Gunsten ausfallen.

Lockerfeld (hat Klara lorgnettiert). Fürwahr, das Mädchen ist schön, bildschön!

Peter (zu Lockerfeld). Dero joviale Lorgnette vergrößert zu gütig – wenn s' ein' Zoll Grazie find't, macht s' gleich eine Klafter Venus draus.

Massengold (in strengem Tone). Puffmann, Sie haben mich also, was das Mädchen betrifft, belogen?

Puffmann (verlegen, mit anscheinender Zerknirschung). Ich kann allerdings einerseits nicht leugnen –

Peter (ihm in die Red' fallend). Und sind anderseits hierher gekommen, um öffentlich zu erklären, daß Sie sie gar nicht kennen.

Puffmann (wie oben). Daß ich sie gar nicht kenne –

Peter. Und daß Sie dem Hußbergerschen Buben Geld gegeben –

Puffmann (wie oben). Damit ein Gered' entsteht, welches meiner Vorspiegelung den Schein der Wirklichkeit –

Peter. Red' und Antwort, wo waren Sie an dem bewußten Abend?

Packendorf. Da das vorgebliche Abenteuer Lüge war, steht der unbewiesene siebente Septemberabend wieder als Ihr frischer Ankläger da.

Massengold (streng zu Puffmann). Der siebente September ist keine Kleinigkeit.

Packendorf. Rechtfertigen Sie sich –

Massengold (aufgebracht). Eh' ich Sie als Entführungsgehilfen und mutmaßlichen Dokumentradierer den Gerichten überliefere.

Puffmann (für sich, eine Idee erfassend und Hoffnung schöpfend). So putz' ich mich vielleicht nochmal heraus.

Massengold (Ungeduldig zu Puffmann). Wird's bald?

Puffmann (sich devot dem Baron nähernd). Euer Gnaden – ich bitte um stilles Gehör. – (Leise.) Es ist mit Händen zu greifen, folglich wird auch Dero Scharfsinn –

Massengold. Ohne Umschweife! –

Puffmann (leise zu Massengold, den er ganz nach dem Vordergrunde links führt). Aus übertriebener Herzensgüte hab' ich mich etwas voreilig prostituiert. Ihnen aber bin ich Wahrheit schuldig. Mit meinem Besuche bei dem Mädchen hat es seine Richtigkeit, dringen Euer Gnaden daher auf keine weitere Erklärung! (Mit Heuchelei.) Schonen Sie die Arme, wie ich sie geschont, und sagen Sie –

Massengold (leise zu Puffmann). Ah, wenn es so ist – gut, ich werde die Sache applanieren. (Laut zu den Anwesenden.) Meine lieben Anwesenden, ich hoffe, mein Wort wird euch genügen. Herrn Puffmanns Erklärung ist vollkommen befriedigend, läßt sich jedoch, zarter Beziehungen wegen, nicht füglich veröffentlichen.

Peter (zu Massengold). Alle Achtung vor Hochdero Wort, aber wenn die Beziehungen noch zehnmal so zart wären, für mich wird die Ehre meiner Schwester ewig das Zarteste bleiben, für laute Beschimpfung gibt's keine stille Erklärung. Sie steht erst dann gerechtfertigt da, wenn der Verleumder Puffmann öffentlich erklärt und beweist, wo er abends am siebenten September war.

Vierunddreißigste Szene

Thomas; Vorige.

Thomas (ist schon früher im Hintergrunde gestanden und kommt bei den letzten Worten rasch hervor). Da brauchen wir keinen Puffmann dazu, das weiß ich am besten.

Die Bürgersleute (erstaunt). Der Thomas?

Massengold und die anderen. Was will der Mensch?

Puffmann (niedergedonnert, für sich). Der Thomas! – Die letzte Hoffnung liegt im Brunn.

Thomas (zu Puffmann). Also Sie sein der schwarze Herr mit die lichten Taler? (Drohend.) Na, Sie, g'freun S' Ihnen!

Massengold (zu Thomas). Red' Er, denn die Sache –

Thomas. Er hat sich am siebenten September Schlag achte ins Wasser stürzen wollen.

Alle (mit Staunen). Was?

Thomas. Bei Eschenau, keine hundert Schritt vom Brückel, ich hab' ihn beim Schössel z'ruckg'halten, wie er sich grad den Anlauf g'nommen hat. Weil er aber so, g'lästert hat über mein' Sohn seine Braut, so werf' ich ihn jetzt selber ins Wasser hinein. (Geht auf Puffmann los.)

Peter (ihn zurückhaltend). Ruhig, wir haben die Satisfaktion, die wir brauchen.

Puffmann (für sich, mit Beziehung auf Thomas). Hat der das g'sagt, um mir durchz'helfen oder – (zu Thomas leise) red', du unheimliche Erscheinung, weißt du wirklich nichts von mir als den Selbstmord, den du mir aufdisputierst?

Thomas. Was soll ich denn noch wissen?

Puffmann (mit unterdrückter Wut, für sich). Ha, er weiß nichts! – Der Mitwisser meiner Dokumentsradierung hat nur in meiner Einbildung existiert, und ich hab' ihm solche Opfer gebracht!

Massengold (mit Staunen und einiger Rührung). Mein Puffmann wollte sich entleiben und ein entseelter Leichnam werden!? – Ja, aber warum? –

Puffmann. Warum? – (Verlegen und verwirrt für sich.) Bankrottes Hirn, fällt dir gar nix ein? (Zu Massengold.) Aus – aus Verzweiflung!

Massengold. Wie das?

Puffmann (für sich). Wegen was bin ich denn verzweifelt?

Peter (für sich, Puffmanns Verlegenheit betrachtend). Mit dem muß es noch ein kurioses Nisi haben; denn daß der aus Liebe –

Puffmann (indem er die letzten Worte, welche Peter gesprochen, gehört hat und dadurch auf eine Idee gebracht wird, beiseite). Liebe, richtig, der Zimmermann wirft mir 's Hölzel! – (Laut zu Wassengold.) Unglückliche Liebe war der Grund –

Massengold. Liebe? – Und der Gegenstand?

Thomas (zu Massengold). Wahrscheinlich logiert wer im Schloß Eschenau, weil er grad in der Nachbarschaft so gern ertrunken wär'. Euer Gnaden nehmen's nicht übel, aber wir ordinären Professionisten treffen dann und wann den Nagel auf 'n Kopf.

Massengold. Ha, jetzt wird mit alles klar! Außer meiner entflohenen Mündel wohnte niemand dort als Cousine Ottilie!

Ottilie (auffahrend). Ich?!

Puffmann (für sich). G'horsamer Diener!

Massengold (strenge zu Ottilie). Leugnen Sie es nicht!

Puffmann (nach kurzer Überlegung, für sich). Das muß ich ergreifen, ich riskier' nix dabei. – (Laut zu Massengold.) Euer Hochherrlichen Gnaden, es is so, wie Euer Gnaden zu erraten beliebten.

Peter (zu den Anwesenden, Klara bei der Hand nehmend). Zweifelt jetzt noch wer an ihr?

Alle. Niemand!!

Klopf. Sie is unschuldig!

Thomas. Klara!

Klara (entzückt). Thomas! – O Gott –! (Peter mit Freudentränen um den Hals fallend.) Bruder!

Peter. Bist jetzt wieder glücklich?

Klara. Glücklich sein is viel, aber ich hör' auf, unglücklich zu sein – das is noch weit mehr.

Thomas (zu Klara). Morgen kommt der Josef, das wird ein Josefi-Tag!

Peter. Im vollsten Sinn des Wortes ihr erster Frühlingstag nach einem schweren Winter.

Massengold (zu Puffmann). Aber wie konnte Sie das zum Selbstmord treiben?

Puffmann (mit Beziehung auf Ottilie). Ist diese Liebe nicht unglücklich genug?

Massengold. Sie wäre es, wenn ich nur strenger Gebieter und nicht auch milder Verwandter, wohlwollender Gönner wäre.

Puffmann (um Vorwand zu finden, sich ihr zu nähern, mit scheinbarer Zärtlichkeit). Ottilie! – (Eilt zu ihr und sagt ängstlich.) Sie werden mich doch ausschlagen, hoff' ich?

Ottilie (leise zu Puffmann). Kann ich's, ohne neuerdings Verdacht zu erregen, ohne neuerdings in Todesangst –

Puffmann (leise). Aber ich bitt' Ihnen –

Peter. Klara, auf 'n Sonntag is dein' Hochzeit.

Massengold (zu Peter). Sie werde mit ihrem Bräutigam in meiner Schloßkapelle am selben Tage wie Cousine Ottilie und Puffmann getraut. (Zu Puffmann.) Übrigens kann ich Ihre Verbindung, die ich des Eklats wegen toleriere, doch nicht zu sehr protegieren. Ottilie hat kein Vermögen und bekommt auch nichts von mir.

Thomas. Oh, der Puffmann hat Geld genug!

Peter. Und Liebende brauchen wenig.

Puffmann. Himmel, ich krieg' die Alte!

Peter. Sehn S', die Straf' Gottes!

Puffmann (für sich). Die zwei Zimmermänner zimmern mir meinen Sarg.

Peter (zu Puffmann). Wenn Sie wieder einmal mit unbedeutende Leut' in Berührung kommen, dann vergessen Sie ja die Lektion nicht, daß auch am Unbedeutendsten die Ehre etwas sehr Bedeutendes ist.

Der Vorhang fällt.

Ende


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