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Gegen das Ende des Jahres 1862 hatten mich meine kranken Lungen auf die Nordküste von Afrika geführt. Ich hatte mich in Algerien, besonders in der Provinz Constantine, aufgehalten, war im folgenden Jahre aus Neugierde nach Tunis gekommen und hatte dort vollständige Genesung gefunden.
Seit ich den klassischen Boden Tunisiens betreten hatte, vollzog sich der Verfall des so reich von der Natur ausgestatteten Ländchens mit betrübender Schnelligkeit.
Unter einem gutmütigen Herrscher von betrügerischen Würdenträgern verwaltet, wurden die Einwohner auf das nichtswürdigste ausgebeutet; der Ackerbau minderte sich um fast das Zehnfache gegen früher; die Nomaden zogen sich in die Wüstengebiete des benachbarten Algeriens zurück, beraubten und bekämpften sich untereinander und vereinigten sich endlich gegen die Regierung.
Im Jahre 1864 brach im Zentrum des Reiches eine Revolution aus, welche nahe daran war, der ganzen Dynastie ein Ende zu machen. Ich durchlebte sie von Anfang bis zu Ende im Innern des Landes mit dem Chef einer gegen die Empörer ausgesandten militärischen Kolonne, dem damaligen Minister des Innern, Sidi Rustam, der als tscherkessischer Mameluk im Knabenalter nach Tunis und zu hohen Ehren gekommen war.
Trotz des Erfolges ging die Regierung geschwächt aus der Revolution hervor und eilte nur um so rastloser ihrem Untergange entgegen. Leider hob ihr Sieg für den Augenblick den gesunkenen Kredit in Europa; neue Millionen flossen ihr vom Auslande zu, und schonungslos entrang sie den erschöpften Provinzen die letzten Kräfte, um den daraus entspringenden Verpflichtungen zu genügen.
Angewidert von der Unredlichkeit und Unfähigkeit, deren Zeuge ich sein mußte, und verzweifelnd an der Wiedergeburt des herrlichen Ländchens, bereitete ich meine Rückkehr nach Deutschland vor, als Gerhard Rohlfs auf seiner Reise nach Tripolitanien Tunis berührte. Er war Träger der Geschenke, welche Se. Majestät König Wilhelm, damals noch nicht Kaiser von Deutschland, dem Scheich Omar, Sultan von Bornu, zu senden beschlossen hatte, in dankbarer Anerkennung des treuen Schutzes und der materiellen Unterstützung, welche derselbe deutschen Reisenden, Barth und Overweg, Vogel, v. Beurmann und Rohlfs, stets so großmütig gewährt hatte. – Wenn kein geeigneter Deutscher zur Übernahme dieser Mission gefunden würde, so sollten die Geschenke dem alten bewährten Diener Barths und Rohlfs', Mohammed aus Qatrun in Fezzan, zur Überführung nach Bornu anvertraut werden.
Wenn früher nicht selten der Wunsch lebhaft in mir aufgestiegen war, mehr von dem geheimnisvollen Kontinente, auf dessen Nordküste mich das Schicksal geführt hatte, zu sehen, der, obgleich er in der Geschichte eine so hervorragende Rolle gespielt hat und Europa so nahe liegt, doch eine rätselvolle Sphinx für uns geblieben ist, so hatte ich doch in Rücksicht auf meine geringe Befähigung zu wissenschaftlichen Forschungsreisen diesem Gedanken zu entsagen gelernt. Mir fehlte Erfahrung im Reisen, und ich beherrschte keines der naturwissenschaftlichen Fächer, ein Mangel, welcher die Ergebnisse meiner späteren langen und mühevollen Wanderung in ihrem Werte nur allzusehr beschränkt.
Trotz des Bewußtseins meiner wissenschaftlichen Unzulänglichkeit vermochte ich dieser sich darbietenden Gelegenheit, die mir im ungünstigsten Falle eine erinnerungsreiche Reise versprach, nicht zu widerstehen, zumal ich ohnehin meinen Aufenthalt in Tunis aufzugeben beabsichtigte. Es erschien mir als Pflicht, wenn kein Besserer gefunden würde, diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, und mein ärztlicher Charakter und meine Kenntnis der arabischen Umgangssprache und mohammedanischer Sitte versprachen mir, die Lösung der Aufgabe zu erleichtern.
So entschloß ich mich zur Reise. Ich vermochte dem Drängen meines israelitischen Dieners David nicht zu widerstehen und erlaubte ihm, mich zu begleiten. Doch als ich mich im Hafenorte der Stadt Tunis, Halk el-Wadi, nach Malta einschiffte, drang ein anderer Mann, den ich lange als Koch und Diener in einem befreundeten Hause kennenzulernen Gelegenheit gehabt hatte, Giuseppe Valpreda, ein Piemontese, in mich, ihn zum Begleiter zu wählen.
Er hatte unter der rückgängigen wirtschaftlichen Bewegung des Landes, unter der Geldlosigkeit der Beamten und der Armut der Bewohner schwer zu leiden gehabt und sehnte sich lebhaft vom Platze seiner Enttäuschungen hinweg. Ich kannte ihn als einen mutigen, in allen mechanischen Fertigkeiten sehr geschickten, praktischen Mann. Doch setzte ich ihm die Zwecke meiner Reise auseinander, schilderte ihm die Mühen, Entsagungen und Gefahren, die von einer derartigen Unternehmung unzertrennlich sind, und suchte ihm auf jede Weise seinen Plan auszureden.
Kaum in Malta angekommen, setzten mich Depeschen meiner Freunde davon in Kenntnis, daß Giuseppe mit großer Festigkeit an dem Gedanken, mich zu begleiten, festhalte, und so wurde mir der Entschluß nicht schwer, David zurückzuschicken und jenen nachkommen zu lassen. Ich begab mich eiligst nach Tripolis, wo Gerhard Rohlfs meiner wartete, besprach mit diesem meine bescheidene Ausrüstung und den ganzen Plan der Reise und kehrte mit demselben Schiffe nach Malta zurück, um die erstere zu vollenden.
Ich muß bekennen, daß ich damals kein Auge für Malta hatte, diesen merkwürdigen Fels im Meere, mit seinen geschichtlichen Erinnerungen, seinem großartigen, belebten Hafen und seiner interessanten, rastlosen Bevölkerung, welche ein so wichtiges kolonisatorisches Element auf der Nordküste Afrikas bildet, und daß selbst Tripolis mich nicht zu fesseln vermochte; waren doch alle meine Gedanken auf Bornu und die Geheimnisse des innersten Afrika gerichtet.
Meine dortigen Landsleute erschienen mir wenig beachtenswert gegenüber dem würdigen Mohammed el-Qatruni, der auch Gerhard Rohlfs nach Bornu und Mandara begleitet hatte. Er war aus seiner Heimat Fezzan herbeigekommen, um auch mich zu geleiten, und war in einem Stalle beschäftigt, die Kamelsättel zur bevorstehenden Reise zu verfertigen. Mit achtungsvoller Scheu betrachtete ich sein schwarzes rundes Antlitz mit den zahllosen Furchen, der kleinen Stumpfnase mit den weiten Nüstern, dem zahnlosen Munde, den vereinzelten weißen und schwarzen Barthaaren, den großen Ohren und den treuen Augen.
Der alte Mohammed war kein Mann vieler Worte, wie ich noch Jahre hindurch zu beobachten Gelegenheit hatte; er war ein stiller, freundlicher alter Mann, der den Freuden des Lebens nicht abhold war, aber selten aus seiner durch Natur und reiche Erfahrung bedingten aequitas animi heraustrat. Maßvoll beantwortete er meinen Gruß und den Ausdruck meiner Freude, seine Bekanntschaft zu machen, und benützte die Unterbrechung der Arbeit, um aus einem kleinen ledernen, zusammenschnürbaren Beutel eine Prise grob zerstoßener, grüner Tabaksblätter in den Mund zu schieben und mit seinen Zahnresten von einem Stück Natron – Trona – etwas als zweckmäßiges Corrigens des Tabaks abzubeißen. Er trug über dem weiten Hemde seiner Heimat und Gewohnheit die auch in Fezzan übliche solide wärmende Wolldecke, welche ihm jetzt vom kurzbehaarten Kopfe lose nach hinten herunterhing, um seine Arbeit nicht zu beeinträchtigen, und saß mit gekreuzten Beinen in dem Stroh, mit dem er die Sättel stopfte.
Meine interessanteste Bekanntschaft war zweifelsohne die von Fräulein Alexandrina Petronella Francina Tinne, geboren im Haag am 17. Oktober 1834, welche sich schon durch ihre Reisen im Gebiete des oberen Nil bekanntgemacht hatte. Dieselbe hatte vergeblich versucht, von den algerischen Besitzungen aus nach Süden in die Tuarik-Länder zu dringen, und war jetzt kurz vor meiner Ankunft mit zahlreicher Begleitung in Tripolis angekommen, um nach Fezzan und weiter zu reisen. Eine Dame, welche schon so viele Proben hohen Strebens und festen Willens abgelegt, schon so viele Erfahrungen gesammelt hatte und welche trotz der schmerzlichen Verluste, die sie bei früheren Reisen erlitten hatte – ihre Mutter, geborene van Capellen, und ihre Tante, Adriana van Capellen, waren einst beide im Gebiete des Gazellenflusses den Einflüssen des Klimas erlegen –, mit bewunderungswürdiger Zähigkeit an ihren Zielen festhielt und mit frischem Mute den jetzt gewählten Weg zur Erreichung derselben zu betreten im Begriffe stand, eine solche Dame erfüllte mich zunächst nur mit scheuer Ehrfurcht. Meine tripolitanische Begegnung mit ihr war nicht geeignet, dies Gefühl wesentlich zu modifizieren. Ihre edlen, scheinbar kalten Züge, ihr distinguiertes, reserviertes Wesen mußten jeden, der sich infolge ihrer abenteuerlichen Karriere, wie sie sonst nur Männern vorbehalten ist, etwa ein emanzipiertes Wesen vorgestellt hätte, zwar einerseits auf das angenehmste enttäuschen, vermochten jedoch andererseits, bei oberflächlicher Bekanntschaft wenigstens, nicht zu erwärmen. Ihre Begleitung bestand aus zwei holländischen Seeleuten, Kes Oostmans und Ary Jacobse, einigen ihr gehörigen Negern vom oberen Nil, algerischen Frauen, Arabern aus Tunis und Algier, freigewordenen Negersklaven, die unter ihrem Schutze ihre Heimat wiederzugewinnen hofften, und Adolf Krause, einem jungen Deutschen, der in seinem Enthusiasmus für Afrikareisen das heimatliche Gymnasium verlassen und in Tripolis den verhängnisvollen Kontinent erreicht hatte. Die Stadt war erfüllt von dem Rufe ihres Reichtums, und schon damals war sie nur unter der Bezeichnung Bent el-Re, das heißt die Tochter des Königs, bekannt, die sie bis zu ihrem tragischen Untergange behalten sollte. Ihre großen Mittel und ihr zahlreiches, zusammengewürfeltes Gefolge ließen mir die gemeinschaftliche Reise nach Murzuq, unserm nächsten Ziele, nicht besonders wünschenswert erscheinen, und ich ließ sie, da sie ihre Vorbereitungen beendigt hatte, vorausreisen, zumal die vollständige Sicherheit, welche in den tripolitanischen Staaten herrschte, es gestattete, allein zu gehen.
Endlich war alles zur Abreise bereit. Zwieback und Reis war in einigen Zentnern vorhanden; Hammelfett, Salz und Pfeffer nicht vergessen; Tabak, Zigarren und Zündhölzer für einige Zeit eingepackt. Auf alkoholische Getränke verzichtete ich von vornherein gänzlich, da es doch bald hätte geschehen müssen und ihr Transport ein unbequemer ist, doch Tee, Kaffee, Schokolade, Fleischextrakt hatte ich von Malta mitgebracht. Einige hundert Maria-Theresia-Taler und ein entsprechender Beutel mit Abu Aschrin als Kleingeld befanden sich in meinen Kisten; Stearinkerzen und ein paar Laternen sollten für Beleuchtung sorgen; Zeltpflöcke, Stricke, Nägel, Hammer, Säge waren eingekauft, und wenn etwas vergessen war, wie es beim Anfange einer langen Reise kaum anders möglich ist, so hatten wir auf dem Wege immer noch Gelegenheit zur Ergänzung.
Am Morgen des folgenden Tages wurden die Kamele beladen, zu denen ich noch zwei bis zur ersten Hauptstation Beni Ulid gemietet hatte, deren Treiber zugleich unsere Führer waren. Gern hätte ich ein Pferd gehabt, doch die Kosten, welche aus dem Transport seiner Gerste und seines Wassers erwachsen mußten, erlaubten mir diesen Luxus nicht, und ich beschloß, mich mit meinen natürlichen Fortbewegungsorganen und dem »Schiffe der Wüste« zu begnügen. Das stärkste der Kamele trug den rotsamtenen, an Lehne und Füßen reich vergoldeten künftigen Thronsessel des Herrschers von Bornu in seiner unförmlichen Kiste einerseits und die lebensgroßen Bildnisse König Wilhelms, der Königin Augusta und des Kronprinzen andererseits. Die Ladung war weniger schwer wiegend, als durch ihre Unförmlichkeit für das Tier lästig. Das Kamel liebt durchaus nicht, daß die beiderseitigen Hälften der Ladung – Adila – weit nach unten hängen oder Vorder- und Hinterbeine berühren; ein Zentner mehr, aber die Gepäckstücke beiderseits vom Höcker dem mächtigen Leibe anliegend, ist ihm erwünschter.
Ein zweites Tier trug eine Partie Zündnadelgewehre mit entsprechender, schwer wiegender Munition friedlich neben einer Anzahl heiliger Schriften in arabischer Sprache, um deren Mitnahme Herr Robert Arthington aus Leeds in England gebeten hatte; ein drittes die übrigen Geschenke, welche in einer bronzenen Pendeluhr, goldener Taschenuhr mit Kette, einem Doppelfernglas, einem halben Dutzend gewöhnlicher silberner Taschenuhren, einem doppelt versilberten Teeservice, einigen Stücken Seide und Samt, einem Pfunde echten Rosenöls und einem solchen gewöhnlicherer Geraniumessenz, Rosenkränzen, Armbändern und Halsbändern von echten Korallen, zwölf Burnussen aus Samt, Tuch und feinem tunisischen Wollstoffe, einem Dutzend echt tunisischer Tarbuschs und einem Harmonium, das uns noch unsere Abende in der Einsamkeit der Meschija verschönt hatte, bestanden. Zwei weitere Kamele wurden mit meinen persönlichen Reiseeffekten an Büchern, Instrumenten, Kleidern und Medikamenten belastet und sollten im Notfalle meine eigene Person fortschaffen; zwei andere trugen Mundvorräte, Kochgeschirr, Zelt und andere Gerätschaften, während das letzte endlich für den Wassertransport bestimmt war. Für längere Reisen soll man das dortige Kamel mit nicht mehr als drei bis vier Zentnern belasten.
Wir zogen zum Südtore der Stadt hinaus und lagerten eine halbe Stunde entfernt von ihr inmitten einer reizenden Gruppe von Maulbeer-, Oliven- und Orangenbäumen, wo Frederick Warrington, der historisch gewordene Geleitsmann aller von dort ausziehenden europäischen Afrikareisenden, welcher auch mich einige Tagereisen weit zu begleiten die Güte haben wollte, bereits sein Zelt aufgeschlagen hatte, und wo die Abschiedsfeierlichkeit stattfinden sollte. Sobald mein einfaches Zelt und das zierliche, welches Gerhard Rohlfs aus Frankreich mitgebracht hatte, aufgestellt waren, erschien Giuseppe Valpreda, der mit seinen Braten, Pasteten und Mehlspeisen, seinen Kuchen und Früchten, seinem Wein und Bier für lange Zeit zum letzten Male für europäisch gebildete Gaumen seine kulinarischen Fähigkeiten in ein helles Licht zu setzen versucht hatte.
Als die Sonne sank, war ich allein, allein mit meinen Gedanken und Gefühlen, meiner Erinnerung und meiner Hoffnung, inmitten einer fremden Welt. Schweigend, von den mannigfachsten Gefühlen, den ungeordnetsten Gedanken bestürmt und aufgeregt, wandelte ich vor meinem Zelte noch lange hin und her. Dort bildeten die Kamele, mit regelmäßigem Zähneknirschen der Pflicht des Wiederkäuens obliegend, die Knie- und Fußgelenke gefesselt, ihre charakteristische Wüstengruppe. Ein zottiger arabischer Wachthund, Feida, das heißt Gewinn, genannt, der erst tags zuvor angeschafft worden war, erfüllte schon seine Pflicht, obgleich er noch mit niemand Freundschaft geschlossen hatte. Die beiden Alis und Sa'ad schliefen bald den Schlaf der Jugend, Gesundheit und Sorglosigkeit, während Mohammed aus Qatrun noch manche Prise Tabak in den Mund schob, noch manche Stückchen Trona mit seinen Zahnruinen abbiß und noch manchen erfahrenen, prüfenden Blick über Kamele und Zelt gleiten ließ, ehe er sich die Kapuze seines prächtigen, dicken, gestreiften Burnus über den Kopf zog und sich dem Schlaf des Gerechten überließ.
Still war die Nacht, welche dem geräuschvollen, heiteren Tage folgte und welche einer noch stilleren und einsameren Zukunft vorherging. Der Schlaf wollte nicht kommen; im Zelte ward es mir zu eng; und so rollte ich mich draußen in meine warmen tunisischen Decken und durchträumte die herrliche Nacht. Bilder der Vergangenheit verschmolzen mit denen der Gegenwart, die norddeutsche Heimat mit der afrikanischen Küste des Mittelmeeres. Das mächtige Karthago, das römische Afrika, die reiche Cyrenaica, Türken und Christen, Neger und Vandalen, Araber und Garamanten, Berber und alte Ägypter tummelten sich in meinem träumenden Gehirne. Ich entrollte die wechselvollen Geschicke dieser Länder und gedachte der Zeit, wo ich auf den pedantischen Schulbänken so oft gewünscht hatte, lieber dieselbe mit allen ihren schreckensreichen Ereignissen zu durchleben, als ihre zahllosen Daten meinem rebellischen Gedächtnisse aufzuzwingen. Die Bilder wurden allmählich unklar und verwirrten sich mehr und mehr, bis endlich gegen Morgen ein tiefer Schlaf sie auflöste.
Mit Sonnenaufgang waren Gerhard Rohlfs und Herr Rossi gekommen, mir das letzte Lebewohl zu sagen. Die Kamele wurden bepackt, das Zelt abgebrochen und schweigsam der letzte Händedruck gewechselt. Ich bestieg mein Wüstenschiff und zog still und ernst in die sandige Ebene hinaus mit wehmütiger Erinnerung an das, was ich verließ, an die, welche ich liebte und ehrte in der Heimat, und die ich so lange entbehren, vielleicht nimmer wiedersehen sollte, aber auch mit freudiger Hoffnung auf eine glückliche Heimkehr und dem festen Vorsatze, meinem Unternehmen physische, intellektuelle und moralische Kraft, soviel mir zu Gebote stand, zu widmen.
Es war ein frischer, kühler Morgen, als meine kleine Karawane auf dieser Poststraße im Februar 1869 am südlichen Rande der Meschija und dem Mausoleum Ahmed el-Masris vorüber durch den Sandgürtel dahinzog. Anfangs lockere, sandige Ebene, unterbrochen durch festere Bodenstellen mit salzigen Effloreszenzen, an denen Nordafrika so reich ist und welche bei Wasserreichtum zu oberflächlichen Salzsümpfen werden, zeigt diese Zone dann eine dicht gedrängte Menge abgerundeter Sandhügel von geringer Erhebung. Dieser etwa vier Kamelstunden breite Wüstengürtel hat in seiner Mitte einen kümmerlichen Weidegrund, welcher die einen kleinen Teich bildende Quelle Zara umgibt und mit einigen Oliven- und Dattelbäumen den wenigen Einwohnern eine ärmliche Existenz vermittelt, und weiterhin einen Brunnen – Bir – mit herrlichem Wasser, den der Wohltätigkeitssinn eines tripolitanischen Kaufmanns, namens Zekellai, gestiftet hat.
Am folgenden Tage legten wir sogar nur ungefähr 16 Kilometer in südlicher Richtung durch eine fruchtbare, wohlangebaute Ebene zurück, welche Gerste und Weizen in humusreichem Sandboden hervorbringt, und lagerten auf einer fetten Weide in der geheiligten Nähe der Qubba Sidi es-Sajahs. Ein Verwalter der Gerechtsame des verstorbenen Heiligen zog von den Umwohnenden die der Qubba zu leistenden Spenden ein und gewann dadurch eine zwar bescheidene, doch mühelose Existenz.
Über eine fruchtbare Ebene mit üppigen Weiden und ausgedehnten Ackerfeldern wendeten wir uns dem Gebirge zu, bis wir nach nahezu achtstündigem Marsche in durchschnittlicher Südostrichtung auf dem Territorium des Stammes der Drahib nahe dem Ursprünge des Wadi Melrha unser Lager aufschlugen. Drei Brunnen mit antiker Fassung nahmen die Mitte des schmalen Tales ein, während ringsherum zahlreiche Überreste von Baulichkeiten aller Art und die Ruine eines großen römischen Kastells bewiesen, daß einst dort ein ansehnliches Bevölkerungszentrum bestand.
Während wir unsern Weg in derselben Südsüdostrichtung fortsetzten, verlor die Landschaft ihren fruchtbaren Charakter, wurde steinig und sandig und brachte anstatt üppiger Weiden Zwiebelgewächse, Sa'ater, Rosmarin – Kelil – den dornigen Busch Sidr und einige andere Gewächse hervor.
Nach tagelangem Marsche erblickten wir von der Höhe in der Richtung unseres Weges das Qasr von Beni Ulid und erreichten endlich durch ein Gewirr von kleinen Zuflußtälern des W. Merdum das herrliche, breite, mächtige Tal des letzteren, in dem ein ausgedehnter Hain so schöner Olivenbäume, wie ich nur jemals gesehen hatte, das Auge des Reisenden überrascht und entzückt.
Im Schatten der stattlichen Bäume, welche, unter dem kontrastierenden Einflusse der wüsten Umgebung einen Eindruck von Frische und Üppigkeit machen, wie derselbe sonst nicht von den unscheinbaren, fahlgrünen Olivenbäumen hervorgebracht zu werden pflegt, schlugen wir unser Lager auf. Die erste Etappe unseres Weges war zurückgelegt; hier mußten wir die gemieteten Kamele entlassen und uns neue verschaffen; hier beabsichtigten wir, noch einige Wasserschläuche und etwas Öl zum Kochen zu kaufen, und beschlossen also, einen Rasttag zu machen. Ich konnte mit dem Beginne der Reise zufrieden sein; Leute und Kamele hatten sich leidlich bewährt, und kein Unfall hatte unsere Personen oder Sachen betroffen.
Die Schnelligkeit unserer Karawane betrug nach sorgfältigen Messungen drei und einen halben Kilometer pro Stunde in Gegenden, wo die Kamele seitlich am Wege von den vorhandenen Kräutern fraßen, vier Kilometer, wenn ihnen keine Gelegenheit dazu geboten war, und bei günstigen Bodenverhältnissen und keinerlei Aufenthalt noch etwas mehr. Auch später habe ich häufig derartige Messungen wiederholt und bin stets zu demselben Resultate gekommen. Eine etwas größere Geschwindigkeit erzielt man in Gegenden, wo es Sitte ist, den Kopf jedes Kamels an den Schwanz des vorhergehenden zu befestigen und dadurch jeden überflüssigen Schritt der gern vom Wege abweichenden Tiere zu vermeiden.
Als ich am folgenden Morgen (25. Februar) Abschied vom Regierungsschreiber und dem Kommandanten des Kastells, welche bald nach unserer Ankunft ihre Visiten gemacht hatten, genommen hatte, setzten wir unsere Reise in Südostrichtung fort.
Wir passierten nacheinander die Halbwudjan Omm el-Hibal, el-Uzra und el-Asafa, überstiegen den letzteren in einem Passe und lagerten nach achtstündigem Marsche in Südostrichtung jenseits desselben in dem dicht mit Akazien und Dschedari-Büschen bewachsenen Bette des W. Nefeid.
Dieses Gebiet ist von dem W. Zemzem und seinen Nebentälern durch eine steinige, sehr vegetationsarme, schwach gewölbte Ebene getrennt. Dieselbe besteht teils aus Sandboden, der verschiedene aromatische Kräuter hervorbringt, teils schon aus jenem felsharten, an sich nicht ganz unfruchtbaren, doch ausgedörrten, steinbedeckten Boden, welcher das vorwaltende Terrain der Sahara bildet.
Der folgende Tag brachte uns dann anfangs über kalkige Sandniederungen, welche noch etwas Krautwuchs erzeugten, und dann über eine allen Lebens bare Steinwüste in fünf Stunden nach Bu N'dscheim, den nördlichsten Ort der Provinz Fezzan.
Inmitten einer kahlen Kalkebene macht dieser Bezirksort einen wahrhaft trostlosen Eindruck mit seinem halb zerstörten, finsteren, unbewohnten Kastell und den wenigen Hütten zu seinen Füßen, und würde es in der Nähe noch mehr tun, wenn nicht einige kümmerliche Gärten mit vereinzelten Dattelbäumen die einförmige Öde in etwas unterbrächen. Das Bild erschien wohl noch trauriger als gewöhnlich, da ein starker Wüstenwind aus Westen die Atmosphäre mit Staub und Sand erfüllte und das Ganze in einen dichten, gelbgrauen Schleier hüllte.
Die arme, kaum 200 Seelen zählende Einwohnerschaft, welche dem Stamme der Urfilla angehört, hat nur ein sehr beschränktes Areal ackerfähigen Bodens und besitzt von Haustieren nur einige Kamele und Esel. Zehn Minuten östlich von der Oase liegt, halb im Sande verschüttet, eine ausgedehnte römische Ruine, die Mauern eines mächtigen vierseitigen Gebäudes, mit abgerundeten Ecken und gewölbten Eingangstoren nach den vier Himmelsrichtungen, die bis zu ihren Bogen verschüttet waren. Inmitten der weiten Arena standen einige viereckige Pfeiler aufrecht.
Der Wind schwieg am Abend, so daß wir wenigstens für die vier wasserlosen Tage, welche uns bis zur Gegend von Soqna bevorstanden, ungefährdet unsere Schläuche füllen, unsere Nahrung ohne allzu reichliche Zugabe von Sand genießen und der Ruhe pflegen konnten, ohne im Sande begraben zu werden. Doch am nächsten Morgen erhob er sich zeitig wieder in der früheren Stärke und aus derselben Richtung, die Atmosphäre verschleiernd, alles in Sand hüllend, Nase und Ohren verstopfend und unsere Haut und Augen empfindlich peinigend. Der Zerfall der offen zutage liegenden Kalk- und Gipsschicht der Gegend liefert das Material zu der sandigen Masse, welche nicht nur die abhängigen Stellen der Gegend ausfüllt, sondern durch die Macht des Windes zu Hügeln zusammengeweht wird.
Die spärliche Vegetation der vergangenen Tage verschwand mehr und mehr; gespenstisch erschienen in unklaren Umrissen die Sand- und Kalkhügel durch die nebelhafte Atmosphäre, und schweigend kämpften Tiere und Menschen gegen die Gewalt des Sandsturmes. Nichts kennzeichnet den Weg, bis einige Stunden weiter ein Kelaja genannter Hügel sich aus der allmählich ansteigenden Ebene emporhebt und weiterhin ein riesiger Wegweiser in Gestalt eines mächtigen rundlichen Kalkblockes, der auf der Spitze eines Hügels diesen gleichsam erdrücken zu wollen scheint und el-Bazina Bazina ist der in Tripolis übliche Name für den steifen Mehlbrei von halbkugeliger Form, welcher im nordöstlichen Afrika bis in die Negerländer hinein das vorwaltende Gericht bildet. Die Form des Felsblockes veranlaßte im vorliegenden Falle die Benennung. heißt, den Reisenden orientiert.
Die ansehnlichen Flußtäler, welche weiter nördlich von den Ausläufern des Ghariangebirges und von den Ostabhängen der Hammada el-Hamra zur großen Syrte verlaufen, vermißt man hier; nur unbedeutende Bodenabflachungen treten zuweilen unter dem Schutze der niedrigen Hügel als flache Täler auf, wie um die Mitte unseres Tagemarsches die wegen der Menge zutage liegender Salze Salzloch genannte Örtlichkeit. Unsere Richtung war eine südliche, der Charakter der Gegend derselbe trostlose, wüste und einförmige, bis nach achtstündigem Marsche ansehnlichere Hügel ihre unklaren Umrisse durch die verdüsterte Atmosphäre zeichneten. Mit ihnen erstand wieder ein kümmerlicher Pflanzenwuchs, und in ihrem Schutze trachteten wir dem rasenden Winde zu entgehen. Alles mußte platt auf dem Boden gelagert, kein Zelt konnte aufgeschlagen werden, denn die Gewalt des Sturmes, der, oft in Wirbeln einherbrausend, gespenstisch über die Ebene hinschwebende graugelbe Sandhosen mit sich führte, schien, entgegen der Beobachtung an den verflossenen Tagen, gegen Abend noch zunehmen zu wollen. Im Anfange der Nacht jedoch veränderte er allmählich seine westliche Richtung in eine nördliche und endlich in eine östliche, legte sich dabei fast ganz und behielt nur gerade noch Kraft genug, um uns aus der großen Syrte einige nach dem trockenen Wüstenwinde erquickende Feuchtigkeit zuzuführen.
Schon am nächsten Tage änderte sich der Charakter der Landschaft durch verschiedene von Südwest nach Nordost streichende Höhenzüge.
Mit den Erhebungen nahm auch die Vegetation wieder zu, und Kamelherden bewiesen die Nähe von Menschen.
Wir überschritten den Churmat et-Tuzizzet in Südsüdostrichtung und hatten dann östlich vom Wege nur noch eine weite Ebene. Bald zogen wir über eine der schon erwähnten wüsten Ebenen hin, welche, jeden Lebens bar, zwar nicht der Vorstellung entsprechen, die man sich noch allzuoft in Europa von der großen Wüste macht, und die von Sand unzertrennlich ist, aber die Sahara am meisten charakterisieren.
Je mehr wir uns der Stadt Soqna näherten, desto häufiger zeigten sich die Spuren von Menschen und diese selbst.
Die Stadt Soqna, eine Hauptetappe unserer Reise, war nahe; es genügte, am nächsten Morgen erst gegen neun Uhr aufzubrechen, um beizeiten einzutreffen. Der Tag war herrlich warm, die Luft klar und durchsichtig. Doppelt schön präsentierten sich die prachtvollen Formen des Dsch. Turirin im Südosten und ein mit zierlichem Palmenhain bestandener Sandhügel, dem wir uns zuwandten, im Süden.
Die Stadt bildet ein längliches Heptagon, das seine größte Ausdehnung von Nordost nach Südwest hat und dessen längste Seite die nach Westen gekehrte ist. Sie hat sieben Tore und zweiunddreißig Bastionen an den Ringmauern, die aus Kalkstein mit Mörtel erbaut sind und keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck machten; wenigstens schienen die Stützbalken der Tore – und diese waren nur aus Palmenholz geschnitten – das solideste Element der Umschließung zu sein. Es gibt fünf Moscheen, von denen zwei mit unscheinbaren Minaretts geziert sind, und drei Elementarschulen in der Stadt. Alles wird hoch überragt von dem riesigen Kastell, das, gänzlich verfallen, jetzt keinerlei Zweck mehr dient. Von seiner Höhe hat man einen herrlichen Rundblick über die Umgegend.
Die Einwohner der Stadt verwendeten, ihrem Berbercharakter entsprechend, offenbar viel Sorgfalt auf die Kultur ihrer Gärten. Auf den Regen kann dabei nicht gerechnet werden, denn derselbe fällt natürlich sehr selten – beispielsweise hatte es in dem gerade beendigten Winter viermal, jedesmal mit geringem Niederschlage, geregnet –; vielmehr wird das Wasser, welches sich fast überall in der Tiefe von höchstens fünf Metern unter der Erdoberfläche findet, aus Ziehbrunnen, welche Esel in Bewegung setzen, verteilt.
Es war gut, daß ich schon am Tage unserer Ankunft Stadt und Gärten besichtigte, denn am Abend desselben erhob sich ein heftiger Südwind, der während des ganzen folgenden Tages mit ungeschwächten Kräften anhielt und die ganze Atmosphäre so verfinsterte, daß man selbst ganz nahe Gegenstände nur unklar zu sehen vermochte. Der Staub und die hochgradige Hitze – um zwei Uhr nachmittags stieg das Quecksilber auf 43° C – machten jede Tätigkeit fast unmöglich; erst gegen Abend, als sich der Wind abschwächte, konnte man daran denken zu essen, zu sprechen und umherzublicken, ohne Mund und Augen voll Sand zu bekommen.
Die Herren der Stadt ließen es während der Zeit unserer Anwesenheit nicht an guter Bewirtung fehlen, und Fleisch und besonders schönes Weizenbrot erschien uns als ein seltener Genuß, obgleich wir noch keinen Monat die materiellen Genüsse der Hauptstadt entbehrt hatten. Zur Weiterreise ließ ich einen kleinen Vorrat von Brot backen und kaufte auch einen Krug jener flüssigen Butter, welche die Araber ausschließlich zum Essen benutzen und durch Kochen aufbewahrungsfähig machen.
Mit zwei frischen, kräftigen Mietkamelen nahmen wir unsere Reise wieder auf und schlugen nach einigen Stunden eine südwestliche Richtung ein.
Durch schwarzen Eisensandstein und Basalt nehmen die Berge ringsum einen düsteren Charakter an, und nur hier und da bleibt der auf Ton ruhende Kalk frei von der schwarzen Bedeckung.
Von der Paßhöhe, welche etwa 700 Meter über dem Meeresspiegel liegt, stiegen wir ziemlich rapide bergab, überschritten den W. Bu Freja und jenseits eines Hügelrückens die Wudjan Meisa und Bu Talha und nächtigten bald darauf im Bette des W. Bu' l-Haschim. Ein klarer, windloser Morgen lockte uns mit seiner Kälte – wir hatten gegen Sonnenaufgang nur 4° C – zu frühem Aufbruch, als gerade der Kamelpostbote von Murzuq eintraf und schicklicherweise erst, wenn auch einfach mit Datteln, bewirtet und ausgefragt werden mußte.
Diese Kamelpost, welche allwöchentlich einmal von Tripolis und von Murzuq abgeht und den Weg in achtzehn Tagen zurücklegt, während andere Reisende mindestens eine Woche mehr notwendig haben, ist eine der wenigen Wohltaten, welche die türkische Regierung für Tripolitanien geschaffen hat. An den Hauptstationen werden die Ersatzkamele zur festgesetzten Zeit bereitgehalten, und der Verwaltungschef entnimmt der verschlossenen Posttasche, zu der er einen Schlüssel besitzt, die für ihn und seinen Bezirk bestimmten Briefe. Der Bote übernimmt auch gegen Vergütung die Besorgung von Paketen, und ich bekam später in Murzuq durch seine Vermittlung aus Tripolis recht ansehnliche Kisten.
Die ganze Gegend steigt von W. Bu'l-Haschim an allmählich an.
Für die folgenden Tage fehlte nicht allein das Wasser, sondern all und jedes Kamelfutter, das wir bisher wenigstens stets noch in den zahlreichen Flußtälern gefunden hatten.
Von dem höchsten Punkte der Gegend, dem Endpunkt der schwarzen Maiteba, erblickten wir vor uns das scharf abgeschnittene Ende einer von Westen heranziehenden Hügelkette und in noch weiterer Ferne das ebenso geformte Ende eines von Nordosten kommenden Höhenzuges, das Qoff esch-Scherqi.
Vom endlich erreichten Qoff el-Gharbi, das aus einem sandbedeckten Kalkhügel mit grobem Sandstein besteht und offene Kalkzüge in die Ebene schickt, betraten wir die weite, sanft ansteigende Serir Ben Afien, welche in einer Breite von reichlich fünf Stunden vor uns lag und an großartiger Einförmigkeit alle bis dahin gesehenen Ebenen der Art übertraf. Nichts, woran das Auge haften konnte, auch nicht die leiseste Spur von Leben, ein vollständiges Bild der Leere und Unendlichkeit. Nirgends fühlt der Mensch sich so klein und verloren, und doch wieder nirgends so stark und gehoben, als im Kampfe mit dieser hilflosen Verlassenheit, im leblosen, scheinbar unbegrenzten Räume. Wüstenreisen machen den Menschen ernst und nachdenklich, und die echtesten der Wüstensöhne, die Tuarik und die Tubu, welche ihr ganzes Leben in diesem einsamen Kampfe gegen den weiten, wüsten Raum verbringen, haben ein fast finsteres Aussehen, zu dem keine harmlose Heiterkeit mehr zu passen scheint. Der finstere Charakter dieser niederdrückenden Großartigkeit wurde erhöht durch einen neuen Sandsturm aus Süden mit allen seinen kleinen Leiden im Gefolge.
Fast täglich begegneten wir jetzt kleinen Sklavenkarawanen, doch war Haltung und Physiognomie der Armen im ganzen recht zufriedenstellend. Gut gekleidet und genährt, scheinbar heiter und zufrieden, zogen sie dem Ende ihrer mühseligen, leidensvollen Wanderung entgegen. Der Handel mit Sklaven war offenbar noch in ziemlicher Blüte, und man fragte nach ihrem Preise gerade so einfach, als man sich nach dem des Getreides, des Öls und der Butter erkundigte.
Als wir in Sicht des ersehnten Grüns der Pflanzung kamen, waren wir von ihr getrennt durch eine Niederung, die von länglichen mit Etelbüschen bestandenen Sandhügelchen durchsetzt war. Nachdem sich die Kamele in dem Domran gütlich getan hatten, zogen wir noch fast eine Stunde durch die Dattelpflanzungen und Gärten der Ortschaft auf diese selbst zu.
Sirrhen ist ein Städtchen mit jetzt verfallenen Ringmauern von 150 Wohnstätten, Häusern, die aus kalk- und sandhaltigem Lehm gebaut sind und einen nur unzulänglichen Schutz gegen Regen gewähren. Ein verfallenes Kastell, aus demselben Material erbaut, doch mit mächtigen Wänden, ragt im Zentrum hoch über die niedrigen, würfelförmigen oder länglichen Häuschen mit ihren platten Dächern empor. Zwei Stunden Südsüdwest von Sirrhen beginnt die Oase von Semnu. Wir zogen an Sirrhen vorüber, um in der Mitte des Nachmittags auf der Westseite von Semnu unser Lager aufzuschlagen.
Das Kasr, welches auch diese Stadt überragt, ist zur Zeit Abd el-Dschlils erbaut worden, ein fast quadratisches Gebäude mit vier Ecktürmen, dicken Mauern mit Schießscharten in der oberen Etage, in welcher Galerien ringsherum laufen, und einem offenen Hofraum in der Mitte. Zwei Minaretts, wenn auch nur von geringer Höhe, gesellen sich zu den vier Ecktürmen des Schlosses und bilden mit den zahlreichen Dattelpalmen, welche von allen Seiten die Stadt überragen, ein malerisches und graziöses Ensemble.
Das Städtchen bildet ein unregelmäßiges Viereck, dessen Seiten nach den vier Himmelsgegenden gerichtet sind. Die Straßen sind so eng, daß sie nicht einmal beladenen Kamelen den Durchtritt gestatten, sondern gerade nur zur Zirkulation der Bewohner hinreichen.
Die Stadt soll sehr alt sein, wenn auch zur Zeit Abd el-Dschlils vieles erneuert wurde. Sie zählte 250 Hausstände – Hausch –, also etwa 1200 bis 1500 Einwohner, welche teils Murabidija, wie die Leute von Sirrhen, teils gemischte Fezzaner, teils Araber sind. Die Einwohner leben meist von Gartenkultur, unternehmen zuweilen Handelsreisen und treiben nur sehr wenig Viehzucht. Einige Kamele, kleine Ziegenherden, die nötigen Esel zur Bewässerung der Gärten, hier und da ein Pferd, bilden ihren ganzen Viehbestand. Im Kasr überraschte mich der ungewohnte Anblick zweier Pferde, welche dem Bezirksvorsteher gehörten, der folgenden Tages mit uns nach seinem Wohnorte Temenhint zu gehen beabsichtigte.
Die Kultur des Bodens erstreckt sich auf Dattelpalmen, deren Früchte auf den Markt von Murzuq gebracht werden, auf Weizen, Gerste, Duchn und Durra. Die Gärten waren sauber gehalten und gut gepflegt, zeigten aber in der Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse schon einen erheblichen Abstand von denen Soqnas. Die Dattelpalmen überwogen erheblich und waren zum Teil prächtige, schöne Bäume; doch die Weizen- und Gerstefelder waren bei weitem nicht so üppig, der Klee kümmerlicher als in Soqna, und von Fruchtbäumen gedieh in einigen wenigen Gärten nur etwa ein vereinzelter Granatapfelbaum, eine dürftige Weinrebe oder ein leidlicher Feigenbaum.
Mein Gastfreund in Semnu wurde ein freundlicher, ältlicher Herr, namens Bu Aischa, der alsbald nach meiner Ankunft mich zu begrüßen und mir seine Dienste anzubieten kam. Er war früher Mudir des Bezirks, in dem Semnu liegt, gewesen und bei Gelegenheit des letzten Paschawechsels in Murzuq von seinem Amte abberufen worden. Er beeiferte sich, uns nach Kräften mit sehr wohlschmeckendem Brote und fleischhaltiger Soße aus Meluchia zu bewirten. Wir blieben auch am folgenden Tage noch in dem gastlichen Orte, teils weil ich noch verschiedene Erkundigungen bei den freundlichen Leuten einziehen wollte, hauptsächlich aber, weil Giuseppe eine sehr heftige Augenentzündung hatte und ein starker Sandsturm sich aus Westen erhob, der wohl geeignet schien, dieselbe zu verschlimmern.
Bei der Weiterreise am folgenden Tage erblickten wir am Ausgange der Gärten zwei Berggruppen nahe dem südlichen Rande der Oase. Die Gegend wurde unwirtlicher, die Vegetation ärmer, bis wir gegen Ende des Marsches von der Höhe des Dsch. Ben Arif auf ein weites gewelltes Tal hinabschauten, das, fast allseitig von einem Palmengürtel eingefaßt, die Oase Sebha mit den drei Ortschaften Dschedid, Qarda und Hadschara bildet. Wir stiegen in dieselbe herab und lagerten nahe bei der erstgenannten der drei Ortschaften.
Dschedid ist eine mit Ringmauern, Ecktürmen und einigen Minaretts versehene Stadt, aus Sandstein, Lehm und Kalk gebaut. Sie soll vor 280 Jahren vom Murabid Hamed el-Haderi gegründet worden sein und seitdem an allen Phasen politischen Wechsels, an denen Fezzan so reich ist, lebhaften Teil genommen haben.
Die nächste Oase auf dem Wege nach Murzuq, Rhodwa, ist zwei Tagemärsche von Sebha entfernt.
Die Ebene stieg allmählich an und bestand aus reinem Sande, der auf seiner harten Oberfläche unter dem Einflüsse des vorherrschenden Nordostpassats zart gewellt erschien.
Die Reise wurde wieder sehr unangenehm gemacht durch einen heftigen Westwind mit Sandtromben und prickelndem Kiesregen.
Bald erreichten wir den Bir el-Wischqa, der eigentlich kein Brunnen, sondern eine unter einer freiliegenden, anderthalb Meter starken Schicht Sandstein zutage tretende Quelle ist. Hier ist der Endpunkt des W. Neschua.
Bir el-Wischqa liegt am Eingange des auf Stunden sich ausdehnenden, doch bedauerlich vernachlässigten Palmenhains von Rhodwa. Die überall aufgeschossenen Sprößlinge hatte man versäumt, abgesondert zu verpflanzen und so ihrer vollen Entwicklung entgegenzuführen. Alles blieb da, wo es entstanden war, nahm dem Mutterbaume die Kraft und konnte selbst nicht gedeihen. So war der ganze Hain ein dichtes, oft undurchdringliches Gebüsch von Wischqas, das heißt jungen ungepflegten Dattelbäumchen, die sich gegenseitig in ihrem Gedeihen beeinträchtigten und wenig Früchte trugen.
Wir hätten gern Murzuq zum großen Beiramfeste, dem 'Id el-Kebir, das auf den 24. März fiel, erreicht. Da dies unmöglich war, so beschlossen wir, den üblichen Hammel in Rhodwa zu schlachten und in der uns zugänglichen bescheidenen Weise den Tag festlich zu begehen. Der Hammel kostete allerdings nach unserm Gelde zwölf Mark, war jedoch dafür von anerkennenswerter Fettleibigkeit, wie denn überhaupt sämtliche Schafe, Ziegen, Tauben und Hühner Fezzans sich in dieser Hinsicht auszeichnen. Zu dem Hammel kaufte ich eine hinlängliche Quantität Laqbi, das heißt gegorenen Dattelpalmensaft, um es an der festlichen Stimmung nicht fehlen zu lassen, denn die eigentlichen Fezzaner unter meinen Leuten, Bui (das heißt Väterchen) Mohammed und Ali Bu Bekr, waren in dieser Beziehung keine Kostverächter. Der große Dattelhain von Rhodwa lieferte zwar, wie gesagt, im Verhältnis zu seiner Ausdehnung wenig Früchte, schien aber um so regelmäßiger zur Produktion jenes beliebten Getränkes ausgebeutet zu werden.
Da es bekanntlich dem Moslem verboten ist, sich der berauschenden Getränke zu erfreuen, so wird der Laqbi von den ehrbaren Gläubigen nur im frischen Zustande getrunken, bevor es durch die Gärung zu wirklicher Alkoholbildung gekommen ist. Der frisch ausgeflossene Saft, zum Beispiel das Ergebnis einer Nacht, ist von weißlich-bläulicher Färbung und von widerlicher Süßigkeit. Doch der Zucker der Dattelpalme zerfällt mit großer Schnelligkeit, und am zweiten Tage hat man schon ein alkoholreiches Getränk, besonders wenn man die Fermentation durch unreine, diesem Zweck beständig dienende Gefäße unterstützt. Bei dem rapiden Übergange von einem Stadium in das andere ist nun der eifrige Anhänger des Propheten glücklicherweise schwer zu kontrollieren, und unter dem Vorgeben, Dattelmost zu trinken, reizt und narkotisiert mancher strenge Gläubige sein Gehirn mit alkoholreichem Laqbi.
In dieser Beziehung sind bekanntlich die Mohammedaner überaus erfindungsreich, um ihr Gewissen zu betäuben und sich und andere zu täuschen. Der eine behauptet, Bier sei ein erlaubtes Getränk, da es aus Gerste und Hopfen gemacht sei; ein anderer belehrt seinen unwissenden Glaubensgenossen, daß gebrannte Wasser, zu deren Destillation man die Kraft des Feuers verwende, auf diese Weise geläutert seien und nicht in die Kategorie der verbotenen Getränke fallen; noch andere sitzen mit Europäern bei Tische, ruhig ihren Wein trinkend, aber Sorge tragend, jedesmal etwas Wasser hinzuzufügen, indem sie den verwunderten Ungläubigen auseinandersetzen, daß sie durch den Wasserzusatz das verpönte Prinzip töten. Die Bewohner der Insel Kerkena nahe der Ostküste von Tunis produzieren eine große Menge Wein und trinken ihn fast ganz allein, indem sie zu ihrer Rechtfertigung geltend machen, daß sie ihn in frischem, ungegorenem Zustande genießen. Was den Laqbi betrifft, so fand ich ihn im Anfangsstadium der Gärung von angenehmem, säuerlichsüßem Geschmacke, doch von sonst nicht sehr angenehmen Nebenwirkungen. Ich hatte etwa einen Liter davon zu mir genommen und wurde von der Fermentationsarbeit, welche das ungewohnte Getränk in meinem Magen mit ungeschwächten Kräften fortzusetzen schien, auf das höchste belästigt. Doch Bui Mohammed war besser akklimatisiert; er trank stetig und sicher, bis der würdige Qatruner, der sonst so schweigsam war, die wunderbarsten Geschichten aus seinem erfahrungsreichen Leben zum besten gab.
Dann wurde die Wüste durch nichts mehr unterbrochen, und in ihr verbrachten wir die Nacht, bald, nachdem wir einen Hügel, auf dem ein Steinhaufe als Wegzeichen aufgerichtet war, passiert hatten. In denjenigen Gegenden der Wüste, in denen sich keine Spur eines Weges erhält, richtet man gerne auf den erhöhten, weithin sichtbaren Punkten diese Wegzeichen auf, welche der Vorüberreisende sich verpflichtet fühlt, durch Hinzufügung einiger Steine zu unterhalten.
Wenige Stunden Ende März genügten, uns nach der Hauptstadt von Fezzan zu bringen.
Am Haupttore der Stadt, welches auf ihrer Ostseite liegt und nach Südosten sieht, da diese Seite der Stadt von Nordnordost nach Südsüdwest gerichtet ist, erwartete mich der Hadsch Brahim Ben Alua, die wichtigste Person in Fezzan, ein kleiner, ziemlich starker Mann in der Mitte der Dreißig, mit spärlichem Barte, von rötlichgrauer Hautfarbe und wohlwollenden und dabei intelligenten Zügen. Seine großen, klaren, ruhig prüfenden Augen entschädigten reichlich für die weiten Nüstern seiner Nase und die starken Lippen, welche er von seiner Mutter geerbt hatte. Er war sehr fein und sauber gekleidet in die Tracht wohlsituierter Bewohner der Stadt Tripolis, sehr ruhig, höflich, sicher und selbstbewußt und doch nicht ohne Wärme.
Das Tor, an dem auch die Douane liegt, passierten wir nicht ohne Widerstreben der seit langem der Städte entwöhnten Kamele und betraten dann die Hauptstraße der Stadt, welche von Südosten nach Nordwesten verläuft und in der letzteren Richtung mit dem stolzen Baue der Kasba oder Zitadelle, in welcher die Besatzung kaserniert ist, abschließt. Die Häuser zu beiden Seiten dieser unverhältnismäßig breiten Straße, welche dem Ganzen einen von den nördlicheren Städten abweichenden Charakter verleiht, waren ganz aus Erde erbaut und noch leichter vom Regen wegzuwaschen als die Semnus und anderer Ortschaften, da der Boden der Umgegend sehr salzhaltig ist.
Als wir etwa die Hälfte der Straße zurückgelegt hatten, bogen wir nach Südwest in eine Nebengasse, an deren Eingange das Häuschen lag, das mir der Hadsch Brahim um den Preis von acht Mark monatlich gemietet hatte. Es war die traurige Aussicht vorhanden, daß ich dasselbe lange bewohnen würde, da eine Karawane nach Bornu vor einigen Monaten abgegangen war, und die allgemeinen Handelsverhältnisse in jenem Lande zurzeit nicht so verlockend auf die nordischen Kaufleute wirkten, daß wir bald wieder eine Reisegesellschaft zu finden erwarten konnten. Das Häuschen erfreute sich ebenfalls eines Stockwerkes oder wenigstens eines Zimmers mit Vorsaal auf der Höhe der Terrasse. Im Parterre war nur die Türöffnung, doch zeigte der obere Stock einige Fensteröffnungen mit verschließbaren Laden.
Unten, im Hausgange war rechts eine reservierte, verschlossene Kammer des Hausbesitzers, links ein kleines, finsteres Gemach für den Türhüter. Der Gang führte in einen hohen, viereckigen Raum, in dessen Mitte eine Säule in Gestalt eines Palmenstammes die Decke stützte, und der in Lage und Bestimmung, wenn er oben offen gewesen wäre, den inneren Hofraum arabischer und südeuropäischer Häuser gebildet haben würde.
Ich stieg dann zur Untersuchung des oberen Stockwerks die etwas primitive Treppe hinan. Ihre breiten vier unteren Stufen lagen noch im Mittelraume des Hauses und waren durch eine Tür von den weiter nach oben führenden getrennt. Leider waren dieselben so zerbröckelt und ungleich, daß man beim Hinaufsteigen alle Aufmerksamkeit auf sie verwenden mußte und dabei häufig mit dem Kopfe gegen den Querbalken der drei und einen halben Fuß hohen Tür rannte. Die Treppe mündete oben auf eine Art Vorsaal, aus dem eine Tür auf die Terrasse, das heißt das platte Dach des Hauses, soweit dasselbe kein oberes Stockwerk trug, und eine andere in das von drei Fenstern erhellte Zimmer führte. Dies wählte ich um so lieber zu meinem ständigen Aufenthalte, als es von dem übrigen Hause ganz abgeschlossen war.
Der Hadsch Brahim hatte darauf gerechnet und das ganze Zimmer schon mit Strohmatten auslegen lassen. Sofort ließ ich mein Bett daselbst aufschlagen, stellte durch zwei große, in entsprechende Entfernung voneinander gestellte Kisten und eine dritte niedrigere, welche den sich zugekehrten Rändern jener auflag, meinen Schreibtisch, und aus einer auf die Seite gestellten Kiste meinen Stuhl her, deckte einen Teppich auf die Erdbank, welche in einer Ecke des Zimmers die Stelle des Kanapees vertrat; kurz, richtete mich alsbald so wohnlich als möglich ein.
Giuseppe Valpreda hatte eines der unteren Zimmer für seinen Gebrauch in Beschlag genommen, während in dem andern die dem Scheich Omar bestimmten Geschenke aufbewahrt wurden. Meine Leute, welche kein Alleinsein liebten – denn Neger oder halbe Neger sind außerordentlich gesellige Geschöpfe –, blieben im großen Mittelraume, an dessen Palmensäule die Hündin Feida gekettet wurde. Die Küche endlich wurde in dem Durchgange, aus dem man in Hof und Garten gelangte, eingerichtet.
Der Hadsch Brahim hatte sich einstweilen diskret zurückgezogen, um mich mir und meiner Hauseinrichtung zu überlassen; doch bald kam sein alter Vater, der Hadsch Mohammed Ben Alua, ein magerer, weißbärtiger Greis von 74 Jahren, der das Amt eines Reis el-Medschelis oder Vorsitzenden des Großen Rates innehatte und anscheinend lebhafter und energischer war als sein Sohn Brahim, um mich für einen Augenblick zu begrüßen. Sodann schickte der Mutasarrif seinen Dolmetscher und einen Offizier, um mich zu begrüßen und seine Dienste anzubieten, und endlich erschien einer der holländischen Diener Fräulein Tinnes mit freundlichen Grüßen von seiner Herrin, einem fetten Hammel, Eiern, Broten, Butter, Zwiebeln und dergleichen als Bewillkommnungsgeschenk, wie es in Ländern Sitte ist, in denen keine Hotels dem Reisenden zu Gebote stehen.
Das ausgezeichnete Frühstück, das der Hadsch Brahim bald darauf in sauberen, blank gescheuerten Zinngefäßen übersandte, gab mir eine hohe Idee von dem kulinarischen Verständnis dieses Würdenträgers und der Kunstfertigkeit seiner Frauen, und ließ mich mit einer gewissen Beruhigung der nächsten Zukunft entgegensehen. Da war ein Reisgericht mit Huhn, Hammelkotelette in vortrefflichem Öl gebraten, verschiedene in Butter und Fett schwimmende Gemüse, wie Auberginen und Bohnen, mit Fleischstückchen und Fleischklößchen garniert, endlich kunstvolle Gebäcke und Süßigkeiten, auf die in vornehmen arabischen Häusern großer Wert gelegt wird: kurz, eine Menge Gerichte, welche mir nach der vorausgegangenen Entbehrung als höchst begehrenswerte Leckerbissen erschienen.
Es war ein genußreicher Tag. Der erste Teil des Weges war ohne Unfall zurückgelegt; die Anstrengungen desselben – ich war fast stets zu Fuß gegangen – hatten meinem Körper zugesagt; nach der bescheidenen Leistung war Ruhe, Ruhe in einem zwar nicht unbekannten, doch immerhin fremdartigen Lande, ein reizvoller Genuß.
Der folgende Tag war der erste Ostertag und ein klarer, schöner Tag, ohne die häufige Zugabe von Wind und Sand, wenn auch leider kein Frühlingstag, wie er unsern oft so unwirtlichen, heimatlichen Breitengraden den Hauptreiz verleiht. Die morgendliche Frische und Klarheit der Atmosphäre schien mich aufzufordern, die Stadt zu besichtigen und ihre Gärten zu besuchen. Doch es war nicht ziemlich, in Stadt und Umgegend herumzustreifen, ohne dem Gouverneur aufgewartet zu haben, und diesem wieder wollte ich zur Wahrung meiner Würde nicht den ersten Besuch machen. Derselbe ließ sich denn auch für den Nachmittag ansagen; doch schon während der ersten Tageshälfte hatte ich zahlreiche Besuche zu empfangen.
Zuerst, etwa morgens um sieben Uhr, der konvenabelsten Besuchszeit, erschien Hamed Bei, der Finanzminister der Provinz, ein reinlich und sorgfältig in den türkischen schwarzen Tuchrock mit Stehkragen der Beamten gekleideter, bebrillter Herr, der das Arabische, das er hauptsächlich aus Büchern kannte, mit allen Vokalen sprach und mir mit seiner spitzen Nase, seinen tiefliegenden Augen, seinen süßlich höflichen Redensarten kein besonderes Vertrauen einflößte. Sodann kamen die Glieder der Familie Ben Alua, von denen ich Hadsch Mohammeds ältesten Sohn, den Hadsch Abdallah, der viel kaufmännische Reisen in die Sudanländer, freilich stets mit schlechtem, geschäftlichem Erfolge, gemacht hatte, noch nicht kannte. Später kam der alte Mohammed Baserki Scherif, der letzte Abkömmling der Aulad Mohammed, die Fezzan Jahrhunderte hindurch regiert hatten. Derselbe hatte mit Gerhard Rohlfs innige Freundschaft geschlossen und war ein herzensguter, abergläubischer Mann, der durch die Leidenschaft des Opiumgenusses seine ursprünglich schon nicht sehr mannigfaltigen Geisteskräfte noch mehr reduziert hatte. Der Kol-Aghasi, Kommandant der Garnison, ein alter, ebenfalls durch Opiumgenuß abgestumpfter, weißbärtiger Türke; der Bataillonsarzt, ein junger, sich durch medizinische Unwissenheit auszeichnender Mann; der Garnisonschreiber, der einen sehr angenehmen Eindruck durch Lebhaftigkeit und Verständnis machte und recht gut Arabisch sprechen gelernt hatte: das waren die Honoratioren, welche aus eigener Initiative ihre Aufwartung zu machen sich für verpflichtet hielten. Der Hadsch Brahim führte mir noch seinen intimsten Freund, den Kadi von Murzuq, zu, einen kräftigen, alten, freundlichen Mann von dunkler Hautfärbung, der seinem vor einigen Jahren im Alter von 120 Jahren gestorbenen Vater erst kürzlich im Amte nachgefolgt war, und den sogenannten Amin es-Sanduq oder Schatzmeister, namens Titiwi, welcher sich durch unförmlichen Körperumfang auszeichnete und ein Bruder jenes Mohammed el-Titiwi war, der in Bornu am Hofe des Scheich Omar eine hervorragende, nicht immer erfreuliche Rolle spielte.
Nachmittags kam der Pascha, ein Türke aus guter, aber heruntergekommener Familie, der zu den armen Wüstenbewohnern geschickt war, um seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen aufzuhelfen, und der, körperlich und geistig noch heruntergekommener als diese, ohne Kenntnis von Land und Leuten, ohne eine Ahnung von der arabischen Sprache, in Fezzan eine traurige und verderbliche Rolle spielte. Er war ein Mann von vierzig und einigen Jahren, trug die türkische Beamtenkleidung mit einem weißen, goldgestickten Tuchburnus und schien zu einem traurigen Leben der Isoliertheit verurteilt zu sein, denn selbst sein Dolmetscher wußte das Türkische nur mangelhaft zu sprechen. Ich ging ihm bis an die Treppe entgegen, ließ den üblichen Kaffee präsentieren und hielt nur mühsam eine längere Unterhaltung mit ihm aufrecht, sowohl wegen der angedeuteten Sprachschwierigkeit, als auch weil er von den Verhältnissen, welche mich hauptsächlich interessierten, noch weniger wußte als ich selbst. Freilich war er ebenfalls erst vor einigen Monaten angelangt, vorher nie aus Stambul herausgekommen, und hatte seit seiner Ankunft den Kummer über seine Verbannung durch eine fortgesetzte Alkoholintoxikation zu betäuben gesucht. Es war mir ebenso unerklärlich, wie dieses körperlich und geistig gleich unzulängliche Geschöpf sich zu der Reise in das fremde, unwirtliche Land hatte entschließen, als wie man ihn für diesen Posten hatte auswählen können.
Der unerwünschte Besuch eines Übeltäters, der sich über die Schwelle meines Hauses geflüchtet hatte, um mich zu einer Intervention zu seinen Gunsten zu zwingen, machte den Beschluß des Tages. Da derselbe nur einfach seine Geliebte geprügelt hatte, gegen die er nicht mit Unrecht den Verdacht der Untreue nährte, und da er die geheiligte Schwelle meines Hauses einmal überschritten hatte, so verwendete ich mich für ihn, gleichzeitig meine Leute anweisend, derartige Invasionen, mit denen man selten Ehre einlegt, zurückzuweisen. Fräulein Tinne hatte schon drei entlaufene Sklaven in ihren Schutz genommen, sowie die Bettsklavin des früheren Katib el-Mal, der sich Veruntreuungen hatte zuschulden kommen lassen und nun, weil man zum Ersatz sein ganzes Besitztum veräußerte, und er fürchtete, man werde bis auf seine Konkubine gehen, diese in den sicheren Schutz von Fräulein Tinne gebracht hatte.
Der Ostermontag war der Erwiderung der von mir empfangenen Besuche gewidmet. Zuvor schickte ich die Geschenke, welche ich zu spenden hatte, an den Hadsch Brahim und den Baserki Scherif. Das dem letzteren für seine Gerhard Rohlfs bewiesene Freundschaft bestimmte Andenken bestand in einem gedruckten, gebundenen Koran, in zehn Mariatheresientalern und einem Rosenkranz aus roten Edelkorallen und war vollständig ausreichend, da keinerlei Leistung von ihm erwartet werden konnte. Doch die Gaben für den Hadsch Brahim waren kümmerlich und wurden durch die gastfreundlichen Sendungen aus der Küche desselben allein schon beschämt. Sie bestanden aus einem feinen, weißen wollenen Burnus, einem Rosenkranze echter Korallen, einem tunisischen Tarbusch und zwei mit Rosenessenz in spärlichster Quantität gefüllten Flakons und entsprachen weder seinem Bildungsgrade, noch seinen Verhältnissen, noch seiner Generosität. Ich traf ihn selbst bei einem seiner Lieblingsgenüsse, starkem, sehr versüßtem Tee.
Der Teegenuß ist im Innern Afrikas nur bei wenigen, gereisten und gebildeten Leuten Sitte, mit Ausnahme etwa Marokkos, wo er mehr Eingang und Verbreitung gefunden hat. Man benutzt nur grünen Tee, zu dem man oft noch aromatische Kräuterblätter fügt, und setzt vor dem Aufgusse des kochenden Wassers eine so große Menge Zucker hinzu, daß man von der aromatischen, zuckergesättigten Flüssigkeit nur sehr kleine Quantitäten genießen kann.
Von diesem Manne, welcher bei der Unfähigkeit des Gouverneurs die Seele der Lokalregierung war oder wenigstens mühsam das, was als Regierung bezeichnet werden konnte, aufrechterhielt, begab ich mich zum nominellen Träger der Regierungsgewalt, der sich am nordwestlichen Ende der Hauptstraße die obere Etage eines verhältnismäßig ansehnlichen Hauses leidlich zur Wohnung hatte herrichten lassen. Derselbe verfügte sogar über ein gedieltes Zimmer mit Fenstern, und zwar wirklichen Fenstern mit Glasscheiben, wenn diese letzteren auch nicht vollzählig waren. Seine einzige anerkennenswerte Leistung war eine gewisse Sauberkeit, welche er auch in seiner nächsten Umgebung einzuführen gewußt hatte. Zwei Negersklaven, noch Knaben, welche er in scharlachrote Tuchleibröcke gesteckt hatte, und welche in dieser wunderlichen Verkleidung europäische Lakaien vorzutäuschen bestimmt schienen, während sie nicht einmal den Kaffee zu präsentieren wußten, waren höchst groteske Erscheinungen. Er selbst war in einen rehfarbenen Kaftan gehüllt und saß, ein Bild trauriger physischer und intellektueller Verkommenheit, teilnahmlos und stumpfsinnig da, denn es war früh am Tage und noch hatte er den Rest seiner Lebensgeister nicht durch Schnaps hinlänglich aufgerüttelt.
Fräulein Tinne wohnte ebenfalls in der Hauptstraße, und zwar in der Mitte derselben, wenige Häuser von mir entfernt, in einem großen Gebäude, in dem vor einem halben Jahrhundert der Muqni gehaust hatte.
Ich fand sie in Gesellschaft ihres prächtigen, alten, riesigen Hundes, der, glaube ich, ihr treuester Freund in ihrer Umgebung war, ruhig, ernst, distinguiert wie immer, doch herzlicher und wärmer als in Tripolis. Sie war entschlossen, ebenfalls nach Bornu zu reisen, war aber ganz zufrieden, daß vorläufig keine Karawane in Aussicht war, denn sie beabsichtigte, während des Sommers auf dem reicher versehenen Markte von Tripolis die nötigen Kamele ankaufen zu lassen, und hatte gerade um Geschenke für den Scheich Omar und einen hinlänglichen Vorrat von Mariatheresientalern nach Europa geschrieben. Gegen Ende des Sommers konnte sie bereit sein, und wir verabredeten, daß, wenn sich bis zu dieser Zeit keine Reisegesellschaft von Kaufleuten zusammengefunden haben sollte, wir allein mit Hilfe einer gemieteten bewaffneten Eskorte die Reise unternehmen würden.
Bis dahin beabsichtigten wir, jeder für sich, eine kleinere Wüstenreise zu machen, und zwar hatte die kühne Dame dieselbe Idee gehegt, welche ich nährte, nämlich die einer Reise in die Felsenlandschaft Tibesti. Ich hatte dem Hadsch Brahim meine Absicht, diese Landschaft der berüchtigten Tubu Reschade oder Felsen-Tubu zu besuchen, ausgesprochen, doch bemerkt, daß derselbe diesen Plan mit großer Besorgnis aufnahm. Ungleich bedenklicher mußte ihm eine solche Unternehmung für Fräulein Tinne erscheinen, deren Reichtum gegenüber sicherlich der Rest von Gesetzlichkeit der Tubu nicht standhalten würde, und ich mußte ihr sagen, daß ich kaum glauben könne, daß die Autoritäten zu einer solchen Reise ihrerseits die Hand bieten würden.
Für diesen Fall erinnerten wir uns, daß der Generalgouverneur in Tripolis uns darauf aufmerksam gemacht hatte, daß er außerhalb der Grenzen seines Gebietes auch nicht die geringste Macht, nicht den kleinsten Einfluß zu unseren Gunsten auszuüben vermöge, mit alleiniger Ausnahme des Falles, daß einer von uns Lust haben sollte, den Tuarikhäuptling Ichnuchen in Ghat zu besuchen. Diesen alten Asgarchef nenne er seinen Freund und könne sich fest genug auf ihn verlassen, um ihm befreundete Personen zu empfehlen. Wer dachte damals, daß wenige Monate nach unserer Erinnerung an diese Worte Ali Rizas meine hochherzige Freundin von den Leuten gerade dieses Ichnuchen erschlagen werden würde!
Das menschliche Leben und Treiben konnte an und für sich nicht sehr mannigfaltig sein an einem Orte, der rings von Wüste umgeben ist und seine Bedeutung als Handelsplatz seit langem eingebüßt hat. Die bedeutenden, noch aus besseren Zeiten stammenden Kaufleute der Stadt waren Fremde, Berber aus Audschila und Soqna, Araber aus Tripolis oder Hun, und litten als solche von dem Sumpfklima. Erdfahl oder gallig gelb, mit bleichen Lippen und matten Augen, schlichen sie kraftlos und apathisch ihren Geschäften nach und trugen durch ihre Erscheinung noch zur Herabstimmung des Gesamteindruckes bei. Selbst ihre Kleidung, die grauen und graubraunen Schals, die fahlblauen Hemden harmonierten in ermüdender Weise mit der Physiognomie ihrer Träger und der Stadt.
Mit dem Staube begann auch die Hitze auf der Tageshöhe erheblich zu wachsen, obgleich wir erst im Anfang des April waren. Jeder hielt sich zu Hause, soweit es seine Beziehungen irgend gestatteten, und nur die kleineren Kaufleute traf man in ihren Warenlagern im Basar während des größten Teiles des Tages.
Wenn nicht der Marktverkehr gewesen wäre mit der einheimischen Gartenbevölkerung und die zahlreichen fremden Elemente in der Stadt, welche zum großen Teile südlicheren, glücklicheren Himmelsstrichen entsprossen, über der wüsten Monotonie Murzuqs noch nicht die Heiterkeit und Lebenslust ihrer Heimat eingebüßt hatten, so wäre die Hauptstadt Fezzans noch viel eintöniger und langweiliger für mich gewesen.
Die häuslichen Arbeiten waren in dieser Jahreszeit, unserm Frühling, in qualvoller Weise erschwert durch das Treiben der Fliegen, das seinen Höhepunkt erreicht hatte. In der größten Winterkälte nimmt dasselbe an Lebhaftigkeit ab und im Hochsommer erstirbt es ganz. Jetzt waren die Tiere zum Verzweifeln hartnäckig, besonders auf der Tageshöhe, wo sie, von der Hitze gelähmt, sich nicht einmal leicht verscheuchen ließen. Das Tintengefäß mußte verschlossen gehalten und bei jedem Eintauchen der Feder vorsichtig geöffnet werden; beim Genüsse einer Tasse Kaffee, eines Glases Laqbi mußte die freie Hand ununterbrochen bestrebt sein, die massenhaft andringenden Insekten zu verjagen, und nicht selten drang bei unvorsichtigem Sprechen eine Fliege mit der Inspiration bis zum Kehlkopf. Weniger hatte ich von den Mücken zu leiden, welche den Leuten, die an der Stadtmauer in der Nähe der Salzsümpfe wohnen, ebenfalls recht lästig fallen.
Wenn die Fliegen mich bei Tage bisweilen fast zur Verzweiflung brachten, so erfreute ich mich während der Nacht dafür einer um so ungestörteren Ruhe, da die Wüstenortschaften einer absoluten Immunität genießen gegen eine Landplage, welche den Frieden der Menschen sowohl auf der Nordküste Afrikas als auch im Sudan erheblich beeinträchtigt, gegen die der Flöhe. Die oft mit dem Floh gleichzeitig genannte Laus findet dagegen alle Bedingungen zu der diesem Tierchen eigentümlichen rapiden und massenhaften Vermehrung. Zwar nimmt die Kopflaus merklich ab, doch die Kleiderlaus ist so unzertrennlich vom Menschen, daß man den exorbitanten Anspruch, frei von ihr bleiben zu wollen, nur bei längerem Aufenthalte an einem Orte mit einigem Erfolge aufrechtzuerhalten vermag. Nicht selten wurde ich von Arabern gefragt, ob es wahr sei, daß die Christen frei von diesem Ungeziefer seien, wobei ich zu meiner Verwunderung bemerkte, daß sie die supponierte Läuselosigkeit durchaus nicht für einen Vorzug, sondern eher für eine göttlicherseits beabsichtigte Vernachlässigung zu halten schienen.
Nachmittags ging ich zuweilen auf den Markt, besuchte die Kranken, welche in ihren Wohnungen behandelt werden mußten, und setzte mich um Sonnenuntergang zu Alexandrine Tinne auf die Terrasse ihres hohen Hauses, mich mit ihr erlabend an den herrlichen Abenden, die einen so wohltuenden Gegensatz zu den windigen, staubigen und oft glühendheißen Tagen bildeten.
Erst wenn gegen Sonnenuntergang der Wind schwieg und die Sonne wenigstens ihren Scheidegruß sichtbar zu uns gesendet hatte, traten die umgebenden Gegenstände in klaren Konturen und bestimmten Färbungen hervor; der Himmel erblaute wieder für die kurze Zeit bis zur schnell hereinsinkenden Nacht; bald tauchten aus der dunkelnden, fleckenlosen Wölbung über uns die Sterne in ungewohnter Klarheit hervor, und der Mond stellte nicht mehr die bleiche Scheibe meiner Heimat dar, sondern schwebte als wunderbar leuchtende Kugel durch den Weltraum. Dann war es schön auf der hohen Terrasse über der schweigenden Stadt. In wunderbarer Schärfe zeichneten die Dattelpalmen in der Umgebung bei der scheidenden Sonne nicht bloß ihre herrlichen Formen von unnachahmlicher Grazie gegen den geklärten Himmel, sondern jede Fieder des Blattes wurde sichtbar. Alles schien nähergerückt und vergrößert; die fern am Horizonte auftauchenden Menschen wie die heimkehrenden Kamele erschienen fast in gespenstischer Größe. Auf der Höhe der klarsten, wind- und staubfreiesten Tage hatte man nie eine Transparenz der Atmosphäre wie gegen Abend. Allmählich versanken die ferneren Gegenstände in die allgemeine Dunkelheit; nur die vereinzelten Palmen der Stadt warfen geisterhafte Schatten auf die im Mondlicht erglänzenden platten Dächer, und im Hintergrunde der Stadt erhob sich gigantisch die massige Kasba.
Mit der schwindenden Winterkälte meldete sich der Feind des Fremdlings in Gestalt der Sumpf- oder Malariafieber mehr und mehr.
Über die Ursachen der Krankheiten hat der Fezzaner die vagen und abergläubischen Theorien, welche auch bei den ungebildeten Klassen europäischer Völker noch vielfach Geltung haben. Zum Teil sind es die Geister – Dschinn –, welche angeschuldigt werden; noch mehr Unheil aber richtet der böse Blick – el-'Ain, das heißt das Auge – an. Ein gesundes, schönes Kind, ein gutes Kamel, ein hübsches Pferd kann gar nicht sorgfältig genug vor dem Einflüsse des letzteren geschützt werden. Viele üben in bewußtem Neide einen derartigen verhängnisvollen Einfluß aus; manche aber sind, ohne Zauberei ausüben zu wollen, von Natur mit dieser gemeinschädlichen Eigenschaft gebrandmarkt, und man muß sich sehr vor ihnen in acht nehmen. Jedes Haus hat an der Tür, auf der Schwelle oder irgendwo eine Inschrift, ein mystisches Zeichen zur Abwehr, und Mensch und Tier trägt am Arme oder Halse Eckzähne des Wildschweins, Fischknochen, Hundszähne oder geschriebene geheimnisvolle Amulette gegen die bewußten und unbewußten Zauberer. Wenn der Glaube an diese auch in den meisten Ländern Europas erheblich abgenommen hat, so haben die unbestimmten Theorien der nicht übersinnlichen Krankheitsentstehungen im Volke bei uns noch weitverbreitete Geltung, und ebendieselben Anschauungen finden wir auch in Fezzan gang und gäbe. Auch dort wird über ein Nahrungsmittel als »gesund« oder »ungesund«, als »heiß« oder »kalt« abgeurteilt; auch dort trägt »das Blut« oft die Schuld an Erkrankungen, welche dann natürlich anders behandelt werden müssen, als wenn sie aus »Erkältung« entspringen. Hält sich der Kranke an diese für ihn sehr klaren Begründungen seines Zustandes, so greift er auch nach einer für ihn rationellen Behandlung und sucht den Einfluß der heißen Nahrungsmittel durch »kalte« zu paralysieren, nimmt »heiße« Sachen gegen die Erkältung ein und zieht mit ebensolcher Energie gegen »das Blut« zu Felde, wie noch vor einem Menschenalter bei uns zu geschehen pflegte. Glücklicherweise ist die Kunst des Aderlassens in Fezzan nicht geläufig genug, sonst würden sich die Einwohner im Frühjahr und Herbste regelmäßig die Ader schlagen lassen.
Die ärztliche Kunst wird zwar nicht von besonderen Berufsärzten ausgeübt, ist aber doch vorzugsweise im Besitze alter, erfahrener Frauen, die aus ihrer praktischen Anwendung gewissermaßen ein Gewerbe machen. Doch die Grenzen ihrer Wirksamkeit sind vollständig bekannt, und jenseits dieser wird ausschließlich an die Religion appelliert, die ihre geheimnisvollen Amulette und Talismane durch die Hand »weiser Männer« liefert. Hierin unterscheidet sich der Fezzaner durchaus nicht von den Bewohnern der Nordküste, läßt sich ebenso viele heilkräftige Sprüche auf den Körper, in die Nähe des leidenden Organes, schreiben, verschluckt ebensohäufig ein Stückchen Papier mit der heiligen Inschrift oder trinkt die abgewaschene Tinte derselben und glaubt ebensofest an Liebeszauber und Amulette, welche kugel-, hieb- und stichfest zu machen oder Krankheiten vorzubeugen imstande sind, als jene.
Für uns neue Ankömmlinge vollzog sich die Akklimatisierung nicht ohne erhebliche Unbequemlichkeiten. Im Anfange machten sich infolge des Nahrungswechsels hartnäckige Verdauungsstörungen geltend; Magen- und Darmkatarrhe traten auf. Dies wurde allerdings erschwert durch die nicht immer zweckmäßige Nahrung, welche ich einzunehmen gezwungen war. Von den geträumten kulinarischen Genüssen nämlich hielt es Giuseppe Valpreda nicht für gut, mir etwas zuzuwenden. Erstens waren die Marktpreise für Fleisch nicht unerheblich, und nur das Kamelfleisch war billig, indem es nur den halben Wert des Hammelfleisches hatte.
Im folgenden Monat Mai ereilte auch mich das Schicksal der Malariavergiftung, und zwar in sehr intensiver Weise.
Nach meiner Wiederherstellung gingen wir ernstlich an die Realisierung unserer vorläufigen Reiseprojekte. Ein Murabid Ali aus dem Dorfe Bachi bei Qatrun war durch Geschäfte nach Murzuq geführt worden und kam mit Hadsch Brahim, um mein Tibestiprojekt zu besprechen. Er war ein kleiner, dunkelfarbiger Mann mit vorwaltendem Tubublut in den Adern, doch von strenger Rechtlichkeit, verständig und durch eigene Erfahrung ein kompetenter Richter über die Ausführbarkeit meiner Pläne. Er schilderte den Charakter seiner Vettern, der Tubu, in wenig ermutigender Weise und riet dementsprechend, wie die Murzuqer Freunde, von dem Vorhaben ab, hielt es aber nicht für durchaus unmöglich, mit Hilfe des Chefs der Murabidija von Qatrun, des greisen Hadsch Dschaber, ungefährdet eine Reise nach Tibesti zu machen. Eine Ausdehnung derselben bis Borku erklärte er für vollständig unausführbar.
Ich selbst war entschlossen zu gehen, und selbst wenn die Gefahren noch drohendere gewesen wären, als meine Berater sie schilderten. Abgesehen davon, daß in Murzuq meiner nur Fieber, Hitze, Staub und ertötende Einförmigkeit warteten, war es eine Ehrensache für mich, nicht ein halbes, vielleicht sogar ein ganzes Jahr tatlos liegenzubleiben. Um in dem oft von wissenschaftlichen Männern durchreisten Fezzan die wenigen hundert Taler, welche ich mein eigen nannte, zu Exkursionen zu verwenden, dazu versprachen diese nicht Resultate genug, während selbst eine unwissenschaftliche Reise nach Tibesti eine lohnende Ausbeute verhieß. Seit europäische Reisende von Tripolis aus nach Bornu gegangen waren, hatte man von diesem Felsenlande der Tubu im Südosten von Fezzan gehört, das sich durch mächtige Berge und merkwürdige heiße Quellen auszeichnen sollte. So lebhaft auch der Verkehr war, welcher vom Süden Fezzans, besonders durch die Murabidija von Qatrun, mit dieser Landschaft unterhalten wurde, so wenige Fezzaner unternahmen die Reise in dieselbe persönlich, und so unbekannt war sie selbst den Arabern geblieben.
Fast alle meine Vorgänger auf demselben Wege hatten gewünscht, das so nahe gelegene und doch gänzlich unbekannte Ländchen unserer Kenntnis zu erschließen, doch alle waren vor der schlechten Reputation der Tubu, ihrem Rufe der Treulosigkeit zurückgeschreckt und hatten bei den ernsten Abmahnungen der Lokalbehörden ihrem Plane entsagt.
Genug, ich war entschlossen und veranlaßte sofort einen offiziellen Brief an den Hadsch Dschaber in Qatrun, der nach dem Urteile aller die Schlüssel zu dem Felsenlande in seinen Händen hatte. Dieser sprach sich sogar etwas zuversichtlicher für die Ausführbarkeit des Planes aus, als der Murabid Ali, und schien nicht abgeneigt, eine gewisse Verantwortlichkeit für das Gelingen auf sich zu nehmen. Er habe, schrieb er, gerade einen Edelmann aus Tibesti in Qatrun, der ihm zuverlässig und angesehen genug erscheine, um mir als Schutz- und Geleitsmann dienen zu können, und werde einen geeigneten Mann aus seiner eigenen Genossenschaft, der eine viel höhere Bedeutung haben werde als jener, als weiteren Begleiter mitgeben.
Zur größeren Sicherheit wurde der Tubu-Edle aufgefordert, sich in Murzuq den Behörden vorzustellen und mit ihnen einen Kontrakt zu vereinbaren. In Erwartung dieses Mannes – Qatrun liegt vier Tagereisen von Murzuq entfernt – machte ich die geeigneten Zurüstungen durch Ankauf von Geschenken und durch Vorbereitung des Mundvorrats und suchte gleichzeitig meiner wiederhergestellten Freundin zur Realisierung ihres Planes an die Hand zu gehen. Der Chef der Tuarik Asgar, der greise Ichnuchen, hatte eine freundliche, ja zuvorkommende Antwort auf Fräulein Tinnes Brief gegeben, des Inhalts, daß er selbst, durch Geschäfte in den westlichen Teil des W. Ladschal gerufen, sie abholen werde. Bei ihren Vorbereitungen zur Reise übernahm ich gewöhnlich die Vermittlung zwischen ihr und den Behörden, und es fiel mir hierbei auf, daß, wenn ich in ihrem Interesse zu dem freundlichen, wohlwollenden und stets gefälligen Hadsch Brahim oder irgendeinem andern kam, ich zwar stets die höfliche Bereitwilligkeit des Beamten und wohlerzogenen Mannes fand, aber jene Wärme, jenes herzliche Entgegenkommen vermißte, welche mir so reichlich zuteil wurden. Man hätte gerade im Gegenteil erwarten sollen, daß eine Dame, welche über so große Mittel gebot, der so dringende und wertvolle Empfehlungen zur Seite standen, welche endlich ganz allgemein nur als Bent el-Re, das heißt Königstochter, bekannt war, mit einer außergewöhnlichen Zuvorkommenheit behandelt werden würde. Der Unterschied der uns widerfahrenden Behandlung war mir lange unerklärlich, bis ich allmählich einsah, daß derselbe dem harmlosen Umstände entsprang, daß sie nicht verheiratet war. Die Murzuqer Herren, welche selbst der Frauenliebe sehr ergeben sind, konnten sich so wenig ein weibliches Geschöpf mit andern Zwecken als dem der Kindererzeugung und des sinnlichen Genusses vorstellen, daß sie geneigt waren, dem ledigen Stande der »Königstochter« unnatürliche Gründe unterzuschieben. Die unsinnigsten Gerüchte zirkulierten über diese Frage bei den Leuten, und unter diesen fand am meisten dasjenige Anklang, welches sie beschuldigte, einen verzauberten Mann in Gestalt ihres riesigen Lieblingshundes bei sich zu führen, der nur unter dem Dunkel der Nacht eine menschliche Gestalt annähme. Als dieses brave Tier im Laufe des Monats Mai an Altersschwäche starb und seine Herrin einen dort unbegreiflichen Schmerz über seinen Tod zur Schau trug, zweifelten nur wenige Skeptiker mehr an der Richtigkeit jener Annahme. Schon jeder Mann nimmt als Junggeselle eine mißachtete Stellung in jenen Gegenden ein und provoziert durch seine Frauenlosigkeit nicht sehr schmeichelhafte Beurteilungen seiner Person, doch bei einer Frau erschien ein solches Verhältnis von noch viel gravierenderer Bedeutung, besonders da die in Rede stehende durch ihre Ziele und Zwecke sosehr in die Öffentlichkeit trat. Ich mochte noch sosehr auf ihre Wohltätigkeit, Generosität und Vorliebe für islamitische Länder hinweisen, ganz vermochte ich den Schatten, der auf ihrer Person lastete, nicht zu tilgen.
Bald war, soweit es an uns lag, alles zu unserer beiderseitigen Abreise vorbereitet.
Gegen Ende des Monats kam der von seiten des Hadsch Dschaber erwartete Tubu-Edle Kolokomi in Begleitung eines Vetters, namens Wolla. Kolokomi war ein kräftiger Mann von vierzig und einigen Jahren, von guter Mittelgröße, dunkel bronzefarbiger Haut und rundem Gesichte, dessen Züge und voller Bart nichts Negerhaftes im gewöhnlichen Sinne des Wortes an sich trugen; Wolla war magerer, dunkelfarbiger und hatte ein ovales Gesicht. Jener hatte übrigens nach seiner Behauptung etwas Tuarikblut in den Adern, so selten auch Vermischungen zwischen beiden Stämmen – abgesehen von den Fällen, in denen weibliche Kriegsgefangene in den feindlichen Stamm geraten – vorkommen sollen. Sein nicht eben durch Sauberkeit glänzendes und arg zerfetztes Bornugewand ließ keinen hochstehenden Mann in ihm vermuten; doch das ärmliche Äußere tat dem würdevollen Auftreten und dem Selbstbewußtsein des freien Sohnes der Wüste keinen Eintrag. Die Leute, welche ihn von seinen wiederholten Besuchen in Fezzan kannten, stellten ihm das verhältnismäßig beste Zeugnis aus, indem sie ihn als einen der wenigst Schlechten unter seinen Stammesgenossen, die freilich insgesamt Schurken seien, bezeichneten.
Am 24. Mai schloß ich einen Kontrakt mit diesem Manne ab, demzufolge er mich durch das ganze Land Tibesti, wohin ich immer zu reisen wünschen würde, zu führen und nach Fezzan zurückzugeleiten versprach, während ich mich verpflichtete, ihm 80 Mahabub (nahezu 300 Mark) zu bezahlen. Von dieser Summe sollte ihm die eine Hälfte vor Beginn der Reise, die andere nach erfolgter Rückkehr durch den Hadsch Dschaber ausgehändigt werden. Im Falle glücklichen Gelingens versprach ich ihm noch das Extrageschenk einer Steinschloßflinte und seinem Cousin eine beliebige Anerkennung seiner Dienste. Außer dem Herrscher des Landes, Tafertemi, sollte jeder der hauptsächlichsten Edlen Tibestis, deren Zahl vorläufig zu sieben angenommen wurde, über deren Liste aber der Hadsch Dschaber entscheiden sollte, einen roten Tuchburnus erhalten.
Es gelang mir, in Murzuq selbst ein halbes Dutzend roter Tuchburnusse und drei indigo gefärbte, schwarzblaue Sudangewänder aufzutreiben. Die Kaufleute suchten sich natürlich die Beharrlichkeit, mit der ich an dem Plane der Reise nach Tibesti festhielt, meine Unerfahrenheit und den Mangel an Konkurrenz, sosehr sie konnten, zunutze zu machen. Die Sudantoben kosteten nicht einmal halb soviel als die Burnusse und sollten gleichwohl in Tibesti nahezu ebensosehr geschätzt sein. Die Tubu sowohl wie die Tuarik ziehen die dunkeln Gewänder, welche gewissermaßen mit dem ernsten Charakter der Wüste und ihrem eigenen finsteren Sinne harmonieren, den hellfarbigen vor und haben ein besonderes Wohlgefallen an den genannten Indigo-Toben, die ihrer oft hinlänglich hellen Haut sichtliche und sehr beliebte Spuren der Unvollkommenheit sudanischer Färbekunst aufdrücken.
Zu diesen Geschenken fügte ich ein Dutzend roter tunisischer Mützen, Musselinstoff zu weißen Turbanen für etwa zwölf Personen, etwas Benzoe, das zum Räuchern sehr beliebt ist, Antimonpulver, das als Kosmetikum und Heilmittel auch in Tibesti in Gebrauch ist, eine ansehnliche Menge Tabak und einige Stücke des Cham genannten, ungebleichten europäischen Baumwollenstoffs, der als Haupttauschwert in Tibesti dient.
Die königlichen Geschenke, welche mir nach Bornu überzuführen oblag, ließ ich natürlich, da keine Aussicht vorhanden war, etwa über Tibesti dorthin reisen zu können, und weil auch das ganze Unternehmen zu gewagt und zu unsicher erschien, unter der Obhut des Hadsch Brahim Ben Alua zurück, und zum Wächter des Hauses wurde 'Ali aus Mandara unter der Oberaufsicht des jungen Mohammed Ben Alua bestellt.
Trotz aller Versicherungen Kolokomis und Hadsch Dschabers blieb der brave Mohammed aus Qatrun der ganzen Reise in früherer Weise abhold und berief sich mit Recht auf die Erfahrung der zwölf Jahre, welche er in der Mitte seiner halben Landsleute im südlichen Fezzan zugebracht, und der beiden Reisen, welche er nach Tibesti, der Heimat seines Vaters, unternommen hatte. Auf den Edlen Kolokomi legte er keinen großen Wert. Da der berühmte Begleiter Barths kein Jüngling mehr war, und ich seinen Widerwillen gegen die Unternehmung sah, machte ich ihm den Vorschlag, mir einen Diener, welcher der Tubusprache mächtig sei, zu suchen und selbst zurückzubleiben, zumal mir dadurch die Erfüllung meines offiziellen Reisezweckes gesicherter erschien. Doch der brave Mann wies diesen Vorschlag mit einer gewissen Entrüstung zurück, indem er hinzufügte: »Ich habe deinen Freunden in Tripolis versprochen, dich wohlbehalten nach Bornu zu führen, wie ich auch deine Brüder Barth und Rohlfs dorthin geleitet habe. Mit Gottes Hilfe werden wir dies Ziel zusammen erreichen; bis dahin werde ich dich nicht verlassen, und wenn dir bei den verräterischen Tubu ein Unglück zustoßen soll, so will ich dasselbe mit dir teilen.«
Während die Mundvorräte, welche in einem Zentner Mohammes, einem halben Zentner Reis und ebensoviel Zwieback – Buqsmat – bestanden, teils im Hause des freundlichen Hadsch Brahim, teils in der Stadt hergerichtet wurden, begab sich Bui Mohammed in sein heimatliches Dorf, wo sein Sohn meine Kamele weidete, um diese zu holen und um von seiner Familie Abschied zu nehmen.
Bui Mohammed kam mit seiner Ehehälfte, seinem achtzehnjährigen Sprößling, den Kamelen und einem jungen Hunde, den wir mitzunehmen beschlossen, am 4. Juni zurück, an demselben Tage, an dem meine feierliche Entlassung und Uberweisung an den Tubu-Edlen vor dem versammelten Großen Rate stattfinden sollte. Die Frau Mohammeds, ebenfalls von Tubu-Ursprung, doch in Fezzan geboren und alt geworden, hatte mit der Zeit die philosophische Ruhe ihres Eheherrn angenommen, war dunkelfarbig wie er und zeichnete sich durch einen sehr schönen, braunen, ägyptischen Wollenschal für Kopf und Schultern und einen ungewöhnlich ansehnlichen, roten Korallenzylinder in ihrem rechten Nasenflügel aus. Wenn sich auch die Liebe beider nicht sehr lebhaft äußerte, so schienen sie doch in rührender Weise aneinanderzuhängen, und wenn die Gattin die Tibestireise ebenfalls mit mißbilligenden Augen betrachtete, so war es nur aus Besorgnis für Mohammed.
Kolokomi benahm sich vor Pascha und Ratsversammlung einfach, verständig und nicht ohne Würde. Ich ward ihm feierlich anvertraut, eine gewisse Verantwortung für mein Leben und Eigentum auf sein Haupt gewälzt, und er verpflichtet, mich, wenn irgendmöglich, auch nach Borku zu führen, in jedem Falle aber nach Fezzan zurückzugeleiten. Ein feierliches Eingangsgebet des Koran segnete unsere Reise ein, deren Antritt auf den zweitfolgenden Tag festgesetzt wurde.
Meine Freundin hatte denselben Tag zur Abreise gewählt. Ichnuchen wurde im Wadi el-Gharbi erwartet, und sie beabsichtigte, dort die nötigen Verabredungen über eine Reise mit ihm in die Tuarikländer zu treffen. Am Abend des 5. Juni begleitete ich sie zum Westtore hinaus, wo ihre Leute unter den Mauern der Stadt ihr Lager aufgeschlagen hatten. Meine Reise mußte als ein höchst gefahrvolles Unternehmen bezeichnet werden, da die Tubu als wortbrüchig, verräterisch, habgierig, diebisch und grausam bekannt sind, während die ihrige, garantiert durch einen machtvollen Häuptling, der während seines langen Lebens – Ichnuchen war ein hochbetagter Greis – den Ruf der Zuverlässigkeit erworben hatte, und zu einem Volke, von dem man sagt, daß es auf Treu und Glauben und die Heiligkeit der Verträge halte, keinerlei ernste Gefahren mit sich zu bringen schien. In diesem Sinne nahmen wir Abschied voneinander, recht herzlichen Abschied, denn ich hatte während unseres gemeinschaftlichen Aufenthaltes in Murzuq Geist und Herz dieser Dame gleich hoch schätzen gelernt, und ahnte wahrlich nicht, daß ich nach einer leidensvollen Reise und glücklichen Rettung aus großen Gefahren bei meiner Rückkehr durch die Nachricht des blutigen Endes der verratenen Dame mit Schmerz und Entsetzen erfüllt werden würde.
Während sie ihrem Verhängnis entgegen nach Westen zog, verließ ich mit Giuseppe Valpreda, Bui Mohammed, 'Ali el-Fezzani und Sa'ad die Stadt durch das östliche Tor, nachdem der Hadsch Brahim noch einmal meinem Tubugefährten ins Gewissen geredet hatte. Die Tagesstunde war eine sehr vorgerückte – es war 1 Uhr nachmittags –, eine ungewöhnliche Reisestunde im Sommer; doch bei dem seit drei Tagen wehenden Nordostwinde war der Tag kühl und der Himmel im Nordosten und Osten mit der seltenen Zierde dichter Regenwolken bedeckt.
Leider beraubte mich die Wahl dieser Tageszeit, welche jeder redliche Murzuqer unverkümmert der Siesta weiht, der feierlichen Begleitung seitens meiner Freunde, und das Fehlen der gewohnheitsmäßigen Segenswünsche machte mir bei der trüben, verdunkelten Atmosphäre einen recht peinlichen Eindruck. Es hat mich auch später stets sehr wohltuend berührt, wenn beim Antritte einer Reise, welche durch die mancherlei von ihr unzertrennlichen Gefahren und die lange Zeit der Abwesenheit in jenen Gegenden zu einem ganz andern Ereignis wird als in Europa, einer der Zurückbleibenden mit den Worten: »Wohlan, Brüder, das Fatiha!« das Zeichen zur Trennung gab. Es ist ein feierlicher Anblick, wenn alle Anwesenden aufrecht stehend und die Innenfläche der halb erhobenen Hände nach oben gerichtet, das schöne Eingangsgebet des Koran murmeln, mit der Rechten über Gesicht und Bart streichen und mit einfachem Händedrucke oder arabischer Umarmung in ernstem Schweigen auseinander gehen. Nur mein Adjutant Mohammed Ben Alua und ein Nachbar, Musa Ben 'Otman, ein junger Kaufmann von seltener Rührigkeit und Energie, begleiteten mich für eine kurze Strecke.
Unser Weg war in der nächsten Nähe der Stadt wenig anmutig, denn die Gärten und Dattelhaine blieben beiderseits weit entfernt, und der Zerfall der ausgetrockneten Sebchastellen bildete einen schmutzigen Staub, der nichts weniger als angenehm war.
Mehr als vier Stunden nach unserm Abmarsche stiegen wir über eine unbedeutende Hügelreihe in die Ebene hinab, welche zwei bekannte Brunnen enthält, deren westlicher in alter Gewohnheit den Tubu zum Lagerplatze dient, während der östliche von den Tuarik besucht wird, wenn die Zeit der Dattelernte sie herbeilockt.
Der nächste Morgen führte uns in östlicher Richtung über eine ähnliche sandige, licht mit Palmen bewachsene Ebene, zwischen runden, großen Maulwurfshaufen ähnelnden Domranhügelchen vorüber bis Bidan, das wir, nachdem wir das Dorf Zezau nördlich gelassen hatten, vier und eine halbe Stunde nach unserm Aufbruche erreichten. Bidan war ein elender Haufe von Lehmruinen, von denen nur die Moschee und zwei Privatgebäude stehen geblieben waren; die übrigen 30 bis 40 Hausstände bedienten sich der Hütten aus Palmblättern.
Wir hatten die Absicht gehabt, nur die Mittagshitze im Schatten des zum Dorfe gehörigen Palmenhains zu verbringen, doch die Unterbringung meiner beiden überflüssigen Kamele nahm einen großen Teil des Tages in Anspruch.
Der Tag war kühl; ein mäßiger Wind trieb wieder massige Gewitterwolken aus Südosten herauf, und der erfrischende Schatten unserer Lagerstelle bildete einen genußreichen Gegensatz zu dem staubigen und sonnigen Aufenthalte in der Hauptstadt. Die schwarzen Diener hatten sich eine ansehnliche Quantität von Laqbi verschafft und Ali und Sa'ad sich bald in einen unzurechnungsfähigen Zustand versetzt. Der würdige Bui Mohammed vergaß zwar seine Würde nicht so weit, heiterte sich jedoch genugsam an, um eine Beredsamkeit zu entfalten, wie ich sie früher nie an ihm zu bewundern Gelegenheit gehabt hatte. Für mich selbst war diese erheiternde Beschäftigung meiner Dienerschaft, die ich übrigens in träumerischem Rückblicke auf meine Studentenzeit mich nicht entschließen konnte zu stören, von unheilvollen Folgen. Ich war im Schatten einer Dattelpalme sanft entschlummert und erwachte selbst dann nicht, als die fortschreitende Sonne ihre Strahlen auf meine nackten Füße und Unterschenkel herabsandte, während meine Begleiter begreiflicherweise kein Auge für meine Gefahr hatten. Nach dem Erwachen empfand ich einen dumpfen Schmerz und ein eigentümliches Gefühl von Schwere in beiden Füßen, die ersten Symptome einer Entzündung, welche mir einige qualvolle Tage bereiten sollte.
Die Strecke zwischen Bidan und Qatrun ist eine vollständige, teils sandige, teils steinige Wüste, welche nur unterbrochen ist durch die Hattija von Mestuta in der ungefähren Mitte des Weges. Leider stellte sich mehr und mehr heraus, daß die Ausdehnung der Verbrennung meiner unteren Extremitäten eine viel bedeutendere war, als ich gefürchtet hatte. Auf den geschwollenen und heftig schmerzenden Gliedern war eine ausgedehnte Blasenbildung eingetreten, so daß jeder Gebrauch derselben unmöglich wurde. Wenn schon das Kamelreiten ohne wirkliche Reitsättel oder andere komfortable Vorrichtungen nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens gezählt werden kann, so war es unter den obwaltenden Umständen fast unerträglich. Wie glühendes Blei hingen meine Beine auf die Schultern der Kamele herab, und jede zufällige Berührung derselben mit den Knochen des Tieres oder dem Holze der Kisten, auf denen ich saß, verursachte Schmerzen, die mich fast der Besinnung beraubten.
Vom Bir ed-Domran bis Mestuta dehnt sich eine unregelmäßige und hoch gehügelte, schwer zu überwindende Dünenregion aus.
Jenseits begann eine ausgedehnte Vegetation von Rischu (Calligonum comosum) in dichten Büschen auf halbkugeligen Hügeln, welche beträchtlich größer sind als die des Domran. Bald kamen Etelbüsche und Palmengestrüpp hinzu und in reicher Auswahl für die Kamele Had, Aqul und Domran.
Meinen Füßen zuliebe, zu deren Schmerzlinderung und Behandlung ich glücklicherweise etwas Öl besaß, verbrachten wir den ganzen Tag in Mestuta, obgleich der unzureichende Schatten niedriger Tamarisken, deren Ausdünstung überdies dem Menschen schädlich sein soll, wenig einladend war.
Am folgenden Tage drohten bei hochgradiger Hitze Gewitterwolken aus Süden, während wir uns unserm Ziele näherten. Da während der größten Tageshitze, die außergewöhnlich stark zu werden drohte, ein Palmenhain durch Schatten und reichliches Kamelfutter zur Tagesrast einlud, beschlossen wir, erst am Abende die Stadt der Murabidija zu betreten.
Schon hier erhielt ich einen Vorgeschmack von den Ansprüchen und Betteleien, welche mir das Leben unter den Tubu so sehr verbittern sollten, indem Kolokomi der Sucht, vor seinen Landsleuten zu glänzen, nicht widerstehen konnte und nicht ruhte, bis ich ihm einen der feuerroten Burnusse seiner Kollegen zum Herumstolzieren in Qatrun geliehen hatte. Nach der Tageshitze legten wir in anderthalb Stunden, über Kiesboden und an den Gärten der Einwohner vorüber, die kurze Entfernung zurück, welche uns noch von unserm Ziele trennte, und lagerten auf der Südseite der Stadt.
Sofort betätigte sich die Gastfreundschaft des Hadsch Dschaber, der kurzweg der Murabid genannt wurde, durch eine reiche Sendung von Gerstenbrei, Weizenbrot und einigen Hühnern, und am folgenden Morgen erschien der würdige Greis selbst mit seinem Bruder, dem Hadsch Hamdun, und den Vornehmsten der religiösen Bewohnerschaft, um den üblichen Bewillkommnungskaffee einzunehmen und mich seiner Ergebenheit und Dienstwilligkeit zu versichern. Er war ein kräftiger, ziemlich hellfarbiger Mann, dem man seine 80 und einige Jahre nicht ansehen konnte, und herrschte mit unbestrittener autokratischer Gewalt über den Distrikt, dessen Verwaltung ihm anvertraut war. Er sprach kräftig und bestimmt und behandelte seine Mitbürger und die Edlen von Tibesti in gleicher Weise als Untergebene. Der gutmütige Hadsch Hamdun war sein Echo und hatte mit der Zeit die lächerliche Gewohnheit angenommen, die letzten Worte irgendeiner Bemerkung seines berühmten Bruders und Chefs mit einer Energie, die ihm sonst fremd war, gleichsam zur Bekräftigung zu wiederholen. Während jener sprach, ergötzte er mich durch die sonderbarsten mimischen Bestrebungen, die zum Zweck hatten, mir eine hohe Idee von der Macht, der Klugheit und der Freundschaft seines Bruders beizubringen. Schweigend saßen die andern, unter denen der hervorragendste der Hadsch Mahmud, der Schreiber der Genossenschaft war, und tranken eine Tasse Kaffee nach der andern, während ich aus Höflichkeit Vorläufig vermied, geschäftliche Angelegenheiten in die Unterhaltung zu ziehen.
Es herrschte an diesem Tage eine so hochgradige Hitze bei sehr schwachem Südwinde (wir kamen um 2 Uhr nachmittags bis auf 49°C im Schatten), daß ich auch ohne meine noch nicht geheilten Beinwunden nicht imstande gewesen wäre, etwas zu unternehmen. Aus dem Zelte eilte ich in den Schatten der vollblättrigen, aber vereinzelt stehenden Dattelpalmen, wo wenigstens von Zeit zu Zeit ein leiser Windstoß momentan Erfrischung brachte. Doch der Sand des Bodens glühte und trieb mich wieder in das Zelt. Die Hunde gruben mit verzweifelter Energie an schattigen Stellen Löcher in den Sand, waren jedoch nicht imstande, die kühle Bodenschicht zu erreichen, und die geschenkten Hühner lagen halbtot mit weit aufgesperrtem Schnabel da. Jeder Trunk des lauwarmen Wassers schien die Qual zu vermehren, und die Verminderung der Kleidungsstücke gab nur für Augenblicke das Gefühl der Erleichterung.
Kolokomi ließ sich durch diese Temperaturverhältnisse nicht in der Befriedigung seiner Eitelkeit beirren, sondern stolzierte in dem roten Tuchmantel, der bald die Schultern eines seiner Landsleute zieren sollte, durch die Straßen der Stadt, als wenn winterliche Kälte geherrscht und das prächtige Kleidungsstück ihm gehört hätte. Überhaupt begannen meine Tububegleiter jetzt, wo ihre Landsleute häufiger wurden, mehr auf ihre äußere Erscheinung zu halten; sie gingen nur noch vollständig bewaffnet, den Kopf mit einem Schal umwickelt, der gleichzeitig das Gesicht verhüllte, kokettierten mit religiösen Emblemen, trugen Rosenkränze in der Hand, Talismane um den Hals und heil- und zauberkräftige Koransprüche in mannigfach geformten Ledertäschchen an Hals und Oberarm, Turban und Tobe. Wolla schien viel bewanderter und fester in den Anforderungen und Anschauungen ihrer Religion zu sein als Kolokomi. Dieser, wenn er auch höchst regelmäßig seiner Betpflicht nachkam und ungefähr gelernt hatte, zuvor seine Abwaschung vorzunehmen, ohne die Vorschriften des Propheten grob zu verletzen, hatte nicht einmal vermocht, seinem schwerfälligen Gehirne den zum Beten notwendigen Inhalt des Koran einzuverleiben. Den Eingang zum mohammedanischen Glaubensbekenntnisse sprach er mit volltönender Stimme, doch dann folgte nur noch unverständliches Gemurmel, durch das er seine beschämende Unkenntnis zu verbergen trachtete.
Kaum hatte ich am folgenden Morgen durch Bui Mohammed einen feinen weißen Wollenburnus und ein Fläschchen mit Rosenessenz an den Hadsch Dschaber und einen tunisischen Tarbusch an den Hadsch Hamdun übersendet, als der erstere mit seinem gestrigen Gefolge erschien, um die geschäftlichen Rücksprachen zu nehmen. Nur der gelehrte Sekretär hatte seinem Chef sagen lassen, er könne sich an dem Besuche nicht beteiligen, da ich ihn bei der Verteilung von Geschenken vernachlässigt habe. Nachdem diese kleine Differenz erledigt und Hadsch Mahmud durch das Opfer eines Mariatheresientalers meinerseits versöhnt war, teilte mir der Hadsch Dschaber mit, daß er nach Kenntnisnahme des Ben Aluaschen Briefes beschlossen habe, mir den Murabid Bu Zeid als Begleiter mitzugeben, also gerade die Person, welche von meinem alten Mohammed als die geeignetste bezeichnet worden war. Da Bu Zeid noch in seinem heimatlichen Dorfe weilte, ließ sich über den ihm zu zahlenden Preis noch nichts festsetzen.
Der Hadsch Dschaber nahm Kenntnis von den mit Kolokomi vereinbarten Bedingungen und wies einen Versuch desselben, schon vor der Abreise in den Besitz der zweiten Hälfte des festgesetzten Mietpreises zu gelangen, sehr entschieden zurück. Kolokomi nämlich fürchtete, daß bei unserer Ankunft in Tibesti der König oder Häuptling – Dardai – Tafertemi und die übrigen mächtigeren Mainas Protest gegen meine Besichtigung des Landes erheben und daraus Schwierigkeiten für die Restzahlung erwachsen würden. Er entwickelte seinen Plan vor dem Hadsch Dschaber dahin, daß er mich mit Umgehung anderer bewohnter Plätze in das Wadi Zuar, den Wohnsitz Tafertemis und der angesehensten Edlen, führen und von dort, nach Maßgabe der Haltung der letzteren, entweder auf die Rundreise oder nach Fezzan zurückgeleiten werde. Hadsch Dschaber billigte diesen Plan und bestätigte, daß alles darauf ankommen würde, die Geneigtheit der Herren von Zuar zu gewinnen, unter denen Arami, Brahim und sein Bruder Tokomi, Akremi Temidomi und einige andere die maßgebende Rolle für ganz Tibesti spielten; die Edlen von Bardai seien von geringerer Bedeutung.
Die Heilung meiner Sonnenbrandwunden war so weit vorgeschritten, daß ich nachmittags eine Besichtigung der Stadt vornehmen und dem Hadsch Dschaber meinen Gegenbesuch machen konnte.
Die Stadt ist rings von unregelmäßigen sandigen Erhebungen umgeben, auf denen im Norden, Osten und Süden eine Tubukolonie ihre luftigen Behausungen errichtet hat. Diese Bevölkerung ist mehr oder weniger flottierend, bleibt jahrelang, kehrt auf ebensolange in ihre Heimat zurück, und wenn manche die Wiederkehr vergessen, so treten dafür andere an ihren Platz. Ihre Behausungen waren ausschließlich aus Blättern der Dattelpalme angefertigt, die zuweilen durch Verschmierung mit Erde zu einer homogenen Wandung verbunden waren, und zeichneten sich durch Sauberkeit und vielfach durch Zierlichkeit und Geschmack in der inneren Einrichtung aus.
Die Wohnungen bestanden aus einer viereckigen Umfriedigung, an die sich einerseits im Innern die eigentliche Wohnung lehnte, welche sich aus vier teils bedachten, teils oben offenen Räumlichkeiten zusammensetzte. Das Hauptgemach diente als Wohn- und Schlafzimmer, war groß und leer, hatte aber in einer Ecke eine Erdbank und hier und da die Zierde von Matten. Daneben lag ein ebenfalls bedachter Raum zur Verrichtung häuslicher Arbeiten, wie zum Beispiel des Getreidemahlens. Es folgte ein weiterer, in dem allerlei Werkzeuge und Reiseutensilien aufbewahrt wurden, und endlich ein unbedachter Kochraum. Zwischen den Gemächern und der äußeren Umfriedigung lief ein ebenfalls unbedachter Korridor, auf den die Türöffnungen der ersteren mündeten, und in einer Ecke des noch übrigen Hofraums befand sich ein kleines, fast halbkugeliges Häuschen, etwa von der Form ländlicher norddeutscher Backöfen, das zum Nachtaufenthalte in der Winterkälte diente, aus steingemischter Erde oder aus Palmenblättern mit dicker Erdbekleidung hergestellt war und eine kleine Türöffnung hatte, welche gerade das Hineinkriechen gestattete.
Vor der Wohnung, welche etwa menschliche Höhe hatte, diente gewöhnlich ein kleiner, sauberer Vorplatz mit sorgfältig gehärtetem Boden zum Betplatz, zum abendlichen Aufenthalte in freier Luft und zum Empfange etwaiger Besucher. Außerhalb der Umfriedigung hatten fast alle noch einen kleinen bedeckten Raum zur Aufnahme für die Haustiere. Von diesen letzteren erblickte man hier und da ein Kamel der Tubuzucht, einige große Schafe mit schwarzem, langem, schwach gelocktem Haar, ähnlich der in Murzuq gesehenen Art der Tuarik, doch größer, und hauptsächlich untersetzte, glatt- und kurzhaarige Ziegen.
Am folgenden Tage kam Bu Zeid von Bachi und erklärte sich in einer Zusammenkunft mit ihm beim Hadsch Dschaber zu meiner Begleitung bereit, wenn die Dauer der Reise nicht einige Monate überschreiten würde. Er war ein noch junger, magerer Mann, von gelblich dunkler Hautfarbe und ovalem Tubugesicht, ernst und verständig, doch äußerst zähe in seinen persönlichen Ansprüchen und sonstigen Forderungen.
Als ich mich notgedrungen weigern mußte, seinen Anforderungen Folge zu geben, riet er mir wohlmeinend und ernstlich noch einmal von der ganzen Reise ab. Er war der Überzeugung, daß jeder Einwohner von Tibesti irgendeinen Anspruch an mich zu erheben berechtigt sei, und wurde von allen Sachverständigen in der Meinung unterstützt, daß jedermann, der ohne besondere Familienverbindungen daselbst das Land besuche, notwendig mit nichts wiederkehren müsse. Dazu erhöhte er die Zahl der zu ansehnlichen Geschenken berechtigten Mainas von sieben auf dreizehn, so daß ich, da ich nach den bereits gebrachten Opfern den Plan nicht aufgeben wollte, mit schwerem Herzen darin willigen mußte, meine Wertstücke erheblich zu vermehren.
Nach Vollendung der neuen Vorbereitungen konnte unsere Abreise erfolgen, für diesen Tag freilich nur nach dem nahen Bachi, wo wir Bu Zeid abholen wollten.
Bachi liegt nur zwei Marschstunden in südwestlicher Richtung von Qatrun.
Seit ich Qatrun erreicht hatte, erhielt ich fast täglich Besuch von Tibestileuten, welche sich auf Grund meines Planes, ihre Heimat zu besuchen, für berechtigt hielten, Ansprüche an mich zu erheben, und welche meine eigentlichen Absichten in bezug auf ihr Land zu ergründen wünschten. In Bachi, wo die Tubu an Zahl die Fezzaner sehr überwogen, wurden diese lästigen Besucher noch viel häufiger, und während ich mich in Qatrun ihrer durch etwas Kautabak entledigt hatte, wurden jetzt ihre Ansprüche schwerer zu befriedigen.
Die Mehrzahl der Leute war von dunkler Hautfarbe mit verschiedengradig gelblicher Beimischung; die eigentlich schwarze Haut war sehr selten, doch eine dunkle Bronze- oder auch Kupferfärbung ziemlich häufig. Alle waren magere, fast gänzlich wadenlose Leute von ebenmäßigem Bau, kleiner Mittelgröße und sehr zarten Gliedmaßen und entfernten sich physiognomisch wesentlich von dem Typus, den man in allerdings recht unbestimmter Weise als den der Neger zu bezeichnen gewohnt ist. Ovale Gesichter von geringem Prognathismus, mit sehr häufig wohlgeformten Nasen und wenig hervortretenden Jochbögen walteten vor. Ihr Haar war weniger kurz oder verfilzt als bei den meisten Negern, ihr Bartwuchs ebenfalls spärlich, ihr Auge lebhaft und intelligent, ihr Gang und ihre Bewegungen elegant und elastisch.
Die Männer trugen den Kopf meistens rasiert und mit einem Käppchen bedeckt. Die Hauptzierde aber, auf welche sie einen besonderen Wert legten, war der Turban, der, aus Musselin oder womöglich aus einem dichteren, schwarzblau gefärbten Baumwollenstoffe bestehend, so um den Kopf gewunden wird, daß eine Tour, der Gesichtsschleier oder Litham, den unteren Teil des Gesichts, Kinn, Mund und Nase verhüllt. Ihre übrige Kleidung war ärmlich und bestand in Hemd und Beinkleid aus ungebleichtem oder blau gefärbtem Cham oder in groben Toben aus Bornu; doch wenn ihre Vermögensverhältnisse es gestatteten und sie sich eine der oben angeführten Sudantoben gekauft hatten, so spreizten sie sich mit einer solchen Selbstgefälligkeit und Ostentation, daß man sah, welchen Grades von Eitelkeit sie fähig waren. An den Füßen trugen sie höchstens Sandalen.
An Waffen sah ich zuweilen ovale Schilde aus Antilopenfell von etwa fünf Fuß Höhe und mäßiger Konvexität. Ich beobachtete einen der Bekannten Bu Zeids, als er sich diese Schutzwaffe aus dem frischen Felle nach dem Höhenmaße seiner Augen und in zweckmäßiger Breite schnitt und dann auf einer Form aus hart gestampfter Erde weiter bearbeitete.
Die Frauen trugen ihr Haar seitlich und hinten in unzählige dünne Flechten geordnet, welche, wohl eingefettet, bis auf den Hals herabhingen. In der Mittellinie des Kopfes verlief bei jungen Mädchen eine dickere Flechte von der hochrasierten Stirn bis zum Nacken, und die verheirateten Frauen hatten deren zwei. Dieselben waren durch verschiedene silberne oder elfenbeinerne Ringe oder Halsringe in verschiedener Anordnung befestigt und verziert.
Am Vorderarme trugen sie bis zu einem Dutzend Armbänder aus Horn oder Elfenbein, welche sich dann vom Handgelenk bis über die Mitte des Vorderarmes hinauf erstreckten. Uber den Fußknöcheln lenkte ein eng anschließender dünner, breiter, silberner oder kupferner Ring die Aufmerksamkeit des Beschauers nach unten, und das Auge haftete dann mit Bewunderung auf den feingeformten, hochgespannten Füßen, um welche manche elegante europäische Dame die halbwilde Schöne beneiden würde.
Fast unentbehrlich war ein kleiner Zylinder der Edelkoralle im rechten Nasenflügel. Wenn dieser, welcher nicht immer leicht erschwinglich war, fehlte, so wurde er einstweilen ersetzt durch einen Zylinder aus Achat, Elfenbein oder Horn, und die alte Gemahlin des Dardai Tafertemi von Tibesti, welche sich dieser in Fezzan angeschafft hatte, als seine Jahre ihm noch erlaubten, öfters dorthin zu reisen, und welche mir einen Besuch abstattete, entblödete sich nicht, in Ermangelung aller andern Zieraten einen Dattelkern in das Loch des Nasenflügels zu fügen.
Die Kleidung des weiblichen Geschlechts bestand vorwaltend in einem blauen, eng anschließenden Hüftenschal und einem ähnlichen Kopf- und Schultertuche, welches im Vermögensfalle von der Art war, welche ich für die Tibestigattin Tafertemis gekauft hatte. Viele begnügten sich mit dem Hüftentuche und waren, wenn bejahrtere Frauen, dann allerdings abschreckend in ihrer Magerkeit und mit den ausgetrockneten Brüsten, welche in Gestalt einer Hautfalte herabhingen. Die jungen Mädchen dagegen, welche sämtlich Kopf und Oberkörper unbedeckt trugen, waren reizend in der mäßigen Rundung ihrer zierlichen, harmonischen Formen. Arme oder wenigstens unzivilisierte Frauen, welche erst kürzlich aus ihrer wilden Felsenheimat nach Fezzan gekommen waren, trugen auch wohl als einzige Bekleidung das schön behaarte Fell der großen, schwarzen, kurz zuvor erwähnten Schafe. Doch diese waren vereinzelte Erscheinungen und wohl nur zu vorübergehendem Aufenthalte nach Fezzan gekommen. Bis zur Pubertät gehen die Kinder beiderlei Geschlechts gänzlich nackt; höchstens tragen die kleinen Mädchen Gürtel, von denen vorne lange Schamfransen aus Leder herabhängen. Den Knaben rasiert man ebenfalls meist den Kopf, läßt jedoch häufig entweder einen Schopf auf dem Scheitel oder eine lange, breite Haarlinie vom Vorder- bis zum Hinterkopfe gleich einem Helm- oder Hahnenkamm stehen, was ihnen ein höchst drolliges Aussehen verleiht.
Nach Ankunft Bu Zeids waren wir auf dem westlichen Rande der Talniederung marschiert; in der Nähe Tedscherris zeigte sich bei derselben Wegrichtung die dichteste Vegetationslinie westlich von uns, während unsere nächste Umgebung sich auf spärlichen Dis- und Sebatwuchs beschränkte.
Der traurige Zustand Tedscherris entsprach vollkommen dem armseligen Eindruck, welchen der abgerissene, bescheidene, einäugige alte Bürgermeister auf mich gemacht hatte. Die Stadt liegt übrigens reizend in ihrem von Hügeln umgebenen, mit Palmenhainen und Gärten bedeckten flachen Kessel, und aus der Ferne gesehen sieht das riesenhafte Kastell, um das sich die Häuser gruppieren, imponierend genug aus. In diesem hatte einst jeder Einwohner für die Zeiten der Gefahr eine kleine Wohnung, in welcher er einige Vorräte aufbewahrte.
Keine von den bisher gesehenen Städten Fezzans trug den Charakter der Verkommenheit neben den Spuren einer relativen früheren Größe so ausgesprochen wie Tedscherri. Nicht einmal Datteln, welche der zweckmäßigste Reiseproviant für die Kamele gewesen sein würden, gab es zu kaufen; wir mußten uns damit begnügen, für die Tiere auf drei bis vier Tage Sebat zu schneiden, an welchem Grase die Gegend am reichsten ist.
Auch hier machten manche Tubujünglinge ihre Aufwartung, um formell ihre Ansprüche an meine Großmut geltend zu machen, und ich ließ sie, wenn Mohammed oder Bu Zeid ihre aristokratische Abstammung bezeugen konnten, nicht unbeschenkt von dannen gehen. Unter ihnen zeichnete sich Birsa aus, der gleichzeitig mit uns nach Tibesti zurückzukehren beabsichtigte, so versprach ich ihm für den Fall seiner Begleitung ein Haußagewand, einen Tarbusch und einen Turban, was um so geratener schien, als Bui Mohammed in seiner stillen Weise, Erkundigungen einzuziehen und Beobachtungen anzustellen, die Überzeugung gewonnen hatte, daß die anwesenden Tubu trotz der anständigen Behandlung, welche sie meinerseits erfuhren, Verrat brüteten.
Kolokomi sondierte die Gesellschaft seiner Landsleute, und es fand sich in der Tat, daß dieselben darauf rechneten, uns an einem Brunnen südöstlich von Meschru zu überfallen, auszuplündern und mich so zur Rückkehr nach Fezzan zu zwingen. Noch einmal suchten der einäugige Ortsvorsteher Abd el-Kader und der schwarzsehende Mohammed mich von der Reise abzubringen. Doch der Verwirklichung meines Planes so nahe und nach den gebrachten schweren Opfern konnte ich mich nicht zur Umkehr entschließen, und nachdem die verräterischen Tubu, die fast sämtlich aus Abo stammten, am 22. Juni aufgebrochen waren, setzten auch wir tags darauf unsere Reise fort. Dies war der Tag des Milad, des Geburtstages des Propheten, und da ohnehin der Beginn einer größeren Reise durch ein Extrafleischgericht gefeiert zu werden pflegt, das den Namen Bu Safar, das heißt Vater oder Anfang der Reise, führt, so hatten wir abends zuvor einen fetten Ziegenbock geschlachtet und verzehrten ihn morgens vor dem Aufbruche zu Ehren des Propheten und zur Inaugurierung einer glücklichen Reise.
Wir brachen gegen Abend auf, um den Südabhang des Gebirges zu gewinnen. Unter Windungen erreichten wir schnell die höchste Höhe; vor uns nach Südosten lagen die von mir angestrebten, noch nie von europäischem Fuße betretenen Landschaften. Freilich waren dieselben von diebischen, verräterischen, gewalttätigen Menschen bewohnt, doch der überwältigende Reiz, der im Unbekannten liegt, und der Rückblick auf die glänzenden und glücklichen Beispiele meiner Vorgänger in solchen Unternehmungen ließen mich mit Hoffnung und Zuversicht in die nächste Zukunft schauen. Nach einem dreistündigen, mühsamen Marsche, der durch die einbrechende Dunkelheit und durch den Mangel an Gewohnheit der arabischen Kamele im Bergsteigen erheblich erschwert ward, schlugen wir auf der Südseite des Tümmo unser Nachtlager auf.
Gegen Abend bedeckte schwarzbrauner Sandstein häufig die Gegend, und oft waren weite Strecken regelmäßig belegt mit großen Platten eines grauen, schieferigen Gesteins. Nach Sonnenuntergang herrschte wieder weicher, kalkiger, viel gebügelter Boden vor, und als wir nach fünfstündigem Marsche auf eine Stelle notdürftigen Kamelfutters stießen, nächtigten wir, obgleich Kolokomi nach dem Aufhören des Windes und der Klärung der Atmosphäre noch vergeblich nach unserm Ziele in der Ferne ausgeschaut hatte. Noch am Abend erteilte er uns die Warnung, nicht zu verschwenderisch mit dem Wasser umzugehen, da der Weg noch weit sei. Der Rat kam etwas spät; denn auf die sichere Ortskenntnis unseres Führers und nur zwei wasserlose Tage zählend, hatten wir mehr als die Hälfte unserer sechs Wasserschläuche geleert.
Wir befanden uns in der Mitte des Sommers, wo zweitägige Wasserentziehung fast sicheren Tod bedeutet, und die Verdunstung verschlang große Quantitäten unseres fast erschöpften Vorrates trotz des ausgezeichneten Zustandes unserer Schläuche. Für das Ende des zweiten Tages hatte uns Kolokomi einen Brunnen in Aussicht gestellt; unser Wasserrest mußte im Laufe des folgenden Tages selbst bei der sorgfältigsten und sparsamsten Einteilung endigen, und die untergehende Sonne zeigte uns unser Ziel in weiter Entfernung, deren ganze Größe ich freilich nicht zu beurteilen vermochte.
Im Beginne der eigentlichen Nacht stellte sich unserm weiteren Marsche eine Bergmasse entgegen, die wir in der Dunkelheit unter schweren und rastlosen Anstrengungen vergebens zu überwinden versuchten. Kolokomi ließ uns keine Ruhe. Hatten wir in einer ansteigenden Schlucht nach langer Arbeit unübersteigliche Hindernisse gefunden, so kehrten wir um und versuchten es in einer andern, um schließlich entmutigt eine dritte Angriffsstelle mit noch geringerem Erfolge zu wählen. Seit der mitgenommene Sebat Tedscherris zu Ende war, hatten die Kamele keine ordentliche Nahrung eingenommen; die Hochebene Alaota Kju ist solcher gänzlich bar.
Nach vielstündigen, vergeblichen Mühen standen wir gegen 3 Uhr morgens einstweilen von der Fortsetzung unseres Beginnens ab und beschlossen, bis Anbruch des Tages neue Kräfte zu sammeln.
Noch besaßen wir einen halben Schlauch Wasser, und zehn Personen sollten davon ihren Anteil empfangen; das konnte mitten im Sommer nicht weit reichen. Die Sonne des Hochsommers trocknet alles aus und rechtfertigt im Verein mit der ungewöhnlichen Anstrengung einen reichlichen Wasserverbrauch. Gerhard Rohlfs führte bei einer sommerlichen Wüstenreise an einem Tage seinem Körper zehn Liter Wasser zu; und wir hatten für sechs Mann – Kolokomi und Bu Zeid besaßen für ihre Personen noch kleine Mengen – im ganzen höchstens zehn Liter. Dazu waren unsere Kamele, wenigstens die meinigen, sehr abgemattet; die der Tubuvarietät angehörenden meiner Begleiter, welche weniger beladen gewesen und an Felsklimmen gewöhnt waren, hatten die Schwierigkeiten des Terrains besser überwunden.
Nachdem wir die mühevolle Felsgruppe verlassen hatten, wagten wir schon nach einstündigem Marsche nicht mehr, den Kamelen den Weitermarsch unter dem Einflüsse der Sonne zuzumuten, sondern verbrachten den größten Teil des Tages, dessen hochgradige Hitze durch den äußerst schwachen Ostwind nicht gemildert wurde, in einer Bodensenkung, in der ein kümmerlicher Hadbestand einige grüne Pflänzchen entdecken ließ. Doch Kamele fressen bei großer Tageshitze ungern, und lieben zu diesem Zwecke die frühen Morgen- und Nachtstunden; sind sie aber, wenn auch nur momentan, übermüdet, so bedürfen sie zunächst der Ruhe, oder ihr Appetit muß durch frische Kräuter oder etwas Wassergenuß angeregt werden.
Wir warteten die Verminderung der Hitze im unzulänglichen Schatten des Zeltes ab und zehrten in dieser Zeit unsern Wasservorrat auf, ohne unsere durstigen Organismen dadurch befriedigt zu haben. Dann strebten wir wieder voran, über Stein und Sand, durch Schluchten und über Felsen unserm fernen Ziele zu, das sich in der hügeligen und felsigen Gegend den Blicken entzog, und wurden nur zu oft durch Terrainschwierigkeiten genötigt zurückzugehen, die Richtung zu wechseln und Hindernisse zu umgehen. Von Zeit zu Zeit erklomm Kolokomi einen Felsen, um nach dem wasserverheißenden Berge auszuspähen, und dann verrieten seine Züge eine Unsicherheit, welche ich nicht mehr allein einer falschen Berechnung der Entfernung zuzuschreiben wagte, sondern in welcher ich deutlich einen Mangel oder Verlust der Orientierung erblickte.
Stumm wanderten wir einher, Nase und Mund durch Turbanstoff verhüllt, um die Austrocknung der Schleimhäute und dadurch den Durst zu verringern; jeder unserer Blicke hing mit angstvoller Spannung an den Zügen des Führers, den direkt zu fragen uns die beginnende Mutlosigkeit verhinderte. Wieder suchte er die Höhen, wieder hingen wir sprachlos voll Furcht und Erwartung an seinen Mienen, und immer entmutigender ward die deutliche Antwort seiner unsicheren Blicke, die er höchstens noch verständlicher machte durch das oft gehörte: noch nicht! Sonnenuntergang kam; die Zeit der größten Durchsichtigkeit der Atmosphäre war vorüber, und: ma zal, noch immer nicht!
Immer stiller und stiller wurde die Gesellschaft, in der jeder das düstere Gespenst ernstlicher Wassernot vor seinen inneren Augen auftauchen sah. Mit der Energie der Furcht vor dem am meisten gefürchteten Schicksal der Wüstenreisenden folgte jeder dem Führer; doch als eine vollständige Finsternis hereingebrochen war, weigerte ich mich nach der traurigen Erfahrung der verflossenen Nacht und ihrer nutzlosen Kraftvergeudung, weiterzumarschieren, sondern drang darauf, den Aufgang des Mondes abzuwarten. Dies trug mir einige Stunden Rast in der erfrischenden Kühle der Nacht ein; doch für einen wirklich erquickenden Schlaf war mein Gemüt zu aufgeregt und mein Körper zu ermüdet. Kurz nach Mitternacht nahmen wir den entsetzlichen Kampf wieder auf; doch jetzt gaben alle, Menschen und Tiere, deutliche Spuren überwältigender Ermattung kund. Der eine blieb zurück und konnte nur durch gewaltsame Aufrüttlung zur Fortsetzung des Marsches gezwungen werden; ein anderer kratzte feuchte Erde aus dem Boden, als wenn sie Aussicht auf lebendiges Wasser eröffnete; ein dritter bat flehentlich um einen kleinen Trunk Wassers, da bekannt geworden war, daß Giuseppe einen kleinen Vorrat für die äußerste Not aufbewahrt hatte, und 'Ali und Sa'ad flehten vergebens, beritten gemacht zu werden. Solange nicht der beginnende Tag unsere räumlichen Fortschritte klar gemacht hatte, solange die Hoffnung nicht wuchs, konnten die Kamele nicht noch mehr belastet, durfte der letzte Tropfen Wasser nicht gewissermaßen nutzlos verschleudert werden.
Der Morgen kam, und die Hoffnung Kolokomis schien mit der gehaltenen Umschau nicht zu wachsen. Sein Vetter Wolla und Bu Zeids Diener Galma wurden vermißt und waren wahrscheinlich im Dunkel der Nacht unbemerkt zurückgeblieben. In ernster Beratung waren die wüstenkundigen Männer Kolokomi, Bu Zeid, Birsa und der alte Qatruner darüber einig, daß weder Mensch noch Tiere in der bisherigen Weise den gesuchten Brunnen zu erreichen vermöchten. Ich mußte mich also entschließen, das Gepäck zurückzulassen und die Leute sämtlich beritten zu machen, um wenigstens das Ziel, wenn der Weg zu ihm gefunden sein würde, erreichen zu können. Der gleichmütige Bui Mohammed suchte vorsorglich eine hochgelegene Stelle für unsere Habe, da man nie wissen könne, ob nicht ein plötzlicher Regen das Tal mit einem rauschenden Wasserstrome anfüllen werde, und die Tiere wurden entlastet. Daß die Sachen ohne Bewachung oder Versteck auf freiem Felde gelassen wurden, hatte in dieser so selten von Menschen besuchten öden Wildnis durchaus kein Bedenken. Giuseppe ging an die Verteilung des Wasserrestes. Jeder erhielt ein volles Glas von sechs bis acht Unzen des köstlichen Naß, das die Frische der Nacht und die Verdunstung von der Oberfläche der Qirba fast eisig gekühlt hatte, und gierig sogen wir, mit schmerzlichem Bedauern, daß es nicht mehr sei, den letzten Tropfen ein. Der letzte war Kolokomi. Er schob seinen Gesichtsschleier von Nase und Mund nach unten über das Kinn zurück, ergriff das Glas, nahm einen Schluck, kühlte die Schleimhaut seines Mundes mit demselben, spritzte es in langem Strahle durch eine Zahnlücke von sich, als ob es nicht heiliges Wasser, sondern der gewöhnliche Inhalt eines Tubumundes, grünlicher Tabaksaft, wäre, und reichte mir den Rest mit dem Bemerken, daß er noch keinen Durst habe, aber wohl begreife, daß wir als Leute des Wassers sogar diesen erst beginnenden Mangel nicht ertragen könnten. Es ist nämlich eine allgemein verbreitete Ansicht in jenen Gegenden, daß die Christen auf sumpfigen Inseln mitten im Meere, eng zusammengedrängt, ein halb amphibisches Leben führen. Der Mann imponierte mir, wie er, ausgetrocknet gleich den öden Gefilden seiner Heimat, hart und schroff, wie die Felsen seines Landes, nichts von seiner Energie eingebüßt hatte. Auch Bu Zeid, Birsa und der alte Qatruner hatten etwas von dieser Wüstennatur in sich, während wir beiden Christen, mit Sa'ad und 'Ali eine Kategorie bildend, von jenen mit einem Mitleid, das nicht ganz frei von Verachtung war, betrachtet wurden.
Von den beiden Hunden, welche uns begleiteten, mußte Feida schon seit manchen Tagen zu Kamel transportiert werden. Schon ehe sie Qatrun erreichte, hatte der kiesige Sand und seine Temperatur die harte Haut der Fußsohlen durchgescheuert und entzündet, und bald waren diese in offene Wunden verwandelt. Dudschali dagegen, trotzdem seine Füße ebenfalls in einem traurigen Zustande waren, konnte nicht bewogen werden, auf dem Kamelrücken zu bleiben, obgleich ihm die qualvolle Hitze und die grenzenlose Ermüdung unaufhörlich ein jämmerliches Wimmern und Klagen auspreßte.
Kolokomi und Bu Zeid waren dank der Leichtfüßigkeit ihrer Tubukamele bald unsern Blicken entschwunden, während wir unsere Tiere nur durch unmenschliche Züchtigung bewegen konnten, ihren Spuren zu folgen. Die uns in nächster Nähe umgebenden Felsen verhinderten den freien Umblick und verdeckten uns das lockende rettende Ziel. Da, etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang, eröffnete sich vor uns plötzlich ein weites Flußbett, dessen Anblick unsern Mut wieder anfachte und uns mit neuer Energie belebte. Am Ursprunge desselben, zu den Füßen der hohen finsteren Felsen, die wir aus der Ferne erblickt hatten, sollte der heißersehnte Brunnen liegen. Die Hoffnung wuchs, als in dem reinen Sande des Bettes zahlreiche Fußspuren von Kamelen, Eseln, Antilopen zu beweisen schienen, daß noch in jüngster Zeit Wasser in der Nähe war. Zum ersten Male sah ich hier den kräftigen Eindruck des Straußenfußes im Sande, der stets für ein sicheres Zeichen von Wasser in nicht zu großer Ferne gilt. Allerdings wollte der alte Qatruner, dessen Natur sich nicht leicht zu sanguinischer Hoffnung fortreißen ließ, dieser Erscheinung nicht den hohen Wert beilegen, den ihr meine Phantasie zuschrieb. Auf meine Verwunderung darüber erklärte er mir, daß bei der großen Ausdehnung des gebirgigen Gebietes und bei dem eng zwischen hohen Felsen eingebetteten Sande solche Spuren sich lange unbedeckt und unverwischt in scheinbarer Frische erhalten können, und daß also kein sicherer Schluß aus ihnen zu ziehen ist. So viel schien mir wenigstens klar, daß, wenn überhaupt Wasser am Ursprunge des Flußtales vorhanden war, wir dasselbe erreichen mußten; dem Gedanken, daß der Brunnen leer sein könne, wagte ich nicht Raum zu geben.
Unser Weg war uns jetzt vorgezeichnet, und mit Aufbietung aller unserer Kräfte trieben wir mit unsern eisernen Ladestöcken und mit Knütteln die armen, erschöpften Tiere vorwärts und folgten den Windungen des Flusses. Bald erhob sich der größte Feind des vom Durste Bedrohten oder Gequälten, die Sonne, zu bedenklicher Höhe. Glühend sandte sie ihre Strahlen auf die dunkelfarbigen Felsen der Ufer und auf den hellen Sand zwischen denselben, und Strahlung und Rückstrahlung versetzte uns bald in ein Meer von Feuer und Glut. In ihm erstarb die momentan aufgeflackerte Tatkraft, drohte der kaum angefachte Hoffnungsfunke schnell wieder zu erlöschen. Furchtbarer Durst stellte sich ein; die Mund-, Rachen-, Nasen- und Kehlkopfschleimhaut wurde ihrer letzten Feuchtigkeit beraubt; um Schläfe und Stirn schien sich ein eiserner Ring enger und enger zu schließen. Kein erfrischender Windstoß erreichte uns im engen Tale; die Augen brannten schmerzhaft, die Ermattung wurde grenzenlos. Außerdem trugen die Kamele der Hoffnung auf Rettung, welche in der Ferne winkte, keinerlei Rechnung, sondern begannen in beunruhigender Weise mit den Sajälakazien zu liebäugeln, welche hier und da im Flußsande durch ihr spärliches, aber kräftiges Grün das Auge erquickten und durch ihren, wenn auch noch so kümmerlichen Schatten zur Rast einluden. Zweimal legte mein ermattetes Tier trotz meiner Schläge seine müden Glieder unter einen Baum, und zweimal gelang es mir, durch Verdoppelung der Züchtigung das arme Geschöpf zu qualvollem Weiterschwanken zu bewegen. Doch als dasselbe sich in der Mitte des Vormittags zum dritten Male in das Geäst einer Akazie, deren lange, kräftige Stacheln mir die Haut zerrissen, gedrängt und niedergelegt hatte, entfaltete es den ganzen Eigensinn seiner Art und war durch nichts zu bewegen, den sauer errungenen Schatten aufzugeben.
Ich war schon geschwächt genug, um eine geheime Befriedigung über den Entschluß meines Trägers zu empfinden und ohne Rücksicht auf die drohend nahe Zukunft mich am nächsten Genüsse des Schattens zu erlaben. Als die Kamele meiner Gefährten nach und nach eintrafen, folgten sie ohne Zaudern dem Beispiele ihres Vorgängers und krochen mit ihrer menschlichen Bürde unter den Baum. Bald waren wir alle vereint und beschlossen, bis gegen Abend im Schatten zu verweilen und dann zu versuchen, mit dem Reste unserer Kräfte den Brunnen zu erreichen, wenn bis dahin Kolokomi und der Murabid kein Wasser gesandt haben sollten. Letzteres hoffte ich natürlich von ganzem Herzen und suchte meinen Gefährten diese Hoffnung so sicher und wahrscheinlich als möglich darzustellen.
Leider gelang es mir nicht, auf diese Weise die Lebensgeister 'Alis und Sa'ads aufzumuntern. Der erstere verfiel schnell in einen Zustand halber Bewußtlosigkeit, der mir eine so ernstliche Besorgnis einflößte, als der erwachende Egoismus der eigenen Lebensgefahr zuließ. Der letztere sprach mit entstellten Zügen nur von seinem nahen Tode, mir für den Fall meiner Rettung seine Frau und Kinder auf die Seele bindend, erging sich dann in bitteren Vorwürfen gegen mich, sie trotz der Warnung aller vernünftigen Leute in dies gräßliche Land geführt zu haben, und bereitete sich endlich durch laute heiße Gebete zum Eintritt ins Paradies vor. Mohammed klammerte sich ohne Ostentation an seine einfache, fatalistische Lebensanschauung und verwies dem törichten Sa'ad ernstlich seine Invektiven gegen mich, indem er ihm klarmachte, daß alles vom allmächtigen Gott so bestimmt sei, und daß ich doch unmöglich mehr tun könne, als mit ihnen zu sterben, wenn es so verhängt sei. Giuseppe Valpreda endlich, ein energischer, heftiger Charakter, brütete stumm vor sich hin, erhob sich dann plötzlich, steckte den Revolver in den Gürtel und erklärte mir mit heiserer Stimme, er sei nicht gewillt, so tatlos den Untergang zu erwarten, sondern werde dem Laufe des Flußbettes folgen und entweder Wasser finden oder mit dem Urheber des Unheils, Kolokomi, mittels des Revolvers abzurechnen wissen. Trotz meiner und Bui Mohammeds Vorstellungen folgte er seinem eigensinnigen Kopfe. Sowohl Giuseppe als ich boten schon frühzeitig die Symptome zunehmender Heiserkeit, von denen selbst bei Sa'ad und 'Ali, welche doch erschöpfter zu sein schienen als wir, nichts wahrzunehmen war.
Zweckmäßiger würde es gewesen sein, den Baum zu verlassen und abseits vom Flusse irgendwo einen vollkommeneren und kühleren Felsschatten zu suchen; doch dann hätten unsere weitergeeilten Genossen, wenn sie mit dem rettenden Naß eingetroffen wären, uns erst suchen müssen, und wir wollten in einem solchen Falle keinen Augenblick verlieren. Mit diesem Grunde fand sich unsere Energielosigkeit leicht in das passive Harren. Der Schatten des Baumes war in der Tat sehr unzureichend, und wo es möglich war, suchte jeder sich eng an eines der Kamele zu schmiegen, um im Schatten seines mächtigen Körpers zu liegen. Doch die Sonne stieg höher, der Schatten der Tiere und der ohnehin sehr kleinen Baumblätter wurde kürzer und kürzer, und die stechenden Sonnenstrahlen zwangen uns oft, Platz oder Körperlage zu ändern. Die Minuten schlichen mit aufreibender Langsamkeit dahin; Furcht und Hoffnung hielten abwechselnd den Rest unserer Lebensgeister wach; doch allmählich wurden wir stiller und stiller. Kein Geräusch störte die Grabesstille der umgebenden Natur; keine Bewegung milderte das starre tote Aussehen der düsteren Felsen; kein Windeshauch ließ die Zweige und Blätter der wenigen Bäume, dieser kümmerlichen Repräsentanten des Lebens, auch nur erzittern.
Als der Nachmittag herankam, die Sonne sich allmählich zu senken begann und kein Wasser sich zeigte, fing meine Hoffnung an zu erblassen; wahrscheinlich hatten unsere vorauf geeilten Begleiter kein Wasser in dem betreffenden Brunnen gefunden und suchten dasselbe in weiterer Ferne. Kein Schlaf wollte mich der drohenden Gegenwart für Augenblicke entrücken. Bald lehnte sich meine ganze Hoffnungskraft in momentaner Energie gegen ein so frühes Ende meiner innerafrikanischen Laufbahn auf, ehe ich noch den geringsten meiner Pläne ausgeführt zu haben die Genugtuung hatte; bald gedachte ich in schmerzlicher Rührung der zahlreichen Freunde, die mich so ungern zu der gefahrvollen Reise hatten scheiden sehen; bald suchte und fand ich einen vorübergehenden Trost in dem fatalistischen Gefühle der Ergebung in das Unvermeidliche und in dem Bewußtsein, nach bestem Wissen und Willen alle Dispositionen für die verhängnisvolle Reise getroffen zu haben.
Allmählich wurden diese Gedanken zu unbestimmten Empfindungen, verwischten sich in Träumereien, in denen ich meine Umgebung sah, ohne in ihr zu leben; in denen Bilder aus meiner Vergangenheit mit den Erlebnissen der Gegenwart verschmolzen, und ich mir nicht mehr klar bewußt war, ob ich in der fernen Heimat, ob am Fuße eines Felsens in der Sahara weilte. Zuweilen ward ich noch aufgerüttelt aus meinem Traumleben, wenn stechende Sonnenstrahlen mein Gesicht trafen oder Sa'ad in neu erwachender Glaubensglut seine Gebete inniger murmelte. Doch bald schwand alles, Gegenwart und Vergangenheit, die drohende Todesgefahr und die nie ganz ersterbende Hoffnung, und ein Zustand umfing mich, von dem ich nicht weiß, ob er ein unvollkommener Schlummer oder die beginnende Bewußtlosigkeit eines nahen Unterganges war. Ich weiß nicht, wie lange dieser, ich kann nicht sagen qualvolle, Zustand dauerte, in dem meine Sinnesorgane Eindrücke von außen aufnahmen, ohne daß diese zu richtigem Bewußtsein gelangten.
Da, war es ein Traum, war es ein Spiel meiner krankhaft erregten Sinne? Eilte dort nicht mit schnellen seltsamen Sprüngen eine mächtige Ziege gerade auf unsere Akazie los, und trug sie nicht gar einen Menschen auf ihrem Rücken? Ich hätte nachher darauf schwören mögen, Hörner und Bart gesehen zu haben. Freilich war es ein Mensch, ein heiß ersehnter Mensch, doch die Ziege verwandelte sich in ein Kamel, auf dem uns Birsa in zwei Schläuchen Wasser zutrug, dessen Anblick uns bei unserer Schwäche und Reizbarkeit Tränen der Rührung auspreßte. Im Nu war 'Ali Bu Bekr wieder zum Leben erwacht, Sa'ad versparte den Rest seiner Gebete auf eine passendere Gelegenheit, und ich war im Augenblicke voll und ganz zur Gegenwart zurückgekehrt. Der nicht aus dem Gleichgewicht zu bringende Bui Mohammed allein ließ sich zu keiner unwürdigen Lebhaftigkeit der Gefühlsäußerung hinreißen, sondern kramte aus unserm Proviantsäckchen ein Dutzend Zwiebäcke, brockte sie in unser Trinkgefäß und meinte, es sei zuträglicher, nach längerem Durste vor der Stillung desselben etwas feste Nahrung zu sich zu nehmen. Erst dann sogen wir uns voll des köstlichsten aller Getränke. Unter andern Verhältnissen wäre dasselbe freilich schwerlich von vielen angerührt worden, so schmutzig und voll fremder Bestandteile war es. Uns schien es ein Göttertrank, und unsere Lippen bebten keineswegs vor den verwesten Materien in ihm zurück.
Nach dem ersten ausgiebigen Trunke hatte die Schleimhaut ihre normale Feuchtigkeit wiedererlangt, der heisere Choleraton der natürlichen Stimme Platz gemacht, und der lästige Harnzwang verschwand wie durch Zauberschlag. Mohammed schob zur Feier des Momentes eine ausgiebigere Prise Tabak in seinen Mund, biß ein entsprechendes Stück Natron mit seinem einsamen Eckzahne ab, und alles war Glück und Freude und Hoffnung. Auch die beiden Hunde wurden nicht vergessen und zu neuem Leben gekräftigt, und den fehlenden Giuseppe hatte Birsa unter einen Felsen hingesunken gefunden, hatte ihm Kopf und Schläfe gewaschen und seinen ganzen Tarbusch mit Wasser gefüllt. Als auch nicht ein Tropfen des kostbaren Inhaltes mehr in den Schläuchen war, kam der vorher vergebens als Tröster herbeigesehnte Schlaf, der gesundeste, tiefste, erquickendste, den ich je im Leben schlief, so tief, daß ich beim Erwachen lange Zeit nötig hatte, um mich in Zeit, Ort und Umständen zurechtzufinden.
Ich erwachte über der Ankunft Kolokomis und Bu Zeids, welche zwar einen weiteren knappen Wasservorrat brachten, jedoch berichteten, daß der Brunnen nicht imstande sei, genug Wasser für uns und unsere Kamele zu liefern. Ersterer sprach von einem andern Brunnen in der Nähe, den er wisse und aufsuchen wolle, während die Kamele das vorhandene Wasser trinken und das im Stiche gelassene Gepäck herbeiholen würden. Es war Donnerstagabend, und es mußten also fünf Tage verfließen, bevor die Tiere nach harter Arbeit und fast gänzlicher Nahrungslosigkeit getränkt werden konnten. Selbst im Hochsommer würde zwar diese Dauer der Wasserentziehung keine außergewöhnliche gewesen sein, obgleich das Kamel der Nordküste an häufigere Tränkung gewöhnt ist, wenn nicht der gleichzeitige Mangel an Nahrung und die übergroße Anstrengung bei der herrschenden Temperatur die Entbehrung kompliziert hätte.
Am nächsten Morgen gaben wir dem stärksten meiner Kamele vorläufig einen halben Schlauch Wasser und sandten es mit den beiden Tieren Kolokomis und Bu Zeids, welche tags zuvor am Brunnen getränkt worden waren, zur Herbeiholung des Gepäckes, während 'Ali und Sa'ad die übrigen drei zum Brunnen führten, um ihnen das in der Nacht in demselben angesammelte Wasser zu verabreichen und auch uns soviel als möglich zu bringen. Nach der Rückkehr aller wollten wir dann nach dem von Kolokomi erwähnten, westlich von uns gelegenen Brunnen ziehen, an dem unser Führer die beiden Vermißten zu finden hoffte, da er wußte, daß Wolla denselben kannte.
Der Qatruner, Bu Zeid und Birsa, welche zur Aufsuchung des Gepäcks abgegangen waren, kehrten schon nach einer halben Stunde zurück, da sie Wolla und Gahna bewußtlos auf ihrem Wege gefunden hatten. Wir wuschen dieselben ab, flößten ihnen ganz allmählich etwas Wasser ein, und nach einigen Stunden fielen auch sie in einen gesunden Schlaf, aus dem sie in bestem Wohlsein erwachten. Sie waren in der Tat, wie Kolokomi vermutet hatte, zu dem andern Brunnen gelangt, hatten aber kein Wasser in demselben gefunden.
Sobald unsere Boten das Gepäck herbeigebracht hatten, machte sich der alte Qatruner nach dem Brunnen auf, um 'Ali und Sa'ad mit ihren Kamelen aufzusuchen und diese zu tränken. Wir selbst beabsichtigten, da Wolla in dem seinem Vetter bekannten benachbarten Brunnen gar kein Wasser gefunden hatte, uns mit dem gefundenen zu begnügen, in seiner Nähe unser Lager aufzuschlagen und durch nachhelfende Erdarbeiten seinen Inhalt nach Kräften zu vermehren.
Am nächsten Morgen folgten wir den Windungen des sandigen Flußtales, das trotz der von allen Seiten andrängenden Felsen eine Breite von etwa 100 Schritt hatte und fast bis zum Ursprunge so blieb, für drei Stunden in durchschnittlicher Ostrichtung und lagerten in der Nähe unseres Zieles. Unser Brunnen befand sich in einer halbkreisförmigen riesigen Grotte von Sandsteinfelsen in erdegemischtem Sande, der in einer Schicht von zwei bis drei Metern dem Felsgrunde auflag. Nach dreistündiger Arbeit stießen wir auf den felsigen Grund und in ihm auf eine Spalte, aus der augenblicklich der Lebensquell etwas reichlicher floß.
Da die Brunnenarbeit durch den fortwährend nachfallenden Sand sofort wieder zum Teil vernichtet wurde und das Wasser so sichtlich abnahm, daß es zweifelhaft erschien, ob wir unsern Reisevorrat aus ihm würden schöpfen können, gingen die drei zuletzt Angekommenen mit Sa'ad und 'Ali lange vor Tagesanbruch in den benachbarten Enneri Lolemmo, um an dort bekannten Stellen nach Wasser zu forschen. Da sie um Mittag mit günstigem Berichte heimkehrten, verlegten wir unser Lager in die Nähe des von ihnen aufgefundenen Brunnens.
Nach reichlicher Wassereinnahme strebten wir am Nachmittage in südlicher Richtung dem in Aussicht gestellten Brunnen zu. Der Weg führte uns zunächst durch das Tal des Flusses, welches eine spärliche Vegetation entfaltete. Bald verschwand diese relative Fruchtbarkeit und der öde Charakter der steinigen Wüste waltete wieder vor. Die eigentliche Gebirgsgegend von Afafi hatten wir verlassen.
Als nach vier Stunden die volle Dunkelheit hereingebrochen war, drängte ich, in lebhafter Erinnerung an die zwecklosen Anstrengungen der früheren Tage und aus Rücksicht auf die Kamele, welche die verflossene Woche keineswegs vergessen hatten, zur Lagerung trotz des Widerstrebens Kolokomis und Bu Zeids, welche mir nicht ohne Zweifel über die Existenz und die Lage des zu suchenden Brunnens zu sein schienen. Doch um 3 Uhr morgens waren wir wieder euf dem Marsche und erreichten nach einigen Stunden das Nordende einer langgestreckten Felskette. Von einer niedrigen Kuppe konnte man nach allen Richtungen die einzelnen Felsbildungen, welche die Ebene um höchstens 200 Fuß überragen, überblicken. Ihre Formen wurden immer wunderlicher. Kuppeln und Dome, byzantinische Kirchen und antike Amphitheater, Moscheen und alte Kastelle, moderne Bauten aller Art schienen miteinander abzuwechseln, und daneben glaubte man hier einen langgestreckten Kamelhals aus der Erde emporragen zu sehen, dort das Steinbild einer Rieseneule oder eines menschlichen Kopfes als Zierde einer einsamen Säule zu erblicken. Eine lebhafte Einbildungskraft, besonders bei der zauberischen Abendbeleuchtung, konnte sich beim Anblick dieser gigantischen Bauten der Natur in den wundersamsten Träumen ergehen und die seltsamsten Bilder schaffen.
Der Nachmittag brachte uns noch fünf Stunden weiter in südsüdöstlicher Richtung durch eine ähnliche Gegend, vermochte uns aber nicht die Uberzeugung zu verschaffen, daß der Tubu-Jüngling viel Ortskenntnis besitze. Als uns vollständige Dunkelheit umfing, leistete ich wieder aus Rücksicht für die Kamele hartnäckigen Widerstand gegen den Weitermarsch, während Kolokomi und Bu Zeid, offenbar von den ernstesten Befürchtungen gequält, ohne Aufenthalt voraus strebten. Schon gestand der Führer, daß wir morgen noch kein Wasser erreichen würden, und beschränkte unsern Verbrauch. Es kam zu harten Reden, doch vergeblich versuchte ich aufs neue, meine Gefährten auf den eigentlichen Weg von Fezzan nach Tibesti, der keine zwei Tagemärsche östlich von uns verlief, hinüberzuleiten.
Das Wasser wurde schon gläserweise verteilt und der Durst erschien wieder als Schreckgespenst der nächsten Zukunft.
Die Vervollständigung der Geständnisse des Führers waren wohl geeignet, nach der traurigen Erfahrung der verflossenen Woche die ernstesten Besorgnisse wachzurufen und unsere Nachtruhe zu trüben. Er hatte den Brunnen nie selbst gesehen; unser Wasservorrat war bald erschöpft; die ursprünglich angegebene Entfernung hatten wir überschritten, und weder der Wegweiser noch meine übrigen Gefährten kannten die Gegend. Kaum hatte die Natur ihr Recht geltend gemacht und mich in einen unruhigen Schlaf versetzt, als ich durch lebhafte Beratungen erweckt wurde. Bei diesen war Birsa der verständigste und entschiedenste. Er machte mit Recht geltend, daß, selbst wenn am folgenden Morgen der angestrebte Brunnen entdeckt sein würde, es keineswegs sicher sei, daß derselbe Wasser enthalte, da bekanntlich die Wasserbehälter der Gegend keine wirklichen Brunnen mit Bodenwasser seien, sondern nur Regenwasserreservoirs in den Spalten und Höhlungen der Felsen. Es sei unverständig, einer so ungewissen Aussicht Zeit und Kraft zu opfern, während man mit Sicherheit Wasser aus den östlich von uns gelegenen nördlichen Tälern Tibestis beschaffen könne. Er schlage also vor, ihn an Ort und Stelle zu erwarten; er werde mit dem Kamele Kolokomis nach Osten gehen und verspreche, am folgenden Nachmittage um die Zeit des Asser (etwa 4 Uhr nachmittags), sofern ihn Gott am Leben erhalte, unserer Not ein Ende zu machen. So zog er in der Tat kurz nach Mitternacht auf der leistungsfähigen Stute Kolokomis in die Dunkelheit hinaus, begleitet von Bu Zeids Diener, der sich auf das Kamel des unkundigen Führers schwang, während wir übrigen, in etwas beruhigt, uns dem wohlverdienten Schlafe hingaben.
Glücklicherweise hatten sich während des Nachmittags aus Nordosten reichliche Regenwolken angesammelt, und auch am nächsten Morgen, als uns die Sorge frühzeitig den Schlaf verscheuchte, war der Himmel bedeckt, der Ostwind kühlend, die Atmosphäre nicht so trocken als gewöhnlich, also auch der Durst geringer. Die Nächte waren besonders kühl geworden, seit wir die Gegend von Afafi erreicht hatten; denn während bis dahin der tägliche Wind mit der Sonne gestiegen und gefallen war, machte sich jetzt mit großer Regelmäßigkeit ein starker Nachtwind geltend, der etwa um 10 Uhr abends begann und bis einige Stunden nach Mitternacht anhielt. Im Schatten und in vollständiger Ruhe konnten wir also ohne alle Besorgnis die Rückkehr Birsas abwarten. Doch war sie sicher? Mußte man nicht bei dem Charakter der Tubu Verrat seinerseits befürchten? Und gab nicht überhaupt der ganze unheilvolle Beginn der Reise mit Fußverbrennung, Augenentzündung und Gefahr des Verschmachtens zu den übelsten Ahnungen und ernstesten Betrachtungen reichen Anlaß? Gerade vor einer Woche hatten wir uns in derselben gefahrvollen Lage befunden, Dank der Unzuverlässigkeit unserer Führer und eigener Sorglosigkeit, und selbst der schweigsame und stets resignierte Bui Mohammed meinte, es sei eine Schande für Männer von Verstand, zweimal in einer Woche, Wasserplätzen so nahe, Durst leiden zu müssen.
Trüben Sinnes schlichen wir, als die Sonne sich erhob, in den Schatten der Felsen, jeder allein seinen melancholischen Gedanken nachhängend. Auf den Rand der starren Felswand, welche mir Schatten gewährte, setzte sich ein Aasgeier, der durch die Beharrlichkeit, mit der er auf mich herniederblickte, andeuten zu wollen schien, daß er mich für ein ebenso erwünschtes als sicheres Opfer seiner Gelüste halte. Der heimtückische Ausdruck, welcher diesen Tieren eigen ist, schien mir in meiner Gemütsstimmung eine passende Illustration des Landes und seiner Bewohner und ein prophetisches Bild des meiner wartenden Schicksals. Doch auch diesmal, und zwar bald, sollte sich dasselbe zum Bessern wenden.
Gleich nach Sonnenaufgang hatte unser Führer den Lagerplatz zu Fuß verlassen, um sich in der Gegend zu orientieren, und kehrte nach kurzer Zeit mit der Behauptung zurück, daß er den richtigen Weg gefunden habe. Er bestieg das Kamel Bu Zeids, nahm zwei Wasserschläuche, und als er um Mittag noch nicht zurück war, konnten wir uns der Hoffnung hingeben, daß er den Brunnen gefunden habe. In der Tat erschien er bald darauf mit wohlgefüllten Schläuchen vortrefflichen Wassers, und alle Not und alle trüben Gedanken hatten wieder ein Ende. Er kam zurück in Begleitung eines jungen Mannes, der in der Nähe des rettenden Brunnens augenblicklich der vortrefflichen Kamelweide wegen hauste und in Kleidung und Benehmen eine gewisse Distinktion zur Schau trug. In der Tat war er ein bekannter, relativ wohlhabender Mann, der häufig Handelsreisen nach Fezzan, Kawar und Bornu gemacht hatte. Er war hellfarbiger als seine bisher von uns gesehenen Landsleute, hatte ziemlich regelmäßige Züge, trug eine blauschwarze Sudantobe, Beinkleid und Litham von derselben Farbe und einen roten Tarbusch. Sein Name war Isoa, und ich erinnere mich seiner mit großem Vergnügen, da er keinerlei bettelnde Ansprüche erhob, durch eine gewisse Kenntnis der Nachbarländer mir Gelegenheit zur Unterhaltung bot und mir während dreier Tage den Genuß frischer Kamelmilch verschaffte. Er wartete mit uns auf die Rückkehr Birsas, um uns dann zum Brunnen zu führen, den wir durch eine allzu östliche Richtung verfehlt hatten.
Birsa und Galma erschienen pünktlich dem Versprechen gemäß um 4 Uhr nachmittags mit vier gefüllten Schläuchen, deren Inhalt sie in dem bewohnten Flußtale Arabu geschöpft hatten.
Abgesehen von der physischen Leistung in unserm Interesse konnte Birsa Anspruch auf meine volle Dankbarkeit erheben. Erst viel später brachte ich in Erfahrung, daß ihn die Bewohner Arabus, welche mit den Leuten von Abo derselben Stammesabteilung angehören, bei dieser Gelegenheit auf alle Weise zu überreden versucht hatten, uns ohne Wasser zu lassen, da Kolokomi, Bu Zeid und die übrigen Landsleute sich schließlich schon zu helfen wissen würden, und es aller Welt nur dienen könne, wenn ich mit dem christlichen Diener zugrunde ginge. Sie hatten durch ihre Genossen von Abo, die nach unserer Abreise von Tedscherri vergeblich mehrere Tage im Hinterhalte gelegen hatten, schon davon gehört, daß ein Christ auf irgendeinem Wege von Fezzan nach Tibesti unterwegs sei. Birsa hatte den Verrat zurückgewiesen, der freilich auch ohne seine treue Haltung keine verhängnisvollen Folgen für uns gehabt hätte.
Mit der Annäherung an das Gebirgszentrum waren in den passierten Schluchten und Tälern die Spuren tierischen Lebens zahlreicher geworden. Große Paviane, der Wadan, die Hyäne, verschiedene Antilopen, der Fenek, der Strauß waren offenbar zahlreich vertretene Bewohner der Gegend.
Sobald wir den Dommado überschritten hatten, brachten die frischen Fußspuren eines einzelnen Menschen sichtliche Zeichen von Unruhe bei meinen Begleitern hervor.
Alsbald zeigte sich ihr wahrscheinlicher Urheber und näherte sich uns, hoch zu Kamel, langsam und vorsichtig. Sorgfältig zog er den Litham über die Nase, und es folgte die übliche, endlose Begrüßungszeremonie, welche meine Begleiter dieses Mal stehend durchmachten, da der Fremdling beritten war. Dieser stellte sich sogleich als ein naher Verwandter Bu Zeids heraus, hieß Galma, war der Sohn Selemmas und hatte den größten Teil seiner Jugend in Fezzan zugebracht, von wo er meinem alten Mohammed wohl bekannt war. Da er infolgedessen mit der arabischen Sprache vertraut war, so konnte die Unterhaltung größtenteils in dieser geführt werden und ich mich an derselben beteiligen. Galma war, wie er behauptete, im Begriff gewesen, nach Fezzan abzureisen, entschloß sich aber alsbald, einstweilen diesen Plan aufzugeben, um dem so ungewöhnlichen und hochstehenden Fremdling, welcher mit seinem Vetter ins Land gekommen sei, als Beschützer und Begleiter zu dienen. Ich beurteilte diese scheinbar wohlwollende Absicht mit Recht als eine Spekulation auf meine Habe und suchte die Begleitung abzulehnen. Doch Bu Zeid wollte sich diese Gelegenheit, seinem Verwandten gefällig zu sein, nicht entgehen lassen und rühmte den Einfluß und die Ortskenntnis desselben in Tibesti und Borku so sehr, daß ich im Hinblick auf meine geringen Erfahrungen und meine Unkenntnis der Landessprache mich bestimmen ließ, ihn wenigstens nicht ganz zurückzuweisen. Meine Willfährigkeit wurde bald hart bestraft und bereitete mir manche unangenehme Stunde.
Galma war über Mittelgröße, schlank und mager wie die meisten seiner Landsleute, von mäßig dunkler, ins Gelbliche spielender Hautfarbe und hatte eine platte, herabhängende Nase, einen großen Mund mit dicken Lippen, ein emporstrebendes Kinn und einen lauernden Blick, der seiner Physiognomie einen höchst widerwärtigen Ausdruck verlieh.
Die verlassenen Hütten, in deren Nähe wir zu Tao unser Lager aufgeschlagen hatten, waren jene Mattenhütten, welche ich in Bachi und Tedscherri kennengelernt hatte.
Außer diesen Hütten fand ich in den Felsen und Schluchten herumkletternd noch zahlreiche isolierte und versteckte Behausungen anderer Art, welche jedoch ebenfalls großenteils verlassen waren. Die primitivsten derselben bestanden einfach in den natürlichen Höhlen der Felsen, und es sind wohl diese, welche den Bewohnern der Gegend schon im Altertume den Beinamen der Höhlenbewohner verschafft haben.
Die Ursache für die augenblickliche Entvölkerung Taos lag in der Jahreszeit und den schwierigen Ernährungsverhältnissen des Landes. Die armselige Vegetation der Felsschluchten und Flußtäler ist es, welche ihnen zur Existenz verhelfen muß. Ohne sie würde das Land unbewohnbar sein, denn jede Anlage von Gärten zur Kultur von Getreide, Datteln oder Gemüse wird ihnen durch die gänzliche Abwesenheit von Bodenwasser unmöglich gemacht.
Wenn weder Kamele noch Ziegen Milch geben und das Mehl des Grassamens verzehrt ist, so beginnt eine lange, trostlose Zeit.
In dieser Periode befand sich das Land gerade bei unserer Ankunft. Wenn man in stiller Sommernacht das melancholisch regelmäßige Klopfen der harten Frucht hörte, deren Rindensubstanz mit einem unverhältnismäßigen Aufwande von Zeit und Kraft durch einen Stein erweicht oder pulverisiert werden muß, so wußte man, daß der Hunger in den Eingeweiden des emsigen Klopfers wühlte, und daß nur ein kümmerlicher Erfolg seine Geduld belohnte.
Zum Genusse des Fleisches ihrer Haustiere entschließen sich die Tubu trotzdem nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten und zwingenden Festlichkeiten. Für gewöhnlich liegt Fleischnahrung so sehr außerhalb ihrer Gewohnheiten, daß sie selbst bei lebhaftem Hunger nicht daran denken, eine ihrer zahlreichen Ziegen zu schlachten.
Alles erwartet, in der geschilderten unzulänglichen Weise die Existenz fristend, den Spätsommer und Herbst. Zu dieser Zeit werden Datteln und Getreide geerntet, sowohl in einigen Teilen Tibestis als in den Nachbarländern, und alle ziehen aus, um sich gegen Kamele, Schafe, Ziegen oder Felle den nötigsten Vorrat einzutauschen.
Als wir im Begriffe standen, auf der jenseitigen Seite hinabzusteigen, begegneten wir unserm Boten, der, von Zuar kommend, die erfolgte Abreise Tafertemis bestätigte und von einer nicht sehr einladenden Sprache der dort gebliebenen Edlen berichtete. Nach längerer Überlegung beschlossen wir, einen intelligenteren Boten zur Unterhandlung abzusenden und seine Rückkehr in der Nähe abzuwarten. Birsa unterzog sich dieser Mission und traf mit einer günstigeren Antwort der Herren von Zuar ein, welche uns sogar aus dem Innern des Tales entgegenkommen wollten. Alsbald brachen wir auf. In die Ebene hinabsteigend, überschritten wir in südöstlicher Richtung unbedeutende Flußbetten und lagerten nach vierstündigem Nachmittagsmarsche zu Zuar-Kai.
Kaum hatten wir unser Nachtlager aufgeschlagen, als die Edlen Zuars mit ihrem Gefolge, im ganzen höchstens zwanzig Personen, erschienen, um mich zu begrüßen. Alle hockten in einem weiten Bogen vor meinem Zelte nieder, die Lanze, die Wurfspeere und das Wurfeisen aufrecht in der Hand haltend, das lange breite Vorderarmmesser durch einen Lederring am Handgelenk befestigt, und begannen ihre Begrüßungsformeln, in welche ich bei der Erwartung der bevorstehenden unliebsamen Auseinandersetzungen und unvermeidlichen Schwierigkeiten nur mit mäßiger Freudigkeit und sicherlich noch geringerer Sachkenntnis einstimmen konnte. Von mir begaben sie sich zu meinen Leuten und stellten diesen mit einer Festigkeit, welche keine Ablehnung zuließ, das Ansinnen, ihnen den lang entbehrten Genuß eines warmen Abendessens zuteil werden zu lassen. Ich stimmte dieser bescheidenen Bitte mit großer Bereitwilligkeit zu, da ich in dem Augenblicke naiv genug war, zu glauben, daß mein Mohammes den einzigen Gegenstand ihrer Begehrlichkeit bildete und ihre Gemüter zur Milde stimmen möchte.
Mit finsteren Blicken sahen 'Ali und Sa'ad den kostbaren Stoff in den hungrigen Mäulern der zerlumpten Edlen verschwinden. In der Tat konnte ein derartiger Angriff auf unsere Vorräte im Wiederholungsfalle sehr verderblich werden, denn wer bewies mir, daß die Aussagen, welche Bardai reichlich mit Datteln und Getreide ausstatteten, nicht trügerisches Blendwerk waren? Und wenn ich überhaupt verhindert werden würde, Bardai zu erreichen? Hier auf dieser Seite der Berge gab es augenscheinlich nichts; wenigstens ging die Gutmütigkeit eines echten Herrn des Landes gewiß nicht soweit, mir auch nur gegen Geld für die aufgezehrten Mengen Ersatz von Mehl zu verschaffen.
Inzwischen hatte ich Muße, mir diese sonderbaren Edelleute, die mehr einer Bande verhungerter und zerlumpter Banditen ähnelten als einer Versammlung der Vornehmsten ihres Stammes, genauer anzusehen. Da war zuerst der Älteste unter ihnen, zugleich aus dem edelsten Geschlechte, der Maina Dirkui, mit weißgrauem Vollbarte, von mäßig dunkler, schmutziggelber Färbung der Haut und regelmäßigen Zügen, einer gewissen Würde und Gutmütigkeit des Ausdrucks nicht entbehrend. Neben ihm saß der Maina Derdekore, ein Mann in bester Mannesblüte, der sich ebenfalls des unter seinen Stammesgenossen seltenen Schmuckes eines respektablen Bartwuchses erfreute und sich mit seinem unaufhörlichen Redeflusse sehr bald der Wortführung bemächtigte. Während die Genannten von mäßiger Mittelgröße waren, zeichnete sich Gordoi oder Gordemi, auch Konki, das heißt der Kleine, genannt, ein Neffe Aramis von väterlicher Seite, durch kleine Statur und zarten Gliederbau aus. Er hatte ein kleines verschmitztes und verkniffenes Gesicht. Der letzte war Keidomi, ein ruhiger, ernster, schweigsamer Mann von schwarzer Hautfarbe, langem, regelmäßigem Gesichte, welcher die übrigen durch seine stolze Gestalt überragte. Alle übrigen der Versammlung waren Verwandte, Klienten und Untergebene, welche zur Erhöhung des öffentlichen Ansehens und in der dunklen Hoffnung irgendeines Gewinnes die Mainas begleiteten. Wenn schon niemand von der Versammlung wohlgenährt und gutgekleidet genannt zu werden verdiente, so war das Gefolge in einem so traurigen Zustande der Fett- und Fleischlosigkeit und der Kleidung so bar, daß es sich in allen Kulturländern dem öffentlichen Mitleide in eindringlicher Weise empfohlen haben würde.
Am nächsten Morgen erschienen sie schon vor Tagesanbruch wieder, um die genußreichen Bestrebungen, ihren Ernährungszustand auf meine Kosten zu verbessern, von neuem zu betätigen. Mohammed el-Qatruni griff bedenklich tief in unsere Vorrätssäcke ein und offerierte den ausgehungerten Organismen ein Frühstück, das ebenso reichlich war als die bereits geopferte Abendmahlzeit. Erst als sie den Verdauungsprozeß begonnen hatten und vielleicht zur Förderung desselben gaben sie sich der angenehmen Aufregung anderer Reklamationen hin und erkundigten sich in höchst natürlicher und selbstverständlicher Weise, wie es mit dem »Rechte ihres Tales«, das heißt dem ihnen zu entrichtenden Durchgangszolle, stände. Jetzt begann ein Wortkampf, der von Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang dauerte und natürlich mit meiner Niederlage endigte.
Die feindliche Partei verließ das friedliche Terrain gemeinsamer kulinarischer Bestrebungen und zog sich in ein Gebüsch zurück. Dieser Rückzug ist charakteristisch für die Tubu-Sitten und entspricht ganz dem Prinzip der Isolierung und Heimlichkeit, nach dem jeder auf der Reise einem Landsmanne auszuweichen sucht und in der Heimat seine Hütte so fern als möglich von der des Nachbarn errichtet.
Meine Advokaten waren Galma, Birsa und Bu Zeid. Die gänzliche Unzulänglichkeit des Edlen Kolokomi erhellte hier zum ersten Male auf das klarste. Man schob ihn, ohne ein Wort zu verlieren, einfach beiseite, und von Stunde an ward er im Rate des Volkes oder seiner Standesgenossen nicht mehr gehört. Anerbietungen meinerseits von kleinen vorläufigen Geschenken wurden gemacht und zurückgewiesen, andere diskutiert, angenommen, ausgeführt und rückgängig gemacht. Das schlimmste war, daß sich durch irgendeine Indiskretion das Gerücht von den großen Summen verbreitet hatte, welche meinen offiziellen Begleitern Kolokomi und Bu Zeid ausgezahlt und versprochen worden waren. Wenn ein Mann ohne alles Ansehen, wie der erstere war, 80 Taler erhielt, wieviel durfte dann ein Maina von edelstem Blute und persönlichem Ansehen beanspruchen?
Dies gab den Anlaß zur Diskutierung der Motive meines Kommens überhaupt. Bisher war kein Christ in das Land gedrungen, und man wünschte keinen in demselben zu sehen. Wer soviel Geld opfere – so folgerten die Leute –, müsse notwendigerweise gewinnsüchtige Pläne verfolgen, denn nur um ihre kahlen Berge und ihre Flußtäler zu sehen, könne keiner dieser Europäer, die so reich und klug und machtvoll sein sollten, töricht genug sein, sich allein in ihr unsicheres Land, zu ihrem gewalttätigen Stamme zu wagen. In bezug auf diese ungeahnten Reichtümer ihres Landes nun waren die meisten der Ansicht, daß ich der am östlichen Abhänge des Tarso befindlichen heißen Quelle, die mit genereller Tedabezeichnung Jerike genannt wird, der größten Merkwürdigkeit ihres Landes, nachstrebte, wahrscheinlich, weil in derselben Gold oder Silber verborgen sei. Die Verbreitung der Tatsache, daß ich wiederholt bei den Eingeborenen über diese Quelle Erkundigungen eingezogen hatte, unterstützte ihre Vermutung. Genug, sie waren einig, daß ich mit der Absicht in ihr Land gekommen sei, mich von dem Vorhandensein eines derartigen Schatzes zu überzeugen und dann mit Hilfe meiner Landsleute sie selbst aus ihrer Heimat zu vertreiben. Vergebens bot Mohammed aus Qatrun, ihr halber Landsmann, seine ganze Beredsamkeit auf, um ihnen die Harmlosigkeit meiner Pläne, die sonderbare und etwas törichte Vorliebe der übrigens so klugen Europäer für zweckloses Umherreisen zu erklären. Vergebens schwatzte Galma den ganzen Tag; von der Gefährlichkeit meines Beginnens für sie selbst waren und blieben sie alle fest überzeugt. Um so größer und schwärzer erschien ihnen aber die Treulosigkeit Kolokomis und Bu Zeids, die für schnödes Geld ihr Vaterland und die Interessen ihrer Stammesgenossen verraten und verkauft hätten.
Der Sprecher der mir feindlichen Partei war Derdekore. Selten habe ich eine solche Gewandtheit in der Diskussion, eine solche Redfertigkeit beobachtet, als bei diesem Verteidiger seiner und seiner Genossen Interessen. Bui Mohammed konnte nicht immer schnell genug den Wortlaut der Rede desselben ins Arabische übertragen, und in dem Eifer der Debatte entging mir manches; doch seine überzeugende Darstellung, seine List, gegnerische Gründe zu übergehen oder als nebensächlich zu behandeln, seine Fähigkeit, den Inhalt einer Gegenrede zu verdrehen, erfüllten mich mit Bewunderung. Wenn ein Gegner einen Gesichtspunkt besonders betonte, so griff er mit Lebendigkeit einen andern, der mit jenem gar nichts zu tun hatte, auf, spielte die ganze Diskussion auf ein anderes Gebiet, verwirrte die Köpfe seiner Zuhörer und nahm ihre Zustimmung im Sturm.
Wenn ich behauptete, die von mir mitgebrachten Geschenke nur in die Hände des Dardai niederlegen zu können, da dieser am besten wissen müsse, welche die berechtigten Ansprüche der einzelnen Edelleute seien, so antworteten mir die Herren, Tafertemi sei in Bardai, wohin sie nicht gehen würden, und sie selbst kennten am besten ihre eigenen Rechte. Der Mangel an Respekt, mit dem sie bei dieser Gelegenheit ihr Staatsoberhaupt behandelten, erfüllte mich nicht gerade mit besonderem Vertrauen auf den Schutz, den ich von demselben zu erwarten hatte. Wenn ich vorschlug, man möge die Briefe, welche mir der Hadsch Dschaber, dessen berechtigten Einfluß jeder anzuerkennen schien, an den Dardai und die Versammlung der Mainas mitgegeben habe, einsehen, so erklärten sie, fremde Briefe zu lesen sei gegen ihre Gewohnheit, und wenn ich, am Ende meiner Geduld, sie aufforderte, aus meinem Gepäck zu nehmen, was ihnen gut und recht dünke, da sie die Gewalt hätten, so antworteten sie mit sittlicher Entrüstung, sie seien keine Räuber.
Vergebens lud ich Derdekore ein, sich durch den Augenschein von der Menge der von mir zu verteilenden Gegenstände zu überzeugen; er lehnte es als eine Indiskretion ab. Vergebens drohte ich, aus einem Lande, bei dessen Betreten man mich schon vergewaltigen wolle, sofort abreisen und nach Fezzan zurückkehren zu wollen. Meine Berechtigung zu diesem Schritte wurde zwar keineswegs angefochten, doch in listig zurückhaltender Weise geltend gemacht, daß die Ausführung eines solchen Planes ihnen nur zum Vorteil gereichen würde, da sie mir dann außerhalb ihrer Wohnsitze, nicht gebunden durch die Pflichten der Gastfreundschaft, in freier Ausübung ihrer Wüstensitten gegenüberstehen würden.
Allerdings hätten wir augenblicklich die Macht gehabt, alles rund abzuschlagen und abzureisen; doch wohin? Auf dem Wege nach Bardai würden sie gewiß mit Helfershelfern in den zentralen Bergen einen Uberfall auszuführen nicht unterlassen haben, und wäre dann einmal Blut zwischen uns geflossen, hätten wir keinesfalls im Lande bleiben können. Nach der Bornustraße und Fezzan zurückzukehren war wegen des traurigen Zustandes unserer Kamele kaum möglich und wegen der soeben von ihnen selbst angedeuteten Perspektive nicht geraten. Der mildeste und trätabelste schien Gordoi zu sein, der sich nachmittags bereit erklärte, mich auch ohne sofortige Auszahlung seines »Rechtes« nach Bardai zu begleiten, um dasselbe dort in Empfang zu nehmen. Mein natürlicher Advokat Galma war selbstverständlich dieser Erklärung ebenfalls beigetreten, doch die Majorität der übrigen drei blieb unveränderlich bei ihrer Meinung. Nachmittags waren wir schon fast einig über die Auslieferung eines roten Tuchburnusses, einer schwarzblauen Sudantobe, einer Maqta Cham und eines Turbans, und gegen Abend schienen sie einer Vermehrung dieser Gegenstände um zwei Turbane weichen zu wollen; doch der eifrige Derdekore wußte stets wieder eine feindselige Stimmung zu erzeugen. Endlich um die Zeit der 'Ascha nahmen sie die aufgeführten Gegenstände und dazu zwei Stücke Cham an, mit der illusorischen Bestimmung einer teilweisen Rückgabe, im Falle mir die Erlaubnis zum Herumreisen im Lande verweigert werden sollte, und damit hatte die ganze Diskussion ihr Ende erreicht.
Der unermüdliche Sprecher Derdekore nahm zwar seinen Anteil an der Erpressung in Cham in Empfang, verteilte ihn aber sofort unter seine Klienten und Untergebenen. Ehrgeiz war das Motiv dieser Uneigennützigkeit; man sagte, er sei eifersüchtig auf das Ansehen des mächtigen Arami und suche eine ebenso hervorragende Stellung unter seinen Landsleuten zu erringen.
Währenddem hatten die Erpresser durchaus nicht vergessen, ihre Aufmerksamkeit meinem Mohammes zuzuwenden, und es war ihnen gelungen, während dieser anderthalb Tage eine Lücke in meinen Vorräten zu erzeugen, wie unsere alleinigen Anstrengungen sie nicht in einer Woche hervorzubringen imstande gewesen wären. Als sie sich zur Abreise rüsteten, versicherten sie mich übrigens ihrer Freundschaft und ihrer Hilfe für den Fall, daß ich ihre Wohnsitze im Innern des E. Zuar besuchen würde.
Diese günstige Stimmung meiner mühsam und teuer erworbenen neuen Freunde beschloß ich alsbald auszunutzen. Unter Bu Zeids Verantwortung und Giuseppes Überwachung sollten – so bestimmte ich – am folgenden Morgen (17. Juni) Leute, Kamele und Gepäck nach Tao zurückkehren, während ich selbst mit Bui Mohammed, Sa'ad, Birsa und einem Kamele dem Zuartale gegen seinen Ursprung hin folgen würde. Bevor ich diese Absicht jedoch auszuführen beginnen konnte, unterlag ich in einem neuen Kampfe gegen Gordoi und Galma. Der erstere, welcher sich gestern so milde und zugänglich gezeigt hatte, kam plötzlich zurück und verlangte, da sein Vorschlag die ganze Erledigung der Angelegenheit bis zur Ankunft in Bardai zu verschieben, nicht durchgedrungen sei, und ich seinen Kollegen ihr »Recht« ausgezahlt habe, ebenfalls den ihm zukommenden Anteil. Da auch Bu Zeid, der dadurch schon dem Interesse seines Vetters Galma vorarbeitete, darauf drang, jenen abzufinden, so lieferte ich ihm mit schwerem Herzen einen Burnus, einen Tarbusch und einen Turbanschal aus, wogegen er sich freiwillig erbot, mich zu größerer Sicherheit nach Bardai zu begleiten. Damit war ich dem unverschämten Galma natürlich ebenfalls verfallen, obgleich dieser als außergewöhnliches Geschenk schon eine indigo gefärbte Sudantobe erhalten hatte. Selbst die Auslieferung ihres Haqq, das heißt Rechtes, ging nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten. Burnus, Tarbusch und Turban wurden mit der Kritik eines raffinierten Kaufmannes untersucht, für jede kleine Stelle Mottenfraß ein Schadenersatz verlangt, die Färbung des Tarbusch oder seine Seidenquaste mangelhaft befunden und der Turbanschal wegen unzureichender Länge beanstandet. Die Unterhandlungen über die kleinsten Gegenstände nahmen Stunden in Anspruch.
Endlich konnten wir aufbrechen und schon nach einer Viertelstunde betraten wir den eigentlichen Kai (Mund) des Flusses Zuar.
Das Bett des Zuar ist ein stolzes, an vielen Stellen ein Kilometer breites Tal. Eingefaßt von wilden, massigen und dunkelfarbigen Felsen, geschmückt mit reicher Vegetation, die durch ihr heiteres Grün einen prächtigen Kontrast mit den finsteren Uferhöhen bildet, und in dort seltener Weise mit Tieren belebt, macht es einen ebenso imponierenden als mannigfaltigen Eindruck und erfrischt Herz und Sinn nach der langen Wanderung durch Gegenden, in welchen nur die zerstörenden Gewalten der Natur gewirkt zu haben scheinen, aber nicht ihre schaffende, lebenspendende Kraft zum Ausdrucke kommt. Welch ein großartiges Bild entstand hier, wenn die Einbildungskraft noch die Wassermassen hinzufügte, welche fast alljährlich, zwar nur vorübergehend, aber um so mächtiger, durch das Tal brausen und Bäumen und Sträuchern, Menschen und Tieren Verderben drohen.
Bald darauf verengte sich das Tal wieder, um sich nach einer kleinen Stunde von neuem zur früheren Breite auszudehnen.
Am nächsten Morgen besichtigten wir noch einige große Regenwasserbehälter, ohne welche die Gegend unbewohnbar sein würde, und trafen an einem derselben einen Bewohner von Kawar, der aus Borku kam und uns von den räuberischen Bulgeda, denen er nur mit genauer Not entwischt war, und ihren Plänen auf Tibesti erzählte. Er behauptete, die genannten Räuber seien bereits auf dem Wege, um die südwestlichen Täler auszuplündern.
Diese eindringlichen Warnungen noch diskutierend stießen wir auf ein herrenloses Kamel, das nach Prüfung seiner eingebrannten Zeichen den Verdacht hätte erregen können, etwaigen im Hinterhalte liegenden Bulgeda anzugehören, wenn nicht das sehr abgenutzte Ende seiner am Boden schleifenden Halfter dafür gesprochen hätte, daß es schon eine Reihe von Tagen herrenlos herumlaufe.
Wir bemächtigten uns einstweilen des Tieres und stiegen aus dem Flußbette gegen den E. Zuar hin auf das zwischen beiden gelegene felsige Terrain. An einer Stelle, wo die Felsen vereinzelter waren, lagen die wenigen Hütten meiner Erpresser vom vorhergehenden Tag, und wenn auch ringsherum in den Schluchten und zwischen den Felsen sicherlich noch manche vereinzelte Wohnstätten lagen, so war doch keine Spur von einer wirklichen Ortschaft zu entdecken.
Die Wohnungen gehörten der Kategorie der beschriebenen Mattenhütten an, und einer derselben entkroch die würdige Gestalt Dirkuis, des Seniors meiner neuesten Tubufreunde, der, sichtlich unangenehm berührt durch meinen Besuch, sich nur unwillig der Pflicht der Begrüßung entledigte. Nachdem er in längerer Rede sein altes edles Geschlecht gefeiert hatte, schloß er dieselbe mit einer Betonung der Armut des Landes im allgemeinen und der seinigen im besonderen, welche ihn zu seiner großen Schande verhindere, mir durch eine Dijafa, das heißt Bewirtung, seine Gastfreundschaft zu beweisen. Überhaupt, meinte er ärgerlich, hätte ich wohl hinlänglich von ihrem Lande gesehen, um ihre ganze Armut würdigen zu können; er könne nicht begreifen, weshalb ich noch weiter in demselben herumirre. Bald darauf kamen der unermüdliche Sprecher Derdekore und der schweigsame Keidomi, und jener griff die Sache energischer an. Er entwickelte in langer Rede, wie sie tagtäglich einen Überfall von seiten der Bulgeda erwarteten und nicht imstande seien, für meine Sicherheit einzustehen.
Während wir verhandelten, erschien ein Reiter zu Kamel, gekleidet in das übliche schwarzblaue Gewand und den ähnlichen Litham, setzte sich zu uns, ohne mich eines Grußes zu würdigen, und ritt, was noch sonderbarer war, ohne das geringste Geschenk erbeten zu haben, sehr bald wieder von dannen, nicht ohne zuvor eine Art Drohung ausgestoßen zu haben, daß man mich im Notfalle mit Gewalt zu verhindern wissen werde, Jerike und Bardai zu besuchen. Da aus seinem Gespräche der Zweck seines Besuches nicht erhellte, so begleitete ihn Derdekore eine kurze Strecke, um mehr zu erfahren, und kam mit der bedrohlichen Auskunft zurück, daß der Mann ausschließlich gekommen sei, um sich von meinem und meiner Leute Aufenthalt zu überzeugen und jetzt eilig zurückkehre, um einige Mannschaft zu sammeln und uns in Zuar-Kai aufzuheben. Ihre Pflicht, fügte Derdekore hinzu, sei es, mich zu warnen, damit mir kein Unheil in ihrem Tale zustoße. Inwieweit die Mitteilung auf Wahrheit beruhte, konnte ich damals nicht wissen, doch waren Birsa und Bui Mohammed so fest von ihrer Zuverlässigkeit überzeugt, daß ich mich ihrem und dem Widerstande der Edelleute fügen mußte und umzukehren beschloß.
Während wir uns zum Rückzüge rüsteten, trug das edle Blut des alten Dirkui den Sieg über seine Armut und seine Sparsamkeit davon; er kam mit einer Ziege als Gastgeschenk, nicht ohne ausdrücklich zu erwähnen, daß seine Verhältnisse ihm nicht gestatteten, mir das üblichere Mahl aus Getreidemehl anzubieten. Mit heroischer Selbstüberwindung riß er sich von dem Tiere los, das er seinem eigenen Magen schwerlich geopfert haben würde, und suchte sich zu betäuben und zu trösten, indem er seine Generosität und seinen Edelsinn vor uns verherrlichte. Man ließ uns nicht Zeit, das Tier an Ort und Stelle zu schlachten, sondern drängte zur Umkehr. Nachdem ich noch die wortreiche und dringende Ermahnung, welche Birsa mit auf den Weg nehmen mußte, um keinen Preis bei etwaigem Überfalle die Hand gegen seine Landsleute zu erheben, sondern sich neutral zu verhalten, angehört hatte, trat ich betrübt, dem schönen Tale nicht weiter haben folgen zu können, den Rückweg nach Zuar-Kai und Tao an.
Als wir die Einmündungsstelle des E. Zug erreicht hatten, bogen wir in denselben ein, teils um Gordoi abzuholen, teils um dadurch vielleicht den nächtlicherweile nach Zuar-Kai zu unserm Überfalle eilenden Räubern zu entgehen. Wir lagerten bald nahe der einsamen Hütte Gordois, schlachteten den Ziegenbock und gaben uns in stiller Gemütlichkeit am schönen Abende dem Fleischgenuß hin.
Da unser Gastfreund, der uns nicht so bald zurückerwartet hatte, noch nicht zur Abreise bereit war, so setzten wir am folgenden Morgen unsern Weg allein fort.
Schon nach kurzer Zeit verließen wir das Flußbett, um uns westlich und nordwestlich wieder der Richtung von Zuar-Kai zuzuwenden und gewannen bald von der felsgehügelten Gegend aus wieder einen Blick auf die weite Ebene, durch welche der Zuar sich gegen den Emi Durso hinschlängelt. Unter beständigem Überschreiten unbedeutender Wasserbetten stiegen wir in die Ebene hinab, hielten uns jedoch hart am Felsengebiete und lagerten in der Mitte des Vormittags in dem Rinnsal Keburu. Kaum 100 Schritte davon stand die Hütte Birsas, dem zuliebe wir denn auch den Rest des Tages dort verbrachten, da derselbe seine Frau seit seiner Rückkehr aus Fezzan kaum gesehen und, bevor diese der allgemeinen Auswanderung nach Bardai folgte, noch mancherlei häusliche Angelegenheiten mit ihr zu besprechen hatte.
Vielleicht hatte er nur das Bedürfnis, seine Ehehälfte nach monatelanger Abwesenheit einmal einige Stunden hindurch zu sehen; denn die häuslichen Anordnungen würde dieselbe schon ohne seinen Rat und Beistand zweckmäßig getroffen haben. Es ist in der Tat bewunderungswürdig, mit welcher Selbständigkeit die Frauen der Tubu Reschade dem Hauswesen vorstehen und in der Abwesenheit ihrer Männer die gemeinsamen Geschäfte besorgen. Der Mann bleibt monate- und selbst jahrelang aus, und Haus und Kinder, Ziegen und Kamele bleiben ganz der Frau überlassen, welche, ohne jemals fremden Beistandes zu bedürfen, alles überwacht, die Kinder abwartet, die Haustiere besorgt, Kauf und Verkauf abschließt, den Wohnsitz wechselt und Reisen im Innern des Landes macht. Ja, man hegt im allgemeinen in Tibesti die Ansicht, daß die Frau besser zur Besorgung dieser Geschäfte geeignet sei als der Mann. Die Frauen haben dort in der Tat nicht allein den determinierten Gang eines Mannes und seine Fertigkeit im Tabakkauen; Gewohnheit und Erziehung haben ihnen auch den geschäftlichen Sinn, den Verstand, die Entschlossenheit gegeben, die sonst nur dem starken Geschlechte eigen zu sein pflegen. Dabei leidet freilich die bescheidene Zurückhaltung, welche uns als eine Hauptzierde des Weibes erscheint, erhebliche Einbuße. Daß sie trotz dieser männlichen und selbständigen Betätigungen sich eines so ausgezeichneten Rufes bezüglich ihrer ehelichen Treue erfreuen, könnte auffallend erscheinen, doch liegt vielleicht gerade in der Freiheit ihrer Bewegungen bei der gleichzeitigen verantwortlichen Stellung an der Spitze des Hauses der Grund für diese Tatsache.
Die Räuber aus dem oberen Teile des E. Zuar waren wirklich vergeblich auf unserm früheren Lagerplatze gewesen, während wir im E. Zug unsern Ziegenbraten gegessen, in Frieden geschlafen und unsere Gefährten längst Tao wieder erreicht hatten.
Bald vereinigten wir uns wieder mit unsern Gefährten. Wir folgten unserm früheren Wege über den Aberdegapaß und rasteten an dem Ausgange des letzteren nach kaum vierstündigem Marsche während der Tageshitze. Vier weitere Stunden brachten uns dann gegen Abend zu unserm früheren Lagerplatze in Tao, wo wir besonders von den Qatruner Murabidija herzlich empfangen wurden. Sie standen im Begriff, ihre Borkureise anzutreten und beabsichtigten sogar, vielleicht nach Wadai zu gehen, um auf den Wunsch der Regierung und Kaufleute Tripolitaniens die Wiedereröffnung des Karawanenweges zwischen Fezzan und Wadai anzubahnen – und zwar unter dem Schutze Galmas, der durch seine aus Borku stammende Mutter und ihren Anhang und durch seine zahlreichen dortigen Bekanntschaften eine hinlängliche Sicherheit zu garantieren schien.
Auf diese Weise konnte ich wenigstens hoffen, von diesem Quälgeiste, der mir seit unserer Rückkehr von Zuar endlose Widerwärtigkeiten bereitet hatte, befreit zu werden. Sobald wir angekommen waren, begann er die unverschämtesten Ansprüche zu erheben, sowohl an mich als sogar an Bui Mohammed, den er im Verdacht hatte, für seine Begleitung nach Tibesti von mir eine ähnliche Summe erhalten zu haben, als sein Vetter Bu Zeid und Kolokomi, und von dem er nun unablässig durch Bitten und Drohungen Geld oder Geldeswert zu erpressen versuchte.
Ich wäre am liebsten, besonders bei der bevorstehenden Abreise der Murabidija, die mich noch schutzloser machte, ohne weiteres nach Bardai gegangen, in der Hoffnung, daß meine Briefe vom Gouverneur Fezzans und vom Hadsch Dschaber aus Qatrun hinreichen würden, mir Schutz und Sicherheit zu gewähren. Aber die Herren von Qatrun widerrieten diesen Schritt auf das ernstlichste. Die Bewohner Bardais seien durch ihre Abgeschlossenheit von der Außenwelt viel roher, gewalttätiger und Fremden feindlicher gesinnt als die eigentlichen Tubu Reschade; es sei unumgänglich, vorher ihre Dispositionen zu kennen. Ihr Rat aber sei überhaupt, so schnell als möglich nach Fezzan zurückzukehren und ganz auf den Besuch Bardais zu verzichten.
Hierin mochten sie recht haben; doch trotz aller finsteren Ahnungen konnte und durfte ich meinen Plan noch nicht verloren geben. Auf der einen Seite lockte mich die Übersteigung des Gebirgsstockes Tarso und der Besuch Bardais und Jerikes, auf der andern drohte uns, selbst bei sofortiger Rückkehr nach Fezzan, durch den Mangel an Mundvorräten unterwegs der empfindlichste Hunger. Auch meine Leute, welchen ich die Sachlage vorstellte, entschieden sich bei ihrem lebhaften Widerwillen gegen das Hungern für den Zug nach Bardai. Wir konnten damals noch nicht ahnen, daß wir bald froh gewesen sein würden, unter ungleich ungünstigeren Nahrungsverhältnissen den Rückweg antreten zu können.
Es wurde also im Rate beschlossen, Bu Zeid mit Briefen und Geschenken vorauszuschicken, um die Stimmung des Häuptlings, der dortigen Edlen und der Bewohner Bardais zu erforschen und einige Vorräte von Datteln und Getreide einzukaufen.
Es folgten nun trübe Tage der Sorge, der Langeweile und des Hungers. Mein Zelt war zwischen zwei Felsen aufgeschlagen, welche einen Winkel bildeten, der nicht völlig geschlossen war, so daß gerade ein Mensch durch die Lücke passieren konnte. Während wir so im Rücken ziemlich gedeckt waren, sammelten sich allmählich vor uns verdächtige Besucher, welche den offenen Bogen des Felsenwinkels allmählich verschlossen und mich moralisch belagerten. Wer edlen Ursprungs war und nicht allzufern von uns hauste, kam herbei unter dem euphemistischen Vorgeben, mich zu begrüßen, in Wahrheit aber, um seinen Anteil am Raube zu haben. Wie die Aasgeier umkreisten sie mich, beanspruchten, von mir ernährt zu werden, drohten und bettelten abwechselnd, kurz, machten meine Existenz zu einer unleidlichen.
Festgebannt an Tao, ohne Kamele, mit gänzlich geschwundenen Mundvorräten, inmitten starrer, nackter Felsen, von Schmarotzern belagert und von Dieben bedroht, lag ich meist trübe gestimmt da und beschäftigte mich automatisch mit Wetterbeobachtungen. Die Nacktheit der Felsen, ihre schwarze Farbe und schroffen Formen, die wilde Einsamkeit des Ganzen waren nur geeignet, das Gefühl der Verlassenheit und Hilflosigkeit zu erhöhen, und ließen mich finsterer wiederkehren, als ich gegangen war. Selbst eine Affenfamilie, der ich fast täglich auf ihrem Wege zum Brunnen begegnete, konnte jene trüben Eindrücke nicht verscheuchen. Ihre dunkle Färbung und ihr wildes Aussehen harmonierten viel zu sehr mit den Felsen, als daß der erheiternde Eindruck, den ihre grotesken Bewegungen unter andern Verhältnissen auf mich gemacht haben würden, hätte zur Geltung kommen können. Sie erschienen mir vielmehr als kleine boshafte Felsteufel, die sich mit ihrem heiseren Gebell, dessen Echo von allen Seiten unheimlich zurückschallte, an meiner verzweifelten Lage zu weiden schienen.
Am 25. Juli abends war ein für mich sehr wichtiger, bereits mehrfach erwähnter Mann auf dem Schauplatze meiner Bedrängnisse erschienen. Dies war Arami, Birsas und Gordois Onkel, der angesehenste Maina des Landes. Von ihm konnte ich Ruhe vor den übrigen diebischen Schmarotzern, und, wenn es mir gelang, seinen Schutz zu erkaufen, sichere Rückkehr nach Fezzan erhoffen. Er war offenbar sehr eitel und ehrsüchtig und sprach mit Vorliebe von seinem Ansehen und seiner Macht in Tibesti, von der Armut und Altersschwäche Tafertemis, und wie es nur ihm möglich sein würde, mir sicheren Schutz angedeihen zu lassen. Sein Äußeres trug gleichwohl ebenfalls nur wenig Spuren von Wohlstand und Macht.
Ehe sich Arami nach seiner Ankunft entschloß, mir seinen Besuch zu machen, erschien Birsa in offiziöser Weise, um sich über Vernachlässigung seines hohen Verwandten meinerseits zu beklagen, da ich ihm nicht einmal einen Teppich oder eine Decke als Bett angeboten und als Gastmahl ein sehr unzureichendes Gericht Reis übersendet habe. Arami sei ausschließlich nach Tao gekommen, um mich zu sehen und zu beschützen, nachdem Derdekore ihm einen expressen Boten in seinen eigentlichen Wohnsitz Gabon gesendet habe, um ihn zu dieser Reise zu bewegen. Sein kundiges Auge hatte unter den Gegenständen, welche meinem persönlichen Gebrauche dienten, bald das erspäht, dessen er sich bemächtigen wollte, da er wohl wußte, daß die von mir überbrachten Geschenke für Tibesti und Borku teils in Zuar von seinen Kollegen erbeutet worden waren, teils sich im Gewahrsam Bu Zeids befanden. In der Art und Weise, zu seinem Ziele zu gelangen, folgte er ganz der widerwärtigen Methode seiner habgierigen Landsleute in solchen Fällen. Wenn dieselben mit bewaffneter Hand die Sprache von Straßenräubern führten und deren gewaltsames Benehmen offen zur Schau trügen, so wüßte man, wie man sich ihnen gegenüber zu verhalten hätte. Doch so jagen sie versteckterweise und unermüdlich tage-, wochen-, ja monatelang einem Gegenstande nach, der ihnen gefällt, bitten zuerst in einfacher Form, quälen dann höchst belästigend, flechten später unbestimmte Drohungen und entmutigende Zukunftsbilder in ihre Bitten ein, geben denselben durch den Umständen angepaßte allgemeine Wahrheiten, die nicht gerade erheiternder Natur sind, Nachdruck, wie zum Beispiel »der Kopf ist kostbarer als Geld und Gut« oder »viel Besitz tötet seinen Herrn«, und gehen erst im äußersten Notfalle auf die mehr speziellen Drohungen unter Hinweis auf ihren reichen Waffenapparat über. Ich ließ meine Leute ihre Gewehre sich an den Körper binden, um ihre Entwendung zu verhindern und sie stets im Handbereiche zu haben, und legte selbst weder am Tage noch in der Nacht den Revolver ab.
Endlich am zwölften Tage erschien zwar nicht Bu Zeid, doch ein Brief von ihm, der die lakonische Nachricht enthielt, daß die Datteln noch nicht reif und die Getreideernte von Insekten zerstört sei. Die Bewohner Bardais, berichtete er, seien bei der Nachricht von meinem beabsichtigten Besuche ihres Tales aufrührerisch geworden und hätten sie (Bu Zeid und Gordoi) zu töten gedroht, so daß sie sich in den Felsen der Nachbarschaft einige Tage zu verbergen gezwungen gewesen wären. Darauf habe der Häuptling Tafertemi nach langer Diskussion mit den Bewohnern erklärt, daß, wenn man nicht wolle, daß der an ihn adressierte Fremdling nach Bardai komme, er selbst über die Berge zu ihm gehen werde. Demzufolge werde Tafertemi mit meinen Boten und einigen andern Begleitern am zweiten Tage nach Ankunft des Briefes in Tao zu meinem Besuche erscheinen.
Das waren traurige Aussichten, und ich sehnte mich recht nach der Möglichkeit, sofort nach Fezzan zurückkehren zu können. Auch im engern Rate mit meinen Dienern wog die Ansicht vor, Bardai aufzugeben. Arami beförderte diesen Entschluß, indem er mir begreiflich machte, daß die Ankunft Tafertemis sich ebenso lange hinausziehen werde, als wir auf Bu Zeid gewartet hätten, und daß es bei meiner gänzlichen Entblößung von Lebensmitteln unmöglich sei, dieselben in Tao abzuwarten.
Tatsache war, daß Arami mich gern von allen übrigen isoliert und endlich gänzlich ausgeplündert nach Fezzan zurückgeschickt hätte; dafür waren ihm aber jetzt zu viel teilberechtigte Leute gegenwärtig, und meine Verhältnisse, da die Kamele, wenn auch sehr heruntergekommen, doch vorhanden waren, noch zu günstig. Als ich ihm dann doch erklärte, Tao nicht verlassen zu wollen, und er meine Begegnung mit Tafertemi und seinen Begleitern für unvermeidlich zu halten anfing, begann er seine Ansprüche immer bestimmter zu formulieren. Zunächst reklamierte er einen tripolitanischen Teppich und eine jener großen wollenen Decken aus Tunis, welche Batanija genannt werden; er tat es kühl zurückhaltend, doch fest, und machte seine Protektion von diesen unfreiwilligen Geschenken abhängig.
Doch Tafertemi kam nicht. An dem Tage, an dem wir nach Bu Zeids Angabe seine Ankunft erwarten mußten, und sich unsere Augen schon müde geschaut hatten, sahen wir endlich gegen Abend einen einzelnen Mann mit einem Kamele den nordöstlichen Bergesabhang herabklettern und erkannten in ihm bald den kleinen Gordoi. Er führte uns eine kleine Kamelladung halbreifer Datteln zu, das einzige Nahrungsmittel, das aus der »Kornkammer« Tibestis, Bardai, hatte erzielt werden können, und berichtete über die Ereignisse daselbst. Als der erste Aufruhr über das Gerücht meines Kommens sich gelegt, und die Bevölkerung sich nach genauer Durchsuchung der Umgegend überzeugt hatte, daß ich noch nicht in ihrer Nähe sei, hatten die Leute mit ruhigerem Blute Kenntnis von den Briefen der Fezzaner Regierung und des Hadsch Dschaber genommen und erklärt, daß, wenn Tafertemi einmal darauf bestände, mich zu sehen, sie in Rücksicht auf sein hohes Alter (er sollte ungefähr 90 Jahre zählen) meinem Besuche in Bardai kein Hindernis in den Weg legen wollten.
Nach reiflicher Überlegung sah ich keinen andern Ausweg vor mir, als der Einladung zu folgen, obgleich mir dieselbe bei dem zweideutigen Benehmen Bu Zeids Verrat zu bergen schien.
Mit dem letzten Stück Kamelfleisch und dem Beschluß der Abreise zerstreuten sich die Schmarotzer, welchen die viertägige Reise nach Bardai bei unzulänglichem Genüsse halbreifer Datteln nicht verlockend erschien; nur der alte Bruder Kolokomis und der hinkende hochedle Tangesi hielten Stand.