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Statt aller Vorrede habe ich bloß zu erklären, daß diese Briefe wirklich geschrieben sind. Ferner, daß ich den Salzschreiber Seeliger selbst gekannt habe oder noch kenne, denn allem Anschein nach wandelt er noch, so gut als ich selber, unter den Lebenden.

Er war von jeher ein Mensch, der sich in beständigen Widersprüchen umherbewegte, und es ist deshalb kein Wunder, daß er allen Parteileidenschaften der Zeit zum Opfer verfallen mußte. Diese Widersprüche, in die er unaufhörlich geräth, sind aber vielleicht das einzig Interessante an dem ganzen Schreiber, wenn auch andere Leute nicht immer derselben Meinung sein dürften.

Daß ich seine Briefe öffentlich herausgebe, darin folge ich nur einer weitverbreiteten Mode in unserer Literatur. Denn da Goethe und Schiller und manche sonst ihre Briefwechsel edirt haben, so sehe ich nicht ein, warum nicht auch der des Salzschreibers Seeliger ans Licht und zum Druck befördert werden soll?

Der Salzschreiber hatte diese Briefe, die eine nun abgeschlossene Periode seines Lebens umfassen, in einen Bündel zusammengewickelt und darauf geschrieben: Mein Wirrwarr. Diesen Wirrwarr wünschte er zu Nutz und Frommen derjenigen strebenden jungen Leute, die in dieser Zeit etwa in ähnliche Anfechtungen und Bedrängnisse gerathen möchten, herausgegeben zu wissen. Ich machte moderne Lebenswirren daraus, zog hier und da mehrere Briefe in einen einzigen größeren zusammen, ließ zu Bedenkliches ganz fallen, und bemühte mich zugleich, im Ganzen eine gewisse Ordnung und Folge herzustellen. Später wurden, aus anderen Rücksichten, noch eingreifendere Veränderungen nothwendig. Ich fand mich nämlich veranlaßt, dem Salzschreiber ganze Zahnreihen auszubrechen, ohne sie immer durch künstliche Stifte wieder füllen zu können, und so wurde der Wirrwarr eigentlich jetzt erst vollkommen. Der Salzschreiber kann sich jedoch dazu gratuliren; er ist gewissermaßen dadurch in integrum restituirt.

Möge dies friedfertige Buch nun gehen, und an die Thüren klopfen, und die Herzen finden! Nur für den Leser ist es nicht, der gewohnt ist, bei einer Schrift immer nur auf die Resultate zu sehn, die sie ihm in festen Massen in die Hände liefert. Dies Buch, und ich darf es als bloßer Herausgeber wohl gestehen, liebe ich gerade deshalb, weil es gar keine Resultate hat, sondern nur dazu reizt, dieselben zu suchen. Es ist gerade so resultatlos, als unsere Zeit selbst es noch bis auf diese Stunde ist, und ein Buch muß und kann nicht klüger sein wollen, als seine Zeit. Diejenigen also, die durchaus Resultate haben wollen, während sie doch einmal dem Buche fehlen, thun besser, es ganz ungelesen zu lassen, und erst nach einigen Jahrzehnten wieder nachzufragen. Ihr aber, Sinnende, ich kenne Euch! Willkommen! Willkommen! Schönes und Großes ahnende Seelen, ihr versteht in euch selbst Resultate zu erzeugen!

Viele wahre Personen treten in diesen Briefen auf. Daß die köstliche Esperance lebt, versteht sich von selbst. Nur heißt sie nicht so. Dem vertrautesten Leser will ich ihren Namen ins Ohr flüstern. Sie heißt*********. –

Neu-Schönhausen.
   No. 11.

Th. Mundt.     
Am Pfingstsonntag, 1834.

An Esperance.

Kleinweltwinkel, l. Mai 1833.

Fräulein! Ich kann mir Ihre allerliebste Verwunderung vorstellen, mit der Sie diesen Brief empfangen, ihn kopfschüttelnd durchlaufen und dann den kleinsten der kleinen Finger als ein milde ausgestrecktes Fragezeichen auf die Unterschrift legen werden, welche Ihnen den unseeligen Namen Seeliger vor die Augen führt!

Ja, verwundern Sie sich nur, die Verwunderung muß Ihrem Gesichtchen so gut stehen wie ein neues weißes Morgenhäubchen! Ob mir aber, dem stummen menschenscheuen Träumer, auf einmal das Redseeligwerden und das Briefschreiben ebenso gut stehe, als Ihnen Ihre Morgenhäubchen, das, Fräulein, ist eine verzweifelte Frage, über die ich mir jedoch nicht den Kopf zerbrechen will. Weil Sie in weiter Ferne von mir entrückt sind, Esperance, darum muß und kann ich Ihnen schreiben. In Ihrer Nähe, ach, würde ich Ihnen vielleicht wieder, wie immer, kein halblautes Wörtchen aus meinem zurückbebenden Herzen sagen und als ein Gleichgültiger an der Gleichgültigen vorüberzugehen scheinen.

So sind die Menschen und so laufen sie an einander vorbei. So sind wir, Esperance, zwei Jahre lang an einander vorbeigelaufen, bei aller Seelennähe ohne allen Seelengruß, und wenn ein Gefühl in uns geboren wurde, haben wir versäumt, mit den Glocken zu läuten, um es zu taufen, und wenn unsere Naturen sich berührten, haben wir den Klang der Berührung nie zu einem vollen wirklichen Wort austönen lassen, eilfertig wieder von einander stiebend; und so haben wir glockenlos, wortlos, festlos gelebt, und hätten doch alle Tage in Feierkleidern der Liebe tanzen können. Ach du gute Zeit, was bin ich für ein Narr gewesen, daß ich nie zu Dir gesagt: Esperance, ich liebe Dich! Dann hätte Dein schnelles, kluges, schwarzes Auge mich weniger scharf durchdringend angesehen als sonst, und die freundliche Göttin in Deinem Busen, im Rosa der Wangen und im Ton der Lippen holdseelig aufsteigend, würde mir vielleicht beglückend geantwortet haben. Ich weiß es, ich weiß es! Und wir wußten es!

Der einäugige Krautmeyer, Euer ehemaliger Kleiderausklopfer, ist hier durchgereist gekommen, da er sich, wie er mir sagte, auf die Wanderschaft durch die weite Welt begeben hat, um die Menschen kennen zu lernen. Von ihm erfuhr ich, wie es Dir und den Deinigen seit meiner Entfernung aus der Hauptstadt dort gegangen. O Esperance, Du bist also wirklich Schulmeisterin geworden, am Fräuleinstift der heiligen Ursula? Nun, das ist einmal wieder das Loos des Schönen auf der Erde! Ach Mädchen, glaube mir, ich habe geweint um Dich, ich närrische Thränenstaude, als mir der alte Krautmeyer dies von Dir erzählte, und doch, ja, kann ich mir denken, daß Du als Lehrerin eigentlich ganz gut an Deiner Stelle sein mußt! Deine Schönheit, Du viel und allzuviel reflectirendes Mädchen, war mir schon immer mehr ein didaktisches Gedicht als ein romantisches, und in Stunden, wo ich böse auf Dich war, sagte ich mir oft vor, (es war ja mein eigener Schade, darum verzeih'!) daß Weiber Deiner Art doch nur kalte Küche in der Liebe zu kochen verständen. Und doch kehrte ich immer gern und wie gezwungen zur didaktischen Poesie Deines sinnenden Gesichtchens wieder zurück, und wärest Du auch leibhaftig ganz und gar ein tugendüberpfropftes Lehrgedicht von Hagedorn in Alexandrinern gewesen, ich hätte doch, beim Himmel, meine Seeligkeit darum gegeben, dies fürchterliche Lehrgedicht nur einmal so recht von Herzen küssen zu dürfen. Ich wollte Dich schon romantisch machen, Du kleine Didaskalie, hätt' ich Dich nur! seufzte ich oft, und doch that ich nichts, und blieb stumm, ein Narr meiner Gefühle. Du aber, Esperance, wenn ich Abends bei Euch auf Eurem Zimmer gewesen und Du, wie ein kleiner Professor, über das, was Du den Tag über lasest, uns vorerzähltest, und dann, wann es spät, und Du vom vielen lebhaften Sprechen ermüdet, von Deiner Mutter auf Dein Kämmerlein zur Ruhe geschickt wurdest, – – dann, dann flogen Dir meine erbrennenden Gedanken in Sehnsucht nach, und ich gelobte mir, daß ich selbst nie Professor werden wollte, wenn Du mich nur in Deine Schule nehmen wolltest als Deinen Favoritschüler, ja wahrlich!

Aber warum weinte ich denn nun, daß Du Schulmeisterin geworden? Gott weiß es, Esperance! Doch Du kennst ja meine alte Gespensterfurcht vor den Schulstuben, und wie ich selbst nie in der Schule etwas lernen konnte, sondern immer hinter die Schule ging, um Gottes Schöpfung im Freien zu studiren, so daß ich von den vielen Prügeln meines Vaters fast zum Krüppel wurde. Als Student schrieb ich einmal eine Parodie von Calderons Leben ein Traum; sie hieß: »Das Leben eine Schulstube.« Ich behandelte darin wirklich etwas, was mir Unglücklichen unaufhörlich, und noch jetzt zuweilen, im Traume vorzukommen pflegte. Mir träumte nämlich alle Nacht, ich sei noch ein kleiner Fibelschüler, der die ABC nicht begreifen konnte. Die ganze Stube war dann voll schreiender und schnarrender Jungen, ich, obwohl ein völlig ausgewachsener ABC-Schütz, doch mitten unter ihnen, und auf dem Katheder saß ein langer knöcherner Schulmeister mit einer Hippe in der Hand und eine Sanduhr vor sich, den alle Jungen Vater Tod! nannten. Vater Tod rief mich nun immer zuerst auf, und ich mußte meine Fibel aufschlagen, und das Wort: Leben buchstabiren. Mit unsäglicher Angst quälte ich mich dann immer ab, das Wort: Leben zusammenzubuchstabiren und konnte es nicht; in meinen Kinnbacken saß es wie ein Fluch, daß ich sie nicht zu rühren vermochte, ich wand mich wie im Fieber, der Schweiß troff in Strömen von mir herab, und die Schulbuben lachten und warfen mir höhnend ihre Fibeln an den Kopf und schrieen: Der große Mensch kann das Leben nicht buchstabiren! Vater Tod aber langte mich alsbald heraus, und spießte mich auf seine Hippe, und zeigte mich den Andern triumphirend, indem er ausrief: das ist ein Genielein, der kann das Leben nicht buchstabiren! Dann knickte er mich zusammen wie ein Taschenmesser und ließ mich in seine Sanduhr hineinspazieren, daß ich bis über die Ohren darin begraben wurde, und die Schulbuben jauchzten und brüllten, und indem sie nun aus tausendstimmigen Kehlen das Wort: Leben buchstabirten, summten sie mir damit mein Grablied, an dem ich langsam hinstarb, bis ich endlich, einem Zerschlagenen ähnlich, aus diesem lächerlich fürchterlichen Traum erwachte. Diesen mir oft jetzt noch träumenden Traum benutzte ich, wie ich Dir gesagt, zu einer Tragikomödia, indem ein großer Gelehrter, den ich darin schilderte, und der auf ähnliche Weise an hypochondrischen Träumen litt, nie recht weiß, ob er eigentlich Schuljunge oder Schullehrer ist, und in diesem Conflict, in welchem er Leben und Traum, wachen und schlafenden Zustand, gleich dem Prinzen Sigismund in des unsterblichen Spaniers Stück, mit einander verwechselt, sich abängstigend und abzehrend, verzerrt sich ihm im Wahnsinn das ganze Leben zu einer engen dumpfen Schulstube, in der er sich gefangen glaubt, und aus der er endlich durch ein spaßhaftes Wunder errettet wird, indem der Magister Matheseos, den ein fauler Schüler sich zum Zeitvertreib mit Tinte auf den Schultisch hingezeichnet hatte, als allegorische Person aus dieser Zeichnung aufersteht, und ihm beweist, wie sich Hypothenuse, Kathete und rechter Winkel zu einander verhalten. Dies war ein lesenswerthes Stück, und es muß noch bei dem Speisewirth im Schwarzen Keller liegen, der mir für den Mittagstisch meine Sachen, und darunter auch meine Jugendpapiere, pfändete, weil ich ihm damals nicht bezahlen konnte.

Und liegt denn nicht auch in unserer Zeit so viel altkluge Schulmeisterlichkeit, und schulmeisterliche Altklugheit der Lebensansicht, daß einem Expädagogen, wie ich es ja bin, bange werden muß, wenn ihm geboten wird, sich das liebste Bild seiner Gedanken fortan in einer Mädchenschulstube aufzusuchen? Doch was verfinstere ich mir so ohne alle Noth meine Phantasie! Warum denke ich Dich mir nicht in Deiner unzerstörbaren Lieblichkeit, wie Du, ein weises schönes Mädchen, unter Deinen kleinen Ursulinerinnen dasitzest, und mit emporgehobenem Zeigefinger holdseelig ihnen die Wege ihres unschuldigen Wissens zeigst? Und der Amarantenkranz mütterlicher Dankbarkeit flicht sich dabei wie ein Heiligenschein um Dein glänzendes Scheitelhaar, Du herrliche Esperance! Ach, Deine gute alte Mutter, mußte sie noch unter der späten Wintersonne ihres Lebens, eingeschneit von dem weißen Schnee hoher Jahre, das Unglück haben, zu verarmen! Wäre ich, ohnehin Schiffbrüchiger, doch untergegangen statt des Schiffes, das Hab und Gut des Kaufmanns trug, dem Ihr Euer Vermögen anvertraut hattet! Für mich hat das Leben doch nur noch Strandgut übrig, und für Deine Mama, die mir immer einen Kaffee kochte, wie ich ihn seitdem nie wieder getrunken, wäre ich gern durch Wasser und Welle bis in den Tod gelaufen! Hatte sie mich nicht zwei Jahre lang als hoffnungslosen Candidaten in dem statiös möblirten Zimmer vorn heraus wohnen lassen, für das sie von jedem Andern die erklecklichste Miethe gezogen hätte, während sie immer mit meinem Nichthaben so viel gütige Nachsicht bezeigte, als der Philosoph Hegel mit dem Nichtsein, das er trotz seines Nichts doch als ein Moment im Werden anzuerkennen die Gnade gehabt. Deine Mutter dachte auch jederzeit, es würde schon mit mir werden, aber es wurde Nichts, denn mein Schicksal war von jeher zu unlogisch, als daß es aus dem Nichts meines Geldbeutels ein Etwas hätte werden lassen sollen, und als ich von Euch, mit zahlungsunfähigen Thränen, auszog, war Deine Mutter großmüthig genug, sich nicht einmal an den Manuscripten meiner dreiundzwanzig Tragödien, die ich als Student, statt in's Collegium zu gehn, mir in wehmüthiger Muße zusammengeschrieben, zu pfänden, bis es endlich ein hartherzigerer Sterblicher that. Für eine solche Mutter bist Du Schulmeisterin geworden, um ihr durch Deinen Erwerb des darbenden Alters hartes Brot zu süßen, und noch einmal reiche Garben um ihre entlaubten Tage zu flechten! Mädchen, ich bete Dich an! Du erscheinst mir groß, geliebte Lehrerin, Lehrerin aus Kindesliebe! –

Jetzt muß ich Dir aber auch sagen, was denn eigentlich aus mir geworden! Ja, denke Dir, von all meinen Plänen, Träumen, Hoffnungen, Bestrebungen, von all den göttlich großen Dichteraussichten und Zeitbegeisterungen, ist nichts, gar nichts aufgeblüht und ausgewachsen zu einem scharten- und obdachgebenden Fruchtbaum! Hu, die Frühlinge gedeihen nicht mehr, die Welt läßt die Maigedanken erfrieren, ehe sie zu vollgereiften Gedichten werden können! Was sollte ich thun? Ein gelehrtes Amt konnte und wollte ich nicht annehmen noch vorstehen. Mein Schöpfer hatte sich nicht die Mühe bei mir gegeben, einen Beamten aus mir zu schaffen. So siehst Du mich denn als – Salzschreiber hier in Kleinweltwinkel angestellt. Ja, hier in diesem niedlichen Nest hat sich mein Lebensgeschick so recht wörtlich versalzen, und ich bin als Salzschreiber bei dem hiesigen Salinenamt auf Diäten beschäftigt. Ein hübsches Amt, denn es ist eigentlich kein rechtes Amt, weil ich so viel schreiben kann, als ich will und brauche. Frei bin ich dabei, vogelfrei, hungerfrei, wie Du willst! Aber Eines ist mir geblieben, das viele Spazierengehen und Herumlaufen, bald durch Wald und Busch, bald über die abendfeuchte Wiese, bald mit der Lerche, bald mit der Nachtigall! Und das erhält mich. Ach, und die lieben Kleinstädter um mich her! Gottes Wunder, was die lieben Dinger gutmüthig und natürlich sind!

Aber in meinem innersten Wesen bin ich krank. Dir, Du Gedanke meiner Gedanken! sei es geklagt, wie es ist! Diesen Käfern und Würmern, die ich hier meine Nebenmenschen nenne, sage ich immer: ich bin gesund! wenn sie in ihrer freundlichen Unausstehlichkeit fragen: wie befinden sich der Herr Salzschreiber? wie haben der Herr Salzschreiber geruht? Zu Dir, Esperance, sage ich: ich bin krank! Der kalten, guten, lieben, gewöhnlichen Welt hält man eine lachende Larve entgegen; es ist ja so leicht, freundlich zu sein. Wo man aber liebt, da regen sich auch die geheimsten Schmerzen mit, und wollen mit dabei sein, und wenn der ganze Mensch sich hingiebt, weint dem heißen stürmischen Jubel der Freude auch all sein verborgenes Lebenselend leise seufzend nach, um, von der allgemeinen Klanglust ergriffen, auch zu erklingen. Ja, ich bin krank! Alles an mir und in mir liegt danieder, wie zertretene Saat; mein Herz ein Kirchhof, aber ohne Kirche, in den Gräbern junge Dichterhoffnungen, Armesünderleichen, die nicht seelig geworden sind, aber noch oft als Gespenster aufsteigen, mir die Ruhe zu stehlen. Die Wurzeln großen Wollens und Vollbringens, durch die Indifferenz der Umstände ohne Blüteansatz gelassen, liegen wie schwere und drückende Strünke in meiner Natur herum, und fangen an zu faulen. Ich spüre eine Krankheit in mir, die ich noch in keiner Pathologie beschrieben gefunden. Ich habe den Zeitpolyp. Seit der Juli-Revolution 1830 hat er sich in meinem Herzen angeschwemmt, und muß jetzt gerade so groß geworden sein, wie eins von den Revolutionseiern, die, wie mein College bei der hiesigen Salinenschreiberei, der Copist Mundus, immer erzählt, ein aus dem uralten Räthselland Aegypten herübergeflogener dämonischer Vogel in den Julitagen über ganz Europa gelegt haben soll; so daß nach seiner Ansicht die Juli-Revolution nie in einem Wintermonat hatte ausbrechen können, sondern blos die heiße Julisonne es verschuldet hatte, daß jene Eier ausgebrütet wurden. Aber mein Zeitpolyp, glaube mir, Mädchen! ist eine schwere, zehrende Krankheit. Er frißt und kneift an meiner Natur, wie das vielberüchtigte Prinzip der Bewegung an einem stabile Einfälle wie ein altes Haus habenden Staatsgebäude. Es ist das Wehthun der Zeit in meinem innersten Menschen, woran ich hinschmachte. Der Zeitgeist thut weh in mir, Esperance! Kennst Du das? Der Zeitgeist zuckt, dröhnt, zieht, wirbelt und hambachert in mir; er pfeift in mir hell wie eine Wachtel, spielt die Kriegstrompete auf mir, singt die Marseillaise in all meinen Eingeweiden, und donnert mir in Lunge und Leber mit der Pauke des Aufruhrs herum. Vergebens lese ich in jetziger Stimmung meinen alten geliebten Goethe, um mich durch ihn wieder in die gute goldene altväterliche Ruhe eines literarischen Deutschlands hineinzuwiegen und einzulullen; vergebens brauche ich seine herrlichen Werke, um sie mir gewissermaßen als Aufruhr-Acte gegen meine dermalige Zeitaufregung zu verlesen. Es hilft Alles nichts mehr. Wo fünf beisammen sind, wird es nach gewöhnlichen Bestimmungen der Aufruhr-Acten schon für einen Auflauf und eine Emeute angesehen, und so denke ein Mensch, was es heutiger Zeit für Aufläufe und Emeuten in einem Individuum geben muß, bei dem seine fünf Sinne immer beisammen sind! Man erlasse auf dem Wege Rechtens eine gesetzliche Aufforderung an diese fünf Sinne, auseinanderzugehen und sich als ruhige Bürger in ihre friedfertige Häuslichkeit zurückzuziehen, und wenn es hilft, so werden die Staaten und Throne gesichert sein, Alles wird hübsch beim Alten bleiben, Rindviehzucht, Ackerbau und Gewerbe werden blühen, die Stabilität wird ihren Triumph erleben, und keine Revolution kann entstehen. Mit meinen im Aufruhrzustande begriffenen fünf Sinnen bringe ich's aber nicht so weit. Himmel, ich bin ein Unruhiger, und weiß doch nicht, was ich will und soll! So viel weiß ich nur, daß etwas Neues mit mir vorgehen muß, wenn ich leben bleiben soll, und daß ich die Wiedergeburt meines alten Deutschen Adam nur in den jetzigen politischen Zeitinteressen finden kann! Wie aber soll ich hier, nach Kleinweltwinkel verschlagen, an dies entlegenste Thule der Weltgeschichte gebannt, wo nur selten einmal, wie ein verirrter Schiffer, eine Zeitung hinkommt, wie soll ich hier, unter diesen jämmerlichen unhistorischen Kleinstädtern, die noch nie eine Geschichte gehabt haben, an dem Werk meiner Wiedergeburt arbeiten? O mon dieu! Wie soll ich hier den Sauerteig der Zeit, der noch formlos in mir gährt, zum wahren Brod des Lebens ausbacken? Da muß ich hier sitzen, und Salzrechnungen schreiben! Ach ihr Götter alle! Salz, Salz, was ist Salz? Pulver möcht' ich schreiben in die Zeit hinaus, und auf dem Streitroß meiner kriegführenden Gedanken möchte ich als ein Held ausziehen in das Schlachtgetümmel der Geschichte! Siehst Du nun, Esperance, die Du mich einzig verstehst, wie krank und unglücklich ich bin? –

Mit meinem alten Freunde Kienast mußte ich auch noch, kurz vor meinem Abgange aus der Hauptstadt, zerfallen. Es war eine gute Seele – oder soll ich lieber sagen, gute Haut – den Keiner mehr so lieb haben wird, als ich ihn hatte. Wir führten eine ordentliche Ehe miteinander, und mußten uns alle Tage sehen, wenn uns wohl sein sollte. Wenn wir uns gezankt hatten, wurden wir uns doch regelmäßig immer wieder gut, aber wie sich der Mythe nach Kastor und Pollux einander um die Wette ablösen, so lösten sich auch bei uns immerdar Zanken und Harmoniren um die Wette ab, und beide waren, gleichwie Kastor und Pollux, gewissermaßen eins im Bunde. In den letzten Jahren schienen in das Menschenkind ganze fremde Elemente gekommen zu sein, und die Kienastische Liebenswürdigkeit wurde widerhaarig, und leckte gegen den Stachel. Ich mochte auch gerade meine unausstehliche Periode gehabt haben. Da stritten wir uns einmal, wenn ich mich noch recht entsinne, über die neu aufgekommene Mode der historischen Romane, und verfingen uns dabei anderweitig so sehr in unsern Persönlichkeiten, daß sich seitdem unser großes Schisma herdatirt. Dies ist das größte Schisma meines Lebens, und für mich bedeutender, als das bekannte Schisma in der päpstlichen Christenheit. Nun, Gott befohlen! Ein Revolutions-Unstern muß über der Zeit stehen, der kein rechtes Verhältnis mehr aufkommen läßt, und allem friedlichen Liebeglück unter dem Monde feindlich leuchtet. Wer weiß auch, ob Freundschaft und Liebe nicht jetzt aufgehört haben, zeitgemäß zu sein, da gewisse Ideen in gewissen Geschichtsepochen immer bei der Menschheit auszusterben pflegen.

Doch nein! ich will nicht freveln! Ich fühle, daß ich noch lieben kann! Zu Stunden blüht mein Herz auf, wie ein Frühling auf Kamschatka. Es wirft lächelnde Sonnenstrahlen, aber es bescheint mit seiner warm menschlichen Sehnsucht die öde kalte Welt der nächsten Nähe. Flatternde Liebesgötter taumeln wonnig äugelnd aus diesem sich so leicht berauschenden Herzen heraus, und sie gaukeln und möchten scherzen und schlagen die Flügelein auseinander, und schwärmen umher nach einer Brust, an die sie sich werfen könnten. Die armen Kleinen! Wie bettelnde Kinder, irren sie ohne Obdach umher, und Keiner reicht ihnen eine milde Gabe, und nach all der jauchzenden Jugendbegeisterung kehren sie endlich kleinlaut und mit Kummerzähren wieder zurück in die Hütte der Verzweiflung, – das Menschenherz. Sie mögen auch wohl selbst an ihrem Unglück Schuld sein, die närrischen Kinder. Denn stehen sie nicht stumm und blöde, selbst wenn sie die verwandte Seele gefunden haben, und bei Esperancen gehn sie vorüber, und wissen kein Wort zu sagen, und schweigen sich eher vor Liebe zu Tode. –

Ach, Esperance, ich habe Dir jetzt einen langen Brief geschrieben. Ich mußte ihn schreiben, selbst auf die Gefahr hin, daß Dein klarer Mädchenverstand mich auslachen würde. Siehe, Einzige! – ja ich sage Einzige, die mich versteht, und von der ich verstanden sein möchte! – ich fühle großen Trost und Stärkung darin, Dir mittheilen zu dürfen, was mich in dieser Zeit bewegt, und wie es wunderlich in mir hergeht und vorgeht. Jede Creatur will auch einmal von sich selbst erzählen, und wer gar Niemanden hätte, dem er von seinem Ich spräche und an dem er sein Ich reflectirte, würde am Ende aufhören müssen, ein Ich zu sein. Ich habe Niemanden in der weiten zertheilten Welt, an den ich denken mag, als Dich, o Freundin! Schien ich in Deiner Nähe immer kalt und nichtssagend zu sein, so hast Du mir wohl das selbst nie so recht geglaubt. Dein Bild hatte ich mir, als ich es das erste Mal sah, sogleich unter die göttlichen Geheimnisse meines Busens gestellt, und wollte es dann im Alltagsverkehr des gewöhnlichen Lebens nicht wieder herausnehmen. Ich hoffte immer, ich weiß selbst nicht auf welche Zukunft, wo einmal ein großer allgemeiner Feiertag mit Glockenverkündigung für unsere inwendig geborene Sympathie anbrechen würde. Jetzt aber, seitdem ich von Dir entfernt bin, steigt Dein Gesicht leuchtend aus meiner tiefsten Seele heraus, und alle Nacht ist es bei mir, wenn ich halb träumend, halb wachend liege, in dunkler sinnender Einsamkeit mich hin und her werfend, und sieht mich an mit den unvergeßlichen Blicken, und ich spreche mit ihm. Der freundliche Eros dieser Gedankenliebe erhellt dann mein kleines Gemach, ich empfinde Dich bis zum Küssen nahe, und stammele Dir tausend Worte, die ich Dir nie zu sagen gewagt. Meine Gedanken alle, wie sie Dir gehören, tauschen sich unaufhörlich gegen Dich aus, ich vertraue Dir Jedes, und mit dem Kleinsten und Größten bin ich Dein, und Dein Antlitz lächelt verstehend, und ich denke, Du bist mein! Verzeih! Verzeih!

Ja verzeihen Sie, mein Fräulein! Ich weiß überhaupt nicht, ob ich um Entschuldigung bitten soll, daß ich in diesem mit Sie begonnenen Briefe Du gesagt, oder ob ich um Entschuldigung zu bitten habe, daß ich Sie gesagt? Jedenfalls bin ich, hochverehrtes Fräulein,

Ihr

unglücklicher Salzschreiber
Seeliger.     

P. S. Verzeihen Sie, daß auf dem Couvert steht: » Salzangelegenheiten.« Der Brief erhält dadurch die Vergünstigung, auf freien Füßen – wären es doch Freiersfüße! – zu Ihnen zu kommen!


An Esperance.

Kleinweltwinkel, 10. Mai 1833.

Nun ist Alles gut, Du herrliche Esperance! Du hast meine herzkranke Schreiberei an Dich einiger schönen klugen Zeilen Antwort von Deiner Hand werth geachtet, und ich habe unzählige Mal Deinen Namen geküßt, wie er unter Deinem Briefchen, gleichsam als ein Athemzug Deines Selbst, unterschrieben stand. Lies mir immerhin den Text, daß ich meine besten Gaben aus Laune, Traumsucht, Einsiedelgrille, oder wie Du es nennen willst, verkommen lasse und der Welt entziehe! Liebe, was verliert denn die Welt an mir? Die Welt hat heutzutage schon mehr dienstbare Genies, als sie brauchen kann. Wimmelt es nicht überall von Genies, wo man hinsieht, so daß keins vor dem andern mehr zu Worte kommen kann, und sie sich noch alle unter einander vertilgen werden, weil Jeder der Einzige sein will, der den Zeitgeist als sein Siegerroß reitet? Erbfolgekriege, Eroberungskriege werden bei dem heutigen gesitteten Zustande der Europäischen Politik nicht mehr geführt werden, aber innere Bürgerkriege der Genies sind zu fürchten, weil eine geistige Übervölkerung vorhanden ist, an der die ganze Zeit krank liegt. Besonders ist die Literatur und alles literarische Leben wahrhaft zu bejammern, weil das Uebermaaß der Population darin den höchsten Grad erreicht hat, und deshalb Verarmung, Hungersnoth, Selbstzerfleischung und elendes Ende durch Pöbelwuth, hier unvermeidlich bevorstehen. Mich wundert auch, daß die Staaten noch nicht darauf gekommen sind, literarische Verbrecher-Colonien anzulegen, um sich, wie England es mit der Hefe seiner Bevölkerung thut, von ihrem schreibenden und dichtenden Gesindel zu reinigen und es auf irgend eine ferne Südseeinsel zur Begründung einer eignen ausrangirten Schriftsteller-Republik zu schicken, damit Cultur und Literatur der Mutterlande sich zu einer frischen Jungfräulichkeit und Lebensreinheit verjüngen! Also nein, Du Gute! Wünsche keinen Schriftsteller aus mir! Schreiben will ich, ja, aber nur Dir, und für keinen Andern; und daß Du mich aufgefordert, Dir öfter von meinem armen Leben und Treiben Nachricht zu geben, das, o Freundliche, macht mich glücklich. Das ist mein Glück und Ruhm, daß Du mich nicht verkennst, und jetzt erst erlebe ich die holde Maienlust, die draußen über Feld und Garten fröhlich angebrochen, auch in mir als ein süßes Frühlingswerde! Wohlan denn, nur auf Briefschriftstellerfreuden will ich mich noch legen, und die alten stolzen Literaten-Gedanken, die doch nur ein dorniges Sterbekissen bereiten, mir ganz aus dem Kopf verscheuchen! Ein Briefschriftsteller ist ein seeliger Mensch, wenn er, so wie ich, an eine Lehrerin der kleinen Ursulinerinnen schreiben darf, und so soll es Dir denn, Du meine einzige und beste Leserin, nie an langen Briefen fehlen, in denen ich mich ganz und gar abschreiben will. Du sollst mich dann kritisiren, wie ich bin, und mir sagen, wie ich sein sollte, denn Du hast ein ganz besonderes Talent zur Kritik, Freundin, eigenthümlicher als Alle, die einen Bart tragen. –

Für heut muß ich Dir aber zuerst von einer Neuigkeit in Kleinweltwinkel erzählen. Sie ist wichtig, sie muß Epoche machen. Vor einer Stunde – ich bin noch ganz aufgeregt davon! – fuhr ein vornehmer, mit vier Pferden bespannter Reisewagen durch die eine Straße, welche unser Städtchen zählt, hindurch, und brach gerade vor meiner Thür die Axe. Kein Mensch weiß sich dies zu erklären, da die Straße weder hügelicht, noch schlecht gepflastert ist, weil sie überhaupt nicht gepflastert ist. Nur mein College, der alte Copist Mundus, meinte, es sei eine böse Stelle, weil hier einmal zur Zeit der ersten Französischen Revolution der leibhafte Teufel in eigener Person einen Freiheitsbaum über Nacht aufgepflanzt habe, um die ehrlichen Kleinweltwinkler zu verführen, um denselben zu tanzen, welche aber im Gefühl ihrer Deutschheit gleich am andern Morgen durch einen förmlichen Gemeinde-Beschluß das fremde Gewächs wieder ausrotteten und den Baum fällten, von dem man in der That noch heutzutage den Klotz im Wege stehen sieht; der Teufel aber habe im Ingrimm diese Stelle verflucht, daß wenigstens alle Jahr einmal – und öfter verirrt sich kein Reisender durch Kleinweltwinkel – ein Wagen darüber stolpern solle. Mundus bedauerte mich, gerade vor diesem durch einen Zeitteufel vermaledeiten Fleck zu wohnen.

Nun genug, der Wagen schlug um, und ich stürzte selbst auf die Straße, um den Darinsitzenden zu Hülfe zu kommen. Himmel, Esperance! was sah ich, als ich den Schlag öffnete. Ein großer langer Mann stieg, sich ruhig nach allen Seiten umblickend, heraus, den man den vielen Orden nach, die auf seinem grauen Rock schimmerten, für einen Fürsten hätte halten können; ich glaube, es waren die Orden der ganzen Welt, die seine Brust, wie eine Medaillensammlung, aufgereiht trug. Aber die Physiognomie! – eine solche Physiognomie sah ich noch niemals! In dem kalten, nur von den stechenden Irrlichtern eines beständigen Lächelns durchzuckten Gesicht stack, gleich einer Wetterfahne, eine lange Mephistophelesnase, die wie ein übermüthiger Triumphator in Kleinweltwinkel einzog, so daß wir uns Alle bekreuzigend vor ihr demüthigten, und zwei feuerspeiende Augen blickten dieser Nase wie ein Paar lauernde Katzen nach. Dieser fremde Mann mit diesem fremden Gesicht hob endlich, nachdem er uns Umstehende spöttisch begrüßt hatte, eine weibliche Gestalt aus dem Wagen, eine kleine, kurze, dicke Figur, die ganz in scharlachrothe Schleier gehüllt war, sodaß man weder Kopf noch Rumpf an ihr unterscheiden konnte, und ich sie für die Statue einer Aegyptischen Sphinx zu halten geneigt war, die der Reisende vielleicht irgendwo für ein Kunstmuseum aufgekauft haben mochte. Dann sah er uns Alle im Kreise mit einer höchst sonderbaren Miene an, sodaß sich Keiner ein Wort zu sagen getraute. Der Salinen-Inspector lag vor ihm auf den Knieen, weil er dachte, es sei der König. Der Fremde reichte ihm jedoch herablassend die Hand, bedeutete ihm aufzustehen, und bemerkte mit einigen kurzen Worten, daß er bis zur Wiederherstellung seines Wagens eine Wohnung im Orte zu erhalten wünsche. Der Salinen-Inspector bot ihm sogleich sein ganzes Haus an, und die Angekommenen setzten sich alsbald nach demselben in Bewegung. Er mit imposanten Schritten voran, die scharlachrothe Sphinx trippelte zu meinem Erstaunen mit, und hintennach folgte noch eine junge, blasse Magd, eine scheue, irre, schöne Gestalt, die man nicht ohne wundersames Ergreifen ansehen konnte. Bald waren Alle in der Hausthür verschwunden. Ein Blitz, ein Traum, so schien es an mir vorübergegangen. Sprachlos, mit aufgesperrten Mäulern, zerstreuten sich die zusammengelaufenen Kleinweltwinkler wieder. Auch ich muß jetzt abbrechen, und auf das Amt, um noch einige Geschäfte zu besorgen. Aber ich schreibe Dir heut noch, theilnehmende Freundin! Ich bin höchst gespannt, was noch aus dieser Begebenheit werden wird. Sie wird, sie muß Folgen haben! Wäre heut, statt des zehnten, der erste Mai, ich würde glauben, unserm Kleinweltwinkel sei das Glück einer Blocksbergvisite zu Theil geworden! Doch still, still, man muß dem Schicksal nicht vorgreifen! Und curios, daß diese Visite nun gerade dicht neben meiner eignen Wohnung einquartiert sein muß! Adieu, Du mein Ein und Alles, ich muß auf die Salzschreiberei! – –

In der Nacht.

Fromme, dunkeläugige Nacht, Mutter mit dem sanften Sternenmantel, Freundin meiner Gedanken und meiner Liebe! In deiner heiligen Traumstille ergreife ich die Feder, um meiner Esperance, deren Bild ich sonst um diese Stunde in mir feiere, von ganz wunderbaren Dingen zu schreiben. Mein dürftiges Lämpchen brennt trübe und schläferig, aber in mir wird es hell, und wie auf einer Jacobsleiter, steigen Engel und Geister in meiner Gehirnkammer auf und nieder. Ich bin bewegt, ich bin außer mir, es ist etwas Wichtiges mit mir vorgegangen! Der Fremde mit der Wetterfahnennase hat mir meinen Zeitpolyp operirt!!

Ja höre, gelehrte und geliebte Esperance, und laß Dir erzählen, wie es Deinem Versalzenen ergangen ist, und wie sich neue beglückenden Lebenskräfte bei ihm anzusetzen scheinen! Zuerst muß ich Dir sagen, daß der Durchreisende kein Anderer ist, als der Herr von Zodiacus, ein berühmter Staatsmann, der auf einer diplomatischen Sendung an einen auswärtigen Hof begriffen, hier durchgekommen ist. Man sagt, er geht als ***scher Minister-Resident nach **, und seine Vollmachten sollen auf eine entscheidende Weise mit den Zeitereignissen in Berührung stehen. Soviel hat ihm der Salinen-Inspector mit Todesangst abzufragen gewagt. Wer aber die scharlachrothe Sphinx in seinem Gefolge ist, hat bis dato noch nicht ermittelt werden können. Des Salinen-Inspectors Frau meinte, sie habe ihn: Großmutter zu ihr sagen hören! Doch nun merke auf, theilnehmende Freundin, wie es sich weiter begeben!

Ich kam heut gegen Abend vom Salzamt, und schlenderte, die Akten unter dem Arm, meinem Hause zu. Als ich bei dem Salinen-Inspector vorbeiging, warf ich einen verstohlenen Blick zu den Fenstern hinauf, und bemerkte wirklich, daß der Fremde oben heraussah. Ich zog unwillkürlich meinen Hut ab, und stand einen Augenblick wie festgebannt still; ich wußte selbst nicht, warum ich noch stand, es war, als ob mich ein Dämon von oben her bei den Haaren hielte. »Schön guten Abend, Herr Salzschreiber Seeliger!« rief mir der Herr von Zodiacus von oben zu und nickte lächelnd mit seinem Kopfe herab. Es durchrieselte mich wie Eis, denn ich wußte mir nicht zu erklären, woher er mich schon bei Namen kannte.

Könnten Sie mir nicht vielleicht zu einigen Zeitungen behülflich sein, Herr Seeliger? fuhr er fort. Es kommen hoffentlich Zeitungen nach Kleinweltwinkel? Heutzutage glaubt man schon aus der Welt herausgekommen zu sein, wenn man einmal ein Paar Tage die Zeitung versäumt.

Verzeihen Euer Excellenz, entgegnete ich beschämt und achselzuckend, es wird nichts als das Amtsblatt hier in Kleinweltwinkel gehalten, und das Städtchen befindet sich dabei ruhig, und ißt und trinkt und verdaut ohne Störung. Der verstorbene Prediger hielt immer noch die Hengstenbergische Kirchenzeitung, aber er soll noch auf seinem Todbette das Abonnement widerrufen, und die vorräthigen Jahrgänge mit sterbender Hand zerrissen haben, um seelig werden zu können. Sein Nachfolger, der jetzige Prediger, ein trefflicher Landwirth und Schafzüchter, liebt Intelligenz und Aufklärung ebensowenig, als die Hengstenbergische Kirchenzeitung es thut, und liest deshalb auch diese nicht. So bleibt es denn unter uns beim Amtsblatte! Und ich denke, wem Gott ein Amtsblatt giebt, dem giebt er auch Verstand, es nicht zu lesen.

Der Fremde lachte, als ich dies gesagt, aber er lachte so entsetzlich, daß die Fensterscheiben oben klirrten, und mir völlig unheimlich zu Muthe wurde. Also politisirt ihr hier gar nicht? fragte er dann mit einer stechenden Betonung.

Ich zuckte abermals die Achseln, und machte ihn bemerklich, daß man in Kleinweltwinkel noch ganz im Stande der Unschuld lebe. Ich sagte, die Zeit muß über diesen Strich Landes hingefahren sein, als gerade Alle schliefen, oder das Amtsblatt lasen, und deshalb, weil die Zeit hier nie eingekehrt, giebt es hier auch keine Zeitung. Wir haben viel zu thun, sind gewerbsam und nähren uns redlich. Wir haben gar keine Zeit, der Zeit zu leben. Dies gilt ja von den wie Tagelöhner nur über Nahrungssorgen und Privatunglück hinbrütenden Deutschen schon seit Jahrhunderten!

Damit wollte ich in meine Thür schlüpfen; er aber rief mir von oben wie befehlend zu, ich solle bleiben. Ich werde zu Ihnen herunterkommen, schrie er. Wir müssen bekannter mit einander werden, Herr Seeliger! Sie sind ganz mein Mann!

Ich sein Mann? wiederholte ich mir in unwillkürlicher Bestürzung. Ich möchte, um Gott, keines Anderen Mann sein, als der meiner Esperance! dachte ich weiter, um mich von dem Schreck aufzuheitern, und siehe, Freundin, dieser köstliche Gedanke zauberte plötzlich wieder ein Lächeln auf mein Gesicht, so daß ich nun den eben aus der Thür tretenden Herrn von Zodiacus mit einer möglichst freundlichen Geberde begrüßen konnte, was er gern zu sehen schien.

Lassen Sie uns einen Spaziergang zusammen machen! sagte er mit der gebieterischen Vertraulichkeit eines Mannes von seinem Stande. Ich wagte nicht zu widersprechen, und ging, meine Acten noch unter dem Arm, in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, neben ihm her. Die Kleinweltwinkler, die uns begegneten, schienen mich ordentlich zu beneiden, daß sie mich so an seiner Seite gehen sahen. Ich aber war still, und führte den Fremden, der entsetzliche Schritte machte, zu unserm Thorpförtchen hinaus, damit er sich die Umgegend von Kleinweltwinkel ansehe. Das nahgelegene Wäldchen nahm uns in seine sanften Abendschatten auf, die Bäume zeigten und neigten sich flüsternd in ihrem neuen Blättergrün, ein junger Fink schlug noch spät einmal an, und ich seufzte unwillkürlich aus meiner gepreßten Brust heraus dem Gott in der Schöpfung entgegen.

Sie scheinen gefühlvoll, Herr Salzschreiber! unterbrach der neben mir spazierende Diplomat endlich das Stillschweigen. Ich für mein Theil gestehe Ihnen, daß eine Französische Zeitung, sei es von welcher Farbe sie will, und wäre es von der schmutzigsten Juste-Milieu-Farbe, einen befriedigendern Eindruck auf mein Herz macht, als die endlos grüne Farbe dieser Natur, die schon der kritische Lessing unausstehlich gefunden, und an der sich der unkritische Werther zu Tode geschwärmt hat. Für diese grüne Natur etwas zu fühlen, ist schon deshalb nicht mehr zeitgemäß, weil sie eben nur eine Farbe trägt, und das ganze Geschlecht ja jetzt augenscheinlich zum Dreifarbigen inclinirt. Dies witterte unter allen Deutschen zuerst der große Scharfsinn jenes Lessing, der die Frühlingsnatur ihrer Einfärbigkeit wegen nicht leiden konnte, und deshalb in dem verträumten Deutschland die allererste Anlage zu einem Liberalen verrieth. Lessing wünschte die Natur ohne Zweifel dreifarbig, denn daß er – der zum Schluß seiner Emilia Galotti sagen konnte, »daß Fürsten Menschen sind« – liberalistische Grundsätze hatte, ist wohl unbezweifelt; und der närrische Werther lebte vielleicht noch, wenn er Manns genug gewesen wäre, nur ein einziges Mal auf der Hambacher Ruine eine Rede zu halten, denn es war ein reiner Absolutismus von dem Menschen, sich gerade um die eine Lotte todtzuschießen. Außerdem würde es diesen ächtdeutschen Werther schon gerettet haben, wenn er sich nur hätte entschließen können, mehr Zeitungen zu lesen, und dies, lieber Herr Seeliger, führt mich wieder auf unser voriges Capitel zurück. Ich meinte es in der That bedeutend, als ich Sie fragte, ob auch Zeitungen nach Ihrem Kleinweltwinkel kommen. Denn wie die schwärmenden Mücken den Sommer verkündigen, so bezeichnet dies luftige Geflügel der Zeitungen in Deutschland das erste Politischwerden der alten literaturfrommen Germania. Daher ist es vor Allem charakteristisch, daß die Deutschen erst in der letzten Zeit angefangen haben, viel Zeitungen zu lesen, und sogar der ganze stabile Körper ihrer Literatur allgemach in dem leichteren Lebensgenuß der Journalisterei aufzugehen droht. So muß es auch kommen, wenn die Deutsche Gründlichkeit, die diesem Volke immer am meisten im Wege gestanden, paralysirt werden soll. Zeitungen, mein guter Seeliger, sind die Mercursohlen der wandelnden Geschichte, es sind trompetende Doppelgänger der Weltereignisse, Tanzböden der zappelnden Zeitgeister, politische Vetter-Michels der Völker, wetterprophetische Laubfrösche des Schicksals. Zeitungen sind Börsengerüchte aus dem Reich Gottes, und diese haben immer Einfluß auf den Cours der Nationen. Wohl dem Volke, das gute Papiere hat! Die Alten hatten keine Zeitungen, sie hatten keine Papiere, aber sie hatten dafür Götter. Oder wem leuchtet es nicht ein, daß in dem antiken Leben die olympischen Götter dieselbe Bedeutung gehabt haben, als in dem modernen die Zeitungen und die Staatspapiere? Wenn die Griechen Krieg führten, schwebten, wie man aus Homer ersehen kann, die Götter selbst als fliegende Zeitungen zwischen den feindlichen Heeren auf und nieder, und seit diesem Trojanischen Kriegs schreibt sich die Parteilichkeit aller Zeitungen in der Welt her. Und Jupiter selbst, man denke sich ihn recht lebhaft! Sah er nicht zu Ende seiner Regierung gerade so verunglückt aus, wie ein legitimistisches Wochenblatt, das durch eine Revolution seine Abonnenten verloren hat? Der ganze Olymp nahm sich überhaupt bald aus, wie der Allgemeine Deutsche Reichsanzeiger, der niemals ein wirkliches Deutsches Reich anzeigte. Es gab keine olympischen Götter mehr, und die Griechischen Stockjobbers, wie Sokrates und Plato, hatten durch ihr Speculiren auf hoch am meisten dazu beigetragen, daß die Papiere der Götter gefallen waren. Jupiter, Juno und die ganze Sippschaft, die einst einen so schönen Cours im Hellenischen Leben gehabt hatten, wurden nicht mehr acceptirt, und die uralte Mythe mußte ihre Anleihe unter dem Volke nicht mehr anerkannt sehen. Der neue Gott erklärte die Schuld der gestürzten Dynastie für null und nichtig, und die an den Papieren der alten Anleihe verkümmerte Menschheit mußte sich erst taufen lassen, ehe sie ihre Kapitalien bei der neuen perpetuirlichen Anleihe unterbringen konnte, welche jedoch die Auszahlung der Rente in alle Ewigkeit hinausschiebt, während man bei den alten Göttern wenigstens den Vortheil hatte, daß sie gleich blank und baar bezahlten, was die lustigen Heiden nur haben wollten. Hahaha! Aber wo bin ich hingerathen? Sie sehen, daß ich gern plaudere, Herr Salzschreiber! –

Ich hatte ihm mit wachsenden Erstaunen zugehört. Er sprach nicht übel, aber er sprach es so widerlich heraus, daß man sich dabei wahrlich geängstigt fühlte. Er kam mir immer räthselhafter und fremdartiger vor, und besonders seine heisere Stimme, die mir jetzt erst an ihm auffiel, krächzte mir wie ein Schlimmes bedeutender Vogel in's Ohr. So etwas von Heiserkeit hast Du nie gehört, Esperance! Er ist heiser, wie eine alte Norne, und weiß doch selbst diesen schrillenden Laut seiner Stimme gewissermaßen mit der sichern Vornehmheit des Weltmannes zu artikuliren. In seiner Heiserkeit liegt zugleich ein imponirender Anstand, der sich mit etwas Furchterregendem mischt, und hinter dem höhnische Teufelchen dreinlachen. Dabei solltest Du seine Gesichtsmuskeln zucken und spielen und seine hagere Gestalt in immerwährender elektrischer Bewegung arbeiten sehn! Mich überlief es kalt, daß ich so in der einsamen Nacht des Wäldchens mit ihm spazieren mußte!

Und was machen Sie hier in Kleinweltwinkel? begann er wieder, indem er mir zutraulich die Hand auf die Schulter legte. Wollen Sie den Baum Ihrer Jugend, unerfrischt vom Segensthau der Zeit, die draußen waltet, hier in einer Scheuer verdorren lassen? Ich kenne Sie, ich habe Sie schon lange gekannt! Sprich, schlage, stelle wieder her! möchte ich Ihnen, gleich dem Brutus, zurufen. Auf, auf, Herr Seeliger! Ein Mann der Zeit müssen Sie werden! So ward es Ihnen von Ihrem Genius geboten!

Woher kennen mich Euer Excellenz, wenn ich fragen darf? sagte ich zu ihm, noch mit der Ruhe, die Du in solchen Fällen oft an mir bewundert hast, aber doch schon tief in meinem Innern aufgeregt, bis zum Herausschäumen.

Seeliger, ich kenne Sie! betonte er, daß mich schauerte. Es gibt in allen Perioden gewisse Individuen, die man vorzugsweise Zeitindividuen nennen könnte. Diese sind die Ritter der Tagesgeschichte, die Taufpathen der Zeitbegebenheiten. Sie müssen reden, singen, tanzen, jubeln und sich auf den Kopf stellen, damit man weit und breit erfährt, daß große Ereignisse zur Welt kommen. Sie sind die kapitolinischen Gänse, die das Vaterland durch Geschrei retten; sie sind, mit einem Wort, Zeitindividuen, sie sind Liberale! Auf meinen vielen geheimen Sendungen durch ganz Deutschland habe ich mir ein besonderes Geschäft daraus gemacht, diese Zeitindividuen auszuwittern, und die Hoffnungskeime, die in ihnen vorliegen, durchzumustern. Sie, mein lieber, tieffühlender Seeliger, sollten mir entgangen sein? Nein, nein, ich weiß, Sie sind ein wahrhaft Liberaler! Es liegt in Ihnen ausgesäet, Sie wollen nur die eigene Blüthe in sich noch nicht begreifen! Sie leiden an der Muthlosigkeit aller Deutschen, das zu sein, was Sie sein könnten. Eine kranke Unentschlossenheit zehrt an den schönsten Kräften Ihres Lebens. Treten Sie aus sich heraus, und gestehen Sie es sich: Sie sind liberal! Dies Selbstgeständniß, in dem Sie sich endlich zusammenfassen, wird Sie kräftigen, Ihnen eine entschiedene Richtung geben, Sie zur Thatlust begeistern. Es wird Sie von dem Zeitpips, mit dem Sie jetzt wie betäubt umherlaufen, erretten! –

Denke Dir, Esperance, er nannte es Zeitpips. Ich aber dachte an meinen Zeitpolyp. Nun gab ich ihm vollkommen Recht.

Sehen Sie das junge, sich regende Völkerleben unserer Tage an! fuhr er fort. Betrachten Sie dies Drängen und Bewegen, dies Kämpfen und Bluten, dies Keimen und Hoffen, das die Herzen der Nationen aller Orten erfüllt! Noch einmal will das ganze Geschlecht sich auf die Füße machen, um Arkadien zu suchen, diesmal aber das Arkadien der politischen Glückseligkeit. »Auch ich bin zur Constitution geboren!« so hat sich jetzt der Wahlspruch der Völker umgewandelt, und während man sich sonst bei uns, in der sentimentalen Periode, nur in idyllische Hirtenzustände und nach freier Flur und Natur zurücksehnte, so sind es jetzt – wie bescheiden klingt es! – nur zwei Kammern und eine verantwortliche Ministerbank, die alle Hoffnungen in sich schließen! Durch den Nationalcharakter der Deutschen geht jetzt das unruhige Ziehen und Schmerzen eines neuen Wachsthums, und man spotte nicht, wenn er sich lächerlich dabei geberdet, wie ein alter Jüngling, der noch in späten Jahren den Weisheitszahn bekommt. Da entsteht ein ironisches Gratuliren, Glückwünschen und Lachen um den guten Jüngling, daß er noch auf seine alten Tage klug werden will, und die besorglichen Frau Basen treten rathschlagend zusammen, und halten es am Ende für das Beste, dem guten Jüngling den Weisheitszahn, sei es auch durch Gewalt, wieder ausziehen zu lassen, denn weil seine Vorfahren alle ohne Weisheitszahn gekaut hatten, so soll auch er fernerhin ohne diesen seinen Kälberbraten in Ruhe speisen. Servile Zahnärzte lassen sich immer finden; sie fallen über den Weisheitszahn des guten Jünglings her, und dieser wird in der Nothwehr gegen die Zahnbrecher unvermeidlich zum Revolutionnair. Dies ist die innere Entstehungsgeschichte aller Revolutionen. Auch Ihnen, Herr Seeliger, ist der Zahn gewachsen, und ich möchte Sie bei Allem beschwören, was Ihnen heilig ist: beißen Sie zu! Erklären Sie sich für die Sache Ihrer Zeit!

Ich biß mir auf die Lippe, und stand in tiefstes Nachdenken versunken da. Es war mir, als wenn der Versucher zu mir gesprochen hätte.

Werden Sie liberal! begann er mit seiner heisern Wohlredenheit wieder. Schon aus Langerweile müßte ein Geist, wie Sie, in einem solchen Nest, wie Kleinweltwinkel, liberal werden! Herrlich ist es, liberal zu sein! Die liberalen Bestrebungen sind die wahren Flegeljahre der Völker, köstlich, frisch, übermüthig, jugendkeck, hoffnungsreich und in den Himmel hineinwachsend, wie Jean Paulsche, die Sie gewiß mehr als einmal gelesen haben werden. Eine Nation muß auch ihre liberalen Flegeljahre gehabt haben, wie ein großer Mann einmal Universitätsstreiche gemacht und im Karzer gesessen haben muß; und so schadet es denn der Idee gar nicht, wenn man auch diese Liberalen heutzutage von den Regierungen überall ins Hundeloch stecken sieht. Dies ist erst die wahre Größe, und ist gewissermaßen nur als eine Neckerei zwischen Volk und Regierung anzusehen, denn was sich liebt, neckt sich bekanntlich. Hahaha! Darum, Herr Salzschreiber, werden Sie liberal!

Ich wollte mich zusammennehmen, und ihm diesmal einen spöttischen Bückling machen, aber ich konnte nicht.

Und was will denn der Liberalismus eigentlich, wenn wir im Ernste fragen? sprach der Heisere mit erhöhtem Pathos weiter. Der Liberalismus will nichts als die Zukunft der Geschichte! Er ist der allgemeine Drang des Geschlechts in die Zukunft, das unwillkürliche Vorwärtsstreben nach einem in der Ferne liegenden Glück. Und dieser Drang und dieses Streben, weil sie in den Völkern so mächtig sind, verbürgen ihnen eben, daß es für sie immer noch eine Zukunft, eine schönere Ferne gibt. Jedes Volk ist unsterblich, so lange es noch eine Geschichte hat, und sich noch stark genug fühlt, von einer Zukunft seiner Geschichte zu träumen. Die Zukunft steht vor den Völkern in sonniger Gestalt, wie eine künftige Braut. Die Liberalen sind die Brautwerber, sie sind es, welche auf die historische Freite ausziehn mit dem Muth und Uebermuth des Verliebten, aber nicht mehr feinsäuberlich in Schnabelschuhen und seidenen Strümpfen, wie man vordem unsere Altvordern freien gehen sah, sondern halt ein bischen renomistisch, indem ihnen der Demagogendolch, mit dem es aber nicht so arg gemeint ist, vorn aus der Rocktasche kuckt. Es sind sonst gute Leute, die Aemter bekleiden können, wie jeder Andere, wenn man sie ihnen nur anvertrauen oder die anvertrauten lassen wollte; und es hat ihnen bisher nichts gefehlt, als das Glück, um die Braut heimzuführen. Daß die Liberalen kein Glück haben, ist nicht ihre Schuld. Sie lieben, sie wissen was und warum sie lieben, und ihre Hoffnung ist unerschütterlich, wie ihre Liebe. Sie halten den Blick fest und gläubig auf das aufgehende Morgenroth der Geschichte gewendet, und sollte es ihnen auch, wie Mosen, nur beschieden sein, das gelobte Land aus der Ferne liegen zu sehen, so haben sie doch ihre Aufgabe gelöst, und in der Wüste der Zeit auf das Land, wo der Freiheit Milch und Honig fließt, mit dem Prophetenstab hingewiesen. Ja, mein Herr Seeliger, sind die Liberalen nicht wie steinerne Meilenzeiger, die dem rüstig trabenden Wandrer den Weg an der Heerstraße bezeichnen, aber selber nie von der Stelle kommen?

Ja, ja! rief ich aus, und konnte, so wenig mir auch sonst die zweideutig schillernde Farbe seiner Reden gefallen mochte, doch das eigne, in mir überhandnehmende Gefühl nicht länger unterdrücken. Ja, sie sind die Meilenzeiger der Zukunft! Ich habe sie längst als solche verehrt, und auch ich will gern meinen Namen in die armen Steine an der Heerstraße einschneiden, die den Weg zur Heimath weisen, aber selbst in Sturm und Regen auf schutzlosem Felde verwittern müssen!

Mir standen die Thränen im Auge, er aber lächelte und fuhr fort: Guter Salzschreiber, die Revolution ist in unserm zur Ruhe verdammten Deutschland schon fast mit dem letzten Athemzug wieder gedämpft und erloschen. Sie war bei uns todt zur Welt gekommen, und den Franzosen, die sich schon auf einen freundnachbarlichen Gevatterschmaus gefreut hatten, gab sie nicht einmal zu einem unterhaltenden Journalartikel Stoff. Bei andern Völkern lebte sie doch noch einige Stunden nach der Geburt, und konnte wenigstens eine Nothtaufe erhalten, wie bei den kläglichen Belgiern. Das Jahr 1833 hat in Deutschland vollends alle Keime der Bewegung ertödtet. Dies ist unbedingt das langweiligste Jahr in der Weltgeschichte, Indifferenz und geistige Verklammtheit haben einen großen Schlaf über das ganze Geschlecht gebracht, und da Alles ringsum so still war und nichts sich regte, wurde den kleinen Teufeln, die in den jungen Krokodileiern der Revolution drinsaßen, selber bange, sie sprengten hier und da die Schale, und wurden, nachdem sie kaum die Köpfe aus dem Eiweiß herausgestreckt, abgefaßt. Aber die ächten und wahrhaften Liberalen dürfen darum den Muth nicht sinken lassen. Die Umgestaltung wird sich gesetzlich und legitim in Deutschland vollbringen! Ist das nicht eine schöne Redensart, Herr Salzschreiber? Aber sie ist wahr, auf Ehre! Diese gesetzliche Umgestaltung vollbringt sich allmählig, nach langsamer Deutscher Art und Kunst, in den landständischen Verfassungen, die seit der Juli-Revolution auch bei uns eine merkwürdige Erhöhung ihres Tons erfahren haben. Und bewegt sich das neuerwachte Leben auch nur gedämpft und gehütet vorwärts, so hat doch die Nationalität der Deutschen bereits mit ihm Riesenschritte zurückgelegt. Sie hat den großen Schritt zur Oeffentlichkeit gethan, und die blöde Jungfrau Germania setzt den schüchternen Fuß zum ersten Mal in die Welt hinaus, um unter den Nationen als eine Nation sich zu vertreten. Durch die Constitutionen wird das Volk frei im Gesetze. Auf diesen landständischen Versammlungen wird Alles rege, und ich möchte es die constitutionelle Musterwirthschaft einer Revolution nennen, oder ein homöopathisches Curanzen des Volkswohls, und gewiß ist es kein Zufall, daß das Aufkommen der Homöopathie gerade mit den politischen Constitutionen in eine Aera fällt. Darum sind Budgets und Civillisten in allen repräsentativen Staaten so dünn geworden, weil die Stände nach ihrem homöopathischen Heilverfahren nur mit millionenfach verdünnten Mitteln regiert wissen wollen. Schlimmer sind die verantwortlichen Minister daran, für die offenbar eine gute Constitution dazu gehört, um dies Constitutionswesen zu ertragen, aber das Volk feiert in diesem Verhältniß seinen höchsten Triumph. Manches kühne Wort fliegt über die zögernde deutsche Zunge, und die Wahrheit darf hier ihr heiligstes Recht ausüben, schonungslos zu sein. Eine ausgesprochene Wahrheit verhallt aber nicht in den Räumen, wo sie laut geworden, der Geist der Oeffentlichkeit trägt sie begierig von dannen über Land und Meer, und sie steht endlich als leuchtende Thatsache über dem Zenith der Menschheit wie eine Sonne still. So lenkt sich allmählig von hier aus ein neuer Strom der Bildung, wenn auch in kleinen Tropfen, in das Herz des ganzen Volkes hinüber. In den Ständeversammlungen selbst werden bisher nie gekannte Talente der Deutschen rege, und was uns immer gefehlt hat, der Einfluß öffentlicher und volksthümlicher Charaktere, wird von hier aus sich bilden und bereitet sich vor, so weit es für jetzt die hindernden Umstände nur zulassen. Wer in diesem Jahre, wo fast überall die Stände beisammen sind, durch Süddeutschland gereist ist, wird mit mir diesen Französischer Beweglichkeit nahekommenden Aufschwung eines parlamentarischen Deutschlands wahrgenommen haben. In dem schönen freundlichen Karlsruhe verweilte ich am liebsten und längsten. Diese Stände haben offenbar die meiste parlamentarische Beredsamkeit unter allen entfaltet; Witz, Schärfe und Ironie der Debatte hört man hier wie knisternde Feuerfunken durch den Saal sprühen, südlicher Bilderreichthum belebt die trockensten Verhandlungen, und unerschrockene Freimüthigkelt, auf ächt patriotischer Begeisterung sich muthig wiegend, pflanzt sich wie eine unüberwindliche Batterie der Ministerbank gegenüber auf. Rotteck und Welcker sind wirklich Männer des Volks, wie es deren in den Demokratien der Alten gab; Merk, Fecht und manche andere Abgeordnete vertreten die Sache des Fortschrittes mit einer glänzenden Macht des Wortes, und Mittermaier, der treffliche Präsident der zweiten Kammer, schwingt wie ein gewaltiger Poseidon den Dreizack herrschend und lenkend über den Wogen der rauschenden Debatte. Auch auf Seiten der Minister bringt die Last der Verantwortlichkeit manchen tüchtigen Sermon hervor. – In Stuttgart mußte ich mit einer Kammer vorlieb nehmen, da die erste ihren Sitzungen noch immer keine Oeffentlichkeit gegeben hat, aber in der zweiten begegnete mir manche anziehende, im jungen Ruhm der neuen Zeit strahlende Gestalt. Am längsten verweilte mein Auge auf dem edel grollenden Uhland, das voranleuchtende Haupt der Opposition, dessen Rede wie ein halbgedämpftes Gewitter schwere, kurze, zuckende Worte ausstößt. Dicht neben ihm sitzt der Verfasser des »Briefwechsels zweier Deutschen«, der sinnige, bescheiden entschiedene Pfizer, selten redend, aber dann schlagend; ich möchte ihn in seinem jungfräulichen Wesen den David der Opposition nennen. Hier sah ich auch den kraftvollen Streiter für Gedankenfreiheit, Wolfgang Menzel, den großen Goethomastix, wie ich ihn nennen möchte, sowie Zoilus, der Homeromastix genannt wurde. Menzel spricht in der Kammer kühn und fein, muthig und besonnen, witzig und schonend zugleich, und hat durch seine Motion zur Verbietung des Nachdrucks in Würtemberg auch seine literarischen Verdienste um Deutschland gesteigert. Er ist ein Mann, vor dessen Freimuth, Redlichkeit und Talent ich gleiche Verehrung habe. Auch die Nassauischen Kammern wollte ich besuchen, und machte mich sogleich nach deren Eröffnung auf die Reise. In demselben Augenblick aber, als ich ankam, hatten die Stände schon wieder ihr Haus zugemacht, ich klopfte vergeblich an den Thorweg, und erfuhr endlich, daß der Landtag, nachdem er diesmal friedlich die Steuern bewilligt, bereits wieder geschlossen war. Ich bestellte mir Postpferde zurück nach Darmstadt, um noch länger und wiederholt die Freude zu genießen, die sich hier wahrlich in den Farben einer constitutionellen Redoute darbietet. Wie hört man hier nicht an den neuen Zeitansichten schmieden, hämmern und pochen! E. E. Hoffmann mit seinen tausend Motionen, die er von sich schleudert, ist ein wahrer Zeitteufelsbraten, an dem ich mein höchstes Wohlgefallen gehabt, und der Muth, den er, so wie viele seiner Mitstände, kundgegeben, ist in der That ebenso zu bewundern, als das langmüthig unparteiische Dareinsehen der Regierung. In Kassel fand ich den Zwiespalt zwischen Regierung und Ständen bereits in lichterlohen Flammen ausgebrochen, und das Schauspiel einer Minister-Anklage bereitete sich vor. Zugleich hatte die schon von den früheren Ständen ausgesprochene Emancipation der Juden vor Kurzem den endlichen Vollzug der Regierung erhalten, und als ich in die Stadt kam, gab es so viel Einladungen zu Bällen, großen Diners und Soupers, womit die reichen Emancipirten ihre bürgerliche Gleichstellung feierten, daß ich vor all dem Jubel keine Zeit übrig behielt, um den ferneren Verhandlungen der Stände, in denen sie die Sache der Freiheit so tapfer führten, meine Aufmerksamkeit zu widmen. Ich reiste daher, um den vielen Kasselschen Emancipations-Diners zu entgehen, nach Dresden. In dem feinen, eleganten, halb geselligen, halb ungeselligen Dresden war es dann wieder, wie Sie denken können, mein constitutionelles Steckenpferd, auf dem ich mich herumtummelte. Die Sächsische Ständeversammlung ist eine über die Maaßen redseelige. Die Form ihrer Verhandlungen erschien mir zu wenig parlamentarisch, und zu viel theoretisirend, und daher droht dieser Landtag sich zu einer endlosen Riesenlänge auszudehnen. Neben manchen trefflichen patriotischen Reden, in der ersten Kammer besonders von Großmann, in der andern von Eisenstuck, v. Thielau und v. Mayer, den einflußreichsten Mitgliedern der zweiten Kammer, hört man doch auch viel Kanzlei- und Predigerstil. Uebrigens haben diese Stände bereits durch manche wichtige zeitgemäße Motion sich wahrhaft verdient gemacht. Daß es aber zwischen ihnen und der Regierung immer so friedlich hergegangen, ist nicht zu verwundern, da die Regierung selbst in Sachsen bei weitem liberaler ist, als sich diese Kammern haben bezeigen mögen, und das will viel sagen! –

Er hielt hier inne, und sah mich mit seinem gewohnten stechenden Lächeln lange an. Auf mich aber hatte seine Schilderung des constitutionellen Lebens und Treibens in Deutschland einen nicht zu verläugnenden, unwiderstehlich aufregenden Eindruck gemacht. Es wurde mir jetzt erst klar, daß doch etwas dahinter sei, während der weißgepuderte Geheime Rath S… auf dem Katheder immer pfiffig gesagt hatte, es sei nichts dahinter! Mein emporsteigender Enthusiasmus übermannte mich. Viva la constitucion! rief ich außer mir, und schwenkte meinen Hut dreimal über meinem schwindelnden Kopf in die Höhe. Unterdeß war es im Walde ganz finster geworden. Durch das Buschwerk ächzte der Nachtwind, Käuze pfiffen, Schatten schlichen, und wir konnten keinen Schritt weit mehr vor uns sehen. Wir achteten aber dessen in unserer Aufregung nicht.

Bravo, allervortrefflichster der Salzschreiber! begann Zodiacus wieder, indem er immer schnellere Schritte in die Nacht hinein machte. Kommen Sie, wir müssen noch lange zusammen wandern, denn wir verstehen uns, wir sind beide Kinder unserer Zeit. Die Menschheit befindet sich in unsern Tagen auf einer großen Bildungsscheide, wo aus den gährenden Kämpfen des Alten und Neuen, des Verbrauchten und Frischen, der Sieg einer rein bürgerlichen Menschencultur hervorgehen wird. Ja, Herr Seeliger, es will sich einmal ein bürgerlich gesundes Zeitalter erbilden! Die alten krankhaften Richtungen des metaphysischen Charakters der Deutschen werden immer mehr in einer neuen Anregung der Nationalität sich verwischen, all der poetische und philosophische Jammer, an dem diese Germania sich schwindsüchtig geschwärmt hat, wird endlich ganz verklingen, und das in seinen innersten Nerven nach Erneuerung sich sehnende Geschlecht wird sich in die praktische Gesundheit eines bürgerlichen, nur in Staat und Familie menschlich und werkthätig wurzelnden Lebens hinüberretten. Diese bürgerliche Aera, wo Jeder im Vollgenuß seiner politischen Rechte sich seiner nur als Staatsbürger bewußt ist, und nur als mitthätige Schraube einer großen Maschine sich glücklich fühlt, ist gewissermaßen ein neuer patriarchalischer Zustand der Geschichte am Ende derselben, sowie der Anfang auch patriarchalisch gewesen war. Diese feine bürgerliche Ausgeglichenheit aller Lebenszustände, die eintreten zu wollen scheint, mag freilich weder die Kunst, noch ein in die Tiefe gehendes Bildungsstreben begünstigen. Aber es soll eben den übergeistigten Deutschen durch das Enden in einer solchen Epoche gezeigt worden, daß es des Lebens Aufgabe nicht ist, Gedichte zu machen, philosophische Systeme zusammenzukünsteln und durch Bücherschreiben sich in die Unsterblichkeit einzuschwärzen. Darum sind auch bereits jene Tendenzen bei ihnen einem so bedeutenden Verfall entgegengeschritten. Das constitutionelle Leben dagegen ist es, aus dem die bürgerliche Glückseligkeit neuer freier Zustände uns entgegenwinkt. Die Constitution ist ein politisches Bürgerrettungsinstitut der Menschheit. Indem sie den Menschen zum Bürger macht, macht sie ihn erst zu einem vernünftigen Theil des Staates, und der Deutsche soll dann nicht mehr sein Dichter, nicht mehr Philosoph, nicht mehr Professor, nicht mehr Geheimer Hofrath, sondern er soll Staatsbürger sein und wird sich von nun an gesund befinden. –

Vor einer solchen Gesundheit schaudert mich! rief ich ihm unwillkürlich dazwischen. Ich konnte nicht anders, es fuhr mir so aus meiner wahrsten Seele heraus. Er aber drehte sich plötzlich um, und verschwand im Gebüsch. Es war mir, als hörte ich den Pferdefuß forthinken, und indem er sich noch einmal nach mir umzusehen schien, leuchteten seine Augen wie zwei feurige Kohlen durch den Wald. Mich ergriff ein panischer Schrecken, ich nahm meine Akten in die Hand, und lief, da ich den Weg sehr gut kannte, trotz der dicken Finsterniß aus Leibeskräften nach Kleinweltwinkel zurück. –

Hier sitze ich nun in der tiefen Nacht, und habe Dir Alles getreulich niedergeschrieben. Du, an die sich immer meine Gedanken richten. Ja, geliebte Esperance, es beginnt in mir hell zu werden, und ich verstehe nun mein inwendiges Drängen, Heben und Fliegen nach einer herrlicheren Zukunft des Lebens hin. Und diese Zukunft ist die sonnige Freiheit, die Freiheit und die Befreiung des Geschlechts! Auch meine Liebe zu Dir, dies bescheiden verborgene Sinnblümchen, geht mir darin in neuer und verdoppelter Bedeutung auf. Ich will frei werden, um Dich erst recht zu lieben, und ich will Dich lieben, um erst recht frei zu sein. Aus Liebe und Freiheit bereitet sich allein ein schöneres Zeitalter, wie es bisher unter dem Monde noch nicht angebrochen. Denn auch das ist nur die wahre Freiheit, die liebt, und die Freiheit, die haßt, ist der böse Feind und Verderber der Völker! Damm hat die Freiheit die Völker immer so unglücklich gemacht, weil sie bis jetzt nie die Freiheit verstanden, welche die Liebe ist, sondern frei werden wollten im Haß. Man sehe diese Knechte des Hasses, wie sie Revolutionen schmieden, um sich frei zu sündigen! Sie aber bleiben auch in der Freiheit Knechte! Man denke sich jedoch die Freiheit, die liebt, die wahre Göttertochter der Geschichte! Sie wird auch Vieles vernichten, was dagewesen, sie wird alte Bedingungen und Ordnungen aufheben, aber sie vernichtet nur, um wieder zu erschaffen. Die Liebe kann bestehende Gesetze zerbrechen, weil sie selbst das höchste Gesetz ist. Die Liebe verläßt Vater und Mutter, um Dem zu folgen, was sie liebt. So spricht auch die Freiheit, die Göttertochter, zu den Völkern: Ihr sollt Vater und Mutter verlassen, d. h. ihr sollt all eure alten Privilegien, Satzungen und Gewohnheiten im Stiche lassen, und nur der Freiheit folgen, die eure schönste Liebe ist! Diese Freiheit, o Himmel, wenn sie dann einmal als lichtverklärte Siegerin die Zügel der Menschheit ergriffen, wird wie ein mildes Kind sein, weil sie eben wie die Liebe ist! Die Liebe, obwohl sie frei ist, bindet sich doch auch gern. Indem sie herrscht, wird sie auch Dienerin den Ihrigen, und indem sie befiehlt, macht es doch auch ihr süßestes Glück aus, zu gehorchen. Darin bethätigt dann eben die Freiheit ihre herrlichste Aehnlichkeit mit der Liebe. Die wahre Freiheit ist nicht ungebunden, sie gefällt sich in den Fesseln des Gesetzes. Sie ist das Gesetz der Liebe und die Liebe des Gesetzes! –

Esperance! Mag der heisere Fremde gewesen sein wer er will – daß er kein Ministerresident von oder an irgend einem Hofe ist, darauf möchte ich wohl meinen Kopf verwetten, eher halte ich ihn für einen vornehmen Demagogen – mag auch das, was er gesprochen, in noch so seltsamen Farben geschillert haben, ich bin doch an ihm klar geworden. Ich bin mir klargeworden, daß ich, wie ich hier bin, der Salzschreiber Seeliger in Kleinweltwinkel, doch wesentlich dieser großen Zeitrichtung angehöre, welche, wie Herr von Zodiacus gesagt hat, einer schöneren Völkerzukunft entgegenarbeitet! Ich bin mir klar, ich bin frei, ich bin liberal geworden! Ich bin ein Mann der Zukunft geworden!

Ja, Geliebte, Zukunft und Freiheit! Zukunft, Freiheit und Liebe! Glücklicher Strebender, der, zwischen diese Dreie hineingestellt, auf diese Grundpfeiler seines Lebens Bewegungen stützt! Glückliches Jahrhundert, in dessen Kampfesnacht diese Dreie als siegende, ewige Sternbilder vorleuchtend hineinscheinen! Die Zukunft, das ist die schönste Hälfte des Daseins, sie ist die ewige Jugend des Geschlechts! Dieser Zugvogeltrieb nach der Zukunft, der im Menschen unaufhörlich die Schwingen regt, verbürgt ihm sein größtes und wahrstes Glück; dieser Zugvogeltrieb ist der mächtigste Genius aller Geschichte! Herr Gott und Vater, selbst jeder Maikäfer hat seine Zukunft, und wenn er brummend wieder in die Erde kriecht, denkt er doch schon innerlich vergnügt an den nächsten Mai. Und wollen die Völker an dem neuen Mai ihrer Zukunft verzagen? Die Hambacher kamen auch gerade im Mai zusammen auf ihrer Ruine, aber dieser Mai schickte sie wieder in den April zurück, es war noch nicht der rechte und ächte Mai. Die in den April geschickten Hambacher verklammten bei ihrem eignen Völkerfrühling, den sie den gutmüthigen Deutschen hatten aufschwatzen wollen, und das ganze Deutsche Reich, das hier hergestellt werden sollte, wäre mit sammt seiner Einheit an diesem kalten Lenz wieder erfroren! Nein, nein, Du Völkermai, Du bist noch nicht geboren! Aber wir lauschen still auf Dein Keimen und Wachsen, wir fühlen und träumen Dein Blühen und Werden, und sind Deiner gewiß in uns selbst! Heisa lustig, das ist der Mai, das ist die Zukunft! Das ist der göttliche Traum der Weltgeschichte! Heisa lustig, das ist Zukunft und Freiheit, das ist Zukunft, Freiheit und Liebe! Ach, ich könnte lachen und weinen zu gleicher Zeit! Ich möchte lachen, weinen und beten! Nur dies eine Wort: Allvater, ich glaube an eine Zukunft, ich glaube an Deine Zukunft! – –

Traute, Traute! jetzt geht mir gerade mein Lämpchen aus, und die taumelnde Feder sinkt Deinem übernächtigen Schreiber aus der müde gewordenen Hand. Sieh', es ist unterdeß Morgen geworden! Des Nachbars Hahn kräht, und ich erschrecke, daß ich die Nacht so auf dem Papier durchschwärmt. Fahle bleiche Lichtstreifen stehlen sich schon keck wie junge Demagogen in mein kleines Giebelfenster herein, und erlauben mir bei ihrem Schein, Dir noch einen herzlichen Guten Morgen zum Schluß dieses Briefes zu schreiben. Guten Morgen denn, Du Seele meiner Seele! Wie ich Dich liebe, wirst und kannst Du von Keinem sonst geliebt werden. Ach, ich bin glücklich! Ich bin liberal! Ich bin Dein seeliger Liberaler und

Dein

liberaler Seeliger.
K. Salzschreiber.  


11. Mai.

Heut ist Vogelschießen in Kleinweltwinkel! Alles hat schon seinen Sonntagsstaat angelegt, und ist rührig und auf den Beinen. Die Honoratioren begeben sich mit gemäßigter Würde, das mit bunten Bändern geschmückte Volk mit immer lauter werdendem Jubel auf die lange Wiese hinaus. Ich kann den Vogel hier von meinem Fenster aus sehen. Wahrhaftig, ich freue mich auf dies Volksfest in meiner nunmehrigen Stimmung doppelt. Ich werde zwar nicht mitschießen, weil ich, wie Du weißt, kurzsichtig bin, aber in meiner gegenwärtigen Sinnesweise kann mir nichts erwünschter sein, als mich unter das Volk zu mischen. Volk! Volk! Volk! möchte ich dreimal ebenso bedeutsam ausrufen, als Hamlet seine: Worte! Worte! Worte! Was ist die neue Sache der Zeit ohne Volk? Ich suche, ich will Volk! Hinaus, hinaus auf die lange Wiese, zum Vogelschießen der Kleinweltwinkler! Ich muß einmal wieder Volksgruppen beobachten! Der Copist Mundus wollte mich um drei Viertel auf Drei abholen.

Die Frist bis dahin benutze ich noch, Dir ein paar Zeilen von mir selbst zu schreiben, die Du dann zugleich mit meinem vorigen Brief erhalten wirst, den ich bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt, abgehen zu lassen.

O Esperance! Ich bin nun bereits seit vierundzwanzig Stunden liberal, und mir wird wirklich allmählig angst, was ich eigentlich damit hier anfangen soll. Kommt es heraus, so verliere ich meinen Posten, oder versalze mir doch wenigstens auch noch meine Salzschreiberstelle, die das Einzige ist, was mich in diesem deutschen Leben zum Beamten macht! Kommt es nicht heraus, so ist es noch viel schlimmer. Denn dann ist es ja eigentlich ganz unnütz, daß ich ein Liberaler bin! Das ist wahrhaftig zum Desperatwerden, das streut schwerlöthiges Bittersalz auf die jungen Flügel der Freiheit! Soll ich es nun herauskommen lassen oder nicht?

Aber gesetzt auch, ich ließe es herauskommen, und begönne, wonach es mich drängt, thätig zu werden als Apostel der Bewegung, und meine Zeitbegeisterung als einen geharnischten Streiter mit Schild und Spieß in die Welt hinauszuschicken, – ich Aermster, wie finde ich hier in Kleinweltwinkel auch nur eine passende Gelegenheit dazu! Soll ich die Mittwochs-Ressource der Kleinweltwinkler aufwiegeln? Mein Gott, was hätte die Weltgeschichte davon! O ewige Vorsehung des Schicksals! Warum mußte die Zeit ihre Kadmeischen Drachenzähne, aus der Helden entsprießen, auch in meine Brust aussäen? Ich fühle, ich fühle die aus dieser Saat auferstehenden Helden in mir, und sie heben sich und werden ungeduldig, und drücken mir mit ihrem Helmbusch fast das Herz ab, aber ich schäme mich, sie hier in diesem elenden Salznest ins Treffen zu führen! Ich muß die Helden, die aus meiner Brust auftauchen, wieder hinunterschlucken, und es ist mir, als riefe der leibhafte Teufel hinterdrein ein kicherndes: Prosit die Mahlzeit! O Esperance, das kann mir nicht gut bekommen! Bin ich nicht doch eigentlich zum Unglück geboren?

In der Verzweiflung hierüber setzte ich mich heut früh hin, und schrieb, um doch etwas zu thun, zwei liberale Manifeste an die Zeitgenossen nieder. Erschrick nur nicht, Du liebes Deutsches Mädchen! Sie sollen mir darum nichts anhaben können. Zwar handelt es sich hier um einen Schritt der Oeffentlichkeit, aber ich will ihn, wie es einem Deutschen geziemt, der größeren Sicherheit wegen anonym thun! Ich hülle mich in meine anonyme Nationalität, während die Freiheit draußen stürmt! Und etwas, etwas muß ich doch thun! Ich muß wenigstens durch allgemeine liberale Ideen zu wirken suchen, wenn mir meine Amtsverhältnisse in Kleinweltwinkel nicht gestatten, als specieller Liberaler herauszutreten. Darum habe ich diese beiden Manifeste aufgesetzt, welche ich an den Redacteur der »Dampfmaschine für Völkerfreiheit« senden werde, damit er sie als außerordentliche Beilage zu seiner Zeitung ausgebe.

Das erste ist ein mehr spielerisch liberales Manifest gegen das Hut-Abnehmen. Ich glaube, in einer wahrhaft frei gewordenen Zeit muß zuerst diese pedantisch lächerliche Sitte abgeschafft werden. Ich fange, wie Du siehst, die Befreiung der Völker von oben an, und lasse sie noch um einen Zoll höher als bei ihren Köpfen beginnen, also schon bei ihrem Hut. Was heißt es auch eigentlich, vor einem Andern den Hut abnehmen? Ist es nicht, abgesehen von dem dadurch begünstigten Servilismus, auch die größte Satire von der Welt, einem lieben Menschen, den ich auf der Straße sehe, ein so abscheuliches, länglich rundes, schwarzes, filziges Ding, als die Barbarei unsres Zeitalters uns aufgestülpt hat, ins Gesicht zu schwenken, als wollten wir ihn uns dadurch vom Leibe halten? Nein, der Hut ist das erste Hauptstück der Freiheit! so daß ich meinem Vaterlande die Errichtung einer Assecuranz-Gesellschaft gegen das Hutabnehmen vorschlage. Und wer sich vergißt, muß Strafgelder in eine allgemeine Kasse erlegen, aus welcher, nationeller Gutmüthigkeit gemäß, die Hutmacher entschädigt werden. Es lebe die Hutfreiheit!

Nun höre mein zweites Manifest. Es ist auf die Reformirung des Deutschen Briefstils gerichtet. Schon auf dem Couvert dieses Briefes wirst Du bemerken, daß ich das Prädikat: Wohlgeboren vor Deinem trauten Namen weggelassen habe. Es wäre wirklich eine unanständige Schmeichelei, Dir noch erst nachzurühmen, daß Du auch wohl geboren seist. Besser, als Du, kann Niemand geboren sein, und wäre er auch hoch oder hochwohl geboren, denn Das, was an Dir so herrlich ist, ist eigentlich gar nicht geboren. Es ist göttlich und ewig. Der liebe Gott ist auch weder hochwohlgeboren noch wohlgeboren, und wir sind ja alle nach seinem Ebenbilde erschaffen, also ohne das Prädikat: Wohlgeboren. Diese vier Wörter: Hochgeboren, Hochwohlgeboren, Wohlgeboren und Hochedelgeboren – denn blos edel geboren zu sein, schämt sich jetzt jeder Mensch – sind die vier bösen Feinde der Deutschen. Es sind die vier Grundpfeiler ihrer Pedanterie. So lange die Deutschen noch wohlgeboren sind, wäre ihnen besser, niemals geboren zu sein, und man wird sie wie neugeboren finden, wenn sie erst nicht mehr wohlgeboren sind. Die größte Barbarei in Deutschland ist immer noch die Barbarei seiner Gründlichkeit. Man benehme ihm also zuvörderst diese in der That maliziöse Gründlichkeit, auf jedem Briefcouvert bis auf die Geburt eines Menschen zurückzugehen und ihn mit dieser Hebammenängstlichkeit nach gewissen Modificationen geboren werden zu lassen. Die modificirte Todesstrafe fängt jetzt an in vielen gebildeten Staaten, besonders in Deutschen, abgeschafft zu werden; man macht sich nichts mehr daraus, ob der Verbrecher gerädert, geköpft oder gehängt wird, wenn wenn er nur vom Leben läßt. So gut wie den modificirten Tod sollten sich die Deutschen nun auch die modificirte Geburt vom Halse schaffen. Was haben sie davon, ob Einer hochgeboren, hochwohlgeboren, wohlgeboren oder hochedelgeboren ist, wenn er nur ist? Nur bei den moralisch oder geistig Nichtseienden möchte es nöthig sein, noch in jedem Briefe besonders daran zu erinnern, daß sie auch wirklich geboren sind. In Bezug auf diese kann es mit jenen Prädikaten beim Alten bleiben, aber einen wahrhaft existirenden Menschen so anzureden, wird in Deutschland hoffentlich sofort außer Gebrauch kommen, sobald es meinen in dem Manifeste weiter ausgeführten Vorschlag angenommen hat. Mein Plan soll nicht ganz gegen alle Eitelkeit und Weltsitte Sturm laufen, sondern ich bin der Meinung, meinen Landsleuten drei andere Prädikate, statt jener früher üblichen, tauschweise anzubieten. Es bildet sich nämlich ebenfalls eine über das ganze Vaterland sich verzweigende Assecuranz-Gesellschaft, welche sich gegenseitig zu diesem Endzweck versichert. Jeder, dem das Unglück widerfährt, von einem seiner Correspondenten das Prädikat: Wohlgeboren &c. zu erhalten, hat das Recht auf eine Entschädigungssumme Anspruch zu machen, die nach Procenten auf ganz Deutschland vertheilt wird. Dagegen treten drei andere landesübliche Prädikate ein: hochverehrt, verehrt und geehrt, die, nach den Umständen und Verhältnissen, auf der Adresse dem Worte: Herr (An den hochverehrten Herrn N. N. &c.) vorgesetzt werden. Nimmt sich das nicht menschlicher und freier aus? Vivat hoch, es lebe das freie Deutschland! Seelig sind, die nicht wohlgeboren sind! –

Du siehst, Esperance, wie ich mich als Liberaler allmählig einzurichten suche, so gut es gehen will. Verlange nicht zu viel auf Einmal! Troja ist erst in zehn Jahren erobert worden. Ich thue, was ich kann. Ich habe mich jetzt auch entschlossen, mir politische Zeitungen zu halten, da sich ohne diese in der That nicht mehr leben läßt, und ich habe so gedacht, wenn ich mir das Rauchen abgewöhne, Morgens nichts mehr zum Kaffee esse, und meine Röcke schone, daß ich in diesem Jahr keinen neuen machen zu lassen brauche, so werde ich durch diese Ersparnisse mit Gottes Hülfe den Aufwand wohl bestreiten können. Sauer wird es mir freilich werden, besonders das Fasten des Morgens, aber es hilft nichts. Ja, ja, mein Kind, dieser Liberalismus wird mich angreifen, schwächen, vielleicht gar zu Grunde richten, aber den Anforderungen der Zeit muß dennoch genügt werden! Nun, wie Gott im Himmel will! Er, der Alles zum Besten zu lenken weiß, wird sich auch eines liberalen Salzschreibers erbarmen.

Doch jetzt lebe wohl, Du hochverehrte Esperance! Es klopft an meine Thür, ich muß schließen. Der Copist Mundus kommt, um mich zum Vogelschießen abzuholen. Nächstens mehr von diesem seltsamen Menschen. – Ich bin

Dein S.


An Esperance.

Kleinweltwinkel, 20. Mai.

Ich habe die Feder einige Tage ruhen lassen, weil der Drang der Begebenheiten zu groß war. Dazu kam, daß ich immer auf ein Antwort-Blättchen von Deiner Hand gehofft, um, eh' ich Dir weiter schriebe, zu sehn, ob Du mich nicht etwa für toll hieltest. Aber Du bist auf Einmal verstummt, edle Freundin, und mir bleibt nichts Anderes übrig, als auch ins Stumme hinaus Dir dennoch zu schreiben. Alle meine Gedanken sind einmal schon geborene Briefe an Dich, die ich nur blos auf die Post zu geben brauche. Indem Du sie entsiegelst, hast Du mein Herz entsiegelt, und unter dem viereckig geschnittenen Couvert steckt ein ganzer, armer, närrischer Mensch, der die Hände nach Dir ausstreckt. Klopfe ihm nicht auf die Finger, sondern höre ihm zu, was er sagt und wie es ihm geht. Gesagt und geklagt muß es sein. So klagt der geschossene Rehbock des Waldes selbst noch dem Jäger, der ihn getroffen, sein Leid ins Ohr, während ihn dieser theilnehmend auf seine Schulter ladet, und der Rehbock, dies für einen Freundschaftsdienst ansehend, schätzt sich noch einmal so glücklich, und ahnt nicht, daß der Andere bei seinen Schmerzen nur den Vorgeschmack des künftigen Rehbratens empfindet. –

Ich habe versprochen, Dir von einem Mann etwas zu erzählen, der ohne Zweifel die originellste Figur in unserm Salzstädtchen ist. Copist Mundus war im Blüthenalter seines Lebens Husar, und trägt aus dieser Periode seiner Thaten noch die pelzverbrämte Husarenmütze, die ihm, nebst einem ebenfalls übrig gebliebenen martialischen Schnurrbart, zu einem sonst vor Alter ehrwürdigen Haupt charaktervoll genug steht. Bei weitem merkwürdiger als sein Aeußeres ist jedoch sein Inneres, in das, da er mich besonders liebt, vielfältige Gespräche mit ihm mich tiefer haben blicken lassen. Dieser Mensch hat sich nach einem Leben, das ganz und nur der That gewidmet war, nun, seitdem er hier bei unserm Salzamte als Copist angestellt worden, durchaus und völlig in die Reflexion gestürzt. Alles an und in ihm ist Reflexion, jeder Tintenklecks, den er unglücklicherweise bei seinen Abschreibereien macht, weiß er gleich mit der ganzen Weltgeschichte in Beziehung zu setzen, und die tiefgehendsten Raisonnements darüber anzustellen, und kein einziges Ereigniß, selbst im gewöhnlichsten Leben, steht ihm einzeln da, sondern er muß es sich im Zusammenhang mit einem früheren, sei es aus der alten oder der neuen Zeit, bringen. Ich nenne ihn oft im Scherz die ambulirende Mausefalle der Reflexion, weil er wirklich mit jedem Luftzug, den er schnappt, Reflexionen fängt. Man muß aber seine Excurse über die Weltgeschichte mit angehört haben, um einen Begriff davon zu bekommen, wie doch eigentlich Alles im Universum zusammenhängt! Er ist, in der That, der Geschichtsphilosoph von Kleinweltwinkel! Und Alles, was geschehen, weiß er auf ein einziges Prinzip der Dinge zurückzuführen, das ihm überall Stich hält und er überall als Grundgedanke durchzuführen versteht. Dies ist das Prinzip der Kaltblütigkeit. Man nennt ihn deshalb auch hier nur den Kaltblütigen, weil er behauptet, daß die Welt nur stehe und sich halte, indem sie auf dem Prinzip der Kaltblütigkeit basirt sei.

Dieser Mann ist jetzt in dem Augenblick, wo ich Dir von ihm schreibe, schon todt, ein Opfer der Reflexion! Doch ich will dem traurigen Faden der Begebenheiten nicht vorgreifen, und Dir der Zeitfolge und Ordnung nach Alles berichten. Zugleich muß ich jedoch davon abstehen, Dir seinen Charakter und sein Wesen durch die bloße Erzählung anschaulich genug vorstellen zu können. Ich theile Dir daher lieber ein Gespräch mit, das ich noch an dem Tage, wo er mich zum Vogelschießen abholte, auf dem Wege dorthin mit ihm gehabt, und worin er sich noch einmal, – leider so kurz vor seinem Hingange! – mir in der ganzen Eigenthümlichkeit seiner Ansichten erschloß. Zuvor ist nur noch die Bemerkung vorauszuschicken, daß er an diesem Tage nicht seine gewöhnliche Husarenmütze trug, sondern in der Uniform eines Schützen-Königs, mit dreieckigem Hut und Flinte, neben mir her stolzirte, da er der Schützenkönig des vorjährigen Vogelschießens war.

Ich. Mein lieber College Mundus, wie geht die Welt? Was sagt Ihre Weisheit zu den neuesten Begebenheiten dieser wunderlichen Zeit?

Copist Mundus (gähnend die Flinte über die Schulter legend). Begebenheiten? Mein lieber College Seeliger, habe ich Ihm denn nicht schon einmal bewiesen, daß es eigentlich gar keine Begebenheit giebt, sondern die ganze Weltgeschichte nichts als eine optische Spiegelfechterei des Gedankens ist? Was ist Begebenheit? Was ist Factum? Lumpereien sind es, die nur im Gehirn der Nichtdenker existiren, während eine kaltblütige Betrachtung der Geschichte in allem Geschehenden nur eine reine Gedankenschwebung wahrnehmen wird. Das ist aber eben der grandiose Irrthum der Geschlechter seit Jahrtausenden, daß sie immer für Begebenheiten ansehen, was doch nur Geistererscheinungen des Gedankens sind, und durch diesen Irrthum hat sich eigentlich die Geschichte nur bis auf unsere Zeit noch fortgepflanzt, denn die Geschichte müßte längst zu Grunde gegangen sein, wenn sich die Völker nicht immer noch in ihrem Wahn an den Begebenheiten abgearbeitet hätten, statt sich dabei still zu beruhigen, daß ja Alles nur Gedanke ist! Und welcher kaltblütige Mensch wird sich um eines bloßen Gedankens willen ereifern? Was ist Gedanke? Was ist Idee? Lumpereien sind es, die Jedermann auf der Straße finden kann, wenn er nur den Kopf auf dem rechten Flecke hat. Die Geschichte soll und muß aber nothwendig einmal im Gedanken untergehen und stillstehen, denn es ist offenbar nichts als ein Uebelstand und leidige Quälerei, Geschichte zu haben. Wie lange wird es noch dauern, so wird auch die kreuzlahm gewordene Begebenheit der Geschichte nicht mehr auf die Beine zu helfen vermögen, und die Völker werden so in Gedanken versunken sein, wie jener Regenschirm in der Wochenblatts-Annonce, der in Gedanken auf einem Kaffeehanse stehen geblieben war. Die Völker werden dann einsehen, daß es, wie gesagt, keine Begebenheiten giebt, sondern nur Gedanken, und werden es von diesem Augenblick nicht mehr der Mühe werth halten, eine Historie zu haben, da seinen Gedanken Jeder in seinen vier Pfählen beim Fliegenfangen ungestört nachhängen kann. Die ganze Welt wird dann ruhig und kaltblütig sein. Dann wird anerkannt sein, was ich immer behauptet habe: Kaltblütigkeit ist das höchste Prinzip!

Ich (mich an seinen Arm lehnend). Mir schwindelt! Halten Sie mich, halten Sie mich! Sie prophezeien das letzte Ende der Dinge, und das jüngste Gericht, und Alles mit der größten Kaltblütigkeit, lieber College! Mehr Beweise, mehr Beweise, muß ich bitten, oder ich stoße Ihre ganze Theorie über den Haufen!

Copist Mundus. Beruhige Er sich, junger Mann! Sei Er besonnen, kalt, und es wird Ihm Alles klar werden. Soll ich ihm das Verhältniß zwischen Begebenheit und Gedanke in der Geschichte noch weiter vordemonstriren? Sieht Er wohl, weil jede Begebenheit nur ein Gedanke ist, darum hängt ja eben in der Geschichte Alles auf das Genaueste zusammen! Es war z. B. keine Begebenheit, als der langnasige Römer Cäsar an den Iden des März umgebracht wurde, sondern es war der richtige Gedanke, den Brutus gefaßt hatte, daß das Einzelne sich nicht wichtiger machen solle als das Ganze. Dieser nämliche Gedanke hatte eigentlich schon kurz vorher dem Cato Uticensis das eigene Schwert in den Leib getrieben, weil er sah, daß Cäsar ein zu schlechter Denker war, um jenen einfachen Gedanken fassen zu können. Cäsar aber hatte offenbar schon immer die Vorahnung gehabt, daß er einmal auf die kläglichste Weise an einem Gedanken sterben würde, denn er haßte bekanntlich während seiner Lebzeiten alle Denker und hielt sie sich mit einer gewissen Scheu vom Leibe. Brutus und Cassius waren aber ohne Zweifel die besten Denker ihres Volkes, denn sie dachten, als es nicht mehr auszuhalten war, geradewegs an Cäsar's Tod. Dieser Gedanke manifestirte sich nun an den Iden des März mit logischer Schärfe, und der Tod des Cäsar war eigentlich, wie ich schon angedeutet, nur der nothwendig zu erfolgende Gedankengegensatz zu dem Tode des Cato von Utica. Cato brachte sich um Cäsar's willen um, und Cäsar wurde um des Gedankens willen umgebracht, um dessentwillen der sich umbringende Cato eben in diese Desperation gerathen war. So läßt sich in der Geschichte, wenn man sich die Mühe dazu giebt. Alles auf einen und denselbigen Gedanken zurückführen. Wie der Vogel Strauß seinen Kopf im Sande versteckt, um nicht gesehen zu werden, so verkriecht sich auch der Gedanke oft hinter der historischen Begebenheit, aber ein kaltblütiger Jäger läßt sich dadurch nicht irre machen, schießt ab, und erlegt das Wildpret doch. Gedanke! Gedanke! Er ist das Endziel der Geschichte, und er wird die Völker glücklich machen. Sie werden keine Abgaben und Steuern mehr zu bezahlen brauchen, wenn erst Alles im Gedanken aufgegangen ist, denn Gedanken sind ja zollfrei, wie schon das Sprüchwort lehrt. Doch um auf etwas Anderes zu kommen, guter Salzschreiber, kann Er mir wohl sagen, warum unsere alte knarrige Thurmuhr in Kleinweltwinkel jetzt eben drei schlägt, und warum sie nicht ebenso gut vier schlagen könnte?

Ich (meine Taschenuhr herausziehend). Das will ich Ihnen sagen, großer Copist Mundus, weil sie falsch geht, denn ginge sie richtig, wie die meinige, müßte sie allerdings in diesem Augenblick schon vier schlagen. Die Zeit schleppt in Kleinweltwinkel immer um ein ganzes Minutensystem nach.

Copist Mundus (ohne sich außer Fassung bringen zu lassen). Ausflüchte, Ausflüchte, Herr Salzschreiber! Komm' Er mir doch mit solchen rein tatsächlichen und begebenheitlichen Einwänden nicht! Glaubt Er das große Welträthsel dadurch zu beseitigen, warum drei nicht vier ist? Sieht Er, die Zeit ist offenbar die fortgelaufene Schlange aus dem Paradiese, die vor dem Fall des Menschengeschlechts noch stillverschlungen auf dem Baume der Erkenntniß saß und sich nicht rührte, und jetzt, obwohl es ihr längst leid geworden, doch so lange laufen und laufen und immer laufen muß, bis sie sich von selbst wieder in's Paradies zurückgefunden. Nun ist die eigene Schwierigkeit vorhanden, daß sie immer vorwärts zu laufen genöthigt ist, während sie doch eigentlich rückwärts das Paradies zurückgelassen hat, und deshalb weiß die Zeit, welche die Schlange ist, auch nie recht, wohin sie sich wenden soll. Man kann daher bemerken, daß sie alle Jahrhundert einmal wieder versucht, einige Schritte zurückzumachen, in der hypochondrischen Meinung, daß das Paradies doch am Ende wohl hinter ihr liegen könne, und in dieser Voraussetzung wäre es dann eigentlich ganz gleichgültig, ob drei Uhr vier Uhr oder ob vier Uhr drei Uhr ist. Sieht Er aber wohl, dem ist keineswegs also. Die alte Schlange mag sich in den Schwanz beißen, so viel sie will, um in ihrer Verzweiflung dadurch anzudeuten, daß die Zeit ein Kreis ist ohne Anfang und Ende, sie muß doch immer den langen Ringelleib wieder aufrollen, weil es ihr Fluch ist, das vorwärts zu suchen, was sie rückwärts gelassen hat. Und ebendeßhalb ist drei Uhr nicht vier Uhr, weil drei Uhr um eine Stunde rückwärts und vier Uhr um eine Stunde vorwärts zum Paradiese ist. Darum sind auch alle Uhren rund, weil sie in dieser Form den Verzweiflungskampf der Zeitschlange zwischen Rückwärts und Vorwärts mathematisch richtig vorstellen, indem dieselbe, wie gesagt, sich vor Angst in den Schweif beißt und so einen Kreis beschreibt, den die Uhrmacher sinnbildlich festgehalten haben. Deshalb aber auch ist die Zeit, weil sie die Schlange ist, die Allverführerin, die immer sucht, wen sie verlocke. Zeitpolitik und Zeitungen sind die giftigen Schlangeneier, die mancher Thor im verblendeten Eifer an sein Herz nimmt, um sie auszubrüten, bis er endlich sehen muß, daß er sich junge Schlangen daraus auferzogen, die ihm die Brust zerfleischen werden. Hüt' Er sich, hüt' Er sich, Herr Salzschreiber! Ich weiß, Er hat sich auf der Post-Expedition Zeitungen bestellt! Was sollen Zeitungen in Kleinweltwinkel? Darum lieb' ich eben diesen Ort so sehr, weil wir hier über die Begebenheit längst hinaus sind, und Langeweile – ich meine jenen sinnigen Frieden der Langenweile – genug übrig haben, um uns ganz dem reinen Gedanken hingeben zu können. – –

Es war wirklich Schade, daß wir, jetzt eben auf der langen Wiese angelangt waren, und die dort versammelte bunte Menge uns aufnahm und auseinanderbrachte, denn Copist Mundus war jetzt gerade im Begriff, auf sein interessantestes Thema zu kommen.

Der Vogel stand noch unversehrt oben auf der Stange, und ein Schütze nach dem andern trat ab und zu, ohne des besten Schusses Meister zu werden. Ich stellte mich etwas abseits aus dem Gedränge, um das Volk recht in Muße beobachten zu können. Fürwahr, ein tristes, trübseeliges, trauriges Volk! Wie sie sich freuen, wie sie sich amüsiren, und selbst an ihrer Freude wie ein Lastthier schleppen und keuchen! O mein Gott, das ist ein Deutsches Volksfest! Der Deutsche verräth seine Schwerfälligkeit am meisten, wenn er sich freuen will; nur im Schmerz wird er poetisch, edel und selbst genial! Sogar in der Deutschen Sprache sind die Ausdrücke und Interjektionen der Freude dürftig, plump, herzbeklommen und ohne hellen Jubelklang, während sie aus einer Französischen Kehle wie ein lachendes Trompeterstück herausschmettern. Und so still, so entsetzlich still wird das Volk, wenn es sich in Masse bei einander befindet! Es ist, als ob sich Einer vor dem Andern seiner Nationalität wegen genirte, und immer im Begriff wäre, mit dem Hut in der Hand um Verzeihung zu bitten, daß er auch zu existiren wagt.

Ich wurde in meinen Betrachtungen durch den Balgentreter Flitzbogen unterbrochen, der mir seine Flinte anbot, und fragte, ob ich nicht auch einen Schuß versuchen wolle, was ich mit Kopfschütteln ablehnte. Der alte gute Mann hatte auch eigentlich nur Gelegenheit gesucht, mit mir von seinem Sohn zu sprechen, der heut in Kleinweltwinkel angekommen war und sich ebenfalls unter den Festgängern auf der Wiese befand. Ich hatte schon früher von diesem jungen Flitzbogen gehört. Er hatte studirt, sich dann als fahrender Candidat der Theologie eine Zeitlang umhergetrieben, war in Rheinbaiern Hauslehrer gewesen, revolutionnairer Umtriebe verdächtig geworden, man hatte ihn festgenommen, die Anklage des Umsturzes des Bestehenden gegen ihn anhängig gemacht, und endlich vor einem gutherzigen Assisengericht dortiger Gegenden wieder freigesprochen. So war er jetzt in seinen Geburtsort Kleinweltwinkel wieder zurückgekehrt, wahrscheinlich um seinem betagten Vater, der ein kleines Vermögen besaß, zur Last zu fallen. Dieser aber zeigte sich hocherfreut, seinen Einziggeborenen wiederzuhaben, und wies ihn mir mit der Hand, wie er eben im Begriff war, nach dem Vogel zu schießen. Es war ein junger weißblonder Mensch von bleicher abgelebter Gesichtsfarbe, aber kecken Augen. Sein alter Vater glaubte, daß er nun zurückgekommen sei, um zu predigen und ein geistliches Amt zu übernehmen, und bedauerte nur gegen mich, daß ihm sein schweres Gehör nicht verstatten werde, seinen Sohn, den er mit so vielen Kosten habe studiren lassen, jemals predigen zu hören. Er litt, wie alle Balgentreter, an Taubheit. Aber siehe! in diesem Augenblick hatte der junge Flitzbogen losgeschossen, und ein allgemeines Lärmen und Schreien erhob sich auf der ganzen Wiese, denn der Königsschuß war gefallen. Der Neuangekommene hatte sich sogleich zum König der Kleinweltwinkler Schützengilde geschossen. Altes drängte sich herzu, ihm zu gratuliren, und der Balgentreter, dem die Thränen der Vaterfreude in den grauen Augen standen, rannte ebenfalls, soweit es seine alten Beine nur erlaubten, um seinen Sohn an sein Herz zu schließen.

Ich stand wieder allein. Die dunklen Schatten meiner Melancholie spannen sich wie ein schwarzer Schleier selbst über den schönen grünen Maitag, der das Fest meiner Mitbürger so herrlich begünstigte. Ich blickte sehnsüchtig dem Vogel nach, der aus den Wipfeln der alten Linde zwitschernd herausfuhr und mit lustigem Flattern in das wolkenlose Blau des Himmels ausschwebte. Thränen stürzten mir aus den Augen, ich wußte selbst nicht warum. O mein Gott, sind das die Flitterwochen meines Liberalismus? Hat mir der Herr von Zodiacus so meinen Zeitpips kurirt?

Ich weiß nicht, wie lange ich so, in meine Schwermuth versunken, dagestanden, als ich plötzlich durch einen Zank erweckt wurde, der auf der Vogelwiese ausgebrochen zu sein schien. Ich unterschied die dumpfe Stimme des Copisten Mundus, die mit selten gehörter Heftigkeit in der Ferne grollte und von einer andern jüngeren mit wieherndem Geschrei erwiedert wurde. Dies belebte einigermaßen meine Neugier, und ich wand mich durch das Gedränge hindurch, um zu sehn, was es gäbe.

Die Streitenden waren in der That niemand anders als der alte Mundus und der junge Candidat Flitzbogen. Ersterer hatte sich nämlich bald nach dem Meisterschuß angeschickt, seine Königswürde vom vorigen Jahre an den neuen Schützenkönig abzutreten, und denselben mit den damit verbundenen Insignien zu belehnen, als der Andere zum höchsten Erstaunen aller Anwesenden entschieden erklärte, daß er die Königswürde nicht annehmen werde. Dies war in Kleinweltwinkel noch nicht vorgekommen, und erregte einen allgemeinen Unwillen, besonders aber den des Copisten Mundus.

Ich will schlechterdings nicht König sein! schrie Candidat Flitzbogen, indem er dem im ruhigen Zorn dastehenden Mundus leidenschaftlich vor der Nase herumgesticulirte. Selbst ein Schützenkönig zu sein, bringt in heutiger Zeit Gefahr! König, König, will ich nicht sein, damit laßt mich ungeschoren, und somit Sela!

Kaltblütigkeit ist das höchste Prinzip! erwiederte der vorige Schützenkönig mit großartiger Mäßigung Darum will ich Ihm, junger Mann, ganz ruhig auf seine hochverrätherische Rede antworten. Sieht Er wohl, Er hat dem Vogel die Krone abgeschossen, und folglich ist Er Schützenkönig! Alles hängt in der Welt genau zusammen und läßt sich auf einen und denselben Gedanken zurückführen. Wer eine Krone geschossen hat, ist König! Es ist ein Werk des spielerischen Ohngefährs, auf das Er sich, junger Mann, nichts einzubilden braucht. Sei Er König mit Bescheidenheit und Selbstverläugnung, und es wird Ihm nichts Uebles begegnen. Lerne Er erst gehorchen, und das Regieren wird Ihm dann leicht werden. Gehorche Er mir also, und nehme Er diesen Königshut, wie es der Sinn des heutigen Festes verlangt, nur erst aus meiner Hand an, und regiere er darauf in Frieden!

Was Königshut? lachte der übermüthige Flitzbogen, indem er den ihm dargebotenen Hut in die Hand nahm und komisch betrachtete. Dies ist ja ein Dreimaster! Das deutet eine Dreiheit der Gewalten an, – Volksrepräsentation, Regierung und König – wie sie nur im besten constitutionellen Staate gefunden werden kann! Und das nennt Ihr im Ernst einen Königshut? Herr Copist Mundus, Ihr wollt mich foppen! Wer wird die Königswürde in Form eines Dreimasters repräsentiren? Geht, geht, ich halte Euch jetzt für einen geheimen Revolutionnair! Wenigstens seid Ihr ein Zeitgemäßer, ein Liberaler! Gebt mir Eure Hand, wir müssen Freunde werden, wir müssen uns dutzen, und ich bitte Euch, sagt nicht mehr: Hör' Er mal, zu mir! Kommt, vivat hoch, der Dreimaster soll leben! –

In diesem Augenblick fielen meine Augen auf den Herrn von Zodiacus, der plötzlich dicht neben den Streitenden gesehen wurde. Er war wie aus dem Boden hervorgeschossen, da er noch kurz zuvor, worauf ich meinen Kopf verwette, durchaus nicht auf der Wiese sichtbar gewesen war. Ich wußte zwar, daß er sich noch immer in unserm Orte aufhielt, wegen der Krankheit seiner alten Großmutter, (der scharlachrothen Sphinx, von der ich Dir geschrieben,) aber ich vermuthete ihn mir nicht an dieser Stelle, weshalb mich sein Erscheinen ordentlich mit Grauen überlief. Ich glaubte, daß er nun Frieden stiften werde, aber die lange hagere Figur sah mit ihrem gewohnten Lächeln dem Wortwechsel der Beiden, die ihn gar nicht zu bemerken schienen, zu, und ließ eher ein höhnisches Wohlgefallen darüber in seinen Geberden blicken.

Dem Copisten Mundus war bei den letzten Worten des Kandidaten Flitzbogen die große Zornader auf seiner hohen Stirn fast zu einem dicken Reifen angeschwollen. Junger Mann, sagte er dann mit dem höchsten Aufgebot verächtlicher Kaltblütigkeit, Ihr wißt nicht, was Ihr thut, und deshalb vergebe ich Euch, daß Ihr einen Mann beleidigt, der vierzig Jahre Soldat und Husar gewesen, und das will mehr sagen, als seit vorgestern liberal sein! Euerm Liberalismus fehlt es an Allem, was ihn zu einem tüchtigen Husaren auf dem Kriegsschauplatz der Weltgeschichte machen könnte, und er würde höchstens in eine Strafcompagnie der Geschichte gehören; Euerm Liberalismus fehlt es noch ganz an Säbel, Carabiner, Pferd und Reitzeug, und er ist daher nur zu bemitleiden, daß er, wie die Kinder zu Weihnachten, auf einem hölzernen Steckenpferd auf Abenteuer ausziehen muß! Der ganze Liberalismus ist auch nur so ein Weihnachtsreiter aus Französischem Pfefferkuchen, welchen der leibhafte Teufel den Deutschen aus Ironie zum heiligen Christ bescheert hat, und da Ihr mir zugeben werdet, daß Alles in der Welt genau zusammenhängt, so werdet Ihr auch zugeben müssen, daß Ihr selbst und Euer Liberalismus mit Herrn Lucifers Majestät zusammenhängt! Diese Reflexion sei mein Triumph über Euch! Sie ist zugleich die Reflexion höchster Kaltblütigkeit!

Das ist eine höchst beleidigende Reflexion! schrie Flitzbogen, indem er sich wie außer sich stellte. Auch ich ward zur Reflexion geboren, auch mir hat die Natur an meiner Wiege Freuden zugeschworen, doch solche Reflexionen sind mir noch nie geboten worden! Rings umgeben von einem ganzen Zeitalter voll Reflexion, stehe ich doch furchtlos hier, und erkläre keck allen hier auf dieser Wiese versammelten Deutschen ins Angesicht, daß ich der Mann nicht bin, der sich selbst durch eine Reflexion schikaniren ließe! Was ist eine Reflexion, daß sich ein freier Mensch darüber krank ärgerte? Ich bin frei, ich bin liberal, ich bin der Candidat Flitzbogen! Ich habe mit Wirth und Siebenpfeifer auf das Eine und ungetheilte Deutschland angestoßen, und zu der Schrift Wirths über die Deutsche Reform, die der große Mann im Gefängniß schrieb, habe ich ihn, als ich ihn dort besuchte, die Schreibfedern geschnitten, weil ich gerade ein Federmesser bei mir hatte! Die Assisen von Landau wollten mich deshalb mit in den berühmten Hochverraths-Prozeß hineinziehen, aber ich war so kühn, zu beweisen, daß ich nicht an der Zerspaltung der bestehenden Ordnung, sondern nur an der Spaltung eines Gänsekiels mitgewirkt hatte. Ein solcher Mann bin ich, und soll jetzt, nachdem ich mein Deutsches Wesen bis zur Thatkraft in mir gesteigert hatte, nachdem ich einmal von einem wirklichen Factum in Deutschland zu träumen gewagt, jetzt soll ich eine elende Deutsche Reflexion auf mir sitzen lassen? Nein, ich verlange Genugthuung, ich verlange vollständige réparation d'honneur! Ihr müßt Euch mit mir schlagen, Copist Mundus, um dieser Reflexion willen müßt Ihr Euch mit mir schlagen, wenn Ihr wirklich vierzig Jahre Soldat und Husar gewesen seid!

Auf den Gesichtern aller Umstehenden malte sich ein bleicher stummer Schrecken, als sie eine solche in Kleinweltwinkel noch nie gehörte Herausforderung vernahmen. Der Herr von Zodiacus aber unterdrückte ein lautes Lachen des Wohlgefallens an dieser Scene nicht, und nahm jetzt das Wort, indem er mit seiner heisern Stimme zu einem Vergleiche rieth. Etwas muß allerdings hier zur Genugthuung geschehen, sagte er, denn es handelt sich um keinen gewöhnlichen Zank, sondern es sind die Interessen der Zeitparteien, die zwischen den beiden Herren in's Spiel getreten sind.

Ich will einer gütlichen Uebereinkunft nicht im Wege sein, erwiederte Flitzbogen mit einiger Scheu gegen den Fremden. Aber ohne Duell kommt bei mir keiner davon, und sollte es auch blos des Scheines wegen vor sich gehn müssen. Ich schlage daher vor, daß wir uns mit ungeladenen Flinten schießen, denn da dem Herrn Copisten Mundus Kaltblütigkeit das höchste Princip ist, so wird er es hoffentlich zufrieden sein, daß wir uns auf kalte Schüsse duelliren.

Der Heisere lächelte dem muthwilligen Candidaten beifällig zu, den er überhaupt schnell liebgewonnen zu haben schien. Ich erbiete mich zum Secundanten in diesem höchst ergötzlichen Zeit-Duell, sagte er dann.

Eine andere Schwierigkeit war jedoch, den erhabenen Sinn des Copisten Mundus zur Einwilligung in diese Farce zu bewegen. Er stand lange stumm und kopfschüttelnd da, wie von einer bangen Vorausahnung seines Unterganges ergriffen, und nur mit Mühe sagte er Ja, als ihn seine Freunde, die froh waren, daß die Sache in einen Scherz auslief, von allen Seiten dazu überredeten. Ort und Stunde wurden endlich bestimmt, und ganz Kleinweltwinkel versprach sich eine lustige Unterhaltung von dieser Geschichte. – –

Als man sich darauf zum gemeinsamen frohen Mahle, das mit einem Ball endigen sollte, nach dem Saale des Schützenhauses begab, hatte ich unterwegs ein Gespräch mit dem Candidaten Flitzbogen. Er hatte sich nämlich zuerst an mich gemacht, da ihm sein Vater wohl gesagt haben mochte, daß ich auch so eine Art Halbstudirter sei, und ich erkundigte mich mit vieler Theilnahme bei ihm nach seinen Schicksalen und Fährnissen in Rheinbaiern und Süddeutschland überhaupt. Ich weiß nicht, trieb mich mein guter Geist dazu, diesen Menschen nach dem Gedeihen des Liberalismus zu fragen, um mir alle liberalen Anfechtungen bei mir selbst verhaßt zu machen?

 – – – – – – – – – –

 – – Ich würde mich aber verdächtig machen, wenn ich Dir Alles aufzeichnen wollte, was über seine leichtfertige Zunge gegangen, und dieser Brief vielleicht in die unrechten Hände geriethe. Man muß heuer vorsichtig, sehr, sehr vorsichtig sein! So höre nur, was er, nachdem er das Thun und Treiben der großen Freiheitsmänner in Rheinbaiern geschildert, dann mit einem ungeheuern Stoßseufzer hinzufügte: Es waren kostbare Stunden, die ich mit diesen Menschen allen verlebte und ich preise mein Schicksal deshalb glücklich, in ihren Reihen gestanden zu haben! O wie lebten, wie jubelten wir zusammen, und tranken immer die besten Sorten auf das Wohl der jungen Freiheit! Ein freies Leben voller Wonne! Ach, und diese Edlen, wo sind sie jetzt? Die Thränen kommen mir in die Augen. Zerstreut in alle Welt, landflüchtig, obdachlos, geächtet irren sie umher, wie der redliche Große und mein Busenfreund, Candidat Herold, der viel Anlage zum Kritiker hatte; Andern hat man den hochstrebenden Geist in niedere Kerkerlöcher gedrückt, wo sie den Traum von der Wiedergeburt Deutschlands ausschlafen. Von Liberalen, wie H. Heine und Börne, will ich Ihnen nur ein Paar Worte sagen. Diese Beiden haben sich immer etwas vornehm gegen uns gehalten, und wir waren deshalb nie sonderlich bemüht, sie in unsere Sache hineinzuziehen. Von Heine's Liberalismus habe ich überhaupt nie eine große Meinung gehabt; er kokettirt nur mit ihm, wie mit Allem, und seine jetzige Liebschaft mit der Freiheit hat keinen tiefern Zug, als seine übrigen Liebschaften, die er besungen und im Singen an den Pranger gestellt hat. Da Monsieur Heine, nach einem seiner eignen Lieder, seine Mädchen nur so lange liebt, als sie ihn nicht lieben, so ist er auch, glauben Sie mir, für die Freiheit nur so lange begeistert, als sie nicht da ist; wäre aber aller Orten die erstrebte Freiheit verwirklicht, würde Heine, schon um pikant zu sein, als der erste auftreten, welcher sich über sie moquirte und einen Witz gegen sie ausgehen ließe. Was Börne betrifft, so weiß der eigentlich gar nicht, was er will, und schwärmt für einen in aller Ewigkeit entfernten Juden-Messias der Freiheit, der, man weiß nicht woher, einmal erscheinen soll. Dabei wendet er ein ungeheueres Talent auf für eine Aufgabe, die praktisch betrachtet ein Nichts ist und zu Nichts führen kann, und dann windet er sich in witzigen Krämpfen vor den Augen des Publikums herum, und möchte seine Thränen, die er über Deutschland weint, als Gifttropfen in die Weingläser der Fürsten schütten, aber es bleibt bei den in schönem Deutsch zum Besten gegebenen Optativen. Börne ist ein wahrer Don Quixote des Liberalismus, und ebenso unheimlich lustig und bizarr tragisch, wie dieser. Aber was hilft das Alles der Sache, für die wir fechten! Praktisch, praktisch, das ist die Hauptsache, und ist das Eine, was Noth thut! Dies Verdienst wenigstens haben wir Hambacher, daß wir gleich aufs Praktische ausgingen, und was können wir dafür, daß das noch in Theorie allzuvergrabene Deutschland uns zu frühzeitig die Praxis gelegt hat!

So sprach Candidat Flitzbogen, und ich konnte mich eines tiefen Widerwillens gegen ihn nicht erwehren. Er schien mir frecher und in seiner Frechheit gewandter zu sein, als ich mir vorgestellt. Dabei ärgerte es mich vor Allem, was er über Börne gesagt.

Den Monsieur Heine will ich Ihnen allenfalls eher preisgeben! sagte ich. Da er sich selbst überall preisgibt, was brauchen Andere mit ihm Umstände zu machen. Aber Börne's tiefere Natur haben Sie zu wenig begriffen, und scheinen mir mit schonungsloser Leichtfertigkeit über ihn abgesprochen zu haben. Börne hat, trotz Willibald Alexis in Berlin und der Brockhausischen Buchhandlung in Leipzig, ein großes Verdienst um Deutschland, er hat das Verdienst, an den nationalen Thorheiten und Vorurtheilen der Deutschen niedergerissen haben mit dem Feuer und Schwert seines Witzes. Börne ist ein ächt deutscher Mann, alle Krankheiten Deutschlands haben in seinem Herzen genistet, er ist sentimental, wie Deutschland, träumerisch, wie Deutschland, hypochondrisch, wie Deutschland, gutmüthig närrisch, wie Deutschland, in sich selbst wühlend und über sich selbst reflectirend, wie Deutschland. Weil alles Deutsche in diesem Börne so scharf vorhanden ist, darum ist es sich eben in ihm so gegenständlich geworden und unter die Zuchtruthe seines Spottes gefallen, denn dieser Spott ist nichts Anderes als eine schneidend ausgeschliffene Selbstreflexion, deren Schärfe von tief menschlichen Thränen bethaut ist. Wer kann den Schmerz verkennen, der in diesem politischen Laokoon unserer Zeit so erhaben ausgedrückt ist? Ja, einen Laokoon nenne ich ihn! Sieht er nicht seine liebsten und geliebtesten Kinder, die Deutschen, von der heimtückischen Schlange der Knechtschaft umwunden, sieht er nicht, wie sie, eines besseren Looses werth, sich ringen bis in den Tod unter dem Druck eines Gespenstes, und hat ihn nicht selbst schon der grause Wahnsinn des Schmerzes und Mitgefühls lähmend umschlungen, so daß er, mit seinem Volke zu einer starren Gruppe des Entsetzens vereint, auch mit ihm an einem und demselben Schicksal untergehen wird?

Flitzbogen lächelte widerwärtig, als ich dies gesagt hatte. Ei, ei, Herr Salzschreiber, rümpfte er mir dann zu; wie ich höre, pfuschen Sie auch ein wenig in die Zeitinteressen. Aber sagen Sie mir, wie denken Sie es anzustellen, um hier in Kleinweltwinkel die Freiheit zu erhaschen? Oder werden Sie ihr, wie jenes Kind dem Vogel, den es einfangen wollte, Salz auf den Schwanz streuen, um sich desto gewisser ihrer zu bemächtigen?

Dies verdroß mich so sehr, daß mir in diesem Augenblick die ganze Sache der Freiheit hätte gram werden können. Ich wollte eben auch mit einem Witz auf ihn losbombardiren, als er mir in das Schützenhaus hinein entwischte, wo wir inzwischen angelangt waren. Von dem großen Souper, das jetzt erfolgte, sage ich Dir kein Wort, geliebte Freundin. Mir schmeckte kein Bissen. Selbst die Krebspastete rührte ich nicht an, so daß die Frau Salinen-Inspectorin, neben der ich saß, mitleidig über mich armen Tropf lächelte. Ich fühlte mich krank, krank, krank, so krank wie Deutschland, so krank wie Börne. Und ach! Esperance, hatte ich nicht Recht gehabt, daß ich den guten Börne gegen den naseweisen Flitzbogen vertheidigt? Du bist dem lieben kleinen Mann, als ich Dir einmal seine Memoiren einer Postschnecke vorlas, ja auch so gut gewesen, daß Du ihn auf der Stelle küssen wolltest, und das will von Dir viel sagen, o Esperance!

Von dem Ball erzähle ich Dir ebenfalls nichts. Ein so linkischer Mensch, wie ich, der kaum aufrecht auf den Beinen stehen gelernt hat, taugt in keinen Ballsaal, wo alle Grazien Kleinweltwinkels versammelt sind; und doch kommen mir nie so wunderbar romantische Gedanken in den Kopf, als gerade, wenn ich tanzen sehe. Ich lief aber hinaus in den Abend, der wohlthätig über Fluren und Wegen dunkelte, und sein milde verschleierndes Gespinnst auch über mein finsteres Antlitz hinspann. O welche Wohlthat, keine Menschen sehen und sich selbst nicht sehen, welche Wohlthat, in tiefster Nachteinsamkeit sich ruhig sterben lassen und mit den Nachtlüften vergehen! Ich griff nach den Glühwürmern, die golden im Busch flogen, ich riß von den Bäumen die neuen grünen Blätter ab, um mir die Thränen damit zu trocknen, ich seufzte laut und gewaltig, daß die singende Nachtigall im Walde vor Schreck verstummte! Ich wünschte, ich wäre nie geboren worden, um liberal zu werden!!

Doch was spreche ich von mir? Von zwei andern Unglücklichen will ich Dir lieber erzählen, die hier bereits als ein Opfer der Zeitparteiung sich in's Elend gestürzt haben. Jenes Duell zwischen dem Copisten Mundus und dem Kandidaten Flitzbogen, das um eine Reflexion des Ersteren entstanden war, fand am folgenden Tage wirklich verabredetermaßen statt. Esperance, ich verwette meinen Kopf darauf, daß ihre Flinten nicht geladen gewesen waren, denn sie hatten sie vorher in meinem Beisein probirt. Und doch, kannst Du Dir es denken, in demselben Augenblick, wo der Scherz, zu dem sich mehrere Freunde zusammengefunden hatten, losgehen sollte, wurde der blutigste Ernst daraus. Beide drückten fast gleichzeitig ab, und während wir Andern schon losjubeln wollten, und erwarteten, daß sie sich nun zur Versöhnung in die Arme stürzen würden, hörten wir in demselben Nu Knall und Blitz, sahen Rauch und Feuer, und bemerkten, wie Mundus sowohl als Flitzbogen zu Boden gesunken waren. Sie schwammen Beide in ihrem Blut, mein guter Mundus röchelte nur noch. Er hatte einen Schuß in den Unterleib erhalten, Flitzbogen aber schien nur am Fuße verwundet. Herbeigeholte Hülfe hatte wenigstens für Mundus keinen glücklichen Erfolg. Nach drei Stunden war dieser Edele verschieden. Es schwebt ein undurchdringliches Dunkel über dieser tragischen Begebenheit, und noch kein Kleinweltwinkler hat sie zu enträthseln vermocht. Ich bin vielleicht der Einzige, der einigen Grund dieses Unheils darin zu finden suchte, daß jener unheimliche Zodiacus, aus dem kein Mensch klug werden kann, als Secundant zugegen gewesen. Wie es aber dennoch zugegangen, und ob sie aus Haß gegen einander gleichwohl geladen, oder ob ihnen der Böse selbst die ungeladenen Flinten mit geladenen vertauscht, darüber ist ebenso schwer in's Reine zu kommen, wie über die bekannte Vertauschung der Rapiere in Shakespeare's Hamlet, als sich der Dänenprinz mit Laertes duellirte. Beide Fälle erwarten ihre Aufklärung von einer späteren Nachwelt. Was den Flitzbogen anbetrifft, so höre ich eben, daß ihm der rechte Fuß hat abgenommen werden müssen. Hilf Himmel, es ist junges Blut, und wer kann sich des Mitleidens erwehren! Nun wird er erst hinken, wie ein rechter liberaler Ultra. Du aber ruhe in Frieden, mein Mundus! Im Tode wirst Du nun hoffentlich erst recht eingesehen haben, daß Begebenheit und Gedanke Eins sind, und daß Alles in der Welt genau zusammenhängt! Der Tod ist der größte Gedanke und das größte Factum zugleich! Ich habe Dich lieb gehabt, Du warst ein närrischer Geschichtsphilosoph! Ich werde noch lange an Dir zu lachen haben. Die Erde sei Dir so leicht, wie Dir Deine Reflexionen wurden! Sela! Sela! – –

Und so lief dieser Streit aus, der sich daher entsponnen, daß Flitzbogen nicht hatte König werden wollen. Dies, o geliebte Freundin, hat mich im stillen Nachdenken meiner letzten schlaflosen Nacht auf lange historische Betrachtungen über die Idee des Königthums gebracht, welche endlich in folgender Phantasie ausliefen, die ich mich nicht entblöde, Dir hier zum Besten zu geben:

Die Frauen sollten König sein!

Ja, ja, nur die Frauen sollten König sein! Ihnen beugten die Völker sich gern im liebenden Gehorsam, und das ganze Königthum wäre nichts weiter als eine Repräsentation des Schönen und Milden auf der Menschheit Thronen. Das Verhältniß zwischen König und Volk würde allgemeine Sache der Galanterie werden, und all das Mordspectacel der Geschichte ginge unter in eleganten und gemüthlichen Formen. Die Völker würden lieber Stutzer werden als Demagogen, um nur ihrem hübschen König auch recht zu gefallen, und die Politik verwandelte sich sammt und sonders in eine große süße Courmacherei. Die Historie hat auch gezeigt, daß Frauen auf dem Thron fast immer glücklich regierten, und um wie viel mehr wird dies der Fall sein, wenn sie künftig nicht mehr als ungewohnte Ausnahmen, sondern aller Orten und herkömmlich das Scepter führen, und das Volk sich daran gewöhnt hat, daß es sich zu seinem König gerade wie Mann und Frau verhält. Die Frauen sollen König sein! Sie verstehen am besten zu resigniren und die Wirthschaft zu führen. Sie haben die meisten Talente für den Haushalt, warum nicht auch für den Staatshaushalt? Ein Mann ist viel zu gewaltig, und deshalb zu gefährlich für ein Scepter; die Frauen aber spielen gern und lassen gern mit sich spielen, und daher taugen sie gut auf einen Thron. Das Königthum ist ja in seinem herrlichsten Sinne nur die Repräsentation einer Idee, und nur weil es eine Idee ist, gönne ich ihm, daß es sich von Gottes Gnaden schreibt. Wer aber ist geeigneter dazu, eine Idee zu repräsentiren, als die Frauen, diese sinnduftenden Ideenblüthenbäumchen, die so recht von Gottes Gnaden knospen und wachsen im Erdengarten? Ein wahrer Mann ist fortwährend ein zu starker Ideenstürmer, um selbst mit Gottes Gnade ein friedlicher Ideenrepräsentant sein zu können, aber die Frau waltet segenbringend und stillbehütend im Kreise einer gegebenen Idee zur Lust des ganzen Hauses. Diese gegebene Idee des Vermittelns und Stillbehütens, welche Idee im Staate der Thron ist, ist eine ächt weibliche, sie ist der Thron der Weiblichkeit, sie ist die Weiblichkeit auf dem Thron! Die Frauen, wer weiß es nicht, haben die schönste Constitution, und es ist kein Zweifel, daß sie daher auch immer gern mit einer schönen zeitgemäßen Constitution regieren werden. Vivant, vivant die Frauen am Regiment!

Ja, die Frauen sollen König sein! –

Und nun Adjeu, mein König! Ich bin

Dein

Unterthan Seeliger.


An Esperance.

1. Juni.

Ein grauer, grauer Junitag – o wie verkommen sehen doch alle Frühlinge dieses grauen Jahrhunderts aus! – hat schon seit vierundzwanzig Stunden ununterbrochen geregnet. Das ist ein Ersäufen der Blumen und Blüthen, ein irres Jammern der Vögel in den Lüften, ein Verstocken aller helleren Gefühle, und ein Verwässern des Spinats unten im Garten, daß man schon eine Sündfluth in sich selber zu erleben meint. Aber siehe! da kam geflogen über den Wassern her die Friedenstaube mit dem Oelblatt im Munde! Nämlich der alte Noak, der Postbote, dessen Briefmappe wir hier immer, des Namengleichklangs wegen, die Arche Noah's zu nennen pflegen, klopfte an meine Thür, und nachdem er seine Arche geöffnet, schlüpfte mir daraus die schöne Friedenstaube, Dein Brief, entgegen, Du herrliche Esperance! und aufgeklärt war die Sündfluth, und himmelblau und sonnenhell leuchteten die Sphären. Ja, das ist ein Brief mit einer Friedensmiene, und ich falte andächtig vor ihm die Hände. Du sprichst wie ein sinnender, lächelnder, siegesgewisser Gott über die Wirren dieser Zeit. Könnte ich nur an Deine Ruhe hinan! Aber dennoch Dank! Dank!

Und von meiner der Sprache mächtig gewordenen Liebe sagst Du nichts? Aber schweige nur, schweige, ernsthaftes Mädchen! Ich verstehe Dich doch, ich verstehe in Deinem Brief die Telegraphenwinke der Liebe! Es ist zeitgemäß, durch Telegraphen miteinander zu correspondiren. Du hast die Zeichen des Schweigens gegen mich herausgehängt, und ich werde Dir meine Gegenzeichen mit um so wortreicherer Beredsamkeit machen.

Für heut aber höre nur noch einige Worte von mir. Ich bin auf morgen beim Herrn von Zodiacus, der noch immer bei uns verweilt, zum Frühstück eingeladen. Er schien mich in der letzten Zeit ganz vernachlässigt zu haben, und auch ich mied ihn immer gern. Jetzt weiß ich nicht, was er von mir will, aber seltsam, so sehr mich auch vor ihm graut, wie sehr ich ihn auch für etwas Unheimliches halte, so fühle ich doch einen gewissen Drang in mir, wieder mit ihm zu sprechen. Er ist doch immer ein Mann, der viel in der Welt gesehen und erfahren, und aus dessen Reden sich etwas entnehmen läßt.

Ja, höre, Esperance! mit mir muß es anders werden. Auch Du, als eine junge Gelehrte, wirst gewiß schon die Bemerkung gemacht haben, daß das, was man erkannt hat, Einem gewissermaßen immer kleiner erscheint, als es vorher aus der Ferne gesehen wurde; daher auch die populaire Redensart: etwas klein kriegen für verstehen, stammt, welche, wie ich meine, in jener psychologischen Erfahrung ihren Grund hat. So glaube auch ich nun den Liberalismus klein gekriegt zu haben, nachdem ich ihn recht verstanden und erkannt. Es ist ein antideutsches Element in ihm, das jedem braven Deutschen, der es mit seiner angestammten Nationalität redlich meint, gefährlich und verdammenswerth erscheinen muß! Es soll anders mit mir werden, es kann nicht länger mit mir so bleiben! Ich muß mit dem heisern Zodiacus sprechen!

Noch einen seltsamen Umstand kann ich Dir nicht verschweigen. Er betrifft die Magd des Herrn von Zodiacus, welche mir die Einladung zum dejeuner à la fourchette überbrachte. Eine solche Gestalt, wie diese Magd, hast Du nie gesehen, sie übertrifft an Fremdartigkeit und Rührendem der Erscheinung Alles, was nur eine wunderträumende Phantasie sich vorspiegeln mag. Denke Dir die schönsten, edelsten, ja vornehmsten Formen, in ein ärmliches, zerrissenes Magdgewand gekleidet, dessen Dürftigkeit für die Dienerin eines solchen Herrn nur zu sonderbar auffällig ist. Denke Dir einen feingebogenen Schwanenhals, der schwermüthig auf die Brust herübergeneigt ist, Unglück deutend; denke Dir ein schönes blasses Marmorgesicht, große herrliche Augen, die funkelnd zum Himmel aufklagen, lange schwarze Locken in wilder Unordnung zerrissen, denke Dir all das Wunderseltsame, das einer Königstochter im Magdkleide eigen sein muß, und Du hast ein Bild dieses Mädchens, vor dessen Anblick ich ordentlich in mir selbst zusammenschrak.

Scheu, doch einen durchdringenden schnellen Feuerblick mir zuschießend, war sie in die Thür getreten, und in derselben stehen geblieben, nachdem sie kurz und stammelnd, wie von Thränen erstickt, ihren Auftrag gesagt.

Ich fragte, wie sie hieße. Olympia! sagte sie, plötzlich ein wenig erröthend und mit niedergeschlagenen Augen. Wahrlich, wahrlich, ein zu prächtiger Name für ein bloßes Dienstmädchen!

Mich ergriff das innigste Mitleiden mit ihr. Ich trat ihr näher, faßte ihre feine weiße Hand, auch nicht die Hand einer Magd, und bat sie, mir zu vertrauen, warum sie so unglücklich sei.

Da ließ sie ihr dunkelbrennendes Auge lange und fest auf mir ruhen, und lächelte endlich mit einer überirdischen Wehmuth im Blicke, daß ich ihr schluchzend hätte zu Füßen sinken können. Nun erhob sie die Stimme, nun flüsterte sie sonderbar tönende Worte, wie ich sie nie gehört. Früher glänzte Leben, es glänzte, strahlte, es saß prächtig da unter dem goldenen Baldachin alter Herrlichkeit! so rauschte es klagend von ihren Lippen. Schöne Zeiten sind an mir verwittert. Leichenblaß bin ich geworden. Bin ich nicht eine Magd? Wenn Du Mitleiden mit mir hast, schenke mir ein hübsches seidenes Kleid. Dies ist zerrissen und schmutzig. Ich liebe noch immer hübsche Kleider. Nachts, wenn es mein Herr nicht sieht, will ich es tragen und im Mondschein damit spazieren gehn, und an schöne Zeiten dabei denken. Ach! ach! schöne Zeiten! Sie thun im Herzen weh, sie schlagen heraus in tausend Thränen! Alte Zeiten, neue Zeiten, Wahnsinn der Zeiten! Das ist's! O unseeliges Pelopidengeschlecht!

Hier seufzte sie, als wollte ihre Brust an einem Schrei des Schmerzes zerspringen, und indem das irre Bewegen der schönen Augen in plötzliche Wildheit überzuschlagen drohte, stürzte sie, noch einmal die Hand seltsam gegen mich ausstreckend, fort. Ich sah ihr lange sprachlos nach. –

Dahinter, bei meiner Seele! muß etwas stecken. Ich enthalte mich vorläufig aller Vermuthungen, obwohl meine Gedanken immer und immer wieder auf diesen Gegenstand zurückkommen. Ich bin fast krank vor Sehnsucht nach Aufklärung. Und wie bittend, rührend, unwiderstehlich sprach sie die Worte: schenke mir ein hübsches Kleid! Beim Himmel, und müßte ich das Geld dazu vor den Thüren betteln, ich könnte ihr ihren Wunsch nicht unerfüllt lassen! Aber da fällt mir ein, daß ich noch ein altes theueres Erbstück von meiner Mutter besitze, das mir heilige Kindesgefühle bisher selbst in der größten Noth zu veräußern verboten. Es ist ihr schwarzseidenes Brautkleid, in welchem die treffliche Frau Anno 1792, gerade zur Zeit der Französischen National-Convents, vor dem Altar gestanden. Meine Mutter hatte auch bei Hofe gelebt, und dies Kleid von der Hochseeligen Fürstin *r*, bei der sie Kammerjungfer gewesen, eigenhändig als Ausstattungsgeschenk empfangen. Es war damals keine glückliche Zeit für Hofleute. Man roch überall den National-Convent, und soviel man sich auch mit dem besten Königsraucherpulver beräuchern mochte, dieser Geruch ließ sich nicht vertreiben und brachte ein allgemeines trübseeliges Kopfhängen hervor. Jetzt käme es darauf an, ob sich aus diesem Hofkleide noch für die arme Olympia etwas machen ließe!

Lache mich nicht aus, Du Gute, Liebe! Du verstehst mich ja, und Du weißt, daß es mir mit Allem ein heiliger Ernst ist, wenn ich mich auch komisch und ungeschickt dabei benehme. Die meisten Leute und Dinge in der Welt sind mir gleichgültig, und das Wort erstirbt mir auf der Zunge, das ich zu ihnen sagen soll. Ich galt daher auch immer bei denen, die mich nicht kannten, für einen stillen, ruhigen und bescheidenen Menschen, weil ich es größtentheils zu langweilig fand, mit meinen unruhigen Meinungen, deren ich leider allezeit so viele habe, die Andern zu behelligen. Die innigste Freude ist mir, meinen unglücklichen Zeitgedanken in mir selbst nachzuhängen. Und dann: sie Dir mittheilen zu dürfen, Du denkende Freundin! Darum erzähle ich Dir gern und aufrichtig alle meine Thorheiten in diesen Briefen. Vor Dir möchte ich um Alles in der Welt nicht für einen ruhigen und musterhaften Menschen gelten! Du sollst mich allmählig von meiner ganzen unausstehlichen Seite kennen lernen. Es wäre mir ein Gräuel, von einem Menschen, den ich wahrhaft liebe und verehre, für etwas Besseres gehalten zu werden, als ich bin. Das andere gesellschaftliche Volk ist nicht zu gut dazu, mich blos als den stillen, ruhigen und bescheidenen Menschen zu kennen, während inwendig der Teufel der Zeit auf mir die Posaune bläst. Du aber, Du wärest zu gut dazu! Dir könnte ich selbst die häßlichsten Laster nicht verschweigen, denn wo ich liebe und Liebe bitte, will ich auch ganz und gar gekannt sein. Liebe muß das Häßliche wissen, das in einem Herzen möglich ist, um das Gute, das in ihm wirklich ist, erst recht lieben zu können. O ich liebe Dich, und darum sollst Du im Fortgang unserer Correspondenz auch noch recht viel Schlechtes von mir erfahren. Du bist zu gut dazu, daß Du für gut halten solltest Deinen in seinem Zeitwirrwarr

nie      
gut thuenden Seeliger.

P. S. Apropos! Von Kienast habe ich Nachricht. Zwar nicht durch ihn selbst, aber von einem dritten Freund. Er soll noch immer seinen ungeheuern Backenbart à la française tragen. An diesem Bart ist unsere Freundschaft eigentlich am meisten gescheitert. Wahrhaftig, ich liebe den Menschen noch, aber nur bis an seinen Backenbart, und nicht weiter. Wie kann ein Mann von Geist solchen Bart tragen? Könnte er sich entschließen, mir seinen Bart zu opfern und ihn im Tempel der Freundschaft aufzuhängen, so wollte ich wieder von ganzer Seele ihm angehören. Ich will ihm dies durch den Zebedäus schreiben lassen. Mein Gott! vor Freuden wollte ich dann gern seinen Backenbart, gleich dem Haar der Berenice, unter die Sterne versetzt sein lassen, meinetwegen! Auch würde ich mich anheischig machen, mir selbst einen kleinen stehen zu lassen, wenn er den seinigen nur zu mäßigen geneigt wäre. Mehr kann ich doch nicht thun! Aber ich fürchte, ich fürchte, er ist jetzt der Meinung, daß der Bart den Philosophen macht! Er soll viel Philosophie treiben. Nun, Gott bessere es! Auch Du, mein Sohn Kienast? –

S.


Weibliche
Ansichten der Zeit.

(Aus Esperancens Brief.)

– – Mir scheint es ein eigenthümlicher Grundzug der neueren Zeitbewegungen, daß Alles zum Kriege strebt, aber noch immer in demselben Moment wieder zum Frieden gezwungen wird. Ein gezwungenes Friedenslächeln steht über dem Horizont der Zeit. Es ist wie ein abgebrochener Strahl einer noch mit dem Aufgang ringenden Sonne. Wird es die Sonne des ewigen Friedens sein? Wird dieser ewige Friede, von dem die Weisen aller Völker geträumt haben, die stillstehende Sonne des Geschlechts sein, die, wie Josua's Sonne auf dem nächtlichen Schlachtfeld, nicht untergeht, bis der ganze Sieg unseres Daseins ausgefochten und wir in das neue Morgenroth jauchzend hinübergreifen? Oder werden wir je so thöricht und so glücklich zugleich wie Josua wünschen dürfen: Sonne, stehe still!

Wir trachten in unsern liebsten Gedanken nach dem ewigen Frieden, und siehe! die Zeit selbst will Muth in unsere ungewisse Hoffnung strömen. Selbst der Kampf der Prinzipien, der gewaltigste aller Kämpfe, der in uns heftiger als zu irgend einer früheren Geschichtsperiode aufgebraust ist, kann doch heut keinen allgemeinen Völkerkrieg mehr entzünden, während sonst das kleinste und unscheinbarste Factum – hier denke ich an Deinen armen Copisten Mundus – ganz Europa in Kriegsflammen auflodern machte. Ich weiß, daß viele Leute ihre einzige Hoffnung für die Zeit auf einen allgemeinen Krieg setzen, und auch diesen hat die Gegenwart ihre Erwartungen stets zu unterhalten und zu erregen gewußt, denn eine große Zeit ist immer so vieldeutig und vielgestaltig, daß sie die verschiedensten Meinungen über sich von selbst zu begünstigen scheint, weil sie liebt, über streitenden Gegensätzen zu thronen. Aber wenn sich auch überall kriegerische Richtungen trotzig herauszufordern scheinen, wenn schon die Waffen geschärft, Observationsheere an die Gränzen gesandt und die Kanonen gerichtet werden, es kann ungeachtet alles Ansetzens doch nie ein erheblicher Krieg mehr daraus hervorgehen. Davon bin ich so überzeugt, wie von meinem Leben. Auf die Gefahr wollte ich mich selbst in eine Kanone der Engländer oder Franzosen laden lassen, und ruhig drin warten, bis sie mich gegen Rußland oder eine andere der sogenannten drei nordischen Mächte abschießen würden. Ich glaube mich darauf verlassen zu können, daß mir durch die Prinzipien-Feindschaft dieser Völker auch noch nicht ein Haar versengte. Was meinst Du dazu?

Eine Revolution, die im Herzen von ganz Europa eine wurde, ist in drei Tagen ausgefochten worden. Alles überwindet sich in der Geschichte jetzt schneller, weil es sich immer geistiger überwindet. Der Geist ist der größte aller Talleyrand's, der mächtigste Friedensfürst. Er schließt überall die besten Völkerverträge, und geht herüber und hinüber zwischen den Nationen, um sie in der Idee alle auszugleichen. Für die Idee wurde das Pulver nicht erfunden. Die große Pulververschwendung vor Antwerpen war noch das letzte Feuerspeien des alten Kriegsgottes der Geschichte, der in diesem Bombardement seinen lieben Kindern der Opposition noch einmal ein illusorisches Theaterkunststück zur Beruhigung und Verlockung vormachte, um so mit einem tüchtigen Knalleffect vom Schauplatz zu scheiden. In der Eroberung von Antwerpen carikirte sich die Lust der Zeit am Kriege, und verschoß sich zugleich in dem Lütticher Riesenmörser, der endlich seine eigene Barbarei nicht länger ertragen konnte, und den Franzosen unter den Händen in tausend Stücke zerborst.

Der jetzt zur Herrschaft gekommene Gott der Geschichte führt seine Kriege nur im Geist und in der Wahrheit. Es ist ein Zeitalter der Reformen angebrochen.

Wir sind nach langen Kämpfen weise geworden, wir entwickeln uns von nun an in Reformen. Du wirst sagen: dies ist ein langweiliges Ausbesserungssystem! Aber nein, mein Freund, dies ist der Weg der Idee selbst. Revolutionen sind vulcanische Ausbrüche der Menschheit, die sich wohl dadurch gutmachen, daß nachher auf den lavagedüngten Stätten die Saatfelder um so schöner und fruchtbarer gedeihen, aber nur die Verzweiflung, die sich nicht mehr anders retten kann, düngt mit Lava, unter der immer jahrhundertalter Fleiß und Besitz der Städte und Menschen verschüttet liegen. Reformen sind sanfter geartete Halbschwestern der Revolutionen; an den Brüsten der Klugheit auferzogen und genährt, haben sie mit der Milch der Vernunft ihr Titanenblut gemildert. Reformen sind logische Revolutionen, auf eine fromme Glückseeligkeitstheorie gebaut. Es sind Gedankenkriege des Bewußtseins, die ihren Sieg schon gleich durch sich selbst errungen haben, nämlich durch Bewußtsein.

Die friedlichsten Revolutionnairs unserer Zeit sind daher die Repräsentativ-Verfassungen. Sie stürzen um durch Gedanke und Wort, und bauen auf durch Gedanke und Wort. Es ist das sehend gewordene Auge des Volksgeistes, der prüfend um sich blickt und sich selbst erkennt. –

Du wirst lächeln über die Staatsraisonnements eines Mädchens. Aber ich bin der Meinung, daß in einer wahren Verfassung auch die Frauen und deren Interessen repräsentirt werden müssen. Sollen wir nicht auch unsere Wahlrechte bekommen? So gut wie die Juden, müssen auch die Frauen emancipirt werden. Es geht uns gerade wie den Juden. Man klagt oft die Flachheit weiblicher Bildungen und ihre Interesselosigkeit für die öffentlichen Angelegenheiten an, und bedenkt nicht, daß wir ebendeshalb kein Interesse für das Staatsleben zeigen können, weil wir keine Rechte und keine Stelle darin haben. Kann ein Jude Vaterlandsliebe haben, wenn er kein Vaterland hat? Kann eine Frau Vaterlandsliebe haben, wenn sie nur an den engen Heerd eines beschränkten Familienlebens gewiesen wird, und auf das offene Meer der wahrhaft nationalen Bewegungen nie mit hinauskommt? In den Dresdener Stände-Versammlungen wurde den Frauen sogar ein Platz auf den Gallerien verweigert, und sie durften nicht zum Anhören der Verhandlungen zugelassen werden. Welche Schmach für das ganze Geschlecht! Soll eine gebildete Frau nicht mindestens ebenso viel Recht haben, als jeder ungebildete Ladendiener? Sprich doch einmal öffentlich darüber, werther Freund! In dieser Sache bedarf es des Wortes. Seeliger, ich zähle auf Dich! –

Nein, Freund, die Frauen sollen nicht König sein! Ich bitte Dich, sei nicht zu galant! Du weißt, ich kann keine Galanterieen leiden. Selbst in meiner Mädchenschule über die kleinen Ursulinerinnen herrsche ich nicht unumschränkt. Ich habe mir jetzt eine Mitregentin angenommen an einer ehemaligen Schülerin, welche die Rechte der Kleinen, in deren Reihen sie noch vor Kurzem gestanden, deshalb am besten vor mir zu repräsentiren weiß. So hilft sie mir unterrichten und ich berathe mit ihr Alles. Auf diese Weise, siehst Du, lasse ich auch in meinem Mädchenstaat allmählig schon eine Repräsentation angehen. Diese meine Mitregentin ist bereits meine theuerste Freundin geworden. Ich lese auch mit ihr Deine Briefe und Phantasieen, die Du schreibst. Ich wünschte, daß Du es mitanhören könntest, welche scharfe, treffende Bemerkungen sie über Dich und Deine Art macht.

Adjeu, mein Salzschreiber! – –

E.


An Esperance.

Kleinweltwinkel, 3. Juli.

Viel, viel habe ich Dir zu erzählen, theure Freundin! und Du wirst mein langes Stillschweigen entschuldigen. Ich wollte und mußte mir selbst erst klar werden über alles das, was seitdem so mächtig in mir vorgegangen und sich umgewälzt hat, eh' ich es wagen mochte, mein Bild wieder in den reinen Spiegel Deiner Betrachtung fallen zu lassen. Ja, höre, ich habe mir einen ganz neuen politischen Adam jetzt angezogen, der mir unaussprechlich glücklich sitzt, und ich schicke Dir hier in diesem Brief die ausführlichen Acten meiner neuesten Metamorphose, die ich Dir aus meinen Tagebüchern zusammengeschrieben. Ach, ewiger Gott, wie schön ist es doch, daß auch einem armen versalzenen Kleinweltwinkler Heil widerfährt!

Ich bin Dir noch das Frühstück beim Herrn von Zodiacus schuldig, von dem ich Dir zu erzählen versprochen. Du kannst Dir denken, daß ich mich in mein Sonntagskleid warf, als ich zu ihm ging, und Alles an meiner wunderlichen Figur aufbot, um ohne Anstand in einer solchen Gesellschaft erscheinen zu können. Ich traf den Räthselhaften in einem rothen Schlafrock sitzen, mit einer seltsamen Mütze auf dem Kopf, auf der ich anfangs, als ich in die Thür trat, zu meinem nicht geringen Schrecken eine Hahnenfeder zu erblicken glaubte. Näher kommend, überzeugte ich mich indeß von meinem Irrthum, aber sein Negligée hatte mich doch so außer Fassung gebracht, daß ich ihm nur stotternd und zitternd meine Ehrfurcht bezeugen konnte. Er sah heut etwas schwermüthig aus und becomplimentirte mich anfangs nur kalt. In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch gedeckt, von dem mir die herrlichsten Bratendüfte entgegenwehten.

Ich mußte mich neben ihm auf das Sopha setzen und zuerst eine Tasse Bouillon annehmen. Nun, mein lieber Seeliger, wie geht es Ihnen denn in Ihren dermaligen liberalen Wirren? fragte er mich dann, indem er mir mit ironischer Theilnahme den Puls befühlte.

Sehr schlecht, Ew. Excellenz! antwortete ich mit niedergeschlagenen Augen, und schlürfte zu meiner Stärkung die kräftige Bouillon.

Also spüren Sie keine guten Folgen von der Inoculation der Freiheit in Ihrem Deutschen Blut? fragte er weiter. Seine Stimme tönte wieder entsetzlich heiser, und schwirrte, wie Eulenfittige.

Ich zuckte die Achsel. Ew. Excellenz, sagte ich, wenn ich nicht gedächte, daß gerade Sie es waren, der mich von meinem ehemaligen Zeitpips durch den Liberalismus zu kuriren gedachte, so würde ich vielleicht jetzt in lauten himmelstürmenden Klagen ausbrechen. Aber ich bin ein stiller, ruhiger und bescheidener Mensch, wie alle Leute wissen. Ich will stumm mein Unglück tragen. Nur soviel sei mir zu bemerken vergönnt, daß in jener liberalen Zeitansicht, zu der mich damals Ew. Excellenz verehrliche Beredsamkeit bekehren wollte, ein antideutsches Element mitinliegt, das ich für höchst gefährlich und verderblich halte.

Ich hatte ja nur gespaßt! sagte er lakonisch, und fing an, ein Rebhuhn zu zerlegen.

Wie? rief ich im höchsten Erstaunen – es war nur Ew. Excellenz Spaß, Dero leicht zu bethörenden Knecht für die Sache der Bewegung, für den Fortschritt der Völker, für die bräutliche Hoffnung der Geschichte, für das Prinzip der Zukunft zu gewinnen?

Ich sehe, Sie sind ein ächter Deutscher, Sie nehmen Alles zu ernst! sagte er dann, leicht hinwerfend. Es war ja nur ein reiner Scherz von mir gewesen. Schon meine öffentliche Stellung zum Staate verbietet mir jede liberalistische Tendenz. Meine Ansichten sind vielmehr gerade die entgegengesetzten, und ich verschaffte mir besonders deshalb heut das Vergnügen, Sie zu mir einzuladen, um Ihnen mein völliges und wahres politisches Glaubensbekenntniß aufrichtig mitzutheilen. Vorerst aber, ich bitte, langen Sie zu!

Das Rebhuhn schmeckte vortrefflich. Ein selten schöner Burgunderwein, der wie die Begeisterung selbst schäumte, wurde dazu eingeschenkt. Ich mußte mir gestehen, ich hatte seit meinen liberalen Fasten, wo ich mir das Zeitungsgeld an meinem Leibe abgedarbt, nicht wieder so gut gelebt. Nach einer Pause aber begann ich wieder: Um Mißverständnissen zuvorzukommen, muß ich Ew. Excellenz jedoch bemerken, daß, so wenig ich auch mit dem Parteinamen eines Liberalen zu schaffen haben mag, eine vernünftige zeitgemäße Verfassung mir doch immer die höchste aller Forderungen bleibt!

Auch das haben Sie nicht nöthig, erwiederte er kalt, und langte nach einer andern Bratenschüssel. Sehen Sie, fuhr er fort, dies ist ein gebratener gallischer Hahn! Wie ich ihn hier vor Ihren Augen aufesse, so möchte ich auch alle französirenden Deutschen Constitutionen mit Haut und Haaren in einem Bissen verschlingen!

Ich fuhr entsetzt zusammen, denn eh' ich noch hingesehen, hatte er wirklich schon den ganzen Braten in einem Nu verschluckt, und zeigte mir, indem er jetzt zum ersten Mal wieder nach seiner Art lächelte, mit Triumph die leere Schüssel. Mir graute vor diesem übernatürlichen Appetit, der seine diabolische Gefräßigkeit hinter einem politischen Gleichniß zu verbergen gesucht hatte. Bald jedoch saß er mir wieder in seiner vollen imponirenden Würde gegenüber.

Verständigen wir uns nur, guter Salzschreiber! sagte er dann. Ist denn das eigentliche Element des Lebens, worauf wir fußen sollen, die Zukunft? Mit Nichten, mit Nichten, mein Freund! Es ist die Vergangenheit, auf der Alles ruht! Die große heilige Vergangenheit der Geschichte, ist sie nicht der feste mütterliche Boden des Geschlechts, auf dem es sein Dasein in den tiefsten Wurzeln gegründet, aus dem es die stärksten Lebenskeime seiner nationellen Fortdauer zieht? Sie sprechen, lieber Seeliger, von der bräutlichen Hoffnung der Geschichte! Ja freilich wollen die Liberalen die Braut erst erobern. Ihre Braut ist, wie ich Ihnen schon in unserer damaligen scherzhaften Unterhaltung angedeutet, die ungewisse neblichte Zukunft. Und ich zweifle auch noch, daß die Meisten unter ihnen die wahre Liebe je gehabt haben. Viele wollen sich erst verlieben, und werfen den Verlöbnißring ihrer Treue, wie der Doge von Venedig in das bräutliche adriatische Meer, so in ein nicht minder wildes und wüstes Meer ihrer gedankenlos geträumten Zukunft! Ich bitte Sie, Salzschreiber, was ist denn der Mensch, dieser Windhauch, der nicht weiß, von wannen er kommt und wohin er fährt, was ist der Mensch, daß er so kühn in die Zukunft zu greifen sich unterfange? Nein, da sind die Absoluten doch andere Leute! Sie wissen, was sie wollen, sie kennen ihre Geliebte, und ihre Liebe ist daher die tiefste und einzig wahre. Bei den Liberalen heißt es und wird es noch immer heißen: wer das Glück hat, führt die Braut heim! – und die Liberalen sind, das weiß die heilige Bundeslade, bisher nie die Glücklichsten gewesen. Aber die Absoluten, die Legitimen, ihre Braut ist das Bestehende, ihre Liebe ist der Besitz, ihr Fahnenbild, ihr Symbol ist die alte Treue! Sie haben einer großen, ruhmvollen Vergangenheit treu zu bleiben, und diese Idee der Treue stärkt und ermuthigt sie und gibt ihrer Partei ein hochherziges Prinzip des Kampfes. Darum schwärmen sie für ihre Geliebte, die alte Zeit, darum vertiefen sie sich sinnend in die Vergangenheit der Geschichte, um aus der Aufzeigung der Dinge, wie sie immer gewesen, die Gründe herbeizuholen, die den unerschütterlichen Besitz ihrer alten Liebe rechtfertigen sollen; darum sind sie begeistert und gedankenvoll in ihrem Schmerz, (denken Sie nur an Chateaubriand); darum sind sie scharfsinnig, wie die Liebe zu sein pflegt, wenn auch freilich wieder blind, wie diese! Werden Sie Absoluter, mein trefflicher Seeliger! Werden Sie Royalist, Legitimist, Absolutist! Sie werden sich wohl dabei befinden, dies ist eine Ihrer begabten Natur, Ihrem edeln Charakter ganz angemessene Richtung. Es ist zugleich eine ächt und ursprünglich Deutsche Richtung, in der Sie, wie der Fisch im Wasser, recht in unserer eigensten Nationalität herumplätschern können.

Ich war erstaunt, ihn so reden zu hören. Hatte ich nicht in der verwichenen Nacht fast dasselbe bei mir gedacht, und, obwohl mit innerem Widerstreben, dieser Gedankenrichtung nachgehangen, aus der es mir, wie wunderbarer Frieden einer hohen gothischen Kirche, entgegenwehte! Und manche seiner Bemerkungen, die mir noch nicht in solchem Lichte erschienen waren, regten jetzt bereits Etwas in mir auf!

Genießen Sie das Leben, Salzschreiberchen! fuhr er wieder fort. Was winden Sie sich in sehnsüchtigen Träumen für eine unbestimmte Ferne herum? Bauen Sie auf dem sichern Grund der Vergangenheit Ihr Leben fort, in Künsten und Wissenschaften, dem wahren Friedensport des Menschen, sich wieder heimisch ansiedelnd, und unter den alten ewigen Granitpfeilern der absoluten Monarchie, die doch immer noch in der Geschichte mit jenem Heiligenschein umflossen dasteht, gnadenbringend überschattet. Leben Sie dem Genuß! Nur in einer großen absoluten Monarchie ist höchster Genuß des Daseins, und schon die mannigfache Abstufung der Stände und Verhältnisse, die feierliche Ordnung eines großartig von oben her geleiteten Staatshaushaltes, der erhellende Schimmer, der von einem Thron ausstrahlt, geben dem Leben darin einen gewissen bunten Schein, einen farbigen Reichthum, der zum Genießen und Freuen, zu festlichem Prunk und Schmuck einladet. Das Leben in einer Constitution droht dagegen dem individuellen Dasein eine ganz andere Färbung zu geben, die ärmlich genug sich ausnimmt, und ein blos bürgerlich verständiges, jeder mannigfaltig bunten Abstufungen ermangelndes, in einer Gleichartigkeit aller Lebenstypen verknöcherndes Dasein scheint bereits durch dasselbe an die Tagesordnung gekommen zu sein. Diese Bürgerlichkeit des Lebens, der alle schöne Phantastik der Formen fehlt, kann weder der Entwickelung der Kunst noch der Innigkeit irgend eines Genusses günstig sein, und wie fängt nicht auch schon der Kunstsinn, der einen reichlicheren Boden zu seiner Pflanzstätte haben will, unter uns an zu schwinden! Es war antik, die Bildung blos in Bürgertugenden zu suchen. Möchte aber dann das moderne Zeitalter der Bürgertugenden-Cultur nur auch ebenso poetisch, reich und melodisch ausfallen, als bei den frischen Alten, denen Musik für die allgemeinste Bildungsdoctrin galt, welche allen übrigen Begränzung und Klang verlieh! Möchte nur nicht aus diesem modern bürgerlichen Leben sogar die Religion verdrängt zu werden Gefahr laufen! Das machte die antike Welt bei aller Starrheit doch wieder so innig, mild, und gemüthdurchzogen, daß die Religion die Hauptpulsader des öffentlichen Lebens war, in der alle andern Blutströme des Staatskörpers zusammenliefen. Nichts zeigt sich aber klarer und übereinstimmender an allen Orten in den schwankenden politischen Zuständen der Gegenwart, als die immer allgemeiner werdende Herausforderung des religiösen Elements in den Staaten und das Zurücktreten desselben als eines öffentlichen. Die Politik hat heutzutage eine traurige Vernunftepoche angetreten, indem sie nach einer rein und blos vernünftigen Begründung der menschlichen Zustände strebt, indem sie im Menschen den Bürger, aber nicht den Christen will. Es trägt sich unsere Zeit mit einem seltsamen Phantom, das sie die Aufhebung der Staatsreligionen nennt und mit einer ordentlichen Hochherzigkeit auf den Bannern des Liberalismus obenauf flattern läßt. Dies ist die vielbewegte Frage über die Emancipation der Juden, mit der sich alle Ständeversammlungen fast gleichmäßig zu beschäftigen angefangen, und in deren Behandlung ich am entschiedensten ein irrreligiöses Zeichen der Zeit zu erblicken glaube. Sehen wir aber auf die Künste, und deren Gedeihen in konstitutionellen Staaten, so müssen wir hier die ungünstigste Einwirkung der neueren Zeitbewegungen erfahren. Es liegt schon in der Natur der Sache, daß Ständeversammlungen nie etwas für die Künste bewilligen, weil diese dem materiellen Volkswohl entgegen zu stehn scheinen. So strichen die Kasselschen Stände aus dem Budget die 500 Thaler jährlicher Reiseunterstützungen für akademische Künstler, weil, wie Hr. Henkel äußerte, »kein Nutzen davon für den Staat vorhanden«; und nach dem neuen Klassensteuergesetz in Kurhessen, das von denselben Ständen votirt worden, sollen auch sogar die Schriftsteller nach ihrem Erwerb besteuert werden! Man denke sich, – eine Schriftsteller-Steuer! Was würde Kotzebue's armer Poet dazu sagen? Aber man sieht, wie feindlich dieser Zeitliberalismus eigentlich der Literatur ist. Und wovon soll ein Schriftsteller seine Steuern bezahlen? Von seinem Honorar? Das Honorar der Schriftsteller, mein lieber Seeliger, kann ja eigentlich nur als eine Ausfuhr- oder Steuer-Prämie dafür angesehen werden, daß sie zum allgemeinen Besten des Landes etwas von sich gegeben haben, und diese Steuer-Prämie sollen sie sich noch wieder besteuern lassen? Und zugleich wird dadurch die Ausübung des literarischen Berufs als etwas Zunft- und Handwerksmäßiges hingestellt, was, zum innern Vortheil der Literatur selbst, ihm nie angemuthet werden sollte. Endlich ist noch zu erwähnen, daß auch die Fürsten, die gebornen Beschützer der Künste, sich neuerdings hier und da genöthigt gesehen haben, sogar ihre Hoftheater eingehen zu lassen, weil sparsame Stände ihnen die Civilliste so gar ärgerlich knapp zugeschnitten hatten. So muß jetzt die Kunst, die bekanntlich nach Brot geht, sehen, daß in den Constitutionen kein Brot für sie gebacken wird. –

Ich mußte ihm hier sehr Recht geben. Was er sagte, gewann mich immer mehr für die Meinung, die sich mir selbst im Stillen längst aufgedrängt hatte. Nur einige Worte wagte ich ihm noch zum Besten der Repräsentativ-Verfassungen entgegenzuhalten, woran mir ihre große Zeitbedeutung immer am unwiderleglichsten dargethan geschienen. Ich erinnerte ihn, was die deutschen Kammern bereits mit so großer Anstrengung für die Abschaffung der Zehnten, für die Austilgung der noch auf den Völkern lastenden Feudal-Barbarei, in ihren verschiedenen Territorien zu wirken gesucht.

Auch dies, guter Salzschreiber, läßt sich in einem andern Lichte ansehen! entgegnete er mir. Die Ablösung der Zehnten hat Preußen, welches ein absoluter Staat ist, schon bei weitem früher, als jene kleinen Deutschen Repräsentativstaaten, durch seine väterlich weise Regierung in den meisten seiner Landestheile bewirkt. Man sieht, es kommt hierbei nicht auf Stände und Kammern, sondern auf die Regierungen und deren Einsichten an. Alles an den Rechten dieser Kammern ist ja auch bisher bei uns fast nur illusorisch gewesen. Stände sind eigentlich nur Bittschriften-Commissionen; sie haben das Recht, die Regierungen zu bitten, und die Regierungen haben das Recht, sich nicht erbitten zu lassen. Uebrigens, junger Freund, haben Sie Unrecht, über die unsern Staaten noch inwohnenden feudalistischen Elemente so schlechthin absprechend zu urtheilen. Diese haben vielmehr eine große historische Berechtigung für sich, und nichts ist gefährlicher, ja frevelhafter, als an ihnen unbesonnen niederzureißen. Das Feudalwesen war ein bedeutendes tragendes Element großer Staaten, auf dem das Zusammenhalten der wichtigsten öffentlichen Verhältnisse beruhte, und indem das Glanzgebäude der nationellen Aristokratie in ihm seine innerste Macht hatte, ist nichts schmerzlicher zu bedauern, als daß die neuerungssüchtige Zeit daran so gerüttelt hat. Denn was ist ein großer Staat, eine große Monarchie, ohne eine glänzende Aristokratie? Es wäre wie eine schöne Frau ohne Toiletten-Spiegel. Eine Monarchie muß sich auch in ihrer Schönheit spiegeln können, und sie spiegelt sich weitleuchtend in der Aristokratie wieder, die ihr gewissermaßen ihre absolutistische Toilette machen hilft. That is the matter, Sir!

Jetzt fing ich fast an zu glauben, daß er doch wohl Minister-Resident oder reisender Diplomat sein könne. Er schenkte mir mein geleertes Weinglas wieder voll, obwohl ich ihn bat, des Guten nicht zu viel zu thun, damit er mich nicht als einen Betrunkenen zu seiner Partei herüberziehe. Denn was kann ihm ein unfreiwilliger Absoluter helfen? Auch wirkte der Burgunder schon so stark auf mich, daß ich auf dem Punkt war, wo man Verse zu machen pflegt. Ich fing auch schon vor Seeligkeit an, mir ein Liedchen in den Bart zu trällern.

Der heisere Diplomat neben mir auf dem Sopha, der mir schon wie in Wolkendämpfe gehüllt vorkam, that aber, als merke er nichts davon, und fuhr zu sprechen fort: Wir erwähnten vorhin der Einflüsse der Zeit auf Religion und Kunst. Ich will jetzt noch Einiges in Betreff de Wissenschaft hinzufügen. Die Zeitstimmung, die sich seit der Juli-Revolution verbreitet, hat ohne Zweifel auch den wissenschaftlichen Geist in Deutschland gelähmt, der sonst unseres Volkes Stolz und Ehre, ja unsere eigentlichste Nationalblüthe gewesen. Welcher Gelehrte hat wohl Ruhe und Muth, auf dem heutigen unterhöhlten Boden der Gegenwart ein gründliches Werk der Forschung, an das ein ganzes Leben Arbeit gesetzt sein will, zu unternehmen, heut, wo sich Jeder nur für den Lag einrichtet, weil er nicht weiß, ob morgen noch gelten wird, was heut gegolten, und ob nicht in der öffentlichen Meinung das umgestoßen da steht, was Jahrhunderte eifrig begründet hatten? Die Juli-Revolution hat zunächst der Deutschen Philosophie einen entscheidenden Stoß beigebracht. Sogar den Berlinern ist es gleichgültig geworden, welches System in diesem Augenblick herrsche, und ob ein System herrsche. Ist das nicht unverantwortlich? Man kann jetzt ruhig in Berlin unter den Linden spazieren gehn, ohne von disputirenden Philosophen über das Ansichsein und Fürsichsein umgerannt zu werden, und der logische Begriff selbst kann es nicht begreifen, warum er auf Einmal so unbegreiflich verlassen dasteht. Eine andere Wissenschaft ist durch die Zeitbewegungen noch mehr und fast gänzlich zu Grunde gerichtet worden. Dies ist die Philologie, die, früher so herrschend, jetzt kaum noch im Zeitinteresse vorhanden zu nennen ist. Keiner will sich jetzt mehr um falsche Lesarten graues Haar wachsen lassen, der Leichtsinn wird so weit getrieben, daß selbst Professoren über ein unrichtiges Komma in einem großen Autor das Katheder nicht mehr entzweischlagen, und die studirende Jugend zeigt mehr krankhaftes Gelüst nach modernen Demagogen als nach den antiken Republikanern, und läßt sich beikommen, die alte klassische Welt zu schwänzen, auf der doch die ganze heutige Bildung ruht. So gehen wir meiner Ueberzeugung nach dem bestimmten Untergang entgegen, wenn wir nicht in der Aufrechthaltung der absoluten Monarchie auch jene drei Genien menschlichen Lebens und Strebens, Religion, Kunst und Wissenschaft an unser Panier zu fesseln vermögen. Die absolute Monarchie ist der wahre Gottestempel der Intelligenz, und in ihrem erhabenen sichern Frieden wandeln Künstler, Gelehrte, Weise und Fromme den schönsten Pfad. Sie ist das eigentliche Herrnhuth der Politik! Hier oder nirgends ist Herrnhuth! und hierher mögen gezogen kommen Alle, die des rechten Geistes Kinder sind. In den hohen Palmenschatten einer absoluten Monarchie, seht, wie die Gläubigen da seelig sitzen, wie die Dichter, gleich Vögeln in goldenen Käfigen, singen, wie die Denker unter officiellem Schutz denken, wie die Gelehrten aus Brillantdosen schnupfen, die der Herr der Herrschaaren auf dem Thron für große Werke der Unsterblichkeit verleiht! Sie, mein lieber Seeliger, Sie haben Gaben zu Wissenschaft und Kunst, Sie sind berufen, die Stütze einer großen absoluten Monarchie zu werden! Fassen Sie sich endlich in dem ächten Brennpunkt Ihres Wesens zusammen! Verzetteln Sie Ihre Kräfte und Individualität nicht länger im zweck- und ziellosen Herumtummeln! Der höchste Brennpunkt ist das Absolute! Es gibt keine höhere Staats- und Lebensform, denn der absolute Geist ist zugleich die absolute Form selbst! –

Er hielt hier inne und sah mich forschend an. Ich habe Dir schon vorhin gesagt, daß ich nahe daran war, Verse zu machen. Und jetzt regte dieser Mann noch meine alte Kunstliebe wieder in mir auf, die mich schon oft genug in meinem eigenen Innern, wie die Geistererscheinung einer verstorbenen Geliebten, mahnt und aufruft. Ach, da schoß in diesem Augenblick das ganze Paradies längst verklungener Pläne und Träume wie ein helles Blüthengewimmel in mir empor, und in jeder Blüthe saß eine junge Liebeshoffnung, und nickte mir aus verschämten Augen begehrlich zu, und auch Du, Esperance, tratest vor mich hin und schlugst die Hände über dem Kopf zusammen, und sagtest: Seeliger, wie ist es möglich, daß Du so lange nichts gedichtet hast? Ich erschrack ordentlich, als wäre ich der größte Faulpelz auf Gottes Erden, und versenkte mich dann wieder, in mich hineinlächelnd, in den lustigen Lerchenschwarm, der tief in mir zu singen und zu jubeln begonnen hatte. O Herr Gott, ist das nicht eine Lust, was Alles in eines Menschen Brust vorgehen und aufrauschen kann! Und was will mir der Heisere dort vom Absoluten ins Ohr raunen? Nun, er mag Recht haben, er mag ein großer Staatsmann, ein ausgezeichneter Diplomat sein! Ich will gern in einer absoluten Monarchie leben, wenn sie mir eine Pension bewilligen wollen, so daß ich ruhig alle Tage dichten und denken kann und darum nichts weniger zu essen brauche. Auch Burgunder muß ich trinken können, wie heut! Ja, ich will ein Absoluter sein! Larifari! Bisher, wo ich keinen Burgunder zu trinken gehabt, hatte ich mich immer damit getröstet, daß das Herzogthum Burgund ja eingegangen sei. Von jetzt an will ich mich aber durch keine Geschichtsreflexionen mehr trösten lassen! Ich will über allen Trost erhaben, ich will ein Absoluter sein! Alles dreht sich mir vor den Augen, es ist mir, als schnitte der Herr von Zodiacus – was der Mann doch für einen seltsamen Namen hat! – riesenlange und thurmhohe Gesichter! Nun, ich will mich um nichts bekümmern, ich will ihn Gesichter schneiden, ich will ihn reden lassen, ich bin auf meine eigene Hand selig! Heisa, es werden noch große Seiten geboren werden. –

So, Freundin, liefen und sprangen meine Gedanken in mir auf und nieder, und ich möchte fast wetten, daß mir es mein Sophanachbar an der Nase angesehn, was ich gedacht, denn er lachte übermäßig in sein großes Kelchglas hinein. Ich kann nicht leiden, wenn mich Einer auslacht. Und es verdroß mich so, daß ich, als er jetzt wieder zu reden anfing, beschloß, ihm aus Rache nicht mehr zuzuhören, sondern mich unterdeß in meine eigenen Betrachtungen einzuspinnen. Es entsteht daher hier eine Art von Censurlücke in meiner Conversation mit dem Herrn von Zodiacus, über die ich Dir nichts berichten kann, da ich, wie gesagt, nichts gehört habe, und es bleibt mir deshalb nichts Anderes übrig, als Dich, theuerste Freundin, um Entschuldigung wegen dieser meiner Rachlust zu bitten. – –

– – – – – – – – – – –

– – Endlich aber übermannte mich doch das Mitleid, da er gar zu viel sagte. Ich spitzte die Ohren, um seine Rede wieder willig über mein Trommelfell gleiten zu lassen, als ich eben die Worte hörte: Metternich ist ohne Zweifel ein großer Mann! Er ist ein politisches Heldengenie, ein diplomatischer Eroberer, der durch Frieden siegt! Er ist der eigentliche Kriegsgott der heutigen Reactions-Partei in Deutschland, aber ein Kabinets-Kriegsgott, dessen kühner Eroberungsgeist sich bereits der ganzen Deutschen Politik in diesem Augenblick bemächtigt hat, und selbst Preußen weiß fürerst nichts Besseres zu thun, als ihm jedesmal beizupflichten. Erst durch Metternich ist das Prinzip der Stabilität kriegführend geworden, und hat sich, ungeachtet seiner Leibesschwere, zur Bewegung erhoben, um sich siegreich durch die Zeit hinzutragen. Liebt das Prinzip der Stabilität auch nicht Pulver und Kanonen, so liebt es doch Verhandlungen, durch die es gar gewaltig zu streiten weiß. Metternich ist das wahre Ideal eines Legitimen, und als solches eine welthistorische Figur in der Deutschen Geschichte. Wenn man ihn mit Chateaubriand vergleicht, den die Franzosen als ihren ritterlichsten Legitimen feiern, so stellt Metternich gegen diesen den Absolutismus bei weiten reiner und entschiedener dar. Chateaubriand ist auch in der Politik, wie in der Religion, zu romantisch, um etwas ganz Bestimmtes sein zu können. Zudem hat er sich nicht zu enthalten vermocht, auf den verschiedenen Stufen seiner politischen Laufbahn immer auch von den auftauchenden Zeitideen etwas in sich aufzunehmen und seine legitimen Ansichten damit zu vermischen. Chateaubriand ist der schwankendste und schillerndste Legitimist, den es nur geben kann, und nur ein großartiger Eigensinn hat ihn in der letzten Zeit auf einen einzelnen Punkt festgeheftet. Hatte er nicht in dem Kampf gegen das Villèle'sche Ministerium sogar constitutionelle Ideen aus seinem heißen Geist hervorblitzen lassen? Seine ungeheure Phantasie ist eine solche Zauberfackel, daß sie ihm in jedes Gebiet der Ansicht schmückende Lichter zu werfen weiß, die es seinem immer schwärmenden Gemüth für einen Augenblick wohnlich und reizend erscheinen lassen. Jetzt sind es die Worte: » Madame, Ihr Sohn ist mein König!« in denen er sich ganz und gar eingeharnischt hat, die er wie ein Träumender sich unaufhörlich vorsagt, und aus welchen er wohl, zum großen Schaden seiner Partei, der er durch öffentliche Thatkraft nützen könnte, nie wieder herauskommen wird. Zugleich bin ich überzeugt, daß seine Begeisterung für das verbannte Königskind, wie hochherzig sie auch jeden Legitimen erregen muß, doch mit einer schwärmerisch-religiösen Eitelkeit im Hintergrunde sich mengt. Das Königskind und das Christuskind vermischen sich ohne Zweifel in dieser Beziehung in Chateaubriand's Einbildungskraft, und es ist ihm ein süßer romantisch-ritterlich-christlicher Gedanke, für ein Kind zu streiten, sich aufzuopfern, ein Märtyrer zu werden! Er dünkt sich der vierte König aus dem Morgenlande, gekommen und berufen, das Kind anzubeten und dessen Ruhm in der Welt zu verherrlichen. Und dennoch kann man versichert sein, daß Chateaubriand, der gewissermaßen ein legitimer Rousseau genannt werden könnte, dem Prinzip der Volkssouverainetät in seinem Innern durchaus nicht abhold ist; ja er würde, wie er selbst einmal angedeutet, der gegenwärtigen Dynastie Louis Philipp's schwören, wenn dieselbe durch einen zusammenberufenen National-Convent, in dem das Volk öffentlich und rechtskräftig seine Meinung ausgesprochen hätte, eingesetzt worden wäre. So wunderlich und chamäleonartig schimmern in ihm seine Ansichten. Seiner eigenen Partei steht er indeß wie ein abgesetzter Prophet des Legitimismus gegenüber, die Hände in den Schooß legend, auf das Wort, das helfen kann, verzichtend. Die übrigen Häupter der Legitimen in Frankreich haben ebenfalls zu schwanken und zu schillern angefangen. Manche fallen aus Verzweiflung an ihrer Sache in das Extrem, und neigen sich der Republik zu, mit deren Parteigängern sie schon in dem Juni-Aufstand von 1832 gemeinsame Hand sich geboten. Ich komme daher darauf zurück, daß der Legitimismus gegenwärtig in Deutschland noch am reinsten, gediegensten und unverfälschtesten angetroffen wird, und daß sein idealer Urtypus uns in Oesterreich strahlt, uns in Metternich persönlich geworden ist. Sind Sie damit einverstanden? Hören Sie mir auch ganz theilnehmend zu, geliebter Seeliger?

Ich nickte blos, wie in der Kirche, wenn man den Klingelbeutel an sich vorübergehen läßt. Und er fuhr fort:

In Metternich's Staatskanzlei in Wien arbeitet der weiland Berliner Professor Jarcke, ein ausgezeichneter Criminalist. Das sind Männer, die wissen, was sie wollen, die ein bestimmtes Ziel der Politik klug und scharf ins Auge gefaßt haben. Und das Merkwürdigste ist, daß Jarcke in seiner Jugend, wie so mancher gute Kopf, ein eifriger Demagoge gewesen, bis er endlich, da sich Extreme immer nahe liegen, katholisch und zugleich legitim geworden. So können auch Sie jetzt, mein lieber Seeliger, an Jarcke's Beispiel sich erkräftigen, indem Sie ebenfalls nun vom früheren Liberalismus die Metamorphose in den dauerhafteren Absolutismus hinein zu erleben im Begriff stehn, indem Sie sich aus einem Saulus zum Paulus bekehren lassen wollen. Ob nicht durch Ihre legitimen Ansichten auch die religiösen bei Ihnen jetzt einen nothwendigen Umschwung erleiden müssen, will ich in diesem Augenblick dahingestellt sein lassen, um Sie nicht auf einmal zu sehr zu bestürmen.

Bitte gehorsamst! sagte ich, und machte ihm einen Diener. Mein Rausch war von mir gewichen, ich sah wieder nichts als den geistreich thuenden Geist des Versuchers in ihm.

Geht es nicht den ausgezeichnetsten Köpfen der Zeit gerade so wie Ihnen, Salzschreiberchen? fuhr er mit erneuter Redekraft fort. Ich will Ihnen nur den genialen Historiker Heinrich Leo nennen, der als Jenaer Student der löblichen Turnkunst eifrig obgelegen hatte, dann allmählig zu absolutistischen Ideen sich ausbildete, eine geistvoll legitime Geschichte des Mittelalters herausgab. Mit Leopold Ranke in Berlin sieht es etwas zweideutiger aus. Ich will ihm zwar gern aufs Wort glauben, daß er ein redlicher Absoluter ist, aber er läßt die rechte Hand nicht sehn, was die linke thut, und so sitzt er am Ende, eh' es sich die rechte Seite versieht, wieder einmal als ein Mann der Linken auf der andern Seite. Er hat eine freisinnige Darstellung der Serbischen Revolution geliefert, und schreibt doch zu gleicher Zeit seine historisch-politische Zeitschrift, was kein Mensch sich zusammenreimen kann. Nun, Friede sei mit Ranke, denn daß ihm der Absolutismus nicht blos und nur äußerlich sitzt, läßt sich wohl im Allgemeinen aus seiner ganzen, im Mittelalter wurzelnden Geschichtsrichtung ziemlich darthun. Ich habe einmal viel von Ranke gehofft für die Geschichtschreibung. Mit welcher Feinheit zeichnet er nicht in seinen »Fürsten und Völkern« lebende Bilder großer Herrn und Könige, aber indem er hier diese royalistischen Portraits mit einer solchen ungemeinen Schärfe der Zergliederungskunst auseinanderlegt, daß sich sogar hie und dort Ranke's schalkhaftes Lächeln hineinmischt, beweist er doch auch wieder, daß er immer noch zu wenig ein entschieden eingesponnener Absolutist ist, denn ein wahrer Absoluter darf die heiligen Personen der Könige nicht zergliedern, und eine gewisse ignorirende Anbetung muß bei diesen gesalbten Häuptern die Stelle aller Charakterauffassung vertreten. Doch, guter Seeliger, lassen Sie uns auf die baldige erfreuliche Fortsetzung von Ranke's Fürsten und Völkern trinken! Es sind die Päpste!

So nöthigte er mir wieder ein Glas auf, und ich stieß mit ihm an, daß es laut klang. Es klang deshalb so laut, weil ich eigentlich im Herzen Deine Gesundheit trank, liebes Mädchen! – denn was gehn mich die Päpste an! –

Herr von Zodiacus nahm wieder das Wort. Da wir einmal hier so traulich beisammen sitzen, an harmlosen Gesprächen uns ergötzend, muß ich Ihnen doch von meinen mancherlei Reisebekanntschaften, die ich auf meinen vielen Ausflügen zu machen Gelegenheit gehabt, noch Einiges mittheilen. In Berlin lernte ich auch den begeisterten Steffens kennen, und hatte die Ehre, von ihm zum Thee eingeladen zu werden, obwohl ich in meinen damaligen Verhältnissen nicht gerade für hoffähig gelten konnte. Diesen Mann habe ich längst bewundert, und dennoch ist er vielleicht die vieldeutig schillerndste Persönlichkeit unserer Zeit. In seinem Geist ist Alles vorhanden, und es läßt sich deshalb kaum eine Richtung an ihm auffinden, an der man ihn bestimmt angreifen könnte, da er, in dieser Vielbeweglichkeit seines Innern, die sich ihm bis in das späte Greisenalter hinein jugendlich sprudelnd erhält, sogleich eine geistreiche Schattirung nach einer andern Seite hinüber anzunehmen weiß. Er hat hierin eine ungemeine Aehnlichkeit mit Chateaubriand. Jetzt aber ist er bei Hofe gern gesehn. Dem philosophischen und religiösen Absolutismus aus Uebersättigung sich abwendend, hat er sich ganz in einen an den schönsten Gefühlen reichen Pietismus versenkt, und scheint doch nicht zu merken, daß er im Umsehen wieder auf einer andern Seite der Mann des Absolutismus geworden ist, und zwar des politischen. Wir müssen uns freilich Glück wünschen, daß die Reactions-Partei an einem solchen Geist eine Eroberung gemacht hat. Schon in dem Ausdruck seiner Frömmigkeit verräth Steffens etwas Aristokratisches, und in seine begeisterungsvollsten Gebete zu Gott weiß er die Haltung eines sehr vornehmen Mannes zu legen. Dies ist originell genug. Er gehört als Oberhaupt jener Aristokratie der Geistreichen an, die er selbst einmal so treffend bezeichnet hat. Seinen Gegnern könnte man es zwar nicht verdenken, wenn sie behaupten möchten, daß nicht sein Pietismus, nicht seine widerspruchsvolle Theologie die wahre Verirrung an ihm sei, sondern nur sein jetziges Verhältniß. Ich, was mich betrifft, sehe die Sache nun blos vom Standpunkt der absolutistischen Interessen an. Ich liebe Steffens. Und da finde ich, daß gar nicht zu berechnen ist, was ein Mann, wie er, der auch gegen die constitutionellen Richtungen der Zeit steht, in seinem Umgange mit Prinzen und einflußreichen Personen am Hofe wirkt, die er, in dem Trachten, sich geltend und beliebt zu machen, durch die Autorität seines Geistes und glücklichen persönlichen Witz gegen die Zeit einzunehmen oder doch zu bestärken weiß. Es ist bedeutend, bei Hofe zu leben! –

Ich gestehe Dir, Esperance! es schmerzte mich, daß er so von Steffens sprach, und ich wagte jetzt auch einige Einwände, sollte es auch blos um des Widerspruches willen sein. Du weißt es, wie ich an diesem Steffens gehangen! Ist Ihnen nicht bekannt – fragte ich – was ein gewisser Theodor Ost einmal über Steffens geschrieben? Dieser hat wenigstens die Einheit und Reinheit des Steffens'schen Charakters aus allen Wiedersprüchen heraus, die sich darin krystallisiren mögen, doch zu retten und mit Liebe zu rechtfertigen gesucht.

Es war eine Narrheit von diesem Ost! erwiederte Herr von Zodiacus lachend. Ich kenne diesen Menschen; er strebte, damals wenigstens, nach der lächerlichen Vielseitigkeit, Alles gelten und vertheidigt sein lassen zu wollen. Eine gewisse Einseitigkeit ist in der Kritik viel werth, und diese Einseitigkeit, welche viel werth ist, fehlt gerade dem Ost. Ein Mann, wie Steffens, bedarf gar der Rettung und Rechtfertigung nicht, und es muß ihn beleidigen, wenn man ihn, der über allen Anfechtungen erhaben bei Hofe lebt, noch erst zu vertheidigen unternimmt. So hörte ich auch von ihm selbst, wie sehr ungehalten er über jenen Theodor und seinen Aufsatz war, weil derselbe den großen Steffens besser hatte verstehen wollen, als der große Steffens sich selber verstanden hat. Trauen dürfen Sie übrigens diesem Theodor Ost nicht. War denn nicht auch sein anscheinend freundlich gemeinter Aufsatz über Steffens, von dem Sie sprachen, dennoch eigentlich eine zerstörende Invective gegen denselben, da er zuletzt durch die entschiedenste Festhaltung der Union Alles, was Steffens mit seinem neuen Lutherthum will, siegesübermüthig über den Haufen warf? Glauben Sie mir, Salzschreiberchen, an diesem Ost ist kein gutes Haar! Vielleicht wird er einmal für die entfernte Nachwelt brauchbar. –

Esperance! Esperance! hier möchte ich Dein Gesicht sehen! Ich möchte um Alles in der Welt wissen, was Du in diesem Augenblick denkst. Esperance! Esperance! – –

Wir sprachen vorhin von der Aristokratie der Geistreichen! fuhr Zodiacus fort. Und hier fällt mir eine schlagende Gestalt ein, die ich ebenfalls persönlich kennen zu lernen die Ehre gehabt. Dies ist der als Schriftsteller rühmlich bekannte Freiherr von R..... In Leipzig, wo er durchreisend sich einige Tage aufhielt, wurde ich ihm bei einem großen Diner zuerst vorgestellt. Bei einem Diner muß man auch R.....s Bekanntschaft machen, da er hier gleich alle seine Eigenthümlichkeiten glänzend herauskehrt. Er zeigt sich, wie in seinen Schriften, so im Leben, als ein durchaus vornehmer Mann, und eine ziemliche Corpulenz seines Aeußern, die jedoch nie ungraziös wird, dient nur dazu, das Bild eines geistreich beschaulichen Egoismus in ihm zu vollenden. Kurz vor dem Mahl, ehe sich Alle versammelt haben, ist er einsylbiger, fast etwas mürrisch, sogar schwerfällig, und man gewinnt ihm nicht viel ab. Die Wirthin geht im Hintergrunde des Saales bleich und ängstlich auf und nieder, sie hat den ganzen Vormittag über empfunden, wie schwer es sei, dem »Geist der Kochkunst« zu genügen. Endlich führt Herr von R..... die zitternde Wirthin zu Tische. Die andern Herrn und Damen folgen seinem Beispiel. Während und nach der Suppe, noch immer verdrießlich aussehend, hat er anfangs einiges Kopfweh, und läßt fallen, daß er eigentlich vor derselben ein Glas Malaga hätte trinken sollen. Bald aber geht es vorüber; mit jeder Schüssel, die aufgetragen wird, erheitert er sich zusehends, bei jedem Gericht, jedem Braten ätherisirt sich sein ganzes Wesen immer mehr, der zu seinem Recht gekommene Geist der Kochkunst glänzt in Verklärung auf allen seinen Zügen, und nun erst hat auch seine Unterhaltung, sein Gespräch ein beseelteres Element gewonnen. Er ist der liebenswürdigste Seigneur von der Welt, und will genießend auch die Andern recht genießen sehn, denn er muß um sich her wahrnehmen, wie wenig doch eigentlich die meisten Menschen mit ächter Kunst zu essen verstehn. Feine geistreiche Bemerkungen weiß er darüber mitzutheilen, daß der Braten ohne Brühe gegessen werden müsse, um ihn in der höchsten Potenz seines Wohlgeschmacks zu empfinden, und mit manchen andern Geheimnissen aus der Aesthetik des Essens sieht man sich durch ihn bereichert. Er ist ein Mann, der Leben und Kunst am innigsten mit einander zu vermählen verstanden, denn sein tiefer contemplativer Künstlerblick verräth sich, wenn er einen gebratenen Hechtskopf anschaut, eben so sinnnig, als wenn er sich in die Betrachtung eines Kopfes von Rafael verliert. Dabei sieht man zugleich stets, wie er über Allem, was er behandelt, mit wahrhaft vornehmer Sicherheit drüber steht, und den Gegenständen, von denen er spricht, gewissermaßen nur herablassende Anstandsvisiten abstattet. Dies ist auch für einen in den Gränzen des Nobeln sich haltenden Schriftsteller-Baron einzig angemessen. Sie hätten aber sehen sollen, wie völlig idealisirt der ganze Mann war, als wir endlich nach einem vielstündigen Diner von der Tafel aufstanden, wie das genossene Mahl die Masse seines Körpers ordentlich durchgeistet und durchleuchtet hatte, und wie er, gleichsam beflügelt, der schönen Wirthin die Hand reichte, und in graziöser Extase einige Pas machte. So, man muß es gestehen, kann nicht Jeder essen, so seelenvoll wirkt nicht das Essen auf Jeden. Es gehört zu Allem Genie. Ich hatte nach der Tafel das Vergnügen, mich längere Zeit mit Herrn von R..... zu unterhalten. Er war hingebend, wie ein weicher Jüngling. Als er gehört, daß ich von Berlin kam, wo er ebenfalls kurz zuvor eine Sejour gemacht hatte, sagte er: Es würde mir sehr angenehm gewesen sein, wenn Sie mich schon in Berlin besucht. Sie würden jedenfalls herzliche Aufnahme, und, hätten Sie Glück gehabt, sogar ein gutes Diner bei mir gefunden haben. Mein Koch, der immer mit mir reist, hat schon einmal, als mich ein Franzose um zwölf Uhr besuchte, noch bis Zwei das vollendetste Diner fertig gemacht. Dieser Koch, ein merkwürdiger Mensch, ist eigentlich der Verfasser meines Geistes der Kochkunst. Ich habe nur die prinzipienmäßige Gestaltung des Systems hinzugethan. – Außerdem sprach Herr von R..... noch über Manches höchst vortrefflich und geistreich. Er ist der wahre Edelmann der heutigen Literatur. –

Er schwieg, und schien jetzt unsere Unterhaltung abbrechen zu wollen. Er blickte mehrmals etwas unruhig nach der Thür des Nebenzimmers, in welchem ich einiges Geräusch vernommen zu haben glaubte. Ich hatte jedoch noch eine Frage auf dem Herzen, die sich mir im Verlauf des Gespräches aufgedrängt. Ich wollte gern wissen, was er von Tieck hielte, und in welchem Verhältnis zur Zeit er wohl diesen Dichter, den ich an künstlerischer Darstellung und Gedankentiefe immer selbst Goethen bei weitem vorgezogen, auffaßte. Danach fragte ich ihn.

Allerdings, guter Salzschreiber, antwortete mir, indem er aufstand und eilig that – allerdings wäre es, wenn von den jetzigen großen Geistern und ihrem Verhältniß zur Zeit die Rede ist, höchlich interessant,zu erörtern, welcher politischen Farbe sich wohl Ludwig Tieck, der sich nie selbst unmittelbar darüber ausgesprochen, zuneigen möchte. Auch lassen manche in seinen neuesten Dichtungen unwillkürlich niedergelegte Ansichten hinlängliche Schlüsse ziehn. Daß er sich nicht dagegen gesperrt, Hofrath zu werden, darauf will ich nicht einmal ein Gewicht legen, obwohl Einige seinen Absolutismus daraus beweisen wollen. Dennoch aber behaupte ich, daß Tieck durchaus royalistisch gesinnt, in seinem politischen Glaubensbekenntniß, wenn er einmal ein solches ablegen sollte, unumwunden für die absolute Monarchie sich erklären würde. In Tieck war nie auch eine Spur von demokratischer Bürgergesinnung, und seine Künstlerironie, mit der er das Leben sich gruppirt und beleuchtet, setzt ihn immer auf einem vornehm gesonderten Höhepunkt des Betrachtens voraus. Er ist ein Dichter des Volkes, er ist ein Dichter der Gebildeten, der Auserwählten in der Nation. Ein bereits gereifter Kunstverstand, eine vielfältig gewiegte Bildung, ja selbst eine gewisse höhere Lebenserfahrung gehören dazu, um ihn, vornehmlich in seinen herrlichen Novellen, wahrhaft genießen zu können. Deshalb sind die bewundernswürdigsten Schöpfungen seines Genius so wenig ins Volk übergegangen, so wenig allgemein verstanden worden. Sie gehören der Aristokratie der Geistreichen an. Aber sie werden, in ihrer tiefen Erfindung, in ihrem unnachahmlichen Humor, in ihrer feinsinnigen Ausspinnung und Contrastirung, in ihrer volltönenden Herzensberedsamkeit, in ihrem weisen Denken und Träumen über hieroglyphischen Lebenswundern, sie werden ewig dauern, so lange von einer Deutschen Literatur die Rede sein wird. Auch mir ist Ludwig Tieck einer der größten deutschen Dichter. Er ist Royalist, er ist Absolutist! Tieck kann sich überhaupt keinen bedeutenden Dichter anders denn als Royalist denken. An Shakspeare, an Camoens, wie er sie in Novellen dargestellt, hat er vor Allem diese Seite mit Vorliebe und Begeisterung herausgehoben. Es gehört ihm mit zur Romantik des Poetenlebens, einen verherrlichten Königsthron, in dem sich die Nationalliebe concentrirt, im Hintergrunde des Dichtens zu haben. –

Jetzt wollte ich mich empfehlen, und machte dem Herrn von Zodiacus einen Kratzfuß, ihm für sein mannigfach belehrendes Dejeuner dankend. Es schien ihm aber noch etwas eingefallen zu sein.

Zum Schluß unserer heutigen Unterhaltung muß ich Ihnen noch einen Titanen des Absolutismus nennen! sagte er. Dies ist der erhabene, imposante Görres. Wie ein Engel des Zornes mit flammendem Schwert steht er über über der Zeit, und bewacht die legitime Gesinnung. Sein Geist athmet Blutrache gegen das Prinzip der Bewegung, es donnert und blitzt in ihm ein riesengewaltiger Dämon der Geschichte, wie eine Windsbraut, und doch wieder von wunderbaren Blüthenduften durchflogen, schnaubt sein Wort, wenn es als Anwalt des Bestehenden und Sanctionirten auftritt. Kühnere, majestätischere Redekraft ward keinem Sterblichen verliehen. Wie ein rückwärts prophezeiender Seher, hat er deutend die Hand hinausgereckt in das Mittelalter, in die geweihte Vergangenheit. Er ist der Vergangenheit begeistertster Priester. Die ganze heutige Zeit sieht er nur für einen Sündenabfall von der Vergangenheit an, und dünkt sich stark, ja gottgewaltig genug, sie wieder zurücklenken zu können in das, was sie einst gewesen. In fern verflossener Nacht der Zeiten betet er die Morgenröthe seiner Hoffnungen an, und verweist trunken das Geschlecht auf deren Aufgang, als einziges Rettungsziel. Dieser Mann trägt sich mit dem staunenswürdigen Gedanken einer Theokratie. Nur darin erblickt er das Heil und das Paradies der Geschichte. Er will eine Einheit von Staat und Kirche gründen, er will in der Religion jede andere Richtung des Lebens fesseln, er will in Gott alles menschliche Thun und Streben zuspitzen. Das Verhältniß zu Gott soll das höchste Gesetz des Staates sein, und Gott ist im Staat in der sichtbaren Kirche, welche die katholische ist, unmittelbar vorhanden. So kehrt die Geschichte zu Gott zurück, und das Zeitalter des Friedens nimmt seinen Anfang. Dies ist der höchste Gipfel des Absolutismus, zu dem sich derselbe nur immer verallgemeinern kann. Auf diesem Gipfel, mit dem tiefsinnenden Haupt in die Himmelswolken hineinragend, steht Görres als Bild einer bis auf das Aeußerste hinaufgetriebenen Konsequenz merkwürdig da. Sie sehen, Salzschreiber, unsere Zeit weist alle Typen auf, und zeigt von jeder ihrer Richtungen, in denen sie sich gehen läßt, zugleich auch die Extreme daneben, dem Klugen zur Warnung und Wahl, dem Thoren zur Verlockung. Und nun lassen Sie uns noch einmal anstoßen: Es lebe die absolute Monarchie!!

Da ich mein Glas nicht unausgetrunken stehen lassen durfte, that ich ihm Bescheid, und rief ebenfalls: es lebe die absolute Monarchie! Da hustete es in diesem Augenblick im Nebengemach mit einem so schauerlich dumpfen Ton, daß ich unwillkürlich zusammenschrack, und plötzlich wie gelähmt, mit meiner erstarrten Hand nicht anzustoßen vermochte.

Er setzte sein Glas ebenfalls wieder nieder, und entschuldigte sich damit, daß er forteilen müsse, um nach seiner im Nebenzimmer sehr krank liegenden Großmama zu sehn. Er sagte mir kaum Adieu, und war alsbald durch die andere Thür verschwunden. Mit Staunen blickte ich ihm nach. Also die alte Sphinx war es gewesen, die drinnen gehustet hatte? Litt sie so schrecklich am Husten?

Ich griff nach meinem Hut, um endlich dies Revier zu fliehen und das Freie zu suchen. Als ich noch die Thürklinke in der Hand hatte, war es mir, als hörte ich aus dem Nebengemach deutlich hinter mir drein lachen. Mir standen die Haare zu Berge, und ich eilte, was ich konnte, die Treppe hinab. –

Voll von Gedanken war ich den ganzen Tag. Ich vermochte kein Mittagbrot zu essen. –

Bis spät am Abend saß ich in meiner kleinen Giebelstube eingeschlossen, und duckte mich zusammen, wie ein Vogel, der mausert. War denn nicht auch mein ganzer Adam schon wieder in einer politischen Mauserung begriffen? Ich fühlte zwar, wie an der Stelle der abgefallenen neue Federn in meinen Flügeln wuchsen, aber ich hätte darüber Ach und Weh schreien mögen. Da fiel mir erst ein, daß draußen unter den ewigen Himmelssäulen die schönste Sommermondnacht unterdeß angebrochen war. Ich öffnete mein Fenster, und setzte mich auf das Fensterbrett. Es war Alles still und mild und lau, der sanft gehende Athem der Nacht hatte sich mit den Wohlgerüchen der umliegenden Gärten gewürzt, der Mond warf herrliche Silberflocken in den wallenden Dämmerungsflor hinein, und sah aus, wie eine Vestalin, in deren Augen ein keusches Feuer brennt. Die ganze Natur schien es darauf angelegt zu haben, einem armen Salzschreiber Frieden zuzufächeln.

Ich kroch zum Fenster hinaus, und setzte mich in den Apfelbaum, der dicht darunter stand, und mir so oft schon mit seinen schwebenden Zweigen zum Balcon gedient hatte. Umweht von der frischen Apfelblüthe, die sich zärtlich in die Nacht ausduftete, und hineinblickend in das große Weltall, das feierlich über mir ruhte, über mir, dem einsamen Tintenklecks in der Kreisperipherie des Universums, ließ ich mich endlich folgendermaßen in meinen Betrachtungen los:

Hier sitzt er wieder in seinen hängenden Gärten der Semiramis. Dies ist ein hübscher Baum. Wäre es doch der Baum der Erkenntniß! Ach, und diesmal hat er Dir, lieber Apfelbaum, absolute Gedanken zu vertrauen. Ja, absolute! Schrick nur nicht so zusammen mit Deinen Aesten, damit er nicht herunterpurzelt, denn er hält sich nur so mit genauer Noth. Gleicht diese erhabene Nacht, die in sterngestickten Schleiern majestätisch über der Schöpfung thront, nicht dem Bilde eines großen absoluten Staats? Heilige Ruhe, großartige Würde, gebietender Ernst und Feierlichkeit sind in beiden die waltenden Elemente. Auf uraltem Firmament webt die Nacht, ist die absolute Monarchie gebaut. Der Mond ist das Licht der Gnade, das die Throne mildglänzend umschwebt. Die Steine und die Lämmerchen in der Milchstraße sind die vielen Orden, mit denen ein absoluter Herrscher die Beamten seines Willens schmückt. Und dort, die säuselnden Nachtgespenster, die durch die Schatten streichen, sind kleine despotische Ableger, die an der übrigen Blüthenherrlichkeit der ganzen Fruchtkrone in frommer Scheu ignorirt werden.

Aber nein, im Ernst, das Absolute allein ist die Wahrheit! Es ist der in seiner höchsten Spitze gefaßte Begriff der Sache selbst, und so ist der zu seinem wirklichen Recht gekommene Begriff des Staates nur der absolute, indem er sich, wie jeder ächte Lebensorganismus, in sein leitendes Agens, das Oberhaupt, und in die geleiteten Bestandtheile, die Unterthanen, zerlegt, welche sich dann wieder in dem Oberhaupt, als in ihrer Einheit, zusammengefaßt und aufgehoben empfinden. Diese absolute Staatseinheit ist die sicherste Freiheit. Ich behaupte nicht, daß das Absolute die Freiheit an sich sei. Frei sind die Dinge, wo sie sich noch in ihrer Unmittelbarkeit, und ohne von dem Begriff zusammengefaßt zu sein, herumtummeln und gewissermaßen nomadisiren. Indem aber ihr Begriff, also ihre Absolutheit, gefunden wird, sind sie zugleich in sich gebunden, und an ihr eignes Wesen gefesselt, denn der Begriff hat alle kurz zuvor noch so munter umherschwärmenden Einzelnheiten jetzt unter seine strenge Nothwendigkeit gesammelt. Diese Nothwendigkeit ist der absolute Herrscher, und ihr Gesetz ist die Freiheit der absoluten Staaten. Diese Freiheit ist, wie ich gesagt, die sicherste, weil sie durch den Begriff angefesselt ist. Die absolute Monarchie im Reich des Gedankens dargestellt ist die Hegelsche Philosophie. Hegels Philosopheme sind die Mausoleen, sind Königsgräber der menschlichen Freiheit, könnte man sagen. Hegels Rechtsphilosophie ist der Katechismus eines protestantisch-absoluten Staats. Er hat sie in Preußen geschrieben und erdacht.

Doch wo geräth der Salzschreiber auf seinem Apfelbaum hin? Er verwirrt sich offenbar. Der Ast unter ihm wird noch brechen. Wer heißt ihn auch, über das Absolute so absolut zu grübeln, wobei nur logische Rippenstöße herauskommen können? Seeliger, meine es gut mit Dir! Du kannst nicht verloren sein. Lege Dich auf eine heitere Seite, Du bist es Dir selbst schuldig, das Beste aus Dir zu erziehn. Ein Absolutist sein und solcher fortan den Künsten und Wissenschaften leben, welch herrlicher Gewinn für Deine Menschheit! Und wie sicher ist es in einer absoluten Monarchie! sagt der Herr von Zodiacus. Ich weiß recht gut, was und wie viel ich ihm glauben muß, aber dies glaube ich ihm. Auf der Vergangenheit ehrwürdigem Grunde steht sie, eine himmelanstrebende Pyramide, gestützt und geheiligt mit ihren Einrichtungen da. Alles ächte Leben muß ja in einer großen Vergangenheit, in diesem tiefblauen Himmelshintergrund des Daseins, wurzeln und seinen Lichtaufgang entnehmen! Süß und ehrenvoll zugleich ist es, von einer schönen Vergangenheit getragen zu sein, ein Kind glücklicher Abstammung, ein Erbe älterlichen Segens. Von der Vergangenheit leben wir, unsere Weisheit ist in ihr verschlossen, unsere liebsten Träume steigen, wie Najaden aus der Meerestiefe, lächelnd aus ihr auf. Jede unserer Schmerzerfahrungen wird zum sanften Mährchen in der Vergangenheit, ein göttliches Wunder wird alles Dasein, auf dem wir ruhen. Die Vergangenheit ist die wahre Muse der Wissenschaft. Die Forschung liegt liebend an dem Busen der Vergangenheit, und trinkt die Nahrung des Geschehenen in berauschenden, stärkenden Zügen ein. Nur vom Geschehenen zu zehren, von der Betrachtung des Vergangenen zu leben, ist traulich und tröstlich, und überwiegt vielleicht an Wonne der Sicherheit, an Behaglichkeit des Vertiefens, noch den Genuß des eignen Schaffens. Aber Seeliger! Seeliger! Du wolltest ja zur sonnigen Alp Deiner ehemaligen Dichterhoffnungen wieder hinauf! hinauf! hinauf! Du warst heut schon einmal nahe daran, Verse zu machen! Und jetzt möchtest Du Dich, wie sonst wohl oft, durch den behaglichen Forscherreiz der Wissenschaft wieder abziehen lassen von dem muthigen Werdeleben der Poesie?? Ja, ja, ich will nicht! Ach, es ist schwer zu sagen, was süßer sei, als Forscher oder als Schaffender zu leben. Die Wissenschaft sitzt bequem in Schlafrock und Pantoffeln auf dem Großvaterstuhl der Weltgeschichte, und man kann sich bei ihr ausruhen. Man kann mit ihr Kaffee trinken, einen Cigarren rauchen und im Negligée bleiben, wenn sie zur Visite kommt. Man kann ein Nachmittagschläfchen mit ihr riskiren, und es schadet der Liebe nicht. Zur Poesie muß man allezeit tanzlustig und ballfähig sein. Man muß einen großen festlichen Sinn in sich haben, und immerwährend goldene Feiertage der innern Seele in sich spinnen. Hell und leuchtend muß man sein, man muß ewig ein Jüngling sein. Und ich bin schon sehr alt. Ich werde nächstens sechs und zwanzig Jahr. Ein Mensch, wie ich, dem der Zeitpips nicht kurirt werden kann, wird früher alt und hinfällig, als andere Leute. Nein, ich bin kein Dichter!

Seeliger! Bösewicht! herunter mit Dir von dem Apfelbaum! Was sprichst Du Dir Poesie ab? Du bist nicht werth, in dieser herrlichen Gottesnacht so lustig auf einem Apfelbaum dazusitzen! Zieh' ein! Zieh' ein! Krieche in Deinen Giebel zurück! O Himmel, so will ich es mir denn noch überlegen. Es ist so schon spät. Die Sterne oben verblassen morgendlich, und der große Bär, das einzige Gestirn, das ich am Firmament eigentlich kenne, ist nicht mehr zu schaun. Götter! Götter! meine ganze Seele jauchzt ja ihr Lebelang nach Poesie! Selbst kein Kummer wird ihr geboren, der nicht heimlich etwas in ihr dichtete, und alle meine Gedanken fangen immer leise an zu singen, und führen lose Reden durch strengsten Ernst hindurch. Nun, ich will schlafen gehn! –

– Dies, Geliebteste, waren ungefähr die Selbstbetrachtungen, die ich auf dem Apfelbaum anstellte, und ich schwang mich darauf wieder in mein Giebelfenster hinein. Hinter mir her ging auch der Mond mit bleichem Gesicht unter. –

Und nun Adieu, Esperance! Du sollst weiter von mir hören, wenn ich in meiner neuen Richtung gesund und am Leben bleibe. Ich hoffe das Beste, denn mir ist besonders seit heut, wo ich Dir das Alles in diesem Brief herausgeschrieben, wunderbar gut und seelig zu Muthe. Du kannst mir glauben, Kind, ich habe gegenwärtig die reellsten Absichten auf das Absolute. Ja, ich bin seelig, ich bin absolut! Ich bin, hochachtbare Dame, Dein seeliger Absoluter und

Dein

absoluter Seeliger.


An Esperance.

Noch immer: Kleinweltwinkel, 20. Juli.

– – – Der erste Theil dieses Briefes ist weggelassen, da er bloße Herzensangelegenheiten enthält, die offenbar zu sehr in's Grelle schimmern, und nicht einmal censurfähig sind. – Die Redaction des Wirrwarrs.Die Frau Salinen-Inspectorin ist eine ehrfurchtgebietende Gestalt. Lang, hager, klapperdürr, und von Gemüth zanksüchtig, hat sie doch ein gewisses unaussprechliches Etwas in ihrem Wesen, das nur ein Legitimer herausfühlen kann, und ich hege deshalb für diese Frau, schon weil sie die Gattin eines meiner Vorgesetzten ist, erst jetzt eine Art von Verehrung, oder nenne es heilige Scheu. Auch habe ich an ihr eine bourbonische Nase entdeckt. Du kennst den geierförmigen Typus dieser bourbonischen Nasen, die für jeden ächten Legitimen so vielen Reiz ausüben. Die Salinen-Inspectorin hat die allerschönste. Und wie wunderbar mich diese Nase neulich an ihr überraschte und gemahnte, davon kann ich Dir ein eclatantes Beispiel erzählen. Ich ging zu ihrem Mann in Dienstgeschäften, und die Frau Salinen-Inspectorin begegnete mir auf der Treppe, die mit ihrem kleinen Jungen von oben herunterkam. Ich bog zwar ehrerbietig zur Seite aus, allein der Junge, ungebärdig und unverschämt wie er ist, stellte sich mir gerade in den Weg, und wollte mich durchaus nicht vorbeilassen, so daß mir, da die erlauchte Mutter über ihr Söhnchen nur beifällig lächelte, nichts übrig geblieben wäre, als dem Jungen entweder eine Maulschelle zu geben, oder ihn benebst seiner erlauchten Mutter über den Haufen zu rennen. Da wagte ich meinen schüchternen Blick noch einmal zu der hohen Frau hinauf, als mir in demselben Augenblick die gebietende Bourbonicität ihrer Nase wie ein Blitzstrahl durch die Seele fuhr. Von Ehrfurcht ergriffen, stieg ich schnell die Treppe wieder hinab, und blieb unten an der Stiege, Mutter und Sohn erwartend, mit gesenktem Hut und in der devotesten Stellung stehn. Und als sie vorübergingen, sagte ich nichts, als die legitimen Worte: »Madame, Ihr Junge ist mein König!« –

Es geht mir wohl, sehr wohl, Speranza! Obwohl mir Kleinweltwinkel immer mehr zuwider wird als sonst, und ich mich nach größeren und erweiterten Verhältnissen zu sehnen anfange, so gefällt es mir jetzt wenigstens in meiner Salinenschreibstube etwas besser, da sie doch eine Königliche Salinenschreibstube ist, und der erste offizielle Begriff eines Beamten mich in ihren heiligen Wänden über alle Mühseligkeiten tröstet. Wie bedeutend ist es nicht auch, ein Beamter zu sein! Ich kenne einen Geheimenrath, welcher die jungen Leute erst dann für Menschen hält, wann sie, und zwar durch ihn, zu einem Amt gelangt sind. Einen Amtlosen betrachtet er gewissermaßen noch im Zustande natürlicher Wildheit. Diese jungen Leute müssen gebändigt werden, es muß ihnen ein Koller umgehangen, und der Flügelmuth durch ein Amt bewickelt werden. Natürlich, die jungen Leute müssen in einen gesetzlichen Zustand hinein, und wer ein Amt hat, weiß, warum er lebt. Vivat hoch, daß ich Salzschreiber bin! Alle Räthsel und tieferen Geheimnisse des Daseins lösen sich in einem Amte auf! Ein Staatsposten ist erst die geordnete Lebensform des Chaos, er ist der Geist, der über Wasser schwebt. Und wie freut es mich, daß ich auch so als ein kleiner Angestellter hier im Salinenbüreau dasitzen kann! O, auch der Servilismus ist süß! Es ist wie mit der Liebe. Die Liebe, dieser Absolutismus, wirkt auch servil und despotisch zu gleicher Zeit. Liebe ich nicht die Frau Salinen-Inspectorin und ihren frechen Jungen? O, o, ich werde es gewiß noch lange in Kleinweltwinkel aushalten! –

Seitdem ich absolutistisch, habe ich mir auch die politischen Zeitungen wieder abbestellt. Was soll ein ächter Absoluter mit Zeitungen? Der Absolutismus hat eigentlich gar nichts mit der Zeitpolitik zu schaffen, da er über aller Politik erhaben steht. Er ist unveränderlich seinem innersten Wesen nach, und alle politischen Bewegungen sind deshalb nur wie der Wetterhahn auf den Dächern seines Pallastes, der, die Richtung der Winde anzeigend, sich unaufhörlich dreht, während das Haus in unbewegter Ruhe allen Schwankungen Trotz bietet. Was soll ich mein Geld ausgeben für die Wetterhahne? Die Zeit meiner Fasten ist vorüber, und ich muß jetzt auf Erhöhung meiner Lebensgenüsse bedacht sein. Der Absolutismus muß des Morgens wieder etwas zum Kaffee essen, er muß, wie ein Jupiter in ewigen Wolken dasitzend, so oft Tabak rauchen können als er will, er muß nicht nöthig haben, seine Kleider zu schonen, sondern seinen Sonntagsrock auch am Wochentag anziehen dürfen. Und alle diese Ersparnisse, die ich mir der leidigen Zeitungen wegen auferlegt, sollen nun meinem Leibe wieder erlassen werden. Ich will von neuem aufblühen, Mädchen! Trallalarum! Ich dürste ordentlich nach Genuß, und mich verlangt sehnlichst danach, einmal mein Dasein recht zu schmecken. Ich möchte ausfliegen wie ein Zugvogel in die wärmere Zone der Freude, und den Saugestachel der Lust einsenken in alle Fruchtbeete der Welt! Und bringt der Mensch, der nach Freude lustig hinausabenteuert, auch am Ende nichts mit nach Hause zurück, als eine getrocknete und gespießte Schmetterlingsammlung seiner eingefangenen Freuden, so war es doch schön, durch waldfrisches Wanderleben als Schmetterlingsjäger hingezogen zu sein. Ha, jugendmuthige Schmetterlingsjagd! Was hilft's, wir müssen den Schmetterling spießen, soll er unser sein! Ach, und wenn sie unser ist, die junge bunte Freude, ist sie auch schon nicht mehr, und hat sich im ersten Lächeln verblutet!

Doch mich soll heut nichts melancholisch machen! Streiche mir, Esperance, im Geist mit Deiner blüthenschneeigen weißen Hand dreimal über die Stirn, und vertreibe das arge Schattenvolk meiner Reflexionen! Ich will, ich will absoluten Lebensgenuß, ich will ihn als ein Absoluter! Lange genug habe ich ohne Freude hauszuhalten verstanden im Leben, und wie eine kinderlose Witwe aus einsamer Langeweile wohl ein Wiegenlied vor sich hinsingt, so habe ich oft aus Verzweiflung: »Freude, schöner Götterfunken!« gepfiffen. Mein Gesicht war vor der Zeit ernsthaft und düster geworden, und alle Leute hielten mich für einen tiefgesunkenen Denker. Und doch dachte ich nur immer an lauter Freude, nämlich wie ihrer künftig einmal habhaft zu werden sei. Ich will sie schon einmal zu packen bekommen, philosophirte ich, und die Freude floh mich, weil ich philosophirte. Jetzt, Kind, stehe ich auf einem andern Punkt. Im Absolutismus liegt eigentlich ein wahrer Don Juan des Genießens versteckt, und in der absoluten Philosophie, ist es da nicht die zum Titanengelüst erwachsene Unersättlichkeit des menschlichen Geistes, welche sich mit dem Höchsten und Fernsten so eng und brünstig zusammenenzuschließen trachtet? Wie aber so der Absolutismus nach dieser geistigen Seite hin eine kühne Wollust des Gedankens ist, so lockt er auch, auf die äußeren und irdischen Formen des Lebens übertragen, zum feurigsten Ergreifen jeder reifen und schmackhaften Blüthe. Alles muß ja sein werden, weil er Alles ist, und so bricht er jede schwellende Knospe, weil sie in Ihm erst als Frucht sich herausschält. Daher diese Genußsucht und Sinnenschwelgerei, welche durch das ganze ancien régime geht. Alle waren sie liederlich, und es ist merkwürdig, daß gerade Ludwig der Vierzehnte, der allerabsoluteste Herrscher, auch als der absoluteste Wollüstling in der Geschichte dasteht. Er war es offenbar aus bloßer Consequenz, denn nach dem bekannten Ausspruch, daß er selbst der Staat sei, mußte er sich demgemäß auch alle Frauen im Staat identificiren. Zu dieser Zeit empfing die Don-Juanerie des Absolutismus ihre glänzendste Ausbildung. So weit wie damals werden wir es vielleicht nie wieder bringen. Am wenigsten ich hier in meinem Kleinweltwinkel, wo die Göttin Gelegenheit wie eine harte Stiefmutter mit dem Leben geizt! Was sollte wohl ein Don Juan in Kleinweltwinkel anfangen? Hilf Himmel, dieser Gedanke ist der belustigendste, der mir jemals eingefallen! Er würde tugendhaft werden, und zu seiner Zerstreuung ein Damen-Conversations-Lexicon herausgeben. Wehe mir also, denn wenn er hier tugendhaft werden muß, so muß ich es hier mindestens bleiben!

Du siehst, wie mich dies Kleinweltwinkel doch eigentlich in meiner neuen Richtung beschränkt, sodaß ich mich nicht mit Herzenslust nach allen Radien derselben hindrehen kann. Ich kann es hier in meinem Absolutismus nicht einmal so weit bringen, mich zu einem Alles genießenden Don Juan aufzuschwingen, und mit Louis-Quatorze werde ich wohl nimmer in der Geschichte verglichen werden. Aber erschrick nur Du nicht etwa, liebe Esperance, über das, was ich Dir gesagt habe. Es gibt Deutsche Damen, die vor purer Sittsamkeit schon erröthen, wenn man ihnen nur den den Namen Don Juan nennt, und die selbst vor dem schönen poetischduftigen Wort Sinnlichkeit in Ohnmacht sinken können. Doch was rede ich Dir davon? Du gehörst nicht zu diesen prüden Altenjungfernseelen, und ich kann bei Dir etwas wagen. Du hast aber, wie gesagt, gar nichts zu fürchten, denn es ist ein wahres Elend, in Kleinweltwinkel Absoluter zu sein. –

Eher könnte es mir hier noch gelingen, wenn ich recht viel Geld hätte, mich auf aristokratischen Fuß einzurichten, wozu ich jetzt eine außerordentliche Lust verspüre. An der langen Wiese ist nämlich eine Baustelle zu verkaufen, wo, wer die Mittel dazu besäße, ein prächtiges Landhaus, wie es sich recht für einen vornehmen Mann paßt, aufführen könnte. Dies Landhaus möchte ich dann wohl bewohnen, in hohen glanzschimmernden Marmorsälen ein herrliches Fest geben, ein Hochzeitsfest, und die Braut müßte mir Speranza heißen! Wann ich sie besäße, hielte ich mich für den vornehmsten Mann der ganzen Welt, mein Wesen wäre durch ihr Wesen geadelt, und sie sollte die Pairin meiner Herzkammern sein. Wir wollten eine sonnige Aristokratie der Liebe stiften. Höre, neulich habe ich wieder in meinen hängenden Gärten der Semiramis gesessen. Ich habe über die Aristokratie gedacht, und viel, viel Bewegtes. Das offenbare Hinstreben auf den Untergang dieser altehrwürdigen und ächt menschlichen Einrichtung kommt mir wie eine Blutschuld vor, die unsere Zeit auf ihr Haupt lädt. Ich glaube an eine tief im Leben begründete Aristokratie, ich glaube an eine ideelle Bedeutung des Adels, ich glaube an eine Heilsamkeit großer Contraste in Ständeverhältnissen, ich glaube an die Erblichkeit der Pairswürde, ich glaube, daß es einem Staate gut sei, die Stiftung der Majorate freizulassen. Dies ist heuer mein Glaubensbekenntniß!

Die gottlosen Franzosen haben in der modernen Geschichte zuerst und zumeist an dem alten gothischen Bau der Aristokratie niedergerissen. Dies leichtsinnig sociale Volk schien berufen es zu thun, weil in seinem eigenen Nationalcharakter gar kein romantisches und gothisches Element vorhanden ist. Es ist nichts Gothisches in diesem Menschen! war von jeher eine eigene Anschauung in mir, wonach ich die mir begegnenden Charaktere in gothische und in sociale zu theilen pflege. Ein gothischer Mensch hat zu viele Thurmspitzen, Wölbungen, Eckchen, Bogen und hohe Fenstervertiefungen in seinem Wesen, als daß er nicht in einem modischen Gesellschaftszimmer als etwas Nichtdahingehörendes auffallen sollte, und darum liebe ich diese Baukunst seines Charakters an ihm so sehr, ich mag gern durch die wunderlich bunten und etwas trüb angehauchten Fensterscheiben seines Aeußern in die heilige Stille seiner Seele, in die Kapelle seines inwendigen Menschen hineinblicken. Mit der Architektur eines Socialen sieht es dagegen durchsichtig genug ans. Hell, schön und gerade sind seine Säulen, auf die er sich stützt, er hat Alles an sich glatt polirt und abgeflacht, seine Fenster sind Spiegelglas, und die zierlichste Symmetrie seiner Theile erhebt ihn zum Mann der Gesellschaft. Unter den Völkern sind die Franzosen diese Socialen, diese Gesellschaftsnation, und ich kann sie deshalb nicht leiden. Ihr immer auflösender werdendes Streben nach Glättung und Symmetrie aller ständischen Verhältnisse des Lebens, nach Modelung eines völlig abgeschliffenen und ausgeglichenen Typus der bürgerlichen Gesellschaft habe ich mir eben aus dieser ihrer Natur heraus erklärt.

Durch eine Aristokratie gruppiren sich die bürgerlichen Zustände wie Berg und Thal in großartigen Pittoresken. Eine malerische Perspective kommt in das sonst unterschiedslose Leben hinein. Es läßt sich aber nicht läugnen, daß die Franzosen gerade die wirksamste Waffe, die es gibt, gegen sie geschleudert haben, indem sie die Aristokratie nach ihren neuesten Gesetzen der Lächerlichkeit preisgegeben. Sobald sie ausgesprochen, daß keine gesetzliche Strafe mehr Den treffen solle, der sich des Adels oder anderer Titel anmaße, und es mithin jedem zweideutigen Abenteurer freistellten, sich als Marquis, Graf, Herzog, oder wie er wolle, in die Reihen der Gesellschaft einzuführen, sobald hatte auch in Frankreich eine Aristokratie dazusein aufgehört, denn ihr ganzer Wappenschmuck und Ahnenglanz war nun zu einer Komödien-Garderobe herabgewürdigt. Es war Theaterplunder geworden, für den selbst auf einer Auction Keiner mehr einen Pfennig bieten mag. Er muß an die Theaterbedienten verschenkt werden. Dem gesellte sich, um alle Heiligung des Besitzes dem Adel zu rauben, die Aufhebung der Erblichkeit der Pairswürde hinzu, und ein Verbot gegen die Stiftung von Majoraten, durch welche gerade bedeutsame glänzende Einzelnheiten im Lande entstehen, wird ebenfalls nicht ausbleiben Seitdem der Briefsteller dies geschrieben, ist das Gesetz gegen die Majorate in Frankreich wirklich durchgegangen, aber bekanntlich mit solchen Modifikationen der Pairs-Kammer, welche die eigentliche Wirksamkeit des Gesetzes ziemlich wieder aufheben. – D. Red.. So flacht sich dies Volk immer mehr alle poetischen Gestaltungen seines Lebens ab, und verführt auch das andere Europa allgemach durch sein Beispiel, das immer etwas Unabweisbares in der Geschichte gehabt hat. Was bei den Franzosen Frivolität und Mangel an Romantik gethan, hat bei den Deutschen der überwiegende kalte Verstand, und die heillose philosophische Weltbürgerlichkeit dieses Volkes fast nicht minder ausgeübt. Auch in Deutschland gibt es beinahe keinen Adel mehr. Hätten wir die Hannoveraner und die Mecklenburger, und in Preußen einige Uckermärkische Edelleute nicht, die Aristokratie wüßte bei uns gar nicht mehr, was sie vor Demuth anfangen sollte. Meine Hannoveraner lobe ich mir. Da haust noch der alte Stock. Auch in der Uckermark war ich, wie Du weißt, eine Zeitlang bei einem reichen Grafen Bibliothekar, und wurde ganz splendid wie Einer der höheren Schloßbedienten behandelt. Ich nahm das gar nicht übel, denn es war ächt aristokratisch, es mußte so sein. Der Adel, wo er sich in heutiger Zeit noch als solcher fühlt, muß sich gewissermaßen zu rächen suchen an seinem von allen Seiten über ihn hereinbrechenden Untergang, und die Geltung seiner Macht mit verdoppelter Aemsigkeit zur Schau tragen. Ich wollte mich gern noch einmal in der Uckermark ducken lassen, wenn ich nur dem Deutschen Adel dadurch wieder auf die Beine helfen könnte, denn, wie gesagt, selbst der Servilismus ist süß, wenn auch angreifend.

Aber da lebt noch, durch das Meer geschieden vom Continent, ein Volk, dem eine gewaltig thronende Aristokratie ein Nationalbedürfniß zu sein scheint. Die Englische Staatsverwaltung mag diese beiden ewigen Gegensätze ihrer Torys und Whigs, welche schon seit so vielen Jahrhunderten die innern Hauptbewegungen dieses politischen Körpers sind, gewissermaßen zum regelmäßigen Blutumlauf nöthig haben, und die große beispiellose Armuth und Tonlosigkeit des gemeinen Volkes, verbunden mit der gering verbreiteten Intelligenz unter demselben, und dem schreienden Mangel an allem Volksunterricht, werden dort die Dauer der Aristokratie wahrscheinlich noch lange begünstigen. Und dennoch werden auch in England, fürchte ich, die Zeichen der Zeit an ihr in Erfüllung gehn, und die Wogen der Revolution, denen das Whigs-Ministerium Grey in dem kleinen Rettungsbot der Reformbill noch geschickt aus dem Wege zu steuern gewußt hat, werden doch einmal gerade an der Englischen Aristokratie thurmhoch aufbrausen und die alten Feudalformen verschütten, die man vielleicht schon nach einem halben Jahrhundert im ganzen Europa nur noch wie Petrefacten und Mammuthsknochen aus der Erde graben wird. Ach, man gebe dies doch ja nicht dem Spotte Preis! Man freue sich nicht, daß der heiligen Aristokratie, die so lange als eine der wichtigsten Institutionen in der Geschichte dagestanden, jetzt etwas Menschliches begegnen will. Ich könnte weinen, wie die Juden über Zion, wenn ich an die Aristokratie gedenke. Wer enthält sich der Thränen, wenn Ilion fällt? Und der alte Vater Priamus, mit seinen funfzig Söhnen und funfzig Töchtern, muß er es noch mit seinen greisen Augen schauen, daß der glorreiche Königssitz seines Stammes hinter ihm in Rauch und Flammen aufgeht? Wo wird der fromme Aeneas sein, der die vertriebene Aristokratie dann, wann jener Tag Troja's gekommen, auf seine Schultern nimmt, und sie aus der Gefahr von dannen trägt? Wahrlich, ich wollte es sein! Selbst meinem Uckermärkischen Grafen würde ich gern zum frommen Aeneas dienen, und, sollte eine Revolution ausbrechen, hurtig über Land und Meer mit ihm davongehn!

Aristokratie, Du jammerst mich! Du bist wie eine schöne verstoßene Fürstentochter, der man auch im Bettlergewande noch an den weißen Gliedern und feinen Zügen es ansehen wird, daß Du auf einem Thron geboren, daß Du eine Fürstentochter bist! Der rohe Pöbel wird jubeln, wenn er sieht, wie Du die zarten Hände, sonst nur gewohnt an den reinen Formen des Lebens sich zu prüfen, nun auch in sein schmutziges Element tauchen mußt, um den Besitz mit dem Erwerb zu vertauschen. Aber Du wirst selbst in der Erniedrigung noch Dein angeborenes edles Darüberstehen behalten, und arbeitend und weinend wird Dich doch ein schimmerndes Lächeln des Bewußtseins nie verlassen. Aristokratie, versuche noch Dein letztes Rettungsmittel! Vergeistige Dich, gründe Deinen Besitz auf Dein Verdienst, Deine Macht auf Deine Talente, nimm unter die Zahl Deiner Ahnherrn noch den Geist auf, und Du wirst unsterblich sein! – –

Du erhältst diesen Brief durch den Candidaten Flitzbogen, den Mörder meines geliebten Copisten Mundus, welchen Gott seelig habe. Du brauchst Dich vor diesem Flitzbogen nicht zu fürchten, denn er ist jetzt sehr zahm geworden, seitdem sie ihm das eine Bein haben abnehmen müssen. Zwar ist er noch immer liberal, aber er kommt keinem mehr damit zu nahe, und sein Witz ist schmächtig und friedfertig geworden, wie unser blinder Hauskater. Er will sich bei Euch in der Residenz ein hübsches Bein drechseln lassen, darum ist er dahin gereist, denn hier in Kleinwinkel gibt es keinen Künstler, dem er sich dazu anvertrauen könnte. Der arme Mensch, er wird Dir auch leid thun. Jetzt humpelt er noch auf einem abgeschälten Baumstumpf herum, ein warnendes Beispiel, wie weit uns der Parteieifer der Zeit treiben kann. Merkwürdig aber ist, daß Flitzbogen trotz dieses seines schlechten Fußwerkes doch zugleich jetzt auf Freiersfüßen steht, und zu diesem Endzweck will er sich eben ein recht schönes, hölzernes Bein anfertigen lassen, um dann hier als Bräutigam mit desto größerem Nachdruck auftreten zu können.

Denke Dir, er hat sich entschlossen, die Tochter des durch ihn verewigten Copisten Mundus heirathen zu wollen, und dieser Zug wird Dir gewiß an ihm gefallen. Ich für mein Theil möchte ihm zwar den Edelmuth nicht zu hoch anrechnen, denn es ist ein niedliches Mädchen, die, hätte sie nur zwei Jahre in Deinem Fräuleinstift von Dir Unterricht genossen, reizend zu nennen sein würde. Aber auch ohne durch Bildung verschönt zu sein, hat das kleine Ding etwas Liebes in ihrem Wesen, wie ich es selten gesehen habe. Es gibt stillblickende Vergißmeinnichtsnaturen unter den Mädchen, die mich immer wie ein Lied von Holty rühren, zu denen gehört sie. Sie ist ganz blaues Auge, möcht' ich sagen, denn in ihrem Blauauge schmilzt ihr ganzer Mädchencharakter zusammen. Diese Kleine, muß ich Dir noch erzählen, hat nach dem Tode ihres Vaters provisorisch seine Copirarbeiten übernommen, und sitzt jetzt in ihrem Hüttchen da, und schreibt mit einem Eifer ab, daß man sie dafür küssen möchte. Da sie einer hübschen Handschrift mächtig ist, hat man ihr einstweilen diese Abschreibereien gelassen, und sie ernährt sich und eine alte Muhme damit redlich. Wann ein friedliches Bild meinen aufgeregten Sinnen noththut, schleiche ich mich jetzt oft noch Abends spät aus meinem vom Schlaf geflohenen Giebel hinweg, und gehe bei ihrem Fenster vorüber, und belausche des Copisten Töchterlein, wie sie beim fleißigen Lampenschein bis in die tiefe Nacht die ämsige Feder führt. Neulich stand ich fast eine ganze Stunde, und kuckte, in diesen anmuthig frommen Anblick verloren, von meinem unbemerkten Standort in das kleine Zimmer hinein. Dies Stillleben weht und fächelt mich ordentlich besänftigend an, und wenn ich sehe, wie sie sich so artig in ihrem Bienenfleiß gebärdet, und bei der nächtlich schnurrenden Feder doch so heiter und wohlgemuth kindlich blickt, möchte ich ihr immer zurufen, wie Boas der Aehrenleserin Ruth: »Gesegnet seist Du dem Herrn, meine Tochter!« Dann gehe ich fort, und fühle mich so mild, daß ich beten kann, und verrichte mein Nachtgebet unter freiem Himmel, und schlafe darauf und träume schön. Nur ihre Augen thun mir leid bei der Nachtarbeit.

Um dies Kind will Flitzbogen nach seiner Zurückkunft freien, und ich glaube, daß er diesmal von den redlichsten Absichten geleitet wird. Er hat dann zugleich den Plan, sich um das erledigte Amt des Copisten Mundus zu bewerben, und sich so nach einer durchschwärmten Jugend zu einer festen gediegenen Thätigkeit und Häuslichkeit hier in seinem Geburtsort niederzulassen. Wohl ihm, daß er so schnell und glücklich in den Hafen einläuft und noch wenigstens mit einem gesunden Bein aus den Zeitwirren davon gekommen ist. Wer weiß, was unser Einem noch Alles bevorsteht! Ich bin in einer gefährlichen Krisis, und sehe mich jeden Morgen, wann ich aufwache, im Spiegel, ob ich noch lebe. –

Aus dem alten seidenen Brautkleid meiner Mutter hat der Schneider wirklich wieder ein neues zu machen verstanden, das der armen Olympia paßt. Du wirst Dich dieser Unglücklichen noch aus einem meiner früheren Briefe erinnern. Es ging mir zwar ans Herz, diese heilige Reliquie, auf der das Andenken einer Seeligen ruhte, verschneidern zu lassen, aber die schöne Magd bat mich doch gar zu wunderbar um ein besseres Kleid, und sie kann bitten, daß ihr etwas abzuschlagen unmöglich ist. Kürzlich steckte ich es ihr heimlich zu, damit es ihr Herr nicht sähe, und sie äußerte selbst dringend und ängstlich, daß Herr von Zodiacus nichts davon erfahren dürfe. Aber Du hättest sehen sollen, wie sie sich freute, als sie das Paquet hastig aus meinen Händen in die ihrigen riß, und wie ihre thränenverschleierten Blicke in einem Glanz aufleuchteten, daß es wie ein elektrischer Schimmer auf mich herüberfloß. Seltsam, seltsam ist dies Wesen. Es macht mich zum Narren, darüber nachzudenken. Und höre, neulich sah ich sie des Nachts beim Vollmondschein in ihrem neuen Kleide spazieren gehn. Sie mag sich nur des Nachts damit schmücken dürfen, wenn ihr tyrannischer Herr nichts davon gewahr wird. Ich lag noch aus dem Fenster, und kam herunter, um ihr in den Weg zu treten. Sie wandelte mit hohen, stolz getragenen Schritten und feierlich emporgehobenem Haupt, einer im Triumphaufzug wallenden Prinzessin gleich, unter den Bäumen der einsamen Straße dahin. Reiche, schön geordnete Locken hingen ihr lang über den junonischen Nacken hinab, sie schien großes Vergnügen an sich selbst zu empfinden, und betrachtete ihre herrliche Gestalt, die mir zu einer wunderbaren Hoheit herausgeblüht schien, mehreremal still stehend, in dem majestätischen Schatten, den sie durch den monderhellten Erdboden hinwarf. Ich erschrack fast, wenn ich daran dachte, daß ich sie kurz zuvor in dem entstellenden Magdkleide gesehn. Sie bemerkte mich jetzt, und stand, mit scharfen prüfenden Blicken mich betrachtend, still. Verrathe mich nicht, guter Mann! sagte sie, nach allen Seiten scheu umhersehend. Nur noch durch mährchenhafte Mondnacht schleicht sich verstohlen die Traumgestalt alter Herrlichkeiten hin. Den Nachtlüsten sage ich die Gedanken vergangenen Glückes, und sie tragen sie seufzend hinweg, und die Sterne oben hauchen trübe darüber an. Ich aber freue mich, wenn die Nacht zusammenschauert in Schmerzen, und äffe lächelnd meinen sonstigen Glanz an mir nach. – So flüsterte sie schnell und wild hin, und ihr marmorblasses Gesicht zuckte in unheimlichen Bewegungen. Ich bat sie, Vertrauen zu mir zu haben, mir ihr Schicksal zu erzählen, mir zu sagen, ob und wie ich ihr helfen könne. Ich fragte, wie sie zu dem Herrn von Zodiacus gekommen, und warum sie nicht, wenn sie, durch Unglück gezwungen, dienen müsse, einen menschenfreundlicheren Herrn suche? Sie lachte kreischend auf, fuhr sich mit der Hand hinten in die Locken, daß sie aufgelöst herunterflatterten, und sagte mit der wirren Gebärde einer Wahnsinnigen: Mann! Mann! wann wir uns einmal wiedersehn, werde ich Dir große Geheimnisse anvertraun! – Dann stürzte sie fort und war in der nächtlichen Ferne bald verschwunden. Was hat das Alles zu bedeuten? –

Adieu, Speranza! Laß auch Du wieder etwas von Dir hören, und nimm keine zu blasse Tinte! Denn ich küsse Deine Handschrift jedesmal so, daß Dein letztes Blatt über den ewigen Frieden beinahe unter meinen Lippen erloschen wäre. So geht es aber immer mit dem Frieden

Deinem

Salzschreiber Seeliger.


An Esperance.

Kleinweltwinkel, d. 23. August 1833.

Esperance, Du meine geliebte Hoffnung, dies wird der längste Brief an Dich! Mit Beilagen versehen, mit Episoden durchschossen, und mit dem Ballast von tausend thörichten Träumen, Wünschen und Plänen beschwert, gelangt er, beinahe ein Postfrachtstück ausmachend, zu Dir hin, und Du sollst an ihm zu lesen haben. Du hast doch Zeit? Wie geht es Dir?

Daß es mit mir noch immer nicht Matthäi am letzten ist, ersiehst Du aus meiner Unverschämtheit, indem ich Dir wieder aus meinen Tagebüchern einen solchen Stoß wundersamen Geschreibsels schicke. So lange ein Mensch noch unverschämt sein kann, gebe ich ihn nicht ganz verloren, denn er macht dann wenigstens noch Ansprüche an das Leben. Schreibe Du immerhin nicht mehr an mich, ich schreibe doch an Dich. Es muß ja geschrieben sein!

Und was ist denn mit mir? Mädchen! Mädchen! es ist etwas mit mir! Hallelujah! möcht' ich zuerst zu Dir sagen. Hallelujah, es ist ein Schwan in meiner Brust erwacht! Der Sommer ist draußen schlecht hingegangen, aber tief innen in mir bricht eine neue Jahreszeit an. Mein alter Stamm will wieder ausschlagen, ganze Geschichten fangen in mir an zu reden, Wohllaut will Meister werden, Melodie sich gestalten, die Pygmalionstatue wird zur schönen liebewarmen Jungfrau, Scherz grübelt schalkhaft, Weisheit spielt milde, und ein geheimnißreiches Regen und Taumeln zittert in süßen Ahnungen durch alles Dasein her und hin. Das Leben erröthet wieder hold, gleich einer jungen Braut. Ein Engel hat sich meiner Gedanken bemächtigt. O Gott, Esperance, nun weißt Du es! Ich will, ich will wieder dichten!!

Länger kann ich es nicht so aushalten, wie ich es bisher ausgehalten habe. Ich muß mein Herz wieder einmal an etwas hängen, ich muß wagen, hoffen, an ein Bild mich hingeben, ich muß dichten! Diesen Muth habe ich mir jetzt geholt. Etwas zu schaffen, dazu sind wir Alle geboren, und selbst seine schlechtesten Verse sind doch immer noch des Poeten liebe Kindlein, unter denen er sich wie en famille heimisch fühlt und seine Vaterfreuden hat. Liebt doch selbst ein Bär seine Jungen, warum sollte nicht ein Poet auch seine tölpelhaftesten Gedichte lieben, wenn er sie einmal nicht besser hat erzeugen können? Man muß aber etwas haben im Leben, das man, nach seinem Ebenbilde gezeugt, lieben kann, denn in jedes Menschen Brust ist der Trieb gepflanzt, sich zu vervielfältigen, um in der Vervielfältigung sich selbst gegenständlich zu werden. Des Poeten Werke sind aber nichts als Doubletten seines Ich. Und auch ich will jetzt mein Ich nicht länger einsam in mir vertrauern lassen, es soll fruchtbar sein und sich mehren, es soll unter Menschen kommen, es soll auch die Dreistigkeit haben, von sich selbst zu reden, und es wird, ich denke es, gesund werden.

Ich selbst will nicht unter Menschen gehen, mir ist die Einsamkeit lieb, und eine Freundin. Aber ich will aus mir heraus einen Karavanenzug ausschicken, der fröhlich durch die Welt hinpilgern soll, um an allen großen Stätten der Erde seine Andacht zu verrichten, und jeder wackern Seele Grüße von mir zu sagen. Diese Karavane sollen meine Bücher sein, die ich alle noch schreiben werde, einen langen Zug! Mein Ich schleicht sich immer als der unsichtbare Karavanenführer mit, es klingelt mit den Glocken und knallt mit der Peitsche, es nickt jedem begegnenden Wandrer lustig zu, es lagert sich mit in Waldes Kühle und Schatten, es freut sich an den Schrecken der Wildniß, und küßt im Vorüberziehn die kleine Tochter des Hirten, die auf dem Felde mit Steinen spielt. Es geht überall mit hin, und ich sitze doch ruhig dabei in meiner Stube, und, wenn das Glück einst gut ist, an der kritischen Freundin Seite. Sieh', diese Freuden hab' ich mir fortan ausgedacht. Sprich Du Deinen Segen darüber!

Und nicht, wie damals, will ich dichten, nicht wie in jener Frühnebelzeit meiner poetischen Sturm- und Drang-Periode, wo ich glaubte, Gedanken seien Gedichte, und Ideen, die vielleicht nur als eine Idiosynkrasie in mir selbst vorhanden waren, zu Helden ganzer Tragödien und Romane machte. Du kennst Freundin, alle meine Mißgeburten gar nicht, die ich in meiner früheren wilden Ehe mit der Muse schon zu Tage gefördert. Friede sei mit ihrer Asche! Ich war aber eigentlich immer der schreibwüthendste Mensch von der Welt, der in einem Tage mehr zusammenschreiben konnte, als er selbst um allen Preis hätte lesen mögen. Und jetzt meldet sich wieder die alte Riesenleidenschaft meiner Feder, – aber, glaube mir, es ist Federdruck des Herzens!

Ja, ich verspreche Dir, ich will anders dichten! Früher dichtete ich immer von innen nach außen. Dies ist aber eigentlich ein ganz philosophisches Schaffen, das die Kunst zu etwas Anderem macht, als sie ist und sein soll. Jetzt will ich einmal von außen nach innen dichten, und ich hoffe weiterzukommen. Sonst fing ich damit an, erst die Seele zu construiren, und nachdem ich ihr die Gedankenflügel angesetzt hatte, ließ ich sie ausflattern, sich einen Leib zu suchen, der ihr am besten gefallen möchte. Sie flatterte fort, aber kam oft nicht wieder, sondern verlor sich im unendlichen Reich des Geistigen, da sie sich einmal schon ihrer als Seele zu tief bewußt worden war. Oder sie gerieth, aus psychenhafter Verschämtheit nicht scharf genug wählend, in Mesalliance mit irgend einem Leib, mit dem sie sich nur ein unglückliches Dasein fristen konnte. Arme Seele, Dir wäre besser gewesen, nie in meinem Hirn geboren zu sein! Welche Aengsten magst Du zuckend und zappelnd ausgestanden haben, wenn ich Dich in einen Stoff hineinfahren ließ, in dem Du, wie Jonas im Wallfischbauche, an Deiner Existenz verzweifeln mußtest! Für den Poeten soll es keine Seele ohne Stoff, und keinen Stoff ohne Seele geben, er soll beide gleichzeitig empfangen und erzeugen, und die Menschwerdung seiner Ideen muß ein göttlich geschwinder Schöpfungsmoment sein, der die Gestalt nur bildet, weil sie Seele ist, und die Seele nur, weil sie Gestalt ist. Die Philosophie ist noch der Geist, der über dem Chaos schwebt; die Philosophie hat die Welt wieder in ihre Urmassen aufgelöst, Geist und Leib geschieden, und sitzt, als wäre sie erst der vernünftig gewordene Gott, brütend im Dampf des künstlich geschaffenen Welt-Nichts da, um apriorisch die Gesetze der Verbindung zu finden, und danach die Welt neu hervorzubringen und zu ordnen. Die Poesie ist dagegen der Geist der bereits geschaffenen, geordneten, von Licht, Luft und Farbe durchströmten, von Vögeln durchsungenen, von Frühlingen befruchteten, von Menschenherzen durchwärmten Schöpfung. Die Philosophie glaubt das Höchste zu erringen, sie erringt den Begriff, und meint darin die ganze Welt erst wahrhaft zusammengefügt und aufgebaut zu haben. Die Poesie will und sieht nur Gestalt, und sie erst ist die große Versöhnung der Metaphysik mit der Schöpfung. Aus dem uralten Weltschmerz, in dem Form und Geist sich zerrissen und unruhig einander gegenüber finden, blickt die Poesie lächelnd empor, und sie befreit den Geist von der mystischen Unruhe, und die Form von des Stoffes Wildheit, indem sie beide friedengebend zu einem Gedicht verschmilzt. Das Gedicht ist die Erlösung der Form, indem es zeigt, wie diese nicht geistverlassen sei, und es ist die Erlösung des Geistes, indem es zeigt, wie dieser schönste Lebensform sei. So ist das Gedicht um so vieles reicher als die Philosophie, wie die Gestalt reicher als der Begriff ist. Der Begriff will Alles sein und haben, und ist doch noch das Höchste nicht, er ist nicht Gestalt. Aus den Dingen hat er das feinste Geistige zusammengefaßt, und nennt dies Begriff, aber es ist das Ding nicht mehr; es ist durch ihn nicht reicher geworden, denn es hatte sich ja längst in sich, aber es ist gewiß ärmer geworden, denn es hat durch ihn seine frische Creatürlichkeit eingebüßt. Er hat ihm das Bild genommen. Der Begriff muß aber in die Dinge, aus denen er geworden Ist, wieder zurückgehn und zurücktreten, er muß sie, auf nunmehr vergeistigtem Grunde, wieder Bild werden lassen, und ihnen so ihre wahre Auferstehung schenken. Der Begriff muß Gestalt, die Philosophie muß Poesie werden, und alle Räthsel des Daseins sind überwunden. Die Welt ist in Schönheit verklärt und erklärt.

Ich will aus dem Ganzen heraus dichten! In einen großen Weltstoff will ich mich vertiefen, und meine eigene Seele soll mich darin überraschen. Ich will mich nicht, wie sonst, voraussetzen, und hoffe, daß ich mich dann um so gewisser wiederfinden werde. Auf diese Weise meine ich es, von außen nach innen zu schaffen. In unmittelbares Leben will ich mich tauchen, an frischen, fremden Gestalten gesund werden, und alle greisenhaft wissenschaftlichen Anflüge von dem weißen jungfräulichen Körper der Poesie abwehren. Die Poesie soll nicht Wissenschaft sein. Die Poesie muß so unmittelbare Gestaltung sein, daß aus ihr die Wissenschaft erst entsteht und wird, so wie aus dem Leben selbst und der Unmittelbarkeit seiner Erscheinungen Wissenschaft wird. Die Poesie kann unmittelbaren Lebensstoff für die Wissenschaft abgeben, aber sie ist zu naiv, um selbst wissenschaftlich zu sein. Das wissenschaftliche Bewußtsein unserer Zeit stört aber am meisten die Kunstvorsätze der heutigen Dichter. Die Reflexion lauert wie eine Schlange auf das Schaffen, um es in seinen schönsten Bewegungen zu umstricken, und die jungen Blüthenknospen des unmittelbaren Lebens gleich da, wo sie herausbrechen, abzunagen. Eine gewisse göttliche Unbewußtheit, ein weiser Leichtsinn, ist nöthig, um die Schönheit zu erzeugen, um in der Kunst glücklich zu sein. Die alten Schatzgräbermährchen enthalten eine sinnige Lehre für die Künstler. Nur in der verschwiegenen Nacht und bei der lautlosesten Stille kann der von Geistern gehütete Schatz gehoben werden. Wird in der verhängnißvollen Stunde nur ein Wort gesprochen, läßt sich nur ein Laut vernehmen über das, was vorgeht, so ist der Zauber verscheucht, die kaum heraufbeschworene Goldtruhe versinkt mit all ihrem geheimnißvollen Inhalt wieder auf ewig in die Tiefen der Erde hinab, und über den Schatzsuchern bricht der nüchterne Morgen höhnend an. Das Bewußtsein vernichtet. Der Buchstabe tödtet den Geist. –

Hier empfängst Du, Esperance, die erste der Beilagen zu meinem Briefe, mit denen ich Dir gedroht habe. Nimm sie als ein schmetterndes Trompeterstückchen meines neu erwachten Dichtermuthes hin, der Dir darin seine ganze Zuversicht vorblasen will. Du wirst den vorläufigen Umfang meiner Scala daran erprüfen!


Weltschöpferdrang an Kartenhäusern.

(Phantasie vom Apfelbaum herunter.)

Hurrah! hurrah! ein Bildnerdrang ist durch des Menschen Brust ausgeströmt, ein Titan! In seinen Fingerspitzen zittern ihm ungeborene Welten, die geformt sein wollen, auf seiner Augenwimper ruhen schlummernde Schöpfungen, die nach Erwachen sich sehnen. Der Mensch kann nicht anders, er muß schaffen. Jede Biene, die aus des Nachbars Garten zu ihm hinübersummt, erinnert ihn daran, jedes Kind zeigt ihm in den ersten Spielen diesen ursprünglichsten Trieb seiner Natur. Das Kind baut schon Kartenhäuser, denn der Mensch soll Welten baun.

Wie habe ich mich gefreut, wenn auch nur ein Kartenhaus mir gelang! Es stand, es stand, und war die erste Gewähr der bildenden Macht, die durch meine Finger quoll. Ich konnte jubeln, wenn ein Luftzug meine Häuser umstürzte, oder ich blies sie wohl selbst nieder, um von Neuem desto schöner aufzubauen, denn da zeigt sich erst höchste Kraft des Schöpfers, aus der Zerstörung immer neue Welten erstehn zu lassen. Die Mutter lächelte, und ahnete nicht, was für ein Genie in ihrem Erzeugten steckte. Die gute, gute Mutter! Nun wird sie es auch nie erfahren. Als ich später statt der Kartenhäuser an Luftschlössern zu bauen anfing, hat sie mich oft genug gewarnt, meiner allzu träumerischen Natur nicht nachzugeben, sondern auf etwas Reelles, das in der Welt gilt, mich zu verlegen. Die gute, gute Mutter! Sie wird nun nie erfahren, daß ein träumerischer Sohn, der so hübsch Kartenhäuser und Luftschlösser bauen konnte, nicht nur Etwas, das in der Welt gilt, sondern sogar auch eine eigene Welt zu erschaffen vermag. In Summa Summarum, daß er ein Genie ist. O Mutter!

Bewahre aber der Himmel den träumerischen Sohn vor Hochmuth! Doch nein, der Sohn weiß nur zu gut, was es für den Menschen heißt, Welten zu schaffen. Er hat von jeher seine besonderen demüthigen Gedanken darüber gehabt. Die Spinne, die neulich ihr schönes kunstgeregeltes Netz über mein Fenster hinspann, hat es gehört, wie sehr ich über die Vergänglichkeit der Kunst wehklagte, als meine gefühllose Wirthin sie mitsammt ihrer selbstgeschaffenen Welt wegfegte.

Sich selbst hervorzubringen: höher
kommt kein Mensch.

Mit den Träumen von einer universalen Wirksamkeit der Kunst ist es eine höchst gefährliche Sache. Unsere Deutschen Literaturtitanen des achtzehnten Jahrhunderts haben beständig an diesem Gedanken gekrankt, und hätten lieber zugegeben, daß der Himmel einstürze, als daß der heiligen Bedeutsamkeit ihrer Bücher auch nur ein Haar gekrümmt werde. Jeder Vers war für das Universum gedichtet, jede Zeile in die ewige Weltaxe eingegraben. Es ist, sage ich, gefährlich und abermals gefährlich. Man geräth da mit dem lieben Gott in's Handgemenge, wenn man ihm die Kunst als Weltschöpferin zu nahe an seinen Thron schiebt. Sich selbst hervorzubringen: darauf läuft doch am Ende alle Production, auch des Genies, nur hinaus, und indem dies das Streben wahrhaft menschlicher Bildung ist, ist es zugleich die Gränze der Kunst. In dieser Gränze liegt aber ein Trost, in ihr liegt Ruhe und Versöhnung gegen alle Anfechtungen einer der Kunst gleichgültig gesinnten Zeit. Der Genius muß dennoch schaffen, und sollte auch in der ganzen weiten Welt Niemand da sein, der ihn verstände, sollte auch kein einziger seiner Töne einem liebenden Anklang in der allgemeinen Stimmung begegnen; er muß schaffen, denn er muß sich selbst hervorbringen. So wird er zum Märtyrer der Aufgabe, die ihm gestellt ist, aber er ist dessen freudig in seinem Geist, er kann nicht anders. Er muß alle die Welten- und Menschenkeime, die in ihn gestreut sind, aus sich herausbilden und in die Erscheinung treten lassen; er muß ganze Städte bauen, ganze Geschlechter erzeugen, Lebensrichtungen ausfechten, Haß und Liebe in Flammen setzen, Leidenschaft und Tod deuten. Davon lebt und stirbt er. Dann hat er Ruhe vor sich selbst.

Ich glaube an keine ewige Dauer des Kunstwerkes. Es ist auf die Woge seiner Zeit geschrieben, es ist den Stürmen der Geschichte und der Umwälzung der Gesinnungen unterworfen. Es ist ein wandelbares Gut des Geschlechts. Nur einmal hat es in seiner schönsten Bedeutung Klang, Farbe und Leben gehabt; einmal kommt seine Stunde, wo es Klang, Farbe und Leben verlieren muß. Ich rede nicht blos von den Kunstwerken, die schon durch ihr Material dem Schicksal einer endlichen Auflösung verfallen sind. Vor der restaurirten Sixtinischen Madonna in Dresden standen mir große Thränen der Wehmuth im beschauenden Auge, und es war ein wahres Glück, daß der Hofrath Hase, mit dem ich darüber sprach, mich meiner Kunstignoranz wegen auswitzelte, weil ich mit der Restauration nicht zufrieden sein wollte, dies brachte mich durch Aerger wieder auf die Beine, sonst wär' ich vor all den geputzten Leuten in ein lautes Weinen ausgebrochen. Als ich dies Bild gesehn, wollte mich nachher fast ein kleiner Stolz beschleichen über die größere Wandellosigkeit der Poesie. Ich dachte an Homer, an Sophokles, ich dachte daran, wie sehr der Oedipus auf Kolonos Esperancens Herz gerührt, als ich ihn ihr damals vorgelesen. Aber sind denn diese Gedichte eigentlich noch etwas Anderes, als bloße historische Monumente? Als solche stehen sie, der Bewunderung und Theilnahme werth, vor uns da, aber sie können keine wahre Kunstwirkung im höchsten Grade mehr auf uns ausüben. Es spricht ein Gott aus ihnen, dessen Altare zertrümmert liegen, es wandelt der abgeschiedene Geist eines fremden Geschlechts durch sie hin. Wir haben keine Blutsverwandtschaft mit ihnen, und man muß Blutsverwandtschaft haben mit einem Kunstwerk, das sich ganz unserer bemächtigen soll. Es ist nicht Fleisch von unserm Fleisch, nicht Geist von unserm Geist. Wir haben keine Illusion an ihnen, sie sind uns Studien geworden und Denkmäler, aber unser innerstes Kunstbedürfniß füllen sie nicht aus. Sie sind als Kunst vergangen. Gestürzte Götterbilder.

Ha, ich freue mich, daß das Kunstwerk nur seiner Zeit angehört, nur für Menschen lebt, die sind, wie ich; an dieselbe Gränze und Bedingung gefesselt. Das gibt mir fröhlichen zuversichtlichen Muth, etwas zu schaffen. Es ist gar zu schwer und fast schaurig, dichten zu sollen für eine ganze Ewigkeit. Ich abstrahire bei meinen Büchern, die ich schreiben werde, von der Nachwelt; ich verlange nicht einmal Gottes Lohn dafür. Denn soll mich der liebe Gott noch dafür belohnen, daß ich mich hienieden schönstens damit amüsirt habe, Bücher zu schreiben und drucken zu lassen? So viel Ansprüche mache ich nicht. Ich will blos meiner Mitwelt ins Auge sehen, wenn ich schreibe. Die Heroen unserer Literatur im vorigen Jahrhundert glaubten dem lieben Gott einen Gefallen damit zu thun, daß sie sich herabließen, für die von ihm geschaffene Welt etwas zu dichten. Dies ist vorbei. Goethe war ein schöner Statthalter Gottes auf Erden, aber das Papstthum in der Literatur ist vorbei. Der heutigen Schriftsteller-Generation muß es das höchste Ziel sein, Pfeile des Geistes in ihre Zeit hinauszuschicken, um das Volk der Deutschen aufzuregen und aufzuschütteln. Eines Buches Geist muß in das Volk übergehen, und dann als Buch aufgehört haben zu leben. Es muß wirken und in der Wirkung seinen Geist ausathmen. Die Bücherleiche wird in den Literarhistorien feierlich begraben.

Ich freue mich, ich freue mich! Einem Vogel kann sein Herz nicht leichter sein, als mir, da ich nun meine Gränzen überschaue, innerhalb deren ich arbeiten will, die Gränzen der Zeit. Es bleibt Alles in der Familie, was ich schreiben werde, es ist aus der Zeit. Heisa, ich will das Nächste ergreifen, und das Weiteste daran knüpfen! Da sagen sie freilich, die Zeit sei dem Dichten nicht günstig, und allerdings wäre es eine eigenthümliche Betrachtung, das Verhältniß zwischen Politik und Kunst einmal zu beleuchten. Ich stecke indeß schon zu tief im Wirrwarr darin, um mich in diesem Augenblick ernstlich auf Auseinandersetzung dieser Frage einzulassen. Soviel weiß ich, daß die Kunst nicht nöthig hat, durch die Politik unterzugehen, da die Kunst ein zu nothwendiges National-Element der Völker ist. Ich hasse jetzt im Augenblick – ich weiß nicht, rührt es noch von meinen absolutistischen Anfällen her? – das Wort Politik, sonst möchte ich fast sagen, daß die Kunst sich durch die Politik eher neu beleben, als untergraben könne. Aber ich will mich, wie angegeben, nicht verwickeln, denn mir hängt der Himmel so voll von Geigen, daß mir der Kopf schwindelt, und ich selbst nicht mehr weiß, wo ich in Widersprüche hineingerathe, und ob ich meiner Richtung treu bleibe, oder ob ich noch eine Richtung habe? Lirumlarum, es geht mich nichts an! Was schaden Widersprüche, wenn nur dabei immer der Himmel voll Geigen hängt! Widersprüche sind die Ringe in der Kette jeder Entwicklung. Es rasselt doch, und wo es rasselt, da ist Leben. Und daß die Kunst sich vor der Politik nicht zu fürchten hat, sieht man bei den Deutschen, bei denen sie sich leider bisher in einem nur zu feindlichen Gegensatz zu derselben zu erhalten vermocht. Der überwiegende Kunst- und Wissenschafts-Sinn hat bei diesem Volk den politischen Sinn unterdrückt, statt sich unterdrücken zu lassen. Dies merkwürdige Volk hat sich lange um die sein eigenstes Herzblut berührenden politischen Dinge wenig bekümmert, und sie lieber geopfert, um in Ruhe gewisse wissenschaftlich-systematische Ideen hervorzubilden, Dramen voll Griechischer Einfachheit und Romane für ein liebendes Deutsches Herz zu schreiben, die antike Metrik in die Deutsche Poesie einzuführen, und einen Hexameter mit einer Vorschlagsylbe zu erfinden. Wird sich sein ideeller Sinn jetzt endlich einmal mit seinem politischen versöhnen und zu einem Nationalgleichgewicht durchdringen? Das ist, worauf die Patrioten jetzt lediglich hinarbeiten sollten. Das ist es, was ich will! Was geht mich mein Absolutismus von neulich an? Was habe ich nach dem fabelhaften Herrn von Zodiacus zu fragen, der durch seinen langen Aufenthalt bei uns eine specielle Malice auf dies Kleinweltwinkel an den Tag zu legen scheint? Ich weiß längst, daß es nicht geheuer mit ihm ist. Und auf meinen Absolutismus habe ich nie einen sonderlichen Werth gelegt. Ich ignorire ihn vorläufig an mir. Ich will jetzt nichts, und weiter gar nichts, als den ideellen Sinn der Deutschen mit Interessen der Zeit und Oeffentlichkeit befruchten. Darum will ich dichten und Bücher schreiben!

Es ist ein herrliches Loos, Schriftsteller zu sein! Im Leben haben sie mich oft für einen verschlossenen Gesellen gehalten, weil ich mich für zu unbedeutend achte, um von mir selbst viel Redens zu machen, und eine gewisse gesellige Frechheit der Mündlichkeit mir abgeht. Auf dem Papier bin ich aber nie verschlossen gewesen, da habe ich mich oft ausgeströmt und jede Quellader an mir fließen lassen, daß Gutes und Böses in mir Jedem deutlich werden konnte. Wie will ich nun erst als Schriftsteller Alles heraussagen nach Herzenslust, daß nichts in mir bleiben soll! Diese werden mich mehr lieben, und jene werden mich hassen, wenn ich einmal alle meine Gedanken geltend gemacht haben werde. Ich freue mich brennend auf Liebe und Haß, ich kann lieben und hassen, und in beiden eine Poesie mir herausschmecken. Ich werde einmal etwas schreiben, das mir Haß erregen soll! Die Deutschen Schriftsteller müssen sich jetzt erst verhaßt machen, um wahrhaft liebenswürdig zu sein. Sie müssen ihrer Nation, indem sie ihr Alles ins Gesicht sagen, ein Gräuel werden, um entschieden wirken zu können. Der Deutsche ist nur durch seine Schriftsteller zu retten. Wohlan also, es lebe die Oeffentlichkeit des Worts!

Nicht schwer wird es mir, mich zu entscheiden, in welcher Form ich dichten soll! Es sind mir vor einiger Zeit eigene Gedanken durch den Kopf gegangen, über den Beruf einer Kunstform: das Höchste darzustellen. Dies ist eine sehr wichtige Frage, über die ich eine gründliche Erörterung anstellen würde, wenn nicht meine ganze Aesthetik von jeher in den bekannten Worten Voltaire's enthalten gewesen wäre: » que tous les genres sont bons hors le genre ennuyeux.« Auch ist es fast unmöglich, zu entscheiden, welches denn eigentlich das Höchste in der Kunst sei, wenn man darüber untersuchen will, welche Kunstform dazu berufen, dies Höchste zur Darstellung zu bringen. Ich für mein Theil wende daher die Frage wieder auf das Zeitgemäße hin, und frage, welche poetische Kunstform am meisten in der Richtung der Zeit begründet liege? Es ist die Novelle. Das Drama ist einer kunstgerechteren Form fähig, es ist vielleicht der schönste Gipfel eines künstlerisch gefügten Organismus, der Triumph einer vollendeten Architektonik der Poesie. Aber darauf kommt es in diesem Augenblick nicht an, es kommt auf die Lebensperspectiven an, welche die Poesie vor den Augen der Zeit aufthun soll. Und dafür ist die Novelle biegsamer, weil sie unbegrenzter ist, und mit einer großen Keckheit der Darstellung in alle Gebiete des innern und äußern Lebens übergreifen kann. Das Drama ist zu feierlich gemessen, zu thatenmuthig und unmittelbar heraustretend für den heutigen Tag; man muß die Deutschen mit der Novelle fangen. Die Novelle nistet sich noch am meisten in Stuben und Familien ein, sitzt mit zu Tische und belauscht das Abendgespräch, und man kann da dem Herrn Papa zur guten Stunde etwas unter die Nachtmütze schieben oder dem Herrn Sohn bei gemächlicher Pfeife eine Richtung einflüstern, die vielleicht einmal für die ganze Nation Folgen haben mag. Die Novelle ist ein herrliches Aehrenfeld für die politische Allegorie, wozu sie noch viel zu wenig angebaut ist. Man muß große Lebensgebilde erträumen und sie in Novellenform den Deutschen aufs Zimmer schicken. Sie sind zu faul, sich anzuziehn, und selbst hinauszugehn zum Drama; sie können im Drama nur Kotzebue vertragen, der ihnen ihre eigene Deutsche Misere jeden Abend lustig einrührte. Man kann auch auf die Deutschen nicht wirken, wenn sie in Schauspielhäusern sitzen. Sie sind da entweder nur modisch aufgelegt, denn sie fühlen sich im Zusammensein nie als eine Nation, oder es graut sie heimlich untereinander vor der Oeffentlichkeit, in der sie sich da gegenübersehen, und man darf ihnen in diesem Zustande kein erregendes Wort sagen, weil sie es gleich von wegen der offenbaren Oeffentlichkeit als gefahrbringend ansehn. Draußen vor dem Schauspielhause ist auch Gensdarmerie und Polizei aufgestellt, und behüten das Drama. Die Novelle steht sich mit der Polizei besser, und sie flüchtet sich auf die Stube, wo es keine Gensdarmerie gibt. In seiner Stube ist der Deutsche auch ein ganz anderer Mensch, da kann man mit ihm reden. Hier sitzt er still und läßt sich gern für Alles begeistern, er glaubt an die Freiheit, und schwört auf ein höheres Nationalleben. Er sieht ein, wo ihm Unrecht geschieht und Recht widerfahren muß. Er ist ein vorzüglicher Mensch. Er schaut fast so aus, als könnte ihn die Weltgeschichte noch einmal brauchen. Er nimmt sich wirklich wie ein Mann aus, der Augen, Ohren, Mund und Nase hat. In dieser seiner glücklichen Stimmung muß ihn die Novelle zu Hause zu treffen suchen, sie muß sich in diese einschleichen oder sie aufrufen in ihm. Mitten in der Trägheit der Novellenleserei, wo er recht zu faullenzen glaubt, muß sie ihm einen Floh in's Ohr setzen, und muß ihn allmählig durch Gebilde eines glückseeligeren, kräftigeren, hochherzigeren Lebens überraschen, daß er vor Ungeduld und Sehnsucht ganz unbändig wird. So fasse ich die Novelle als Deutsches Hausthier auf, und als solches ist sie mir jetzt die berufenste Kunstform, das Höchste darzustellen. Ich säe und ärnte auf ihrem Acker meine schönsten Hoffnungen.

Auf Künstlergröße verzichte ich gern; ich und die Zeit, wir beide sind zu unruhig dazu. Nicht als ob ich Kunstwerth verachtete, sondern ich achte ihn eben zu hoch, um ihn würdig erreichen zu können. Ein Künstler muß ein Göttersohn der Ruhe sein. Die Sonne darf ihm nicht untergehn, und über seinem Schaffen leuchtet der ewige Friede. Durch die kleinsten Theile seines Gebildes waltet dieselbe Liebe, welche die größten verherrlicht. Es gehört eine erhabene Sinnesart dazu. Wer kann sich aber jetzt in die Künstlerwerkstätte zurückziehn, und in deren geweihter Stille ruhig die Jahre hinbringen, während sich draußen unterdeß eine ganze Welt umwälzen kann. Da muß man lieber aufpassen und Schildwach stehen, um ins Gewehr treten zu können, wenn ein großes Ereigniß vorbeipassirt, oder die Zeit ruft: heraus! Alle Dichtungen werden daher heut an einer gewissen Zeitunruhe leiden, wodurch ihnen ihr heiliger Kunstfriede gebrochen wird. Vor allen auch die meinigen. Sie werden aussehn wie ein Mensch, der auf einem Baierischen Postwagen von schönen Gedanken an seine Liebe überrascht wird. Er kann diese Liebesgedanken unmöglich alle rein ausdenken, während ihm der vermaledeite stößige Wagen dabei die Rippen entzweibricht.

Der größte aller Künstler ist doch Gott! Er hat den Frieden dazu, mitten durch die Unruhe seines Weltgedichtes ewige Kunstgesetze der Ruhe innerlich hinzuleiten. In Gottes Geist ist alle Unruhe schon von ewig her als Ruhe und Ordnung ausgeglichen gesetzt. Es ist die höchste Leistung künstlerischer Ausgleichung. Ich habe längst Gott am meisten als den Künstler angebetet. Dies ist meine Religion zu ihm, ich habe keine andere. Dies ist meine Metaphysik, durch die ich ihn erkenne und fasse, ich fasse ihn nicht anders. Als Weltkünstler, wie er die Lebensloose der Menschen und Völker gruppirt, erkenne ich ihn, und dies Erkennen ist meine Andacht. Eine bewundernswürdige Kunstsymmetrie geht durch das Universum, vor der ich staunend mich neige. Die Frommen werden mich und meine Kunstreligion verdammen, aber ich mag auch, bei meiner Seele, nicht in ihren Himmel kommen. Die Weltschöpfung ist mir ein Kunstwerk; so kann man in der Geschichte Aesthetik studiren. Und weil Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen, hat er in diesen kleinen Gott auch jenen großen Weltschöpferdrang gelegt, ihm zu Lust und Qual. Darum ist auch der Mensch ein Stück Künstler, weil sein Gott der unendliche Künstlergeist selber ist. Auch der Mensch muß Welten bauen! –

Und nun, du gute Mutter, auf deren Schooß ich die ersten Kartenhäuser baute, Deine Warnungen sollen doch nicht in den Wind geschlagen sein! Wenn ich einst weder Kartenhäuser, noch Luftschlösser, noch Welten mehr werde bauen können, dann will ich mich, wie Du gewünscht, auf etwas Reelles, das in der Welt gilt, legen. Es ist für einen träumerischen Sohn immer noch Zeit, vernünftig zu werden. Laß mich nur noch bauen, laß mich bauen! Ich muß bauen. Trara! Trara! – –

*

– So weit vom Apfelbaum herunter, liebe Esperance! Was sagst Du dazu? O Mädchen, ich muß wirklich etwas bauen! Ich werde Dir ein Buch schreiben, eine Novelle. Den herrlichsten Plan habe ich bereits in mir entworfen, zurechtgelegt; er wird reifen, und, sobald günstige Geburtsstunden eintreten, wird die Ausführung dazukommen und fleißig Hand anlegen. Bin ich Dir so recht? Und zwar ist es eine historisch-komische Novelle aus der Gegenwart. Ja, mein Kind, ich denke damit zugleich ein neues Genre aufzubringen, und habe einen ganzen Cyklus solcher Novellen im Sinne. Historisch-romantische Sachen gibt es genug in der Literatur; mir ist das Zeug bis in den Tod verhaßt. Die Geschichte muß sich darin in eine bunte Hannswurstjacke stecken lassen, und große Charaktere der Menschheit werden für die fade Leseliebelei appetitlich zugeschnitten. Sie würden auch sonst in ihrem natürlichen Gewicht diese ganze seichte Romantik in Grund und Boden drücken. Man sollte es statt des historischen das hysterisch-romantische Genre nennen. Ich will jetzt das Historisch-komische in der Novelle anbauen. Ich habe mich schon langst gewundert, daß man Humor und Satire noch so wenig auf dem Felde der Geschichte hat spielen lassen. Jede Zeit ist an sich selbst schon eine Satire, jede Geschichtsperiode erzeugt ihre nothwendigen humoristischen Gestalten, sowohl im öffentlichen als im Privatleben. Diese muß man auffangen, und man zieht ein schweres, vollgefülltes, blitzendes Netz davon heraus, womit sich hundert Novellen bevölkern lassen. Das Leben verarmt nie an Novellenstoff, Man muß ihn nur zu erlauschen wissen. Eine bewegte Zeit bewegt und färbt Alles, selbst den verborgensten Sorgenwinkel des Familienstübchens, neu. Seht doch zu, wie im Kleinen das Große nachwirkt, und stellt diesen Scherz der Geschichte dar! Seht doch zu, wie aus den großen Begebenheiten oft die helle Ironie lachend herausbricht, und fangt dies Lachen der Zeit auf, ihr braucht nur den Hut unterzuhalten, und ihr habt ein Gedicht, wie es noch nie dagewesen. So will ich historisch-comische Novellen schreiben. Sie sollen wie kleine Bienen über die Zeit ausfliegen, jede mit einem Stachel versehen. Sie sollen für drei Pfennige unter dem Volk herumgetragen werden, die neueste und wohlfeilste Volks-Literatur. Der Landmann an seinen Feiertagen, der Städter in seinen Musestunden, soll sie lesen, und jeder soll lachen, daß er ein Deutscher ist. Die Komik ächt Deutscher Zustände, an bestimmten Figuren und Lebensverhältnissen festgehalten, wird selbst die alte Mama an der Krücke noch bis zu Thränen lachen machen.

Dein Beifall, kritische Freundin, fehlt noch blos diesem Unternehmen. Er wird es aufmuntern, begränzen, richtig leiten. Wie sehr wünsche ich nicht, ein Buch zu schreiben, das Dir ganz und gar gefiele! Ich möchte mein schönstes Buch schreiben, und es Dir für einen Kuß hingeben. Mit diesem Kuß, wenn ich ihn gewiß erhielte, wollte ich alle meine Poesie Dir als Gruß in die Seele hauchen, und nach diesem einen, göttlichen, unbeschreiblichen Kuß dann nichts mehr dichten. Einmal muß ich doch einen Kuß von Dir haben, und sollten auch Himmel und Erde darüber zu Grunde gehn, – denn einmal werde ich doch mein schönstes Buch schreiben! Nun, wir wollen sehn, ob diesen Wonnemond meine Lippen erleben werden. Meine Feder taucht sich in Tinte, um Honig für meine Lippen daraus zu bereiten. Dann, dann, wann dies Buch geschrieben ist, wundere Dich nicht, wenn Dir unversehens ein junger Mensch in die Arme stürzt!

Mittlerweile muß ich mich noch in Kleinweltwinkel so zu behelfen suchen. Drei Meilen von hier, in einem Marktstädtchen, ist eine Leihbibliothek, aus der ich mir jetzt Bücher kommen lasse, was da ist. Ich lese alle geliebten und nicht geliebten Schriftsteller wieder, und habe die Erfahrung gemacht, daß man gewisse einflußreiche Bücher in bedeutenden eigenen Lebensumwandelungen immer von Neuem lesen müsse; man liest sie dann wirklich neu, und man versteht oft erst in spätern Jahren an einem Buche das heraus, was man in früheren mißkannt oder abgewiesen hatte. An Vielen Schriftsteller-n freue ich mich jetzt ganz außerordentlich, und kann mich gar nicht mehr von ihnen trennen. Nur Goethe habe ich noch nicht wieder vorgenommen. Goethe hat in der letzten Zeit zu meinen stärksten Antipathieen gehört, und ich fürchte mich, von seinem poetischen Egoismus angesteckt zu werden, da derselbe durch die sententiöse Lebensweisheit, in die er sich hüllt, so verführerisch ist. Doch kann ich mich ordentlich nach der Zeit sehnen, wo ich Goethe in seiner herrlichsten, unvergänglichen Wesenheit anzuerkennen im Stande sein werde. Dann will ich, nach vielen Jahren, eine ausführliche Kritik über seine Werke schreiben. Der Gegenwart, der jungen strebenden Dichter-Generation, ist Goethe gefährlich. Auch vor Jean Paul hüte ich mich; eine alte Krankheit und Krankheitsseeligkeit der Gefühle kommt mir bei ihm wieder herauf. Steffens steht mir immer noch als eine große Erscheinung da, aber doch habe ich jetzt etwas gegen ihn. Ich muß einmal heftig gegen ihn polemisiren, um ihn wieder ganz liebgewinnen zu können. Am meisten habe ich in diesen Tagen-im Shakespeare gelesen. Erst jetzt verstehe ich diesen Riesengeist, was er ist und für die Poesie bedeutet. Er spricht: es werde! und es steht schon da, Wort und That sind in seiner Poesie eins, Reflexion und Leben liegen nicht auseinander, und die Macht der unmittelbaren Gestalt tritt im Triumph der Wirklichkeit auf. Seine urkräftige Frische dringt stärkend durch meine Nerven, seine stählerne Mannhaftigkeit schärft mir den Lebensmuth, und ich lasse meine ganze Natur in seinem rauschenden Weltmeerstrom sich baden. Mein Herz wird weltfrei bei ihm. Auch bin ich auf den Gedanken gekommen, ihm von seiner Alles übersteigenden Kunst der Darstellung einige Vortheile für die Novelle abzusehn. Gewisse Anlagen und Gliederungen seiner dramatischen Form ließen sich ohne Zweifel mit Glück auf die Novelle anwenden, und würden ihr Gebiet bereichern und befestigen. Bei Tieck glaube ich mitunter es durchzusehen, daß auch er in seinen Novellen schon davon Gebrauch gemacht hat. Auch von Tieck lese und lerne ich jetzt viel.

Sonst habe ich mich auch einer ganz bunt und wild durch einander gemischten Leserei hingegeben, die viel Reiz und Behagen für mich hat. Was der Leihbibliothekar schickt, liegt Alles zutraulich um mich her versammelt, Reisebeschreibungen, alte Romane, Schauspiele aus der Schweinslederbandzeit her, Gedichte eines Preußischen Grenadiers und Nikolai's Fortsetzung von Werthers Leiden, des Dichter Schubart's Selbstbiographie und Swift's Märchen von der Tonne, die Contemporaines von Retif de la Bretonne, und ein Band der Aarauer Stunden der Andacht. Durch Alles wühle ich mich mit Lust hindurch, und komme mir bei diesem Geschäft vor, wie ein Beduine, der lebensfroh und selbstzufrieden durch seine Wüste hinwandert. Wie ihm, ist mir wohl in dieser Abgeschiedenheit von der civilisirten Welt, in welche mich dies wilde Bücherleben versetzt, und ich fühle mich ordentlich naturfrisch dabei. Der Umgang mit Büchern hat mir von jeher viel Trost gewährt, und ich kann mich mit allen meinen Leiden und Freuden völlig in ihn verlieren. Wie Du Dich früher oft über mich gewundert hast, daß ich mit den gewöhnlichsten Leuten, die gar nichts Geistiges mit mir theilen, gern umgehen kann, so kann ich mir auch mit Büchern aller Art freudig zu schaffen machen. Ich gehe wie mit Menschen mit ihnen um, sehe sie als Gäste in meiner stillen Klause an, trinke in gemüthlicher Stunde Brüderschaft mit ihnen und wir sprechen zusammen ein vertrauliches Wort über Handel und Wandel der Welt da draußen. Bei guten bedeutenden Büchern glaube ich sogar an eine gewisse Seelenfreundschaft, die sich zwischen mir und ihnen entspinnt, und ein dauerndes Band um uns flicht. Diese Bücherfreundschaft ist dornenloser, als das, was man gewöhnlich im Leben Freundschaft nennt. Wem die Freundschaft mit Menschen tiefe Wunden geschlagen, wem aus innigstem Freundesumgang giftige Nesseln hervorgewachsen sind, wem sich aus Bruderliebe hartnäckige Verfeindung über ein ganzes Leben hingesponnen hat, wer seine Feinde schwach, kleinlich, engherzig hat werden sehn, der fliehe der sorgenlosen, dornenlosen Bücherfreundschaft zu! in den Umgang mit Büchern verloren, vergißt man die Menschen, und gewinnt sie doch zugleich von der andern Seite her wieder lieb. Bücher sind die treuesten, uneigennützigsten Freunde, sie bleiben Nächte lang bei uns, wenn wir nicht schlafen können, sie haben keine Launen, mit denen sie uns martern, und füllen in der anspruchslosesten Unterhaltung unsere Tage und Stunden aus. Und Sonntags, wann alle Leute geputzt und übermüthig spazieren gehen, bleiben sie bei dem armen stillen scheuen Klausner, der sich nicht mehr unter die frohen Gesichter hinauswagt, zu Hause, und erheitern ihn, daß er sich ganz glücklich dünkt. Ich kann mich rühmen, daß ich in der Bücherfreundschaft schon eben so viele gute Erfahrungen gemacht habe, als in der Freundschaft mit Menschen schlimme. Dennoch aber kann es auch schlimme Erfahrungen in der Freundschaft der Bücher geben. Der alte ewige Gegensatz zwischen Haß und Liebe, von dem menschliche Herzen immer bewegt werden, stellt sich ihnen auch bei den Büchern ein. Wo man am höchsten geliebt hat, kann man auch gerade am höchsten hassen, und diese beiden Flammen berühren sich, wie alle Extreme, denn gleichgültig werden kann man einem bedeutsamen Gegenstande nie. Darum ist in dem höchsten wahren Haß, der immer etwas Poetisches hat, noch ein heimlicher Seufzer der Liebe versteckt. Auch gewisse Bücher, die ich geliebt habe, muß ich in diesem Augenblick hassen. Ich sprach Dir vorhin von Goethe. Es war eine große Freundschaft zwischen Goethe und der Deutschen Nation, durch die sich Jeder geistig erhoben fühlen mußte. Jetzt ist eine offenbare Spannung zwischen beiden eingetreten. Ich bin nicht Schuld daran, ich empfinde diese Spannung nur blos lebhaft in mir nach. Es ist überhaupt kein Einzelner Schuld daran, auch Wolfgang Menzel, der große Goethomastix, nicht. Die Zeit will nur weiter, und um etwas Neues zu erreichen, kann und darf sie selbst ungerecht sein. Ich weiß, Esperance, daß Du meine Ansichten über Goethe desavouiren, und mich selbst deshalb in Gedanken finster ansehen wirst. Vergieb, vergieb uns unsere Schuld! Meine Ansichten über Goethe sind unangenehm, aber unwiderleglich. Sie sind ein besonders den Frauen unangenehmes Factum der Geschichte selbst. –

Flitzbogen ist zurück, und hat mir keinen Brief von Dir mitgebracht. Esperance! Esperance! habe ich das um Dich verdient? Es scheint, Du läßt mich jetzt reden und immer reden, und denkst Dir im Stillen Dein Theil dabei. Er sagt, Du habest ihm meinen Brief durch das Dienstmädchen abnehmen lassen, weil Du gerade Schulstunden gehabt. Nun, ich glaube Dir wohl, daß Du nicht Zeit hast, Dich mit stelzbeinigen liberalen Candidaten abzugeben, oder an wirrwarrige Salzschreiber Briefe zu schreiben. Ich sage Dir nur so viel, Mädchen, daß Du Dich jetzt nicht mehr vor meinem Absolutismus zu fürchten brauchst, wenn Du etwa an mich schreiben willst. Auch diesen Absolutismus denke ich nun bald wieder absolvirt zu haben. Es sind wunderbare Zeilen, und man muß seinen Kopf in Alles stecken. Vielleicht bleibt dann doch wenigstens etwas in ihm stecken. Wenn nur meine historisch-komischen Novellen gedeihen! Weiter wünsche ich fürerst gar nichts von mir. Auch soll es mich durchaus nicht ärgern, wenn mir Einer nachsagt, daß ich in diesem Augenblick aller bestimmten politischen Farbe und Richtung entbehre. Ich mache mir nichts daraus. Sela! Sela!

Flitzbogen hat sich übrigens einen äußerst schön gedrechselten Stelzfuß aus der Residenz mitgebracht, der für ein wahres Kunstwerk gelten kann. Er tummelt sich für einen jungen Zeitinvaliden getröstet und lustig genug darauf herum. Um die Hand der kleinen Abschreiberin hat er nun förmlich angehalten und ich bin bei der Verlobung zugegen gewesen. Diese Scene, wünsche ich, hättest Du mit ansehn können, und ich weiß selbst nicht, ob ich dadurch mehr gerührt oder erheitert worden bin. Ich will versuchen, Dir eine, freilich schwach entworfene, Schilderung davon herzusetzen.

Marie saß vor ihrem Schreibtische und hatte die Feder eben weggelegt. Die blauen Augen waren schamhaft auf die großen Conceptpapierbogen niedergeschlagen, die das arme Kind mit ihren feinen Fingern beschreiben mußte. Ihr gegenüber an der andern Seite des Tisches saß Flitzbogen, und hielt sein künstliches Bein, ich weiß nicht warum, einigermaßen unter dem Stuhl versteckt. Er mochte vor dem lieben Mädchen noch nicht recht das Herz haben, in der Stube darauf herumzustolziren, sondern er wollte ihr noch sein Bild in möglichster Rundung und Vollkommenheit zeigen. Im Hintergrunde der kleinen Stube kauerte sich die alte halbblinde Muhme in einem Lehnsessel zusammen, und hatte vor Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, den Faden ihres Spinnrockens aus der Hand gleiten lassen. Ich stand mit dem Rücken an das Fenster gelehnt, und sah bald die Kleine an, bald dachte ich an glückliche Zeiten. Die polternden Gewichte der Wanduhr durchtönten die stille Gruppe.

Candidat Flitzbogen schien noch immer in einiger Verlegenheit, dem schweigsamen Gespräch besser die Zunge zu lösen. Er hatte des Copisten Mundus Töchterlein bei der Hand ergriffen.

Kennen Sie einen gewissen Cid? fragte er sie endlich, in seiner launigen Weise, die diesmal viel Gutmüthiges hatte.

Sie schüttelte seufzend das Köpfchen.

Den Cid Campeador? meine ich – fuhr er mit nachdrücklicher Betonung fort.

Marie schüttelte wieder, und hob, halb lächelnd, die Augen zu ihm empor. Dann senkte sie die hübschen Blicke schnell wieder.

Es ist Schade, sagte er, ihre Hand loslassend, daß Sie Don Rodrigo, den Cid, nicht kennen.

In der Schule ist uns nichts davon gelehrt worden, sagte sie schüchtern. Kommt der Cid in der Naturgeschichte vor?

Ach nein, erwiederte er ernsthaft, es ist der Cid, welcher den Don Gormaz schlug!

Also ein Mörder? fragte sie verwundert. Dann schien es, als besänne sie sich, und als thue es ihr leid, daß sie dies Wort ausgesprochen.

Der Candidat Flitzbogen war ebenfalls bei diesem raschen Wort erblaßt, erholte sich jedoch bald wieder.

Kein Mörder! sagte er feierlich. Der Cid Campeador erschlug den Don Gormaz in einem redlichen Zweikampf, nach alter Rittersitte damaliger Zeit.

Sie schwieg nachdenkend.

Der Cid liebte lange Donna Ximena, fuhr Flitzbogen mit sanfter werdender Stimme fort. Donna Ximena war die Tochter des Don Gormaz, welchen der Cid schlug. Der arme Cid!

Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, und weinte still.

Und Donna Ximena fluchte dem Mörder ihres Vaters nicht, sagte er leise.

Marie blickte ihn durch Thränen an, es lag ein verstohlener Gruß in diesen Thränenblicken. Sie glich ganz und gar einer im feuchten Thau aufbrechenden Rosenknospe.

Donna Ximena liebte den Cid und wurde seine Gattin, setzte er hinzu. Sie lebten lange glücklich zusammen. Der Geist des Vaters segnete versöhnt ihren Bund.

Sie zog ihr Schnupftuch hervor, und trocknete sich die Thränen, die dem Andenken ihres Vaters geflossen waren, von Augen und Wangen. Sie sah ihn gutmüthig an.

Marie! sagte er darauf mit gefaßter männlicher Stimme, wir wollen uns nicht durch trübe Rückerinnerungen erweichen. Das Geschehene ist einmal nicht ungeschehen zu machen. Lassen Sie uns an unsere hellere Zukunft denken. Ich, ich bin der Cid!

Sie lächelte, ein jungfräulicher Sonnenschein begann auf ihren Wangen aufzusteigen.

Der gute Don Gormaz war Copist Mundus, fuhr er, wieder mit leiserer Stimme, fort.

Sie nickte, wieder ernsthaft werdend. Den jungen Purpur der Liebe färbte ein Nachschatten der Wehmuth.

Werden Sie wie Donna Ximena handeln? fragte er nun mit herausbrechender Stärke des Wunsches.

Marie blickte verlegen auf das große Conceptbogen-Papier hin, das vor ihr lag. Sie konnte ihm nichts sagen.

Sein Sie Donna Ximena! fuhr er bittend fort. Donna Ximena! Donna Maria! Ich habe mir längst gewünscht, einer Donna Maria zu huldigen und zu dienen. Als ich von Hambach zurückkehrte, hatte ich erst den Plan, nach Portugal zu gehn, um für Donna Maria da Gloria zu fechten und Dienste zu nehmen. Wie freue ich mich, hier eine andere Donna Maria kennen gelernt zu haben, der ich meine Dienste in ewiger Treue anbiete. Mit ihr möchte ich glücklich sein, aus der Ferne nur noch für den Liberalismus mich interessirend. Kennen Sie eine gewisse Donna Maria da Gloria?

Sie schüttelte das Köpfchen, wie vorhin, als er sie nach dem Cid gefragt hatte. Es mochte ihr in der Schule auch noch nichts davon gelehrt worden sein, Sie schämte sich fast, daß sie gar nichts wußte. Das liebe kleine Marienwürmchen!

Und soll der Cid glücklich sein? fragte er noch einmal, und reichte ihr seine Hand hin. Da gab sie ihm hocherröthet die ihrige, und er sprang mit Wonneruf auf, und sie stürzten sich beide in die Arme. Lange hielten sie sich umfaßt, und der erste Kuß tönte schöner als eine Nachtigall durch ihre Umarmung hin. Auch die alte Muhme war von ihrem Sessel aufgesprungen, und lauschte, was vorgefallen wäre.

Ich gönnte dem guten Flitzbogen sein Glück. Er gefiel mir, wie er sich heut und seit einiger Zeit benommen. Nun wird es wohl bald eine Hochzeit in Kleinweltwinkel geben. O Esperance, eine Hochzeit! –

Das Allerwunderbarste ist mir übrigens in den vergangenen Tagen mit der Dir mehrmals genannten Olympia begegnet. This is very strange! muß ich, wie Hamlet ausrufen, als dieser seines Vaters Geist gesehen. Ich komme erst am Schluß meines Briefes darauf zu sprechen, weil ich Dir in einer eigenen Darstellung diese ganze Begebenheit, die seltsamste meines Lebens, zu Papiere gebracht habe. Ich schicke sie Dir als Beilage dieses Briefes. Mögest Du zusehen, was Du Dir dabei denken kannst. Mir selbst will zuweilen ganz der Verstand darüber still stehn. Jedenfalls wirft die Sache ein solches Licht auf den Herrn von Zodiacus, daß mein anfängliches Grauen vor demselben nur zu gerechtfertigt erscheint. Es ist eine höchst fabelhafte Geschichte!

Vergiß mein nicht, Du viel zu denken habende Esperance! Mitunter, in kleinmüthigen Stunden, habe ich fast daran gezweifelt, ob ich Dir auch etwas mehr sei, als jeder Andere. Früher, in Deiner Nähe, hatte mich dieser Zweifel oft geängstigt. Es kam daher, weil Du im Umgange gegen die Unbedeutendsten eben so freundlich sein konntest als gegen die Bedeutendsten. Ich sah Dich oft gegen die mir verhaßtesten Menschen Deine ganze, unbeschreiblich gütige Seele herauskehren. Aber Du hattest Recht daran, denn es scheint die Sonne über Gerechte wie über Ungerechte, und was habe ich Dir für Vorschriften zu machen über Deine Freundlichkeit! Ich hielt mich jedoch in solchen Augenblicken auch nicht für besser, als jener Lump, den Du freundlich beschienen, und dies demüthigte mich. Du siehst, ich schimmere oft, mitten im hellsten Glück, wie ein

Trüb-Seeliger.


Die verlorene Tochter.

(Gegenstück zum verlorenen Sohn.)

Es lag die erste träumerische Frühe über den Feldern, die Lerche sang noch nicht. Da sah der Salzschreiber schon zum Fenster hinaus, und hoffte auf einen heitern Tag.

Unten über die Straße her kam eine Maid gegangen, von wunderseltsam schöner Gestalt. So früh schon hat sich die Maid geputzt, sie strahlt in einem seidenen Kleide. Alle schlafen noch rings in der ganzen Gegend, selbst über den Blumen ist die Sonne noch nicht aufgegangen, um ihnen den Farbenschmelz anzuhauchen. Welche große Freuden oder Sorgen haben die Frühwandelnde hinausgetrieben?

Sie hat den Salzschreiber oben am Fenster gesehn, und winkt ihm mit einem unwiderstehlichen Blick der großen traurigen Augen. Dem Salzschreiber ist es durch's Herz gegangen, und er eilt hinunter zu ihr, und sagt der geputzten Maid viele Grüße am frühen Morgen.

Sie seufzt, und spricht leise zu ihm geheimnißvolle Worte. Weit in die dämmernde Ferne, hinter jene Berge hin, zeigt ihre Hand, schweifen ihr die Augen. Dort, dorthin komm mit mir, Freund! flüstert sie heimlich. Die arme Olympia hat Vertrauen zu Dir, Du sollst sie begleiten. Ich weiß den Weg nicht, ich kann mich verirren. Aber hinter jenen Bergen, da steht ein Schloß, ein schönes, herrliches, der Sitz unsres alten Glückes. Dort, meine ich, wohnen die lieben Aeltern mir noch, der erhabene Vater und die hoheitstrahlende Mutter. Beiden bin ich geraubt, eine unglückliche Grafentochter. Ein gefährlicher Mann hat mich mit unentwindbaren Fesseln an sich gekettet. Laß mich sehn, ob das Schloß meiner Ahnen noch steht? Ach, die alten Zauber großer Vergangenheit werden wieder in meinem Herzen rege. Die Märchenwelt des Glückes steigt empor!

Es kennt der Salzschreiber kein Grafenschloß in der ganzen Umgegend, in der der oft Wandernde so vielfach umherschweift. Deine Träume täuschen Dich, armes irres Kind! sagt er. Sagt die schöne irre Maid: komm nur! Mein Traum weist mich in die Ferne, und die ganze Lebensferne ist ein Traum. Traum und Traum umfassen sich, und erzeugen die Wahrheit. Komm nur!

Sie eilt mit hastigen Schritten fort, die feenhafte Gestalt, und zieht den Salzschreiber an der Hand mit sich. Der Seeliger weigert sich nicht. Er weiß längst, daß aus Traum sich Wahrheit erzeugt, und hat sich die Wahrheit nur zu oft in Traum eingewiegt. Er geht gern und eilig mit ihr.

So wandeln die Beiden dahin durch die morgengraue Landschaft. Der Himmel hat seine Nebelschleier noch immer nicht abgestreift, formlose Schatten lagern über den dampfenden Auen, und die ganze Natur bangt dem Licht entgegen. Die pilgernde Maid ist still und schweigsam.

Sie sind durch den Wald gegangen, sie haben Berg und Thal durchschritten, und auf jedem Hügel ist Olympia still gestanden und hat sich ängstlich umgeblickt nach allen Seiten und Fernen. Sie hat nichts erspäht, keine Zinne und kein Schloß, und geht immer seufzend wieder weiter. Das Mädchen kann seufzen, wie wenn ein ganzes Leben zerrisse.

Dem Salzschreiber thut es leid in seiner Seele. Er sieht, wie er immer wilder in öde Gegend mit ihr hineingerathen. Auf angebahnten Waldpfaden hat sie ihn fortgezogen, durch Gesträuch und Busch, und immer an den schauerlichsten Stellen der Wildniß zu finden gehofft, was ihr Herz sie suchen hieß. Da fragt er sie, ob sie die alte Ruine meine, die dort an jenem Abhang liegt? Bei Gott, es war kein Spott, daß der Seeliger sie fragte, ob es die Ruine sei, die sie suche?

Sie blickte ihn ernsthaft an, und blickte nach den Trümmern hin, die von dort herüberragten. Ein ungeheuer schmerzlicher Gedanke schien sie zu überraschen, sie hielt die Hände in still zuckendem Weh über die Augen. Dann sagte sie leise: laß uns hingehn und zusehn!

Sie waren bald zur Stelle gelangt, wo aus grauen Jahrhunderten her der Ueberrest einer alten Schloßruine sich zeigte. Einige bemooste Pfeiler standen noch, ein hoher Bogen kündigte die ehemalige Pforte des Hauses an, durch welche die ritterlichen Altvordern aus- und eingegangen waren zu Lust und Streit. Ja, bei allen Heiligen, das ist die Stelle! rief Olympia mit tiefer Erschütterung aus.

Sie starrte lange sinnend und sinnend auf das, was einst gewesen war, hin. Dann warf sie sich, laut aufschreiend, an den zerbrochenen Pfeiler nieder, und umfaßte ihn, wie ihr letztes Gut, mit einem Ton der Wehklage, der zerreißend in der Einsamkeit wiederhallte. Ihre Thränen flossen in Strömen, sie raufte sich die Locken, und wand sich, ganz aufgelöst in ihren qualvollen Erinnerungen, wie eine Sterbende an der Erde hin. O! O! schluchzte sie – wo seid ihr hin, Vater und Mutter? Eure Tochter sucht euch über den Ruinen, wo euer Haus zerschellt liegt, und nur dieser Schutthaufen ist übrig geblieben von aller Pracht und Herrlichkeit der Vorzeit. Ihr seid ausgewandert, ihr seid todt. Ihr habt die schöne Zeit des Lebens mit euch dahingenommen. Soll euere verwaiste Tochter noch umherirren, tragend das Loos der Erniedrigung, darstellend den Fluch ehemaligen Segens, in einer Welt voll Hohn?

Indem sie so klagte, ging über ihrem Haupt der Tag auf, und heller Morgenschimmer floß auf die Gegend hernieder. Der erste Sonnenstrahl hatte die Schöpfung aufgeweckt, Vogelsang wurde laut, Baum und Feld erglänzten, und fröhliche Landleute zogen vorbei. Die Trauernde richtete sich stumm auf. Der Seeliger konnte sie nicht trösten.

Ein Schäfer stand, und betrachtete neugierig die Gruppe. Die weinende Maid hatte den Mann scharf ins Auge gefaßt, und trat, in ihrer seltsam vertraulichen Weise, schnell zu ihm heran. Erkenne ich Dich? sagte sie. Du warst ein alter Diener dieses verfallenen Schlosses. O sprich, Mann, wo sind mir die theuern Aeltern hingezogen? Lebt der Graf und die Gräfin noch?

Oho, lächelte der Mann, die werdet ihr dort auf dem Felde finden, die haben ein neues Geschäft angefangen, seitdem sie das Schloß verlassen.

Er ging, und sie folgte ihm mit strahlenden Augen der Erwartung. Der Salzschreiber kam kopfschüttelnd hinterdrein.

Auf dem Felde saßen zwei alte Leute, Mann und Frau, mit schneeweißem Haar und bleichen, sorgenvollen Gesichtern. Sie hüteten die Schweine, und verzehrten ihr dürftiges Morgenbrod.

Da stürzte Olympia mit ausgebreiteten Armen schreiend auf sie zu und rief: Ach, ach! ich möchte himmelzersprengende Klagen ausstoßen, und muß mich zugleich doch freuen! Wehe mir, wehe! Sehe ich euch wieder, geliebte Aeltern? Und so sehe ich euch wieder? O, kennt ihr denn euere Tochter noch? Hat das tragische Schicksal, das uns stürzte, uns nun so bitter wieder zusammengeführt? Laßt mich an euerm Busen das riesengroße Leid ausweinen!

Die beiden Alten sahen sie staunend an, und erhoben sich in starrer Verwunderung nicht von ihren Sitzen. Wir kennen Dich nicht! sagten sie drauf, und schickten sich an, ihrem patriarchalischen Geschäft weiter nachzugehen.

Arme Aeltern, ihr kennt mich nicht mehr? weinte die Maid. Haben die betäubenden Schläge der Zeit auch euer Gedächtniß der Vergangenheit erschüttert? Hat der tödtende Blitz unsres Schicksals auch den Sinn der Erinnerung euch gelähmt? Ich bin ja euere Tochter Olympia! Vater, Mutter, so müssen wir uns wiederfinden? Was hat euch hinausgetrieben aus dem Stammsitz unsrer Ahnen, was hat euch ins Elend geschleudert? Aber ich weiß, ich weiß! Mein Verderber war auch euer Verderber. Er ist das Verderben dieser ganzen Zeit! O weh, ich finde nie wieder, was ich zu suchen kam!

Olympia! rief jetzt von fern eine starke Stimme mit drohendem Ton. Olympia! Olympia! Bist Du wieder ungehorsam gewesen? Was trieb Dich, Deinem alten Wahn noch einmal zu folgen, und mir zu entfliehen, was doch vergeblich und ewig umsonst ist!

Die Arme erblaßte, und ein heftiges Zittern schlich sich sichtlich durch alle ihre Glieder hin. Sie blickte sich um. Zodiacus stand vor ihr. Er sah sehr ernsthaft aus, und kam dem Salzschreiber größer, länger und fürchterlicher vor, als jemals.

Thörichtes, stolzes Ding, in dem der alte Hochmuth nicht auszurotten! rief Zodiacus zornig, und ergriff sie bei den schönen flatternden Haaren, und riß ihr das neue Gewand, mit dem sie sich eigenmächtig geschmückt hatte, von den Armen herunter. Ich will Dich schnell wieder in Deine Magdskleider stecken!

Nur einen leise verlorenen Seufzer, der Welten hätte bewegen können, ließ Olympia hören. Dann war sie, wie im Hauch eines Augenblicks, mit ihrem Gebieter verschwunden. Er schien sie, gleich auf Flügeln des Windes, entführt zu haben.

Ein Zug der Trauer bewölkte einen Moment lang den blauen Morgenhimmel, die Sonne dämpfte ihren Glanz hinter Wolken, und die Lerche verstummte mitten in den jubelnden Takten ihrer Frühhymne. Ueber Wald und Berg flüsterte ein stiller Geist der Wehmuth.

Nur die alten Sauhirten trieben in gleichgültiger Ruhe ihre Heerde weiter.

Der Salzschreiber ging nachdenklich nach Hause, und konnte diesen Tag selbst an seinen Salz-Akten nichts schreiben. –


An Esperance.

Kleinweltwinkel, 1. Sept. 1833.

– – Ich saß in meinem Zimmer und wollte eben wieder an Dich schreiben, als es an meine Thür klopfte, und zwar mit einer Manier, wie an diese niedrige Thür noch niemals geklopft worden. Es mußte ein sehr vornehmer Besuch sein. Und in der That, liebe Esperance, dieser Besuch ist Schuld daran, daß Du jetzt einen ganz andern Brief von mir empfängst, als ich Dir sonst geschrieben haben würde. Höre also!

Noch ohne mein schüchtern gerufenes: Herein! abzuwarten, trat der wohlbekannte Herr von Zodiacus in die Stube. Meine Verlegenheit war unbeschreiblich, ich konnte nicht begreifen, was ihn hieher in meine ärmliche Wohnung geführt haben möchte. Ich war zitternd aufgefahren, und sprach viel von zu großer Ehre, von unverdienter Gunst gegen einen devoten Knecht. Nachdem ich ihn bei der neulichen Geschichte mit Olympien auf diese Weise kennen gelernt, hatte ich nicht geglaubt, daß er mir je in menschlicher Gestalt wieder begegnen würde. Ich machte wahrhaft grauenvolle Kratzfüße gegen ihn.

Er aber, wie ein ächter Mann von Welt, behandelte mich mit heitrer Ruhe und Zuvorkommenheit, und sagte, daß er es für seine Pflicht gehalten, mir auch einmal die Gegenvisite zumachen; er habe schon längst meiner Entschuldigung zu bedürfen geglaubt, daß er diese erste Regel aller Höflichkeit bisher gegen mich vernachlässigt. Er dämpfte dabei ordentlich seine Heiserkeit zu einer sanften Melodie, und schien überhaupt aus der Absicht gekommen zu sein, sich mir nach dem Vorgefallenen wieder in einem annehmlichen Licht zu zeigen.

Setzen wir uns, plaudern wir ein wenig, guter Salzschreiber! sagte er endlich in seiner freundlichen Herablassung, und machte mich dadurch erst auf die peinliche Dürftigkeit meines Haushalts aufmerksam, der gar nicht für die Aufnahme solcher Gäste eingerichtet war. Meine kleine Einsiedlerklause ist durchaus nicht für hohe Visiten gemacht, ich sitze selbst nur wie ein eng eingesperrtes Heimchen darin, und zirpe meine Grillen ab, vielweniger daß noch hinlänglicher Raum darin wäre, um einen vornehmen Besuch in gehörigen anständigen Dimensionen niederzusetzen. Der in der Mitte stehende Tisch bewahrt in ziemlicher Unordnung meine Bücher und Papiere auf, und dient mir zugleich zum Lesen, Schreiben, Essen und um die Hand darauf zu stützen, wenn ich in meiner Einsamkeit an Dich denke. Die ganze Hälfte meines Zimmers nimmt mein Bett ein, und mit ebenso großem Recht, wie der Schlaf die Hälfte des Lebens einnimmt. Einen Stuhl besitze ich nur, und, mich dünkt, ebenfalls mit Recht, um das ne quid nimis eines alten Weisen zu befolgen, denn wo sollte ich auch einen zweiten hinstellen? Dagegen pflegt mein Bett so nachsichtig zu sein, mir zu gleicher Zeit als Sopha zu dienen, um meinem Gesäß durch Abwechselung die Verrichtungen des Sitzvermögens zu erleichtern. Ein altmodischer Kleiderschrank, auf dessen Façade, sonderbar genug, der Bethlehemitische Kindermord in Schnitzarbeit abgebildet ist, nimmt den andern Theil der Wand ein, und bezeigt sich so unverschämt, mir fast noch um einige Zoll die Thür zu versperren. Dafür schützt er meinen Sonntagsrock vor Staub und Motten, er ist der Tugendwächter, der über die Reinheit meiner Kleider wacht, und ich muß mir daher die Impertinenz seines Wesens gefallen lassen.

Was sollte ich also in einer solchen Häuslichkeit anfangen? Ich bot dem Herrn von Zodiacus meinen einzigen Stuhl, den ich hatte, und um ihn nicht gar zu stolz zu machen, als wenn ich jetzt demüthiger Weise vor ihm stehen würde, nahm ich eine vornehme Miene an, und setzte mich mit dieser pathetisch auf den Ehrenplatz meines Zimmers hin, nämlich auf mein Sopha. So hoffte ich diesem Mann das Gleichgewicht in meinem Terrain zu halten. Nur zwei Dinge thaten mir noch leid, einmal, daß ich ihm keinen Burgunder vorzusetzen hatte, sowohl um seinet- als um meinetwillen, und dann, weil ich ihm noch im Schlafrock gegenüber saß, einem solchen Manne! Dahingegen freute ich mich wieder, nicht ganz dicht neben ihm zu sitzen, von wegen unheimlicher Erinnerungen und Anwandelungen.

Dies Alles schien ihm selbst indeß gar nicht aufzufallen, er lächelte blos, wie ich ihn noch jedesmal lächeln gesehn, und begann mit Behagen ein Gespräch zwischen uns einzuleiten, nachdem ich ihn höflich gebeten hatte, dieses unser Rendezvous für ein im verkleinerten Maßstabe ausgeführtes Dejeuner ohne Zubehör ansehen zu wollen.

Ich wollte mich nicht lange verweilen, mein lieber Seeliger! sagte er. Meine Absicht war eigentlich nur, mich theilnehmend zu erkundigen, wie es Ihnen denn mit dem Absolutismus ergangen ist?

Ich hab' ihn mir so ziemlich aus dem Sinn geschlagen, antwortete ich gleichgültig. Ich denke nicht mehr daran, sondern beschäftige mich jetzt wieder vorherrschend mit Literatur und Kunst, und habe bereits einige Pläne zu eignen Arbeiten entworfen.

Das sind allerdings die bedenklichsten Folgen eines rapiden Absolutismus, entgegnete er, und rückte mit seinem Stuhl näher zu mir heran, um mir nach dem Puls zu fühlen. Ich rückte jedoch um ebenso viel wieder von ihm ab, um mich immer in ehrerbietiger Ferne zu halten.

Aermster, mit Literatur und Kunst beschäftigen Sie sich? sagte er achselzuckend. Habe ich Ihnen denn, in unserer damaligen Unterhaltung über den Absolutismus, nicht angedeutet, wie derselbe die Deutschen zwar zur Kunst zurückführt und ihren ausschließlichen Literatursinn unterhält, aber sie ebenso von lebengebender Politik ewig entfernt? Ich fürchte, Sie haben es damals wieder zu ernst genommen, als ich Ihnen von der Bedeutsamkeit absolutistischer Tendenzen sprach. Es war ja nur ein baarer Zeitspaß. Gehn Sie, gehn Sie, Sie sind ein rechter Deutscher, Sie nehmen Alles gleich zu ernst. Können Sie es denn wirklich über's Herz bringen, nun völlig Ihr ganzes Verhältniß zur Politik der Zeit wieder fahren zu lassen, nachdem Sie schon so große Fortschritte auf dem Gebiet der verschiedenen Parteien derselben gemacht? Können Sie Ihre schönen jugendlichen Kräfte wieder in idyllisch-deutscher Literatur-Seligkeit verweichlichen lassen, während Sie doch berufen sind, an den Interessen des öffentlichen Lebens, das sich in Deutschland allmählig gebaren will, mitlebend und mitschaffend Theil zu nehmen? Die Literatur wird es wahrlich nicht sein, durch welche die Deutschen jetzt eine höhere Umbildung des Nationallebens gewinnen werden. Was Deutschlands Nationalität seiner Literatur verdanken konnte, hat es ihr bereits verdankt, und die daraus hervorgegangene Cultur ist längst in Uebercultur ausgeartet, welche oft gefahrbringender für ein Volk werden kann, als die Barbarei selbst. Ein Volk kann gewiß auf ganz verschiedentliche Weise untergehn; es ist durchaus nicht nöthig, daß es gerade die Barbarei sei, welche die Civilisation wieder verdränge, sondern es ist vornehmlich die Uebercultur, welche am entschiedensten die Cultur der Nationen wieder tödtet, und so in Zustande der Barbarei überführt. Und ich bitte Sie, was kann es denn heutzutage noch Lockendes für einen Mann von Geist und Kraft haben, ein Deutscher Schriftsteller zu sein? Ist nicht die Literatur der Deutschen gegenwärtig bis auf Heller und Pfennig herabgesunken? Sind nicht ihre ekelhaften Pfennig-Unternehmungen, – das Einzige, wodurch sie jetzt noch Aufsehen zu erregen im Stande ist, – das letzte Buhlerinnen-Mittel, mit dem sich die zur feilen Dirne herabgesunkene Göttin jedem Vorübergehenden auf der Straße an den Hals wirft? O, Salzschreiber, Salzschreiber! Deutschland ist seiner großen Geister überdrüssig geworden, es fällt ihm jetzt unbequem, zu hören, wenn irgendwo ein neues Genie aufersteht, und jeder patentirte Schneidermeister ist in der bürgerlichen Gesellschaft mehr geehrt und für ein nützliches Staatsmitglied anerkannt, als ein Deutscher Schriftsteller, der nichts als ein Deutscher Schriftsteller ist. –

Als er dies sagte, knackte die andere Hälfte meines Lebens unter mir, nämlich mein Bett, auf dem ich sah, so unruhig und zornig war ich geworden. Nein! Nein! dachte ich bei mir selbst – es bleibt doch dabei, daß ich meine historisch-komischen Novellen schreibe! Die soll er mir nicht ausreden, und wenn er noch mehr als der Teufel selber wäre! Zwar ist es wahr, daß die Deutsche Literatur ihren Preis beträchtlich herabgesetzt, und sich mit Industrie auf die Spottwohlfeilheit gelegt hat. Aber was geht mich die Deutsche Literatur an? Der Mann hat mich ganz mißverstanden. Ich werde ja meine historisch-komischen Novellen nicht für die Literatur schreiben, um mir einen literarischen Namen dadurch zu erwerben! Fi donc! Alle literarische Berühmtheit war mir selbst längst ein Gräuel. Sie ist mir immer wie eine Pedanterie vorgekommen. Ich will meine Novellen für das Volk schreiben, sie sollen als Volksbücher um einige Pfennige in Stadt und Land verkauft werden. Also auch eine Pfennig-Unternehmung? Ja! ja! Man soll sich nicht schämen, den Thorheiten der Zelt eine gangbare Form abzuborgen, wenn sich darunter etwas Besseres unter die Leute bringen läßt. Nur zu! nur zu, Herr von Zodiacus! Diesmal bin ich fest! – So dachte ich bei mir, antwortete ihm aber nichts.

Er fuhr jedoch fort: Die Literaturliebe ist für die Deutschen besonders deshalb so gefährlich, weil sie durch sie bis jetzt immer von den Interessen der Gegenwart abgezogen worden sind. Die Literatur wird ihnen zur Häuslichkeit, in die sie sich abschließen und hinter sich die Thür zumachen, um weiter nichts mehr zu hören und zu sehn, was draußen der unruhige Tag bringt und geschehen läßt. Nein, lieber Seeliger, um Alles in der Welt! Beschäftigen Sie sich lieber mit Ideen über Anlegung von Eisenbahnen, erfinden Sie ein neues Ventil an einem Dampfwagen, entwerfen Sie architektonische Pläne, wie man am besten und wohlfeilsten constitutionelle Ständehäuser erbauen kann, nur irgend etwas Zeitgemäßes, der Gegenwart Angehöriges, und Sie können sich doch ein nationelles Verdienst erwerben! Aber um Gotteswillen, nur nicht in Deutsche Literaturträgheit versunken, ein Mann von Ihren Gaben!

Jetzt nahm ich das Wort: Mein Herr, ich muß wohl höchlich erstaunt sein, Sie jetzt wieder auf Einmal von constitutionellen Ständehäusern, von zeitgemäßen Ideen und Erfindungen, von Dampfwagen und von Interessen der Gegenwart reden zu hören, da Sie noch vor Kurzem, in unserm Gespräch über den Absolutismus, das als das Höchste und Dauerndste hervorgehoben haben, was sich auf den Grund der Vergangenheit stütze, da Sie die Existenz eines absoluten Staates ebendeshalb als dies erhabene Gebäude priesen, weil es auf den Pfeilern einer großen Vergangenheit ruhe, und aus dieser seine unumstößliche Berechtigung ziehe! Sind Sie, ich beschwöre Sie bei allen Heiligen, ich beschwöre Sie bei Hobbes, Rousseau und Montesquieu, sind Sie ein Absoluter, oder sind Sie ein Liberaler? Sind Sie der Geist des Stillstandes, oder sind Sie der Dämon der Bewegung??

So kühn fragte ich ihn, indem ich die Arme übereinanderschlug, und auf dem Ehrenplatz, auf dem ich saß, ihm gegenüber mich wiegte. Er aber, mir einen stechenden Blick zuwerfend, sagte: Ich verkenne eben so wenig die Grundwahrheiten, die der Absolutismus in sich hat, als ich die ewigen Grundwahrheiten verkennen möchte und je verkannt habe, an welchen der Liberalismus in dieser Zeit seine Berechtigung hat. Man thut Unrecht, beide abzuweisen; man muß sie gegen einander auszugleichen verstehn. Und diese Kunst der Ausgleichung ist die höchste Politik, sie enthält zugleich die einzige Wahrheit!

Wie? erwiederte ich – so wollen Sie weder das Prinzip der Zukunft, noch das Prinzip der Vergangenheit mehr entschieden vertreten, sondern, wenn ich Sie recht verstehe, mir ein Mittelding zwischen beiden empfehlen. Was wollen Sie denn nun?

Ich will eben die Gegenwart! versetzte er mit einer scharfen Betonung. Wenn ich in unsern früheren Unterhaltungen, deren ich mich mit Ihnen zu erfreuen die Ehre hatte, Ihnen zuerst das Prinzip der Zukunft, und dann wieder das Prinzip der Vergangenheit, jedesmal mit allen Nüancirungen und Schlagschatten dieser verschiedenen Stufen, anschaulich zu machen gesucht habe, so geschah es ja nur, um Sie dadurch endlich zu dem Standpunkt vorzubereiten, welcher jene beiden Richtungen vermittelnd in sich zusammenfaßt. Und diese Mitte ist das Prinzip der Gegenwart. Ist denn nicht die Gegenwart dieser Herzpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, in dem sich beide mit ihren Strahlen berühren, zu dem sie hinströmen, von dem sie ausströmen? Die Gegenwart ist das segelfertige Schiff, das zwischen den beiden, gleich mächtigen Strömen der Vergangenheit und Zukunft hinsteuert. Jeder Strom möchte es nach seiner Richtung bewegen, jener möchte es zurückreißen, dieser unaufhaltsam in seine Strudel vorwärts stürzen, aber das hin- und hergeschleuderte Schiff lenkt vorsichtig und klug mitten zwischen ihnen durch, im weisen Lauf allmählig das hohe Weltmeer gewinnend. Diese Weisheit ist das Recht und die Kraft der Gegenwart. Diese Kraft der Gegenwart ist das Prinzip der richtigen Mitte. Mit einem Wort: ich beschreibe Ihnen den Sieg des Juste-Milieu-Systems!

Fürwahr, ich war traurig geworden. Also dahin sollte es noch mit mir kommen – dachte ich voll Wehmuth bei mir selbst – daß ich, wenn nichts mehr Stand hält, im Juste-Milieu verenden müßte? Nein, nein nein! Bei Gott, dies wäre eben so schrecklich, als an der Langenweile selbst sterben. Ich nickte indeß, scheinbar ihm beipflichtend, mit dem Kopfe, aber so kläglich, daß er selbst darüber zu lachen anfing.

Ich sehe, guter Seeliger! sagte er dann – daß Sie sich durch das Geschrei der Ultras auf beiden Seiten gegen den Friedensgeist des Juste-Milieu haben einnehmen lassen. Aber mit Unrecht. Für jene verworrenen Naturen der äußersten Linken und Rechten gibt es allerdings nichts Verhaßteres, als die Vernunft der richtigen Mitte, eben weil es die Vernunft ist. Daher hört man sie das Juste-Milieu wie eine wahre Pestilenz verfluchen, als wäre dies System, das ein segensreicher Genius der Ordnung selbst ersonnen, nur zur Landplage vom Himmel herabgefallen. Aber man muß ihnen vergeben, denn sie wissen nicht, was sie thun. Das Juste-Milieu ist weder die Cholera, mit der es fast zu gleicher Zeit in die Welt getreten, noch ist es die Grippe, die sich in demselben Jahr, wo es in Paris austrat, ebenfalls daselbst so verheerend zeigte. Es ist, lieber Seeliger, nichts als eine kluge Dialektik der wahren Vaterlandsliebe. Ich nannte es das Prinzip der Gegenwart, und ist denn nicht dies eben Maxime der Gegenwart, links und rechts um sich zu blicken, um das zu treffen, was für den gegenwärtigen Augenblick am geeignetsten sich schickt, die richtige Mitte des Handelns in zweifelhafter Aufregung des Moments. Es scheint mir merkwürdig zu sein, daß der große Stifter des Juste-Milieu-Systems, Casimir Périer, ein Kaufmann, ein Banquier gewesen. Denn in gewisser Hinsicht ist es allerdings ein Kaufmannsprinzip, es hat etwas Kaufmännisches, immer sorgsam links und rechts zu blicken, damit nicht etwa aus einer zu dreisten Bewegung ein Banquerott entstehe. Als Kaufmannsprinzip ist daher auch das Juste-Milieu nothwendig mehr conservativ, und hat überall eine größere Hinneigung zur Erhaltungs-Partei, als zu der der Bewegung bewiesen, was bei dem Périerschen Ministerium zuletzt freilich so stark wurde, daß die richtige Mitte darüber das Gleichgewicht zu verlieren und fast nach der einen Seite hin schief zu werden schien. Aber es hat dennoch, man mag sagen, was man will, eben dadurch den Banquerott aufgehalten, der den Franzosen bald nach der Julius-Revolution unvermeidlich gedroht schien, es hat mit ungeheuern Anstrengungen die Saat der Mäßigung in den unterwühlten Boden Frankreichs gestreut, und die ersten Keime der Ruhe für das unglückliche Land daraus gewonnen. Es ist leicht, über das Juste-Milieu zu spotten, weil es in der That etwas Komisches und Unheroisches hat, zwischen zwei gewaltig schäumenden Extremen eine richtige ruhige Mitte abzupassen. Aber unsere Zeit ist keine heroische, und dies theoretisirende Vermittelungs-System ist ja nur die um ihre Existenz kämpfende Lebensklugheit einer weisen Regierung, es ist das eigentliche Regier-Prinzip par excellence, und als solches uralt, und in der Geschichte durch Beispiele aller Zeiten gerechtfertigt. Das Witzigste, was gegen das Juste-Milieu gesagt worden, hat übrigens Görres gesagt, in seiner kleinen Flugschrift über die Revolutionen, und dies möchte, aus dem Munde dieses theokratischen mittelaltertrunkenen Ultras, vielleicht eben als die beste Empfehlung für das Juste-Milieu dienen können. Meinen Sie nicht, Herr Seeliger!

Ich hatte in Gedanken dagesessen. Ja, ja! rief ich zerstreut – das Leben ist der Güter Höchstes nicht, der Uebel Größtes aber ist die Schuld!

Er nahm dies für Ernst, und erwiederte: Sie irren sich! Bis jetzt hat noch keine Juste-Milieu-Regierung, um sich das Leben zu erhalten, zur Schuld ihre Zuflucht zu nehmen nöthig gehabt. Was die Oppositionsleute in Frankreich von der Blutschuld fabeln, welche das Périersche Ministerium an den Interessen der Nation begangen haben solle, kann jedem Vernünftigen nur als Wahnsinn und Narrheit erscheinen. Es gibt keinen reineren hochherzigeren Charakter als Casimir Périer war. Seine Verwaltung steht durchaus unbefleckt und ohne Schuld da, und wird in der Welthistorie ewig denkwürdig bleiben. Dieser Mann, als er das vielgeschmähte Ministerium vom 13. März 1831 gründete, übernahm das Staatsruder in einer Stellung, die hoffnungslos genannt werden mußte, da es kein Mittel mehr zu geben schien, um die entfesselte Leidenschaft der Parteien zu neutralisiren. Er, der ehemals selbst ein mächtiger Stimmführer der Opposition gewesen, faßte jetzt, unter veränderten Verhältnissen verändert auftretend, den kühnen Gedanken, dies Mittel, welches dann eben die Mitte sein sollte, zu finden, und er fand das große Neutralisations-System des Juste-Milieu, für das er sein Leben zu lassen entschlossen war. Er wurde in der That der Märtyrer seines Prinzips, der edelste, der aus Vaterlandsliebe jemals in Frankreich gestorben. Mit einer großen Kraft der Beredsamkeit ausgerüstet, mit persönlichem Ansehen geschmückt, trat er, wie ein Priester des Friedens, vor den Altar des Vaterlandes, und predigte die Ordnung und die Verfassung, und wenn in seinem heiligen Eifer zuweilen eine große Heftigkeit seines Charakters hervorbrach, so war es doch immer eine edle Sache, für die er außer sich gerathen konnte. Aber er mußte nur zu bald den alten Fluch jedes Friedensstifters erleben, daß, indem er alle Parteien zu versöhnen strebte, er den Haß aller gegen sich selbst lenkte, und den schönen Kranz seiner Popularität schnell zerrissen sehend, fühlte er schmerzlich die Dornenkrone des verantwortlichen Ministers auf seinem Haupt. Keine heitere ruhige Stunde war ihm gegönnt, er entging unter einem Volke, wie den Franzosen, selbst persönlichen Mißhandlungen nicht, und was er im blutigen Schweiße seines Angesichtes gesät, davon sollte ihm nicht mehr die Früchte zu schmecken beschieden sein. An der Sisyphus-Aufgabe, die er sich gesetzt hatte, endlos sich abmarternd, ergriff den Erschöpften die Cholera, diese Gottesgeißel des neunzehnten Jahrhunderts, und ein stiller Wahnsinn trat hinzu, um die Verfinsterung seines Lebens zu vollenden. So schied dieser große Juste-Milieu-Künstler dahin, ja einen Künstler seines Prinzips kann man ihn nennen, da er mit Kunsttalent das Gleichgewicht der Politik unter brausenden Stürmen aufrechtzuerhalten verstanden. Er starb, an Allem verzagend, was er gegründet hatte, aber sein Werk war dennoch nicht vergeblich gewesen. Seine Feinde aller Parteien versöhnten sich über seinem Grabe mit seinem Andenken und seinem Wirken, und ganz Frankreich erkannte trauernd den edelmüthigsten Patrioten in ihm an. Das Juste-Milieu aber setzte sich fort in den Doctrinairs, und bewährte sich, als aus einem dauernden Bedürfnis der Zeit hervorgegangen, in seiner Bedeutung. Es wird den Sieg davontragen. Das doctrinaire Juste-Milieu-Ministerium hat die entschiedene Majorität für sich, und die Franzosen scheinen überhaupt endlich eingesehen zu haben, wie dies Juste-Milieu, das sie in den letzten Jahren regiert und wie ein gewandter Lootse durch die Fährlichkeiten der innern und auswärtigen Politik hindurchbugsirt hat, mit dem gegenwärtigen Zustande ihrer ganzen geistigen Entwickelung so ausnehmend sympathisirt. Indem der Französische Nationalcharakter sich gegenwärtig auf einer Uebergangsstufe des Sichselbstreflectirens, des Philosophirens, und ich kann hinzusetzen, des Germanisirens, befindet, so scheint ihm in dieser Periode durchaus das Juste-Milieu-Prinzip, welches die That unter Vormundschaft der Theorie stellt, eigenthümlich zuzugehören. In dieser Hinsicht scheint es mir auch bemerkenswerth, daß man unter den doctrinairen Justemilieumännern so viele Anhänger und Jünger Deutscher Philosophie antrifft.

Alles Unglück in der Welt wird am Ende noch auf die Deutsche Philosophie geschoben! wehklagte ich in mich hinein. Und meinen Sie denn nun – sagte ich laut – daß ich mich auch zu jenem Gleichgewichts-System der politischen Ansichten bekennen muß, um den ächten Frieden und die Wahrheit selbst zu erlangen?

Ich meine dies nicht nur, entgegnete Herr von Zodiacus, sondern ich meine auch, daß das Juste-Milieu die Reise um die Welt machen wird, gleich wie die Revolution sie gemacht hat. Das Juste-Milieu ist das vernünftige Bewußtsein der Revolution, das dieser auf dem Fuße nachfolgt, um wie ein fleißiger Landmann nun den Boden zu bestellen, welchen sie durch ihre Wetter und Schrecknisse für die neue Saat aufgewühlt hat. Das Juste-Milieu ist die goldne Mittelstraße der Geschichte, es ist das Zeitalter einer glückseeligen Mittelmäßigkeit des Geschlechts. Der Sturm der Extreme hat sich gelegt. Extreme sind unglückliche Genies, das Juste-Milieu ist ein solider Verstandesmensch, der sich eine ruhige Häuslichkeit anschafft, ein Amt bekommt, in seinem fünfundzwanzigsten Jahr heirathet, und Frau und Kinder ernähren kann. Das Juste-Milieu ist fähig, nöthigenfalls eine Convenienz-Heirath einzugehen; die Extreme heirathen nur aus Liebe, und schießen sich eher aus unglücklicher Neigung todt. Das Juste-Milieu lebt genau nach Hufelands Makrobiotik, und befolgt die strengsten Vorschriften der Diät; die Extreme machen Diätfehler, leiden an unregelmäßiger Verdauung, und haben Hufelands Makrobiotik nie gelesen. Das Juste-Milieu erreicht das biblische Alter; Extreme sterben jedesmal als Jünglinge in ihrer schönsten Blüthe.

Er hielt hier inne, ich aber erhob mich feierlich, streckte die Hand gegen ihn aus, hielt mit der andern meinen Schlafrock zusammen, und sagte: Ich bitte ganz ergebenst um das Wort! Lassen mich Ew. Excellenz auch einmal reden, und ich will Ihnen freimüthig bekennen, was ich von diesem vermaledeiten Juste-Milieu-System halte, das ich mir, ungeachtet Ihrer in Ehren zu respectirenden Empfehlung, dennoch gehorsamst zu verabscheuen die Freiheit nehme. Ich bin ein armer Mensch aus Kleinweltwinkel, Bewohner dieser erbärmlichen Giebelstube, wie Sie sehen; meine Tage sind gezählt, wie die Haare auf meinem Haupte, Niemand ist hier, der mich liebt, meine einzige Freundin ist nicht meine Frau, der Freuden blühen wenige, und Ursach zum Uebermuth ist nicht da. Es geschieht daher aus reiner ruhiger Überzeugung, wenn ich, der ich ein solcher bin, hier, vor Ihnen auftrete, sehr excellenter Herr, und Sie, auch einmal mit einer Rede behellige, mit einer tiefempfundenen Rede gegen das nichtswürdige, dreimaldreimal in den Abgrund der Höllen verfluchte Juste-Milieu. Verzeihen Sie diesen salbungsvollen Ton Ihres unterthänigsten Dieners, der Ton gehört zur Sache. Sagen Sie selbst, mein Herr, wer Sie auch sein mögen, der oberen oder der unteren Götter Einer, hat sich die Menschheit darum so lange mit dem Funken des Prometheus, der in ihr fortgeglüht, sehnsüchtig gequält, um nun auf dieser Sandbank der richtigen Mitte wie ein gestrandeter Perlenfischer kleben zu bleiben? Ich gebe Ihnen gern zu, weil ich es muß, daß das Juste-Milieu ein durch die Gesinnung der Zeit unterstütztes Prinzip ist. Ja, es hängt mit einem philosophirenden Zug der Zeit zusammen, es ist das Reflectir-Prinzip der Zeit, das Hemmende, das Lästige, die Fessel der Zeit, die wir alle peinlich fühlen; es ist die sich selbst bewachende Selbstreflexion, an der heut alles Leben untergeht, siech und unproductiv wird, und den Muth verliert, den göttlichen, ohne den man nicht existiren kann! Das Juste-Milieu ist die zum Staats-Prinzip erhobene Verknöcherung, zu welcher das Alles nivellirende Streben nach sogenannter Bildung und sogenanntem guten Ton das Leben heut geführt hat. Das Juste-Milieu ist der Fluch jener Vielseitigkeit, nach der Alles in unserer Zeit trachtet, und durch welche die große Heuchelei, welche man Bildung nennt, in die Gesellschaftszustände verpestend sich einschleicht. Das Juste-Milieu ist dieselbe flache und nivellirende Conversations-Bildung in der Politik, welche aus dem heutigen geselligen Leben mich längst angeekelt hat. Es ist derselbe unausstehliche gute Ton in der Staatsverwaltung, der überall ein langweiliges Gleichgewicht hervorbringen will, wie er in der Gesellschaft jedes Aufkommen einer tieferen Eigenthümlichkeit hindert. Man ist allerdings heutzutage vielseitiger geworden, aber in der bloßen Vielseitigkeit beruht keineswegs der Reichthum einer Zeit. Der Reichthum einer Zeit beruht in der Beweglichkeit ihrer Richtungen; es wird aber bei diesem allgemeinen Streben, vielseitig zu sein, bald gar keine entschiedene und bestimmte Richtungen mehr unter uns geben. Richtungen stellen sich in großartigen Einseitigkeiten, in ringenden und strebenden Extremen, dar. Aber jene allgemeine Bildungsheuchelei wird bald jede großartige Einseitigkeit, jeden Reiz des Grotesken, im Leben ertödtet haben. Niemand will mehr irren, Niemand will mehr klagen, man schämt sich seiner Schmerzen, man gewöhnt sich seine Leidenschaften ab, weil beide einem heiter gebildeten Menschen nicht geziemen, und in dieser richtigen Mitte des Benehmens vertrocknet endlich alle Strömung des Daseins. Diese heitre Maske der Bildung hat das Privatleben versteinert, sie tritt als gleißendes Juste-Milieu in der Geschichte auf. Der große Geist der Geschichte steht jetzt grollend über der Menschheit still, nachdem sich das feige Geschlecht, um nicht mehr zu irren, um nicht mehr zu kämpfen, in diesen Nothhafen des Juste-Milieu zurückgeflüchtet hat. Mein Herr, ich vertheidige die Extreme! Extreme sind flotte Bursche, das Juste-Milieu ist der Philister im Staate. Extreme sind geborene Helden, das Schicksal gönnt ihnen einen rühmlichen Tod auf dem Schlachtfeld; das Juste-Milieu ist ein dürftiger Tugendheld aus einem weinerlichen Drama, er hat kein Talent und stirbt an Charakterschwäche im Hospital. Extreme sind schwarze Husaren, mit einem Todtenkopf als Kokarde, sie geben keinen Pardon; das Juste-Milieu ist ein kriechender Hofmann, der keine Meinung hat, und immer: sehr wohl! sagt. Extreme sind Ritter der Wahrheit; Juste-Milieus sind arme Ritter, im Fett der Lüge gebraten. Extreme sind Tödter der Langenweile, Juste-Milieus sind Neuntödter, die alle neun Musen aus dem Leben hinwegtödten. Das bleierne Zeitalter der Prosa bricht an. Doch genug, ich fühle, ich habe mich erschöpft, mein Eifer reißt mich zu stark zu Metaphern hin, es wird mir die Lunge trocken und mein Kehlkopf entzündet sich! Nur das muß ich noch sagen, daß es am meisten die große Tugendhaftigkeit ist, welche mich an dem Juste-Milieu-System so sehr verdrießt, und hierin klingt es ebenfalls wieder einen längst bemerkbaren Grundzug unserer Zeit an. Daß unser Zeitalter doch gar zu tugendhaft ist, wird Jedem, der keine Duckmäusereien liebt, wohl eingeleuchtet haben. Vor gar zu großer Tugend können wir nicht mehr zu einem erklecklichen tragischen Laster kommen, die Tragödie stirbt aus unter dem Deutschen Volke, und die eingerissene Prüderie des Lebens zerstört alle Gedichte der Gegenwart. Es ist eine fürchterliche Tugend, an der wir leiden. Es wagt Niemand mehr ein derbes naturkräftiges Wort zu seinen Mitmenschen zu sagen, aus Furcht, daß man ihn nicht für tugendhaft halten möchte. Alle Gesellschaftszimmer stecken gepfropft voll von Tugend, tugendhaft strickende und nähende Frauen, tugendhaft über ein Nichts plappernde Männer und Jünglinge, tugendhaft langweilige Greise. Diese schreckliche Tugend ist eine Folge unserer ungeheuern Bildung, wir müssen es uns eingestehn. Und dieselbe laue Tugendbildung finde ich auch an dem gottverlassenen Juste-Milieu wieder, weshalb es mir, selbst auf die Gefahr hin, nicht für tugendhaft angesehen zu werden, noch einmal gütigst erlaubt sein mag, dies System dreimaldreimal in den Abgrund der Höllen ergebenst zu verfluchen! –

Ich hielt hier inne, um zu sehen, welche Wirkung diese Rede auf meinen Zuhörer hervorgebracht haben möchte, als ich zu meinem Erstaunen gewahrte, daß derselbe ganz unbeweglich und mit herunterhängendem Kopf auf dem Stuhle dasaß. Er war eingeschlafen. Ich trat naher, um ihn mir jetzt einmal recht genau zu betrachten, aber er schnarchte so entsetzlich, daß ich mich mit Grausen von ihm abwenden mußte. Dazu kam, daß auf seiner Nase eine große Fliege saß, die, wie es mir in dem Moment schien, mich mit grimmigen Blicken ansah und in meinen physiognomischen Studien störte. Mir fiel der Fliegengott ein. Ich schlich mich verblüfft an's Fenster, und kehrte ihm den Rücken zu. Er schnarchte immer noch weiter. Während meiner Rede, wo ich ihn hinundwieder schon murmeln gehört, hatte ich geglaubt, er wolle mir etwas einwenden wider meine Ansichten. Aber es war nichts als sein Schnarchen gewesen, er hatte nicht daran gedacht, mir Einwendungen zu machen. Es scheint doch im Grunde ein guter Mensch zu sein! Nicht einmal Einwendungen!

Aber dennoch ärgerte es mich, daß er eingeschlafen war. Dies machte mich auf das Juste-Milieu nur noch erboßter. Ich sah zum Fenster hinaus, und hing noch mannigfachen Gedanken über dies Aschermittwochs-System nach. Dann ergriff ich mein Tagebuch, und schrieb unter dem heutigen Datum Folgendes in der ersten Wuth hinein:

Die Mythe vom Klugsch.

Er schnarchte immer stärker, während ich dies schrieb.

Der Klugsch..r ist eine uralte Person, er ist so alt als die Welt steht. Als der liebe Gott im Anfang Himmel und Erde geschaffen, und am siebenten Tage gesehen, daß Alles sehr gut war, ließ sich schon am Abend des siebenten Tages der brummende Laut eines Mißvergnügten durch die Schöpfung vernehmen. Er kam vom Klugsch..r. Ihm war der Tag zu hell und die Nacht zu finster, die Sonne zu grell und der Mond zu matt, der Sommer zu warm und der Winter zu kalt, er bekam im Frühling den Schnupfen und im Herbst die Kolik. Die Nachtigall war ihm zu schwärmerisch, und doch die Gans wieder zu bornirt, er tadelte die Blumen auf dem Felde, daß sie nicht arbeiteten, und ärgerte sich, daß der Mensch durch Arbeit das Leben sich fristen mußte, er glaubte es gar nicht aushalten zu können. Er schrieb die erste Recension über die Schöpfung. Er klagte Gott an, daß es allen Einrichtungen auf dieser Erde an einer richtigen Mitte fehle. Himmel und Erde lägen ihm zu weit auseinander, die Sterne ständen zu hoch, um sie genau sehen zu können, er verlangte einen sichern Mittelplatz, von dem aus Himmel und Erde gleichmäßig zu genießen wären. Da redete Gott im Wetter zu ihm, und sprach in seinem Zorn: Du sollst der ewige Klugsch..r der Schöpfung bleiben!! Der Klugsch..r nahm sich dies zu Herzen, und wanderte aus. Er wanderte durch alle damals entdeckten Welttheile, und trug überall den Fluch Gottes mit sich. Nirgends labte ihn ein milder Balsamtropfen der Zufriedenheit, er wollte Alles besser wissen, als es war, er wollte Alles vermitteln. Weit und breit gefürchtet schlich er als reisender Malcontent durch die Weltgeschichte. Man nannte ihn auch einen Handelsreisenden Beelzebubs. Er war und blieb aber der ewige Klugschmecker. In Jerusalem debütirte er eine Zeitlang als Malcontent des Christenthums, und wurde seitdem auch der ewige Jude genannt. Als ewiger Jude hat er noch seine schönsten Zeiten erlebt und es zu einer gewissen Tragik gebracht. Bald aber stürzte er sich ins modern bürgerliche Leben und versuchte sich in allerlei Aemtern. Nachdem er abwechselnd Schulmeister, Kritiker, Wetterprophet, Kalendermacher, guter Rathgeber, Beichtvater, und Hofastronom geworden, nachdem er sich darauf mit der Hegelschen Philosophie beschäftigt, mit dem logischen Begriff sich wichtig gemacht und einige Semester als Privatdocent in Berlin ohne Zuhörer gelesen hatte, warf sich der arme Klugsch.ß.r aus Verzweiflung endlich auf die Politik. Er redigirte mehrere Regierungsblätter, ging nach Paris, und wurde zuerst beim Moniteur beschäftigt. Obwohl, nach so viel Leiden, längst zum dürren grauen Männchen abgezehrt, nur noch aus Haut und Knochen bestehend, gelang es ihm doch, hier noch einmal Epoche zu machen. Er wurde Juste-Milieu-Mann, kam ins Ministerium und schulmeisterte den Zeitgeist, wie ein Hofmeister seinen ungezogenen Junker. Der Zeitgeist war träge geworden, und demüthigte sich schlaftrunken vor dieser Zuchtruthe des Klugsch..rei-Systems. Der Teufel lobte den ewigen Klugschmecker – – –

Hier bricht die Mythe ab.

Mein Gast nämlich räusperte sich jetzt plötzlich, und fuhr mit einer schnellen Bewegung in die Höhe, sodaß ich nicht weiter schreiben konnte. Er stand, in seiner ganzen Länge aufgerichtet, seltsam vor mir, und blickte mich durchdringend an. Ich hatte fast ein Gefühl, wie es der heilige Johannes ähnlich gehabt haben muß, als ihm ein Adler die Feder aus der Hand riß, damit er nichts vom Gewitter verrathe. Ich sprühte die meinige verlegen aus, und legte sie bei Seite.

Er selbst schien aber gar nicht verlegen zu sein, daß er geschlafen hatte. Er reichte mir flüchtig die Hand oder vielmehr nur einen Finger, den ich mit vieler Behutsamkeit drückte, und sagte, daß er sich mir empfehlen wolle. Dann fügte er hinzu, ich möchte mir doch noch Alles gehörig überlegen.

Ich begleitete ihn in tiefster Devotion zur Thür hinaus, und sagte mit einem verbindlichen Diener, ich wolle mir noch Alles gehörig überlegen. Ich sagte aber nicht, daß er mich wieder besuchen möchte.

Dies war das Dejeuner in meiner Giebelstube, bei dem nichts gegessen und getrunken, aber viel gedacht und geschlafen wurde. –

Ich kann heut nichts mehr hinzusetzen, Esperance! Sollte Dir dieser Brief, mit seinen mancherlei mythologischen Namen und Ausdrücken, nicht gefallen, so sende ihn mir, Liebe, wieder zurück, und verherrliche ihn durch ein paar Zeilen Deines Mißfallens als Antwort. Den schönen Engeln Deines Zornes werden die Ungethüme meines Kopfes besänftigt die Hände küssen.

Es ist doch eine herrliche Sache um die Berserkerwuth! Sie hat mich heut ordentlich wieder zum Jüngling gemacht, und ich freue mich, daß ich dies noch an mir erlebe. Ich komme mir so frisch vor, wie eine junge Sultanin, die eben aus dem Bade steigt, um ihrem Gebieter die Freuden der Liebe entgegenzutragen. Vivat die Berserkerwuth! Sie ist ein wahres Sturmglocken-Concert im inwendigen Menschen, ein klingendes Hallelujah, das aus Leib und Seele fährt, ein brausender Chorgesang, die matte Prosa des Lebens aus ihrer Nüchternheit aufzuwiegeln! So viel ist das Juste-Milieu also wenigstens werth gewesen, daß es mich einmal recht in Wuth hat versetzen können. Ich rase noch ordentlich vor innerer Wonne meines Grimms, ich bin schon mehreremal bis an die Decke meines Zimmers gesprungen! Heisa, man muß auf seinen eigenen Beinen stehn! Man muß gegen Alles wüthen, das nicht mit unserer Natur in Einklang sich befindet! Das ist frisch, das erfrischt! Heisa!

Mädchen, habe Nachsicht mit mir! Da es ohnehin zweifelhaft ist, ob Du mich liebst, so habe ich kein Bedenken getragen, mich Dir auch einmal von meiner wüthenden Seite zu zeigen. Du kannst mich nun für ein ganzes Ungeheuer halten. Ich aber versichere Dir, daß ich mich ewig niemals nennen werde

Deinen

Juste-Milieu-Seeliger.


An Esperance.

Kleinweltwinkel, 19. Sept. 1833.

Heut ist mein Geburtstag Der 19. September 1833 war der 25. Geburtstag des Autors, Theodor Mundt. – Anm.d.Hrsg., Verehrteste! Ein mehr als vierteljahrhundertalter Mensch steht vor Dir, und fragt Dich, ob es der Mühe werth gewesen, daß er geboren worden? Kein Mensch in ganz Kleinweltwinkel bringt mir heut einen Glückwunsch, und so scheint es, daß ich für diese Menschen wirklich nicht geboren bin. Im letztverflossenen Vierteljahrhundert ist mir überhaupt fast niemals von einer lieben Seele gratulirt worden, und so ist und bleibt der neunzehnte September ein an Wünschen und Hoffnungen verarmter Tag. Mir ist er immer ein schöner Tag für die Melancholie. Ich veranstalte da meiner Schwermuth einen ordentlichen Festtag, ich gebe dem kleinen Plebs meiner Grillen einen Ball, und führe das große Volk meiner Verzweiflung auf die Stierhetze meiner Gedanken. Ein Lavaausbruch des Selbsthasses beschließt als Feuerwerk diesen glorreichen Tag.

Besonders heut! Ich konnte heut weniger denn jemals mit mir aufs Reine kommen, für wen ich denn eigentlich geboren worden? Da fing mich der hypochondrische Gedanke an zu martern: ich sei am Ende doch für das Juste-Milieu geboren!!

O Solon! Solon! – Wie Recht hatte Solon, daß Niemand vor seinem Tode glücklich zu preisen sei! Nemo ante mortem beatus, heißt auf Deutsch: vor seinem Tode ist Niemand vor dem Juste-Milieu sicher! Esperance, was wirst Du sagen? Denke Dir! Denke Dir!

Da soll ja aber gleich die heilige Berserkerwuth dareinschlagen, wenn mir das Juste-Milieu-Prinzip auch nur eine Haarspitze meines Menschen anrühren will! Hst! hst! – das ist es ja eben. Die Wuth hat sich gelegt!

O, ich war so schon bestimmt und sicher, ich war stark, wie ein junger Halbgott, der aus der Hebe Pokal getrunken! O! O! Ewige Vorsehung, sollte mir das noch angethan werden?

Jammere nicht, Sterblicher! Du entrinnst den Anforderungen Deiner Zeit nicht. Das Schicksal hat Dir Deine Gedanken zugemessen, und Du kannst sie Dir nicht abwehren, wie die Mücken!

Esperance, denke Dir, denke Dir! Mein vermaledeiter Geburtstag ist daran Schuld, und Niemand anders. Dieser Tag hat mich auf das Reflectiren gebracht, und die Natur draußen, die einem frühen Herbst entgegenkränkelt, hat die Herbstgefühle der Reflexion auch in meinem Innern gezeitigt.

In der That, ich weiß mir selbst nichts mehr dagegen zu sagen, warum ein solide reflectirender Deutscher nicht ganz gut ein Juste-Milieu-Mann sein könnte. Das Juste-Milieu fängt jetzt nachträglich auf Einmal in allen meinen Gliedern an zu ziehen und zu reißen, wie ein alter Schade der Menschheit. Es ruft mir zu: mein Sohn Seeliger, komm zu mir! Es steckt die dürren knöchernen Arme lächelnd nach mir aus, und sagt: mein Sohn Seeliger, Du darfst diese Stufe Deiner Zeitbestrebungen nicht überspringen! Es kokettirt aus der Ferne mit mir, es sieht mich mit den schelmischen Augen einer verliebten alten Jungfer an, es lispelt süß aus seinem zahnlosen Munde mir zu, es lispelt und flüstert und wispert in mich hinein, daß ich keinen Augenblick mehr Ruhe habe. Ich soll mich ihm durchaus ergeben, ich soll Hochzeit mit ihm machen. Da fallen mir alte Heirathsideen aus meiner Kindheit ein, wo mich einmal das Unglück einer alten Mamsell, die wegen ihrer Häßlichkeit keinen Mann bekommen hatte, so sehr rührte, daß ich sie auf der Stelle, so klein ich auch noch war, hätte heirathen können. Ja, ewiger Rathschluß des Schicksals! Du, weißt es, Du kennst mich! Du weißt, daß ich als kleiner Junge eine alte häßliche Mamsell hatte heirathen wollen. Du weißt es, daß ich der Mann bin, der alte Jungfern aus purem Mitleid ehelichen kann. Du kennst mein weiches Herz, und hast mir auch diese Mariage mit dem Justemilieu noch auf Rechnung desselben zuschieben wollen. Nun, Gott und allen Heiligen befohlen! Ich kann dies Kreuz noch auf meinen Rücken laden. Ich bin kein widersetzlicher Mensch, der gegen die offenbaren Fügungen der Vorsehung hadert. Ich habe vom Liberalismus unbefriedigt mich abgewandt, ich habe vor der Thür des Absolutismus den Staub von meinen Füßen geschüttelt, und will nun einmal so thun, als wäre ich plötzlich ein Justemilieu-Mensch geworden, um wenigstens zu sehn, ob ich etwas dabei in mir erleben kann. Etwas zu erleben, das ist die Hauptsache, und danach habe ich überall meine Fühlhörner ausgestreckt. Man kann etwas erleben, indem man sich einen Floh fängt. Und das Juste-Milieu ist im Grunde so übel nicht, es hat seine innere Nothwendigkeit für sich. Bei Sanct Lazarus, es ist ein sehr motivirtes Prinzip der Gegenwart!

Es ist das Reflectir-Prinzip der Zeit! Der Herbst ist eine schöne Jahreszeit zum Reflectiren, und dieser unglückliche Septembertag hat heut schon graue Vorboten des beginnenden Verwelkungs-Prozesses ausgesendet. Die Blumenwangen der Natur sind abgebleicht, wie eine früh gealterte Schöne, sie hat sich eine große Nebelhaube aufgesetzt, und ihre verwittwete Gestalt in einen langen Trauerschleier verborgen. Durch einen kalten Regenschauer klagt der scheidende Sommer über seine verlorene Jugend hindurch, und sitzt, wie ein trauernder Ossian, dort oben auf der schwarzen Wolke, die in Gestalt eines Drachen den ganzen Horizont finster angehaucht hat. Wie in Sack und Asche muß mein Apfelbaum draußen Buße thun, daß er mich und meine Gedanken zuweilen auf seinen grünen Aesten geschaukelt. Wer weiß, ob ich den Guten jemals wieder besteigen werde. O Sommerglück! O verlorenes Jugendglück! Ich höre die Herbstwinde um mein frühes Grab seufzen, und meine hiesigen Zeitgenossen gehen gleichgültig vorüber, und sagen: der Seeliger liegt darin! Ich weiß, daß ich einmal im Herbst sterben werde. Wann die Schöpfung in Gedanken der Vergänglichkeit sich abzehrt, wann aus der bunten Blumenerde graue Grabeserde geworden, dann lege ich mein müdes Herz gern einmal darunter, und lasse es schlummern, bis die Grabeserde über mir wieder zur Blumenerde geworden, zu jener Blumenerde, in welcher der Himmelsfrühling unserer ewigen Hoffnungen wächst!

Doch still, still! Diese Melancholie darf ich nicht Herr über mich werden lassen. Ich muß in dieser Stimmung, die mich überwältigt, eine richtige Mitte zu finden suchen. Juste-Milieu, friedfertiger Mittelgeist zwischen Warme und Kälte, zwischen Trauer und Freude, zwischen Hoffnung und Verzweiflung, gieb Du meiner Lebensansicht fortan eine wohlconditionirte Richtung! Laß mir den Bart eines Weisen wachsen, stülpe mir die Allongenperücke der Mäßigung auf mein unruhiges Haupt! Stecke meinen Zeitausschweifungen endlich wohlthätige Gränzen, gieb Ruhe meinen sonderbaren Staatstheorieen, und bringe Ordnung in die Revolutionen und Contrerevolutionen meines Herzens! Ich bin der Widersprüche meines Daseins überdrüßig. Du verstehst es wenigstens, mit Deiner Aalnatur durch diese Widersprüche hindurchzugleiten. Ja, am Ende fehltest Du mir blos, um zur Ruhe zu kommen. Du bist die milde Stiftung, welche die Invalidegewordenen aufnimmt und verpflegt, Du bist das Hospital dieser Zeitbestrebungen, in dem jedes himmelstürmende Genie endlich gern mit Armenkost vorlieb nimmt, Du bist die Rumfordsche Knochen- und Hunde-Suppe, an welcher die Menschheit in Hungersnöthen sich hinfristet!

Bei allen Teufeln, ich bin zum Juste-Milieu-Mann geboren! Dieser süße Frieden der Vermittelung, diese schöne Klugheit der Reflexion, ist es gerade, die meiner Natur entspricht, die meinen Charakter angemessen befriedigen kann. Schon als Student wurde es an mir bemerkt, daß ich Anlagen zu einer spintisirenden Dialektik hätte, und diese Dialektik, die Alles, was sie will, sich abzuwehren im Stande ist, wird nun als Juste-Milieu einen dauerhaften und ruhigen Knorpel in meinem Wesen ansetzen. Ich werde ein vernünftiger, durch Tugend verherrlichter Mensch werden. Ich kann heirathen, ich kann eine Frau glücklich machen, und meine Kinder zu guten und nützlichen Staatsbürgern erziehn. Und in meinen Nebenstunden, während die holde Gattin an meiner Seite strickt oder näht, fange ich wieder an zu philosophiren, und beschäftige mich mit meinen alten philosophischen Systemen, die ich so lange liegen gelassen. Ich kehre zur Deutschen Metaphysik zurück, ich beginne wieder das Wahre der Dinge zu erforschen. Ja, dahin muß es noch mit mir kommen! Nur in der Deutschen Philosophie ist die absolute Wahrheit enthalten. Alle übrigen Nationen, die nicht, wie wir, philosophirt, die nicht unsere Systeme sich eingeimpft haben, sind auf dem Punkt der Wahrheit geklatschte Kinder Gottes. Der Deutsche aber ist der auserwählte Philosoph der ganzen Erde, er ist der Anwalt des Allgemeinen in der Schöpfung. Während die andern Völker der Lust der Individualität sich hingeben, hat er die Freude des Augenblicks einer ewigen Abstraction geopfert. Er sucht gedankenvoll die Regel zusammenzusetzen, wo die andern die einzelnen Fälle genießen. Darum hat der Deutsche so wenig körperliche Nationalität. Er ist ein Weltbürger des Gedankens.

Es wird schön sein, wann ich wieder zu philosophiren anfange. Indem ich Dir dies schreibe, Esperance, strömt in drängender Erinnerung Alles meiner Seele zu, was sie einst in dieser Richtung menschlicher Kämpfe gewollt, gestrebt, gehofft und gerungen. Ich denke an jene Zeit, wo ich Schlachten auf Leben und Tod mit dem philosophischen Gedanken geführt, und nur zuletzt nach einer langen Periode der Weisheit, deren ich mich rühmen konnte, doch wieder in Dummheit verfiel.

Es ist, als ob meine Natur schon längst wieder danach hingestrebt hätte. Erst gestern, als ich in schlafloser Nacht auf meinem Bette lag, und schauerliche Betrachtungen einsamer Mitternachtsstunde an mir vorüberzogen, fiel, gerade mit dem Glockenschlag Zwölf, eine seltsame Phantasei über mich her, die mich in frühere Weisheitsbestrebungen lebhaft, und doch grauenhaft zurückversetzte. Jetzt glaube ich an Vorbedeutungen. Denn die Gestalten jener Nacht, auf die mich noch ganz unwillkürlich meine umherschwärmende Einbildungskraft brachte, waren nichts als ein Präludium des heutigen Tages, wo ich, wie die Götter selbst gewollt haben müssen, auf's Neue Lust bekomme zu philosophiren.

Diese seltsame Phantasei schreibe ich Dir hier auf, Mädchen! –


Der letzte Philosoph.

Eine Geistererscheinung.

Es war tief in der Nacht, und ich weiß nicht, wie es zuging, ich saß noch im Collegium. Ich war mir zwar bewußt, daß ich mein Triennium längst hinter mir hatte, und doch mußte ich noch hier sitzen, im Auditorium No. VIII. auf der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Durch die Fenster warf der Mond zitternde Strahlen in den öden Saal und erhellte schauerlich die leeren Bänke und Tische, die sonst unter dem Eifer der studirenden Jugend seufzten. Nur der Kaufmann H. B. saß, wie gewöhnlich, vor mir, und hatte eben seinen porzellanenen Tintenstecher aufgepflanzt, um sich zum Nachschreiben anzuschicken. Er war der unschuldigste Schüler Hegels, und ich hatte immer meine Freude an ihm gehabt, wie er mit wahrhaft jungfräulicher Harmlosigkeit die räthselvollen Worte des Meisters nachschrieb, ohne daß es ihn sonderlich gerührt hätte. Da er, wie bekannt war, für seinen Platz das Doppelte an Honorar bezahlte, um sich dadurch das Anrecht auf ein verdoppeltes Verständniß des schweren Systems zu erwerben, so wunderte ich mich nicht, daß ich ihn heut noch in aller Nacht hier fand, um sich seinen theuer erkauften Platz auch recht abzusitzen. Zugleich schloß ich daraus, daß eine Vorlesung Hegels zu erwarten stehe.

Aber bald wurden meine Gedanken von einem heiligen Ernst ergriffen und erschüttert, und eine Erscheinung wunderbarer Art nahm alle meine Sinne gefangen. Ich hatte schon längst nach dem Katheder hingeblickt, um das Auftreten des ehrwürdigen Weisen zu erwarten, als ich auf seinem lange ruhmvoll behaupteten Lehrstuhl plötzlich einen schwarzen Sarkophag gewahrte. An beiden Enden brannte eine trübe leuchtende Ampel, bei deren Schein man die darin ruhend ausgestreckte Gestalt erkennen konnte. Es war Hegels sterbliche Hülle, die im Sarge lag; und wie ein Blitz zuckte die Erinnerung durch meine Seele, daß der letzte Philosoph der Deutschen nicht mehr war. Wir hatten schon vor Monden seinen Tod betrauert.

Es war die Gespensterstunde, und alle Grauen der Mitternacht regten meine Einbildung fieberhaft auf. Ich erhob mich von meinem Platze, und fragte: Meister, bin ich werth, Dir die Todtenrede zu halten? Ich verdanke Dir viel an Leiden und an Belehrung, und selbst für seine Leiden ist man dankbar. Willst Du hören in dieser Stunde, welche Cypressen ich auf das Grab des letzten Philosophen der Deutschen pflanze? Dein Sarkophag, der jetzt Deinen verödeten Lehrstuhl einnimmt, harrt noch des Leichenredners! –

Ich schlich mich in scheuer Erwartung dem Sarge näher, aber meiner Vermessenheit folgte keine Antwort. In erhabener Ruhe lag die abgeschiedene Gestalt da und regte sich nicht; sie hatte den Lebenskampf der Bewegung längst überwunden. Der ewige Friede des Gedankens, um den er in seinem System mit gewaltsamen blutigen Anstrengungen gerungen, hatte auf dem verblichenen Antlitz des Todten eine milde Verklärung gewonnen. Ich habe Ehrfurcht vor den Gestorbenen.

Ich trat hinter den Sarkophag, erhob meine Hände und sprach folgende Worte, die wie klingende Nachtschatten an den Mauern des einsamen Auditoriums verhallten: Die größte Versöhnung des Gedankens ist der Tod! Der Tod ist die Wahrheit der Metaphysik, er ist das Absolute! Ein Hoherpriester des Absoluten, hast Du, großer Mann, Dein Leben darangesetzt, das System des Todes zu construiren. Es ist das letzte System! Aus dieser Philosophie des Todes hast Du die ewige Auferstehung des absoluten Gedankens für die Menschheit gewonnen. Es ist die letzte Stufe des menschlichen Gedankens, denn er hat in Deinem System sich selbst gedacht. Wie die Märchen sagen, daß, wer sich selbst wandeln gesehen, nicht mehr leben kann, so hat in Deiner Philosophie der menschliche Gedanke sich selbst angeschaut, und ist daran in die Ewigkeit vergangen. Ich hat sein Ich aufgezehrt und auf die Weltwoge des Allgemeinen hingegeben und im Absoluten verschwimmen lassen. Die seufzende Seele ist im Unendlichen zerflattert. Der Gedanke hat irdische Form gesprengt, hat die bunte Blüthe des Erdenleibes abgestreift, hat die gaukelnden Schwingen der Phantasie sich ausgerissen, und ist reiner, nur durch sich selbst bewegter Gedanke geworden. Dies Werk der Vollendung hat die ungeheuere Kraft Deiner Logik vollbracht. Die Gottvollendung des Gedankens! Mein lebenslustiger Geist, der noch vor Kurzem in junger Werdeschönheit strahlte, sucht aus Deinen Tempelgebäuden der Ewigkeit den Ausgang in das frische Erdenleben zurück, um wieder ein Werdender sich zu freuen. Es scheint vergeblich. Denn Du hast in Deiner Philosophie die Posaune zum jüngsten Gericht des Denkens geblasen. Du bist über die Creatur hinausgegangen, und hast den Schluß der Geschichte gesucht. Anfang und Ende haben sich in Deinem System wieder zusammengefunden und sind eins geworden; Anfang und Ende der Logik gehen in einander über, und die unterschiedslose Ewigkeit ist angebrochen. Die Marken des Lebens und Denkens hast Du abgegränzt und es ist kein Schritt zu den höchsten und letzten Zielen mehr übrig geblieben, der nicht in Deinen Paragraphen vorgemessen wäre. So hast Du Alles fertig machen wollen bis auf den Tod, Du hast die Verheißung erfüllen wollen, daß Alles Ein Hirt und Eine Heerde sei, und diese weltverschlingende Einheit war Dein logischer Begriff! Das jüngste Gericht der Logik haben wir schaudernd ausgehalten. Wir haben den letzten Philosophen auf den rauchenden Trümmern der Schöpfung wie einen Gott raisonniren hören. Wir haben gestaunt, wir haben uns viel gedünkt, wir haben verzweifelt, wir haben nicht beten können. Der Schluß der Geschichte hat uns überrascht, wir haben uns in den frühen Tod nicht finden können. Vergieb, Meister, die Lebenslust ist groß! Ich bin ein junger Mensch, ich bin keck, ich habe selbst gewagt, mir in dies Schlußsystem der Geschichte kleine Radieschen meiner Lebenslaune zu pflanzen, um die Gespenster des anticipirten Weltgerichts damit wegzuscherzen. Vergieb, vergieb! Ich bin noch nicht reif zum jüngsten Gericht, ich bin ein junges Blut, ich habe meine tausend verliebten Hoffnungen auf die Erde gesetzt. Ich habe mich wieder in das Individuelle zurückgestürzt, nachdem ich aus dem Kelch des Allgemeinen getrunken, und der Kelch war noch einmal an mir vorübergegangen. Du bist der Abgeschiedenen Einer, Du hattest schon in Deinem System Tand und Spiel der Individualität überwunden. Eine Bilderstürmerin, hat Deine Philosophie alle Bilder und Farben von der Tafel des menschlichen Denkens hinweggewischt und in der Logik das Höchste einer strengen und rein geistigen Denkmethode geschaffen, wie sie die Weisen aller Zeiten kaum geahnt haben. Diese Logik ist die systematische Geschichte der Philosophie selbst, aber zugleich auch der Hades der ganzen Geschichte der Philosophie. In diesem Hades hast Du die Geister aller frühern Philosophen zusammengerufen und sie wandeln gleich gespenstischen Schatten darin umher, als die verschiedenen Stufen des Erkennens, als welche Du sie beordert hast. Sie stehen alle unterworfen und dienend vor Deinem Begriff da, der als Todtenrichter Recht und Urtheil über sie gesprochen. Nackte, abstracte Seelen der Philosophen! Sie sehen mich traurig an. In der unmittelbaren Geschichte der Philosophie standen sie noch als lebende Charakterbilder, auf dem Grund ihrer Zeit und Individualität, gestaltvoll da. Nachdem aber die Geschichte der Philosophie in Deiner Logik zum System des sich stufenweise entwickelnden Begriffs geworden, war auch für die Philosophen der früheren Zeiten der Tag des jüngsten Gerichts gekommen. Diese Philosophen wurden alle abstracte Denkmomente in der künstlich zusammengefügten Kette des Begriffs, ihre Individualität und Zeit wurde an ihnen abgestreift, und ihre Seelen sahen sich in einzelne Paragraphen Deines Systems, bald mit bald ohne Anmerkungen, verwandelt. Ein großartiger Hades! Als ein solches Schattenreich des Tiefsinns mit überwundener Individualität hast Du auch die ganze Weltgeschichte aufgefaßt. Ueberall die angewandte Logik. Ich habe viel aus dieser Jahreszeiten-Entwickelung der Weltgeschichte gelernt. Ich bin klug und alt darüber geworden, ich habe graues Haar bekommen. Jahreszeiten-Entwickelung der Weltgeschichte, denn Du siehst das ganze Geschlecht aus dem Gesichtspunkt des nothwendigen Stufenganges an. Und danach ist in unserer Zeit der Völkerwinter angebrochen, das Greisenalter der Geschichte. Darum hat sich Deine Logik schon an das Ende der Welt hingestellt, die Gränzen des Lebens zusammenfassend, der weise gewordene Greis der Schöpfung. Seine Weisheit ist das Ende der Dinge. Du hast eine große Brust für die Menschheit gehabt, Du hast gewollt, daß sie mit Dir vernünftig werde. Meister, es war erhaben, daß Du dachtest, die Vernunft solle die letzte Epoche der Weltgeschichte sein. Nachdem alle hemmenden Bedingungen der Individualität bei den Menschen und Völkern ausgeglichen, nachdem die Nationalitäten sich verallgemeinert, nachdem jeder schöne Stern des unmittelbaren Lebens ausgebrannt, sollte nach Deiner Lehre die reine Vernunft herrschend, und Alles erst wahrhaft begründend, über dem Zeitalter dastehen. Du stiftetest eine Philosophie, durch welche weder dem Talent noch dem Genie etwas eingeräumt werden sollte, sondern nur einer allgemein menschlichen Vernünftigkeit, wie Du sie aufbautest, sollte das Geschlecht fortan den höchsten Schmuck der Bildung verdanken. So wurde Deine Philosophie ein System der Genielosigkeit, das, wenn auch nicht ausdrücklich, doch durch die Consequenzen, die sich aus ihm folgern ließen, gegen Genie und Talent, und deren Einflüsse auf die Lebensbildung, zu Felde zog. Nur die reine Vernunft wolltest Du auf den Thron erheben, und die höchste Form des Lebens war Dir ein System. Die Form, unter welcher das Leben in der Kunst sich darstellte, war Dir die niedrigere Lebensform, weil in ihr das Sein noch nicht Denken ist. Ruhe jetzt im ewigen Frieden des Gedankens! Ruhe in milder Todesnacht, von der unvergänglichen Wahrheit der Vernunft durchleuchtet! Ueber Bild, Schein, Farbe, Individualität, und allen bunten Frühlingstand des Erdenlebens, hast Du nun den unsterblichen Sieg davongetragen. Dein System hat diesen Sieg nie errungen. Es wird ihn nie erringen, so lange es Poesie, Musik, Frauenschönheit und Nationalleben unter den Völkern giebt. Jetzt ruhe, Meister, im ewigen Frieden des Gedankens. Der Tod ist Dein Lorbeer! –

Ich blickte, nachdem ich dies gesprochen, im einsamen Auditorium umher. Meine eignen Worte hatten mich wie Dämonen geschüttelt, und es war ein Glück, daß dort auf der Seitenbank, rechts vom Katheder, noch H. B. dasaß, der, wie immer, eifrig mitgeschrieben zu haben schien. Dies erheiterte mich, und brachte mich aus meiner Aufregung wieder einigermaßen zu mir selbst, so daß ich fast hätte lachen können. Es war sonderbar, er schien wirklich auch meinen Vortrag, den ich eben gehalten, im Eifer seines doppelten Verständnisses der Hegelschen Philosophie nachgeschrieben zu haben, und ich möchte wissen, ob er unter seinen Heften nachmals noch etwas davon gefunden hat. Aber ein neues Wunder erhob sich jetzt. H. B. hatte seine goldene Repetir-Uhr neben sich liegen, die in diesem Augenblick zu spielen begann. Sie tönte in unendlich weichen, zärtlichen, Sehnsucht und Lust hauchenden Melodien durch die Stille der Nacht hin, welche noch eben von philosophischen Sätzen und systematischen Behauptungen erklungen war. Die Spieluhr tönte und sprach, wie in Liebesgedanken verloren, von unnennbar seeligen Stunden der Erde, und es war mir, als erzähle sie von einem Entzücken des Lebens, das höher als alle Vernunft, welches die Liebe sei. Ich vertiefte mich ganz in ihren Klang, und ihre Fugen wurden immer deutlichere, lebendige Worte für mich:

Zeit! Zeit! Zeit! – so ließ die Uhr aus sanfter Flötenbrust ihre Gedanken erklingen: – die Liebe ist die Musik der Zeit. Liebe, Musik, Zeit, das ist die Weltuhr der Ewigkeit. Nimm die gute Stunde wahr, wenn sie schlägt, denn sie rinnt und rauscht flüchtig und ist allmächtig. In der Melodie der Ton, in der Liebe die Gunst, in der Ewigkeit der Augenblick, danach hasche! Nur der Tropfe ist Dein, aber in jedem Tropfen erglänzt die Sonne, in jeder Minute wandelt die Ewigkeit, in jedem Ton zittert die Melodie, in jedem Kuß brennt die ganze Liebe. Folge, folge schnell der Gunst der Minute! Die Weisen aller Jahrhunderte sind weise geworden an der Minute. Wie ein lächelndes Kind, das auf der Welle sich schaukelt, sitzt die Wahrheit auf der Minute, und blickt in die Ewigkeit hinein. Dies ist mein Trost, indem ich die Stunden durch das wandelnde Leben fortspiele, und bei jedem Pulsschlag der Zeit, den ich in mir austöne, denke ich froh, er sei eine Stufe der Weisheit. So philosophire ich Tag und Nacht in die Welt hinein, und bin noch nie zu einem vollendeten, fertigen System gekommen. Augenblick eilt herbei, Augenblick eilt hinweg, und ich gerathe immer auf neue Gedanken. Es ist eine große Harmonie, an der ich spiele. Sie will niemals fertig werden. Euere philosophischen Systeme sind alle nur die Minutenzeiger der menschlichen Weisheit, und die menschliche Weisheit ist nur der Stundenzeiger des ewigen göttlichen Tages. Ein unermeßlicher Tag! Kein System faßt die sämmtlichen Paragraphen seiner Herrlichkeit, jedem Abendroth folgt ein schöneres Morgenroth wieder, und Sonnen werden abgelöst durch Sonnen bis ins Unendliche. Mich arme Uhr reißt der allgemeine Umschwung nur so mit sich fort. Wenn ich einmal stillzustehen scheine und mich besinne, und denke, ich sei nun zu einem fertigen System gekommen, so war nur Schuld daran, daß ich nicht aufgezogen worden bin. Ich werde immer wieder aufgezogen, und ein frischer Strom neuer Tage treibt mein Räderwerk weiter. Ich komme, ich komme nie zu einem System. Aber dieser unaufhörliche Wellenschlag ist der wahre Genuß des Daseins. Es ist die Begeisterung der Liebe, die in allen Takten meines Zeitmaßes sprüht. Liebe, Musik, Zeit, das ist die Weltuhr der Ewigkeit. Ich komme, ich komme nie zu einem System. – –

Die Uhr verstummte in einen scharf austönenden Seufzer. Ihren Tönen nachsinnend, blieb ich noch eine Zeitlang in der Hingerissenheit des Erstaunens lauschend stehn. Es war mir, als hätte ich Stimmen der Märchenweisheit aus uralten Sagen der Völker flüstern hören. Es war mir, als wenn die Märchenweisheit, wie sie in der Mythe spricht und in Bild und Symbol sich verherrlicht, es war mir, als wenn diese Märchenweisheit zu der Philosophenweisheit gesagt hätte: ich will es mit Dir aufnehmen! Da trat draußen die Mondnacht leuchtender hervor, und der Saal dämmerte hell auf in den geheimnißvoll zitternden Strahlen, die sich in langen blinkenden Fäden, wie glänzendes Haar einer schönen Fee, über Tische und Bänke ausspannen. Ein seltsames Leben schien mit dem gaukelnden und schaukelnden Licht des Gestirns in das flimmernde Auditorium gedrungen. O goldene Märchenweisheit! O Poesie!

Da krachte es plötzlich wie ein aufbrausender Donnerschlag, der Deckel des Sarkophags hatte sich rasselnd geschlossen, der Mond war wieder untergetaucht, zischende Blitze zuckten durch den Saal, die Nachtgespenster stiegen zum Fenster herein, H. B. war verschwunden. Ich erwachte zitternd.

Dank Dir dennoch, guter H. B., für Deine goldene Repetir-Uhr! – –


Ist das nicht eine wahre Propädeutik zur Erneuerung meiner philosophischen Studien? Wahrhaftig, Esperance, ich werde sie erneuern! Sobald ich mich im Juste-Milieu erst recht festgesetzt habe, werde ich eine Seeligersche Philosophie stiften. Sie soll eine neue Philosophie sein, und vor Allem den Beweis liefern, daß sich jedem System, auch dem vollendetsten, immer wieder ein anderes entgegenstellen läßt. Sie soll den Beweis liefern, daß es noch ganz neue Quellen für die menschliche Philosophie giebt, aus denen sie hergeleitet werden kann, und die noch nicht ausgeschöpft sind, und nimmer ausgeschöpft werden können.

Der Mensch kann nicht anders, er muß philosophiren! Es treibt ihn mächtig auf, x zu suchen. Durch das ganze Weltall späht er dem x nach, er stürzt seinen Geist durch Himmel und Erde, um x zu finden. Die unbekannte Größe ist es, die er im Universum aufsucht, die er mit allen seinen Denkkräften zu ermitteln trachtet, x lockt ihn, x stößt ihn zurück, x flieht vor ihm, x zieht ihn ewig an und will ihm ewig verborgen bleiben, es geht ein geheimer Weltschmerz von dieser unbekannten Größe aus. Dieser Schmerz um das x ist der Stifter aller Philosophieen, er hat den Verstand geschärft und der Vernunft die Richtung gegeben, er hat den Menschen aus dem Paradiese getrieben und wird ihn wieder in das Paradies zurückführen. Endlich, nach langer Logik und Metaphysik, hat der Mensch gefunden, wer x sei? Ach, er hat gefunden, daß er selbst = x ist. Er hat sich selbst gefunden, er hat die unbekannte Größe, die er suchte, nach vielem Denken in sich selbst entdeckt. Er wußte nicht, was er suchte, und er fand sich. Der Mensch ist die unbekannte Größe der Schöpfung, er ist das x seiner eigenen Philosophie. Wenn er über die algebraische Formel, durch die sich nur sein Dasein ausdrücken läßt, nicht wahnsinnig wird, so kann er weise werden, und ein großer Philosoph.

Der philosophische Trieb ist die großartigste und zugleich die unausstehlichste Seite der menschlichen Natur. Der Mensch will Alles entdecken. Alles erklären, jedes Geheimniß des Lebens antasten, und wann er, wie Oedipus, das Räthsel gelöst, hat es nur ihn selbst bedeutet. Er hat das Räthsel gelöst, und sich dabei immer tiefer in seine eigene Unbegreiflichkeit hineingestürzt. Er hat nur ein benanntes x gefunden. Oder er ist, statt in die Tiefe, auf die Fläche gerathen, und hat in das nachtdunkle Geheimniß des Daseins ein armseeliges Glück der Klarheit gebracht. Er hat den unsichtbaren Gott in Zahlen ausgeschrieben, und genau zusammengerechnet, wie viel er werth sei. Er hat aus allen Unbegreiflichkeiten des Universums ein hübsches Buch gemacht und Vorlesungen darüber gehalten. Jedermann hat sich über den hellen lichten Tag gefreut, und die Schulknaben haben mit Händen nach ihm gegriffen. Die Erwachsenen haben ein Collegiumheft davon klug mit nach Hause genommen. Die Philosophie verfährt dann mit den Gegenständen des Erkennens ebenso, wie jener Engländer mit der Memnonssäule. Diese weltberühmte Säule hat lange einen schönen poetischen Ruf behauptet, und, wie männiglich bekannt ist, mit dem Morgenlicht in einem zarten Verhältniß der Kindesliebe gestanden. In aller Frühe, wann Aurora sie gerufen, hat sie, ihre Steinnatur überwindend, an zu tönen gefangen, und hat dem Strahl geantwortet, recht aus voller Seele heraus. Besagter Engländer soll nun aber neulich erst entdeckt haben, wie es eigentlich eine pure Fabel sei, daß der tönende Memnon vom Lichtstrahl getönt habe. Er ist deshalb auf seine eigene Kosten nach Aegypten gereist, glücklich bis Theben gekommen; er ist in die Säule selbst hineingekrochen und hat sie genau untersucht. Da hat er eine Vorrichtung in derselben entdeckt, vermittelst welcher ein in der Säule versteckt gewesener Pfaffe alle Morgen mit einem Metallstöpsel von innen an den Stein geschlagen haben muß, um so den vielbesprochenen Ton hervorzubringen. Es war also nichts als Priesterbetrug gewesen, und der Engländer hat die Vernunft wieder in ihre Rechte eingesetzt. Schade dennoch, daß der Memnon nicht vom Licht getönt! Es ist wirklich Schade. Ich könnte hunderttausend Thaler darum geben, wenn der Ton rein aus Licht und Liebe getönt hatte. O Gott, es wird doch allmählig Alles entdeckt! Die klügelnde Philosophie und die reisenden Engländer haben sich mit einander verschworen. Sie lassen kein Geheimniß der Welt mehr übrig, und suchen sich aus allen Räthseln im Himmel und auf Erden ein Naturalienkabinet zusammen, das sie dann irgend einem Universitäts-Museum zum Geschenk machen. Hilf Himmel, mir wird bange! Ich höre am Ende auf, an meine eigenen Gefühle zu glauben, die mich oft wie hübsche Räthsel hin- und hergelockt haben durch warme Erdenstunden voll seeliger Irrthümer. All' ihr Nachtschmetterlinge meiner innern Seele, ich gebe euch frei! Ihr habt zum längsten das Geheimniß meines tiefinwendigen Lebens gehütet. Flattert, flattert hinweg, ihr Nachtschmetterlinge meiner innern Seele! Ach, und der morgenlichttrunkene Memnon meiner Brust wird nicht mehr wagen zu tönen! Die Philosophie wird ihm aus triftigen Gründen beweisen, daß hinter seiner Poesie nur Betrug steckt, daß es nur ein leidiger, ganz äußerlicher Metallstöpsel sei, der diese Gefühle in mir tönen mache, und daß die Vernunft in ihre Rechte eingesetzt werden müsse. O Memnon meiner Brust! Wenn Du, nach aller der Weisheit, doch noch wieder in mir erklingst, muß ich fürchten, daß auch in Dir irgend ein Popanz versteckt sitzt, der dies Klingen, dies Dichten eigenmächtig und wider alle Vernunft verursacht!

Aber nein, nein! Ich will eine neue Philosophie stiften! Eine Philosophie, in welcher der Memnon vom Lichtstrahl tönt! Eine Philosophie, hinter welcher kein Pfaffe und kein Metallstöpsel versteckt sitzt! Ich erkenne vier Quellen der neuen Philosophie an, aus denen sie fließen muß, und diese sind: die Vernunft, der Verstand, das Gefühl und die Phantasie. Die Vernunft ist der heilige Geist des Systems, das Verbindende zwischen der göttlichen Wahrheit und der menschlichen Philosophie; der Verstand ist die ordnende organische Kraft, das Gesetz und Gleichmaß der Glieder; das Gefühl ist das menschliche Blut, der feurige Puls der Bewegung, welcher in allen Adern des Systems quellen und schlagen muß; die Phantasie ist die über dem logischen Ernst aufgehende Sonne, welche selbst über die begriffene und demonstrirte Schöpfung noch Licht, Farben und Vögelgesang auszugießen im Stande sein soll. So wird die Philosophie aussehn, wie ein ganzer lebendiger Mensch, der Kopf und Herz auf dem rechten Flecke hat. Dieser Mensch wird also dann so viel Verstand haben, um einzuräumen, daß die Vernunft das Gefühl nicht ausschließt, und den Lebenstrieb der Phantasie nicht hindert, und daß aus dem innigst begründeten Zusammenhang aller dieser Kräfte erst das wahre System der menschlichen Anschauung entsteht. O ihr gefühls- und phantasiearmen Systeme, ich glaube auch an eure Vernunft und an euren Verstand nicht! Ihr seid der auf Betrug reduzirte Memnon! Ihr seid und bleibt kalter, klangloser Stein, mag Aurora auch mit ihren herrlichsten Morgenröthen auf euch niederscheinen! –

Doch genug, genug für heut! Du aber, kleine, Freundin, wirst mir Recht geben, und wirst, ich weiß es, mich loben, daß ich eine Seeligersche Philosophie stiften will. Du bist selbst ein philosophirendes Mädchen, und hast, wenn Du Dir Dein Nachthäubchen aufgesetzt, ein wahrhaft philosophisches Gesicht. In Deinen Augen leuchten schöne Gedanken. Ja höre, liebe Seele, wenn ich wirklich einmal eine Philosophie stiften sollte, so müssen Deine Augen durch sie hindurchleuchten. Ohne Deine Augen in meinem System thue ich es nicht.

Eben klopft es an meine Thür, und mir wird ein Brief gebracht. Verzeih', daß ich ihn in Deiner Gegenwart erbreche und lese. Die Handschrift auf der Adresse kommt mir so wunderseltsam bekannt vor. Der Brief muß, wenn ich meinen Augen trauen darf, von Kienast sein. Verzeih' also, ich stehe gleich wieder zu Deiner Unterhaltung zu Diensten. – – –

Närrisch, närrisch, närrisch! und noch einmal närrisch! Der Brief, der uns eben unterbrochen, kam wirklich von Kienast. Denke Dir, der Aufmerksame gratulirt mir heut zu meinem Geburtstag, und bittet mich, alles unter uns Vorgefallene zu vergessen. Am seltsamsten aber, auch sein Brief ist ganz voll von Philosophie, so daß über meinem Geburtstag in der That ein philosophischer Stern oder Unstern zu walten scheint. Er schreibt mir, daß er die Hegelsche Philosophie jetzt als das einzig Wahre und sein Leben Ausfüllende erkannt habe, und daß, wenn es uns vergönnt wäre, wieder inniger mit einander zu leben, er hoffe, mich ebenfalls zu dieser allein seelig machenden Wahrheit des Systems zu bekehren. Das sagt mir dieser Mensch, der an den Brüsten meines Denkens gelegen und sich satt getrunken, das sagt er mir mit einer ganz schulmeisterlichen Ehrbarkeit! Ferner äußert er in dieser mir so unerwarteten Correspondenz-Nachricht, daß er sich meiner früheren Ansichten über Hegel sehr wohl erinnere, daß sie ihm aber sämmtlich auf nichts als auf »Naserümpfen und Medisance« von meiner Seite hinauszulaufen schienen. Ich sei ein zu guter Kopf, um nicht das Positive an Hegel einzusehn, um nicht seinen Begriff zu begreifen. Der Narr, was nennt er Positives? Wenn ich etwas aus voller Ueberzeugung angreife, kann Jemand so bornirt sein, mir noch wohlmeinend zu rathen, ich möchte es doch begreifen? In meinem Angreifen steckt ja eben auch mein Begreifen drin, und ich spreche es eo ipso offen damit aus. Ich begreife es so, wie ich es angreife, und ich kann nicht anders. Nein, mit uns beiden ist es vorbei, und ich gebe es nun fast auf, mich je wieder über eine Tendenz des Lebens mit ihm zu verständigen. Wozu reflectirt er noch auf mich! Unsere Freundschaft würde jetzt doch nur ein mühseeliges und armseeliges Hin- und Herschleppen zweier neutralisirten Kräfte sein. Eine edele Resignation könnte uns hier beide ehren!

Mögen nun auch am heutigen Tage meine Ansichten über das Juste-Milieu sich gewandt haben, wie sie wollen, so ist und bleibt mir doch in der Freundschaft und Liebe jedes Juste-Milieu bis in den Tod verhaßt und zuwider. Mit einem Freunde, mit dem ich täglich Umgang pflegen soll, halb kalt und halb warm zu leben, und immer ängstlich die richtige Mitte zu halten, damit das Verhältniß nur nicht vollends in Haß umschlägt, ist eine bittere Qual, bittrer als Haß selbst. Die Liebe muß, wie der Champagner, schäumend genossen werden, dann gibt es einen genialen Rausch; hat er abgeschäumt, ist er schaal geworden, so erregt es Ekel. Ich mag kein Mittelding zwischen Haß und Liebe, ich mag kein Juste-Milieu! Gott wende von allen edeln Menschen das klägliche und dreimal dreimal in den Abgrund der untersten Höllen verfluchte Juste-Milieu ab! –

Ich komme heut immer wieder und wieder auf das Juste-Milieu zurück. Gott weiß es, wie es zugeht, ich bin damit wie behext. Ich mag meine Gedanken auf einen Gegenstand richten, auf welchen ich will, gleich fällt mir das Juste-Milieu dabei ein. Und eine Stimme ruft mir unaufhörlich zu: Seeliger, Du bist doch nur durch das Juste-Milieu zu retten! Bedenke die ungeheuere Sicherheit, welche das Prinzip gewährt, für einen ewig Aufgeregten, wie Du bist!

Sicher mag es sein, ebenso sicher, als wenn man sich auf Leibrenten gibt. Indem es mich dem Juste-Milieu in die Arme treibt, kommt es mir vor, als wenn ich mich auf Leibrenten an eine solide Bürgerfamilie verschreibe. Ich werde mir nun jeden Luxus abgewöhnen müssen, aber ich werde, bis zu meinem Tod, mein regelmäßiges Auskommen haben. Ich werde alle Tage meine bestimmte Portion essen, nicht mehr und nicht weniger, und meine Verdauung wird sich im besten Zustande befinden. Meine Leidenschaften habe ich mir sämmtlich abgewöhnt, und die Kinder im Städtchen nennen mich einen lieben guten alten Mann, und reichen mir alle die Hände, wenn ich wehmüthig lächelnd vorüberschleiche. Dort aber, das blühende Mädchen, blickt mir staunend mit langgerecktem Hals über den Zaun ihres Gehöftes nach, und spricht schalkhaft: »er sieht fast noch aus wie ein Jüngling! Und doch ist er ein alter Mann. Er hat seinen Geist auf Leibrenten gegeben!«

O blühendes Mädchen, ich bin ein alter Mann, ich bin ein Juste-Milieu-Mann! Weine über dem Grabe meiner frühen Jugend eine milde Thräne! – –

Esperance, was sagst Du? O Kind, es muß aus mit mir sein! So melancholisch, bis in den geheimsten Winkel meines Herzens hinein melancholisch, bin ich noch nie gewesen, wie heut!

Der Abend kommt heran, und wirft mir flimmernde Schatten auf das Papier. Ich kann nicht mehr schreiben. Weit weg will ich die Feder schleudern, und nur noch an Dich denken. Ich denke: Du geliebte Freundin, warum bist Du nicht hier? Warum müssen wir getrennt leben, und warum flicht kein ewiger Bund unser Beider Dasein zusammen, zu einer starken Einheit? Doch die Einheit liegt fern auseinander, ich werde Dich nie besitzen, und der Wunsch, daß ich das zerrissene Tonstück meines Lebens an Deiner Harmonie wieder herstellen könne, dieser Wunsch ist nur ein kranker Thor.

Gute Nacht! Gute Nacht! Ade! Aus Verzweiflung werde ich mich doch endlich nennen müssen

Deinen

armen    
Juste-Milieu-Seeliger.


Zeitlosen.

(Die nachfolgenden Bruchstücke aus mehreren Seeligerschen Briefen sind aus zweierlei Gründen zeitlos; einmal, weil sich auf ihnen, wahrscheinlich wegen der Aufregung und Zerstreuung des Schreibenden, kein Datum bemerkt findet, und zweitens, weil sich Seeliger selbst darin einen Zeitlosen nennt.)


* * * Ich bin Nichts! Ich bin nichts! Die Ebbe meiner Bestrebungen ist gekommen. Da sitze ich am öden Ufer, und sehe, wie der hohe Strom meiner politischen Meinungskämpfe endlich gefallen und ganz unter sein Niveau hinabgesunken ist! Ich bin Nichts! Ich bin gar Nichts! Alle Zeitrichtungen habe ich jetzt in mir durchgelebt und bin nun zu guter Letzt Nichts geworden. Auch das Nichts des Juste-Milieu bin ich nicht mehr. Ich will jetzt rein gar nichts sein. Arm Tom friert, und er hüllt sich in die Tugend seines Nichts. Vivat Nichts! –


* * * O ich Mann der Zeit! Alle Zeittendenzen, deren ich einer nach der andern gutmüthig vertrauend mich hingab, haben sich bitter an mir gerächt, und als ich eben, nach langem Hader und Streit, nach den gewonnenen Resultaten mich umsehen wollte, bemerke ich zu meinem Entsetzen, daß nur eine ganz zeitlose Gesinnung in mir übrig geblieben ist. Ich mag mit gar keiner Zeitrichtung auf der Welt mehr etwas zu thun haben! Ich gehöre keiner Zeit mehr an. Die Zeit hat mit mir gespielt, wie die Katze mit der Maus. Erst hat sie mir tändelnd eine Tatze nach der andern gereicht, zuerst die liberale Tatze, die Tatze der Freiheit; dann die absolute Tatze, die Tatze der Legitimität; und dann die Juste-Milieu-Tatze, die Tatze der gerechten Mitte, bis sie mir endlich mit dieser den Genickfang gegeben, um mir den Kopf abzubeißen. Ja, wo ist mein Kopf? Seeliger, Du hast Deinen Kopf verloren! –


* * * Armer Salzschreiber, wer hätte das gedacht! Du wußtest mit solchem Feuereifer jede Partei der Zeit zu ergreifen, und sogleich mit und in ihr zu denken und zu streiten; Du wußtest mit solchem Feuereifer dem Juste-Milieu-Prinzip entgegenzutreten! Und nun willst Du verzagen, willst der Gegenwart Dich abwenden, willst von keiner Richtung und Bestrebung mehr hören, willst, wie ein abgeworfener Reiter, im Sande liegen bleiben, und Dich nicht wieder aufmachen, um das göttlich schöne Flügelroß der Zeit einzufangen, es neu zu zäumen und zu satteln? Salzschreiber!

Ja, ja, ich will! Ich habe nun einmal die Salzpreise meiner Zeitbestrebungen gänzlich heruntergesetzt, und werde nie wieder damit aufschlagen. Der Salzwerth meiner jungen Tendenzbeweglichkeit ist total gesunken. Ich bin ein tendenzloser Salzschreiber geworden. Ein Ausgestoßener der Zeit, werde ich fortan als ein Eremit aller Richtungen in die Einsiedelei der Hoffnungslosigkeit mich verschließen, und von den Wurzeln und Kräutern der Gleichgültigkeit mich ernähren. Ich habe keine Liebe, keine Freude und keinen Glauben mehr. Mir ist wie einem Mann zu Muthe, der einen Prozeß verloren hat, bei dem sein Alles auf dem Spiele gestanden. Er hat nun nie wieder nöthig, Prozesse zu führen. –


* * * Durch Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart habe ich mich athemlos gestürzt, und nach diesen drei Himmelsgegenden des menschlichen Lebens meine heißesten Wünsche ausgesendet. Mit leeren Händen sind sie alle wieder zu mir zurückgekommen, meine Wünsche, und haben weder in Vergangenheit, Gegenwart, noch Zukunft eine dauernde Heimath finden können und wollen.

Ein Liberaler bin ich gewesen, und habe, auf ein heitres Glück der Zeiten bauend, muthig auf die schaukelnde Wellenlinie des Prinzips der Bewegung mich gesetzt. Mein Streben flog einer schöneren Zukunft entgegen, meine Hoffnungen flatterten wie weissagende Tauben am Horizont des Tages auf.

Ein Legitimer bin ich gewesen, und die heilige Bedeutsamkeit des Bestehenden hat mich gerührt. Ich habe mit frommem Ernst in den Grund aller Geschichte, die Vergangenheit, zurückgeblickt, und in alten großen Zeiten neuere Zustände gerechtfertigt gefunden. In den Tempelruinen der Vergangenheit saß auch Minervens Eule verborgen, und ist mir entgegengeflogen, und hat mich wieder an Deutsche Kunst und Wissenschaft gemahnt.

Ein Juste-Milieu-Mann zu werden habe ich versucht, um mich mit der Gegenwart zu vermitteln, und nicht in Widerspenstigkeit gegen die Anforderungen des Zeitgeistes zu verharren. Aus dem Schlangennest des Juste-Milieu kam auch die Schlange, die auf dem Baum der Erkenntniß gesessen, lockend auf mich zu, und brachte meine Gedanken auf die Philosophie der Deutschen. Ich fing an zu reflectiren, zu philosophiren, und hatte einen schlechten Geburtstag.

O Zukunft! Vergangenheit! Gegenwart! Taube! Eule! Schlange! Seltsames Dreigestirn des irdischen Daseins, unter welchem der Mensch verzaubert hinschleicht, immer von entgegengesetzten Weltrichtungen magisch angezogen! Die Zukunft ist die Taube, sie ist die weiße Taube der Unschuld; es ist die unschuldige Zeit der Geschichte! In heiliger Reinheit liegt sie vor uns da, wie eine schlummernde Göttin, der ein schönes Morgenroth die Augenlider öffnen wird; die Schaaren der Völker harren in andächtigen Gebeten auf ihr Erwachen. Herrliche Träume schweben um die Stirn des Götterbildes, und der Purpur der Frühe, der sie leise umduftet, malt sie wundersinnig aus; es sind die Träume ganzer Geschlechter, an denen in dieser himmlischen Stirn gedichtet wird. Da, da schlägt sie die Augen auf, Welten zittern ihr entgegen, alle Nationen stehen auf in trunkener Bewegung, und niegesehene Frühlinge schießen tausendhalmig empor, wo sie die Augen aufschlug! So tritt sie unter die Menschen, die Tochter der unbefleckten Empfängniß, die Tochter des wahren Gottes selbst. Sie bringt jedem Volk eine weiße reine Zeit wieder, jedes Volk kann in ihr wieder eine Periode der Unschuld beginnen. O Zukunft! O Göttin! O Taube! Die Vergangenheit aber ist die Eule der Geschichte. Blind für den lebenden Tag, schaut sie doch scharf in die Nacht der Zeiten hinein, und predigt tiefgedachte Weisheit von dem, was gewesen. Ueber den Trümmern erhabener Weltbegebenheiten sitzt sie sinnend, und hat sich aus dem Schutt der Zerstörung manchen großen Gedanken gerettet, der von unvergänglicher Bedeutung für das Menschengeschlecht ist. Die Morgenröthe lockt sie nicht mehr, aber beim stilleren Abendroth hebt sie die Flügel ihres Denkens, und singt bald heimliche Elegieen, bald großartige Lehrgedichte über die versunkenen Gestalten ehemaliger Zeit. Sie behütet in ihrem nachtwachenden Flug Tugenden und Sünden der Völker, und schreit glückliche und unheilvolle Erfahrungen der Gegenwart zu. Und die Gegenwart ist die Schlange! Die Gegenwart ist die listig sich windende Schlange, es ist die Zeit der List. Sie biegt und schlingt sich in tausend labyrinthischen Wendungen auf Kreuz- und Quer-Pfaden hin; sie weiß zu berücken und zu bestricken, und aus den Ränken des Tages flicht sie sich ihren ruhmlosen Sieg zusammen. Schnellfüßig, ist sie überall und nirgends; sie ist muthig und feig zugleich, lächelt freundlich und vergiftet. In der Gegenwart gilt und herrscht noch die List des Augenblicks. Die Zukunft läßt sich nicht erlisten, und die Vergangenheit hat längst den Trug geschieden von der Wahrheit. Der Zukunft läßt sich nichts ablisten und abringen; nach ewigen Gesetzen bestimmt, steigt sie zugleich als ein freies Göttergeschenk zu uns nieder. Aber durch die Gegenwart züngelt noch die in allen Künsten der Tücke geschäftige und gewaltige Schlange. Und die Schlange hat ein ganzes Menschengeschlecht verführt! –

So wurde ich umhergeworfen, und unruhige Bestrebung trieb mich bald nach dieser, bald nach jener Richtung fort. Alles an mir war ja nur Bestrebung, sie war mein Glück und mein Verbrechen. Mein Verbrechen heißt Bestrebung! Ob es ein Ziel gibt, das mit Frieden und Versöhnung lohnt, kümmert den Streitenden, den es in die Schlacht treibt, nicht. – –


* * * Felix culpa! möchte ich mir dennoch zurufen. Heut ist ein schöner Herbsttag, wochenlange Regenschauer haben nachgelassen, und die Sonne, wenn auch blaß aufgehend, wirft noch einmal lebenswarme Blicke in mein Stübchen herein. Willkommen, willkommen, Sonnenblick! Zufriedenheit kehrt wieder, und ich rufe mir zu: felix culpa!

Habe ich nun auch in und mit den verschiedensten Zeitrichtungen gelebt und gesündigt, so bin ich damit doch ein Mensch gewesen! Ich habe menschlich gelebt, geirrt, gelitten und genossen, und durch manchen begeisternden Wahn hat sich auch Wahrheit in mein Herz geschlichen. In jedem Wahn war auch eine Wahrheit für mich darin, und ich habe gläubig an ihr gehangen, und mitten im Irrthum an ihr gelernt. Aecht humane Studien!

O was ist denn wahr? Was ist Wahrheit der Zeit? Keimt und knospt sie nicht in allen Richtungen, geht sie nicht durch alle Tendenzen der Geschichte als treibender Lebenshauch hindurch? Jede von der Zeit wirklich getragene Partei hat eine Wahrheit für sich, in deren Geist sie handelnde Partei geworden, und alle einander gegenüberstehende Zeitrichtungen sind Brüder, wenn auch friedliche, die an einer Mutter Brust gelegen haben. Es ist ein Bruderzwist unter ihnen, der um Recht und Ehre der ganzen Familie geführt wird, und für eine allen gemeinsame Idee strömen sie ihr eigenes theures Blut im Kampf dahin. –

Vergangenheit! Gegenwart! Zukunft! und der Mensch die Wetterfahne, zwischen die Mächte dieser drei Weltorkane mitten hineingestellt! Er kann sich ihnen allen nimmer entwinden, er muß auf die Vergangenheit zurücksehn, er muß fortfahren, auf die Zukunft zu hoffen, und zugleich drängt es ihn, mit der Gegenwart sich zu vermitteln. So ist er ewig zwischen Fortschritt, Stillstand und Rückschritt gebannt, und von liberalen Ideen stolz begeistert, vor der heiligen Legitimität menschliche Demuth empfindend, und endlich zur Vermittlung weise schreitend, kann man sich wundern, wenn er keine feste Heimath auf Erden hat?

Ein Wort des Gregorius Magnus, an das ich mich heut erinnerte, hat mich ganz besonders getröstet. Derselbe sagt: »Der Mensch hat und trägt von allen Dingen etwas in sich. Mit den Steinen hat er das Sein gemein, mit den Pflanzen das Leben, mit den Thieren das Empfinden, und mit den Engeln das Denken.«

Großer Gregor! so behaupte ich auch, jeder Mensch hat und trägt vom Liberalen, vom Legitimen und vom Juste-Milieu-Mann etwas in sich. Mit dem Liberalen hat er den Vervollkommnungs-Trieb gemein, mit dem Legitimen den Erhaltungstrieb, mit dem Juste-Milieu den Vermittelungstrieb. Alles ächt menschliche Triebe!

Die Wahrheit dieser Triebe liegt in der innern Nothwendigkeit eines jeden selbst, und giebt ihnen Kraft und Berechtigung, als Streitmächte die Weltgeschichte zu bewegen. Auch die kleine Universalhistorie meiner jungen Menschenbrust hat den Krieg empfunden, und in das Getümmel der weltgeschichtlichen Triebe sich gestürzt. Ich weiß nicht, wer gesiegt hat, aber ich weiß, daß ich mein Herzblut nicht umsonst vergossen habe. Die Universalhistorie ist noch nicht am Ende. Man weiß nicht, wer gesiegt hat. Aber große Schlachterinnerungen lehren und predigen mit tausend Zungen.

Felix culpa! Mir ist Menschliches begegnet! Ich habe mich in Gegensätzen umhergetrieben, und an jedem reichlich Lust und Leid gehabt. In lauter getrennte Accorde hat sich mir die Melodie zersplittert, und doch hat es auf allen Saiten meines Menschen in mir musizirt. Die Theile haben mich festgehalten, und doch habe ich von ihnen aus Blicke auf das Ganze gethan; oft bin ich nur an den Grenzen umhergeschweift, oft habe ich nur von den Spitzen der Berge aus in das gelobte Land hineingesehn, aber ich habe doch Land und Leute gesehn! Ich habe dabei hoffnungsvolle Provinzen, unbekannte Weinberge, wüste Stellen und auszutrocknende Moraste in meiner Brust entdeckt. Ich habe mich abwechselnd erhoben, gekreuzigt und gedemüthigt gefühlt. Mir ist Menschliches begegnet! Felix culpa! – –


* * * Daß dennoch der Teufel mit im Spiele gewesen, wer möchte es läugnen? Wer hat es nicht längst gesehn? Ueber diesen Zodiacus bin ich nun, Gott sei Dank! im Klaren. Ja, Gott sei Dank! denn man muß dem lieben Gott auch für den leibhaften Teufel danken, denn ich halte auch den Teufel und habe ihn immer gehalten für einen Abgesandten Gottes, der gekommen ist, zu wecken die Schlummernden, anzutreiben die Wachen und zu locken die Müden. Der Teufel sagt viel Wahres, aber er ist nicht die Wahrheit; er ist der scharfe Reiz in den Dingen, durch den sie sich sondern und zerlegen, um die Erkenntniß vorzubereiten; er ist der salpetersaure Geist, der die Mischung der Lebenselemente herbe kräftigt und bindet!

Der Teufel ist das Treibende, das den Menschen durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hindurchpirscht, um ihn mit der Heimathlosigkeit der zeitlichen Zustände zu ängstigen. Und so wirkt er für das Göttliche und Ewige, indem er, selbst wider seinen Willen, darauf hinweist, daß darin allein das Dauernde sei. Wen er aber zur Hölle führt, der hat es sich selbst zuzuschreiben. Der Teufel kann wahrlich nicht dafür.

Die Geschichte ist nun vollständig am Tage. Ich habe die ganze Sippschaft belauscht, und meine Ohren haben gehört, was mein Herz längst geahnet hatte. Eine närrische Rolle hat er bei mir gespielt. Ich muß noch über die Maßen lachen.

Das Allerseltsamste ist, daß eine alte Zeitung Veranlassung wurde, daß ich Alles haarklein erfahren habe. Meine Gedanken geriethen nämlich gestern unwillkürlich auf die erste Französische Revolution von 1789, diese erste Krateröffnung einer neuen Ideenwelt für ganz Europa, und mir fiel ein, daß mein Hauswirth mir öfter von einem Kasten voll alter Zeitungen aus den Revolutions-Jahren gesagt, den er auf dem Boden stehen habe. Ich hatte oft ein Gelüst danach gespürt, diesen aufgesammelten Schatz durchzusuchen, denn es war mir immer höchlich interessant gewesen, große Ereignisse der Vergangenheit, die längst geschichtlich abgegränzt dastehen, selbst wieder bis auf den mannigfach carikirten Zustand zurückzuverfolgen, in dem sie noch als Zeitungsnachrichten an den unreinen und unbestimmten Reflexen des Tages sich brachen. Ich begab mich also gestern auf den Boden, der nicht allzuweit von meiner eigenen Wohnung entfernt ist, und nachdem ich eine Katze, die auf dem Kasten als Hüterin gesessen, mit guten Worten vertrieben hatte, war ich alsbald so glücklich, aus dieser bestaubten Makulaturweltgeschichte ein mit vielen Spinnenflecken geschwärztes Zeitungsblatt vom 26. Januar 1793 herauszufinden, in welchem die am 21. Januar erfolgte Hinrichtung des gutherzigsten der Könige, Ludwigs XVI., mit allen einzelnen Umständen genau beschrieben war. Ich stand und las, fortgerissen von meinen eigenen Gedanken, und meine Phantasie versetzte mich lebhaft in Zeit, Ort und Verhältnisse hinein. Mein Haar starrte mir, ich fühlte, daß das Blut aus meinen Wangen wich, ich sah die vom stillzitternden Volk umstandene Guillotine, ich hörte das königsmörderische Beil fallen, Marie-Antoinettens klagende Gestalt trat vor mich, und zeigte mir ihr schönes blutgetränktes Haar, das schönste Haar, das je um einer Frauen Schläfe geflattert. Ich war so angegriffen, daß ich an die Wand taumelte, und mich halten mußte.

Da hörte ich plötzlich Stimmen in meiner Nähe flüstern. Seltsame Worte wurden laut, und brachten meine Aufmerksamkeit wieder zu sich.

Weißt Du, welches Volk das unglücklichste ist? tönte es, wie innen hinter der Wand.

Ich weiß es! antwortete eine andere heisere Stimme, mit schauerlicher Betonung. Das Volk, welches nie eine Schuld auf sich lud, ist das unglücklichste. Es hat keine Geschichte. Die Schuld ist der erste Fußtritt in die Weltgeschichte. Das Menschengeschlecht mußte erst das Paradies verscherzt haben, ehe es historisch werden konnte.

Du hast Deine Sache, gut gelernt, mein Sohn, krächzte die erste Stimme wieder.

Ich lauschte in krampfhafter Spannung, ein kalter Schauer rieselte durch alle meine Glieder. Ich wußte, wessen Worte ich hier vernahm, welches Zwiegespräch zu behorchen ich vom Schicksal auserkoren worden.

Neben an, in des Nachbars Hause, wohnte ja Er, für den ich neulich ausdrücklich dem lieben Gott gedankt. Und diese Wand, an der ich lehnte, war offenbar die Hinterwand des Kabinettes, aus welchem ich damals die alte scharlachrothe Sphinx, seine Großmutter, husten hörte.

Nun, Gott befohlen! Ich habe den Muth gehabt, Alles mitanzuhören, ja mitanzusehn. Durch einen Riß, den ich in der dünnen Wand entdeckte, konnte mein Auge, gerade mitten in das Gemach blicken, in welchem die erschütternde Scene sich zutrug.

Sobald ich Zeit und innere Ruhe habe, werde ich Jedes niederschreiben, wie es mir im Gedächtniß geblieben. – –


Ein Gespräch des Heisern mit seiner Großmutter.

(Abgehorcht.)

– Ein schwerer dumpftönender Husten unterbrach von Zeit zu Zeit die Worte der Alten, die, ganz in scharlachrothe Schleier eingehüllt, auf dem Bette lag. Er stand vor ihr, und rückte ihr mit besorgter Zärtlichkeit die Kopfkissen zurecht.

Du liebe Altmutter der Zeit, wie geht es Dir jetzt? sagte Er, sich zu ihr niederbeugend. Noch immer den bösen Husten, und die seit Ewigkeiten her nicht wegzubannenden Kopfschmerzen? Du denkst zu viel, Du lebst zu sehr im metaphysischen Grund des Alls. Etwas Unterhaltung vom Tage würde Dir zuweilen wohlthun, ein politischer Discurs Dich zerstreuen. Die Trivialitäten dieser lächerlichen Menschenwelt machen uns Halbgöttern Vergnügen, und sind eigentlich nur zu unserm Amüsement da. Der alte Herr des Universums kann billigerweise nicht über seine Geschöpfe lachen, weil er sie selbst geschaffen, und weil jener unaussprechbare Ernst in ihm ist, der uns alle bändigt. Diese Creaturen sind aber so possirlich, daß sie durchaus belacht werden müssen, und darum hat er Geister von unserm Schlag gebildet, damit doch ein Gelächter durch die Schöpfung gehe. Liebe, liebe Altmutter der Zeit, Du hast neuerdings gar zu wenig gelacht! Du hast Dich selbst von mir zurückgezogen, und jedes zerstreuende Gespräch mit mir gemieden.

Deine Liebe rührt mich, gutes Enkelchen! stöhnte sie, und reichte ihm aus den Schleiern die Hand heraus. Guter Sohn, Du bist immer mein Getreuester gewesen. Du wirkst und schaffst als Parteidämon dieser Menschenwelt oft recht nach meiner Laune, und verstehst die Räthselurne des Daseins, über die ich als Wächterin gesetzt bin, gewaltig durcheinanderzuschütteln; wenn ich auch eben mit Deinen letzten und neuesten Unternehmungen nicht zufrieden bin. Aber setze Dich, und bleib' ein wenig heut bei mir, und laß uns plaudern. Mach' es Dir ganz bequem.

Olympia, die Magd, die im Hintergrunde des Gemachs auf der Erde gesessen, schlich jetzt herbei, und brachte ihm einen Stuhl. Sie sah, wie immer, wunderbar schön und unglücklich aus. Dann neigte sie sich demüthig, ließ sich vor ihm auf ein Knie nieder, und schickte sich an, ihm die Stiefel auszuziehen. Er aber stieß sie mit rauhem Laut von sich, worauf sie seufzend wieder in ihre Ecke zurückwankte.

Sage, mein Sohn, hub die keuchende Altmutter von Neuem an, wie lange denkst Du noch an diesem elenden Aufenthalt hier Deine kostbare Zeit zu vergeuden? Was hat sich für eine entsetzliche Erschlaffung Deiner bemächtigt? Was sind das für Lappalien, mit denen sich ein Geist Deiner Art hier abgibt? Wann wirst Du Dich wieder als der weltmächtige Parteiteufel, als den ich Dich liebe, im Ganzen und Großen thätig und handelnd erweisen? Geh', geh', Quecksilbergeist, was ist für Wetter? Du hast jetzt zum längsten in Kleinweltwinkel gehaust. Ich denke, wir reisen noch heut Nacht, wann Deine Muhme, die Windsbraut, über den Schornstein fährt.

Wohl, wohl! erwiederte Er. Aber Du siehst die Dinge wieder zu ernsthaft an, Mütterchen! Du weißt, seit 1830 habe ich ungeheuer viel zu thun gehabt, und, wie Du es gern hast, als Parteidämon recht nach Deiner Laune geschaffen. Aber ein so großer Tumult der Factionen wurde von mir angerichtet, daß ich mich dabei heiser geschrieen habe, und seit Anfang 1833 beträchtlich an der Brust zu leiden anfing. Zur Wiederherstellung meiner Lunge faßte ich den Entschluß, auf das Land zu gehn, und lediglich aus diesem Grunde verlebte ich die Sommermonate hier in diesem Kleinweltwinkel. Der Ort ist nicht ganz so übel, Mutter, als Du meinst. Das Jahr 1833 war in der Welthistorie ein zu jämmerliches Jahr, um in der größeren Oeffentlichkeit etwas Sonderliches auszurichten. Wer kann es mir da verdenken, daß ich mich zu ländlicher Erholung nach Kleinweltwinkel zurückzog, und, da ich es doch nie ganz lassen kann zu scharmuziren, unterdeß mit diesem Seeliger ein wenig plänkerte?

Das schien mir eben das Langweiligste an Dir, mein Sohn! entgegnete Sie. Wie war es nur möglich, daß Du Dich mit einem solchen Tropf und träumerischen Einfaltspinsel, wie dieser Seeliger ist, einlassen konntest? Sohn, Sohn, wie schlecht wählst Du Dir jetzt Deine Lieblinge! Ich fürchte, Du wirst nie wieder Helden der achten Parteileidenschaft finden für Deine und meine Laune I

Laß mir doch auch einmal meine unschuldigen Scherze! antwortete der Heisere. Du weißt, ich kann der Alte sein, wann ich will und wann die Zeit kommt, und die ewig jugendliche Furie meiner Natur ruht nie lange aus. An Weltbränden habe ich mich oft genug gesonnt; es macht mir, wenn es nichts Besseres zu thun gibt, auch einmal Spaß, meinen Kometenschweif durch die Seele eines Salzschreibers hinzuziehen. Du beurtheilst diesen Salzschreiber zu streng, Mütterchen! Der junge Mensch hatte Anlagen zu einem politischen Werther dieser Zeit, und dies interessirte mich an ihm. Ich dachte, er würde sich entweder aus Liberalismus oder aus Absolutismus todtschießen, aber er war doch jedesmal zu pfiffig dazu. Es kommt jetzt nichts Rechtes mehr in Deutschland zu Stande. Dennoch habe ich mein Vergnügen daran gehabt, ihn an meiner Angelruthe bald nach diesem, bald nach jenem Köder schnappen zu sehn. Zappelte der gute Junge nicht so allerliebst herum, wie ein Goldfischchen, dem der Sonnenstrahl blitzend auf den Schwanz brennt? Und immer wußte er sich, wie ein muthiger Schwimmer, nach einer andern Seite hinauszuarbeiten, als ich ihn hinhaben wollte, so daß er alle Augenblicke: Land! jubelte, wo ich glaubte, er würde in der Welle untersinken. Du thust Unrecht, Mutter, Seinesgleichen so sehr zu verachten. Unter diesen Menschengeschöpfen ist doch im Grunde Einer wie der Andere, und in eines Jeden Brust geht der Prozeß von Himmel und Hölle durch. Wir Halbgötter müssen aus diesem Prozeß unsere Nahrung zu ziehen suchen. Ein wahrer Teufel verachtet keine einzige Menschenseele.

Ich sehe, Du bist erschrecklich leichtsinnig geworden, Sohn! stöhnte die Altmutter. Du nimmst jetzt Alles auf die leichte Achsel, es ist der heroische Sinn nicht mehr in Dir! Wehe, wehe, was muß ich an Dir erleben! Fluch, und abermals Fluch diesem Jahr Achtzehnhundertunddreiunddreißig, an dem Du so mattgeistig und erbärmlich geartet worden bist! Wo soll ich Orkane hernehmen, um diese Welt durchzurütteln, wenn mein liebstes Kind, der Parteiteufel, kleinlich und feige wird, und Tand und Spielereien als eine seiner würdige Aufgabe erachtet? Ich sage und wiederhole es Dir, wenn alle Streitkraft der Factionen erloschen, wenn kein Parteigeist mehr durch Leben und Geschichte rauscht, dann sind wir am Ende der Dinge, und sinken in den trägen Klumpen der Urmaterie wieder zurück, in dem für Unsersgleichen keine Bewegung mehr da ist. Blase also, blase! Blase und schüre wieder an, mein Sohn! Ueberwinde Deine schmachwürdige Zeiterschlaffung, an der ich Dich kranken sehe, und in der Du, was mich noch am meisten gegen Dich ergrimmt, mit leichtsinniger Heiterkeit Dich gebärdest!

Schmähle nicht, schmähle nicht so! antwortete der Heisere. Es geht das ärgerliche Gerücht unter den Menschen, daß ich in einem beständigen Zank mit meiner Großmutter lebe. Wozu dies bestätigen, um jenen Affen eine Freude zu machen? Ich bin allerdings leichtsinniger, heitrer und eleganter geworden, als in frühern Jahren, und das hat die Zeit so mit sich gebracht. Auch der Teufel muß sich cultiviren; ich habe es redlich, und, ich darf es gestehen, mit einigem Geschmack gethan. Ich habe den Pferdefuß unter einem künstlichen Schuhwerk verborgen, und Klauen trage ich für gewöhnlich jetzt gar nicht mehr. Ich kleide mich nach der Mode, ich bin ein Mann von Welt, ich bin ein Diplomat geworden. So habe ich scheinbar ein gefälliges, umgänglicheres Wesen angenommen, und bei Hofe und in den glänzendsten Salons der Vornehmen immer willkommenen Zutritt gefunden. Ich bin auch nicht mehr der alte Mephistopheles, wie mich Goethe damals in meiner hochtragischen Affaire mit dem Faust dargestellt hat. Als Mephistopheles lag eine entschieden metaphysische und speculative Richtung in meiner Natur, die ich jetzt abgelegt habe, weil damit nicht mehr in die Zeit einzugreifen ist. Dies düstere Element hat Keiner mehr an mir zu fürchten; ich bin kein metaphysischer Dämon mehr. Zu einer wahrhaft weltbürgerlichen Sinnesart umgewandelt, habe ich meine einzige Lust an publizistischen Tendenzen. Ein Politiker aus eifrigstem Herzen, wirke ich jetzt erst recht als der Geist des Widerspruchs, denn ich bin als solcher der Gott aller Parteien. Ich bin der Zodiacus, der Thierkreis der Zeit, und die Sonne der Wahrheit muß bekanntlich durch die Zeichen des Thierkreises laufen, wenn sie ihre Bahn vollenden will. Dieses mein Verhältniß zur Wahrheit gewährt mir das größte Amüsement, und macht mich zu dem heitern Mann, den Du, ernstgrollende Altmutter, so sehr an mir mißkennst. Die Sternbilder meines Thierkreises sind die Parteien der Zeit, in deren Zeichen die Wahrheit wechselnd erscheint und durchgeht, und nichts belustigt mich mehr, als wenn der oder jener Tropf die allgemeine Wahrheit erhascht zu haben meint, während er doch nur an der Wahrheit hängt, die ihm etwa gerade im Zeichen des Krebses (wie den rückwärts gehenden Legitimen) oder im Zeichen des Widders (wie den stößigen Liberalen) oder im Zeichen der Waage (wie den Alles abmessenden Justemilieus) aufgegangen ist. Dennoch hat Jeder für sich vollkommen Recht, in diesem seinem Sternbildflimmerchen Wahrheit, das er erhascht hat, jedesmal die ganze Sonne zu schaun. Wenn die Sonne im Zeichen des Widders steht, beginnt bekanntlich, nach der ewigen Monotonie dieser Erdengesetze, Das, was die Menschlein den Frühling nennen, und so glauben denn auch die kampflustigen Liberalen, die im Zeichen des Widders ihre Wahrheit haben, mit Recht den Anbruch eines neuen Völkerfrühlings heraufzuführen. Erscheint aber die Sonne im Sternbild der Waage, so ist das Herbstäquinoctium da, und die Justemilieus, diese Herbst-Tag- und Nacht-Gleicher der Zeit, gehen eifrig an ihr Geschäft, eine Tag- und Nacht-Gleiche der Meinungen zu verbreiten. Und wenn im Zeichen des Krebses sich die Sonne zeigt, so tritt die Erde ihr Sommersolstitium an, für das schlechte Wetter, das seit mehreren Jahren auf diesem Planeten zu hausen pflegt, offenbar viel zu spät, denn der Sommer hat sich jetzt gegen Ende des Juni schon immer längst erschöpft, und die Erde erringt nichts, als einen kühlen Altweibersommer, während die schönere Jahreszeit schon hinter ihr liegt. So ist es auch mit dem Altenweibersommer, dessen die unter dem Sternbild des Krebses fechtenden Legitimen sich rühmen können, und ihre Sommersonnenwende, die noch in die Zukunft hineinscheinen möchte, ist falsch und verspätet, da sie nur auf die abgeblühte Vergangenheit zurückweist. So könnte ich Dir, Altmutter, auch noch die übrigen Zeichen des Zodiacus deuten; ich könnte Dir die Sonne im Zeichen des Wassermanns als die Partei der Rationalisten, die Sonne im Skorpion als die der Jesuiten, und dergleichen mehr, beschreiben, wenn ich nicht wüßte, wie wenig Geschmack Du an solcher Unterhaltung fändest, und wenn nicht am Ende jedes Gleichniß ein wenig hinkte.

Ich wollte, Du rasetest wie ein Wirbelwind, statt daß Du Dich mit Gleichnißspielen abgäbest! sagte sie mit erhöhtem Kreischlaut der Stimme, indem sie sich etwas emporrichtete, und den Arm gegen ihn ausstreckte. Bist Du blind geworden, siehst Du nicht, daß Alles auf dem Spiele steht, wenn das Juste-Milieu, dies allen Geistern des Himmels und der Hölle gleich verhaßte, noch weiter um sich greift und die Herrschaft behauptet? Sohn, ich begreife nicht, wie Du Dich auch noch mit diesem Juste-Milieu einlassen konntest, da dasselbe im Grunde eigentlich antidiabolisch ist und Dich vernichten und in ewige Unthätigkeit zurückschleudern muß, wenn es sein Bestreben, die Parteien der Zeit zu zersetzen, zu vermischen und in Indifferenz aufzulösen, wirklich ausführt!

Mutter, laß mich nur machen! entgegnete Zodiacus. Ich kenne doch den Tagesschauplatz besser als Du. Ich bin jünger, beweglicher, ich nutze mit Lust jedes Einzelne. Du bist immer zu sorgenvoll vertieft in das Allgemeine. Wenn mir auch allerdings das Juste-Milieu unter dem Verdrießlichen das Allerverdrießlichste ist, so nimmst Du doch mit Unrecht an, daß es von Grund aus unseren Interessen zuwider sei. Verlaß Dich darauf, der Geist des Widerspruches ruht nirgend, und lauert überall. Denn das ist gerade das Lächerliche am Juste-Milieu, und hat es eben der Zeitverachtung preisgegeben, daß es, obwohl als Vermittlerin der Widersprüche auftretend, doch in diesem Beginnen selbst in immer undurchdringlichere Widersprüche sich verwickelt. Als das Abstractum aller Parteien, will es siegreich über jeder Parteispaltung stehen, und doch ist ersichtlich, wie es eben dadurch wieder zu einer Partei in der Zeit geworden ist, und in sein künstliches Friedenssystem die ganze schöne Raserei der Parteiwuth sich eingeschlichen hat. Es ist die Parteiwuth der Vermittlung, die Furie der Gutenrathgeberei, die wahrhaftig nicht minder diabolisch wirkt, als die Tollhäuslerei der Extreme. Das Juste-Milieu ist keineswegs antidiabolisch, Mutter! Ich verbrauche im Gegentheil jetzt mehr kleine Teufelchen an dies Prinzip, als jemals an ein anderes; es sind die kleinen Nasenstieberteufelchen aus meinem Reich, die ich in das Juste-Milieu habe fahren lassen, und die ein ganzes Volk an der Nase zu zupfen wissen, bis es endlich an der kläglichsten aller Ermattungen, an einer Nasenstieber-Ermattung, eines possenhaft tragischen Todes verstirbt. Ennuyant wird das Ding auf die Länge, das ist richtig, und ich kann einschlafen, wenn ich lange über das Juste-Milieu reden höre. Darum jetzt zu etwas Anderem. Wie gefällt Dir eigentlich Louis-Philipp, der gute König der Franzosen, Altmutter? Du hast mir noch nicht einmal Deine Ansichten über ihn mitgetheilt. Ich halte seine Regierung für die eigenthümlichst diabolische Geschichtsperiode, die es nur in der Welthistorie geben kann. Wirkt sie nicht vortrefflich zu unsern Gunsten? Sie ist es, welche alle diese Parteibewegungen nüancirt und färbt, und in der besonderen Stellung einander gegenüber erhält, in der sie sich unentwirrbar um den Thron des Bürgerkönigs gelagert haben. Jede Partei im Lande klagt ihn jetzt als den Grund ihrer Unzufriedenheit an, und so bietet sich das köstliche und kaum noch wo erlebte Spektakel dar, daß der König eigentlich der Nahrungsstoff aller die Nation zerreißenden Factionen ist, und es immer mehr wird, je mehr er sie durch seine Person zu vermitteln trachtet. So hat er eigentlich keine Partei in der Nation, und doch ist nicht zu läugnen, daß es blos die Interessen der Nation sind, die ihm am Herzen liegen und für die er seit mehr als drei Jahren Glück und Lebensruhe hinopfert. Er strebt nach dem Ruhm des nationellsten Königs, und muß doch ewig als unnational betrachtet werden; er ist der edelste und humanste Herrscher, der je ein Scepter in Händen gehabt, und muß doch dazu dienen, die verderblichste und giftigste Zwietracht im Volke unaufhörlich zu nähren und zu steigern. Es wird Parteien in Frankreich geben, solange Louis-Philipp alle Parteien bekämpft. Deshalb gefällt mir Louis-Philipp, der gute König der Franzosen, Altmutter! O tiefsinnige Frau, Du darfst nicht fürchten, daß der Factionsgeist in der Geschichte erlischt!

Meine Gedanken waren in der letzten Zeit mehr auf Deutschland gerichtet, seufzte sie. Ich habe darüber nachgedacht, ob Deutschland je politisch werden wird? Denn die letzte Frist ist diesem Volke gegeben, und ich prophezeie, daß es an geistiger Übersättigung, innerer Langeweile und tugendhaftem Lebenswandel noch in diesem Säculum schmählich untergehen wird, wenn nicht eine frische sturmeskräftige Woge sein Staatsleben in Strömung bringt! Doch ich will Dir nicht durch meine Melancholie die Laune verkümmern, da Du selbst jetzt nur zu kleinlichen Possen aufgelegt bist. Aber sage mir, Sohn, wie lange willst Du die gestürzte Aristokratie, die Du Dir zur Magd genommen, noch in aller Welt mit Dir umherschleppen? Was denkst Du endlich mit dem armen erniedrigten Geschöpf anzufangen?

Sie zeigte bei diesen Worten auf Olympien, die noch hinten im Winkel zusammengekauert auf der Erde saß.

Meistere nicht mein Thun, Mutter! sagte Zodiacus, indem er finstrer, und seine Stimme rauher wurde. Sie hat viel gesündigt, und muß viel gedemüthigt werden. Große Frevel der Geschichte ruhen auf dem stolzen Haupt der Aristokratie. So ist mir denn auch eine absolute Monarchie in der heutigen Zeit eigentlich der höchste Gräuel, denn obwohl es in frühern Perioden beim Despotismus für Unsersgleichen viel zu verdienen gab, so ist doch heut bei der fürchterlichen Vernünftigkeit, die überall herrscht, und mit der sich selbst der ärgste Tyrann auf dem Thron zu bekleiden weiß, nicht zu hoffen, daß etwas Sonderliches mehr für uns abgeworfen werde. Die absolute Monarchie tyrannisirt jetzt überall nur auf Ruhe und Frieden los, die Despotie hat sich Grundsätze angeschafft, und das wüthendste autokratische Regiment will doch weiter nichts mehr als Ordnung und Gehorsam der Völker. Es fallen heuer zu wenig Teufeleien beim Absolutismus vor, und das ist das Unglück. Deshalb gibt es keine Conflicte, es kommt nirgends etwas zum Ausbruch. Die zahme Tyrannei ist die unleidlichste. Darum erscheint mir ein Absoluter als der kläglichste Wicht. Mit dem Absolutismus ist es im Himmel und auf Erden vorbei. Selbst der alte Herr der Welten oben regiert nicht mehr absolut, sondern hat bekanntlich seit Etablirung der heiligen Dreieinigkeit ein constitutionnelles Regiment hergestellt. Die Menschheit hat an dem Gottmenschen einen Repräsentanten ihrer Interessen im Himmelreich bekommen, es hat all der Offenbarung seine Verfassungs-Urkunde und Charte erhalten, und die ewige Seeligkeit scheint ihm somit durch verfassungsmäßige Garantie gesichert. Zugleich aber hat sich der alte Herr noch so großmüthig bewiesen, auch uns Dämonen gewissermaßen die Würde eines eigenen Gerichtshofes zuzugestehn, obwohl er sich auch hier die Macht des höchsten Cassations-Tribunals selber vorbehalten. Wir sind daher, so zu sagen, eine Jury der Menschheit, denn wir erscheinen ja meist aus den eigenen Trieben dieser Creaturen zusammengesetzt, und so ergänzen wir auch in dieser Hinsicht den allgemein constitutionnellen Charakter der Welt, da eine wahrhaft constitutionnelle Verfassung nicht ohne Jury gedacht werden kann. Wir richten die Menschen nach ihrem eignen Gewissen, wir sprechen das: Schuldig! aus, und dem alten Herrn bleibt es dann, zu verdammen oder zu begnadigen. Man sollte nun aber denken, daß sich die Menschlein, bei der Garantie, die ihnen gegeben ist, ganz vortrefflich mit dem Himmelreich stehen müßten, und doch sehen wir, daß die Religion täglich mehr unter ihnen verfällt und fast schon zu einem trostlosen Schatten verblichen ist. –

Olympia war aufgesprungen, und ging, sich heimlich eine Thräne aus den Augen wischend, im Hintergrunde des Zimmers auf und ab. Sie schlug mehreremal das Kreuz, und flüsterte, leise betend, Ave Maria! –

Was denkst Du denn von den Liberalen, Mutter? fuhr Zodiacus fort. Ich glaube, diese Leute haben ein großes Recht auf ihrer Seite, daß sie, da der liebe Gott selbst das Menschenvolk constitutionnell regiert, auch von ihren weltlichen Regierern nicht anders beherrscht sein wollen. So dünken sie sich denn etwas mit ihrer constitutionnellen Verfassungsmacherei, und ergötzen mich ganz ungemein durch ihre Sprünge. Auch der Liberalismus bestätigt nur, was ich vorhin sagte, daß die Religion unter diesem Menschenvolk sich in einen völligen Nihilismus aufzulösen droht. Die Aufhebung der Staatsreligionen, die mit den liberalen Verfassungen überall Hand in Hand geht, redet als Symptom dieser einbrechenden Religionslosigkeit offenkundig genug. Uns, Altmutter, ist dies Alles Recht, denn wir lieben nur die Unruhe, wir nisten mit Lust in den Zerwürfnissen, und jeder Sturm des Verderbens fächelt uns Labsal zu. Glaube nicht, daß ich aus der Art geschlagen sei! Aber es ist keineswegs der Liberalismus allein, welcher die Bedeutung der Religion im Staate allmählig abschwächt. Es ist in der Menschheit das Uebergewicht und die Ueberreife des Gedankens, und am Gedanken muß allmählig aller Cultus zu Grunde gehn. Sage, sage, was wird aus Unsersgleichen werden, wenn jedes Geschaffene wieder im Gedanken sich aufgelöst haben wird? Wann kein Menschenelend und keine Menschenthräne mehr übrig sein wird, wo werden wir wohnen?

Sohn, Sohn, frage mich nicht! entgegnete die Altmutter. Vor Allem ist es Zeit, daß wir jetzt Anstalt zum Weiterreisen treffen. Zu Menschenelend ist so viel Stoff, daß es tief in die Ewigkeit hineinreicht. Wir sind unsterblich, Sohn! Die Menschenthräne versiegt nie und nimmer. –


Weibliche Ansichten der Zeit.

(Aus einem Brief Esperancens an Seeliger.)

– – So komm denn, Freund! Komm, wenn Du magst, wenn Du kannst! Ich habe Dir nun Alles genau und ohne Umschweif dargestellt, wie Du es finden wirst; und was Du von mir zu erwarten, weißt Du längst. Nur erwarte nicht mehr, als Du weißt!

So viel ist indeß gewiß, daß Du nicht länger in Deiner dortigen Lage bleiben darfst, wenn Du es mit Dir selbst redlich meinst. Ich kenne Dich ja, Lieber! Welche rege Natur hast Du nicht für das Schönste und Beste, aber Deine übermächtig wuchernde Phantasie, in der dortigen grillenhaften Einsamkeit genährt, hält Dich von allem Bestimmten ab, und wird Dein Leben in lauter Bruchstücke auseinanderreißen, während Du ein Ganzes sein könntest und solltest! Mir ist noch kein Mensch vorgekommen, der eine so große Phantasie hätte, wie Du, und den sie so tyrannisirte und bald zum Gott, bald zum Schwächling machte. Du hast Sinn und Organ für Wissenschaft und Poesie zugleich; bilde beiderlei Sinn ebenmäßig und abwechselnd, je nachdem Deine Natur dem einen oder dem andern Bedürfniß Dich zuführt, in Dir aus, aber laß nicht beide durcheinander in einem athemlosen Streben über Dich hinstürmen. In der Wissenschaft ist Dir Deine Phantasie am hinderlichsten; sie überstürzt Dich da mit tausend Blüthenflocken, fliegt nach allen Himmelsgegenden mit Dir hin, und bricht alle Augenblicke den heiligen Gottesfrieden der Forschung. Und in der Poesie wird Dir Dein Wissenschaftssinn nachtheilig; Du wirst da zu gründlich und zu bedacht, und bist nicht leichtsinnig frei genug. Gönne Dir Ruhe, laß eine klare Sonderung über Dich kommen, befestige Dein Reich und gränze es ab nach seinen verschiedenen Theilen. Ein vielfältiger, zersetzender Umgang mit Menschen wird Dir gut thun, und ist Dir nicht zu erlassen. Komm nur her! Du siehst, ich rede ganz wie eine wohlwollende kleine Schulmeisterin zu Dir.

Das Leben und die Zeit verlangen es heut, daß Wissenschaft und Poesie, Forschung und Schaffen, beiderseitig in den Begabten sich regen. Von einem Dichter halte ich nicht viel, wenn er jetzt nicht auch Bedürfnisse der Forschung, der Wissenschaft, ja der Kritik, in sich zu befriedigen hat. Nach zwei Seiten hin will und muß jedes große wahrhafte Dasein bewegt und befruchtet werden, nach der Seite der Forschung und nach der Seite des Schaffens. Und dennoch dürfen diese beiden Seiten nie in einander übergreifen, sondern müssen als die zwei getrennten Lebenspole sich ewig suchen, aber auch ewig fliehen, und im Suchen und Fliehen freilich die Schwingung des Ganzen fördern. Dies ist das Bildungsgeheimniß des ächten Talents, das sich nicht ausdrücklich beschreiben läßt. In der Harmonie dieser Deiner Kräfte, die Du hast, möchte ich Dich noch einmal glücklich und thätig sehn, Theurer! Nur vor allen Dingen gib Dich Deinen Dachgiebelstuben-Grillen und Träumen nicht länger hin, und matte Dich nicht an solchen kolossalen Phantasmagorieen ab! Schon das Leben der großen Stadt wird Dich hier wieder zerstreuen, die Anregungen sind mannigfaltiger, und deshalb auch die Ausgleichungen mit der Zeit leichter. Wenn Du meinem Anerbieten folgst und folgen kannst, so wirst Du, statt des Umgangs mit Gespenstern, die Du bisher in Deinem hypochondrischen Kleinweltwinkel gesehen, einen freundlicheren Umgang an meinen kleinen Mädchen finden, die Du zum Unterrichten bekommen sollst. Die naive Lernbegierde der hübschen Kinder wird Dich erheitern, und wann Du die leichten Schulstunden gehalten, wirst Du selbst Das, wozu es Dich gerade treibt, mit Heiterkeit arbeiten können. –

Daß Du Dich gegen das Juste-Milieu so ereifert hast, hat mich in der That Wunder genommen. Wenn man dies Prinzip von der carikirenden Fratze des Tages entkleidet, so scheint es mir, daß es gerade für die Deutschen sehr taugt, und ich glaube, daß Deine ehrliche, doch im Grunde der Seele immer zur Vermittelung geneigte Natur demselben nicht eben entgegensteht. Du weißt wohl auch nicht, daß ich mich ganz offen zum Just-Milieu bekenne? Für uns Frauen gibt es wohl keine zusagendere und tröstlichere Maxime; es ist ein ächt weibliches Prinzip. Wir sind einmal so wunderbar in das Leben hineingestellt, daß wir keine andere Aufgabe zu haben scheinen, als die richtige Mitte zu halten. Wir Frauen sind geborene Justemilieupolitiker, und solange unsere Emancipation, die noch immer in keiner Deutschen Kammer beantragt worden, noch nicht erfolgt ist, werden wir uns mit diesem System als der einzig nachgelassenen Taktik unseres Geschlechts zu behelfen suchen müssen. Da wir in unserem jetzigen unemancipirten Zustande keine selbstständig geltenden Glieder des Staates sein sollen, da wir keinen öffentlichen Charakter haben, keine Aemter bekleiden dürfen und nicht einmal ein Wahlrecht uns zusteht, so sind uns nichts als die Pflichten des Ausgleichens, Beruhigens und Vermittelns übrig gelassen. So sind die Frauen gewissermaßen auf nichts als auf einen bloßen musikalischen Effect im Leben angewiesen, und müssen überall als die Instrumente der Besänftigung einfallen. Wir sind nur ein musikalischer Anhauch an dem großen Organismus des Staatslebens, wir sind die stillen Leute aus der Weltgeschichte, und zu Friedenskünsten gezwungen, ist es ein Triumph für uns, daß jetzt einmal die ganze Welt draußen auf der Friedensschalmey des Juste-Milieu bläst. Es ist ein Triumph der Rache für das gesammte Geschlecht!

Uebrigens stimmt auch das Juste-Milieu mit meinen Gedanken von den Reformen, die ich immer gehabt habe, und daß Alles auf diesem Wege sich weiterbilden müsse, vortrefflich überein. – –

Laß Dir denn nun dies Alles gesagt sein. Seeliger! Gut, gut werden wir bei einander leben. Ich hoffe es und weiß es, Du närrischer Mensch mit Deinem herrlichen Streben! Bringe Deinen Kopf voll Plänen, Deine Brust voll Liebe, und Deinen Sinn voll menschenscheuer Einsamkeit nur immer mit. Wir wollen zusammen einen ganz neuen Roman daraus machen. Du bist doch im Grunde noch sehr jung, Seeliger!

Die in diesen Brief eingewickelte Locke habe ich Dir auf Deinen mehrmals ausgesprochenen Wunsch nicht mehr vorenthalten wollen. Du siehst, Freund, auch mir ist die Locke noch braun! O Freund, laß uns doch auf die Zukunft hoffen! Fortschritt! Freiheit! Zukunft! sind und bleiben die schönsten Wortes der Menschheit. Sie sind unser Aller Gebet.

Glaube bis in den Tod an

Deine

Esperance W.


An Esperance.

Bald nicht mehr:        
Kleinweltwinkel, 31. Dec. 1833.

Du Theure! Gebenedeite! Was hast Du mir geschrieben! Du willst mich in Deiner Nähe haben, mich, einen Verzweifelten, den Politik und Geschichte von sich ausgestoßen haben? Und ich soll mein versalzenes Kleinweltwinklerleben hier aufgeben, und in Deinem Stift wohlbesoldeter Schulmeister werden, ich, dem alle Schulmeistergrandezza von jeher ein Gräuel war? Ich soll den Geschichtsunterricht bei euch übernehmen, ich, der mit der Geschichte gebrochen hat und auf einem gespannten Fuß mit ihr lebt! Ich soll Deinen kleinen Mädchen ferner den geographischen Unterricht ertheilen, ich, ein Geograph ohne Land, der in der ganzen entdeckten und bewohnten Welt ein Fremdling ist, und dessen Erdkunde bisher nur desperate Resultate geliefert hat! Ich soll endlich sogar Französisch lehren! Bedenke, was es heißt, Französisch lehren! Heißt das nicht geradezu, ein Mann der Zeit sein? Mädchen, Mädchen, was verlangst Du von mir? Bist Du wirklich nicht im Stande, die erledigte Lehrerstelle anders zu besehen, als durch mich Aermsten?

Heut ist Sylvester-Abend, der jedesmal ein schöner, feierlicher, melancholischer Abend für mich ist! Indem ich Dies an Dich schreibe, steht das neue Jahr schon draußen vor der Thür, und schnaubt und braust gewaltig auf unruhigen Sturmwinden heran, und schlägt krachend an die Pforte um Einlaß. Ein fürchterlicher Orkan hat sich erhoben, der immer heulender hinundherfährt, je näher die Mitternachtstunde kommt, und seit Menschengedenken hat ein neues Jahr vielleicht nie eine so schwere Geburtstunde gehabt, wie in dieser Nacht. Alles dröhnt und wankt und zittert, das ganze Haus rasselt und klappert, und das Tischchen, auf dem ich schreibe, bleibt keinen Augenblick, ohne sich zu rütteln, stehn. Eine diabolische Neujahrsnacht! Ich fürchte, es reißt noch den Giebel, in dem ich hier so lange im Clairobscür meiner Leiden und Freuden traulich gewohnt, herunter! Nur noch zwölf Stunden in das neue Jahr hinein halte Dich, guter ehrlicher Giebel! Dort liegt bereits meine ausgefertigte Entlassung aus den Diensten eines wohllöblichen königlichen Salinenamtes. Man will mich gern gehen lassen, guter Giebel! Ich reise morgen ab, und hoffe, Du wirst bis dahin noch, trotz dieser mörderischen Neujahrswinde, die Ohren steif zu halten wissen. Dann fliege ich aus, und magst Du dann hinter mir in Trümmer fallen, wenn Du Deines Lebens ohne mich überdrüssig bist. Ich werde immer an Dich denken, Giebel! Wir beide haben redlich zusammengehalten, Du hast meine kuriosesten Gedanken theilnehmend mitangehört, und die patriarchalische Ruhe Deiner altfränkischen Natur hat mir oft wohlgethan! Nur bis morgen, Guter, stehe noch fest! –

Ja, Esperance, nur noch bis morgen! Dann fliege ich aus. Zu Dir! Zu Dir! Du mußt ja die Lehrerstelle an Deiner Seite besetzen, eine schöne Stelle an Deiner Seite! Und ich muß Geschichte, Geographie und Französisch lehren! Ich muß versuchen, ob ich jetzt etwa auf diese Weise in der Geschichte mein Glück machen, in der Geographie Utopien entdecken, und im Französischen meine unruhigen Zeitideen verwinden kann! Zudem hast Du mir Deine Locke geschickt, und diese Locke lockt und zieht so zauberkräftig, daß ich von dem theuern Haupt, dem sie angehört, unmöglich mehr entfernt zu bleiben vermag. Diese Locke zieht mich zu Dir! Un cheveu de ce qu'on aime tire plus que quatre boeufs.

Ich komme also, geliebte Lehrerin am Fräuleinstift der kleinen Ursulinerinnen! Schönes, weises, gelehrtes Mädchen, ich komme! Zwar ist es ein wahrer Jammer, daß nun dennoch ein Schulmeister aus mir werden soll, und mitunter denke ich wahrhaftig, es sei nicht weit von meinem Ende! Dann tröste ich mich wieder damit, daß ich doch wenigstens ein Mädchenschulmeister werde, und über hübsche kleine Ursulinerinnen herrschen, und an der Seite der herrlichen Ursulinerfürstin dasitzen soll! Dies gießt Trost in meine verzagende Seele, ich trockne mir die Thränen, und hoffe auf glückliche Schulstunden meines noch übrigen Daseins. Ich möchte fast schon ein wenig aufjauchzen, wenn mein Blick dort auf meine Entlassung aus der Kleinweltwinkler Saline fällt, und wenn ich mir immer wieder und wieder Deine Locke ansehe, so werde ich ein Narr vor aufthauender Lust und Sehnsucht und Erwartung, und hänge in Gedanken taumelnd an Deinem Hals! Wird, o wird auch die Hand, welche diese Locke abschnitt, mir dann zugehören? Um diesen Preis, Kind, will ich Schulmeister geworden sein, um diesen Preis will ich, nach all meinen welthistorischen Drangsalen, in's Privatleben zurückkehren. So endet Deutsche Politik! Sie zieht sich in's Privatleben, dies heimliche Rettungsplätzchen vor der Geschichte, in dem immer noch ein Asyl für jeden Schiffbrüchigen übrig ist, zurück. Sie begiebt sich in eine glückliche Häuslichkeit, macht die Stubenthür hinter sich zu, und läßt die Zeit draußen in Wind und Wetter sich vertoben. So endet Deutsche Politik! –

Hu! hu! hu! wie die Neujahrsstürme blasen! Horch, die ganze Erde schüttelt sich, der zerrissene Wolkenhimmel ist zum Schlachtfeld geworden, kein Hauch und Luftzug in dieser Nacht ist friedlich geblieben, und ein allgemeines Zagen und widerspenstisches Sträuben vor einem Weiterschritt der Zeit scheint durch die empörte Natur zu beben! Mein ganzer Mensch schaudert und meine Gedanken stehen ehrfurchtsvoll still vor der Zukunft. Ihr grimmentbrannten Winde, ihr zornbegeisterten Lüfte, was schüttelt ihr denn so gewaltig die Fittige des Sturms über diese neugeborene Jahresstunde, die noch, wie ein unschuldiger Säugling der Zeit, mit geschlossenen Augen im Schooße der Nacht ruht! Was bedeutet euer banger Flügelschlag, eure prophetische Melancholie, der heraufkommenden Zeit, die ihr mit solchen Zeichen verkündet? Wollt ihr mit euern nach Umwälzung lechzenden Lungen das dürre Gleichgewichtssystem der Europäischen Mächte umblasen? Werdet ihr mit euerm zerstörungslustigem Athem die Ottomannische Pforte einreißen und vor den Thoren Konstantinopels Engländer, Franzosen und Russen zu einem Vertilgungskampf der Eifersucht gegeneinander hetzen? Blast ihr die Kriegstuba, die in Portugal Bruder gegen Bruder, und den Bürger gegen den Bürger, zu einem aussichtslosen Metzeln treibt? Läutet ihr die Sturmglocke, die eine Revolution in Spanien ansagt? Läutet ihr die große Nothglocke gegen den Halleyschen Kometen, und beklagt ihr die arme alte Erde, die durch Weltbrand, Pestilenz, Seuchen und Naturschrecken in das Nichts, aus dem sie erschaffen, wieder aufgelöst werden wird? Ihr könnt viel, sehr viel und sehr wenig bedeuten, ihr Neujahrsstürme! Ihr könnt in allen Ländern der Welt eine Revolution, und in Deutschland keine Revolution bedeuten! –

Doch ich will der Zukunft heitern Spiegel, in dem Esperancens leuchtendes Bild steht, durch diese diabolischen Sturmwinde mir nicht trüben lassen! Du hast mich schön an die Zukunft gewiesen, Geliebte! Ja, ich glaube an Deine drei Worte: Fortschritt! Freiheit! Zukunft! sollte es auch mit mir werden, wie es will. Und ich will mir die Zukunft nicht nehmen lassen, sei es, wie es sei! Sei es auch wie es sei, die Zukunft wird über uns aufgehen, und der Gläubige wird ernten, selbst wo er nicht gesäet hat! Der Deutsche muß gläubig sein!

Ein Leben voller Arbeit liegt noch vor mir, Freundin! Ich kann nie ganz unglücklich werden, da ich arbeiten und Dich lieben kann. Außer den Schulstunden, die Gott segne, werde ich viel arbeiten. Ich werde meine historisch-komischen Novellen schreiben! –

Hu! hu! hu! hu! der Neujahrswind draußen bläst starker und stärker! Er hat schon mehrere Dächer in Kleinweltwinkel abgedeckt, ausgehobene Schornsteine fliegen wie polternde Kobolde in der Luft umher, und meine Fenster fahren klirrend in tausend Stücke. Wie geht es Dir nur, Kind, in dieser Nacht? –

Horch! ein bedächtiger feierlicher Ton bricht sich jetzt schwer und langsam Bahn durch die Wuth der Elemente. Es ist die Kirchthurmsuhr. Sie schlägt Zwölf. Eine seltsame plötzliche Stille ringsumher scheint einen Augenblick lang ihren erhaben abgemessenen Schlägen zu lauschen, und die Windsbraut selbst horcht mit verhaltenem Athem.

Es ist Zwölf! Das Datum, das ich zu Anfang dieses Briefes gesetzt, fängt nun an unrichtig zu werden, und ich schließe deshalb. Das Jahr Achtzehnhundertundvierunddreißig hat die Augen aufgeschlagen. Glück auf! Glück auf! Möge es allen Denen wohlgehen, die in diesem Jahr lieben, heirathen, Schulstunden geben und historisch-komische Novellen schreiben werden!

O Freundin, ich eile zu Dir! Ich folge diesem Brief auf dem Fuße nach. Ich soll Dich sehen, in Deinen Armen ruhen! Prosit Neujahr!

Prosit Neujahr! Dein Herz wird an dem meinigen schlagen. Prosit Neujahr!

Erschrick nur nicht, wenn Du mich grau und gealtert wiederfindest. Meine tiefinwendige Liebe zu Dir behält dennoch ewig rothe Wangen, und mit diesen rothen Wangen der Liebe, die meine Jugend ist, bin und verbleibe ich

Dein

seeliger Seeliger,   
Salzschreiber außer Dienst.



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