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Aus: Ein Mann des Volkes

Romanmanuskript

Geschrieben in der Festung Niederschönenfeld, 1921

 

Jakob Bröschke lebt noch. Er ist ein rüstiger Mann in den Sechzigern, trägt einen hellgrauen Filzhut und einen Spazierstock mit silbernem Knopf, helle Hosen, die unter dem langen Lodenmantel gravitätisch wuchtende Beine zum Vorschein kommen lassen, und braune Schnürstiefel. Ohne so solide Umhüllung möchten die untersetzte Gestalt, der breite, nach oben zugespitzte Kopf auf dem dicken, roten Hals, der eines Furunkelpflasters wegen immer ein wenig zur Seite geneigt ist, das gedunsene Gesicht mit dem grauen Vollbart und den in feuchtem Blau schwimmenden Spaltäugelchen kaum so beachtlich scheinen, daß Bürger und Kinder Jakob Bröschke, sobald er nur sein Haus verläßt, mit der scheuen Achtung grüßen sollten, wie sie nur offiziell besiegelter Wert begründet. Auch daß Jakob Bröschke eine bedeutende, purpurn und blau funkelnde Glatze hat, ist trotz seiner Straßenkleidung zu beobachten. Denn kein Gruß eines Passanten bleibt unerwidert. Welchen, beziehungsweise einen wie großen Teil der Glatze Jakob Bröschke beim Zurückgrüßen sichtbar werden läßt, hängt natürlich von der Person dessen ab, der ihm die Ehre erweist.

Handelt es sich um einen Nachbarn, etwa den Zigarrenhändler Wirrgarn, der als kaum Interessierter an den großen Streitfragen der Gegenwart – er beteiligt sich überflüssigerweise an den Kirchenratswahlen und soll sonst dem Nationalliberalen seine Stimme geben – Bröschke einerseits als Kunden in Pfälzer Zigarren und Grobschnitt-Tabak »Wanderlust« Höflichkeit bezeigen muß, andererseits auch aus Selbsterziehung einem angesehenen Mann, dessen Verdienste um das allgemeine Wohl, sei er immer auch ein Sozialdemokrat, niemand bestreiten kann, die freiwillige Reverenz nimmermehr versagen würde – handelt es sich also um Herrn Wirrgarn oder Herrn Magistratssekretär Stolterbeen, so entblößt Bröschke durchaus den Kopf, ja, es ist ihm nicht zuviel, den Hut mit einer leichten Schwenkung schräg nach oben so weit von der Glatze zu entfernen, daß er ihn beinahe im gestreckten Arm hält – hingegen bleibt seine Miene bei solchem Gruße unbewegt, der Blick schwimmt am andern vorbei in grader Richtung vorwärts, Bröschkes Seele scheint unberührt von der Begegnung. Von dem Gruß nimmt er zwar in entgegenkommendster Form acht, nicht aber von dem Grüßenden.

Anders, wenn ein Parteifreund des Weges kommt, beispielsweise der junge Rudolf Tesenfitz, der neue Redakteur, der sich so gut anläßt; da entsteht nicht halb soviel Zwischenraum zwischen Hut und Glatze – und doch, welch ein Unterschied! Was immer an Herzlichkeit in Bröschkes Züge geraten kann, wendet sich dem Bevorzugten zu. Die Äuglein zwinkern, der Schnurrbart schwabbt mit ihnen im Takt, und ein Vorderzahn des Oberkiefers wird über der gesprungenen Unterlippe sichtbar. Die Hand aber spreizt sich, bis sie die Hutkrempe erreicht hat, schüttelnd und winkend in die Höhe, so daß ihre beträchtliche Breite und der goldne Trauring am vierten Finger erkennbar wird.

Noch kameradschaftlicher grüßt Bröschke den zweiten Bürgermeister, seinen Genossen Peter Schmirl. Da sieht man gleich, daß es alte Freunde, gute Kampfkumpane sind – nun ja, sie sind ja auch fast im gleichen Alter –, und da bleibt Bröschkes Glatze bedeckt, und nur ihre Ränder deuten sich – bald links, bald rechts an. Denn er rüttelt zum Gruße am Hut, während sein Hals sich ganz zur Seite legt, über der Lippe gar zwei Zähne sichtbar werden, die gerötete Knopfnase zuckt und schnüffelt und der Gurgel ein röchelnder Laut entfährt, der, wenn die Freunde zum Händedruck stehnbleiben, zu einem jovialen Ausruf anwächst, wenn sie in Eile aneinander vorüberhasten, in einem verschluckten Gelächter untergeht. Hat Jakob Bröschke dem Gruß eines weiblichen Wesens zu danken, so gibt es auch da Unterscheidungen mancher Art. Es versteht sich, daß Frau Domnick, die daheim seiner Adele als Zugeherin behilflich ist, keinen Anspruch auf ein so respektvolles Hutlüften hat, wie es etwa der Gattin des Töpfermeisters Diestel, des Hausbesitzers nebenan, zukommt. Dennoch zieht Bröschke auch vor Frau Domnick den Hut, da sie nie unterläßt, vor ihm einen Knicks zu versuchen, und ebenso hält er es mit Frieda, dem eigenen Dienstmädchen.

Arbeitern und Arbeiterinnen – diese Lehre haben die Seinigen oft von ihm vernommen – kann man nicht höflich genug begegnen. Und es ist wahr: Wird Bröschke von einem Arbeitsmann gegrüßt, der grade von der Werkstatt kommt oder auf dem Wege dorthin ist, so nimmt sein Gesicht einen sehr ernsthaften Ausdruck an, und während er den Hut langsam schräg aufwärts vom Kopf wegbewegt, bis der Arm ungefähr gestreckt ist, neigt er zugleich unter Schonung des Furunkels den Hals, so daß die Bartspitze beinah den Knopf des Umlegekragens berührt. Leider sind jedoch die guten Manieren unter den Arbeitern seit geraumer Zeit stark zurückgegangen. Die Hetzereien der Linksradikalen haben die früher so dankbaren und gesitteten Leute vielfach geradezu zu Pöbel gemacht. Es gibt sogar einzelne, die dem verdienten Führer frech ins Gesicht sehn, ohne ihn eines Grußes zu würdigen. Der Schlosser Winckelmann von der Maschinenbaugesellschaft hat es direkt darauf abgesehen, zu provozieren. Kommt er auf dem gleichen Fußsteig Bröschke entgegen – der Kerl denkt nicht nur an kein Hutziehn, er weicht nicht einmal aus, sondern zwingt den alten Volksmann, vor seinem schlenkernden und breit ausladenden Gang zur Seite zu gehn, und Bröschke hat dabei manchmal deutlich bemerkt, daß Winckelmann – ein Mensch von höchstens 35 Jahren – dabei ganz ungeniert gegrinst hat. Jakob Bröschke verzichtet gern auf den Gruß dieses Verblendeten. Er weiß sich der Hochschätzung des besten Teils des Volkes sicher. Ja, bis in die allerersten Kreise hinein steht seine gediegene Persönlichkeit in vorteilhaftestem Ansehn. Er steht auf Grüßfuß mit dem Herrn Staatspräsidenten, mit allen Parlamentariern, mit Ministern und höchsten Beamten, mit der führenden Geistlichkeit und der Militäraristokratie. Ja, man muß sehn, wie die Gattinnen der repräsentativen Männer im Staate seinen Gruß erwidern, um zu wissen, daß Bröschke in der Tat ein Faktor seiner Zeit ist. Solche Persönlichkeiten grüßt er selbstverständlich zuerst. Langsam greift er zum Hut, und während er ihn in diesem Falle im Bogen schräg abwärts zieht, so daß der Arm nahezu gestreckt erscheint, stockt sein Schritt, um dem Körper Platz zu schaffen, sich vom Bauch aufwärts in seitlicher Verkrümmung zu verbeugen. Auch bei dieser Prozedur treten die beiden Vorderzähne hervor, jedoch nicht als Wahrzeichen der Leutseligkeit, sondern als Zeugen ungemeiner Aufregung und Anstrengung ... Am 14. Juli 1918 beging Jakob Bröschke seinen sechzigsten Geburtstag. Es war ein schönes Fest. Frau Adele hatte es ja nicht leicht gehabt. So robust ihr Körper bei all seiner Knochigkeit gebaut war – schließlich war sie; doch nur vier Jahre jünger als der Gatte, und das tagelange Auf und Ab und Hin und Her, das Umwerkeln in den Zimmern, das Herrichten behaglicher Unterkunft für Kinder und Enkelkinder, das Anordnen jeder Kleinigkeit – denn was nützte alles Schreien und Kommandieren mit Frau Domnick und Frieda, dem Hausmädchen: wo sie nicht selbst Hand anlegte, war's ja doch nicht das richtige, und wenn auch Käte schon seit zwei Tagen da war, eine verheiratete Tochter will als Gast behandelt werden, und ihr bißchen Hilfe wiegt die Mehrarbeit nicht auf, die sie für Mann und Kind und die eignen Bedürfnisse beansprucht –; kurz und gut, die Vorbereitungen zu dem großen Tage, über denen doch die Mahlzeiten und die regelmäßigen Anforderungen des Haushalts nicht vernachlässigt werden durften, hatten auch ihrer gesunden Konstitution gehörig zugesetzt.

Als sie am Vorabend glücklich um halb zwölf Uhr mit brennender Kerze ins Schlafzimmer getreten war – Jakob hatte sich schon, um morgen bei Kräften zu sein, um neun in die Federn gewälzt; Käte und Eugen hatten sich eine Stunde danach in die zur Familienwohnstätte umgebaute gute Stube zurückgezogen, und Frieda turnte grade laut gähnend zu ihrer Dachkammer hinauf –, da warf Adele mit einer Bewegung, die alle Gelenke knacken ließ, das Hauskleid über den Kopf und auf einen Stuhl, löste mit zwei Griffen die graumelierte Frisur auf, deren stärkeren, braunen Teil sie im Schubfach der Spiegeltoilette verwahrte, lockerte ein paar Bänder, Haken und Nadeln, was ihr gestattete, Beinkleid und Unterröcke gleichzeitig fallen zu lassen und mit raschem Zufassen zugleich mit den Hausschuhen abzustreifen, riß das Mieder resolut über die dürren, sehnigen Arme und setzte sich dann, nur noch mit dem kurzen, ärmellosen, um Hals und Nacken halbrund ausgeschnittenen Hemd und mit schokoladebraunen gestrickten Strümpfen, die über den Knien von Gummizugbändern umschlossen waren, bekleidet, auf den Rand ihres schon hochgeschlagenen Bettes. Jetzt erst nahm sie sich die Muße, die Glieder gründlich zu recken. Die langen roten Hände schlossen sich, und die Arme stießen mit leichter Drehung nach außen vor, so daß über den Ellenbogen eine tiefe eckige Einbuchtung entstand, während zugleich ein aus den Eingeweiden vorgeholter prustender Ton aus Adeles Mund pfiff. Hierauf bückte sie sich und rieb mit beiden Händen vom Knie bis zur Fessel an beiden Beinen entlang, ehe sie sich zu den weiteren Maßnahmen zum Schlafengehen entschloß.

Langsam entfernte sie die Ohrringe aus den Läppchen und legte sie auf den Nachttisch; dann griff sie sich mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand in den Mund und entnahm ihm die sechs mittleren Zähne der oberen Reihe, die ihren Platz im Nachtkästchenschubfach fanden. Ein Blick aufs Nachbarbett überzeugte sie, daß die sichtbaren Merkmale tiefen Schlummers mit den hörbaren, die der Gatte von sich gab, übereinstimmten; so nahm sie aus der Schublade einen Schlüssel, öffnete damit den Kleiderschrank und legte für sich selbst das violette Besuchskleid heraus, während sie vorsichtig wie bei einer Diebestat den neuen Schlafrock vom Haken löste, der ihre Überraschung zu Jakobs Geburtstag sein sollte. So leise wie möglich und unter wiederholtem ängstlichem Umschauen nach dem Schnarchenden schloß sie den Schrank wieder ab, dekorierte einen Stuhl am Fußende der Betten mit dem Geschenk und wandte sich nun mit Entschiedenheit den letzten Anordnungen ihrer Nachtgarderobe zu. Drei Finger unter das Strumpfband gespreizt, ließen sich die Beine rasch entkleiden, und während eine Hand bereits unter dem aufgestülpten Deckbett Nachthemd und -jacke herauszog, hatte die andre schon das leichte Hemd über der Schulter aufgeknöpft, so daß es nun haltlos den Leib hinab auf die bloßen Füße rutschte, die ihm sogleich entstiegen. Bis sie die Glocke des Nachthemds geöffnet hatte, um mit Kopf und Armen darin zu versinken, stand Frau Adele Bröschke in herber Nacktheit in ihrem ehelichen Schlafgemach. Ob die Gemahlin des Volksmannes aus ihren Mädchenjahren noch oder aus der Zeit jener Frühwochen gattlicher Gemeinschaft, da die Sorge, für den Herzliebsten schön genug zu sein, keinen wichtigeren Gedanken zuließ, die Gewohnheit abzulegen vergessen hatte, oder ob die weibliche Natur allgemein und unbekümmert um Lebensalter und Vergänglichkeit von Reiz und Sinnenlust den Hang zum Selbstgefallen in sich birgt – gleichviel: die gänzlich entkleidete Frau benutzte die kurze Spanne Zeit zwischen dem Wechseln von Tag- und Nachthemd, um mit einer kurzen Wendung des Nackens die eigene Figur in dem von flackerndem Kerzenlicht hinlänglich beleuchteten Spiegel zu überschauen.

Mochte die Geste immer mechanischer Angewohnheit entstammen, gewiß ist, daß es kein gedanken- und interesseloser Blick war, den Adele auf ihren doch schon großmütterlichen Akt fallen ließ. Denn ihr erstes war, daß sie mit den Fingern ins Haar fuhr und die dünnen grauen Strähnen mit zausender Gebärde über einen kahlen Spalt schichtete, der von der Stirn zum Scheitel klaffte. Und auch dann noch schweiften ihre grauen Augen verräterisch lange an der spitzen Nase über den Wulstmund mit dem überhängenden Oberkiefer, das lange Kinn und den dürren Hals hinweg, vorbei an den schmalen hohen Schultern, aus deren Knorpeln die blauroten Arme allzulang herabhingen, und am Leibe selbst dahin, dessen flache Eingedrücktheit nur von den von sichtbaren Rippen getrennten, wie leere Papiertüten herabhängenden Busenresten unterbrochen, sich unterhalb des Nabels noch einmal wölbte, die Hüftknochen weit herausragen ließ und da, wo die mageren Schenkel sich gabelten, hohl einfiel, bis endlich zu den wappenschildförmigen, eingedrückten Knien, von denen aus die behaarten Beine in die schwarze Schattenfläche des Spiegels unsichtbar versanken. Einen Augenblick hängte Frau Bröschke ihre langen Wimpern über die Augen, dann gab sie sich einen Ruck, schlüpfte ins Hemd, das den ganzen Körper verhüllte und nur die platten breiten Füße mit den gekrümmten Zehen und ihren dunkeln Nagelrändern frei ließ. Der Oberleib wurde überdies noch in die blaugestreifte Nachtjacke geknöpft, und mit einem Schwung saß Adele im Bett, zog die Decke über die in spitzem Winkel hochgestellten Knie, schleuderte die Füße geradeaus von sich weg, wobei sie den Rand der Bettdecke unter das Kinn klemmte, und lag langgestreckt, den müden Leib wohlig den Kissen hingegeben, nach vollbrachtem Tagewerk an der Seite Jakob Bröschkes.

Das Licht ließ sie weiterbrennen. Denn, so abgerackert sie war, sie wollte wach bleiben, bis die Mitternachtsstunde und mit ihr der Festtag da wäre. Zur Entgegennahme ihres Glückwunschkusses, so hatte sie es sich vorgenommen, sollte Jakob eine Minute lang den Nachtschlummer unterbrechen. Dann wollte auch sie sich bis zum Anbruch des Tages der zufriedenen Ruhe des Schlafes hingeben.

Mit halbgeschlossenen Augen döselte sie vor sich hin. Die kleinen Episoden des abgeschlossenen Tages liefen wie die Hundertmetersteine an der Landstraße an ihrem Gedächtnis vorbei. Da war morgens beim Einholen gleich der Ärger gewesen, daß sie nirgends Hefe für den Kuchen auftreiben konnte. Wie besorgt sie um alles gewesen war: Mehl hatte sie seit langem zusammengespart für den Riesenkuchen am Ehrentage, Zucker war dank der Opferwilligkeit ihrer Bekannten, bei denen sie seit Wochen herum gebettelt hatte, und die alle ein viertel Anteil hergegeben hatten, auch da; Eier hatte sie von der letzten Hamsterfahrt genügend mitbringen können, und ihrer Krämerin Frau Reiser war es sogar gelungen, Rosinen zu beschaffen. Selbst ein wenig Milch konnte in den Teig gerührt werden – die Frau eines armen Parteigenossen hatte ihr die Tagesration ihres Kindes gegen fünf Pfund Brotmarken und ein Päckchen Haferflocken abgetreten –, die Gäste sollten einen Stollen und einen Gugelhopf vorgesetzt kriegen wie in Friedenszeiten. Und da hatte sie nicht gleich daran gedacht, für Hefe vorzusorgen! Wer hätte aber auch vermuten sollen, daß sogar so etwas ausgehen könnte! Die Reiser hatte die Hände unter die Schürze gesenkt und die Schultern bewegt; bei Frau Unglaub im Delikateßgeschäft war's ihr nicht besser gegangen, nicht einmal Bäcker Friedeil wußte Rat. Es war wirklich eine verzweifelte Geschichte. Adele wollte schon zu Frau Töpfermeister Diestel hinaufgehn, ob sie nicht aushelfen könnte; aber das tat sie ungern, sie hätte sich auch erst ein wenig anziehn müssen, und ob sie die Hefe dort bekommen hätte, war nicht einmal sicher. Jedenfalls ging sie erst mal zum Zigarrenhändler Wirrgarn; da ließ sie ein schönes Stück Geld: gute Zigarren – und den Besuchern an solchem Tag konnte man doch keinen Ausschuß vorsetzen – kosteten 65 Pfennig das Stück; – dreißig Stück mußte sie mindestens rechnen das waren schon fast zwanzig Mark. Und dann noch die Zigaretten! – Eugen Riemann, der Schwiegersohn rauchte ja bloß Zigaretten – überhaupt der mit seinen feinen Passionen! –, ein paarmal eingesogen, und dann den Rest in den Aschbecher, das war ja nicht zum Gutmachen. Fünfzig Stück mußte sie schon kaufen – und zwölf Pfennige jede! – Aber wie der Zufall manchmal spielt! Wie sie Herrn Wirrgarn das Geld hinzählt und ihm dabei ihr Leid klagt wegen der Hefe, meint er: »Warten Sie mal, Frau Bröschke!«, geht ans Haustelefon und ruft zu seiner Frau hinauf: »Mausi! Hast du nicht ein Stück Hefe für den Kuchen zu Herrn Bröschke seinem sechzigsten Geburtstag?« – und nach zwei Minuten kommt auch schon der kleine Alfred damit in den Laden heruntergesprungen! Das war mal wieder gut gegangen. Nachher in der Küche der Aufruhr, daß sie kaum wußte, wie sie sich am Herd bewegen sollte. Das war sonst ihr Reich, wo sie ungestört allein waltete. Frieda hatte nur das Gröbste zu machen, Kartoffel schälen oder Rüben schaben –, für alles andre sorgte Adele selbst, und das Mädchen konnte indessen im Gang oder in den Stuben aufwischen, die Fenster putzen oder sonst nötige Hausarbeit verrichten. Heute aber – Herrgott! Käte mußte ihr auch in jeden Topf kucken, und dabei immer noch das Getue um ihren Eugen! In der Suppe hatte er gern viel Zwiebeln, und die Sauce für die Kartoffelklöße durfte nicht zu mehlig sein – und was noch alles. Na ja, es war ja recht, daß er sie noch geheiratet hatte, wenn er sie auch lange genug drauf hatte warten lassen; Elly hätte wahrhaftig nicht erst vier Jahre alt zu werden brauchen dazu! – Immerhin gut, daß es noch so gekommen war und daß Käte nach den drei Jahren ihrer Ehe in ihrem Mann noch ebenso den Heiligen sah wie zu Anfang. Schließlich hätte er ja wohl wirklich vor dem Krieg die Tochter des Sozialdemokraten nicht heiraten können, wollte er nicht seine ganze Beamtenkarriere aufs Spiel setzen. Bloß, so ein Wesen brauchte sie auch nicht davon zu machen, daß Riemann nun zum Obersekretär befördert worden war und das »Ferdinandskreuz für Verdienste in der Heimat« bekommen hatte. Nein, es war nicht schön gewesen heute beim Kochen! Eugen vorn und Eugen hinten! Und dazwischen das Geplapper und Gerenne der Kleinen! Allerliebst war ja das Kind geworden, seit sie von Papa anerkannt und bei den eigenen Eltern war. Ein richtiger kleiner Racker war sie, die Elly. Was sie nur alles zu erzählen wußte von den Puppen und von der Schule und wie komisch die Lehrerin aussieht – und vor allem vom Baby, von Hans, dem Brüderchen! Gott sei Dank, daß Käte das Wurm nicht auch noch mitgebracht hatte! So lieb sie ihr Enkelchen hatte – bei dem Trubel jetzt ein anderthalbjähriges Kind im Hause, das wäre ein Geschäft! Ein bißchen leid hatte ihr das arme Ellychen ja auch getan. Wie sie gebettelt hat, daß sie morgen auch dabeisein dürfte, wenn all die vielen Leute zu Großpappi zum Gratulieren kämen! Na, das ging ja nun mal nicht. Das siebenjährige Mädchen – und wo jeder wüßte, daß Kate erst während des Krieges geheiratet hat. Das Kind hatte sich ja schließlich auch getröstet und der Großmutter sogar heimlich hinten das Schürzenband aufgeknotet, als die grade die Klöße übergoß. Da hätte leicht die Hälfte danebengehen können. Aber daß Kate der Kleinen dafür einen Klaps geben wollte, hatte Großmama doch nicht geduldet.

Nach Tisch hatten sie und Kate den Männern beim Kaffee Gesellschaft leisten müssen, während es soviel zu tun gab. Und was ging sie das Gespräch viel an! Um nichts als um Krieg und Politik drehte sich's. Wie die Männer sich nur so streiten mochten um Nebensächlichkeiten, die es doch schließlich waren. In der Hauptsache waren sie ja vollkommen einig, daß jetzt bei den großen Siegen an der Westfront und bei den kolossalen Erfolgen des U-Bootkriegs der Friede ganz bestimmt bald dasein müsse. Das wäre wohl gewiß ein Segen vom Himmel. Bald vier Jahre jetzt das Gemetzel und dabei die Teuerung und die Not bei den armen Leuten, und man selbst konnte auch das Nötigste nicht mehr kriegen, und dann die gräßliche Aufpasserei mit den Marken und das Gelaufe wegen jedem Dreck und das Anstehn! Ob da der Schwiegersohn am Ende recht behielte, daß der Friede von Hindenburg diktiert werden müsse, oder Jakob, daß es nur ein demokratischer Friede sein dürfe und daß nachher das Volk überall selbst mitreden solle – das wollte sie nur ruhig abwarten, ihr würde jeder Friede willkommen sein. Schade, daß Anton noch nicht dabeisein konnte. Der hätte wohl auch seine eigne Meinung zu der Sache gehabt. Aber seit der bei der Kunsthonigstelle war, war ja seine Zeit ganz schrecklich in Anspruch genommen. Gott sei Dank, daß Vater ihn wenigstens hatte unterbringen können, wo er unabkömmlich war. Und mit dem Nachtzug würde er ja kommen – jetzt saß er schon auf der Bahn –, und das Frühstück würde ihm warm gestellt.

Ja, die beiden ältesten Kinder würden zu Vaters Ehrentag zu Hause sein – nur Theodor, der Jüngste, ihr Liebling, durfte nicht kommen. Jakob hätte doch um Urlaub für ihn eingeben sollen. Mein Gott, wegen der dummen Politik verstößt man doch nicht sein leiblich Kind aus dem Elternhause! Gewiß, es mochte ja nicht recht gewesen sein von dem Jungen, daß er zu den Unabhängigen übergetreten war. Aber so wie Vater darüber urteilte, daß er sein Vaterland in der Stunde der Not im Stich ließe, brauchte man es doch auch nicht aufzufassen. Er meinte gewiß selbst, daß er recht tat und daß auf seine Weise der Krieg am schnellsten aus sein würde – und mit einundzwanzig Jahren ging eben das Gefühl leicht noch mit einem durch. Da fühlte sie als Mutter denn doch besser mit, wenn sie es natürlich auch nicht billigen konnte, und vor allem hätte sich Theo nicht gegen den Vater auflehnen dürfen, der noch dazu in seiner politischen Stellung Unannehmlichkeiten von der Querköpfigkeit des Bengels haben konnte. Wenn sie ihn nun bloß nicht an die Front schicken wollten! Bis jetzt war es Jakob da immer noch geglückt, dem Jüngsten zu helfen, daß er in der Etappe verwendet wurde – und auch da hatte er sich das Eiserne Kreuz erworben! –, aber jetzt, wo er aus der Partei ausgetreten und offen zu den Unabhängigen gegangen war, da würde man ihn schnell genug in den Schützengraben holen, und Vater hatte erklärt – und diesmal war es sein Ernst –, daß er für diesen Sohn keinen Finger mehr rühren würde. Die Angst jetzt um den Jungen zu allem übrigen – wenn es ihr nur gelänge, Jakob da umzustimmen! Ihn kostete es ja nur ein Wort, daß man Theo an keinen gefährlichen Posten stellte. Und so ein guter Mensch, wie Theodor immer war! Schon als kleiner Hosenmatz – von jedem Stück Schokolade hat er Mami abbeißen lassen; Anton war viel selbstsüchtiger gewesen. Und so nett, wie Theo als Kind spielen konnte! Da saß er in der Mitte des Korridors und hatte die Schienen seiner hölzernen Eisenbahn rund um sich herumgelegt, und dann zog er die Lokomotive auf, und der Zug fuhr herum, immer herum – summ – summ – summ – – Nebenan im Wohnzimmer schlug die Uhr zwölf. Sehr energisch klopfte der Hammer auf die Messingglocke. Adele öffnete ein wenig die Augen. Da merkte sie, daß die Kerze brannte:, hörte die raschen Schläge der Uhr und fand sich zurecht. Sie war also doch eingenickt gewesen, ganz gegen die Absicht. Gut, daß sie das Licht nicht ausgelöscht hatte, sonst hätte sie die Stunde ganz gewiß verpaßt und sich elend geärgert. Sie blickte nach dem Lager ihres Gatten, dann darüber hinweg zum Fenster. Der Mond schien kräftig durch den Mullvorhang ins Zimmer. Sie richtete sich auf und drückte mit zwei Fingern den Docht der Kerze zusammen. Einen Augenblick war es dunkel, doch gleich gewöhnten sich die Augen an die schönere Dämmerbeleuchtung, die in zarter Andeutung jeden Gegenstand im Räume erkennbar machte. Ein bläulicher Mondstrahl fiel grade auf das Bett zur Linken und umspielte die Glatze des friedlich schlummernden Bröschke mit mildem Glanz. Adele neigte den Kopf zu ihm hinüber. Gurgelnde Laute drangen an ihr Ohr. Sie quollen von der Gaumengrotte die Zunge entlang an den halbgeöffneten Mund des Schläfers, von wo sie im Tempo der Atemzüge mit einem geflüsterten Pfeifen ausgeblasen wurden, um sich an den überhängenden Spitzen des weißgrauen Schnurrbarts in winzigen Speichelperlen zu materialisieren. Langsam näherte Adele ihr Gesicht dem seinigen, bis sie, den Körper vorsichtig nachziehend, halb vorgebeugt auf der Seite lag und den Mann geradeaus anschaute. Ein Ausdruck seligster Weltausgesöhntheit verklärte ihn. Die Lider waren tief über die Augen gezogen, so daß die Wimpern wie Fransen auf den Tränensäcken lagen. Die knollige Nase schien sich lebensfroh dem kosenden Mondstrahl zu neckendem Schmerz darzubieten und sog mit geblähten Nüstern Wohlgefallen ein. Die Lippen kräuselten sich, wie erheitert von dem anmutigen Spiel der Schnarchwellen, zu glücklichem Lächeln – und der ausgleichende Schimmer des Mondlichts ließ die blaurote Farbe der Glatze, das tiefe Blau der Schläfenadern, das Ziegelrot der Backen und das Lila der Nase zu einer violett getönten Gesamtpalette voll friedlichem Behagen verschmelzen.

Schelmisch probierend senkte Adele ihren Mund leicht auf Jakobs gesprungene Unterlippe. Ein wohlgefälliges Schwabben des Schnurrbarts quittierte den Kuß und ließ ahnen, daß der wunschlos feste Schlaf von dem duftigen Weben eines vergnüglichen Traumes belebt zu werden begann. Doch blieb die Haltung des Träumers unverändert; die Merkmale des Schlafes wichen nicht von seinem Antlitz, nur der Mund öffnete sich um ein weniges mehr. Das benutzte die Gattin zu einem neuen Angriff listiger Zärtlichkeit. Sie legte ihren Mund sanft und ohne Druck auf seinen und kitzelte ihn mit der Zungenspitze federnd unter der Oberlippe.

Mit lustiger Neugier sah sie zu, wie die Engel des Schlummers allmählich die Flügel spreiteten, um den glücklich Entrückten weich in die irdische Wirklichkeit zurückgleiten zu lassen. Als ob ihm eine aromatische Frucht zum Imbiß geboten würde, schnoberte seine Nase in die Luft, seine Lippen rundeten sich, als wollten sie Rauchringe blasen, und streckten sich vor, und indem sie an den dicken weichen Lippen Adeles haften blieben, trat eine Verbreiterung des ganzen Gesichts ein, die zu beiden Seiten der Nase horizontale Falten und eine liebenswürdige Aufblähung der Backen hervorrief.

Damit trollte sich der Schlaf endgültig. Unter der Bettdecke arbeitete sich der rechte Arm hervor, und die Hand fuhr erst von unten nach oben mit breiter Fläche über das eigene Gesicht, wobei sich die Augen zwinkernd öffneten, dann legte sie sich verlangend um Adeles Nacken. »Du! – Ich gratuliere auch schön. – Weißt du nicht, was los ist, Alter?«

Der Volkstribun holte aus dem Bauch herauf Atem und stieß ihn schnaubend durch Mund und Nasenlöcher von sich. Er besann sich.

»Ja. Ist's möglich? Ist schon Zeit zum Aufstehn?«

»Unsinn. Grad hat's zwölf geschlagen. Du hast Geburtstag, Männchen!«

»Sieh mal an. – Ja, dann ist jetzt der vierzehnte Juli?«

»Merkst du was? Du bist ja noch halb im Schlaf, du! –Denk nur mal nach. Dein sechzigster Geburtstag fängt eben an.«

Jakob Bröschke saß mit einem Ruck aufrecht im Bett. »Herrgotts Donnerkiel! – Denk bloß an, Alte, dann bin ich jetzt sechzig Jahre alt!«

»Hast du's jetzt begriffen, Schlafmütze? – So, und nun wünsche ich dir ein langes glückliches gesundes Leben und alles Schöne und Gute auf der Welt!« Damit packte Adele ihren Mann mit der rechten Hand unter der linken Achsel, schwenkte ihre obere Partie an ihn heran und versetzte ihm vier, fünf laut schallende Küsse auf den Mund. Bröschke nahm jeden von ihnen mit katerhaftem Zukneifen der Augen in Empfang. Dann blinzelte er die Gattin an, während sich nacheinander zwei Vorderzähne auf der gesprungenen Lippe sehen ließen. »Dank schön, Liebling. Wollen mal sehn, was das Jahr bringt.«

»Was wünschst du dir denn?«

»Ja – na, das wird sich wohl beizeiten herausstellen.«

»Bist du gar nicht ein bißchen neugierig?« Adele schielte zum Bettende hinunter, wo der Kragen des neuen Schlafrocks die Lade ein wenig überragte.

»Deeichen! Deeichen! Du hast wohl 'ne Überraschung für mich?«

»Rat doch mal!«

»Wie soll ich das wohl raten, Kind? Das werd ich ja morgen immer noch sehn.«

»Ach du! Freust du dich denn gar nicht ein bißchen drauf? Da, kuck mal über den Bettrand.« Sie zeigte mit dem Finger hin, und Jakob bemühte sich, etwas zu erkennen. »Ich seh bloß was rundes Schwarzes. – Am Ende ein neuer Hut?«

»Oh, du altes Kamel! Wo du doch zwei Hüte hast, den hellen weichen und den steifen runden. Die kannst du beide noch sehr schön tragen. Und außerdem ist ja auch noch der Zylinder da. – Nein, es ist viel was Schöneres.«

»Na, dann sag es mir man lieber gleich. Ich komm doch nicht drauf.«

»Ein Schlafrock ist es! Ich hab ihn selbst gemacht.«

»Ein Schlafrock? – o du Donnerwetter! – Ja, den kann ich brauchen. Wahrhaftig. Die kurze Wolljacke war doch nichts Rechtes mehr.«

»Ja, denk bloß, Schmirl sein Schwiegersohn ist doch neulich Leutnant geworden. Da hat er sich einen neuen Mantel zugelegt, und den alten hat Suse mir verschafft, und ich hab ihn färben lassen und für dich als Schlafrock zurechtgeschneidert, mit violetten Aufschlägen und Kragen und ebensolchem Strick um den Bauch.«

»Hat er denn auch ordentlich Taschen?«

»An jeder Seite eine, und innen noch zwei große Brusttaschen.«

»Das ist gut. Daß ich doch weiß, wo ich mein Taschentuch und die Zeitungen oder die Sitzungsprotokolle immer gleich hinstecken kann.«

Adele streichelte ihm mit der flachen Hand über die Glatze. »Siehst du wohl, Papachen, ich hab schon an alles gedacht. Möchtest du den schönen Schlafrock aber nicht gleich ansehn?«

»Gleich, Schatz.« Damit faßte er jedoch seine Frau fester um den Hals, als ob er Angst hätte, die Gemütlichkeit könnte durch große Umstände gestört werden. »Komm nur erst mal her, daß ich mich auch richtig bedanken kann.« Da schob Adele ihren ganzen Oberleib ihm entgegen, und als er jetzt auch mit dem linken Arm um sie herumgriff und sie an sich zog, arbeitete sie mit den spitzen Knien ihre untere Hälfte bis zum äußersten Rand des Bettes vor, daß ihr die Steppdecke nur noch die Rückseite wärmte, klappte entschlossenen Griffs mit der Rechten den Zipfel von Jakobs Decke zurück und barg sich nun, ganz hingeschmiegt, an der Brust des Gemahls. »Weißt du«, sagte sie nach einer Weile, während der er ihr nach einem saftigen Kuß die Arme und den Rücken streichelte, »ich glaube, ich zeige dir den Schlafrock lieber erst morgen. Die Farben heben sich bei Tageslicht deutlicher ab.«

»Ja, ja. Bleib du man ruhig bei mir liegen«, erwiderte er in einem Ton, als ob er ihr eine Strafarbeit erließe. Beide schwiegen.

Adeles Kopf lag angelehnt an seiner Schulter, und ihr von den Zärtlichkeiten verwirrtes Haar ergoß sich in dünnen Strähnen über die vom Unterkinn fortgesetzte raupenartige Verdickung seines Halses. Es schien, als wollte ruhiger Schlaf sich in wenigen Augenblicken über die schon einnickenden Augen der müden Gatten senken. Da erwachte Jakob unerwartet wieder und sprach mit nachdenklicher Stimme:

»Sechzig Jahre! Man sollte nicht meinen, was man in der Zeit alles durchmachen kann!«

Adele, durch diese Betrachtung ebenfalls ermuntert, fügte hinzu: »Und dir steht vielleicht noch mancherlei bevor!«

»Möglich«, gab er zurück. »Dieses Jahr kann allerhand entscheiden. Jetzt geht grade die große Offensive gegen Paris an. Wenn wir das kriegen, dann bleibt der Entente« – Bröschke sprach das Wort ohne Rücksicht auf das Französische buchstabengetreu aus – »wohl nichts anders mehr übrig, als endlich nachzugeben. – Einmal müssen drüben die Leute ja auch zur Besinnung kommen.«

»Und dann, meinst du, wird wieder alles wie vorher?«

»Das wird wohl von den Umständen abhängen. Viel Entschädigung werden wir kaum verlangen können – es soll ja doch ein demokratischer Friede werden, und da muß schließlich jedes Land den Hauptteil seiner Kosten selbst tragen. – Aber wir sind ja in jeder Beziehung besser dran als die andern. Unser Heimatland ist zum Glück von den Schrecken des Krieges verschont geblieben, und dann haben wir auch keine Schulden im Ausland gemacht.« »Sag, Vater, ist das denn nicht einerlei? – Die Zinsen für die Kriegsanleihen müssen doch ebensogut aufgebracht werden?«

»Natürlich müssen sie das. Verzinsen und amortisieren müssen wir die Anleihen, versteht sich. Da darf keiner zu kurz kommen, der sein Scherflein beigetragen hat zur Rettung des Vaterlandes. Aber, siehst du, das Geld fließt ja doch alles wieder an die Steuerzahler zurück, die es aufbringen müssen.«

»Ach, so ist das!« Adele kam die Rechnung nicht ganz schlüssig vor, aber davon verstand sie ja zu wenig. Es war ihr jedenfalls recht, wenn es sich so verhielt und die sechsundzwanzigtausend Mark, die sie selbst in ihrer Ehe zusammengespart und in die Kriegsanleihe angelegt hatten, gut gesichert waren. »Aber«, fuhr sie in ihren Überlegungen laut fort, »zu haben wird dann doch gleich wieder alles sein, und bald auch wieder zu den alten Preisen?«

»Ja, das kommt darauf an.« Der alte Politiker dachte einen Augenblick nach. »Kaufen wirst du natürlich bald wieder können, was du Lust hast. Denn ein demokratischer Friedensschluß enthält vor allem auch die Bestimmung, daß der Handel zwischen allen Ländern gleich wieder in Schwung gesetzt wird. Und dann, wenn mehr Sachen da sind, werden sie ja auch wieder billiger. Besonders wenn du bedenkst, wie sparsam die künftige demokratische Regierung wirtschaften wird.«

Adele bedachte es; doch konnte sie die Frage nicht unterdrücken, worin denn die Einsparungen hauptsächlich be-stehn sollten.

»Die Demokratie ist die billigste Regierungsform«, erfuhr sie. »Überleg nur mal, wieviel überflüssigen Pomp wir aus der Welt schaffen können. Der Hof wird sich auf die einfachste Repräsentation beschränken müssen. Ein Heer von Beamten entlassen wir einfach, und dann vor allen Dingen werden die Kosten für die Armee ganz bedeutend billiger werden.«

»Muß man denn nach dem Krieg überhaupt noch eine Armee haben?«

»Da kommen wir vorerst nicht drum rum. Selbstverständlich bloß ein Volksheer, eine sogenannte Miliz, wie wir Sozialdemokraten sie schon früher immer gefordert haben. Ganz ohne Schutz können wir gewiß nicht bleiben. Da kämen wir ja zu russischen Zuständen. Das geht natürlich nicht.« »Nein.« Sie sah schon ein, daß das nicht ginge. Wenn sie den Marin nur irgendwie auf den Geburtstag zurück und dann auf Theodor bringen könnte! Sie suchte nach einem Umweg: »Sag, Manne, bei den Friedensverhandlungen wird man die Sozialdemokratie doch gar nicht ausschließen können?«

»Wo denkst du hin! Um uns kommt man nicht mehr herum. Ich bin sogar fest überzeugt, daß man bei der zukünftigen Regierungsbildung unsern Parteigenossen wichtige Ministerposten überlassen muß. Denn da entscheidet das Volk selbst mit dem Stimmzettel. – Ja, das wird vielleicht gewissen großen Herren hart ankommen.« Ein Zahn bog sich auf Jakobs Unterlippe. »Denk mal! Wenn du womöglich Minister würdest!« »Wenn mich das Vertrauen des Volkes auf einen solchen Platz rufen sollte –« Bröschke fiel es plötzlich ein, daß er sich nicht auf einem sozialdemokratischen Zahlabend, sondern mit seiner Frau zusammen in seinem Bette befand, daher auf den sonor gefärbten Ton bescheidenen Selbstbewußtseins füglich verzichten konnte; so vereinfachte er die Antwort: »Das kann leicht passieren. Hab ich mir selbst auch schon manchmal gedacht.«

Adele fuhr förmlich zusammen bei der Vorstellung! »Du! – Würdest du dann auch Exzellenz heißen?« Sein Ausdruck ward jetzt selbst etwas ängstlich. Aber er entschloß sich: »Jedenfalls wohl« –, und dann kicherte er stoßweise vor sich hin – »und du auch.«

»Exzellenz Bröschke!« lallte die entzückte Frau vor sich hin und kuschelte ihr Gesicht ganz dicht an seinen Hals. »Jacki«, sagte sie leise, »das wäre doch das schönste Geschenk zu deinem sechzigsten Geburtstag.« Er drückte sie ergriffen an sich, und nun benutzte sie die Gelegenheit. Erst küßte sie ihn in den Mundwinkel, dann atmete sie warm in sein Ohr und flüsterte hinein: »Jacki, willst du mir auch eine große, große Freude machen?« Sie sprach so einschmeichelnd, daß sich seine große Hand unwillkürlich an ihrer Nachtjacke zu schaffen machte und tätschelnd zwischen den Knöpfen ihres Hemdes liegenblieb. »Was möchtest du denn, Altechen?« fragte er mit leicht gurgelnder Stimme.

»Sorg, daß unser Theo nicht in den Schützengraben muß!« Adele spürte im Moment, daß das Kribbeln seiner Finger an ihrer welken Brust aufhörte. Auch sein Organ bekam wieder den gewohnten heiseren Ton. »Der verdammte Bengel!«

»Na ja – ich weiß schon. Aber sieh doch, Papachen, er ist doch noch so'n grüner Junge. Und du hast doch nun mal heute den sechzigsten Geburtstag.«

»Eben. Er ist noch viel zu grün, um sich in der Politik gegen seinen alten Vater hinzustellen.«

»Alter Vater! – Du bist ja noch so jung wie einer, mein Dickerchen!«

»Soll's nur ausfressen«, murrte Bröschke schon bedeutend sanfter.

»Sei nicht so, Vati. Denk bloß, wenn er verwundet wird – oder fällt!« Ein Schauer ging durch Adeles Körper, und sie kuschelte sich ganz dicht an den seinen.

Er nahm sie fest an sich. »Ist schon gut. Ich schreib morgen.«

Adele gab einen Seufzer der Erlösung von sich. »Ach, daß er nicht zu deinem Geburtstag da ist!« Ihr Atem berührte wieder heiß sein Gesicht.

»Na, sei man still, Mutti. Dann kommt er ein paar Tage später. Ich will um Urlaub eingeben für ihn.«

»Jacki!« Sie küßte heftig seinen Mund.

»Ja. Aber den Kopf werd ich ihm ordentlich waschen, dem Strolch.«

»Das tu nur, Alter! – Und wenn du nachher Minister bist, dann wird er ja auch einsehn, daß sein Papa wieder mal viel klüger gewesen ist als er.«

»Bloß nicht laut von so was reden, Schatz!«

»Bewahre! Aber bei dir im Bett kann ich mich doch freuen über meinen großen, berühmten Mann.« – Sie legte ihren knochigen Arm ganz um seinen Nacken herum. »Exzellenz!« tuschelte sie ihm ins Ohr. Da riß er sie dicht an sich heran. »Mein Deeichen!«

»Mein Jäckelchen!« – Und zwischen dem seit fast dreiunddreißig Jahren ehelich verbundenen Paar geschah, was lange, lange nicht mehr geschehen war. Der letzte Mondstrahl glitt hinter das Fenster zurück.

Es war ein schönes Fest, der sechzigste Geburtstag von Jakob Bröschke. Adele mußte sich freilich tummeln. Sie hatte um sechs Uhr aufstehen wollen, und als sie aufwachte, war es schon halb acht geworden. Da kroch sie vorsichtig und ohne den Mann zu wecken in ihr Bett hinüber und war auch schon in Bewegung. Nicht einmal Frau Domnick hatte sie kommen hören, die schon die Treppe aufwischte, während Frieda dabei war, im Eßzimmer den Frühstückstisch herzurichten.

Gottlob waren Käte und Eugen noch nicht auf, aber kaum daß Adele in die Stube getreten war, hopste ihr die kleine Elly im Hemdchen entgegen und umarmte sie. »Flink, zieh dich an, Kind, und hilf Großmama!«

Am Plüschrücken von Vaters Lehnstuhl wurde ein Schild befestigt, das auf rotem Grunde die Inschrift »Dem Jubilar« trug und mit Arabesken in grüner Farbe reich geziert war. Ein Efeugewinde umrahmte den Schmuck, und auch das gelb gemusterte Tischtuch bekam an Jakobs Platz eine Garnierung von Efeu und Fichtengrün. In der großen Vase standen frische Astern und Nelken.

Erst nach acht Uhr erschienen Eugen und Käte. Um halb neun ging Adele noch einmal ins Schlafzimmer, um Jakob zu wecken und ihm den Schlafrock zu überreichen, auch um sich selbst herzurichten. Wenigstens frisiert wollte sie schon sein, wenn Anton käme.

Der war früher da, als man ihn erwartete. Bröschke hörte auf dem Korridor den Aufruhr der Begrüßung, unterschied die Stimmen des Sohnes und des Schwiegersohnes, der Frau und der Tochter und dazwischen das jubelnde Geschrei Ellys: »Onkel Toni! Onkel Toni!« – und dies brachte auch ihn zu Entschlüssen. Er trat, angetan mit dem neuen Kleidungsstück, ein. Alle standen unbewegt und erwartungsvoll da. Anton, der dem Vater gleich entgegen wollte, wurde von seiner Schwester am Arm festgehalten.

Elly aber, in weißem Kleidchen, schritt dem Großvater entgegen, ihren Rosenstrauß mit beiden Händen umklammernd, und plapperte mit piepender Stimme und beinahe ohne zu stocken das Gedicht her, das ihr Papa als sein Werk ausgab, das er jedoch der Sammlung »Bei frohen Gelegenheiten« entlehnt hatte. Nur hatte er an einer Stelle für Gott das Schicksal eingesetzt:

»Lieber Großpapa! Ich wünsche dir das Beste
zu deinem heutigen Wiegenfeste.
Du bist uns mit deinem ganzen Wesen
immer ein leuchtendes Vorbild gewesen.
Behüte dich das Schicksal vor allem Bösen
und erhalte dich uns allen ferner gesund.
Jetzt, bitte, gib mir einen Kuß auf den Mund.«

Den erhielt Ellychen natürlich und wurde dann noch von Großmama und Mama zärtlich in die Arme geschlossen, indessen sich Frau Domnick und Frieda, die hinter Bröschkes Rücken durch die halboffene Tür der Szene als Zuschauer beiwohnten, mit ihren Schürzen über die Augen wischten.

Während gefrühstückt wurde und die drei Männer ihre Ansichten über die Kriegslage austauschten, hielt es die Hausfrau nur selten auf ihrem Platz. Vor allem mußte die gute Stube rasch wieder vom Schlafraum der Familie Riemann zum Empfangssalon für die erwarteten Besuche und zum eigentlichen Festzimmer umgestaltet werden, wo Jakob zunächst mal seinen Geburtstagstisch aufgebaut kriegte. Dann gab's Anordnungen in der Küche zu treffen und Vaters Arbeitsstube für Antons Unterkunft bereit zu machen. Kate mußte sich inzwischen anziehen, um die Kleine, ehe jemand käme, aus dem Haus zu schaffen. Sie sollte bis Mittag mit Alfred Wirrgarn spielen, am Nachmittag wollte sie dann Suse Schmirl, die natürlich in alles eingeweiht war, zu sich nehmen.

Die Unterhaltung von Vater, Sohn und Schwiegersohn war recht lebhaft. Anton hatte von einem Vorgesetzten bei der Kunsthonigstelle, der fabelhafte Verbindungen hatte und absolut zuverlässig unterrichtet war, erfahren – selbstredend ganz vertraulich –, wo das rätselhafte neue Geschütz stand, aus dem Paris bombardiert wurde. Damit war der Schwager abgetrumpft, der gehört hatte, ein solches Geschütz existiere gar nicht, die Deutschen seien von einer Seite schon so nahe an Paris herangerückt, daß sie es ganz bequem mit den großen Schiffshaubitzen bestreichen könnten. Das werde jedoch aus dem Grunde geheimgehalten, damit der große Schlag, der von dieser Stelle aus gegen die französische Hauptstadt geplant sei, nichts von seiner überraschenden Wirkung verlöre. Riemann gab diese Theorie nicht gerne preis, und Bröschke senior meinte denn auch: »Möglich war's ja immerhin, daß ihr beide recht habt, sie können ja am Ende von zwei Seiten ran wollen, und da, wo sie selbst noch nicht so weit vorkommen können, buttern sie die Forts erst mal mit der langschießenden Kanone zusammen.«

Eben wollte Anton den Vater darauf aufmerksam machen, daß der Ausdruck »langschießende Kanone« gänzlich unfachmännisch sei, und zugleich öffnete Eugen den Mund, um festzustellen, daß die Befestigungen von Paris nicht wie Forz ausgesprochen werden dürften, da rief Adele zur Bescherung.

Im Gänsemarsch, der Gefeierte zuletzt, ging's in die gute Stube. Unter Hindenburgs Bild im Goldrahmen, das Riemanns heute vor zwei Jahren gespendet hatten, war ein runder Tisch hergerichtet, auf dessen strahlend weißer Decke Adele ihre weiteren Überraschungen ausgebreitet hatte: eine vom Konditor gelieferte Torte, deren Grundfarbe und Konsistenz zwar an weiches Leder erinnerte, der aber ein gemusterter Überguß von Zuckerschaum-Ersatz die Hoffnung auf Wohlgeschmack rettete; daneben die Zigarren und Zigaretten, die sie gestern zum Anbieten für die Gäste gekauft hatte, und endlich als Hauptsache ein violettes Hauskäppchen, das genau zum Schlafrock paßte, da es aus demselben Stoff gemacht war wie dessen Kragen und Aufschläge. Bröschke setzte es sich gleich auf die Glatze und betrachtete sich dann, zwei Vorderzähne in die Unterlippe gehängt, wohlgefällig im großen Spiegel, indem er sich mit beiden Händen seitlich auf den Bauch schlug. Dann erst umarmte er die Gattin.

Die weiteren Geschenke nahm er aus den Händen der Spender und legte sie selbst zu den übrigen Gaben. Käte überreichte ein Kissen aus braunem geripptem Stoff, umsäumt von einem schwarzweißroten Band, Eugen ein Buch »Ran an den Feind!« von einem Offizier aus der Umgebung des Generalfeldmarschalls v. Mackensen. Anton schenkte Mehrings »Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, die sich der Vater schon lange gewünscht hatte, und Elly durfte Großpapa noch eine Krawatte übegeben, bevor sie den Strohhut aufgestülpt bekam und fort mußte.

»Mein Gott!« rief Adele, als Käte mit dem Kind gegangen war, »es ist halb elf durch. Es kann ja jeden Augenblick schon Besuch kommen, und ich bin noch nicht angezogen, – und willst du deine Gäste im Schlafrock empfangen, Vater?«

Das Ehepaar verschwand im Schlafzimmer. Nachdem Adele das Korsett fest um den rippigen Leib gezogen hatte, überfiel sie in Erinnerung an die Nacht ein plötzlicher Zärtlichkeitsdrang. Sie legte die Arme um den von Stärke knackenden Kragen von Jakobs Oberhemd, so daß ihre Korsettstangen und seine Hemdbrust zusammenklangen, als ob Äste von einem Baum fielen, und sagte: »Jäckele! – Du, wenn's doch wahr würde!« Er küßte sie auf die eingefallene Backe und schob sie sanft von sich, worauf er die schwarze Weste anzog und nach einem prüfenden Blick über Schnitt und Sauberkeit die Gehrockärmel über die Manschetten streifte. Als sie die Toilette beendet hatten – Adele sah in ihrem violetten Kleid tatsächlich verjüngt aus – und aus der Tür traten, legte sie noch einmal die Hand auf seine Schulter, beugte sich gegen sein Ohr und flüsterte: »Vati, vergiß Theo nicht!«

Knurrend setzte Jakob zum Reden an – da läutete es. Gott sei Dank, es war nur die Depeschenbotin. Drei Telegramme auf einmal. Adele riß sie der uniformierten Frau aus der Hand, und während sie das erste zitternd vor Erwartung öffnete, holte Jakob ein Trinkgeld aus dem Portemonnaie.

»Im Namen des Stadtmagistrats spreche ich Ihnen meine aufrichtigsten Wünsche zur Vollendung des sechzigsten Lebensjahres aus. Möge Ihr gemeinnütziges, selbstloses Wirken unserer Vaterstadt noch lange erhalten bleiben. Der erste Bürgermeister. Doktor Lübke.« Adele hielt das Telegramm entfaltet vor sich, und Bröschke las es über ihre Schulter weg laut vor, während sich Anton und Eugen neugierig auf dem Korridor beim Elternpaar einfanden.

Anton schlug jedoch vor, die anderen Depeschen im Zimmer vorzulesen. Eine war von der sozialdemokratischen Landtagsfraktion und nannte Bröschke einen im Sturm bewährten Lotsen der deutschen Arbeiterbewegung. Die dritte war ganz kurz. Sie lautete: »Bin im Geiste bei Euch. Theodor.«

Anton hatte sie vorgelesen. Er legte das Telegramm wortlos zu den anderen auf den Tisch. Adele zog ihr Taschentuch vor und schneuzte sich lange und heftig hinein. Als sie es wieder einschob, war ihre lange Nase stark gerötet. Eugen Riemann sah sehr streng aus. Er zog die spärlichen roten Schnurrbarthaare mit der Zunge in den Mund und rückte mehrfach am Zwicker. Der Vater brummte etwas vor sich hin. Dann sagte er energisch: »Ich hab noch was zu schreiben. Wenn jemand kommt – ich bin gleich fertig«, und begab sich in sein Arbeitszimmer.

Als erste kamen Peter und Suse Schmirl, die ältesten Freunde. Bröschke hörte das polternde Gelächter des Genossen, hörte das Geschnatter der Frauen, die Entschuldigungen, daß die Gäste warten müßten, und Peters Witze an die Adressen des Sohns und Schwiegersohns. Er hörte Kate zurückkommen und nach ihm fragen und die neuerliche Verlesung der Telegramme. Aber er ließ sich nicht stören, schrieb zwei Seiten eines großen Aktenbogens voll, kniffte sie, schrieb die Adresse auf ein gelbes Kuvert, unterstrich das Wort »Einschreiben« mit dem Rotstift und verfaßte alsdann auf einem besonderen Blatt Papier ein Telegramm an die Etappenkommandantur, des Inhalts: »Erbitte sofort Urlaub für Gefreiten Theodor Bröschke. Schriftliche Begründung absende gleichzeitig. Jakob Bröschke. M. d. R.«

Erst nachdem Frau Domnick mit dem Auftrag zur Post unterwegs war, begrüßte er seine Besucher, deren bald die ganze gute Stube voll war. Adele und Kate konnten nicht genug Gefäße herbringen, um die Blumen ins Wasser zu stellen, und die blaue Porzellanschale auf dem Tisch schwoll an von immer neuen Stößen von Briefen, Karten und Telegrammen, deren Verlesung auf die große Feier am Abend aufgeschoben wurde.

Deputationen und offizielle Glückwunschüberbringer waren alle erst bei der Hauptfeier im Gewerkschaftshause zu erwarten, die der sozialdemokratische Wahlverein dem verehrten Vorsitzenden bereitete. Ins Haus kamen nur die persönlichen Freunde und Bekannten, besonders zahlreich die Schulfreundinnen Kätes, aber auch die Nachbarn, denen man etwas näherstand, so Herr Töpfermeister Diestel und Gemahlin, und auch Lina, das frühere Hausmädchen, hatte es sich nicht nehmen lassen, mit einem Geranienstock in alter Anhänglichkeit vorzusprechen. Die Parteigenossen hatten fast alle nur Karten geschickt; den eigentlichen Glückwunsch behielten sie sich für den Abend vor. Nur der alte Tesenfitz, das langjährige Faktotum vom Parteisekretariat, kam. und blieb ehrfürchtig an der Tür stehn. Er war kaum zu bewegen, Platz zu nehmen, und hielt aus Höflichkeit seinen Stuhl so weit vom Tisch entfernt, daß er zu jedem Schluck Apfelwein ein wenig aufstehn mußte, um hinüberlangen zu können. Der Jubilar gurgelte und kollerte glückerfüllt und fand sonst wenig zu sagen, um alles Liebenswürdige zu beantworten. Adele war bald hier, bald dort und sorgte, daß jeder sein Gläschen und ein Stück Kuchen hatte. Käte war von ihren Freundinnen umringt, und die Rede ging von Beförderungen, Eisernen Kreuzen und Leutnants. Riemann berechnete mit Herrn Töpfermeister Diestel den den Amerikanern von den U-Booten zum Truppen- und Munitionstransport belassenen Tonnenraum, wobei das Resultat von vornherein feststand, daß seine Geringfügigkeit ernsthafte Gefahr von dieser Seite nicht mehr befürchten lasse. Die Damen Schmirl und Diestel erörterten mit Lina, dem früheren Hausmädchen, die Schwierigkeiten der Ernährungsverhältnisse, während Anton, um den guten Tesenfitz doch nicht ganz zu vernachlässigen, Angaben über die Personalverhältnisse im örtlichen Parteibüro, über die Abonnentenzahl und die Redaktionsbesetzung des »Arbeiterboten« und über die Verluste des Parteibeamtenapparates durch den Krieg aus ihm herausholte, wobei die letzte Frage dank der zahlreichen Reklamationen gottlob sehr günstig beantwortet werden konnte.

Neben Bröschke hatte sich, einen Ellenbogen breit auf den Tisch gelagert, Peter Schmirl niedergelassen, dessen kräftig-jovialer Baß den ganzen Raum beherrschte. Seine braungrauen Haare tanzten buschig über der breiten niedrigen Stirn, und die großen runden Gläser der Stahlbrille hüpften auf der geschwungenen Nase, wenn die Faust wieder mal bekräftigend auf die Tischplatte aufschlug – und das tat sie oft.

»Sechzig Jahre!« schrie er in einem Ton, der ebensogut haltlose Begeisterung wie galligsten Hohn ausdrücken konnte. »Mensch, Jakob! Wenn unser alter Pörtels dich noch so sehn könnte – so als richtigen saturnierten Jubelgreis, Vater, Großvater, M. d. R., M. d. L., Parteivorstand, Magistratsrat, Referent für Kultus, Kultur und Kultum, mit goldner Uhrkette und Doppelkinn, umringt von Familie und Besuch, in der guten Stube mit grüne, goldgefleckte Tapeten, schwere Vorhänge vors Fenster und 'n imitierten Perser am Boden – unentwegt die rote Fahne in der linken Hand, und dabei mit Gott für König und Vaterland – hurra!«

Bröschke wußte wie gewöhnlich nicht recht, wie er Peters Rede auffassen sollte. Er kollerte und begnügte sich mit der Entgegnung: »Ja, wie der Lauf der Welt nun mal ist!«

»Doll!« Schmirl zog den Schnurrbart nach beiden Seiten glatt, zupfte an der Fliege, bog den Kopf zurück und kratzte mit fünf gekrümmten Fingern unterm Kinn den langen Hals herunter, wobei der kräftige Adamsapfel vibrierte: »Je nun«, meinte er, etwas stiller vor sich her lachend, »knapp zwei Jahre, und ich habe die sechzig auch gezwungen. Bloß mit die Karriere muß ich mich noch ranhalten, um dich einzuholen. Na, nett eingerichtet bin ich auch, M. d. L. und Stadtverordneter ebenso, aber mit Reichstag und Parteivorstand hapert's noch, und was Kinder und Enkel sind, da muß ich mich nun mit weniger trösten als du. Dafür ist der Herr Schwiegersohn aber auch Leutnant«. Er lachte dröhnend, und Adele, die die letzten Worte auffing, sandte ihrem Gatten in Erinnerung an den zum Schlafrock gewandelten Militärmantel einen innigen Blick. »Ih, das weißt du woll noch gar nicht? Doch? Ja, Meyer ist befördert, – na, und der Enkel soll ja auch bald werden; Minna meint, im Oktober. Also du, das soll ich dir von ihr bestellen: das schenkt sie dir zum Geburtstag, daß der Junge nach dir Jakob heißen soll.«

»Wenn's ein Junge wird, hoho!«

»Erlaub mal, mein Enkel wird ein Junge, verstehst du? Bin aber gespannt, ob der mal ein Sozi wird oder ein Paterjoht – oder ob das bei die Enkels ebenso durcheinandergemanscht wird wie bei die Großväter.« Die Faust bullerte wieder auf den Tisch. »Bloß unser alter Pörtels hätte das noch miterleben sollen. Der hält wohl solange den Kopf geschüttelt, bis er den Hals gebrochen hätte.« Eine sonderbare Gedankenverbindung stellte sich bei Bröschke ein, die aus dem Zweifel erwuchs, ob Pörtels wohl ganz mit der Sozialdemokratie von heute einverstanden wäre. »Du, Peter, was sagst du dazu? – Ich hab für Theo um Urlaub eingegeben.«

Da nahm Peter Schmirl den Arm vom Tisch, streckte beide Hände weit zwischen den langen Beinen vor und sah den Freund von unten herauf an, als ob sein Blick über den Stahlrand der Brille klettern wollte: »Jakob, so gescheit bist du ja selber nich gewesen. Das hat dir mal wieder deine Deele eingegeben. Sonst müßt ich ja an meine Menschenkenntnis verzweifeln.«

»Na ja, gewiß, ich will nicht abstreiten, daß ich es ihr zulieb getan hab.«

»Wie alt ist der Bengel?«

»Einundzwanzig.«

»Einundzwanzig. Na, du willst ihn dir woll schön kaufen mit seinen eignen Kopp?«

»Das kannst du glauben. Er muß raus bei den Unabhängigen, oder ich rühr keinen Finger, wenn sie ihn in den Schützengraben stecken.«

»So? – Na ja, andrer Leute Kinder werden auch zu Brei geschossen.«

»Ist ja noch nicht soweit. Er wird ja auch wohl Vernunft annehmen.«

»Meinst du? – Paß mal auf, Jakob, was ich dir sag. Wie ich deinen Theo kenn, ist er ein gutes weiches Kind, aber kein Hanswurst. Und wenn er aus Angst vor seinem Vater seine Standpauken oder vorm Schützengraben heute so und morgen so kann, ist er ein Hanswurst. Und jetzt sag ich dir noch was: Wenn ich nicht schon ein alter Schafskopp war und noch einundzwanzig Jahr wie dein Theo, dann tat ich auch was andres, als mir Vernunft annehmen und tat dasselbe was ich unterm Schandgesetz auch getan hab – mit dir zusammen, Jakob, und bei unserm alten Pörtels, verstehst du?«

Bröschkes Augen blinzelten unsicher. »Das war doch dazumal was ganz andres, mein ich.«

»Stimmt. Dazumal waren wir die Rotzjungen und ließen die alten Knacker auf uns schimpfen, und nu sind wir selbst die alten Knacker. Laß du sich den Bengel man die Hörner ablaufen.«

Bröschke lenkte ab. »Du, Peter, ist eigentlich schon fest, wann der Landtag Ferien macht?«

»Am zwanzigsten, denk ich. – Ach ja, was ich sagen wollt. Da ist ja noch die Interpellation von Rupprecht wegen die Schutzhaftgeschichten und so.«

»Ja, da kommen wir wohl nicht drum rum?«

»Das is eben das Verdeubelte. Gegen die Unabhängigen können wir da nicht gut anmarschieren. Sonst springt uns ja die ganze Arbeiterschaft rüber.«

»Aber wir können doch dem Oberkommando auch nicht in die Parade fallen. Denkmal, wenn man jetzt jeden einfach frei laufen lassen wollte, der Liebknecht hochleben läßt!« Schmirl lachte. »Dann hätt dein Theo bald genug seinem Vater den Stuhl unter dem Hintern weggezogen. – Nee, das geht natürlich nicht. Du, ich hab mir aber was ausgedacht.«

»Na?«

»Paß auf. Wir müssen die Besprechung der Interpellation zuschanden machen.«

»Wir können aber doch nicht dagegen stimmen.«

»Ach wo. Wir brauchen bloß dafür zu sorgen, daß die Unterstützung nicht langt.«

»Wie das?«

»Döskopp! Die Unabhängigen sind grad drei Mann hoch. Für die Unterstützung brauchen wir fuffzehn Stimmen. Die Bürgerlichen stimmen alle dagegen – und von uns sind zufällig man zehn oder elf Mann im Saal. Kapiert?« Der alte Parlamentarier hatte kapiert. »Das geht. Heute abend sind ja wohl die meisten von der Fraktion da. Dann besprechen wir die Sache gleich.«

Herr und Frau Diestel erhoben sich. Der allgemeine Aufbruch begann.

Als alle fort waren, war es zehn Minuten vor eins geworden. Frieda mußte schnell hinüber zu Wirrgarns, um Elly zu Tisch zu holen. Herr Wirrgarn schickte die konservative »Bürgerzeitung« mit, rot angestrichen. Anton las vor, während die Mutter die Suppe austeilte: »Sechzigster Geburtstag. Der sozialdemokratische Abgeordnete Jakob Bröschke, unser Mitbürger, feiert heute in seltener körperlicher und geistiger Frische seinen sechzigsten Geburtstag. So grundverschieden unsere Anschauungen auch von den seinigen sind, so erbittert wir insbesondere gegen den unfaßlichen Gedanken ankämpfen, angesichts der herrlichen Ruhmestaten unserer unbezwinglichen Heere, unserer unvergleichlichen Flotte der Forderung des ganzen deutschen Volks nach einem Siegfrieden, nach einem deutschen Frieden, den Verzicht auf alles Errungene, den Scheidemannfrieden entgegenzustellen –«

»Sehr richtig!« murmelte hier Eugen Riemann, dem Schwager ins Wort fallend. »- einen Gedanken, der leider grade in Bröschke einen beredten Verteidiger findet, so geben wir doch gern zu, daß die vaterländische Gesinnung des Jubilars, wie sie sich seit vier Jahren bewährt, über jeden Zweifel erhaben ist. Mehr als irgendeinem ist es ihm zu danken, daß die Arbeiterschaft unserer Stadt treu zur großen Sache steht, entschlossen durchzuhalten bis zum Äußersten, und daß das landesverräterische Gebaren der Unabhängigen bei uns das unrühmliche Werk einer kleinen verachteten Sekte geblieben ist. Bröschke war es vor allem, dessen besonnenem Dazwischentreten es gelang, das verbrecherische Unterfangen des Januarstreiks im Keime zu ersticken, so daß die Rädelsführer rechtzeitig unschädlich gemacht werden konnten. Wir stehn daher nicht an, auch dem Gegner Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und unsere Glückwünsche für den verdienten Mann mit denen aller Volkskreise von Herzen zu vereinigen.«

Anton schien der Vorlesung noch einige Worte von sich aus hinzufügen zu wollen.

»Ja, Vater –«, hub er an, schob aber gleich einen Löffel Suppe in den Mund und zog schlürfend eine Bandnudel nach, deren Ende allmählich hinter den Zähnen verschwand.

Kate fand den Artikel wundervoll und sah ihren Gatten dabei fragend an. Adele aber legte den Schöpflöffel aus der Hand und sagte strahlend: »Schade, daß der ›Arbeiterbote‹ erst um fünf kommt.«

Jakob selbst nahm das Zeitungsblatt neben sich auf den Tisch, und während ihm die Suppe vom Bart tropfte, fuhr er mit dem linken Zeigefinger noch einmal unter den Zeilen entlang.

Nach Tisch wurde ein Schläfchen gemacht. Elly kam zu Tante Suse, was sich dann aber als überflüssig erwies. Denn am Nachmittag kam kein Besuch mehr, da doch der frühen Polizeistunde wegen die Parteifeier im Gewerkschaftshause schon um halb sechs beginnen sollte. Man fuhr im Wagen hin, Anton auf dem Kutschbock, denn in der Droschke hatten nur vier Personen Platz. An diesem Tage erfuhr Jakob Bröschke in Wahrheit, wie dankbare Verehrung unermüdliche Hingabe an eine Sache lohnt. Er hätte die Hände nicht zählen können, die sich ihm zum Druck entgegenstreckten, nicht die Hochs, die ihm zu Ehren erklangen.

Nach Anhören der Deputationen und eines Liedes des Arbeitergesangsvereins hielt Peter Schmirl die Festrede, humorvoll und anzüglich wie immer, aber die freundschaftliche Wärme glitzerte nicht nur durch seine Brillengläser, sie quoll auch aus den Worten selbst hervor, besonders als er von der gemeinsamen Jugendzeit sprach, von den schönen Stunden, wo sie von Roderich Pörtels in die Lehren des Marxismus eingeweiht wurden, von der rastlosen Kleinarbeit in der Bewegung, wie Ortsgruppe um Ortsgruppe entstand und die Sozialdemokratie von Wahlsieg zu Wahlsieg schritt, Genösse Bröschke aber – unser Jakob! – vom Vertrauen des Proletariats getragen, die ganze Stufenleiter der Ehrenposten hinaufsteigen durfte, die das werktätige Volk zu vergeben hatte. Nie hatte ihn sein sicherer politischer Blick im Stich gelassen, und in der schweren verantwortungsvollen Zeit seit Ausbruch des Krieges hatte er wie wenige dazu geholfen, der Sozialdemokratie im Staate das Ansehen zu schaffen, das ihr kraft ihrer Stimmenzahl gebührte. Den politisch unklaren Heißspornen und Wirrköpfen hatte er mit der Energie realpolitischer Einsicht einen Damm entgegengestellt und ungeachtet der größenwahnsinnigen Phantasien hirnloser Imperialisten und Reaktionäre das Banner der Demokratie unentwegt hochgehalten.

»Und nu erlauben Sie mir als alten Freund unseres Genossen Bröschke noch ein paar Worte an ihn selbst zu richten. Jakob, ich sag manchmal Döskopp zu dir. Das kommt aber bloß davon, daß ich selbst man 'n alter Schafskopp bin und mit meinem Dickkopp immer durch die Wand will. Und wenn du dann bloß mit 'rn Kopp nickst und sagst: Schon gut, Peter, laß mich das man nach meinem Kopp machen! – dann will mir das zuerst gewöhnlich nich in den Kopp, und nachher seh ich doch ein: mein alter Jakob hat doch wieder mal den bessern Kopp gehabt, und der Döskopp war ich selber. Darum wünschen wir alle, daß dein Kopp noch lange unserer Partei erhalten bleibt als Kopp des arbeitenden Volks, und wenn das Proletariat sich ans Hirn stippt, dann soll das soviel heißen wie: Jakob, nu streng du deinen Kopp an! Und in diesem Sinne bitte ich Sie, mit mir auszurufen: Unser lieber alter verehrter Genosse Jakob Bröschke – er lebe hoch! noch mal hoch! und zum drittenmal hoch!«

Das schmetterte mächtig.

Und dann brachte der alte Tesenfitz den »Arbeiterboten«. Aber den sollte Jakob noch nicht zu sehn bekommen, so erpicht er darauf war. Auch Adele konnte ihre Neugier kaum meistern.

Anton beruhigte sie: »Da ist eine große Überraschung dabei, Mutter. Das kommt erst beim Kommers. Wenn Eugen die Telegramme bekanntmacht, soll er gleich auch die Zeitung vorlesen.«

Der alte Tesenfitz konnte den Augenblick fast noch schwerer erwarten als Jakob und Adele. Denn dabei sollte ein Stück Ruhm auch auf seinen Sohn Rudolf abspringen. Der saß bei der Presseabteilung im Generalstab der Armee Woyrsch und war gerade zum Unteroffizier befördert worden. Je mehr der Alte von dem Tiroler Spezial trank, der die Geister belebte, um so mehr Genossen erfuhren von Rudolfs Aufstieg und von seiner Beteiligung am Festartikel des »Arbeiterboten«!

Ja, die Telegrammverlesung war wirklich ein Höhepunkt. Mehrmals hielt Eugen inne, nahm den Zwicker ab und wischte sich den Schweiß. Bald las er nur noch die Unterschriften all der Parteisektionen, Gewerkschaftsverbände und Einzelpersonen, die des Tages gedacht hatten. Nur wenn es sich um prominentere Persönlichkeiten oder Körperschaften handelte, las er auch den Text. Es war ein gewaltiger Augenblick, als der Präsident des Reichstags mit einem Glückwunsch zum Wort kam. Das Organ des Vorlesers zitterte merklich, und ein paarmal hatte er vor Ergriffenheit Mühe, im Tempo zu bleiben. Zum Glück folgten zunächst lauter weniger bedeutungsvolle Depeschen, darunter aber auch manche mit schalkhaften Versen, und die Stimmbänder konnten sich wieder in die normale Lage finden.

Plötzlich ward Eugen Riemann flammend rot. Gleich darauf überzog eine käsige Blässe sein Gesicht. Mit ungeheurer Anstrengung riß er sich zusammen. Unter seinen rötlichen Plüschhaaren zog sich die Stirn in tiefen Falten nach oben. Er schnappte mehrere Mal mit dem Unterkiefer zu seinem Bärtchen hinauf. Die roten Ohren schienen sich seitwärts zu legen. Käte blickte mit angstvollen Augen zu ihrem Mann hin und machte eine Gebärde, als wollte sie ihm zu Hilfe eilen.

Endlich faßte er sich, preßte die Ellenbogen dicht an den Leib und las stockenden Atems: »Im Namen Seiner Königlichen Hoheit –«

Drei im Saal anwesende Unteroffiziere, ein Offiziersstellvertreter und zwei Beamtenstellvertreter sprangen auf, langsamer erhoben sich dann auch die übrigen Uniformierten, während mehrere jüngere Parteigenossen in Zivil ebenfalls Anstalten dazu machten, dann aber nach einigen Blicken gegenseitiger Befragung unruhig sitzen blieben. »Im Namen seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs übermittle ich Ihnen aufrichtige Segenswünsche zum sechzigsten Geburtstage. Ein Mann des Volkes im wahren Sinne des Wortes, haben Sie sich dem Vaterlande in schwerer Zeit treu erwiesen. Der Allmächtige möge Ihnen einen glücklichen Lebensabend gewähren, von Mürz, Oberhofzeremonienmeister.«

Man glaubte die Herzen der Anwesenden klopfen zu hören. Das Papier knisterte in Riemanns Händen; seine schmale Brust wogte. Die Militärpersonen nahmen allmählich wieder Platz. Da raffte sich der Obersekretär noch einmal zusammen: »Großherzog Ferdi – –« Schmirl, der glücklicherweise an seiner Seite saß, gab ihm einen Puff in den Oberschenkel. Ein wütender Blick traf ihn, aber das Hoch auf den Landesherrn war vermieden. In stillschweigendem Einverständnis aller wurde hier die Verlesung der Telegramme abgebrochen und, sehr zum Leidwesen des alten Tesenfitz, auch der Zeitungsartikel noch zurückgestellt.

Man wandte sich dem Festessen zu, das in Anbetracht der Umstände in bescheidenen Grenzen gehalten war: Suppe, Fisch und mehrere Sorten Gemüse, dazu Tiroler Spezial, aber alles reichlich und vortrefflich. Brot gab es selbstverständlich nur gegen Erlegung der Marken. Nach dem aufregenden Herrschertelegramm belebten sich die Gespräche nur langsam von dem ehrfürchtigen Flüsterton, mit dem sie einsetzten, wieder zu geselliger Munterkeit. Das Thema war durch den Zwischenfall ja von selbst gestellt: das Verhalten der doch eigentlich republikanischen Sozialdemokratie bei dynastischen Annäherungen. Die Gemüter der Politiker erhitzten sich ernsthaft, und Bröschkes monarchistischer Schwiegersohn, der den Standpunkt vertrat, daß die große Zeit, die Einmütigkeit der Begeisterung von neunzehnhundertvierzehn, die das ganze wehrhafte Volk unter die Fahnen das Kaiserreichs hatte zusammenströmen lassen, jeden Gedanken an Republik ein für allemal ad absurdum geführt habe, mußte sich kräftige Zurechtweisungen gefallen lassen.

Peter Schmirl schlug auf den Tisch und schrie: »Ich habe die Monarchie schon vor zwanzig Jahren bekämpft, ich werde sie auch später wieder bekämpfen – da verlassen Sie sich auf!«

Endlich entschied aber Genosse Dr. Valentin, das aus Sachsen stammende jüngste Mitglied der Landtagsfraktion, auf den allgemein große Hoffnungen gesetzt wurden, mit dem Ausspruch: »Man gann ein ausgezeichneter zielbewußter Sozialdemograt sein und braucht sich deshalb noch lange nich als daktloser Banause zu benähmen!«

»Bravo!« sagte das Geburtstagskind selbst, das sich bisher nicht an der Auseinandersetzung beteiligt hatte.

Adele steckte sich nun aber hinter den alten Tesenfitz, und auf dem Umweg über Suse Schmirl gelang es endlich, den offiziellen Teil mit der Verlesung des Artikels im »Arbeiterboten« wieder in Gang zu bringen. Obersekretär Riemann erhob sich, schob den Kneifer zurecht und las. Es war eine wirklich schöne, schwungvolle und ausführliche Würdigung der Verdienste Jakob Bröschkes, und Käte netzte wiederholt die Augen mit dem Taschentuch, während Adeles Rührung sich in häufigem vernehmlichem Schneuzen kundgab. Die andern Damen warfen ergriffen lächelnde Blicke zu Jakobs Platz hinüber. Zum Schluß wurden alle Ämter und Posten aufgeführt, die der verehrte Parteiführer nach und nach erklommen hatte, und dann hieß es:

»Jetzt aber geben wir dem Genossen Bröschke selbst das Wort. Seine Lebensgeschichte soll das Proletariat aus seinem eigenen Munde erfahren, wie er sie kurz und schlicht einem unserer Mitarbeiter erzählt hat.«

»Was?!« – Jakob Bröschke starrte erst zu seinem Schwiegersohn empor, wobei sich ein Zahn über der gesprungenen Unterlippe sehn ließ. Dann ließ er die Äugelchen hilflos die ganze hufeisenförmig gestellte Tafel entlang schwimmen, deren bekränzten Mittelplatz er einnahm. Da sah er den alten Tesenfitz, das Kinn beinah bis zur Tischplatte niedergebeugt, mit beiden Handflächen links und rechts vom Teller Klavier spielen, wobei das bartlose stopplige Gesicht von Lachfalten wie ein Fächer geteilt war und die eingekniffenen Augen wie die eines Versteck spielenden Kindes zu ihm hinüberzwinkerten. Jakob fiel ein, daß vor drei Wochen Rudolf Tesenfitz bei ihm Urlaubsvisite gemacht und ihn dabei ausgefragt und ins Erzählen gebracht hatte über alles Erdenkliche, von der Kindheit an bis zur Gegenwart. Sollte der Teufelsjunge – ? Bröschke winkte drohend mit dem Finger zu Tesenfitz hinüber und trank ihm zu. Der Alte aber nahm das Glas, und wie er es zum Munde führte, überkam ihn die Lustigkeit der Sache derart, daß er in den Rotwein hineinprustete und ihn in zwei Schwabbern aufs Tischtuch flecken ließ. Da stellte er sehr verlegen das Glas wieder hin. Eugen Riemann las: »Ich wurde am Jahrestage des Bastillesturms, dem 14.Juli 1858, als Sohn armer proletarischer Eltern in dem kleinen Städtchen Kersching an der Wähe geboren. Meinen ersten Unterricht empfing ich dort in der Gemeindeschule. Mit vierzehn Jahren trat ich in meiner Vaterstadt ins praktische Leben. Da es ihm nicht vergönnt war, meinen Herzenswunsch zu erfüllen und mich studieren zu lassen, gab mich mein Vater einem Tapezier und Dekorateur in die Lehre. Nach Ablegung meines Gesellenstückes lernte ich die Landstraße kennen, die ich in allen Teilen unsres lieben Heimatlandes durchstreifte.« Kate neigte sich zu ihrem Nachbarn, Dr. Valentin: »Schön gesagt«, flüsterte sie.

»Bald arbeitete ich hier, bald dort. Aber es hielt mich nirgends lange. Früh schon erkannte ich die Abhängigkeit des Arbeiters vom Kapitalismus, und mein Wissensdrang trieb mich, Aufklärung zu suchen, wo ich sie nur finden konnte. Altere Arbeitskollegen verschafften mir Lesestoff, den ich verschlang, und allmählich gewann ich Einblick in die jung aufstrebende Arbeiterbewegung. Ich trat in die Gewerkschaft ein und bald auch in die Partei. Damals war das Sozialistengesetz auf der Höhe, und so mußte ich auch das Gefängnis kennenlernen, wie das wohl zum Werdegang jedes rechten alten Sozialdemokraten gehört.« Die älteren Parteigenossen nickten vor sich hin, die jüngeren lächelten huldigend. Frau Suse Schmirl aber sprach zu ihrem Gatten: »Du warst dreimal drin – nicht, Peter?« Eugen Riemann fuhr fort: »Da hieß es unterirdisch arbeiten, Blätter verteilen, für Partei und Gewerkschaft Stimmung machen und, wenn es Wahlen gab, für die Sache des Proletariats agitieren. Zugleich aber hieß es das eigene Wissen vervollkommnen. Wissen ist Macht! Das habe ich schon als junger Mensch eingesehn, und so drang ich in meinen Freistunden in die Lehren unserer unvergeßlichen Altmeister Marx und Engels ein und vervollständigte auch meine Bildung auf allen andern Gebieten, besonders auch in Kunst und Literatur.«

»Ganz wie mein Rudolf«, meckerte der alte Tesenfitz, der geneigt: schien, den ganzen Lebenslauf Bröschkes als Verdienst seines Sohnes anzusehn, da ihn der dem Druck übergeben hatte.

»Zu jener Zeit hatte unser verstorbener Parteiführer Roderich Pörtels den Gedanken ins Leben gerufen, junge strebsame Genossen in eigenen Parteischulen zu kundigen Leitern des werktätigen Volkes heranzuziehen. Als ich davon hörte packte ich meinen Ranzen und begab mich wieder auf die Wanderschaft gradenwegs zu Pörtels selbst. Das war zu Anfang der achtziger Jahre.«

»Zweiundachtzig war's«, rief Peter Schmirl und warf den Nacken zurück.

»Roderich Pörtels unterzog mich einem kurzen Verhör, dann nahm er mich unter die Seinen auf, und ich schmeichle mir, einer seiner Lieblingsschüler gewesen zu sein. Das war eine bewegte und doch ach wie unvergeßliche Zeit unter unserm ›Alten‹, wie wir ihn scherzhaft unter uns nannten.«

»Wie reizend!« hörte man eine Genossin flöten. »Wir lernten die hehre Weisheit von Marx' Kapital und den Klassenkampf verstehn, wurden unterwiesen, wie sich die Parteien unterscheiden, und auch die Rede handhaben, um in Volksversammlungen sprechen und unsern Gegnern die Wahrheit des wissenschaftlichen Sozialismus entgegenschleudern zu können. Und dabei immer die Heimlichkeit, weil damals die Sozialistenverfolgungen an der Tagesordnung waren und Bismarck überall Geheimbünde witterte.« Anton Bröschke stieß seinen Schwager in die Kniekehle. »Lies doch nicht so dröhnig«, raunte er ihm zu, »dabei schläft man ja ein.«

Eugen setzte den Zwicker grade und erhob die Stimme. »Nach einem Jahr schon konnte ich meinen Tapezierberuf an den Nagel hängen. Genösse Pörtels wünschte, daß ich meine Kraft ganz der Bewegung widmen sollte.«

»Sehr richtig!« rief jemand am unteren Ende der Tafel. »So kam ich achtzehnhundertdreiundachtzig als junger Parteiredakteur nach Krunkenau. Hier widmete ich mich neben meinen laufenden Arbeiten hauptsächlich der Aufklärung der Arbeiterschaft über die Religionsfragen. Denn ich hatte schon lange Zweifel an der Richtigkeit des Kirchenglaubens und; kam dahinter, daß es damit keineswegs seine Richtigkeit hatte. Dadurch kam ich auch in die Freidenkerbewegung hinein, und Trennung von Staat und Kirche wurde seitdem meine vornehmste Losung.« Adele faßte unter dem Tischtuch nach Jakobs Hand, denn sie ahnte, was jetzt folgen würde.

»Der rührigste Vorkämpfer dieser Losung war zu jener Zeit der Freidenker August Wehmeyer, mit dem ich denn auch bald in das freundschaftlichste Verhältnis trat. Ja, am siebzehnten September achtzehnhundertfünfundachtzig reichte mir seine liebe Tochter Adele die Hand zum Lebensbunde.«

Viele Gläser wurden erhoben, und Adele Bröschke mußte nach allen Seiten nicken und oft den Rand ihres Weinglases an die Lippen führen.

»Sie ist mir eine treue Gefährtin geworden und hat mir im Laufe der Zeit vier Kinder geschenkt, von denen uns das letzte im zarten Alter von zwei Monaten wieder genommen wurde, während die drei andern prächtig gediehen.« Jetzt kam die Reihe des Zutrinkens an Anton und Käte. »In Krunkenau blieb ich bis zum Jahre achtzehnhunderteinundneunzig. Dann erhielt ich einen Ruf als Geschäftsführer des ›Arbeiterboten‹ in unsre Stadt, welche mir seitdem zur zweiten Heimat geworden ist.« Die Gesichter streckten sich dem Vorleser mit erhöhter Spannung entgegen.

»Hier gelang es mir, das Vertrauen der Parteigenossen bald in weitestem Maße zu erwerben. Mein Hauptaugenmerk richtete sich von Anfang an darauf, dem Blatt nicht bloß bei den Parteigenossen, sondern vor allem auch bei den Gewerkschaftern Freunde zu erwerben und die Redakteure desselben anzuhalten, besonders den lokalen Teil so auszugestalten, daß die sozialdemokratische Zeitung auch in jedem Bürgerheim Eingang finden und mit Vergnügen gelesen werden konnte. Achtzehnhundertvierundneunzig wurde ich mit noch zwei Genossen zum Stadtverordneten gewählt.«

»Einer davon war ich«, betonte Schmirl. »Es war das erste Mal, daß unsre Partei im Rathaus einzog. Nachdem ich bereits mehrfach unsern Wahlverein auf Parteitagen vertreten hatte und als alter Freidenker und auch als künstlerisch durch meinen früheren Beruf als Dekorateur ein wenig vorgebildet in den Ausschuß für Kultur und Kunst gewählt war, entsandte mich das Vertrauen der Arbeiterschaft bereits achtzehnhundertfünfundneunzig in den Landtag und neunzehnhundertdrei auch in den Reichstag, welch beiden Körperschaften ich seitdem ununterbrochen angehört habe.«

Ein lautes »Bravo!« von verschiedenen Seiten bekräftigte das Einverständnis der Festteilnehmer mit dieser Tatsache. »Seit neunzehnhundertacht, also nunmehr zehn Jahre, gehöre ich dem hiesigen Magistrat an, und neunzehnhundertelf berief mich das einstimmige Votum der Mitgliederversammlung zum ersten Vorsitzenden des sozialdemokratischen Wahlvereins.« Dieses Mal äußerte sich die Befriedigung durch lebhaftes Gemurmel.

»Das Höchstmaß seines Vertrauens erwies mir der Parteiausschuß noch voriges Jahr, indem mich derselbe anstelle eines unabhängig gewordenen Vorstandsmitglieds in den Parteivorstand berief. Ich habe als Funktionär der Partei und als Abgeordneter stets nach meinen bescheidenen Kräften mitgeholfen, das Gute zu schaffen, und habe mir insbesondere in meiner Eigenschaft als Referent für Kunst, Wissenschaft und Kultus in den verschiedenen Kommissionen und Körperschaften von jeher die Hebung der Kultur und der Bildung in unserm Volke als hehres Ziel vor Augen gehalten. Seit dem Ausbruch des großen Weltenbrandes habe ich es mir angelegen sein lassen, das Augenmerk der gesetzgebenden Faktoren auf die Verhütung sozialer Mißstände zu lenken und mit den wohlverstandenen Interessen des allen Deutschen gemeinsamen Vaterlands das der arbeitenden Klasse zu verbinden. Die Opfer, die die Arbeiterschaft in dieser schweren Zeit bringen muß, dahin werde ich mit allen meinen Kräften zu wirken suchen, werden derselben aufgewogen werden durch die Erringung freiheitlicher Verhältnisse im Reich und im Lande. Wir werden einen demokratischen Staat bekommen, in dem nichts geschehn darf, wozu nicht das Proletariat seine Zustimmung gegeben hat. Solange mir unsere Parteigenossen fernerhin ihr Vertrauen schenken sollten, wird dieses allezeit meine Richtschnur sein und bleiben.« Obersekretär Riemann legte das Zeitungsblatt auf den Tisch, als ob er ein As trumpfen wollte, zum Zeichen, daß die Vorlesung beendet sei. Daraufwischte er sich Stirn und Schnurrbart mit der Serviette ab und setzte sich. Dröhnend erscholl der Applaus durch den Saal. Der Gesangverein stimmte die Arbeiter-Marseillaise an und stehend sangen die begeisterten Parteigenossen: »Wohlan, wer Recht und Freiheit achtet –«

Die Tafel wurde aufgehoben. Es bildeten sich Gruppen. Der gemütliche Teil des Abends begann. Der Gefeierte konnte sich indessen nicht lange dem ruhigen Genuß seiner Beliebtheit hingeben. Genosse Schmirl klopfte ihm inmitten eins Rudels von Verehrern, die sich in entzückten Äußerungen über die Selbstbiographie ergingen, derb auf die Schulter und schrie: »Jakob! Das Geschäft ruft. Fraktionssitzung nebenan im kleinen Saal.« Die anwesenden Mitglieder des Landtags versammelten sich in einem Nebenraum und berieten bei der Zigarre über ihre Stellung bei der Interpellation Rupprecht, die sich besonders auf den Fall des Arbeiters Winckelmann bezog, jenes unabhängigen Hitzkopfs, den man seiner fanatischen Streikhetze wegen, nachdem man ihn schon infolge seiner schweren Verwundung nicht mehr ins Feld schicken konnte, einfach in Schutzhaft genommen hatte.

Das war eine fatale Geschichte, und nach langem Hin und Her und Kopfkratzen und vielen faulen Vorschlägen knuffte Peter Schmirl den alten Freund in die Seite, und Jakob Bröschke trug bedächtig vor, was Peter ihm am Vormittag beigebacht hatte. Er fand allgemeine Zustimmung. Da wurde Dr. Valentin ans Telephon gerufen, und die Parlamentarier begaben sich zur Gesellschaft zurück, wo zwischen Weindunst und Tabakqualm ein Tosen von Stimmen brandete wie auf dem Zwischendeck eines Auswandererschiffs vor der Landung. Ganz plötzlich ward es still.

Alles schaute auf. Doktor Valentin stand in der Tür. Sein Schauspielergesicht zuckte vor Erregung, und seine Hand gebot Ruhe.

»Barteigenossen!« Sein Idiom trompetete in den Saal. »Ich gann Ihnen eine eminent wichtiche Mitdeilung machen.« Die letzten Flüsterlaute verstummten. »Ich habe soäben den morchigen Dagesbericht delephonisch übermiddelt begommen. Unsre Druppen sind im siechreichen Vordringen beiderseits von Reims, dessen Ostforts in unsrer Hand sind. Die Wranzosen sind über die Marne dem Stoß ausgewichen. Die Unsrichen folchen und haben den Fluß bereits überschridden.« Einen Augenblick stockte allen der Atem. Dann aber hielt es Eugen Riemann nicht. Den Arm senkrecht in die Luft gereckt, schrie er mit überkippender Stimme: »Hurra!« Und dann noch einmal und ein drittes Mal und jedesmal noch lauter und noch begeisterter: »Hurra! Hurra!!« Da war nicht zu widerstehn. Die Militärpersonen, zuerst die Chargen, die beiden Beamtenstellvertreter, der Offiziersstellvertreter und die drei Unteroffiziere, dann auch alle übrigen, selbst die ältesten Parteifunktionäre, stimmten mit ein, und das Hurra! donnerte von den Saalwänden wie eine Lawine zwischen Gletschern.

Und der Dirigent des Gesangvereins nahm den Taktstock und gab ein Zeichen, und die Arbeitersänger standen auf und drehten die Hälse aus dem Kragen, und die Festteilnehmer, Männer und Frauen, Alte und Junge – alle, alle folgten dem Beispiel, und brausend wie Orgelklang erscholl aus mehr als achtzig sozialdemokratischen Kehlen der deutsche Sturmgesang: »Deutschland, Deutschland über alles!« ...


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