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I. Frau Katharina

Eine Handwerkeridylle.

I. Ehefreuden

Es war ein köstlicher Morgen, und in dem hübschen ländlichen Garten des Tischlermeisters Thomas blühten die Blumen gar üppig und schön, summten die Mücken gar melodisch und fein um den runden Kaffeetisch, an dem Herr Thomas mit seiner Ehehälfte saß. Es war ein köstliches Bild, das diese Beiden, ohne es zu wissen, dem Beschauer darboten, ein Bild im Ruben'schem Styl, in glänzenden, stark aufgetragenen Farben, und Frau Katharina in ihrer steifen Grandezza, mit ihrer Wohlbeleibtheit und dem hübschen derben Gesichte, erinnerte nicht übel an jenes Bild der Münchener Galerie, auf welchem Rubens seine schöne Gemahlin, lustwandelnd im Garten, vorgestellt hat. Und eben so behaglich und wohlwollend, wie auf jenem Bilde Rubens am Arm seiner Gemahlin, eben so freundlich und in seinem Gott zufrieden war das Antlitz des Herrn Thomas. Er saß in seinem bequemen Lehnstuhl, nachlässig rückwärts gelehnt, die lange Tabakspfeife im Munde, und lange Dampfwolken ausblasend, die er in behaglicher Gedankenlosigkeit sich verflüchtigen und verschwinden sah; zuweilen auch schlürfte er aus der großen Kaffeetasse, die vor ihm auf dem Tische stand, und sie dann mit einem grunzenden Laut des Behagens wieder fort stellend, dehnte und streckete er sich gemächlicher aus.

Frau Katharina hielt ein Buch in ihrer Hand, eifrig, wie es schien, mit Lesen beschäftigt. Alles war still, nur aus dem großen Gebäude, das die eine Seite des Gartens begrenzte, tönte verworrenes Getöse, und zuweilen konnte man deutlich das Geräusch des Sägens und Hobelns unterscheiden. Bei solchen Gelegenheiten verklärte sich das Antlitz des Herrn Thomas zu einem glücklichen Lächeln, und er murmelte leise: »Recht so, meine braven Jungens! Ihr seid hübsch fleißig! Recht so, hobelt nur frisch drauf los! das ist mir eine liebere Musik, als alle die schönen Concerte, über welche die Käthe immer vor Wonne verhimmelt!«

Das Letzte murmelte er mehr in sich hinein, und sah mit einem scheuen Seitenblick auf seine lesende Ehehälfte, prüfend, als ob er fürchte, sie möge seine leise gemurmelten Worte verstanden haben, und dann, als sie ruhig weiter las, große Dampfwolken der Freude aus seinem Munde blasend. Aber plötzlich warf Frau Katharina ihr Buch auf den Tisch, daß die Tassen klirrten, und rief heftig: »Unerträglich! Bei Gott unerträglich!«

Herr Thomas schreckte zusammen, und ließ die Pfeife langsam aus seinem Munde gleiten. »Ach,« sagte er dann mit einem gutmüthigen Lächeln, »Du hast ganz Recht, diese Mücken sind wirklich ganz unerträglich. Aber siehst Du denn nicht, daß ich mir alle mögliche Mühe gebe, sie zu vertreiben? Ich rauche ja blos darum so unerhört, so, wie eine Art Locomotive, blos um Dir die Mücken zu vertreiben, Katharinchen!«

Katharina sah ihn mit verachtender Hoheit an, und sagte dann mit erzwungener Würde: »Dir freilich in Deiner materiellen Natur, erscheint nur das unerträglich, was Dein Körperliches unsanft berührt; ich hingegen war zu sehr in meine Lectüre vertieft, um die Mücken beachten zu können. Aber das entsetzliche Geräusch der pöbelhaften Hobelbänke dort in der Werkstatt, das war es, was mich störte!«

»Hör' Du,« sagte Herr Thomas, ihr gutmüthig mit dem Finger drohend, »hör' Du, schilt mir nicht die Hobelbänke. Sie haben uns doch schon manchen Thaler eingebracht!«

»Pah, was hülfen uns wohl diese Thaler, wenn wir nicht das große Loos gewonnen hätten. O, wenn Du wüßtest, Thomas, welche erhabene Liebe ich seitdem für unsern edlen König empfinde, der in humaner Gesinnung die Lotterie seinem Volke erhalten will, der seinen Unterthanen diese hoffnungsvolle Quelle möglicher Reichthümer nicht verstopfen, sondern sie ihnen ewig flüssig erhalten will! O welche Barbarei ist das, wovon ich zuweilen in den Zeitungen lese. Denke Dir, Mann, es giebt Länder, in denen man die Lotterie abschaffen will! Mein Gott, das heißt ja dem Bürger jede Möglichkeit rauben, zu Geld und Gütern gelangen zu können.«

»Ach was,« sagte Herr Thomas ärgerlich, »die Lotterie ist dazu ein schlechtes Mittel. Der Bürger soll arbeiten das ist seine Bestimmung, und eine weit edlere, als die Hände müßig in den Schooß zu legen, und zu warten, bis ihm die gebratenen Tauben aus der Lotterie in's offene Maul fliegen! Laß Dir sagen, Käthe, ich hab, es schon oft verwünscht, daß wir das viele Geld in der Lotterie gewonnen haben! Es ist mir so, als müßte ich mich des vielen Geldes schämen, weil ich es nicht redlich verdient und erworben habe! Ein gewonnener Groschen ist mir lieber, als ein Thaler, der mir durch Zufall in den Schornstein hinein plumpst!«

»Mein Gott, es ist zum Verzweifeln!« rief Katharina. »Plumpst, welcher anständige Mensch sagt denn: plumpst!«

»Ja, aber ich, Katharina, ich kann es sagen, denn ich bin gar kein anständiger Mensch! das heißt, was Du so anständig nennst! Ich kann nicht in gedrechselten Redensarten sprechen, sondern ich muß Alles frisch von der Leber weg sagen, wie das Herz und mein dummer Verstand es mir eingiebt. Ich kann weder über Bücher sprechen, noch macht es mir Spaß stundenlang am Spieltische zu sitzen, und dem lieben Gott die Zeit wegzustehlen. Ich bin nichts als ein Tischler, ungehobelt und roh, und so muß ich verbraucht werden!«

»Aber Du bist reich genug, ein anständiger Mensch werden zu können, Dich aus der niedrigen Sphäre empor zu schwingen und Deine Bildung zu veredeln!«

»Papperlapap! Schafe kann man veredeln! aber nicht Menschen! die bleiben einmal, wie sie sind, wer's nicht von früh auf gelernt hat, anständig und vornehm zu sein, der soll's in seinem Alter wohl lassen! Die Erziehung, Kind, die Erziehung macht Alles! Ein Tischler bleibt ein Tischler, und wenn er auch einen goldenen Rock trägt, und wenn er auch ein vornehmes Haus macht, sich einen adligen Namen kauft, und vornehme Gäste bei sich sieht. Es kann Alles ganz wunderhübsch sein, und ganz prächtig, Alles ganz noble, wie Ihr das nennt, irgendwo in einer Ecke werden doch einige Hobelschnitzel und ein Hobel zu finden sein, als neckende Gespenster und Kobolde, und die vornehmen Gäste werden ganz heimlich über ihren linkischen, ungeschickten Wirth lachen, der es ihnen gleichthun möchte, der doch nichts hat, als Geld! Die Erziehung, die Erziehung, die allein macht vornehm oder gering! Das kannst Du so recht an unsrer Julie sehen, die ist wahrhaftig nicht von vornehmen Eltern! Ihr Vater war ein Schuhflicker, und ihre Mutter hatte das Gewerbe, zuweilen silberne Löffel, zuweilen auch etwas Schlechteres in der Gosse zu finden, wenigstens zu suchen!«

»Schlimm genug,« sagte Frau Katharina aufstehend, und einige Stangen Reseda pflückend; »schlimm genug, daß man sich mit Kindern solchen Gesindels belastet hat!«

»Es war meine Pflicht, Käthe,« sagte Herr Thomas, feierliche Dampfwolken aus seiner Pfeife blasend. »Ihre Mutter war, wie Du weißt, meine Muhme, und die kleine Julie meine Pathe! Ich weiß wohl, daß die vornehmen Leute es lächerlich finden, wenn man das noch für eine Verpflichtung hält, der Pathe eines Kindes zu sein. Heutzutage ist das nichts weiter, als eine bloße Form, eine leere Aeußerlichkeit. Man steht vom Frühstückstische auf, schwingt sich in die Kutsche, zieht unterwegs ganz mühsam die weißen Glacéhandschuhe an, und denkt dabei an Gott weiß welche gleichgültige Dinge. So kommt man in die Kirche, und tritt zum Altar, ohne den kleinen, mit langen Schleiern umhüllten Wurm eines Blickes zu würdigen. Die Taufrede überhört man, und merkt nur auf, zu rechter Zeit ein deutliches und vernehmliches Ja! zu sprechen. Dann drückt man der Hebamme einige Thaler in die Hand, und besteigt wieder die Kutsche, um zu dem glänzenden Diner zu fahren, das der glückliche Vater des Kindes giebt. Aber ich hänge noch an den altmodischen Gewohnheiten, ich bilde mir noch ein, daß, bei einem Kinde Gevatter stehen, so viel heißt, als Verpflichtungen für dasselbe übernehmen, und wenn es die Eltern verliert, ihm diese zu ersetzen. Und Du weißt, Julie war eine Waise; ihre Eltern starben Beide in ihrem Beruf.«

»Das heißt,« sagte Frau Katharina verächtlich, und zerpflückte den Reseda, den sie in der Hand hielt, »das heißt, sie haben sich Beide zu Tode getrunken.«

»Und was sollten sie in ihren Verhältnissen Besseres thun,« sagte Herr Thomas lachend. »Ihr beiderseitiges Geschäft war nicht das wohlriechendste. Gossen und Pechdraht riechen nicht nach Eau de Cologne, mein Kind, da folgten sie denn der wohlriechenden Lockung, die ihnen aus der Branntweinflasche aufstieg, und stärkten sich an dieser zu ihrem Beruf. Und die kleine Julie war nun eine Waise; wer sollte sich ihrer annehmen, wenn nicht ich, ihr Pathe? Der liebe Gott da droben hatte sie an uns gewiesen, wir hatten damals noch keine Kinder, und so dachte ich, sie sollte unsere Tochter werden!«

»Ich danke für eine solche Tochter!«

»Ja Du freilich,« sagte Herr Blitz mit weinerlicher Stimme, »Du bist nicht so kinderlieb, wie ich, sonst würdest Du unsere allerliebsten kleinen Buben nicht von Dir gegeben haben. Ach mein Carl und Felix, wenn ich denke, daß Ihr in einer Pensionsanstalt schmachtet!«

Herr Blitz seufzte tief auf in väterlicher Sehnsucht und schenkte sich gerührt eine Tasse Kaffee ein.

»Kinder müssen erzogen werden,« sagte Katharina streng, »und es ist albern, wenn man sich darüber grämt, die Kinder nicht täglich sehen zu können.«

»Nun werden unsere Kinder aber so klug werden, daß sie ohne alle Schwierigkeit einsehen können, wie wir, ihre leiblichen Eltern, recht dumme und ungebildete Leute sind, dann werden sie aufhören uns zu lieben. Das ist dann unser Gewinnst! Ein paar kluge junge Herren wirst Du sehen, Deine Kinder verloren haben.«

»Thomas, Du bist unverschämt,« sagte Katharina erröthend vor Zorn. »Ich räume Dir gerne ein, daß Du an Dummheit Deines Gleichen suchst, aber ich« –

»Ach was,« sagte Thomas, dem der Schmerz um seine entfernten Söhne Muth gegeben, gegen seine Ehehälfte sich zu opponiren, »ach was, Du bist auch nicht klüger als ich. Und weil ich das weiß, weil ich nicht mag, daß wir zum Gespött und Gelächter werden, siehst Du, gerade darum will ich nicht ein vornehmes Haus beziehen, ein vornehmer Mann werden. Wir verstehen das Beide nicht. Sieh Dir einmal unsere Julie an, dann wirst Du erkennen müssen, daß wir Beide nun einmal nichts weiter sein können, als Handwerksleute! Sieh, die Julie, die ist gebildet und anständig, denn ich habe sie in der besten Pensionsanstalt erziehen lassen, die Bildung ist mit ihr herangewachsen, und so ist ihr auch ihr vornehmes Wesen ganz natürlich. Siehst Du, Käthe, wenn sie mich mit ihren schönen Augen so verständig und freundlich ansieht, so werde ich ganz verlegen, und weiß gar nicht was ich sagen soll. Das kommt daher, sie ist in jeder Hinsicht klüger wie wir, und deshalb haben wir auch Scheu und Ehrfurcht vor ihr!« –

Frau Käthe war außer sich über diese beleidigenden Worte ihres Mannes. Der Zorn machte sie anfangs sprachlos, sie löste das feuerfarbene Band ihrer Haube auf, sie lüftete ihr grünseidenes Halstuch, und athmete hoch auf in der Beklemmung des Zorns. Dann endlich sagte sie: »Das geht zu weit, bei Gott, das geht zu weit! Ich sollte Scheu und Ehrfurcht haben vor diesem übermüthigen, naseweisen Mädchen? Pah! Sie ist mir in tiefster Seele zuwider.«

»Ah, Du bist neidisch auf sie, weil es Dir an Juliens vornehmem Wesen gebricht,« sagte Thomas, sich auf seinem Stuhle schaukelnd.

»Und Du bist ein Dummkopf,« rief Katharina. »Gieb Dein Tischlerhandwerk auf, kaufe ein schönes, stattliches Haus, halte Dienerschaft und Equipage, und Du sollst sehen, daß ich mit Anstand die vornehme Dame vorstellen kann!«

»Das würde allerliebste lächerliche Auftritte geben,« lachte Thomas. »Du eine vornehme Dame! Sieh, zum Beispiel! Du bist dazu viel zu wahrheitsliebend, viel zu unverstellt! Du nanntest mich da vorhin einen Dummkopf. So sagt aber keine vornehme Dame zu ihrem Mann, wenn sie es auch denkt, auch solchen bösen, heftigen Ton hat keine vornehme Dame! Da geht Alles ganz fein und zierlich her. Innerlich mag Alles noch so sehr brausen und toben, außen ist Alles freundlich und still. Nein, nein, Du bleibst, was Du bist, eine Tischlerfrau!«

»Thomas,« rief Katharina, zitternd vor Heftigkeit ihren Mann an den Schultern packend, »Thomas, ich sage Dir, bringe mich nicht zum Aeußersten, ich könnte in meinem Zorn Dinge thun, die Dich nachher gereueten!

»Ja, zornig kannst Du sein, das ist wahr,« sagte Herr Thomas, sich sanft aus ihren unsanft umstrickenden Armen losmachend. »Weißt Du noch, wie Du einmal in Deinem Zorn den Kater vergiftetest, weil er Dir den Dompfaffen für eine Maus angesehen und ihn aufgefressen?«

Frau Katharina stampfte zornvoll mit dem Fuße, Herr Thomas aber fuhr in unerschütterlicher Behaglichkeit fort: »Und der Dompfaff sang so schön, und war auch sonst ein sehr kluges Thier! O, ich weiß noch, als Du einmal die Hand aufhobst, und im Zorn meine Wange etwas unsanft streicheln wolltest, da fing das Thier an zu pfeifen: ist denn Liebe ein Verbrechen, darf man denn nicht zärtlich sein? O wahrhaftig, es war rührend!« –

Frau Katharina antwortete nichts auf diese süßen Rückerinnerungen ehelicher Zärtlichkeit. Sie wandte ihrem Manne mit einem Blicke unaussprechlicher Verachtung den Rücken, und schritt die Allee, die zum Wohnhause führte, hinauf. Dem Bettelkinde, das ein Gebet murmelnd, an der Thüre stand, gab sie stumm eine Ohrfeige und trat dann in's Haus zurück.


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