Theodor Mügge
Der Vogt von Sylt
Theodor Mügge

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Viertes Kapitel.

Am nächsten Morgen trat Jens in sein väterliches Haus. Frohen Blickes und frohen Gemüts schien er zu sein, als er die hohe Warft erblickte, auf welcher es zwischen Bäumen und blühenden Gehegen ruhte. Hier war es nicht, wie auf der kleinen armen Hallig Südfall, hier gab es Fruchtfelder, blanke Rinder, die sich im duftigen Grase lagerten, eine reiche, gesegnete Marsch. Hier gab es Schutz vor den Stürmen, Dünen und Deiche gegen die Fluten, und wenn die Kronen der Linden, die den Giebel des Hauses umwölbten, auch kahl gefegt waren, ihr lockendes Grün bildete doch unten eine Laube, um welche Beete dunkelroter feuriger Marschnelken und duftiger Levkojen zierlich zwischen Taxushecken standen.

Lornsen warf einen langen, dankbaren Blick auf das Haus seiner Väter, und, die Hand nach ihm ausstreckend, rief er: O! wohl dem Menschen, der eine Heimat hat, ein Haus, wo die wohnen, welche er liebt, wo Arme und Lippen ihn willkommen heißen, wenn er wiederkehrt, wo er unter Bäumen im Schatten ausruhen kann, und wo es Herzen giebt, die Freude und Leid mit ihm teilen.

Mit schnellen Schritten eilte er die Warft hinauf und wenige Augenblicke später war er zwischen Vater und Mutter am Kaffeetisch.

»Bist wieder heim, Jens, und alles gut,« sagte der Vater, wohlgefällig den stattlichen Sohn betrachtend, während dessen Hand in der Mutter Hand ruhte. »Alles gut, Vater,« erwiderte er. »Etwas schwere Fahrt, weiter nichts.«

»Konnt' es denken,« sprach der alte Mann, bedächtig nickend, indem er den Rauch der Pfeife stärker von sich blies. Damit war in stiller, ruhiger Weise der Empfang beendigt.

Das helle freundliche Zimmer, ganz nach friesischer Sitte, war fast wie die Kajüte eines großen Schiffes anzuschauen. – Es war nicht hoch, und obwohl das Haus massiv aus Backsteinen erbaut war, steckten in diesen die starken Balken oder Ständer, welche das Dach trugen. Die Zimmerdecke von Holzwerk, mit glänzend weißer Ölfarbe gestrichen, vermehrte den Ausdruck der Sauberkeit und Wohlhabenheit des Ganzen. – Die Wände waren bis zur halben Höhe mit kleinen Porzellankacheln bekleidet, auf denen segelnde Schiffe und allerlei Landschaften eingebrannt waren, höher hinauf bis zur Decke waren sie hellgelb in Öl getränkt und gefirnißt, ohne irgend ein Fleckchen, ohne Riß und Staub, so sauber, als kämen sie eben erst aus der Hand des Malers.

Ein paar große Schränke von Nußbaumholz mit Metallgriffen standen im Zimmer, in der Mitte ein gewaltiger Tisch von demselben Material; Schildereien hingen da und dort, eine schöne Sekundenuhr in braunem Gehäuse fehlte nicht, und auf dem Tischchen am Fenster unter dem Spiegel lag ein mächtiges Fernrohr, halb herausgezogen, wie es Seeleute brauchen.

»Wir haben dich gestern schon erwartet, Jens,« sagte der alte Vater, »Hanna Petersen war bei uns den ganzen Nachmittag über. Da liegt noch das Glas, mit dem sie auf die See schaute.«

»Ich bin in Husum gewesen,« gab Jens zur Antwort.

»Weit ab vom Kurs,« sprach der alte Kapitän.

»Hatte ein paar Passagiere, einen dänischen Staatsrat und seine Tochter von Helgoland mitgenommen, wo sie keine Überfahrt fanden.«

»So,« sagte der Alte. – »Hast gelesen, was sie in Kopenhagen wieder wollen?« – Er reichte Jens ein Zeitungsblatt hin, der hinein sah, die Stirn zusammenzog und es wieder fortwarf. – »Daß es nichts Gutes sein konnte, war zu denken,« sprach er. »Gutes für uns kann von da her nicht kommen. – Sie wollen Dänen in Schleswig anstellen, uns zwingen, nach Kopenhagen zu gehen, um Dänen zu werden. – Das ist ein alter Plan, Vater, aber er wird ihnen doch nicht gelingen. Um unser Geld können sie uns betrügen, uns die Haut abziehen und die Ohren dazu, aber Dänen werden sie nie aus uns machen.«

»Hast recht!« sprach der Kapitän. »Möchtest also deinen Anker dort nicht werfen?«

»Ich?« fragte Jens und eine Röte trat plötzlich in sein Gesicht, »ich wüßte wahrlich nicht, was ich dort zu schaffen hätte.«

»Meine es auch so,« fuhr der Alte fort. »Ist falscher Grund, er läßt los, ehe man es denkt. Ist aber eine Lockung für den Ehrgeiz und wer den hat, mag sich hüten.«

»Ich freue mich, daß du wieder bei uns bist, Jens,« sagte die Mutter, »und denke, du sollst uns sobald nicht verlassen.«

»Mutter,« erwiderte der Sohn zärtlich, »wo könnte ich in der Welt lieber sein als hier. Wenn ich fort bin, zieht es mich zurück. Ja, ich bin ein echter Friese, ich kann von der Scholle nicht loslassen, auf der ich geboren wurde. Wie die Wandervögel aus dem Süden immer wieder auf ihr Nest an der Klippe zurückkehren, so fühle ich die Sehnsucht nach dem alten Hause auf der Warft und mein ganzes Wünschen geht dahin, hier einst glücklich zu sein bis an mein Lebensende.«

»Ist gerade als ob man die Hanna hört,« lachte die Frau, »die hängt auch mit Leib und Leben an Sylt fest. Ist ein Jahr lang in dem großen Hamburg gewesen, hat bei den mächtig reichen Verwandten ein herrliches Leben geführt, hat es aber doch nicht aushalten können, und preist Gott, daß sie wieder in ihres Vaters Haus einsam sitzen kann.«

»Es ist eine brave, liebsüße Dirne,« brummte der alte Kapitän, die Rauchwolken vor sich hinjagend.

»In acht Tagen muß ich zurück,« sagte Jens, »Ich habe zwar wenig zu thun, langweile mich und andere Leute, muß jedoch auf dem Posten sein.«

»Solltest die Ladung über Bord werfen, Jens,« sprach der Vater.

»Man muß den Anfang machen, aller Anfang ist schwer,« rief der Sohn; »denke aber, es wird schon kommen. Meine Freunde in Kiel und Schleswig sind thätig für mich; sobald sich etwas Besseres findet, werden sie mir Nachricht geben und ihren Einfluß anwenden.«

»Bist der Mann nicht danach,« fiel der Alte kopfschüttelnd ein, »hast den Herren am Sunde zu früh gezeigt, daß du den schwarzen Rock angezogen hast, statt der blauen Jacke.«

»Ei, Vater,« lachte Jens, »denke, ich mache beiden Ehre.«

»Gewiß thust du es,« sprach die Mutter, »aber was hilft denn das Jagen und Plagen mit bösem Willen und bösen Leuten. Warum willst nicht bei uns sein, lieber Jens, und das Glück da außen suchen, wo es dir nicht blüht?«

»Mutter,« sagte der junge Mann, in ihre liebevollen Augen schauend, die mit Innigkeit an ihm hingen, »muß denn nicht ein Mann streben und dem Glücke nachjagen durch die ganze weite Welt?«

»Bist ja weit genug gewesen,« erwiderte die Frau schüchtern und bittend, »und bist dreißig Jahre alt, mein Sohn, da baut der Mensch sich gern sein festes Dach, um froh darunter zu wohnen.«

Jens schüttelte leise den Kopf. – »Ich glaube, daß es noch weit von mir ist, und wer weiß es, wo ich es finde,« sprach er mit halber Stimme.

»Stehst hier darunter,« rief die Mutter, den Arm um ihn legend. »Ist es denn nicht dein Dach, Jens, wir beide sind alt, werden wohl bald ein anderes Dach finden, das fest auf uns liegt und uns schirmt. So ist es denn unser Herzenswunsch, dich auf festem Ankergrund zu sehen, wie der Vater sagt, und ein Wort im Ernst darum zu reden, was sich schickt.«

»Rede, Mutter,« sagte Jens.

»Wie es ist mit Hanna Petersen?« fragte sie. »Ist es ein Mädchen nach deinem Sinn?«

»Also heiraten soll ich,« rief Jens lachend. »Ihr wollt mich fest machen, wie man es nennt.«

»Das beste Gut haben die Petersens,« fuhr die Frau belobend fort, »da wäre wohl keiner, der nein sagte, wenn er anklopfen dürfte.«

»Und darf ich denn anklopfen, Mutter?«

»Es ist eine stolze Dirne, hätte in Hamburg bleiben und einen Handelsherrn nehmen können, der drei Schiffe in See hat. Hat auch hier sich mehr wie einer darum beworben. Heinrich Hilgen kann es noch nicht lassen.«

»Das ist ein wackerer Mann, so kühn und brav wie der beste,« sagte Jens.

»Aber hast du es nicht gemerkt,« fragte Frau Lornsen, »daß du ihr der Liebste bist? Weißt du nicht, daß sie dich erwartet, wenn du ausbleibst und daß sie dich aufsucht, wenn du fehlst?«

»In Wahrheit, ich habe es nicht beachtet.«

»Alle Tage ist sie gekommen, als du fort warst. Hat auf den Stellen gesessen, wo du zu sitzen pflegst; hat in deinen Büchern gelesen und hinaus gesehen über die See, als wollte sie dich suchen.«

»Nun was meinst dazu?« rief sie lächelnd, als Jens schwieg.

»Mutter,« erwiderte er, »ich habe wirklich bis jetzt, wenn ich bei Hanna war, nicht an das gedacht, was ich jetzt höre. Es ist ein kluges Mädchen, besonnen und von stillem Herzen, gewiß eine treffliche Frau im Hause, aber verraten hat mir nichts, daß sie für mich paßt.«

»Geh hin und sieh zu,« sagte die Frau.

»Will's thun, Mutter.«

Der Vater hatte bis jetzt geschwiegen. Nun wandte er sich um, deutete mit der Pfeifenspitze auf einen Mann, der den Hügel der Warft herauf stieg und sagte mit seiner ernsten Bestimmtheit: »Merk auf, Jens, fahre nach deinem Willen, aber bring das Schiff sicher nach Haus. Ist ein gutes, reiches Schiff, leicht zu steuern, wenn man es versteht und wenn du Hilfe brauchst, da kommt der Mann, der das rechte Fahrwasser kennt.«

»O! mein alter Freund,« rief Jens aufspringend, »wie bin ich froh, Sie bei uns zu sehen.«

Der große dürre Mann draußen nahm seinen Hut ab und grüßte freudig herein. Langes weißes Haar fiel nach hinten gekämmt lockig auf seine Schultern. Sein Gesicht war braun gebrannt von der Sonne, aber seine hellen, großen Augen brachten ein eigentümliches Leuchten hinein und milderten die scharfen Züge.

»Gott zum Gruß!« rief er, den Kopf zum offenen Fenster hinein steckend und die großen Hände darreichend. – »Nun, Jens Lornsen, wie geht's dem Herrn Advokaten?«

»Schönen Dank, Lorenz Leve,« antwortete Jens im gleichen spöttischen Tone; »ich wünsche, der Herr Pastor befinde sich so wohl wie ich.«

»Damit hat es keine Not,« sagte der dürre Mann ins Zimmer tretend. »Der Himmel sorgt für uns mit Speisen aller Art; Fische giebt es im Meere, Strandvögel und Eier in Fülle, auch schenkt uns Gott Brot und Fleisch, nur Wein hat er uns nicht beschieden, kaum gutes Wasser, um den Durst zu löschen.«

Ein listiger Blick aus seinen leuchtenden Augen lachte den alten Kapitän an, der sein Gesicht auch lachend verzog und nach dem Schrank umblickte, aus welchem die Frau sogleich auch eine Flasche und Gläser nahm, die sie freundlich nickend füllte. »Ist eine gute alte Sitte auf Sylt und bei den Friesen,« sagte der Pfarrer, »die Sitte der Gastfreundschaft, die glücklicherweise den neuen Moden noch immer nicht weichen will. – Ruh aus an meinem Tische, hieß es bei unseren Vätern, wenn ein Fremder kam, und die Kochelschüssel stand immerdar auch bei dem Ärmsten bereit. – Damals,« fuhr er, sich zu Jens wendend, fort, »gab es aber noch keine Advokaten, die durch Prozesse über das Mein und Dein die Menschen auspreßten und die Gemüter hart machten.«

»Die edlen und freien Friesen,« erwiderte Jens lachend, »haben aber auch niemals den Priestern zu fetten Pfründen geholfen oder viel Kirchen gebaut.«

»Sie haben in Zucht und Sitte gelebt, bis die Rechtsverdreher sie heimsuchten,« rief Lorenz, »und die Dänen. Sonst war auf Sylt Tanz eine Seltenheit, jetzt wird alle Wochen getanzt, trotz der Zeiten Unglück und Schande. In allen Häusern, die da meinen, in ihnen wohne der Landesadel, muß ein Klimperkasten stehen. Die Mädchen lernen Walzer und Schottisch noch ehe sie laufen können, und kaum giebt es eine Dirne, die nicht Sonntags in der Kirche ausschläft, um am Abend recht munter die Beine zu rühren.«

»Tanz und Spiel ist junger Herzen Freude,« sagte Jens. »Es ist mir lieb zu hören, daß es so lustig zugeht.«

»Die Ehrbarkeit aus unseren jungen Tagen hat freilich nachgelassen,« fiel die Mutter ein, »aber Herr Lorenz Leven scherzt doch, wenn er alle Mädchen in einen Topf wirft.«

»Er hat keine ausgenommen,« rief Jens. »Nicht einmal Hanna Petersen, der ich es treulich berichten will.«

»O, die laßt sein,« sprach der Pfarrer, »in der ist altes edles Blut und der alte Sinn, die könnte selbst einen Advokaten zur Gottesfurcht bewegen.« – Dabei trank er sein Glas aus, schenkte es wieder voll, brannte seine Pfeife an und indem er sich in den Stuhl ausstreckte und die Füße kreuzte, fuhr er fort: »Der Herr Advokat soll wissen, daß ich von Petersens herüber komme, und eben deswegen hierher gewandert bin, weil mir Hanna mitteilte, daß ich den abtrünnigen Jens Lornsen hier finden würde.«

»Wer nennt mich abtrünnig, Hanna oder der Herr Pfarrer?« fragte Jens.

»Beide,« erwiderte Lorenz. »Ist es nicht eine Abtrünnigkeit, da draußen auf der Geest zu wohnen und zu leben mitten unter Fremden, und wenn man nach Haus kommt, keinen rechten Sinn mitzubringen für die liebe Heimat und alte gute Nachbarn, sondern einsam auf den Dünen hin und her zu laufen in Wind und Nacht, oder still zu sitzen hinter Büchern und gelehrtem Kram, und wenn es hoch kommt, plötzlich auf und davon zu fahren in die See auf Abenteuer, die, Gott weiß, welch schlechtes Ende nehmen.«

»Seid zufrieden, lieber Freund Lorenz,« rief der Vater, »ich denke, Jens wird bald unter uns wohnen.«

»Wird er?« sprach der greise Mann spöttisch, »ich glaube es nicht. – Seht ihn an, wie er da sitzt und ärgerlich seine Lippen aufwirft. Seht, wie die heftige Natur sich auf seine Stirn drängt und wie seine Augen unruhig etwas suchen, was er hier nicht finden kann. Er wird es überall suchen in der Welt und es doch nicht entdecken.«

»Was?« rief Jens mit Heftigkeit.

»Frieden mit deinem ehrgeizigen Sinn, Frieden in deinem ungestümen Herzen,« sagte der alte Pfarrer lächelnd.

Jens stand auf und ohne ein Wort zu sagen, ging er hinaus.


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