Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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25.

Der Gerichtstag brach an und es war ein heller, heiterer Tag. Tromsöe liegt auf einer Insel, die durch einen Meeresarm vom Festlande getrennt wird. Es liegt dicht an einem flachen Ufer, hinter welchem eine kahle Höhe aufsteigt, die damals noch weit öder war, wie jetzt, wo man einigen Anbau versucht hat. Drei- bis vierhundert Menschen wohnten in dieser Hauptniederlassung der Finnmarken, meist Fischer, einige Handwerker und die Dienstleute und Gehülfen der Handelsleute; heute aber hatte sich diese Bevölkerung um das Zehnfache vermehrt, denn von allen Orten aus der Nähe und Ferne waren sie gekommen. Schon am vergangenen Tage kam Zulauf aus dem Lande; während der Nacht steuerte manches Boot in den Trommensund und als die Sonne kam, war das Wasser belebt von kleinen und großen Fahrzeugen. Von den Inseln und Fjorden zogen sie her, Untervoigte und Gerichtsschreiber, Priester und Handelsherren mit Frauen und Kindern, wie zu einem Feste; noch mehr aber das halbwilde Volk aus den drei oder vier Volksstämmen, die hier ihre Heimath gefunden hatten.

Sie lagerten sich auf den Plätzen, in den Hütten und Schoppen und am Ufer, kochten und schmausten, tranken und stritten, fluchten und verdammten den heidnischen, verstockten Höllenteufel, erzählten sich, daß er im tiefen Loche läge, ohne ein Wort zu sprechen, und liefen in einen Hof, wo sie mit Freuden die Haufen Holzscheite betrachteten, die dort aufgestapelt waren. Lärm, Gelächter, Begrüßungen neu Ankommender und rohe Späße nahmen zu, je später es wurde; nach und nach aber drängte sich die Masse immer mehr dem Amtshause zu und bildete endlich einen weiten Kreis um den Platz, in dessen 532 Mitte ein etwas erhöhtes Gerüst stand. Da war ein Tisch mit schwarzem Tuche bedeckt und Stühle daran gestellt. Mehrere lange Bänke standen hinter den Plätzen der Richter, vor dem Tische aber zwei rohe Holzsessel, und an der Ecke ein anderer Tisch, über welchem eine rothe Hülle lag.

In dem Amtshause und in den umliegenden Häusern hatte sich die Aristokratie untergebracht. Alle Fenster waren mit Mädchen und Frauen besetzt, in so schönem Putz, wie sie diesen besaßen. Um den Gerichtsplatz dagegen drängte sich Kopf an Kopf, in Glanzhüten und Kappen von Pelz und Fell. Die Männer mit ihren harten verwetterten Gesichtern, die Weiber in langen Zöpfen und bunten Tüchern, Kinder auf ihren Schultern und Säuglinge an den Brüsten; versäumen wollte Keiner etwas.

Plötzlich läutete eine Glocke und da kamen sie aus dem Amte. Der Voigt voran in dem gestickten Rock mit Untervoigten, Gerichtsmännern und Amtsboten; dann sein Gehülfe für das Rechtswesen, der Schreiber, dem Akten und Papiere nachgetragen wurden; endlich paarweise die sechs Beisitzer, bekannte Handelsleute, in ihren dunkeln, langen Röcken.

Der Voigt nahm in der Mitte Platz, der Schreiber zu seiner Rechten, die Beisitzer zu beiden Seiten. Auf die Bänke setzten sich die übrigen Beamten und Lovmänner, Lensmänner und Begünstigte.

Tiefes Schweigen war überall und alle Blicke auf den Voigt gerichtet, der aufstand, mit einem weißen Stabe auf den Tisch schlug und mit lauter Stimme sagte: Der Ting ist eröffnet! Gott, der Allmächtige, stehe uns bei, daß wir ein rechtes Gericht halten! Bringt die Gefangenen auf die Tingstätte.

Nach einigen Minuten wurden sie herausgeführt und ein dumpfes Gemurmel, das wie die Meeresbrandung anschwoll und wieder aufhörte, begleitete den Zug. Die Frauen beugten sich aus den Fenstern, die Männer drängten sich über deren Köpfe fort, der ganze Kreis der Tausende wogte hin und her, stieß und ballte sich, um die Hauptpersonen dieses Dramas zu sehen. Wer von den Beiden die meiste Anziehungskraft für diese Zuschauer besaß, war schwer zu entscheiden. Der alte, mißgeformte, gebeugte Afraja konnte sich schwer auf seinen Füßen halten. Die Kette hatten sie ihm abgenommen und ihm eine 533 reinliche braune Lappenblouse gegeben. Sein grauer Kopf war entblößt, sein langes Haar über die Schultern geworfen und sein Gesicht hatte wirklich, trotz seiner Leiden und seiner Abmagerung, gewonnen; er sah ernst und würdig aus. Seine Augen blickten klar auf die große Menschenmasse und ohne eine Bewegung von Schrecken oder Furcht sah er in die wilden, feindlichen, höhnenden Gesichter.

Als er auf das niedrige Gerüst stieg, gab ihm sein Unglücksgenosse die Hand, denn kein Anderer that es; doch diese mitleidige Handlung schien den Unwillen zu vermehren.

Schämt Euch! schrie ein Weib, das vor ihm stand. – Seht, wie er ihn an sich drückt, riefen Mehrere. – Fein sieht er aus, sagte ein mächtiger Fischer, man sollt's nicht glauben, ist aber ein Däne. Ist Alles falsch in ihm!

Marstrand trug seinen blauen schlichten Rock, wie ein Gaardbesitzer, aber es gibt Gestalten, die, mögen sie in den Lumpen eines Bettlers erscheinen, doch auch darin mit unzerstörbarer Anmuth sich bewegen. Sein großer, schlanker Körper ragte hoch auf; sein schönes braunes Haar war mit einem Bande gebunden. Als er oben stand, schien er geneigt, sofort sprechen zu wollen, allein er setzte sich nieder, blickte um sich und erwartete den Zug der armen gefangenen Lappen, die unter Angst und Zagen herbeigebracht und seitwärts aufgestellt wurden.

Jetzt stand der geschworne Schreiber auf und begann seinen Vortrag. Nach einer allgemeinen Einleitung, in welcher er erwähnte, daß seit langer Zeit keine Anklage auf Tod und Leben erhoben wurde, nun aber, zu des Landes Frieden und zu dessen Besten, das Hochgericht der Finnmarken versammelt werden mußte, wie Gesetz und Recht es vorgeschrieben, schilderte er die bösen Thaten, welche seit Jahr und Tag von den Lappen verübt worden seien, dann sprach er von Afraja, als von der bittersten Plage aller ehrlichen, friedfertigen Leute, von seinen Ränken und hinterlistigen Tücken, und nachdem er eine lange Schilderung der vielfachen Versuche gegeben hatte, ihn zum Christenthum zu bekehren, klagte er ihn des hartnäckigen Heidenthums, der Zauberei und verbrecherischer Plane an, Mord und Brand über die Finnmarken zu bringen.

534 Für Alles dies, fuhr er dann fort, sind Zeugen vorhanden, welche eidlich die Wahrheit erhärtet haben und die Ihr hören sollt, würdige Männer auf der Tingstätte; was jedoch den zweiten Angeklagten betrifft, Johann Marstrand, Freiherr aus dänischem Adel und ehemals Offizier und Kammerjunker Seiner Majestät des Königs Christian des Sechsten, so liegt der dringendste Verdacht vor, daß er um alle die bösen Thaten Afraja's gewußt und sich mit ihm zu deren Vollführung verbunden hat.

Als der Schreiber seinen Namen nannte, stand Marstrand auf und kaum war der Satz vollendet, als er mit fester, lauter Stimme sagte: Jedes Wort, das über mich gesprochen wurde, ist eine Lüge, und der dies ausgedacht hat, ist ein verfluchter Verläumder!

Schweigen Sie! sagte Paul Petersen, bis es Zeit ist zum Reden.

Diese Zeit ist da, antwortete Johann. Ich will sprechen, ich will vor diesem Ting erklären, daß ich ein unschuldig verläumdeter Mann bin, dem Bosheit nach Gut und Leben greift. Ich will sprechen und die Anklage auf den zurückschleudern von dem sie ausgeht. Sie, Paul Petersen, Sie haben die Fäden zu diesem ganzen Lügengewebe gesponnen und halten es in der Hand. Ich klage Sie an, als den schlimmsten und ersten Verbrecher in diesem Lande!

Die Ueberraschung bewirkte, daß die Stille nicht unterbrochen wurde. Der weite Kreis sah starr und stumm auf die beiden Männer. Der dänische Junker, groß, stattlich, mit seinem ausdrucksvollen Gesichte und seiner kühnen Entschlossenheit, machte einen ganz anderen Eindruck wie der Schreiber, der einige Minuten lang verwirrt und unentschlossen zu sein schien. Bald aber hatte er seine ganze Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Seine dunklen blutig unterlaufenen Augen mäßigten ihre Wildheit, Haß und Hohn zogen sich aus den Fibern seines Gesichts zurück, und wie er seinen Arm ausstreckte, schwieg das furchtbare Geschrei, das sich in dem Volkskreise erhoben hatte.

Sie können mich nicht schmähen, Herr Marstrand, sagte er, denn Sie sind ein dem Gesetz verfallener Mann. Ich habe Ihnen auf dem Lyngenmarkt das Leben gerettet und würde es auch jetzt thun, wenn Zorn über Ihr unwürdiges Benehmen ausbrechen wollte. – 535 Ruhe im Ting, ihr Männer! und Sie, Herr, verschlimmern Sie Ihre Sache nicht, Sie werden genug daran zu tragen haben.

Ein allgemeines beifälliges Grunzen antwortete ihm. Marstrand sah überall düstere, wutherfüllte Gesichter, die ihm Unheil verkündigten. Ich spreche zum letzten Male, rief er aus, um gegen Alles, was hier geschieht, zu protestiren! Ich war nicht allein ein dänischer Edelmann, ein Offizier und Kammerjunker des Königs, ich bin dies Alles noch jetzt. Wessen ich auch beschuldigt werde, kein Gesetz darf mich richten, kein Gerichtshof ein Urtheil fällen, als der, an dessen Spitze der König selbst steht. Thut was Ihr wollt gegen mich, aber seid sicher, es wird nicht ungerächt bleiben. Seiner Majestät Gnade befehle ich mich, dem hohen Reichsrath und dem Gouverneur von Norwegen!

Diese Ausrufungen blieben nicht ohne Eindruck. Der Volkshaufe antwortete zwar mit einem Gebrüll, aus dem sich Stimmen hören ließen, die Reichsrath und Gouverneur zu allen Teufeln wünschten, aber es gab doch auch bedenkliche Gesichter, die bei dem Namen und der angedrohten Rache des Königs die Augen niederschlugen, und sich daran erinnerten, daß die Privilegien der Finnmarken eine Sache seien, die längst schon gehässig genug beurtheilt wurde. Die Beamten zu vermehren, natürlich auch die Abgaben zu vermehren, die büreaukratische Gewalt und Organisation auszudehnen und dem Willen der Krone und des Gouverneurs größeren Nachdruck zu geben, war oft schon angeregt, doch nie ganz durchgeführt worden. Jetzt konnte der Haken gekrümmt werden, den man brauchte, um in's faule Fleisch zu fassen.

Der Sorenskriver wurde jedoch von solchen Gedanken nicht gerührt. – Auf alle diese Einwendungen ist nichts zu geben, sagte er. Hier ist unser Gesetz, hier sind unsere Rechte! – Sie wollen nicht antworten?

Nein.

Und du, Afraja – auch du bleibst dabei, keine Antwort zu geben?

Laß mich hören, was ich antworten soll, sagte der Lappe.

Läugnest du, deinen heidnischen Göttern anzuhängen?

Nein, antwortete der Greis laut und vernehmlich. Alle meine Väter haben zu Jubinal gebetet, so auch ich.

536 So bist du ein Verächter der christlichen Lehre. Du verspottest den Heiland, verachtest die Kirche, betest und opferst in den Saitas.

Ich bete und opfere in den heiligen Steinkreisen, die dem Allvater gehören.

Und dazu hast du auch deine Landsleute verlockt!

Ich habe Niemand verlockt, Niemand bedroht, sagte der alte Mann. Jubinal's weiße Taube setzt sich auf die Schulter derer, die den Schlag ihrer Flügel hören. Jubinal ist kein Gott, der mit Gewalt und Strafen sich Kinder verschafft.

Sein klares Auge sah dabei die Priester an, die mit dem dicken Henrick Sture auf der Bank saßen, und ein leises Lächeln lief durch sein Gesicht, als er ihr fanatisches Drohen hörte.

Dein gräuliches Heidenthum läugnest du also nicht? begann der Schreiber wieder, aber du läugnest, daß du ein Zauberer und Hexenmeister bist.

Nein, sagte Afraja.

Wie? du gibst es zu?

Ich bin ein Seidmann. Ich weiß Zaubersprüche. Die Götter hören mich! sprach Afraja langsam und vernehmlich.

Erstaunen fesselte den ganzen Kreis. Unter der lautlosesten Stille fragte Paul Petersen: Du gestehst also, daß du Hexerei und Zauberei getrieben hast?

Viele deines Stammes kamen zu mir, antwortete der Lappe. Christen kamen zu dem Heiden, um sich den Beistand seiner Götter zu kaufen. Bald wollten sie Gedeihen für ihr Vieh, bald für's Gras, bald sollte ihr Hafer reifen, bald forderten sie Glück für ihre Netze oder guten Wind für ihre Segel. Dein Gott konnte ihnen das Alles nicht geben.

Willst du lästern, du Bösewicht! schrie Henrick Sture.

Die Volksmasse schwieg. Es waren viele darunter, die selbst von Afraja allerlei Heil gekauft hatten.

Kennst du dies Bild? fragte der Schreiber, indem er von dem Tische das kleine rohgeformte Metallbild nahm, das der unglückliche Olaf einst empfangen hatte.

Ich kenne es.

Was ist es?

537 Ich gab es deinem Genossen, sagte Afraja, als du mir sagtest, er müsse guten Wind haben.

Du kannst also guten Wind machen?

Ich kann es.

Aber du logst. Wildes Wetter kam, Olaf ertrank; mit ihm Helgestad's einziger Sohn, Björnarne und dein eigen Kind.

Afraja's schwerer Kopf gerieth in eine zitternde Bewegung, aber als er ihn aufrichtete, leuchteten seine Augen und mit größerer Kraft erwiderte er: Ich wußte, was kommen würde. Ich sah am Himmel Zeichen, die Niemand sieht und hörte Pekel's brüllende Stimme.

So hast du dies Hexenzeichen verkauft, um die Männer zu verderben?

Dich wollte ich verderben, der du ärger bist, als Wolf und Bär, schrie Afraja auf.

So hast du wissentlichen Mord begangen, fuhr Petersen unerschüttert fort. Hasse mich, so viel du willst, aber sage mir, warum du unschuldige Menschen tödten wolltest?

Wer ist unschuldig unter Euch? fragte Afraja. Seid Ihr nicht alle Räuber, die uns genommen haben, was uns gehörte? Haßt Ihr uns nicht? Quält Ihr uns nicht? Verachtet Ihr uns nicht, als wären wir Schlangen und giftiges Gewürm? Ist Gewalt und Unrecht nicht Alles was Ihr thut, und selbst du, blutgieriger, falscher Mann, bist du nicht als ein Räuber in meine Gamme gebrochen und hat dein Onkel dort, dein Großvater und dein ganzes Geschlecht je Besseres gethan?

Und deßwegen war es deine Absicht, uns alle aus dem Lande zu jagen? Deßwegen wolltest du auf dem Lyngenmarkt den Anfang machen, wenn dein Neffe Mortuno dir nicht gefehlt hätte?

Afraja ließ den Kopf auf die Brust sinken, seine Hände falteten sich. Jubinal's Arme haben meine Kinder aufgenommen, sagte er, sie leben mit ihm in seinem ewig blühenden Garten, ich werde bald bei ihnen sein, und fürchte dich nicht. Du aber wirst in Qual und Schande umkommen. Wehe! über deinen Stamm, möchte er enden wie du!

Du gestehst ein, daß du mit Mord und Brand über das norwegische Volk in den Finnmarken herfallen wolltest? fragte der Schreiber.

538 Wie der Wolf gejagt wird, wenn er in unsere Heerden fällt, so wollte ich Euch jagen, antwortete der Greis.

Und jetzt bekenne, da du so kühn bist, rief Petersen, ihn starr anblickend, bekenne laut: Welchen Umgang hattest du mit Johann Marstrand vom Balsfjord?

Afraja wandte sich zu diesem und indem er seine Hände aufhob sagte er: Segen über dich, Segen und Frieden! Weil du gut und gerecht warst, war ich dein Freund und Diener.

Hast du ihm nicht Geld gegeben, um seine Schulden zu bezahlen?

Ich that es, weil du und Helgestad, Ihr Beide, ihn verderben wolltet.

Und was gab er dir dafür?

Ich verlangte nichts, ich war dankbar.

Lüge nicht, Verräther! schrie der Schreiber mit rollenden wilden Augen. Er machte mit dir ein Bündniß, du versprachst ihm deine Tochter, mit der er längst Buhlschaft hielt. Er wußte um deine Verbrechen und verkaufte dir Fässer voll Pulver, die ich selbst in deiner Hütte fand und dort vernichtete. Heraus mit der Wahrheit, sie ist sonnenklar. Gestehe, oder ich will dich zum Bekennen bringen!

Du willst mich zum Bekennen bringen? fragte der alte Mann. Ich verschweige Nichts, du siehst es. Was kannst du mir thun?

Ein Gerichtsdiener nahm auf einen Wink des Schreibers die Decke von dem Nebentische fort, und, wie hart und roh das Volk auch war, das den Kreis bildete, faßte doch Schaudern und Grausen die Meisten an. Da lagen alle die alten Schrauben und Eisendrähte, die spitzen Keile und Knebel, welche der Schrank in der Kanzlei verwahrt hatte.

Nach gültigem Gesetz ist es zulässig und nöthig, begann Petersen, daß wir zur peinlichen Frage schreiten, wenn ein verstockter Bösewicht die Wahrheit nicht eingestehen will! – Ich warne dich, Afraja, und fordere dich noch einmal auf, bekenne, daß Johann Marstrand vom Balsfjord wußte, was du thatest, daß er mit dir im Einverständniß war und dir zur Ausführung deines hochverrätherischen Verbrechens Pulver und Blei lieferte.

Auf meine Ehre! Auf mein Gewissen! Vor Gottes ewigem Angesicht, ich habe nichts gewußt! rief Marstrand. Wer kann von mir so Unerhörtes, so Nichtswürdiges glauben?!

539 Greift ihn, Gerichtsboten! schrie der Schreiber. – Auf mit ihm! Nehmt die Schrauben.

Halt! schrie eine Stimme außerhalb des Kreises. Haltet ein, im Namen Gottes!

Paul Petersen ballte seine Hände zusammen, seine Augen glühten und sein Gesicht drückte Schmerzen aus, die ihn auf s Aeußerste zu martern schienen. Er erkannte die Stimme, erkannte den Mann, vor dem die Menge Platz machte, den er am wenigsten hier erwartet hatte, und bei dessen Anblick unbeschreibliche Wuth und doch nicht minder große Furcht ihn überkamen.

Klaus Hornemann! sagte er zu dem Voigt. Was will der Schwärmer, der bei denen dort sitzen müßte! Mischt er sich ungebührlich ein, so soll er es büßen.

Der Voigt neigte sich zu ihm, sie sprachen Beide heimlich und mit den Beisitzern, Priestern und Beamten, während der alte Missionär bis an die Stufen vordrang. In seinem schwarzen Kleide, über welches seine langen, weißen Locken fielen, sein ehrwürdiges Gesicht emporgehoben und seine großen blauen Augen voll edler Begeisterung, Mitleid und Trauer, fing er an zu sprechen.

Voigt von Tromsöe! sagte er, ich fordere Sie auf, dies Gericht zu vertagen. Ich habe krank niedergelegen, sonst wäre ich eher gekommen. Als ich von diesem Tage hörte, habe ich mich aufgemacht und dem allmächtigen Gott sei Dank! ich bin nicht zu spät gekommen.

Warum sollte ich den Ting vertagen? fragte der Voigt hart und gereizt.

Weil in dieser unglücklichen Sache Vieles zu erforschen bleibt.

Hier gibt es Eines nur noch zu erforschen, fiel der Schreiber ein, ob Johann Marstrand um die Verbrechen dieses Lappen gewußt hat. Afraja selbst hat bekannt, daß er ein Heide, ein Verächter der Kirche und ein Zauberer ist. Eben so hat er bekannt, daß er mit der Absicht, Unheil über ihn zu bringen, an Olaf Veigand ein Götzenbild verkaufte; endlich, daß er den Plan gemacht hatte, alle Normänner und deren Anhang zu morden und aus dem Lande zu vertreiben. Hat er das gethan?

Ja, ja, schrieen zahlreiche Stimmen und die Beisitzer nickten.

540 Mein Herr und Gott! rief der alte Priester, geh' nicht mit ihm in's Gericht. Ja, er ist ein Heide, aber öffnet man mit dem Schwerte die Augen eines Blinden? Thörichter, vermessener Mann, wie kannst du dich selbst einen Zauberer nennen? Wärst du ein solcher, besäßest du höhere Kräfte, hättest du Umgang mit Geistern und Göttern, du würdest hier nicht verlassen sitzen, du würdest frei sein und dich befreien können.

Der Teufel betrügt seine eigenen Kinder! schrie Henrick Sture.

Ihr Richter und Herren, sagte Hornemann, hört nicht auf solche Anklage. Wehe denen, die in Finsterniß wandeln, sie werden keinen Theil haben am Lichte! Aber unser Gott ist ein Gott der Liebe, er erbarmt sich der Irrenden und Fehlenden. Ueberlaßt es ihm, zu bessern und zu strafen, überlaßt seiner Gnade die Sünder und Verächter.

Sie sollen gerichtet werden! rief ein anderer geistlicher Herr.

Gerichtet ja, sagte Klaus, doch von ihm, dem hohen und gerechten Richter, der sich des Schwachen erbarmt.

Das Gesetz ist da, um die Verbrecher zu strafen, sprach der Voigt. Wir sitzen hier, wie es uns geziemt und können nicht dulden, daß man unser Ansehen verhöhnt.

Herr Voigt, antwortete der Priester, ich ehre und achte die Obrigkeit, die in des Königs Namen tagt, aber ich komme von einem höhern Herrn, der mir ohne Furcht zu reden befiehlt. Es gibt kein Gesetz, das jetzt noch auf Götzendienst und Zauberei angewandt werden könnte.

Mit Nichten! fiel Petersen ein. Wir haben das Gesetzbuch König Christian's des Vierten, wir haben dessen Befehle und Erlasse wegen Heidenwesen und Hexenunfug. Alles ist in voller Kraft bis auf diesen Tag.

Und diese grausamen Befehle und Strafen, welche aus einer Zeit stammen, die sie verstehen konnte, wollen Sie jetzt noch anwenden? – Sie können und dürfen das nicht.

Hier stehen würdige, ehrenhafte Männer genug, rief der Schreiber, hier stehen Priester, Diener Gottes, wie Sie selbst; hier stehen Richter und Herren aus allen Landestheilen; hier endlich sind Gaardbesitzer und Volk versammelt. Ich frage, ob wir diesen Lappen, der 541 seine Verbrechen eingesteht, nicht nach gültigem Gesetz richten können und dürfen?

Recht, Sorenskriver, recht! schrieen viele Stimmen. Ein Theil sprang von den Sitzen und hob seinen Arm auf, Andere geriethen in Wuth; Henrick Sture drang auf den greisen Priester ein und mehrere wollten diesen anfassen und von dem Gerüst ziehen.

Im Namen Gottes! Im Namen unseres Heilandes! rief der Greis, Ihr sollt mich nicht hindern. Hört mich Alle! Hört mich! Ihr kennt mich und wißt von meinem Wandel.

Wir wissen von deinem Wandel bei den Lappen, die du immer schütztest! schrie Sture.

Begeht kein Unrecht, vergießt kein Blut! fuhr Klaus fort. Wenn jemand richten soll, so muß es des Königs Stellvertreter in Norwegen sein. – Haltet ein mit diesem Gericht, meldet ihm, was geschehen, und überlaßt es ihm, zu urtheilen.

Meint Ihr, rief Petersen boshaft, es könnte damit glücken? Seit Jahren macht Ihr Berichte, um die Lappen zu preisen, ihre Tugenden zu erheben, unsere Grausamkeit zu verdammen. Wir aber thun nichts Unrechtes; wir, die Obrigkeit dieses Landes, halten Recht und Gesetz in Ehren.

Der Schreiber hatte einen Ton angeschlagen, der in's Herz traf.

Die Rechte des Landes vertheidigen gegen den Gouverneur, die Freiheiten und Privilegien aufrecht erhalten, sich nicht ducken und zwingen lassen von Befehlen und Geboten aus Trondhjem und Kopenhagen, das war es, was Jeder verstand.

Ein wüthendes Geschrei erhob sich. Hört mich! Hört mich! flehte Klaus Hornemann vergebens.

Baalspriester, der seinen Gott verläßt! brüllte Henrick Sture.

Friedensbruch! Gerichtsbruch! schrieen die Herren von den Bänken.

Führt ihn fort, Gerichtsboten! befahl der Voigt.

Der Greis stand demüthig, er weinte. In seines Herzens Angst hob er die Hände auf. Gott, mein Gott! rief er, beschütze du die Schuldlosen!

Es entstand eine Stille, er konnte noch einmal seine Stimme erheben. – Wenn ich den unseligen Mann nicht retten kann, sagte er, so will ich für Johann Marstrand Zeugniß ablegen. Häuft nicht 542 Frevel auf Frevel! Ueber ihn kann nur der Gouverneur richten. Ladet Gottes und der Menschen Rache nicht auf Euch. Ich will Beweise liefern, daß er unschuldig ist.

Fort mit ihm! Bringt ihn in Gewahrsam! schrie Paul Petersen, sein Zeugniß ist vom Uebel.

Die Gerichtsboten umringten ihn. – Ich selbst – ich selbst, schrie er, aus dem Ting gestoßen, will vor des Königs Thron um diese Gräuel klagen!

Mitten in dem Gewühl und Geschrei geschah die Berathung. Der Schreiber lag eine Zeitlang erschöpft in seinem Sessel. Er war dunkelroth von Anstrengung und Pein, dann sprang er auf und redete heftig, aber die Beisitzer schienen seine Meinung nicht zu theilen. Noch einmal fiel er hin, suchte auszuruhen und nachzudenken, dann stand er nochmals auf, hörte und sprach und sammelte die Stimmen.

Als die Ruhe hergestellt war, wurde der Tisch, auf welchem die fürchterlichen Werkzeuge lagen, bedeckt, und nun wandte er sich zu Afraja.

Der alte Mann hatte so still gesessen, als ginge ihn der Lärm Nichts an, und als er sein Urtheil hörte, waren seine Mienen freundlich, seine Augen klar und fest auf den Verkündiger gerichtet. Er lächelte vor sich hin, nie hatte er so friedlich ausgesehen.

»Weil du geständig bist, ein Götzendiener und Zauberer zu sein, sagte Paul Petersen, und weil du Mord und Raub verübt und, ebenfalls nach deinem Geständniß, den schändlichen Plan gemacht hast, alle Normänner aus diesem Lande zu vertreiben, mit Gewalt, Brand und Mord, so soll man dich hinausführen auf die Richtstätte bei Tromsöe und soll dein sündiger Leib dort zu Asche verbrannt, die Asche in den Wind gestreut werden. Solches soll noch heut geschehen, so lange die Sonne am Himmel steht. Was aber Sie betrifft, Johann Marstrand vom Balsfjord, so sollen Sie Zeuge der Vollziehung dieses Urtheils sein, dann aber auf immer aus diesem Lande verbannt und zur weiteren Strafe in Ketten nach Trondhjem geführt werden, wo der Gouverneur von Norwegen mit Ihnen verfahren wird, wie es Recht ist. – So spricht das hohe Gericht zu Tromsöe, im Namen des Königs, nach des Landes Rechten und Gesetzen, nach wohlbegründeter Erwägung und strenger Pflicht vor Gott und Menschen!« 543


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