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Die Gefahren des Glücks
(Aus den Aufzeichnungen einer Frau von Stande.)
Zu den Auserwählten zu gehören, ist zuweilen doch recht langweilig und unbequem, ich fühle ihr Mißbehagen und ihre Unzufriedenheit schon jetzt, nachdem ich eigentlich kaum begonnen habe, mich an den Sonnenstrahlen meines neuen Lebens zu wärmen. – Es ist wahr, was Birkfeld mir einmal sagte: Man muß geboren sein in dem, was die Menschen das Glück der Vornehmen und Reichen nennen, um den Druck nicht zu fühlen, der darauf lastet.
Wir waren gestern Abend bei dem ****** Gesandten. Es war Concert dort, dann wurde an kleinen Tischen soupirt, die Creme der Gesellschaft war beisammen. Ich kann nicht sagen, daß ich mich besonders vergnügt hätte. Ich war gelangweilt, und sehr Vielen ist es sicherlich ebenso gegangen, denn überall sah ich in müde, steife, in den spanischen Stiefel des knappen Corsets und des Glacéhandschuhes eingeschnürte Gesichter. –
Die alten frohen Tage werden noch lange nicht wiederkehren, sagte mir Comtesse Brankau seufzend. Die Zeitverhältnisse wirken verstimmend auf die Gesellschaftskreise. Es sind zu viele Sünden begangen worden, die abgebüßt werden müssen.
Ich hatte große Luft zu lachen, wenn es sich nur geschickt hätte. Die Gräfin hat früher ganz anders gedacht und man erzählt sich noch Manches von ihrer aimablen Lebenslust, der Pracht ihres Hauses und der Feinheit ihrer Feste. Ich hütete mich also zu lachen, denn Arnold hat mir schon öfter seine Unzufriedenheit mit meinem unpassenden Benehmen erklärt. – Ach! die Brankau hat Recht, die alten, frohen Tage werden nie wiederkehren. –
Als Arnold noch der Assessor von Nordstern war, wie reizend fand er meinen Frohsinn. Meine Aufrichtigkeit war entzückend, mein Lachen bezaubernd; jetzt, wo er ein Staatsmann geworden ist, ehrgeizige Zwecke verfolgt, mit Ministern und Hofherren verkehrt, in der Kammer sitzt und von den Zeitungen sich loben und schelten läßt, hat sich Alles sehr geändert.
Meine Tante, die Generalin, war heut bei mir und examinirte mich über den gestrigen Abend. Gegen sie schüttete ich ohne Bedenken meinen ganzen Mißmuth aus. Tante Sturm ist sehr gut, sehr drollig, doch immer noch nicht ganz mit Arnold ausgesöhnt, der sie auch nicht zum Besten leiden mag. Die große, hagere Frau, mit dem knochigen, faltigen Gesicht, dem Schnurrbart auf der Lippe, den kecken Augen, der aufgestülpten Nase und den lebhaften Bewegungen, sieht wirklich beinahe aus wie ein verkappter Husar, was Arnold behauptet. Aber sie liebt mich herzlich, und wenn sie keinen Säbel besitzt, um für mich zu streiten, so hat sie dafür eine tapfere Zunge, die immer bereit zu meinem Beistande ist.
Kind, sagte sie heut, Alles wird Mode in der Welt und kommt aus der Mode. Von Zeit zu Zeit wird es also auch Mode, daß die Leute, welche obenan stehen und bewundert werden wollen, so unmoralisch und leichtsinnig wie möglich sich gebärden müssen, und dann wird es wieder Mode, fromm zu scheinen und über die sündige Menschheit zu wehklagen. Gegenwärtig wird das Geschäft wieder einmal in Frömmigkeit gemacht, und Deine Gräfin Brankau ist nicht etwa die Einzige, die Tanzen für Gräuel und Weltlust für Verbrechen hält, oder doch wenigstens so thut, während sie – hier schwieg Tante Sturm, aber sie machte ein ganz sonderbares grimmiges Gesicht und schnippte mit den Fingern.
Jedenfalls ist die Brankau eine sehr schöne und kluge Frau, sagte ich. Ich habe nie geistvollere Augen gesehen, nie Gesichtszüge, welche ein so feines, klares Ganzes bildeten.
Meine Tante lachte.
Sie kann jetzt die Schulden bezahlen, antwortete sie, die früher von ihr und ihrem Manne gemacht worden sind. Den armen Teufel hat sie ruinirt. Er war ein Dummkopf, den sie gänzlich beherrschte. Gott sei Dank! Mathilde, daß Du keine geistreiche, klare, feine Frau bist, obwohl es nichts geschadet hätte, wenn Du etwas klüger gewesen wärest, als Du Deinen Arnold nahmst.
Liebste Tante, rief ich lachend, was hast Du denn jetzt noch an ihm auszusetzen? Er hat ja mehr Glück gemacht, als je zu erwarten war, und im Vertrauen kann ich Dir sagen – aber kein Wort darf über Deine Lippen kommen –
Sage mir nichts, was Du geheim halten willst, fiel sie ein.
Nein, Du kannst es wissen, fuhr ich fort. Arnold ist im Begriff, ein wichtiges Amt zu erhalten. Er soll zum Gesandten an einem großen Hofe ernannt werden.
Und das nennst Du ein Glück – ein Glück für Dich, Mathilde? rief sie, die Hände zusammenschlagend. Darauf freust Du Dich, in der Welt umher geschleppt zu werden, aus einem Lande ins andere, aus einem steifen Hof- und Diplomatenkreis in den anderen? Nirgend eine Heimath, nirgend Ruhe, nirgend ein sicheres Dach! Ich kenne nichts Schrecklicheres, als dies vornehme Zigeunerleben, wo man sein Dasein zur Hälfte auf der Landstraße zubringt, immer des Winkes gewärtig, von Süden nach Norden und von Norden nach Süden, bis an's äußerste Ende des Meeres zu eilen, zur anderen Hälfte aber in Formen, in Knixen, in Brocken, in Repräsentation und Unnatur aller Art erstickt. – Du warst ein glückliches Mädchen, hattest dreißigtausend Thaler baares Geld und ein prachtvolles, schuldenfreies Rittergut, wurdest gesucht und gefeiert, konntest mit Deinen Eigenschaften den schönsten Baron kriegen, konntest Birkfeld nehmen, der Gott weiß was darum gegeben hätte.
Tante, sagte ich heftig lachend, höre auf. Birkfeld ist ja zwanzig Jahre älter, als ich.
Mein seliger Sturm war drei und zwanzig Jahre älter, schrie sie, und wie hat er mich geliebt! – Du hast den armen Nordstern genommen, dessen Stern leuchtend aufgegangen ist, gieb aber Acht, Mathilde, daß Dein Stern dabei nicht untergeht. – Kaum seid ihr verheirathet, so bricht die Revolution los und er spricht und wirkt dagegen, wie und wo er kann, stellt sich an die Spitze des Landadels, stiftet einen Verein zur Sicherung des Eigenthums, hilft eine Zeitung gründen, giebt Geld her – natürlich Dein Geld – läßt sich in die Kammer wählen, achtet kein Schmähen und Wüthen, und ist darum jetzt ein Mann von großen Aussichten geworden, von dem man meint, daß er nächstens einmal sogar Minister werden könnte; aber Kind, gefallen hat er mir nie und jetzt gefällt er mir noch weniger, wie sonst. Er vernachlässigt Dich.
Liebe Tante, rief ich aus, und ich fühlte, daß mein Gesicht glühte, das geht leider nicht anders. Arnold hat zu viel zu thun.
Ja, das hat er und das ist es eben, erwiederte sie. Was helfen Dir denn seine Aussichten, seine Reden und die übrigen Narrenspossen, die ihn vom Morgen bis in die Nacht beschäftigen?
Ich kann es nicht ändern, sagte ich mit einem kleinen Seufzer.
Warum nicht? rief sie lebhaft. Mein Sturm hat sich auch Manches abgewöhnen müssen, weil ich Ernst brauchte, und das war ein Soldat, der sich sonst wenig bieten ließ. Du weißt nicht, was Frauen vermögen, aber freilich –
Ich sah sie an, weil sie schwieg.
Freilich, fuhr sie lachend fort, indem sie mich an's Kinn faßte, muß man nicht solch trübseliges Madonnengesichtchen machen, muß keine Furcht haben, muß seinen Willen behaupten und durchführen können, und seinen Feind mit allen Mitteln angreifen.
Dabei stampfte sie mit dem Fuße auf.
Aber, beste Tante, sagte ich, halb lachend, halb ärgerlich, Arnold ist ja nicht mein Feind. Es ist mein liebster, mein einziger Freund, den ich in der Welt habe.
Sie machte ein ganz seltsames Gesicht, es war ein Gemisch von Mitleid und Liebe darin. Du Närrchen, flüsterte sie mir ins Ohr, weißt Du noch nicht, daß der Mann, den wir geheirathet haben, immer unser Feind ist, dem wir fortgesetzte Gefechte und Schlachten liefern müssen, wenn wir unsere Selbständigkeit bewahren wollen? Entweder wir siegen oder er, oder wir setzen uns wenigstens auf den Fuß bewaffneten Friedens, bis ein Theil diesen bricht und der Kampf von Neuem beginnt.
Das ist schrecklich! rief ich aus.
Das ist in jeder respectabeln Ehe so, sagte sie kaltblütig, wenn man sich nicht tyrannisiren lassen will. Wir haben dabei große Vortheile, Kind; Waffen, die uns allein gehören, und, mit Klugheit gebraucht, entscheidende Wirkung thun. Wir haben Thränen, haben Schmollen, haben Vorwürfe und Bitten, haben Eigensinn und Launen, Traurigkeit und Sanftmuth, Leidenschaft und apathisches Dulden, oder Heftigkeit und rücksichtsloses Fordern. Der Charakter unsrer Männer muß uns sagen, was wir anwenden sollen, um die meiste Furcht zu erwecken.
Und was, fragte ich ungläubig und spöttisch, würde ich bei Arnold anwenden können, im Fall ich es nöthig hätte?
Bei meinem seligen Sturm, sagte meine Tante, war kein Mittel praktischer, als schweigen und schmollen. In vier und zwanzig Stunden konnte ich damit Alles erreichen, und wenn ich ihm dann freundlich um den Hals fiel und seinen Schnurrbart streichelte, war er großmüthig, wie Alexander. – Er liebte mich, Mathilde; es war ihm schmerzlich, mich zu betrüben.
Das ist bei Arnold ganz derselbe Fall, fiel ich ein.
Es ist möglich, antwortete sie; aber, mein Kind, Männer wie der, kaum acht Jahre älter wie Du, ehrgeizig, jung, von lebhafter und heftiger Gemüthsart, betrachten ihre Frauen anders und müssen anders geleitet werden. Kümmerst Du Dich um seine Geschäfte, seine Politik?
Ich schüttelte den Kopf. Ich verstehe gar nichts davon.
Hast Du Interesse für seine Arbeiten, seine Meinungen, seine Pläne? Liest Du Zeitungen, wirst Du zornig über seine Gegner?
Nein, sagte ich kleinlaut.
Und er spricht nicht mit Dir darüber?
Früher öfter, jetzt sehr selten oder nie. – Es widersteht mir, liebe Tante. Ich finde es abgeschmackt, mich mit Dingen beschäftigen zu sollen, deren Wahrheit ich doch nicht ergründen kann und deren äußerer Schein mich zuweilen verletzt. – Arnold hat sich seiner Meinungen wegen mit manchen Freunden überworfen, sogar mit Birkfeld hat er Streit gehabt, und wenn ich in Gesellschaften so heftige, stolze und drohende Aeußerungen höre, Frauen höre, die mit Leidenschaft Theil nehmen, bin ich um so beglückter, ihren Haß und ihren Eifer nicht zu fühlen.
Ach! rief meine Tante mich küssend, ich habe es immer gesagt, Du müßtest einen Mann haben, der mit Dir spielt und tändelt, mit Dir lacht und Dich putzt; der an seiner hübschen Frau Alles schön findet, und Deine natürliche liebenswürdige Offenheit und Einfachheit nicht abrichten und Kunststücke damit machen will. – Lobt Dein Arnold Dich denn oft und tändelt er mit Dir?
Danach sind die Zeiten wohl nicht, erwiederte ich schüchtern, und er ist so viel beschäftigt.
Du siehst ihn also wohl nicht viel?
O nein, Morgens kaum, Mittags nicht immer und Abends, wenn wir in Gesellschaft gehen oder empfangen.
Und wenn das nicht der Fall ist? – Besucht Ihr Theater? Concerte? Macht er Dir keine Geschenke? Sorgt er für Vergnügungen?
Arnold liebt das nicht – wenigstens jetzt nicht mehr. Er wechselt überhaupt sehr in seinen Stimmungen; zuweilen ist er heiter, meist gereizt, mit Gedanken beschäftigt, schweigsam, und er hat es nicht gerne, wenn ich ihn störe.
Das ist ja allerliebst! rief Tante Sturm. Er kümmert sich also gar nicht um Dich.
Da irrst Du, gewiß, da irrst Du, sagte ich, dem Weinen nahe. Er ist zuweilen sehr gütig gegen mich, und wenn er mich anblickt, leuchten seine Augen, wie sonst. – Er bittet mich auch zu kaufen, was ich wünsche, mich zu schmücken, fordert es sogar, und – aber –
Nun was aber? fragte sie.
Er ist mit meinem Geschmacke nicht immer zufrieden, erwiederte ich leise.
Also dafür hat er Kritik, der politische Herr! Nach welchem Modell will er Dich denn formen? Etwa nach der –
Sie hielt inne und sagte gelassen:
Mathilde, das ist ein schlimmes Zeichen. Wenn Männer den Geschmack ihrer Frauen tadeln, so schwebt ihnen ein anderes Bild vor, mit dem sich ihre Gedanken beschäftigen.
Mein Gott! rief ich erschrocken.
Sei doch kein Kind, sagte sie. Es kommt darauf an, zu wissen, was er von Dir verlangt.
Eine feine geschmackvolle Einfachheit, flüsterte ich, und die höchste Eleganz; in Beidem aber erreiche ich seine Wünsche nicht.
Vortrefflich! lachte meine Tante. Wo lernt er das? Was hält er dafür? Gut, Mathilde. Aber, bleibt er keinen Abend mit Dir allein?
Seine Geschäfte, die Parteiversammlungen und seine Stellung erlauben es nicht.
O! rief Tante Sturm, mein Kind, frage die Männer, wenn sie ihre Abende ohne uns, der Himmel weiß wo, zubringen, was sie dazu nöthigt; sie werden immer mit demselben Bedauern ihre Geschäfte und ihre Stellung anklagen, die sie zwingen, unserer liebevollen Nähe leider entsagen zu müssen.
Aber Arnold ist wirklich anders, sagte ich eifrig. Er kommt meist erst weit nach Mitternacht zu Haus und setzt sich dann noch hin, um zu arbeiten, oder ich höre ihn in seinem Zimmer auf und ab gehen, und vor sich hin sprechen.
Du armes Kind, antwortete meine Tante, Du wachst also und der Unmensch weiß nichts davon. – Verlaß Dich auf mich, ich werde erfahren, wie es mit seinen Geschäften steht; jetzt laß Dir guten Rath geben. Dein Mann muß sehen, daß Du an seinem Leben und Streben Antheil nimmst. Du mußt Dich um ihn bekümmern, mußt fragen, mußt Zeitungen lesen, mußt ihn mit beistimmenden Worten zu unterstützen suchen, auf seine Mittheilungen hören, antworten, Rath ertheilen, ihm beweisen, daß sein Ehrgeiz, seine Entwürfe und seine Pläne für die Zukunft Dein Interesse erwecken.
Aber, beste Tante, rief ich erschrocken, ich verstehe ja nichts davon und kann das nicht lernen.
Dann hättest Du ihn nicht heirathen müssen, sagte sie in strengem Tone. Jeder Mann kann verlangen, daß seine Frau sich für das interessirt, was er treibt und was sein Leben erfüllt. Je mehr eine Frau keine bloße Salonpuppe oder bloße Haushälterin ist, um so mehr wird sie auf die Geschäfte und Lebensstellungen ihres Mannes eingehen und dafür einen um so höheren Platz in ihrer Ehe einnehmen. Ein Künstler, ein Dichter, ein Musiker würde unglücklich sein, wenn seine Frau gleichgültig gegen sein Fach und gegen seine Schöpfungen wäre, aber auch die Frau eines Politikers, eines Staatsmannes, muß Antheil nehmen an seinen Gedanken, Sorgen und Mühen, wenigstens ihm zeigen, daß sie ihm geistig folgt und nahe ist. Mein seliger Sturm war entzückt darüber, daß ich die Rangliste studirte, das militärische Wochenblatt las, über die Ernennungen und Pensionirungen Bemerkungen machte, und seine Urtheile über neues Riemenzeug, neue Achselklappen oder neue Hornsignale aufmerksam anhörte und bekräftigte, oder bestritt.
Du glaubst nicht, fuhr sie fort, als sie mich nach denken sah, welch Gewicht man erhält, wenn, wie mein seliger Sturm sagte, man eine Frau ist, mit welcher ein Mann ein vernünftiges Wort reden kann. Männer sind immer geneigt, den Rath ihrer Frau zu suchen, und man kann sie daran gewöhnen, mit uns die schwierigsten Gegenstände zu verhandeln, wenn sie überzeugt werden, daß wir Rath geben können. Raffe Dich auf, Mathilde, gehöre zu den Frauen, die nicht leiden, nicht Werkzeuge sein, sondern auch handeln wollen. Arnold verlangt das von Dir, er wird Dich ganz anders betrachten, wenn Du ihm bewiesen hast, daß Du ihn verstehst. Es wird Dein Glück sein, versprich es mir.
Ich habe der Tante Sturm Alles versprochen, was sie wollte, und will nun Zeitungen lesen, fragen, hören, aufmerksam sein, mich bemühen, Rath zu ertheilen und Urtheile zu fällen. Aber, mein Gott, wie soll ich das können? Ich fürchte, Arnold wird es so abgeschmackt finden, wie ich selbst.
Heut habe ich den Anfang gemacht. Heut früh kam er zu mir an den Kaffeetisch, er war in der Nacht sehr spät nach Haus gekommen, mein Herz schlug, als ich ihn ansah. Ich vergaß Alles, vergaß, daß ich eine Stunde lang Zeitungen gelesen hatte und womit ich ihn überraschen wollte, ich sah nur sein Gesicht, das ungewöhnlich bleich war und ein geheimes, schmerzliches Leiden auszudrücken schien. In meinen Gedanken stand er vor mir, wie er war, als ich ihn kennen und lieben lernte. Kräftig und stolz, ein übermüthiges Lachen auf seinen Lippen, nichts von dem Hochmuth, den sie ihm vorwerfen wollen, aber im Bewußtsein seiner Ueberlegenheit in vielen Dingen gegen Andere, die er demüthigte. Jetzt ist nichts mehr von diesem Frohsinn und dieser ritterlichen Leichtigkeit zu erkennen.
Er nickte mir ernsthaft zu, warf einen mißmuthigen Blick auf den Zeitungshaufen und griff dennoch gierig danach, ohne nach der Tasse zu sehen, die ich ihm hinhielt. – Seine Augen lagen tief, sie waren entzündet, und seine Lippen preßten sich verächtlich zusammen, seine Stirn faltete sich finster, als er das Blatt auf den Tisch schleuderte.
Mein Himmel! lieber Arnold, bist Du frank? sagte ich erschrocken, meine Hand auf die seinige legend.
Nicht doch, erwiederte er, mir ist ganz wohl. Es ist nicht werth, daß man sich ärgert, wenn man mit Gesindel zu thun hat, und dennoch – doch das verstehst Du nicht – ich muß eilen, ich habe viel zu thun.
Ich nahm das Blatt auf, eine Stelle fiel mir sogleich in die Augen. –
»Dem Gerücht nach,« las ich, »soll ein bekannter Führer der äußersten Rechten nächstens zu einem hohen Gesandtschaftsposten befördert und zum wirklichen Geheimrath ernannt werden. Wenn dies möglich wäre, so würden wir bei dem Extrem angelangt sein, das uns lange schon bedroht. Die Diplomatie dürfte sich Glück zu diesem Erwerbe wünschen, der von den Regierungsblättern zwar noch in Abrede gestellt und selbst als ein schlechter Scherz behandelt wird; allein was wäre unmöglich in unserer Zeit, wo Erfahrung, Verdienste und Kenntnisse nichts gelten gegen die Kühnheit der jungen Häuptlinge jener Partei, die uns in's sechszehnte Jahrhundert zurückzuführen denkt.« –
Elende, erbärmliche Verläumdung! rief ich aus. Darüber kannst Du nicht empört sein, Arnold.
Nein, sagte er, ich lache dazu; aber es ist mir lieb, Mathilde, Dich so erregt zu sehen.
Was Dich betrifft, erwiederte ich, trifft auch mich. Glaube nicht, daß ich gleichgültig bin, daß Deine Thätigkeit, Deine Sorgen und Dein Streben mich unberührt lassen.
Wahrhaftig! rief er lebhaft, mir die Hand reichend, das freut mich. Ich muß bekennen, daß ich einen Widerwillen mit meiner jetzigen Lage und meinen Aussichten in Dir zu entdecken glaubte und daß ich mir einbildete, Du würdest weit lieber mit mir in unser stilles Schloßberg zurückkehren, um Feldblumen zu suchen, am See spazieren zu gehen und unter der alten Eiche auszuruhen, aus deren Epheuranken und Geblätter Du sonst mir Kränze flochtest.
Ich hätte mich an seine Brust werfen und komm! rufen mögen, aber die Lehren meiner Tante fielen mir ein.
Du hast Dich in diesen Strom gestürzt, sagte ich, so aufrichtig als ich vermochte, und ich muß mit Dir schwimmen, muß an Deiner Seite bleiben.
Aber Du thust es nicht gern, Mathilde? fragte er mißtrauisch.
O! gern, gern – Alles was Du willst, erwiederte ich. Ich weiß, ein Mann ist nicht dazu da, um Blumen zu winden, wenigstens kein ausgezeichneter Mann, wie Du es bist. Wer die Kraft in sich fühlt, Großes zu thun, muß sich nicht mit Geringem begnügen, und in dieser Zeit der Stürme muß der das Steuer nehmen, dessen Hand das Schiff zu leiten vermag.
Wie Deine Augen leuchten, rief er aus. Das habe ich nicht erwartet; Du überraschest mich, aber Du hast Recht. Gerade diese Zeit der Stürme ist es, wo ein Mann rasch vorwärts kommen kann, wo der gewöhnliche Verlauf der Dinge sich umkehrt, wo Jugend kein Fehler ist, wo Muth und Klugheit sich geltend machen können. Wer hat früher nach dem Landedelmann gefragt? Man mußte grau werden auf der bureaukratischen Stufenleiter, um zu Etwas zu gelangen, mußte Gott weiß welche Examina machen, oder historische Familienverdienste aufweisen, um ausnahmsweise begünstigt zu werden. Jetzt bin ich selbst der Sohn und Erbe meiner Thaten, und, um mit dem Dichter zu reden: In meiner Brust ruhn meines Schicksals Sterne! »In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne.« Aus Friedrich Schillers »Wallenstein« (Piccolomini, II, 6). – Anm.d.Hrsg.
Seine stolze Stirn warf sich zurück, er sah so schön aus, daß ich ihn zärtlich küßte.
Sieh', Mathilde, sagte er lachend, mir fällt der französische General ein, der als Souslieutnant zu Napoleon sagte, als dieser ihn auf dem Schlachtfelde fragte, wer er sei: Sire, ich bin von dem Holze, aus welchem Generale gemacht werden. So sage ich: ich bin von dem Holze, aus welchem man Staatsmänner macht. Wer das fühlt, kann nicht an seinem Ofen sitzen, seine Heerden zählen, seine Felder bestellen, über Mastung und Branntweinbrennerei tiefsinnige Betrachtungen anstellen.
Nein, nein! rief ich, das ist ein eintöniges, langweiliges Dasein, nicht geschaffen für einen feurigen Geist, der sich nach einem größeren Schauplatze sehnt.
Freilich, sagte er, an seinen Kopf fassend, ist dafür Unruhe und Streit mein Loos. Haß und giftiger Neid fallen mich an. Die elendesten Burschen spitzen ihre Federn, und die besiegten Gegner rächen sich durch Spott und Hohn, nachdem sie das Schwert verloren haben.
Was Du willst, muß gut und recht sein, rief ich aus.
Es ist wenigstens das, was die Besten und Edelsten für recht und weise erkennen, was durch Zeit und Gesetze geheiligt ist, was dem Umsturz und dem Unglück der Gesellschaft allein Schranken setzen kann.
Und dafür verspotten und höhnen sie Dich, mein armer Arnold. O! diese fanatischen Menschen sollen auch meine Feinde sein, ich will sie hassen lernen. Was hast Du heut vor?
Er erzählte mir vertraulich, daß heut in der Kammer eine entscheidende Schlacht geliefert werden und daß er reden und die Regierung vertheidigen müsse; daß gestern eine Versammlung seiner Partei gewesen sei, bei welcher die Minister zugegen waren und die Rollen vertheilt wurden; daß er auf den ersten Posten gestellt worden sei, ihm die Aufgabe bleibe, alle Einwürfe der Gegner zusammenzufassen, um diese zu zermalmen. –
Sie schonen mich nicht, rief er, aber sie wissen auch, daß sie keine Schonung zu erwarten haben. Sie sollen hören, was sie noch niemals hörten. Ich will sie Spießruthen laufen lassen. Ja, sie sollen über meine Unverschämtheit schreien, sie sollen mich zur Ordnung rufen lassen. Du mußt zugegen sein, Mathilde, ich will für Platz sorgen.
Während er sprach, war ich entzückt. Seine Augen funkelten, sein Gesicht belebte sich, die furchtloseste Kühnheit drückte sich in jedem Zuge aus, sein Vorschlag jedoch machte mich besorgt. –
Du wirst siegen, sagte ich, und das ist mir genug; zugegen aber kann ich nicht sein, ich würde nicht ruhig bleiben können, wenn man Dich angriffe, Dich tadelte, Dir Vorwürfe machte, oder gar Dich verspotten wollte.
Er lachte und umarmte mich.
Du bist ein Närrchen, sagte er, ich bin in meiner Haut von Stahl so sicher, wie der gehörnte Siegfried. Laß sie spotten, dieser Spott verschlägt nichts, und obenein – er hilft mir. – Je mehr sie mich hassen, um so höher wächst mein Ansehen, um so sicherer bin ich der Erfolge meiner Sache. Das ist mein Stolz, Mathilde, daran hängt meine Zukunft. Wenn man in einer Partei nicht hervortritt, sich nicht an die Spitze stellt, zu den Ersten gehört, so verschwindet man in dem großen Haufen, der ins Schlepptau genommen wird; steht man aber als Hort und Stütze voran, so muß man auch die Streiche hinnehmen, die für Alle bestimmt sind.
Und Du bist der Leonidas, mein Arnold, der die Thermopylen vertheidigt, rief ich von diesem Gedanken erfüllt.
Seine hohe, kräftige Gestalt richtete sich auf, und an seine breite Brust schlagend, erwiederte er:
Ich kann es auf mich nehmen und habe mehr als einmal schon die ganze Rotte der Barbaren bis zur Wuth gebracht. –
Er erzählte mir nun von dem Gesetz, um welches es sich handelte, und ich erinnerte mich, in einem der Morgenblätter davon gelesen zu haben.
Alles, was da stand, war mir ungemein klar und verständig vorgekommen, und stolz auf meine Kenntnisse, wiederholte ich, was ich wußte. – Arnold sah mich starr an. –
Wer hat Dir das gesagt? fragte er endlich. Ist Birkfeld etwa hier gewesen?
Nein, rief ich triumphirend über sein Erstaunen. Die Wahrheit ist so überzeugend, daß ich keinen Lehrer nöthig habe.
Aber woher hast Du diese Weisheit?
Hier steht sie. Ich habe Alles aufmerksam gelesen, und glaube beinahe, Du hast es selbst geschrieben.
Ich zog das Blatt hervor, und hielt es ihm hin, aber mit einem Blicke, der mich durchbohren wollte, riß er es mir aus der Hand. –
Das nennst Du Wahrheit! sagte er heftig. Dies Schandblatt, das von Lügengeweben lebt, das die Regierung fortgesetzt angreift, das jeder rechtliche Mensch verabscheut, das mich auf's Empörendste verfolgt, das zertreten und zermalmt werden muß, sobald es nur irgend möglich ist! – Das ist Dein Quell des Lichtes, das nennst Du so prachtvoll klar verständig, daß ich es selbst geschrieben haben könnte!
Er brach in ein hohnvolles Lachen aus, und sah mich an, als sei ich ein blödsinniges, sein Mitleid erregendes Wesen. Ich war dunkelroth vor Scham und Furcht.
Lieber Arnold, jagte ich bittend, verzeihe es mir. Ich habe Dich gewiß nicht kränken wollen.
Das wolltest Du nicht, nein, das weiß ich, erwiederte er, aber es fehlt Dir überhaupt an Urtheil, Mathilde. Du bist auf dem Lande erzogen und aufgewachsen, bist ein paar Jahre bei Deiner verdrehten Tante, der Generalin, gewesen, hast Dich in Deinem Leben um nichts gekümmert, als um Klavierspielen, um Zeichnen, Sticken, Französischplappern und Romanelesen, und wie man um nichts lacht und sich vergnügt. – So lange wir in Schloßberg saßen und unsere jungeheliche Romantik trieben, ging das; jetzt aber muß es sich ändern. Du darfst niemals vergessen, daß Du meine Frau bist.
Wann hätte ich dies je gethan, Arnold? fragte ich mit erhöhter Stimme.
Er wandte sich zu mir um, denn er sprach, indem er am Fenster stand. Es kam mir vor, als wollte er mich mit seinem starren Anschauen einschüchtern, aber ich fühlte mich verletzt und in meinem Recht, und wiederholte die Frage.
Mein Vorwurf, begann er hierauf, soll Dich nur aufmerksam machen, auf Dein Benehmen zu achten, und eben weil Du mir versicherst, daß meine Gedanken und mein Streben von Dir begriffen und getheilt werden, darum muß ich Dich doppelt bitten, auf Deiner Hut zu sein.
Ich will gern Alles thun, was Du wünschen magst, war meine leise Antwort, und – mein Gott! Arnold, thue ich denn nicht Alles willig, was Du mir sagst? Ich sehe Dich wenig, ich erfahre wenig von Dir. Du überläßt mich mir selbst, belehrst mich nicht, aber Du tadelst mich häufig, und wenn ich mich bestrebe, mich Dir zu nähern, an Deinem Leben Theil zu nehmen, erfahre ich Kränkungen und tief schneidende Vorwürfe.
Meine Augen hingen voll Thränen, ich sah, daß er gerührt und unschlüssig war. Er ging mehrmals im Zimmer auf und ab, offenbar schwankend, wie er mich behandeln sollte. Endlich näherte er sich mir, und nahm meine Hand. –
Ich bin heftig gewesen, sagte er, es liegt in meiner Gemüthsstimmung, ich bitte es Dir ab.
Ach, Arnold! rief ich froh lächelnd, mehr verlange ich nicht, um Alles zu vergessen.
Siehst Du, erwiederte er schmeichelnd, wie wandelbar Du bist. Ein Wort stimmt Dich um. Eine Andere würde mir nicht so leicht verzeihen, aber sie würde auch nicht so leicht vergessen, und das ist es, Mathilde, was ich von Dir fordere.
Ein neuer Vorwurf also, seufzte ich, die Augen senkend.
Nein, sagte er, ich kenne Dein Herz; es ist zu mild und gut, möchte ich behaupten. Alles, was ich bitte, besteht darin, daß Du den veränderten Verhältnissen Rechnung trägst. – Du giltst als eine schöne Frau, Mathilde, und Deine Jugend, Dein feines Gesicht, Deine edle Gestalt geben Dir Vorzüge vor Vielen. Es fehlt Dir auch nicht an Kenntnissen und Bildung, allein es fehlt Dir an der Kunst, Dich geltend zu machen und zu glänzen.
Wenn ich Dir gefalle, mein Arnold, erwiederte ich, so ist mir anderer Glanz gleichgültig.
Das darfst Du nicht sagen, rief er lebhaft, aber das ist der Fehler eben, an dem Du laborirst. In Schloßberg wäre Deine Antwort eine gewesen, die mich entzückt hätte, und jede Brauer- oder Bäckerfrau kann damit ihrem Eheherrn unsägliches Vergnügen bereiten; in der Welt jedoch, worin wir jetzt leben, und bei der Zukunft, der ich entgegen gehe, ist eine solche Antwort niederschlagend. – Frauen, welche ihre Männer auf die Höhe des Lebens begleiten wollen, Mathilde, fuhr er fort, als ich schwieg, müssen ihre Blicke erweitern, klug um sich schauen, die Verhältnisse erwägen, Menschen kennen und beurtheilen lernen, und mit Rath und That ihren Gatten nahe stehen.
Meine Tante fiel mir ein.
Zweifle nicht an meinem Willen, antwortete ich, aber was was soll ich thun, um, wie Du sagst, zu glänzen und Einfluß zu gewinnen?
Ich will Dir ein Vorbild nennen, mehr kann ich nicht thun, sagte er, – die Gräfin Brankau. – Sie ist nicht so schön wie Du, nicht so jung wie Du, sie lacht fast nie und schweigt sehr viel, aber sie spricht niemals ganz Unbedeutendes, und um ihren Platz drängen sich die ausgezeichnetsten Personen, ihr Haus ist der Sammelpunkt vieler Männer und Frauen von Geist und Bedeutung.
Sie ist eine Frömmlerin geworden, sagte ich empfindlich, nachdem sie früher sehr leichtsinnig gelebt hat.
Albernes Gewäsch, das Eine wie das Andere, rief er unmuthig. Sie ist weit davon entfernt, sich vom Glauben gedankenlos machen zu lassen, aber sie ist klug genug, um jeden Faden zu benutzen, der in dieser heillosen Zeit die zerrissenen Netze flicken hilft. Die Gräfin hält viel von Dir, weit mehr, als ich gedacht habe, fuhr er lächelnd fort, sie hält Dich für einen Kopf, der große Anlagen habe, und dessen Energie nur des Anlasses bedürfe, um glänzend hervorzutreten. – Du mußt sie näher kennen lernen. Wenn Eine Dich geistig zu bilden und in alle Geheimnisse und Feinheiten des Lebens einzuweisen vermag, so ist sie es. Beobachte sie genau, lerne von ihrer Kunst, und ich will Dich verehren, meine süße Mathilde, Du wirst meine nächste Freundin, meine Rathgeberin, meine Gehülfin sein.
Er küßte mich, und ich versprach ihm nochmals Alles; endlich verließ er mich ganz befriedigt. –
So soll ich denn also eine geistreiche Frau werden, soll lernen, wie man die bedeutendsten Männer fesselt, soll Intriguen leiten, Verhältnisse studiren, die Schwächen der Menschen kennen und benutzen – ich, ich! – O! Tante Sturm, das heißt noch viel mehr von mir fordern, als Zeitunglesen.
Am Nachmittage kam Birkfeld zu uns, Arnold war noch nicht aus der Kammer zurückgekehrt. – Ich weiß nicht, wie es kommt, aber Birkfeld übt eine Art Zauber auf mich, seine Nähe wirkt immer ein wenig bedrückend, und doch habe ich großes Zutrauen zu ihm. Das macht vielleicht, weil er so ruhig ist, so orakelhaft, und weil man mir immer gesagt hat, er sei eine Art Gelehrter oder Philosoph, d. h. ein Mensch, der furchtbar viel gelesen hat, und den Alle fragten, wenn sie etwas nicht wußten. Er war auch immer der Einzige, der mit Arnold streiten konnte und nicht in die Enge getrieben wurde.
Birkfeld besucht uns jetzt selten, heut war mir seine Erscheinung sehr lieb, denn ich war voller Unruhe. Er war besonders freundlich, als ich ihm meine Hand bot und ihm sagte, wie unrecht es von ihm sei, sich so selten sehen zu lassen. Wir setzten uns und plauderten, seine Mittheilungen waren sehr überraschend für mich; er erzählte mir, daß er einige Wochen zu Haus gewesen sei, um Geschäfte abzuthun.
Alle Welt hat Geschäfte, sagte ich ihm, und sogar Sie, der, wie ich glaubte, gar nichts zu thun hat, als Bücher zu lesen, Briefe zu schreiben und Ihren Freunden gefällig zu sein, müssen sich mit Geschäften die Zeit verderben.
Er lachte, wie er immer thut, wenn ihm etwas gefällt, d. h. er kniff die Augen zusammen und zog sein Gesicht in unzählige Falten, wie ich mich erinnere, es schon in meinen Kinderjahren gesehen zu haben.
Meine Geschäfte, erwiederte er dann, waren diesmal auch nichts anderes, als was Sie da eben sagen. Ich bin einem Freunde gefällig gewesen, der mein Gut kaufen wollte, und habe die Reise gemacht, um ihm den Weg zu mir und allerlei Weitläuftigkeiten zu ersparen.
Sie haben Ihr Gut verkauft? fragte ich erstaunt. Ach! das thut mir leid. Sie waren in Schloßberg unser naher Nachbar; was sollen wir anfangen, wenn Sie fort sind?
Ich bin auch in Schloßberg gewesen, fuhr er fort, und habe meine Erinnerungen aufgefrischt. Wird denn jemals wieder ihre Stimme dort das Echo am See wach rufen, meine liebe Freundin?
Gewiß, o gewiß! rief ich. Ich habe große Sehnsucht darnach.
Dann stimmen Sie nicht mit Nordstern überein, erwiederte er. Denn wie mir Ihr Geschäftsführer in Schloßberg erzählte, denkt er daran, die Güter zu verpachten, und läßt den schönen Eichwald niederschlagen.
Den Eichwald niederschlagen?! Warum?
Birkfeld zuckte die Achseln. Das politische Leben, sagte er lächelnd, kostet nicht allein geistige Anstrengungen, sondern auch Geld, und wenn Nordstern Gesandter wird, braucht er zu seinen Einrichtungen viel, wenn er ein bedeutendes Haus machen will, woran er es gewiß nicht fehlen lassen wird.
Also auch Sie haben davon gehört, antwortete ich ihm. Aber warum die herrlichen Eichen verkaufen, auf welche er selbst so stolz war? Ich begreife es nicht.
Birkfeld gab keine Antwort, er that eine Querfrage und sagte dann:
Nordstern hatte ganz Recht, die Güter zu verpachten. Wenn man nicht selbst mit Geschick Landmann ist und sein mag, kann man nichts Besseres thun. Wenn aber je, so hat er heut durch seine Rede sich die jetzige Regierung verpflichtet, die ihn dafür belohnen wird.
Sie waren in der Kammer? Sie haben ihn gehört? fragte ich.
Ich habe mit Mühe einen Platz erhalten, war seine Antwort.
Und Arnold hat gesiegt! rief ich im Triumph.
Er hat gesiegt, wenn auch seine Partei eine Niederlage erlitten hat.
In diesem Augenblick trat Arnold herein, und offenbar war es ihm nicht angenehm, den Besuch zu finden. Er sah erhitzt aus, und begrüßte Birkfeld kalt. –
Nun, sagte dieser, Sie haben eine ganze Stunde lang gesprochen.
Um geschlagen zu werden, erwiederte Arnold, spöttisch lachend.
Jeder Soldat thut sein Bestes, fiel Birkfeld ein.
Und Ihre Soldaten waren heut teufelmäßig auf dem Platz, rief Arnold. Eine wahre Falstaffcompagnie, die zusammen ein Hemd hat, aus zwei Handtüchern zusammengenäht, doch furchtbar tapfer, wenn es an's Schreien und Lärmmachen geht.
Wie komme ich damit zusammen? fragte Birkfeld, seine Augen noch tiefer zusammenkneifend, als gewöhnlich. Was nennen Sie denn meine Soldaten?
Nun, Birkfeld, erwiederte Arnold, aus seiner plötzlichen bitteren Reizbarkeit einlenkend, Sie werden mir doch zugestehen müssen, daß Ihnen der Ausfall der heutigen Sitzung viel Vergnügen gemacht hat.
Das kann ich eben nicht sagen, antwortete der Baron trocken. Aber noch einmal, wie kommen Sie dazu, mich mit einer sogenannten Falstaffcompagnie, aus Ihren Herrn Collegen bestehend, in Verbindung zu bringen?
Das kann auf Sie doch keinenfalls Bezug haben, sagte mein Mann, da Jedermann weiß, daß Ihnen ein großes Vermögen zu Gebot steht. Aber aufrichtig, Birkfeld, sind denn nicht die meisten unserer Gegner Bettler? Sind diese ehrsamen Bürger, Krämer und Handwerker, darunter sogar Bauern, und was sonst die Masse ausmacht, im Stande, ein Land regieren zu helfen? Fallen nicht auf die Leiter dieser Partei, auf Advocaten, Professoren und die wenigen Männer von Familie, welche sich so weit verirren, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen, die herbsten Vorwürfe? Und sind nicht eben, mit sehr wenigen Ausnahmen, auch diese Herren ruinirt und den Geusen Die niederländischen Aufständischen zu Beginn des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648) gegen die spanische Fremdherrschaft. – Anm.d.Hrsg. zu vergleichen?
Ich kenne die Verhältnisse zu wenig, um ein Urtheil darüber abzugeben, versetzte Birkfeld, aber mir scheint, was Sie sagen, die oft gehörte Sprache des Parteistandpunktes, alle Weisheit zum Regieren sich allein beimessen zu wollen. Wenn wirklich jedoch der größte Theil derer, die Opposition machen, ruinirte Menschen sind, so müssen sie zugleich entweder große Thoren sein, oder ihre Sache muß sie begeistern, daß sie jetzt noch so hartnäckig dafür kämpfen. Von der Regierung haben sie keine Vortheile, einträgliche Aemter oder Vermögensverbesserungen zu erwarten, und über ihren Köpfen hängt mehr als ein Damoklesschwert. – Wenn sie also Bettler sind, so ist es ihnen wenigstens nicht um ein Almosen zu thun, sie suchen nicht nach Stellen, und können selbst Niemanden bestechen, denn sie haben nichts, womit sie ihre Anhänger belohnen könnten.
Ich denke nicht, daß Sie glauben werden, wer auf Seite der Regierung steht und energisch deren Sache führt, habe eigennützige Zwecke, erwiederte Arnold stolz und warm.
Eigennützige Zwecke hat jede Partei, sagte Birkfeld, jede sucht zu gewinnen, sonderbarer Weise aber will Niemand etwas von Eigennutz hören, sondern spricht bloß vom Recht, und wo möglich auch von der Vernunft. Was aber Bettler und halb oder ganz ruinirte Menschen betrifft, die aus ihren Handlungen Vortheile suchen, so kann es in der Regierungspartei dergleichen weit eher geben, mögen sie ihre wahren Absichten sowohl, wie ihre wahre Lage auch noch so gut verbergen und mit den schönsten Namen des Patriotismus und der Treue bedecken. Die Bettler auf der anderen Seite wissen genau, woran sie sind; es giebt aber manche an Geld und Gewissen ruinirte Menschen, welche unter dem Schimmer des Reichthums in noch bedrängteren Zuständen sind, als jene, und die zu allen Teufeleien benutzt werden können, wenn sie die Aussicht haben, damit zu Gunst und Amt zu gelangen.
Arnold warf einen düsteren, fast drohenden Blick auf Birkfeld, der gar keine Ahnung davon zu haben schien, daß mein armer Freund so reizbar sein kann. Ich machte ihm vergebens verstohlene, bittende Zeichen. –
Wie verschieden sind diese beiden Männer. Arnold, mit seinen sprühenden Augen, den zuckenden Lippen und der hohen gewölbten Stirn, lehnte an dem Tisch, wie ein Held, der die Hand an's Schwert legt; Birkfeld saß vor ihm, so unscheinbar, daß er meine Furcht und mein Mitleid aufregte. – Im Sitzen sah er noch kleiner und schwächlicher aus, als er ist. Sein mageres Gesicht, mit den eckigen Zügen, und seine röthliche Nase sind nichts weniger als schön. Sein schlichtes, dunkelblondes Haar liegt glatt und dünn auf seinem Kopf, und seine Augen sind ohne Feuer, klein und zusammengekniffen. Nur wenn er spricht, macht er sie zuweilen weit auf, und dann haben seine Gesichtszüge etwas Vertrauenerweckendes und Klares.
Ich hielt es für die höchste Zeit, mich einzumischen, um Frieden zu stiften. – Ich lachte, und legte meine Arme um Arnold.
Der gute Birkfeld giebt Dir ja Recht, sagte ich, er vertheidigt die Anwendung der Wahrheit nur nach allen Seiten. – Menschen, wie er sie schildert, verdammst Du gewiß, und warum sollen sich solche gewissenlose Heilige nicht überall finden? Seien Sie unser Gast, lieber Baron, und beweisen Sie uns durch Ihre Energie bei unserem einfachen Mahle, daß Sie Muth und Hingebung achten.
Birkfeld stand auf und küßte meine Hand.
Daß ich es abschlage, erwiederte er, darf als kein Beweis gegen mich gelten. Was man ist, soll man ganz sein, und wenn man ißt, soll man Hunger haben. – Ich komme nächstens wieder, vielleicht recht bald, denn oft kann ich nicht mehr kommen.
Ich theilte Arnold mit, daß der Herr Baron sein Gut verkauft hatte; es gab einige kurze Fragen und Antworten. Birkfeld erzählte, daß er zu reisen denke.
Wohin denn? fragte mein Mann. Wollen Sie auswandern?
Dazu habe ich keine Lust, sagte Birkfeld. Aber ich will mich zurückziehen auf irgend ein stilles Plätzchen, wo ich von dem Unsinn unserer jetzigen Geschichtsmacher so wenig wie möglich höre.
Sie haben also Furcht! rief Arnold spöttisch.
Gehörige Furcht, erwiederte Birkfeld, darum will ich mein Geld in der Tasche sicher haben, um hingehen zu können, wohin es mir beliebt, und keinen Groschen für Zustände und Menschen beitragen, denen ich das Allerschlimmste zutraue.
Als er fort war, brach Arnolds ganzer Unmuth aus.
Ich will mit diesem kaltherzigen, anmaßenden Vernünftler nichts mehr zu thun haben, sagte er, und sollte meinen, er hätte begriffen, daß ich ihn längst darnach behandle. Wenn er wiederkommt, laß ihn abreisen. Er gehört nicht zu uns, und obenein ist er langweilig und gedankenlos. Ein Schwätzer, der ewig dieselben ungenießbaren Dinge wiederkäut.
Das Alles schien mir ungerecht und leidenschaftlich, ich konnte mich daher nicht enthalten, Birkfeld zu vertheidigen; aber ich merkte sogleich, daß ich Oel ins Feuer goß.
Wie Du in Allem unüberlegt bist und sprichst, sagte Arnold grollend, so auch in dieser Sache. Der kleine vertrocknete, häßliche Bursche, der immer von fern zu stehen scheint, gewöhnlich ganz unschuldig thut und den Bescheidenen spielt, ist keinesweges der Mann, der sich um nichts bekümmert, von nichts wissen will und sich die Ohren zuhält. Er steht mit verschiedenen Mitgliedern der Opposition, gerade mit den ärgsten, in guter Freundschaft, besucht sie und ist ohne Zweifel ihr Spion und Rathgeber.
Aber ich weiß doch, fiel ich ein, daß Birkfeld auch in ganz entgegengesetzten Kreisen Zutritt hat.
Er drängt sich überall ein, aber man mißtraut ihm längst, hat ihn sogar in Verdacht, an den Brochüren Theil zu haben, die jüngst so hämische Details über die Regierung gaben. – Heut hat er plötzlich sich gegen alle Gewohnheit offen ausgesprochen, und bei Gott! er soll es nicht umsonst gethan haben.
Ich habe aber wirklich nichts gehört, sagte ich, als daß er gegen Falschheit und Corruption sprach, die kein Mensch vertheidigen kann. Du bist ungewöhnlich gereizt, Arnold, das macht Dein heutiges Mißgeschick in der Kammer.
Mein Mißgeschick? rief er. Was hat er Dir davon erzählt? – Daß seine Sippschaft mich mit allem möglichen Hohn und Verdächtigungen angefallen hat; eben jene Falstaffbande, die ich zeichnete.
Er hat mir nichts gesagt, als daß Du gesiegt hättest, wenn Deine Partei auch unterlegen sei, und daß die Regierung für den heutigen Tag Dir besonders erkenntlich sein würde.
Sagte er das? erwiederte Arnold, mit der Hand sein Haar zurückstreichend und sein Gesicht einen Augenblick bedeckend, vielleicht damit ich den veränderten Ausdruck in seinen Zügen nicht erkennen sollte, denn als er die Hand entfernte, war das vergnügte Lachen verschwunden. – Es ist übel, begann er, daß der größte Theil der Menschen wohl ernten, aber nicht säen möchte; daß sie die Früchte in Empfang nehmen, aber den Baum nicht umhauen wollen. Wunden möchten sie heilen, aber vor dem scharfen Messer fürchten sie sich, und wenn der Arzt das faule Fleisch schonungslos herausholt, machen sie ihm Vorwürfe über seine Härte und seine scharfen Messer.
Ich besorge, sagte ich, daß Du von Dir selbst sprichst.
Was thut's, rief er lachend, die Halben und Schwachen sind einmal nicht anders; doch glücklicher Weise sind wir nicht Alle halb. – Birkfeld hat nicht ohne Absicht gesagt, man müsse, was man sei, ganz sein, und ebensowenig hat er ohne richtige Würdigung der Verhältnisse mir den Sieg zugesprochen. – Man hat mir vorgeworfen, daß meine Rede Schrecken verbreitet und die Verwerfung des Gesetzes herbeigeführt habe. Die Schwachköpfe erschrecken vor ihren eigenen Consequenzen. Die Sprache der Wahrheit geht kalt über ihre Haut; aber was thut das? sie werden sich daran gewöhnen. Gewohnheit ist Alles! Wovor sie heut sich entsetzen, wird ihnen nächstens nicht mehr genügen. Was heißt Wahrheit, was heißt Recht auf Erden? Alles hängt von Sitte und Gewohnheit ab. – Der Minister hat mir die Hand gedrückt, Andere noch werden sie mir drücken. Heut Abend ist bei der Gräfin Brankau ein auserwählter Kreis. Sie war auf der Tribüne, ich ging zu ihr hinauf und erhielt auch eine Einladung für Dich. – Nimm Dich zusammen, Mathilde, und debütire gut. Ueberall im Leben kommt es auf das erste Debüt an. Du hast zuweilen elegische Anfälle und Stimmungen, bei denen man glauben sollte, Du rührtest Dich innerlich, wie Heine's Fräulein am Meere
Das titellose Gedicht (1832e, 1844v in »Neue Gedichte«) gilt als beispielhaft für die Destruktion romantischer Poesie:
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück., und vergäßest die ganze Welt darüber. Woran hast Du eben gedacht, während ich mit Dir sprach?
An meine prächtigen Eichen am See, die Du umschlagen läßt, erwiederte ich.
Aha! das hat der Schwätzer Dir auch, erzählt, rief Arnold, mich spöttisch groß anschauend. – Schäme Dich, Mathilde, wer wird so sentimental sein. Die alten Bäume werden hohl, jedes Jahr wird ihr Werth geringer, es ist die höchste Zeit, daß sie benutzt werden, und eben jetzt kann ich sie vortheilhaft verkaufen. Es ist ja nichts, als knorriges Holz! Wenn Du noch in seinem Schatten ruhen könntest, so wäre eher ein Grund des Bedauerns da, allein wer weiß, ob es je wieder geschieht. Dafür sollst Du im nächsten Sommer in irgend einem prächtigen Landhause wohnen, oder wir werden in einem Bade sein; an Freuden und Festen und Zerstreuungen soll es Dir nicht fehlen, um die alten, abgelebten Eichen zu vergessen. Jetzt laß uns essen, ich will Dich dabei ein wenig auf heut Abend vorbereiten.
Ich bin heut noch müde von meinem Debüt, aber ich habe es im Ganzen, wie ich denke, gar nicht übel bestanden, und Arnold ist zufrieden, denn der Ministerpräsident hat sich eine halbe Stunde lang mit mir unterhalten, und was die Brankau betrifft, so hat sie, ich weiß nicht warum, so viel Wohlgefallen an mir gefunden, daß sie mich heut schon besuchen wird, um – mich zur Kirche abzuholen.
Wir fuhren erst gegen neun Uhr hin, und doch waren wir beinahe die Ersten. Ich weiß nicht, was wahr, was falsch ist an den vielen Geschichten über die Verschwendungen der Gräfin, und daß von dem großen Vermögen wenig mehr übrig sei; aber eine kostbarere und geschmackvollere Einrichtung kann man nicht denken. Ihre Wohnung ist mäßig groß, einen Theil des Hauses hat sie nach dem Tode ihres Mannes nicht wieder betreten; aber die vier großen Gesellschaftszimmer, der halbrunde Saal, welcher daran stößt, und die kleinen Klosets an den Seiten sind mit dem feinsten Geschmack ausgestattet und mit verschiedenen köstlichen Gemälden geschmückt. Blumen, Stickereien, Teppiche, reich ausgelegte Mobilien, Nischen mit Marmorgruppen, eine kleine allerliebste. Bibliothek, Sammet- und Atlaspolster, bunte Vögel, süße Wohlgerüche, dämmernde Ampeln und strahlende Kronleuchter, Alles vereinigt sich, um diesem Aufenthalt etwas Zauberisches zu geben.
Die Gräfin empfing mich an dem vergoldeten Kamin ihres Kabinets, wo sie mit zwei Herren saß. Der eine war der Ministerpräsident, der andere ein russischer Fürst, der als politischer Agent auf Reisen geschickt sein soll. – Die Gräfin war, wie immer, dunkel und einfach gekleidet, aber sie trug wundervolle Kantenbesätze und einen gewiß sehr theuren Schmuck.
Die Herren begrüßten uns in der vornehmen schweigenden Weise. Der Ministerpräsident wechselte mit Arnold einige gleichgültige Worte; ich setzte mich zu der Gräfin, die mit dem Russen von Petersburg und der kaiserlichen Familie sprach, den Faden wieder aufnahm und mich hineinzog. – Es war davon die Rede, daß man sich gewöhnlich ganz irrige Vorstellungen vom Norden mache, von Rußland die schlimmsten; daß aber das gesellschaftliche Leben dort höchst angenehm sei, und selbst die Natur ihre besonderen Reize biete.
Wenn das Alles der Fall ist, sagte ich endlich, warum reisen gerade die Russen so viel, und warum gehen sie vor Allen so gern nach Paris, um dort zu leben?
Meine Bemerkung mußte etwas Treffendes haben. Der Ministerpräsident sah mich mit einem schelmischen Blick an, der Russe rieb sich lächelnd die Hände und meinte, sein Volk strebe so sehr danach, sich zu unterrichten, und sei so empfänglich, gelehrig und begierig, andere Zustände kennen zu lernen, wie seine Nation.
Deshalb, sagte ich, lesen wir auch in den Zeitungen so viel von russischen Reisenden, die fast in allen kleinen und großen Residenzen verweilen, um Deutschland zu studiren. – Ich hatte meine Weisheit aus einem der Morgenblätter und sprach sie unbefangen aus, aber es fiel mir auf, daß der Minister mit unterdrückter Lustigkeit sich von mir abwandte und von einem Hoffeste zu sprechen anfing, der russische Fürst dagegen aufstand und ein Gemälde betrachtete.
Es kamen mehre Personen, nach einer halben Stunde waren wohl dreißig zugegen, meist Herren, die in kleinen Kreisen beisammen standen und Thee tranken, während die Damen sich gruppirten und plauderten. Ich hörte viel Lob über Arnold, viele beißende und spottende Worte über die Mitglieder der Kammer, mancherlei lächelnde Bemerkungen einiger Staatsmänner, Anekdoten und Tagesereignisse, endlich aber setzte sich der Ministerpräsident zu mir, der mich lange sehr angenehm unterhielt und von allen möglichen Dingen sprach, scherzte und über meine Antworten lachte.
Excellenz, sagte ich endlich, Sie sind der einzige unter allen diesen Herren, der nicht von Politik spricht, und am liebsten, wie es scheint, auch nichts davon hören möchte.
Sie haben ganz Recht, erwiederte er. Ich bin gern wenigstens auf Stunden von meinem Panzer befreit, um ein freier Mensch zu sein.
So fühlen Sie sich also unfrei? fragte ich.
Man muß sich vor Ihnen hüten, sagte er. Den armen Fürsten haben Sie gut in die Enge getrieben, ich habe mich sehr amüsirt, jetzt wollen Sie mich ins Gebet nehmen.
Wenn ich alles glaube, war meine Antwort, so glaube ich nicht von Ihnen, Excellenz, daß sie zu denen gehören, die leicht zum Gebet geneigt sind.
Er lachte und sah mich scharf an. Ich darf nichts verrathen, entgegnete er, ich bin Minister des Auswärtigen. Diplomaten, wie wir beide sind, dürfen überhaupt nicht so bestimmte Fragen thun.
Mit meiner diplomatischen Kunst ist es nicht weit her, Excellenz, sprach ich abwehrend, aber mit Bezug auf meinen Mann darf ich versichern, daß ich nichts sehnlicher wünsche, als ihn nicht zum Diplomaten zu machen.
Der Minister schien sehr belustigt, und eine ganze Zeit lang folgten Fragen und Antworten, während die Blicke der Gesellschaft sich auf die Nische richteten, in welcher wir allein saßen.
Ich erzählte ihm von meinem Landleben in Schloßberg, er erinnerte sich meines Onkels, des seligen Generals von Sturm, stimmte meinen Klagen über die abgehauenen Eichen bei, und erklärte sich für einen warmen Freund der Natur und der häuslichen Stille.
Dann bedaure ich Sie, Excellenz, sagte ich scherzend, denn wie soll die Natur zu dem Minister kommen? Was hat sie in glänzenden Sälen und mit Staats- und Regierungskünsten zu schaffen? Aber ich begreife, daß Männer zu jedem Opfer ihrer Neigungen bereit sind, wenn eine mächtige Leidenschaft sie ergreift. Ehrgeiz ist das bei Männern, was Eitelkeit bei Frauen ist; es giebt kein Lebensheil, was dabei nicht in die Wage geworfen würde.
Er nickte, als gäbe er mir Recht, und betrachtete mich mit seinem feinen, kalten Lächeln. –
Sie scheinen früh Erfahrungen gemacht zu haben, sagte er, und sprechen diese bewunderungswürdig aus. Herr von Nordstern ist sehr glücklich, die geistesscharfe Wahrheit immer so nahe zu haben. Natur ist niemals schöner, als in ihrer frischen Ursprünglichkeit, ohne die Künstlerei, welche den Wald in einen Park umschaffen will.
Aber das Ursprüngliche macht frei und stolz vielleicht, doch nicht groß. Meine Mutter, die eine kluge Frau war, hatte viele Lebensregeln. Was ein Haken werden will, krümmt sich zeitig zum Häkchen. Wer ein Wolf sein will, muß auch den Pelz dazu haben. Wer durch die Welt will, muß sich biegen und bücken lernen; mit dem Strom schwimmen und jedes Fahrwasser benutzen, macht den guten Schiffer.
Und wo bleiben die Grundsätze? fragte er.
Ich habe keine, erwiederte ich lachend. – Meine Tante fiel mir wieder ein. – Es ist Alles Modesache, heut zu Tage sind sie aus der Mode.
Auch die Tugend?
Warum nicht die Tugend? – Ist die Welt tugendhafter geworden? Haben Wahrheit und Recht zugenommen? Haben wir größere Männer, als die alte Zeit? Sind die Menschen edler und besser? Klagt man nicht mehr als je über Demoralisation und Untergang? – Und wo finden sich Charaktere, die zur Bewunderung nöthigten? – Ich hörte neulich den Ausspruch thun: Talent und Geschicklichkeit mehren sich, aber der göttliche Kern der Menschheit, der Muth der Wahrheit, die sittliche Macht der Ideen, sei in den Völkern zernagt.
Sie ist nie da gewesen, sagte der Ministerpräsident, und seine schmalen Lippen zuckten spöttisch. Sie nannten den Ehrgeiz das leitende Princip der Männer, Eitelkeit das der Frauen. Es giebt noch ein anderes, was allen Menschen gemein ist, den Egoismus! –
Aus seinen kalten Augen leuchtete ein wegwerfender Hohn. –
Die Idealisten sind die Schlimmsten, rief er. Wo sind Ihre Gedanken, gnädige Frau?
In einer Staubwolke, antwortete ich, obwohl ich den Staub so sehr hasse, wie die Lüge.
Sie sind beide da und müssen sein, sagte er. Dies Muß, weil es da ist, darf uns um Vieles trösten. Der hellste Sonnenstrahl zeigt uns den meisten Staub, und wenn die Lüge nicht wäre, gäbe es keine Wahrheit. Alles zu brauchen und brauchbar zu machen, und sich vor Täuschungen zu bewahren, ist unsere Aufgabe im Großen wie im Kleinen. Ich wünsche Ihnen das vollste Verständniß und den hellsten Blick jederzeit, und nun –
Er sah nach dem Nebenzimmer hin und fuhr dann fort:
Herr von Nordstern hat sich zum Spiel gesetzt, ich werde ihn nicht mehr erreichen können; erlauben Sie mir einen Gesandtschaftsauftrag: Ich lasse Herrn von Nordstern bitten, mich morgen um elf Uhr zu besuchen. Er hat heut vortrefflich gesprochen, so furchtlos, kühn und wahrheitsmuthig, wie Sie es wünschen können. Die Charaktere sind nicht so selten, wie man sagt, oder wollen Sie auch daran nicht glauben?
Er stand auf und entfernte sich. Sein blasses, steinhartes Gesicht hatte den sonderbaren, lauernden Ausdruck, der es zuweilen verändert. – Ich blieb ein Weilchen sitzen, dann ging ich in eines der kleinen Klosets, und wunderliche Gedanken umschwärmten mich. –
Sich nicht täuschen zu lassen und alles zu benutzen, das ist die Kunst des Lebens, sagte ich leise. – Bin ich denn getäuscht? Täusche ich mich selbst? Was ist Staub, was Lüge?
Ich gerieth mitten in dieser erwählten Gesellschaft in jene elegische Stimmung, wie Arnold sie nennt, d. h. ich vergaß gänzlich, wo ich war. Ich weiß nicht, ob es der Blumenduft machte, der von den zierlichen Terrassen aufstieg, die einen magischen Kreis von Farben und Blüthen im Dämmerlichte bildeten. Ich saß vor dem geöffneten Instrument der Gräfin, einem wundervollen, englischen Pianino, das mitten in diesem blühenden Garten stand. Hinter dem Notenhalter von eingelegter Perlmutter und Goldarbeit schimmerte ein weißes Papier; mechanisch streckte ich die Hand danach aus. Es war ein Billet, das zwischen den kostbaren Einbänden zweier Bücher lag. Ein elektrisches Zucken lief durch meine Adern, als ich Arnolds Schriftzüge erkannte. Meine Augen irrten heiß darüber hin.
»Ihre Besorgnisse sind unbegründet, theuerste Gräfin,« las ich,« M. ist ganz in meiner Hand. Ich habe die sichersten Beweise dafür, daß mein Ansehen unerschüttert ist und bleiben wird. Eine Rose hat Dornen, ein Wiesenblümchen kennt kein Sträuben. Starke und geistvolle Menschen bedürfen starker Bänder, für ein bloßes Herz ist ein Bastfädchen genug. – Sie müssen M. näher kennen lernen, Sie werden mir Recht geben. – Tausend Dank für Ihre Einwirkung auf den Premier. Er weiß zuweilen nicht recht, wohin mit sich selbst, aber er ist immer gelehrig unter Ihren schönen Fingern und begreift die Lection. Auf heut Abend, meine edle Freundin. Ich führe Ihnen meine Frau zu. Ihr himmlische Güte wird sich auch des Stäubchens erbarmen.«
Ich warf den Brief zwischen die Bücher, wo er gelegen hatte; es war mir sonderbar zu Sinne. – War ich das M., das ganz in seiner Hand war, das Wiesenblümchen ohne Sträuben, das bloße Herz, mit einem Bastfädchen festzuketten? – Er hat Recht, wie gut kennt er mich! Ach, nicht einmal ein Fädchen hat er nöthig; da ist kein Schlag, der ihm nicht ganz gehörte. – Und gegen diese stolze, geistvolle Frau bin ich ja ein Stäubchen und beuge mich andächtig, demuthsvoll vor ihrer Hoheit. – Wie herrlich, wie edel ist Arnolds Bitte, sich meiner zu erbarmen, damit ich von ihr lernen möge, wie er es will.
Ich war so begeistert, aufgeregt von dem Gedanken, in diese hohe Schule zu gehen, und träumte von meiner eigenen Erhabenheit so lebhaft, daß ich that, wie ich zu Haus oft thue, wenn ich meinen Gedanken mich hingebe. – Ich schlug Accorde an, und meine Gefühle suchten nach Tönen und Melodieen, die abgebrochen und in einander wirbelnd ausdrücken sollten, was mich bewegte, und mich mit sich fortrissen in das unermeßliche Reich der Phantasie.
Erst nach einiger Zeit bemerkte ich, daß ich Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein Theil der Gesellschaft hatte sich im Nebenzimmer lauschend gruppirt, in der Mitte sah ich den Ministerpräsidenten und neben ihm, zu meinem größten Erstaunen, Birkfeld, mit dem er flüsterte und die Hand auf seinen Arm gelegt hatte.
Die Gräfin kam und küßte mich; sie dankte mir für diese Ueberraschung und sagte mir Schönes. Andere machten es noch ärger mit ihrem Entzücken über mein wundervolles Spiel. Endlich kam auch Birkfeld, dem ich die Hand reichte und mich freute.
Sie müssen fortfahren, Sie müssen singen, sagten die Damen.
Ich kann nichts, als ein paar kleine Volkslieder, erwiederte ich.
Volkslieder! Deliciös! rief Einer, ich glaube ein Herr aus dem Kabinet, mit einem schwarzen Glase im Augenwinkel, indem er mich bittend angrinste.
Es war mir ein wenig fatal, es sah wie Schadenfreude aus. Ich blickte zu Birkfeld empor, er machte seine Augen weit auf und nickte.
So sang ich denn guten Muthes: Es blüht in unserem Garten, eine wilde Rose allein, und dann: Bei Straßburg auf der Schanze, wofür ich vielen Beifall erhielt.
Volkslieder, wundervoll! schnarrte der junge Herr, sie müssen aber auch so vorgetragen werden. Gnädigste Frau haben einen unvergleichlichen Vortrag. Bitte mehr; es liegt unendliche Poesie darin. Rinaldo Rinaldini zum Beispiel, In des Waldes tiefsten Gründen. Süperb!
Oder auch: Es flog ein Gänserich über den Rhein, sagte Birkfeld, indem er mir die Hand küßte, sich zu mir setzte und ein Gespräch begann, bei welchem nach und nach sich die Anderen wieder entfernten.
Ich hätte nie geglaubt, Sie hier zu finden, lieber guter Birkfeld, rief ich aus, am wenigsten aber hätte ich geglaubt, daß Sie mit dem Ministerpräsidenten so gut bekannt sind.
Von der Universität her, war seine Antwort. Wir sehen uns zuweilen; heut traf ich ihn ganz zufällig und er hielt mich fest.
Sie sprachen von mir, fiel ich lachend ein.
Er kniff die Augen zu.
Ihre Unterhaltung hat ihm viel Vergnügen gewährt, sagte er.
Meint er es im Ernst? fragte ich.
Im vollen Ernst. Ein frischer Tropfen auf heißen, dunstigen Boden ist immer eine Erquickung.
Aber im nächsten Augenblick ist er heiß und dunstig wie zuvor.
Mehr dürfen Sie nicht fordern, lachte Birkfeld. Was wollen Sie denn von diesen Menschen? Glauben Sie – er hielt inne und machte wieder seine Augen weit auf – glauben Sie, daß diese da mehr wollen, als die Minute und die Oberfläche?
Das glaube ich allerdings.
Ach, ja – sie wollen sich – aber wie? Meine liebe Mathilde, es geht uns noch schlimmer als dem alten Diogenes, der Menschen suchte; wir müssen uns vor denen zumeist in Acht nehmen, die den Göttern am ähnlichsten sehen.
Ich verstehe, sagte ich: vor den irdischen Göttern und ihrem Egoismus, aber was habe ich damit zu schaffen? Ich hindere und beneide kein Wesen in der Welt.
Birkfeld sah mich freundlich an. Der Egoismus, sagte er, hat wie der Löwe seine edlen und großmüthigen Stunden, aber im raffinirten Zustande, wo er zur Intrigue wird, verschlingt er, wie ein Tiger, Alles, was ihm in den Weg kommt.
Edle Naturen hassen die Intrigue, habe ich mir erzählen lassen, erwiederte ich.
Sie haben Recht, antwortete er, die Intrigue ist immer gemein.
Und hier, sagte ich mich umschauend, in diesem Sitze der Grazien und des feinsten Geschmackes –
Birkfeld schwieg und legte den Finger auf feine Lippen –
Neulich, fuhr er dann fort, habe ich mich sonderbar getäuscht. Ich sah einen Riesen, der mich zittern machte; als ich näher kam, war es nichts als ein hohler Weidenbaum. Ist es Ihnen noch nie so gegangen? Man muß genau zusehen und ganz in der Nähe, wenn man nicht in seltsame Irrthümer fallen will.
Ich dachte einen Augenblick nach und schüttelte den Kopf. Sie machen mich bedenklich und ängstlich, erwiederte ich leise.
Um's Himmelswillen, nein! rief er. Wovor sollten Sie sich fürchten?
Daß ich wie ein Blinder umhertappe.
Sie werden sehen lernen, theure Mathilde. Gehen Sie nur gerade aus, je gerader, je besser. Ihre schöne Natur ist ganz dazu gemacht, in allen Irrwegen sich zurechtzufinden, das Schickliche und Rechte fühlt der weibliche Instinkt von selbst.
Wollen Sie mich verlassen? fragte ich. als er aufstand.
Es wird soupirt, erwiederte er, und ich bin genügsam. Gehen Sie, liebe Freundin, seien Sie heiter, plaudern Sie fröhlich aus, was Sie denken, und lassen Sie sich gut unterhalten. Es wird an liebenswürdigen Rittern nicht fehlen.
Er führte mich in den Saal, wo ich bald in einem Damenkreise war, der über Moden und Theater allerlei und nichts zu Tage förderte; als ich aufblickte, war Birkfeld fort. Der junge Geheimrath aus dem Kabinette führte mich zu Tisch; ich lachte viel über ganz Unbedeutendes, denn immer fiel mir der fliegende Gänserich ein, und als ich merkte, daß er Luft hatte Malicen zu üben, fand ich, daß es mir selbst an Spottlust nicht fehlte. Ich glaube, er bekam einigen Respect vor mir, denn er wurde ernsthafter und wußte nicht recht, woran er war.
Das Souper war vortrefflich, die Schüsseln brachten Kennerblicke und zärtliche Ausrufungen hervor. Ich habe so viel Veilcheneis gegessen, daß ich eine Magenerkältung fürchtete.
Als wir aufstanden, kam Arnold zu mir.
Nun, sagte er sehr freundlich gestimmt, Du hast Dich gut unterhalten?
Vortrefflich, erwiederte ich. Ich habe Dich gar nicht vermißt.
Das beste Compliment, was Du mir sagen kannst, flüsterte er lachend. Der Geheimrath ist eine wichtige Person; es wäre mir lieb, wenn er Besuch machte. Laß uns jetzt nach Haus.
Aber die Gräfin hielt uns fest. Zunächst ging sie mit Arnold durch die Zimmer auf und ab, dann saß ich mit ihr und einer großen Anzahl Damen am Kamine. Die Unterhaltung drehte sich um den morgenden Sonntag, um Sonntagsfeier und Kirchenbesuch.
Himmel, wie sprachen sie! Jede hatte ihren Lieblingsprediger. Ich mußte etwas kleinlaut gestehen, daß ich bisher sehr wenig die Kirchen besucht hatte. Nicht aus Gottlosigkeit, aber ich war nicht daran gewöhnt, es hatte mich Niemand darauf hingewiesen, und Arnold, der gegen Religion vollkommen indifferent war, hatte mich mit meinen frommen Anfällen, wie er es betitelte, öfter aufgezogen.
Ich komme morgen zu Ihnen, sagte die Gräfin, als ich mit möglichster Unbefangenheit mich erklärt hatte, und will Sie zu Kreuzmann mitnehmen. Sie müssen ihn hören und werden ihn hören. Sie haben Phantasie, eine feurige, empfängliche Seele; das ist der Boden, auf welchem gute Saat gedeiht.
Und der herrliche Chor, rief meine Nachbarin von der anderen Seite, der wundervolle Gesang.
Es wird gesungen? fragte ich lebhaft.
Reizend, fiel eine Dritte ein. Die Kirche ist stets überfüllt.
Die Gräfin warf ihre ernsten Augen auf die Sprecherin und ihre Lippen zuckten leise; ich konnte mir denken, was es bedeutete. Plötzlich aber schlug die große Pendule auf dem Kamin Mitternacht, und ohne ein Wort zu sagen, machte sie uns Allen eine tiefe Verbeugung und erlaubte uns aufzubrechen.
Als wir im Wagen saßen, legte mich Arnold in seinen Arm. –
Nun, fragte er, was hat den stärksten Eindruck auf Dich gemacht? Ist nicht alles bewundernswürdig, womit sie sich umgiebt? Wie viel Feinheit, wie viel Grazie! Alles in der höchsten Vollendung; auserwählt, wer den Fuß über diese Schwellen setzt.
Ich lachte im Stillen, weil ich an Birkfeld dachte, aber ich mochte nicht sagen, daß ich ihn gesehen hatte.
Du hast gespielt? fragte ich.
Und gewonnen, rief er. Kaufe Dir morgen einen neuen Shawl, Mathilde, und schicke mir die Rechnung.
Morgen gehe ich in die Kirche, sündiger Mensch, erwiederte ich. Ich will Dein Geld in den Opferstock legen.
Ja so, sagte er gähnend, morgen ist Sonntag. Ich werde Dich begleiten.
Du? Welche Bekehrung! Aber ich habe meine Begleitung, die Gräfin. Sie kommt zu mir.
Zu Dir! Das ist eine hohe Auszeichnung, Mathilde. Der Beweis, daß sie sich Dir nähern will, denn sie geht selten, und nur zu den bedeutendsten Personen.
Um so größer die Ehre, fiel ich ein, wenn sie zu meiner unbedeutenden Person sich herabläßt.
Nein, nein, rief er lachend, ich sagte Dir schon, sie hält Dich für bedeutender und glaubt an Deinen Verstand, wie an Deinen Willen.
Ich dachte an das Billet und schwieg. Nach einem Weilchen theilte ich ihm den Auftrag des Ministerpräsidenten mit, der ihn sehr zu freuen schien. Er äußerte sich lebhaft; ich mußte ihm erzählen, was der Minister mit mir gesprochen; ich that es etwas unvollkommen, aber seine Stimmung wurde dadurch noch mehr erhöht. –
Das ist ja allerliebst, rief er. Deine Naivetät hat nach allen Seiten hin Wunder gethan. – Gott ist mächtig im Schwachen, Du muthwilliges Kind; wahrhaftig, es fehlt Dir nur an Formen, und darauf wird die Gräfin meisterhaft wirken. Du hast lebhafte Empfindungen, hast Beobachtungsgabe, es muß nur Alles geweckt und geregelt werden. Vergiß nie, meine süße Mathilde, daß Du repräsentiren sollst, und eine glänzende Zukunft Dich erwartet, wo jede Bewegung berechnet sein will.
So kamen wir nach Haus. –
Zeitungen lesen, politisch werden, geistreich werden, und nun obenein auch fromm – das ist zu viel für mich. Ich halt's nicht aus. –
Gestern habe ich einen üblen Tag erlebt; mir war es zu Muthe, wie es in der Offenbarung Johannis steht, die Geschichte vom Honigkuchen. Ich hatte davon gegessen, und sie schmeckten süß, aber hinterher kam das Leibgrimmen.
Die Gräfin holte mich in ihrem Wagen ab, wir fuhren zur Kirche, wo sie zwei Sitze hat. Die ganze Versammlung machte auf mich den Eindruck, als sei sie eine Fortsetzung des gestrigen Salons; rund umher sah ich curfähige Personen, überall las ich auf den Schildern der Plätze die berühmtesten Namen. – Da waren Minister und Ministerinnen, die allerhöchsten Staatswürden, der höchste Adel und die einflußreichsten Männer. Sie nickten sich zu, sprachen leise, lächelten mit dem feinsten Anstande und hielten dabei die Gesangbücher mit den kostbarsten Einbänden in der Hand. Ich war in der nobelsten Gesellschaft, das läßt sich nicht läugnen, die hier ganz unter sich zu sein schien, um dem lieben Gott, dem Vater aller Wesen, ihre Ergebenheit zu betheuern. –
Das Erscheinen der Gräfin erregte Aufmerksamkeit, eben so wie im Salon. Man musterte sie und musterte mich, die ich Vielen unbekannt sein mochte, da ich bisher mich zurückgezogen hatte. Die Brankau ging mit leisem Kopfneigen bis zu ihrem Sitze, legte ihr Buch auf das kleine Brett und kniete auf den Fußschemel nieder, indem sie, den Kopf tief geneigt, betete, gerade wie es bei den Katholiken üblich ist. Ich saß unbeweglich daneben, weil ich mich nicht überwinden konnte, ihrem Beispiele zu folgen; aber es war mir etwas unheimlich zu Muthe, als ich bemerkte, daß es alle Anderen eben so machten, wie sie. Einige junge Damen, die ich auf dem Ball bei dem Gesandten gesehen hatte, und denen ich nichts weniger als große Frömmigkeit zutraute, schienen die eifrigsten Beterinnen zu sein. –
Als die Gräfin sich wieder erhob, kamen verschiedene ihrer Freunde näher, um ein paar Worte mit ihr zu flüstern, und wie ich hörte, waren es allerhand sehr weltliche Neuigkeiten, von denen die Rede war. Es wurde von einem Hofconcert gesprochen, das in den nächsten Tagen stattfinden solle, und bei dieser Gelegenheit, flüsterte der Herr, welcher davon erzählte, wird wahrscheinlich die Aenderung mit der Intendantur der Theater zur Reife gelangen.
Das ist mir sehr interessant, erwiederte die Gräfin; vielleicht läßt sich noch etwas dabei thun; wir wollen darüber nachdenken.
Theaterintriguen, sagte ich lächelnd zu mir selbst, indem ich das leise Gesumm der Stimmen um mich her verfolgte, und die Gesichter betrachtete. Es belustigte mich zu denken, was hier wohl alles abgehandelt werden möge, und wie viele dieser Andächtigen auf Petris Wage am Himmelsthor zu leicht gefunden würden; plötzlich aber schrak ich zusammen, als ich umblickte und an dem Pfeiler dicht hinter mir Birkfeld stehen sah. Er begrüßte mich und beugte sich zu mir nieder.
Wie kommt Saul unter die Propheten? fragte ich lächelnd.
Ich habe ein historisches Interesse an dieser Versammlung, erwiederte er. Ein andermal davon, jetzt etwas Neues. Nordstern wird nicht Gesandter, man hat –
Die Gräfin wandte sich nach uns um, einer ihrer durchdringenden Blicke traf Birkfeld, der sie begrüßte, einige Worte mit ihr wechselte und sich zurückzog, denn in demselben Augenblick begann das Orgelspiel und der Anfang des Gottesdienstes.
Ich war in so lebhafter Unruhe, daß ich alle Sammlung verloren hatte. Der treffliche Chorgesang ging spurlos an mir vorüber, ich hätte aufstehen und mit Birkfeld hinausgehen mögen. Der Boden brannte unter mir, ich wandte mich so oft um und rückte hin und her, daß die Brankau endlich die Hand auf meinen Arm legte, und mit ihrem sardonischen Lächeln sagte:
Von welcher Seite kommt der Zugwind, der Sie so unangenehm belästigt?
Ich erröthete und bezwang mich, als ich nach einiger Zeit aber doch wieder umblickte, hatte sich Birkfeld entfernt.
So saß ich denn still, aber ich hörte nicht viel von dem Prediger, der zu den besten Kanzelrednern gezählt wird. Seine mächtige Stimme durchdrang aber doch zuletzt die Kreise der Vorstellungen, welche meinen Kopf füllten. Es war sehr seltsam, daß er in dieser Versammlung, welche aus den mächtigsten und höchsten Personen bestand, mit dem lebendigsten Eifer und in eindringlichster Sprache gegen die hochmüthigen Trennungen und den eitlen Tand des Lebens und der Menschen eiferte. – Er malte den breiten Weg der Ueppigkeit und die schmale Pforte der Tugend, er sprach mit flammenden Worten über die harten Seelen, welche den verlassenen Bruder von ihrer Thür stießen und für den Verschmachtenden keinen Trunk hätten. Er sprach die himmlische Lehre der Gleichheit im heiligen Tone der Ueberzeugung aus, und seine erschütternde Beredsamkeit machte viele Augen feucht, so auch die meinen. –
Ich hörte andächtig zu, was er von der Liebe und Treue guter Menschen und von ihrem Wandel sagte, damit das Reich Gottes auf Erden komme. Ich dachte dabei an Arnold, und heiße Freude füllte mein Herz. Wenn er nicht Gesandter wurde, wenn sie ihm mit Undank lohnten, wenn sein Stolz erwachte, er alle diese Trugbilder seines Ehrgeizes abwürfe, wie eine Sonne, die alle Nebel durchbricht, und wenn ich wieder mit ihm in meinem lieben Schloßberg dann wohnte, o! mit wie vieler Liebe und Treue wollte ich ihn umringen! –
Ich wünschte, Arnold wäre zugegen und könnte diese ergreifende Strafpredigt gegen Schwelgerei, unnatürliche Entartung, Sinnenkitzel des Reichthums und Ehrgeizes, diesen Lobgesang auf ein schönes, stilles, dem Wohlthun und der Bruderliebe geweihtes Dasein hören. – Ich war so voll von freudigen Hoffnungen, so träumerisch ergriffen, daß ich aufzustehen vergaß, als der Segen ertheilt wurde, so daß die Brankau mich anstoßen mußte, und rund umher mir sehr mißbilligende Blicke zu Theil wurden. Aber ich war frommer und meine Seele gotterfüllter, als die, welche nachher mit allerlei trivialen Bemerkungen bewiesen, wie wenig sie empfanden. –
Der herrliche Mann, seufzte die Eine, wie versteht er es, alle Gefühle aufzuregen. –
Was sagen Sie nun, rief eine Andere, heut war es noch viel erschütternder, wie am vorigen Sonntage. –
Ich darf ihn nicht oft hören, lispelte eine Dritte, meine Nerven leiden zu sehr. –
Ich fuhr mit der Gräfin nach Haus; sie machte mir einige leise Vorwürfe über meine Zerstreutheit, aber, fügte sie hinzu, ich glaube dennoch, daß der Eindruck, den Sie empfingen, ein bedeutsamer war.
Gewiß! rief ich aus, wie könnte es auch anders sein. Die erhabenen Lehren, welche ich aussprechen hörte, fanden ein empfängliches Herz bei mir. – Mitleid und Liebe sind die Genien des Menschenlebens. Ich hoffe, diese kräftigen Ermahnungen zum Guten werden bei dem Eindruck, den sie machten, manchen guten Vorsatz erweckt haben.
Moral, wenn sie gut und eindringlich vorgetragen wird, erwiederte die Gräfin lächelnd, und von einem klingenden Organe, rhetorischem Schwung und poetischer Begabung unterstützt ist, kann niemals den Eindruck verfehlen.
Ich sah sie verwundert an, sie bemerkte es, und das Lächeln verschwand. –
Wir müssen uns nicht mißverstehen, fuhr sie fort. Niemand kann inniger wünschen, daß die erhabenen Lehren unserer Kirche kalte und erstarrte Herzen rühren und erwärmen mögen, doch dies kann nur geschehen, wenn die Nüchternheit des gewöhnlichen Gottesdienstes eine höhere künstlerische Weihe empfängt. Gesang, Bilder, Schmuck und die Macht ausgezeichneter Redner müssen vereinigt wirken, um den Geschmack an Religion zu wecken.
Den Geschmack an Religion? rief ich.
Das kommt Ihnen seltsam vor, und doch ist es so, war ihre Antwort. Die Religion ist bei uns ein lang vernachlässigter Boden, um den sich Niemand gekümmert hat. Gleichgültigkeit gegen diese dürre Haide hat die Menschen ergriffen; sie haben das Glauben und Beten den alten Frauen und Kindern überlassen, während es seit einem Jahrhundert beinahe als ein Zeichen der Bildung und der höheren Begabung galt, den Freigeist zu spielen, zu höhnen und zu zersetzen.
Die Philosophen werden jetzt von allen Seiten angeklagt, fiel ich ein, denn ich erinnerte mich an Birkfeld, der das öfter gesagt hatte.
Und mit Recht, erwiederte sie. Die sogenannte Bewegung der Geister ist die furchtbare Folge der Gottesleugnung, die alle jene Abgründe aufgerissen hat, aus welchen Mord und Schande, Gewalt und Untreue aufwuchern. Das Kläglichste aber ist, daß das Verderben von oben kam, daß eine entsetzliche Blindheit selbst die Fürsten und die Großen mächtiger Reiche befiel, um an ihrem eigenen Untergange zu arbeiten. Sie förderten das, was sie Aufklärung nannten, und riefen den Gedanken zum Richter und Rächer auf. – Dem Himmel Preis! daß wir über diese Zeit fort sind, daß die höheren Klassen endlich einsehen lernen, wie von ihnen der Stoß ausging, der Verderben über die Völker brachte, und wie von ihnen auch die Heilung kommen müsse.
Es ist wahr, sagte ich nachdenkend, in den hohen Kreisen der Gesellschaft ist häufig genug wenig religiöser Sinn zu finden.
Darum, theure Freundin, antwortete die Gräfin, meine Hand drückend, müssen wir den erstorbenen Sinn aufwecken, mit unserem Glauben den Glauben des Volks beleben, unser Beispiel leuchtend voranstellen. – Sie verstehen, was sich damit in langer Kette verknüpft? fügte sie fein lächelnd hinzu.
Ich verstehe, erwiederte ich. Es ist die herrlichste, die schönste Aufgabe, voranzugehen in frommer Liebe und Erbarmen, Segen in die Hütten zu bringen, das edle Band brüderlicher Vereinigung um leidende Menschen zu schlingen, hülfreich, wie Gottes Engel, allen Mühseligen und Beladenen nahe zu sein.
Meine Augen hoben sich glänzend auf, sie schloß mich in ihre Arme. Sie sind eine kleine Schwärmerin, sagte sie, aber Schwärmerei gehört dazu, und Sie haben Recht. Unsere Vereine wollen nicht allein den Gläubigen den Himmel öffnen, sie wollen auch ihr irdisches Loos bessern und ihre Treue belohnen. – Sie schließen sich uns an, theure Mathilde?
Von ganzem Herzen, sagte ich. Ich will getreulich helfen, wie ich kann.
Wie gut Sie sind, rief sie aus. Wie tief rührt mich diese schuldlose Güte. Darf ich Ihre Freundin sein?
Ich weiß nicht, ob ich es sein darf, antwortete ich. Ob ich ein Recht dazu habe, fügte ich hinzu, als sie ihre Augen forschend auf mein Gesicht richtete.
Und wo suchen Sie das Unrecht? fragte sie lächelnd.
In meiner Unerfahrenheit, erwiederte ich. Sie stehen auf der Höhe des Lebens, Sie beherrschen es, Ihnen ist Alles klar; Ihr Geist durchdringt und fesselt die Verhältnisse. Ich bin in Dunkelheit und Stille geboren und erzogen worden, habe nie viel nachgedacht, mich immer den Eindrücken hingegeben, und jetzt – jetzt, bin ich in eine fremde Welt gerathen, die mich oft hart berührt. Seien Sie meine Beschützerin.
Sie hielt meine Hand noch fest, ihre Blicke ruhten auf mir mit einem Ausdruck von Mitleid und Zweifel, dann sagte sie:
Es ist etwas in Ihren Zügen, Mathilde, was Ihren Worten widerspricht. Wer so klare schöne Augen hat, wie Sie, und so viel natürlichen Verstand besitzt, wird schnell das Leben begreifen lernen. – Wollen Sie sich meiner Leitung anvertrauen?
Gern und willig, theure Gräfin. Ich fürchte nur –
Was? fragte sie.
Daß ich eine schlechtbefähigte Schülerin sein werde.
Ich dagegen fürchte, war ihre Antwort, die sie mit einem reizenden, geheimnißvollen Lächeln begleitete, daß der Schüler den Meister übertreffen wird. – Wie stehen Sie mit Nordstern? fuhr sie nach einer kleinen Weile fort. Ich will meinen Unterricht damit beginnen.
Sie wissen, sagte ich, daß unsere Heirath eine Neigungsheirath war, die alle Hindernisse beseitigte. Ich liebe und ehre ihn ohne Aufhören und ohne Abnahme.
Und er? – Sie dürfen nicht erröthen, Mathilde; hoffentlich sind Sie fern von der albernsten aller Leidenschaften, der Eifersucht.
Ich denke, Arnold hat mir zu dieser Erkenntniß noch niemals Gelegenheit gegeben.
Er ist zärtlich und gefällig? fragte sie den Kopf neigend.
Er würde es sicher noch mehr sein, wenn er mehr um mich sein könnte, erwiederte ich.
Ihr Glaube beruht demnach mehr auf Vertrauen, wie ich sehe.
Worauf könnte er sonst beruhen? rief ich verwundert.
Auf Lebensweisheit, sagte sie lächelnd. – Vertrauen, theure Mathilde, ist ein Schiff, das, mag es auch von Eisen gebaut sein, eines Tages plötzlich mitten durchbrechen kann, und ein solcher Schiffbruch ist furchtbar. – Man muß von Männern nie mehr verlangen, als was sie halten können, und je weiter auf der Höhe des Lebens, desto umsichtiger muß man die Grundpfeiler seines eigenen Glücks aufbauen.
Ich kann mir nicht denken, antwortete ich, daß ich von Arnold je etwas Anderes verlangen und Anderes ihm bieten könnte –
Als zwei Herzen und einen Schlag, unterbrach sie mich, sich in die Ecke zurücklehnend. – Liebe Freundin, da ist Ihre Wohnung; ich habe nur noch einige Minuten, die ich zu einer Fundamentallehre Ihrer Zukunft verwenden will. – Im beschränkten Naturzustande des Lebens, fern von allen Lockungen und Versuchungen, mögen Liebe und Ehe Arm in Arm einträchtig wandeln und alt werden, um sich das schöne Märchen von Philemon und Baucis zu erzählen. Vertrauen mag sich nie täuschen, Gebote und Schwüre jede Sicherheit gewähren, doch in den verfeinerten Sphären einer höheren Entwickelung kann damit unsere Ruhe sich nicht begnügen.
Was dann? Womit dann? rief ich aus.
Wie Sie erschrocken aussehen, lachte die Gräfin. Armes Kind, ich wollte keine Schlange aufwecken, wenigstens keine ohne Oelblatt. Ich will das allergewöhnlichste, deutlichste Gleichniß gebrauchen: Männer sind Schmetterlinge, sie flattern von Blume zu Blume. Wollten wir das wehren, welche grausamen Qualen müßten uns verzehren. Wir dürfen es nicht, ohne Gefahr, Alles zu verlieren.
Ist es möglich, dabei ruhig zuzusehen? fragte ich. Kann Liebe gleichgültig sein?
Nein, sagte sie, die Liebe bleibt nur ohne Ungestüm und Selbstsucht dieselbe. Sie wartet und sichert sich die Rückkehr.
Und verkümmert in ihren einsamen Schmerzen.
Das ist nicht nöthig, oft nicht einmal räthlich, meist unerwünscht und immer thöricht, rief sie, als der Wagen hielt. – Wann sehe ich Sie, Mathilde? Wollen Sie morgen bei mir speisen? Wir sind allein.
Ich gab eine ungewisse Antwort.
Sie wollen nichts ohne Erlaubniß thun, sagte sie lächelnd. – Aber es ist besser, wenn wir uns, so früh wie möglich, auf den Fuß der Gleichberechtigung setzen, und die Annäherung an uns durch das Gefühl der Selbstständigkeit erzwingen. Ich werde Sie erwarten. Auf Wiedersehen!
Als ich in's Zimmer trat, fand ich Arnold zu meiner Verwunderung darin. Er saß in einer Sophaecke und hielt den Kopf in der Hand. Mit einem Blick sah ich, daß er in übelster Laune war. Seine Stirn war roth, seine Lippen eingeklemmt, seine Augen rollten finster und schlugen heftig zu mir auf, als er mich erblickte, um sogleich sie wieder abzuwenden.
So ist es wahr, sagte ich erregt. Sie haben dich getäuscht – deine Hoffnungen sind fehlgeschlagen.
Wer sagt das? rief er mit großer Heftigkeit.
Birkfeld, plagte ich heraus; allein ich bereute im Augenblick meine Unvorsichtigkeit, als ich seine zornentstellten Züge sah.
Er sprang von dem Sopha empor und stampfte den Boden. –
Der, schrie er, – der weiß es! – Woher? Welcher Teufel hat ihm die Nachricht gebracht? Doch seine schurkischen Hände sind selbst dabei thätig. – Und wo hast Du ihn gesehen?
Er war in der Kirche, antwortete ich erschrocken über diese Heftigkeit.
Ah, in der Kirche. –
Er blickte mich mit geöffneten Augen an, und über seine Lippen lief ein sonderbares Lächeln. –
Also verabredet – gestern – Du machst Fortschritte.
Ich verstehe Dich nicht, sagte ich, aber ich verstand ihn sehr gut. Ein Gefühl der Freude über seinen Verdacht und doch zugleich ein Gefühl des Unwillens kamen zugleich in mein Herz.
Was will denn dieser Mensch? schrie er hart und laut. Was hat er sich um mich zu kümmern, und was sucht er Dich auf?
Er hat nur wenige Worte mit mir gesprochen.
Und diese Worte um mich zu verhöhnen.
Er hat Dich niemals verhöhnt, Arnold.
Vertheidige ihn nicht, rief er. Du bist kindisch genug, dies auch jetzt noch zu wagen.
Ich wußte nicht, daß ich dabei etwas wagte, und begreife eben so wenig, was Dich berechtigt, mich kindisch zu nennen.
Er blieb stehen, und wie schon öfter, schien er mich mit den zornigen Falten seiner Stirn einschüchtern zu wollen.
Du hast Dich gestern kindisch benommen, wahrhaft kindisch, sagte er, und Dein Freund Birkfeld hat Dich dabei unterstützt.
Der Beweis? antwortete ich ruhig.
Du hast erst dem Fürsten, dann dem Ministerpräsidenten Dinge gesagt, die sich nicht passen, die man nur etwa einer Gurli zu Gute halten kann, einem Naturkinde, das man als ein halbnärrisches Wunderthier in der Gesellschaft duldet, wie früher Hofnarren geduldet wurden; dann aber hast Du Dich complett lächerlich gemacht, als Du mit Deiner miserablen Fertigkeit Dich an das Instrument setztest, wo allein die ersten Künstler geduldet werden. Um aber das Maß ganz voll zu machen, hast Du auch gesungen.
Mein Gott, Arnold! rief ich erstaunt, ich dachte, Du wüßtest das Alles? Du bist ja dabei gewesen. Eben deswegen habe ich kein Wort davon zu Dir gesprochen.
Ich war im Spielzimmer und habe wirre Töne gehört, mir aber nicht im Traume einbilden können, daß Du deren Urheberin seiest. Aus Mitleid hat Niemand davon mich in Kenntniß gesetzt.
Du bist im Zorn, sagte ich, das thut mir leid, aber Du bist ungerecht, denn mir wurde Beifall von Vielen gespendet.
Und den nahmst Du für Wahrheit, lachte er hohnvoll auf. Das ist es ja, was ich sage. Das ist Deine kindische Natur, die nicht hinter den dünnsten Schleier zu sehen vermag, und sich von Jedem, was er will, aufbinden läßt.
Das war denn doch wieder zu viel. Mein Stolz trat mir ins Blut, ich hob den Kopf hoch auf und sagte rasch:
Nimm Dich in Acht, mir wehe zu thun, wenn ich nicht glauben soll, Du thust es absichtlich. Du irrst, wenn Du meinst, meine Augen seien so blöde. Ich kann das Wahre vom Falschen sehr wohl unterscheiden, wie leichtgläubig ich auch sonst sein mag.
Ich machte die Bemerkung, daß meine ernste Antwort, die von meiner gewöhnlichen bittenden Nachgiebigkeit abwich, ihre Wirkung auf Arnold nicht verfehlte. Er sah sein Unrecht ein, besann sich, ging auf und nieder, und sagte dann lächelnd:
Ich zweifle nicht, Mathilde, daß Dir die Schlauheit Deines Geschlechtes nicht fehlt, aber gestehe zu, daß es mir nicht gleichgültig sein kann, Dich bewitzeln oder bespötteln zu hören.
Wer durfte das in Deiner Gegenwart thun?
Ah! Du rufst meine männliche Ehre heraus, fuhr er scherzend fort, und Du wirst mir zutrauen, daß ich Dich zu vertheidigen weiß. Aber ich habe den Kopf so voll von Aerger und Mißgeschick, daß kleinliche Stiche in die Fersen mir kaum den Muth geben, die Fliegen fortzujagen. Ja, wahrhaftig, es ist nöthig, ihnen lieber Honig vorzusetzen, und sie damit zu füttern. –
Er sah mich versöhnt und freundlich an; ich hatte Alles vergessen.
Bist Du nicht mehr böse? fragte ich, als er die Hand ausstreckte.
Nein, Du Närrchen, im Grunde ist es Nichts, Deine Naivetät ist pikant, aber Du mußt über Dich wachen. Der Ministerpräsident hat diese Natürlichkeit allerliebst gefunden; ob es immer der Fall sein würde, ist eine andere Frage. – Wir lassen uns von solcher Art Frauen viel gefallen, aber wir behandeln sie auch anders. Die feine, gewandte Dame zieht einen magischen Kreis der Verehrung um sich, die natürliche Derbheit, welche eigentlich sehr unnatürlich ist, belustigt uns und fordert zu ähnlichen Derbheiten heraus. Eine Zeit lang mag das gehen, später wird es lästig, und der Sonderling kann wohl Aufsehen machen, aber man weist mit den Fingern auf ihn.
Das wirst Du nie an mir erleben, sagte ich erröthend.
Ich hoffe es auch nicht, antwortete er; es ist nur eine Lehre, die ich Dir gebe. Singe nicht mehr, beobachte, ehe Du sprichst, sprich nicht aus, was Du denkst, lerne die Verhältnisse berücksichtigen, lerne Formen, denn ohne Form ist der edelste Inhalt verkrüppelt, lerne schweigen, liebe Mathilde, und lerne Dich verstellen. Man muß keinem Menschen ganz vertrauen.
Keinem, Arnold? Auch Dir nicht? rief ich wehmüthig.
O! mir – mir! Wer sagt das? erwiederte er, von meiner Anwendung getroffen. – Wir sind Verbündete auf ewig, da darf kein Schatten sein. Mögen mich Menschen und Götter auf die höchsten Stufen der Macht rufen, Du wirst mir treu bleiben.
Im gläubigen Vertrauen, in glaubensvoller Liebe, mein Arnold, sagte ich.
Das weiß ich, sagte er zuversichtlich lachend. Du bist mein gutes Kind und sollst mein guter Kamerad sein, als Frau Gesandtin oder Frau Ministerin, wie es kommt.
Aber es wird nicht so kommen. Du sagtest ja selbst, daß Deine Aussichten –
Für den Augenblick übel stehen, fiel er ein, aber – sei sicher – es scheint nur so, nur für den Augenblick. Der Ministerpräsident gab mir heut die Medicin im goldenen Löffel. Seine höchste Achtung, der Dank der Regierung, mein Muth und meine Talente, die ungünstigen Umstände, die Rücksichten auf unüberwindliche Schwierigkeiten, und die Ueberzeugung, daß diese sehr bald sich beseitigen lassen würden, wurden zu dem Pulver zusammengerührt, das ich ohne Zucken hinunterschluckte.
Er hat Dich gestern so sehr gerühmt, sagte ich, daß ich sein Bedauern sehr gut begreife. Birkfeld sprach mit ihm.
Wann? fragte er aufmerksam. – Bei der Gräfin hat er sich eingeschlichen, aber ich werde ihn austreiben. Wann sprach er mit dem Premier? Ehe er zu Dir kam, um dem Geheimrath Neumark Sottisen zu sagen?
Er sprach mit ihm, während ich spielte.
Lange?
Ich glaube wohl. Ich sah, daß der Ministerpräsident vertraulich seine Hand auf Birkfeld's Arm gelegt hatte und in sein Ohr flüsterte.
Es ist kein Zweifel, rief Arnold die Zähne zusammenbeißend, er hat ihm die Hölle heiß gemacht, hat mit der öffentlichen Stimme, mit dem Schrecken der bleichen Gesichter, mit allen alten Weibern gedroht.
Wie kannst Du das denken, sagte ich beruhigend. Und wenn Du selbst Birkfeld Böses zutraust, der Minister –
Er mag mich nicht, ich weiß es, aber er soll mich haben! fiel er heftig ein. Er fürchtet, wie alle Halbheiten, die Energie. Er möchte Alles, er klammert sich fest, er geht mit, wenn es nicht anders ist, allein er möchte die Palme des Vermittlers nicht verlieren, kein Extremer sein, die gute Meinung der Schwachköpfe retten.
In dieser Weise sprach er noch eine Zeit lang fort, als wäre er allein und seinen Gedanken überlassen, dann hörte er plötzlich auf und wandte sich zu mir. –
Wir werden morgen einen Gast haben, sagte er. Neumark wird bei uns essen.
Ich erinnerte mich meines Tischnachbars mit Widerwillen. Ich habe eine Einladung bei der Brankau angenommen, erwiederte ich.
Schreib' es ihr ab, forderte er.
Ich schüttelte den Kopf.
Lade ihn ein andermal ein, oder entschuldige mich.
Er unterdrückte sichtlich seine Heftigkeit.
Wieder eine Lehre, mein Kind, sprach er, mich umfassend, die Du annehmen mußt. Du darfst Dich nicht entschuldigen, wenn ich Dich bitte, es nicht zu thun, und mußt mich unterstützen, wo es sich um eine wichtige, für mich wichtige Angelegenheit handelt. Die Brankau würde mir nicht so geantwortet haben; sie hätte auf der Stelle verstanden, was diese Einladung bedeutet, und was sich daran knüpft. Du merkst es nicht.
In der That, nein.
Siehst Du wohl, fuhr er schmeichelnd fort, aber gut, ich will es Dir sagen. Neumark ist von großem Einfluß, und wenn ich ihn speciell für mich gewinnen kann, ist der Nutzen unberechenbar.
Ich kann nicht denken, daß dieser Mann so großen Einfluß hat, rief ich lachend.
Er ist eitel, er glaubt ein großer Gelehrter zu sein, er ist stolz auf seinen Witz, auf seine Erfolge bei Damen, die ihn durch Schmeicheleien verwöhnt haben. Das sind Schwächen, aber er ist auch ein Mann von Geist und Kenntnissen, und er steht in Verhältnissen, die ihm erlauben, mächtig für seine Freunde zu wirken.
Und ich? fragte ich, – ich soll Dir helfen? – Was soll ich thun?
Bah! rief er, Du wirst Deine Rolle jetzt leicht finden. – Er hat Dir nicht gefallen, nicht wahr?
Aufrichtig nein.
Um so besser. Er ist es gewesen, der über Deinen Gesang und Deine ländliche Unbefangenheit spöttelte, aber sie doch ungemein anziehend und prachtvoll nannte. Strafe ihn dafür, nimm ihn gefangen, reiße ihn zur Bewunderung hin. Ich sage Dir zu, er ist eitel, er wird sich in seiner ganzen Liebenswürdigkeit entwickeln.
Ich soll also mit ihm Komödie spielen? fragte ich belustigt.
Wer von euch könnte das nicht, rief er aus, wenn es darauf ankommt, eure Kunst zu beweisen?! Es ist ja auch ein Scherz, ein Spiel, und bin ich nicht ein gefälliger Eheherr? Ich gebe Dir die Erlaubniß, ihn zu fesseln, und will keine Miene verziehen, wenn er Deine kleine weiße Hand küßt, Dir süße Worte sagt; ja selbst, wenn er seufzt, will ich lachen.
Das wagst Du? antwortete ich schmollend und spottend.
Weil ich es darf, sagte er, übermüthig mich betrachtend, weil ich Deiner gewiß bin.
Heut Nachmittag kam die Tante Sturm. – Es ist sehr drollig, daß Arnold nicht eine Viertelstunde mit ihr beisammen sein kann, ohne Zank anzufangen, offenbar zu seinem größten Ergötzen, denn er weiß recht gut, daß sie niemals seine besondere Freundin war, und bei ihrer Kampflust und ihrem polternden Wesen auch sofort bereit ist, ihm, was sie Stiche nennt, zu versetzen. Die Tante Sturm ist aber doch herzensgut, und ich glaube, sie hat ihn bei alledem lieb, wäre es auch nur, weil er mich lieb hat, oder noch besser, weil ich ihn so lieb habe.
Heut kam sie mit einer feierlichen Miene und sah schon an der Thür höchst feindselig aus. Ich lief ihr entgegen, Arnold saß bei mir auf dem Sopha, wir hatten soeben beschlossen, die Oper zu besuchen.
Tante Sturm kann nie sehr schön gewesen sein. Sie ist groß und dürr, steht sehr sicher, wie Arnold sagt, auf ihren Füßen, und hat Hände, auf welche kein Damenhandschuh passen will. Mein seliger guter Onkel, der General, hat sich gewiß herzinniglich über ihre Schritte, ihre gerade Haltung, über das Bärtchen und den sonoren Ton ihrer Stimme gefreut. –
Moden macht die Tante Sturm auch nicht mehr mit. Ihr seidener, gestreifter Ueberrock mit den engen Ermeln, hoch bis an den Hals und mit zwei tüchtigen Taschen an den Seiten, ist ein alter Bekannter meiner schönsten Zeit; sie hat ihn zu meiner Hochzeit machen lassen. Die Haube mit den großen Rosen und die dicken falschen Locken machen ihr starkknochiges Gesicht noch viel gewaltiger; den weißen Shawl hat der General im Jahre 1815 aus Paris mitgebracht, und der Sammetpompadour mit Stahlgarnirungen ist mein eigenes Christgeschenk vor drei Jahren.
Herzenstante, sagte ich, Du kommst gerade noch zur rechten Zeit, um eine Tasse vom braunen Lebenstranke für Dich bereit zu finden. Aber warum habe ich Dich in mehreren Tagen nicht gesehen?
Geschäfte, Kind, wichtige Geschäfte, erwiederte sie mit ihren großen festen Schritten bis an den Tisch gehend. Alle Welt hat jetzt wichtige Geschäfte, also habe ich auch welche.
Ihre Zinsen einzucassiren, sagte Arnold, während wir beide lachten.
Oder schlechten Schuldnern auf den Hacken zu sein, erwiederte sie. Es ist eine böse verkehrte Welt! Die sich darin zum feinsten und klügsten dünken, sind die verdorbensten. Trau Keiner dem Apotheker, sagte mein seliger Sturm, er hat zu viele Büchsen.
Während dessen nahm sie die Tasse aus meiner Hand, zog aus einer ihrer Taschen ein großes Papier voll Kaffeekuchen und lud mich ein, davon Gebrauch zu machen, zum größten Aerger Arnolds, der ihre häuslichen Gewohnheiten immer verdammte.
Ich sagte ihr meinen Dank und entschuldigte mich, da wir so eben erst vom Mittag aufgestanden seien.
Das gehört auch mit zur verkehrten Welt, rief Tante Sturm. Um drei Uhr frühstens setzen sie sich hin, und wenn's recht vornehm sein soll, um vier oder gar um fünf. Sechs Schüsseln sind das Wenigste, und dabei nichts Festes und Herzhaftes, sondern lauter Leckereien, lauter Feinheiten, um den Magen recht gründlich zu verderben; damit der aber am Uebermaß nicht gleich zu Schanden wird, muß der Kaffee zur Hülfe kommen, sowie der letzte Bissen herunter ist. – Gott, Mathilde! was thust Du mir leid, daß Du das Alles mitmachen mußt, und wenn ich daran denke, wie Du es zu Haus hattest, was da für Ordnung und Sitte war, wird mir ganz schlimm um's Herz.
Nur hier nicht, sagte Arnold belustigt.
Weißt Du wohl bei Deinem seligen Vater, fuhr Tante Sturm fort, indem sie große Stücken Kuchen abbrach und in den Kaffee tauchte weißt Du noch, wie es da war? Punkt Zwölf mußte die Suppe auf dem Tische stehen, Sonntags punkt Eins. Ein Gemüse, ein Stück Fleisch und ein Stück Braten, das war Alles, und wenn's was Besonderes war, kam ein Fisch dazu oder eine Mehlspeise. Und dabei war Dein Vater seinerzeit auch am Hofe gewesen, war ein Gardeoffizier gewesen, bis er Schloßberg annahm; aber das war ein Mann! Kein Mensch konnte von ihm sagen: er schlemmt, er trinkt, er spielt, er faullenzt, er kümmert sich um Dinge, die ihn nichts angehen, oder will mit der Nase durch die Decke. – Morgens um vier Uhr war er auf, ich habe ihn oft selbst am Klapperbrett stehen sehen, wo er einen Heidenlärm machte, um die Verwalter und Arbeiter zu wecken, und seine Stimme klang wie eine Löwenstimme, wenn er ordentlich anfing. Da steckt's aber auch, da kommt man vorwärts. Sein Vater hatte ihm eine Last Schulden hinterlassen, er steckte darin bis über die Ohren. Es dauerte keine zehn Jahre, so war er damit fertig, und wenn der Krieg und die schwere Zeit nicht gewesen wären, hätte es noch ganz anders kommen können. Nun, Gott segne ihn, Kind! Schloßberg war noch einmal so viel werth, als er abgerufen wurde; viel zu früh für Dich, Mathilde; es wäre besser für Dich gewesen, wenn er bei Deiner Mutter gestanden hätte, bis Du versorgt warst. Er war ein Mann, der die Welt kannte und die Menschen, dem so leicht Keiner ein X für ein U machte. Na, es sollte nicht sein, dagegen läßt sich nichts einwenden; aber bis zum letzten Tag war er auf seinem Posten; eine Stunde vor seinem Ende ließ er sich noch die Getreidepreise vorlesen und gab Befehl, daß unter einem Monat nicht gedroschen werden sollte. Dann sah er zum Fenster hinaus; er saß auf seinem großen Stuhl und schaute über den See fort. Es ist alles in Ordnung, sagte er, aber die Eichen müssen geblättet werden. Seht gut nach den Bäumen, es ist ein Capital – das waren seine letzten Worte.
Sie thäten doch gut, sagte Arnold halb laut, wenn Sie Mathilden mit diesen rührenden Mittheilungen verschonten.
Du siehst blaß aus, Kind, rief sie mich anblickend, aber solche neumodische Nerven hast Du nicht, die nichts vertragen können, als lustige Geschichten, Bälle und Gesellschaften.
Ach, Tante! sagte ich, Du schilderst meinen Vater so lebendig, daß ich ihn vor mir sehe in seiner schlichten, strengen Weise, voll Ernst und Redlichkeit, obwohl er niemals ein gelehrter Mann war, oder um den Staat sich verdient gemacht hat.
Verdient machen! rief Tante Sturm. Als ob Jeder sich um den Staat verdient gemacht hat, der seine Finger dabei einmischt und den Kohl umrühren hilft. Ich sage Dir, Kind, wenn Dein Vater gewollt hätte, ellenlange Titel und Stern und Band hätte er haben können. Zum General-Landschafts-Director wollten sie ihn machen, in den Staatsrath wollten sie ihn bringen, er blieb in Schloßberg und ließ sich die Eitelkeit nicht über den Verstand wachsen. – Hier bin ich mein freier Herr, sagte er, hier kann ich leben, wie ich will, brauche mich nicht zu bücken, nicht zu heucheln und zu schmeicheln, nach keines Menschen Pfeife zu tanzen. Habe, was ich habe, von Rechts wegen, verprasse nichts und führe mein arbeitsames, christliches Leben mit Frau und Kind, wie es Gott gefällt. – Und was war es für ein Leben, Mathilde! schrie sie, das letzte Stück Kuchen in die dritte Tasse Kaffee werfend. Alles ordentlich, Alles pünktlich, im Wachen wie im Schlafen. War das Mittagsbrot vorbei, wurde das Schläfchen gemacht. Schlag drei Uhr kam der Kaffee und Bärmbrot Hefekuchen. – Anm.d.Hrsg. oder Kuchen, wenn Deine Mutter gebacken hatte. Punkt sieben Uhr stand das Abendbrot da, und wenn die Hausuhr zehn schlug – Gnade Gott, wo da noch Licht brannte! – Dabei konnte der Mensch gedeihen, dabei wurde Fleisch angesetzt.
Sie haben wohl wenig in Schloßberg gelebt, Frau Generalin, sagte Arnold mit höchst unschuldiger Miene, während auf seinem Augenlide die schlimmste Spötterei zuckte. Die dürre Gestalt der Tante Sturm und ihre fetten Erinnerungen waren wirklich harte Gegensätze. Sie achtete aber nicht darauf.
Oft und lange Zeit, erwiederte sie, und so habe ich auch ein hübsches Stück in der Welt gelebt, um zu wissen, was das sogenannte hohe Leben werth ist, wo man weit nach Mitternacht endlich zu Bett geht, abgemattet an Leib und Seele, überreizt und übersättigt, oder gequält von Sorgen und Gewissensbissen, oder mit Flüchen und Verwünschungen, oder mit einem grausamen Jubel über gelungene Pläne zu anderer Leute Verderben und Aergerniß, oder mit ruchlosen Gedanken auf neue List und neue Bosheit.
Arnold brach in ein schallendes Gelächter aus. Tante Sturm aber nahm die Kuchenkrümel zusammen und verzehrte sie mit vielem Wohlbehagen. –
Das ist das Beste, sprach sie, und es ist immer gut, wenn das Beste zuletzt kommt. Reibedanz bäckt denselben Kuchen seit vierzig Jahren, so lange ich ihn kenne; bei den neumodischen Conditoren ist er heute gut, morgen schlecht, und zuletzt sieht man ein, daß sie elende Stümper sind, die an ihrem eigenen Teig bankerot werden. – Ich habe den Kuchen vorher gekauft, Mathilde, weil bei Reibedanzens ein Mann wohnt, den ich besuchen wollte, und unterweges fiel mir ein, daß Niemand so gut zusammen paßt, wie die beiden.
Wer wohnt dort, noch ein Bäcker? fragte ich.
Ei freilich, noch ein Bäcker, rief sie ladend, oder doch Einer, der sich und seine Waaren auch niemals verändert hat. Birkfeld wohnt da.
Wir wurden beide ernsthaft, ich sowohl wie Arnold. So gleichgültig diese Neuigkeit war, so machte doch der Name und das damit verknüpfte Lob Eindruck.
Hast Du ihn gesprochen? fragte ich.
Eine ganze Stunde lang, antwortete Tante Sturm. Er will fort, will reisen, aber so rasch geht es nicht. – Der Ministerpräsident hat ihn heut eingeladen, sonst, glaube ich, säße ich noch bei ihm. – Das ist ein Mann, ich meine Birkfeld – der müßte Minister sein, der würde Ordnung schaffen.
Arnold stand auf; ich sah, daß es ihm schwer wurde, das Geschwätz ruhig anzuhören, und Tante Sturm war unermüdlich in ihrer Begeisterung; sie that, was sie konnte, um Arnold zu ärgern. Sie erinnerte mich an die Zeit, wo Birkfeld von seinem Gute fast täglich zu uns herüber kam, welche hohe Meinung mein Vater von ihm hatte, wie er überall geehrt und geachtet wurde, welche Liebe seine Leute zu ihm hegten, und wie er, trotz seiner Gelehrsamkeit, ein praktischer Mann sei, der überall den Nagel auf den Kopf treffe, und dem nichts entgehe.
Er hat aber auch viele Erfahrungen machen können, sagte ich. Weisheit kommt mit den Jahren, Tante.
Wie alt ist er denn? stritt sie dagegen. Du thust jedesmal, als ob er ein Greis wäre. Vierzig Jahre ist das schönste Alter. Was hilft mir denn ein Jüngling, wenn er ein Thunichtgut ist! Ein leichtsinniger Mensch kann so alt werden, wie Methusalem, aber die Weisheit kommt nimmermehr. –
Ein neuer Strom von Lob überfluthete den armen Birkfeld; Arnold wußte kein anderes Mittel, ihm zu entgehen, als die Flucht zu ergreifen, was er auch eiligst ausführte.
Erst als Tante Sturm im Corridor draußen die Thür seines Zimmers kräftig schließen hörte, und als jede Spur seiner Schritte verhallt war, hielt sie inne und warf sich lachend in die Kissen zurück. –
Glücklich zum Ausreißen gebracht, rief sie mit gedämpfter Stimme. Birkfeld hat also Recht. Wenn Sie Mathilde allein sprechen wollen, sagte er, so erzählen Sie ihr nur von mir, loben Sie mich, das wird auf Nordstern besser wirken, wie Flintenschüsse; er wird Ihnen das Schlachtfeld überlassen.
Aber Tante, sagte ich betrübt, es thut mir weh, daß die beiden Männer so wenig sich leiden mögen.
Weil nichts an ihnen zusammenpaßt, erwiederte sie. Wenn Einer mild und nachsichtig ist, ist es Birkfeld, und wenn Einer es treu und wahr mit allen Menschen meint, so thut er es. An Dir aber nimmt er besonderen Antheil, denn – doch das weißt Du ja so gut und besser wie ich.
Was soll ich wissen – was?
Na, sagte sie barsch abbrechend, daß es ihm nahe gegangen ist, daß Du nichts für ihn übrig hattest. Die Sache ist abgemacht, Du hast Dein Theil, aber einen Freund hast Du doch an ihm, wie keinen zweiten in der Welt.
Ich nickte schweigend.
Du bist eine Waise, Kind, fuhr sie fort, Deine Eltern liegen im Grabe. Ich bin der ganze Rest von Verwandten, die Dich nahe angehen, und wer weiß, wie bald mein seliger Sturm mich abholt.
Sprich nicht so, Tante, – sprich nicht so, flüsterte ich, meinen Kopf auf ihre Schultern legend.
Ja, Kind, ein Factum ist nicht zu ändern, sagte sie. Wenn's morgen im Wochenblatt steht, die Generalin von Sturm ist von ihrem Magenkrampfe für immer curirt, so bleibt Dir Keiner, der Alles hören und Alles wissen kann, als Birkfeld.
Und Arnold, sagte ich.
Dein Mann, ja freilich er auch, wenigstens sollte es so sein, aber das ist es eben – ich mag es drehen und wenden, wie ich es will, Mathilde, es liegt etwas da – hier auf meiner Brust, was ich nicht los werden kann, was mich immer wieder bange macht – um Dich, Du theures, liebes Kind, um Dich – wenn ich einmal nicht mehr sein werde.
O! Tante, Du bist ungerecht gegen ihn.
Wenn ich allein so dächte, erwiederte sie, so könntest Du Recht haben, aber Andere auch – er auch.
Birkfeld? rief ich aus, was hat er Dir gesagt?
Nichts gegen Nordstern, gar nichts. Du weißt, was ich neulich ausforschen wollte über sein Treiben.
Du hast Birkfeld doch keine Mittheilungen gemacht, die Arnold herabsetzen könnten, als vernachlässige er mich, als sei ich unzufrieden oder unglücklich? fragte ich erschrocken.
Sie schüttelte den Kopf. –
Gott bewahre! Ganz im Allgemeinen habe ich gesprochen. Er sprach von Dir und von ihm, wie es seine Art ist, freundlich und mit Zurückhaltung. Nur eine Frage that er.
Welche Frage?
Pst! flüsterte Tante Sturm, den Finger auf den Mund legend und ihre Augen auf die Thür heftend, darum eben habe ich ja so lange gebohrt, bis er ausriß. –
Sie neigte sich zu mir hin und sagte leise:
Er fragte mich, ob Du Dich um die Verwaltung Deines Vermögens bekümmertest, ob Du wüßtest, wie es damit stände?
Nein, sagte ich, ziemlich erstaunt, doch lächelnd; wie soll ich das wissen? Dafür ist mein Mann ein um so besserer Verwalter. Wie kommt Birkfeld zu dieser Frage?
Ich weiß nicht, versetzte sie, das Kuchenpapier in die Tasche steckend, aber ich finde es nicht recht, daß Du Dich um gar nichts bekümmerst. Es ist ein delicater Punkt. Nordstern sollte jedoch selbst so vernünftig sein, und über Dein Vermögen wenigstens nicht allein schalten. Davon hast Du auch nichts gewußt, daß er den Eichwald in Schloßberg verkauft hat.
Liebe Tante, erwiederte ich im höheren Tone, ich war mit zwanzig Jahren nach dem Testamente meines Vaters mündig. Daß meine liebe Mutter so früh mich verließ, war ein großes Unglück. Sie war eine vielfach erfahrene Frau, die mit Geld und Gut umzugehen wußte, allein auch sie hatte das größte Vertrauen zu Arnold. Er war noch bei ihrem Leben der unbeschränkte Herr von Allem, was wir besaßen. Vier Jahre beinahe sind wir jetzt verheirathet, und nie hat er mir einen Grund gegeben, mich in Angelegenheiten zu mischen, von denen ich nichts verstehe. Die Eichen hat er verkauft, weil es die höchste Zeit war, sie nützlich zu verwerthen. Er hat mir nichts davon gesagt, aber das ist ja auch eine reine Geschäftssache, bei der meine Zuziehung ganz überflüssig war.
Hm! fiel sie mit ihrem starken Räuspern ein, so ganz überflüssig war es denn doch nicht, die Röthe in Deinem Gesicht bekennt, daß Du es fühlst, und wenn ich an Deiner Stelle wäre, Mathilde – es ist Unrecht von Dir, ich sage es noch einmal, denn um sein Eigenthum muß sich jeder bekümmern, und wenn ich das Kuchenpapier in meine Tasche stecke, so weiß ich, ich habe es; rechts unter den Handschuhen liegt es, wenn ich es brauche, – wenn ich also an Deiner Stelle wäre, so würde ich mich um das bekümmern, was mir gehört, und – aber Du weißt doch, wie und wo Dein baares Vermögen untergebracht ist?
Ich weiß, daß Arnold Hypotheken gekündigt und sichere gute Papiere gekauft hat, die in dieser Zeit billig zu haben waren.
Dann würde ich ihn ersuchen, mir diese Papiere zu zeigen; oder hat er sie Dir gezeigt?
Ich habe sie gesehen, sagte ich.
Aber es ist lange her? Nicht wahr, mein Püppchen? Seit Jahr und Tag hast Du Dich nicht mehr darum gekümmert? fragte sie, mich anblinzelnd. Du bist doch kein Kind, Mathilde, Du mußt Deinen Verstand zu Rathe ziehen. Es kommt Alles von Dir, so hast Du auch gutes Recht zu sagen, ich will mich um mein Geld bekümmern.
Um keinen Preis – nein, niemals! rief ich. Wenn ich Arnold wäre, ich würde –
Du würdest sagen, hier ist es, fiel sie ein. Du würdest Deine Frau nicht unmündig und unwissend, wie ein Lamm, halten wollen. Du würdest Dich freuen, daß sie sich um etwas bekümmerte, was ihre Sache ist.
Nein, Tante, erwiederte ich unwillig, ich, würde es als Zeichen eines kränkenden Mißtrauens betrachten, und meinen Gefühlen würde eine Wunde geschlagen werden, die nicht wieder heilen könnte. Ich danke dem Himmel, daß ich dies Mißtrauen nicht habe, daß ich weiß, Arnold kann kein Unrecht thun. Ich mag den Gedanken nicht ausdenken, was geschehen würde, wenn ich solche Fragen an ihn richten wollte. Mein Gott! nein; nie kann und will ich es. Stolz und reizbar, wie er ist, würde er seine Ehre angetastet sehen.
Narrenspossen! rief Tante Sturm. Mein seliger Mann, der auf Ehre hielt, wie Keiner, hat niemals über meine paar tausend Thaler sich ein Recht angemaßt. Ich wollte sie ihm freiwillig geben, er wies sie zurück. – Verwahren will ich sie Dir, sagte er, aber da liegen sie, jeden Augenblick kannst Du sie haben. Mit seiner Frau Geld soll ein Mann nie schalten und walten, wie er will; aber zu oft ist es vorgekommen, daß, weil die Frau ein Täubchen war, oder ein Gänschen, der Mann ihr Vermögen durchbrachte, bis endlich eines Tages ihr die Augen aufgingen, als es zu spät war, und die leeren Kasten zeigten, daß ihr Vertrauen sie betrogen hatte.
Alles hat seine Grenze, Tante, antwortete ich; ich glaube, wir sind dort angelangt. Ich weiß, daß der Schritt, zu dem Du mir räthst, mein häusliches Glück zerstören würde; ich verabscheue ihn aber auch, er widerstrebt meinem Glauben und meinen Ueberzeugungen. Es wäre niedrig und gemein, wollte ich gegen Arnold's makellose Ehre, gegen die edle Reinheit seines Charakters den mindesten Zweifel hegen.
Wer sagt denn ein Wort davon? schaltete sie ein.
Genug, fuhr ich heftig fort, ich will nichts mehr davon hören. In meine Angelegenheiten hat sich Niemand zu mischen.
Tante Sturm stand schweigend auf, nahm ihren Shawl und den Pompadour, und sagte mir grollend Lebewohl.
Ich kämpfte mit mir selbst; es that mir weh, sie unversöhnt fort zu lassen. – Ich dachte, Du wolltest uns in die Oper begleiten? fragte ich.
Aus einer Komödie in die andere, ist meine Sache nicht, erwiederte sie. Sie geben heut den Liebestrank Gaëtano Donizettis Oper ( L'elisir d'amore, 1832), eine der meistgespielten der Operntradition, lässt allerdings zwischen Mathilde – Adina, Arnold – Belcore sowie Birkfeld – Nemorino gewisse Parallelen erkennen. – Anm.d.Hrsg., den sieh' Dir an, und lerne was davon. –
Damit ging sie, und ich ließ sie gehen.
Ich war aufgeregt, aber ich fühlte mich beglückt von dem Gedanken, Arnold tapfer vertheidigt zu haben.
So weit geht die ungerechte Abneigung gegen ihn, daß sie das Schlechteste von ihm glauben. – Birkfeld hat den Ton angegeben, Tante Sturm hat die Melodie dazu gemacht. Ach! wie leichtfertig sind die Menschen, wenn es gilt, einen Stein aufzuheben. Theurer, theurer Arnold, wie wenig kennen sie deinen stolzen Sinn. –
Ich setzte mich nieder, wo er gesessen hatte; heiße Freude kam in mein Herz, als ich seinen Schritt draußen hörte. Schon dieser Schritt elektrisirt mich, und als er herein trat, bat ich ihn heimlich um Verzeihung für die Sünden der garstigen Tante.
Du siehst ganz begeistert aus, sagte er lächelnd.
Begeistert durch Deine Nähe, erwiederte ich.
Er nahm meine beiden Hände und sah mir klar in die Augen. Liebst Du mich denn noch so, fragte er, wie in jenen ersten Tagen?
Mehr, Arnold, mehr! rief ich.
Seine Blicke glänzten feurig. Er zog mich in seine Arme und betrachtete mich mit dem Ausdruck triumphirender Befriedigung. Eine Reihe von Gedanken mußte rasch in ihm vorübergleiten und ihn beschäftigen; er sah mich so starr und fast verzerrt lächelnd an, daß ich zuletzt den Kopf an seine Brust lehnte.
Du weinst ja! sagte er, seine Hand unter mein Kinn legend. Deine Augen sind voll Thränen. Was fehlt Dir, Mathilde? Hat die Tante Dir Grobheiten gesagt, oder was ist es?
Nichts, nichts! erwiederte ich. Deine Nähe, der Schlag Deines Herzens unter meinen Fingern macht meine Augen naß.
Er lachte mich aus. Schaffe Dir etwas Heroismus an in dieser harten Zeit, sagte er. Wie kannst Du über mich weinen!
O, Arnold! antwortete ich, mögen nie andere Thränen über mich und Dich kommen.
Kleine Schwärmerin, rief er, mich am Ohr zupfend. In der Welt, wo wir leben, ist das Weinen ein eben so streng verbotener Artikel, wie das Gelächter. – Nur keine Sentimentalität und keine ländliche Lustigkeit. Ich sage Dir nochmals, theure Mathilde, Beherrschung, Beobachtung und Undurchdringlichkeit, mag in uns vorgehen, was da will, das sind die Säulen eines Charakters. – Jetzt kleide Dich an und laß Deine Schönheit in allen Farben glänzen. Es ist möglich, daß wir Neumark in der Oper treffen, und daß er in unsere Loge kommt. Beginne dann Deinen Feldzug mit ihm und vergiß nicht, meine Einladung zu wiederholen. –
Wir sind in der Oper gewesen, aber glücklicher Weise haben wir den Geheimrath nicht gesehen.
Eine ganze Woche lang bin ich nicht dazu gekommen, etwas niederzuschreiben, und eigentlich hat sich auch wenig zugetragen. Herr von Neumark hat zweimal bei uns gegessen, und eines Abends, als er Arnold suchte, ist er eine ganze Stunde mit mir allein gewesen. –
Er ist sehr unterrichtet, scharf im Ausdruck, hat großes Selbstvertrauen, gefällt sich in seinen Urtheilen und Witzeleien, und ist im Grunde genommen ein Geck, der mir lächerlich vorkommt, obwohl ich mir alle Mühe gebe, es nicht merken zu lassen.
Ich habe, wie ich meine, überhaupt schon recht hübsche Fortschritte in der Kunst gemacht, Alles hören und Alles sehen zu können, ohne zu verrathen, was ich eigentlich denke. Es ist sonderbar, was ein Mensch lernen kann, ohne zu erröthen. –
Ich bin in dieser Woche viermal in Gesellschaften gewesen, und habe Manches bemerkt, was mir früher gänzlich entgangen ist. Ich nahm sonst in völliger Unbefangenheit die Erscheinung für den Inhalt, und hatte einen Wunderglauben für jedes Lächeln und jede Freundlichkeit; jetzt mit einem Male kommt es mir vor, als dürfe ich gar nichts glauben, und während ich selbst lächele und freundliche Antworten gebe, dringen meine Blicke und Gedanken durch die äußere Schale. Ich suche zu erforschen, was darunter steckt, und denke oft etwas ganz Entgegengesetztes, als was meine Worte ausdrücken. –
Niemand kann sich zeigen, wie er ist, sagte Arnold. Jeder zieht sein bestes Kleid an, wer will sich denn in Unterröcken sehen lassen, oder wie ihn Gott geschaffen hat? – Ja, wenn es mit einem Witzwort abgemacht wäre! –
Warum sollen wir denn nicht sein, wie uns Gott geschaffen hat? Ursprünglich war alles gut; die Menschen mit ihren Lügen und Heucheleien haben sich so heruntergebracht, cultivirt, wie sie es nennen. Ist denn mit dieser Weltcultur nothwendig all' diese Lüge, Neid, Haß, Gewalt, Betrug und List verbunden, welche die Kinder Gottes gegen einander ausüben?
Aber es ist so, Arnold hat Recht. Vor der Wirklichkeit darf man die Augen nicht verschließen, und kein größerer Fehler, als sich einbilden, die Menschen wären besser, als sie sind. – Dieser Gedanke hat sich mir seltsam eingeprägt, und mit seiner Hülfe ist mir, als könnte ich tief ins Innere anderer Leute schauen, so daß die ganze Schminke von ihnen abfällt. –
Es giebt übrigens kleine Merkmale, woran ein Kundiger doch meist erkennen kann, was drinnen vorgeht, wie ein Schiffer an einem unmerklichen Farbenwechsel des Meerwassers, oder an einem kleinen Gekräusel auf der glatten Oberfläche, an einer plötzlichen Strömung die Klippen erkennt. –
Meine Unterhaltungen bei der Brankau und meine dreiste Singerei haben den geistreichen Kreisen viel Stoff gegeben, um sich mit mir zu beschäftigen. Auch darin hat Arnold Recht; sie betrachten mich als einen Gegenstand, der zu ihrer Belustigung dienen kann, als ein Naturkind, das, mit seinen originellen Einfällen außer Rand und Band, ihr Gelächter erweckt. Man drängt sich um mich, überhäuft mich mit Artigkeiten und Freundschaftsbetheuerungen, und hat mich verschiedentlich zu bewegen gesucht, mich wiederum hören zu lassen, weil meine Lieder und mein Vortrag gar zu köstlich seien. –
Wenn ich noch so blind gewesen wäre, wie früher, wäre ich voller Freude ans Instrument gelaufen und hätte, um den lieben Freunden ein Vergnügen zu bereiten, gesungen, bis ich stockheiser gewesen wäre. – Jetzt aber sah ich auf der Stelle, wohin sie wollten; irgend etwas, ich weiß nicht was, sagte mir, daß das Alles Verstellung sei, daß nichts mehr bleibe, als ihre geheime Lust, mich zu verspotten, und ich verachtete sie auf's Herzlichste dafür.
Ich machte einen kleinen Knix, drehte mich halb im Kreise um, legte meinen Fächer an meine Lippen und sagte:
Husch! erlauben Sie mir ein wichtiges Geheimniß auszusprechen. Eben weil mein Gesang und Spiel so köstlich sind, bleiben sie, wie alles Köstliche, selten. Haben Sie von dem Paradiesvogel gehört, der einmal in seinem Leben nur mit den Füßen die Erde berührt, und wenn es geschieht, muß er sterben? Ich bitte um Gnade für mein junges Leben.
Damit gab ich Neumark den Arm, der mich mit einem Gesicht fortführte, das mühsam ein homerisches Gelächter unterdrückte.
Köstlich, prächtig, wundervoll! rief er endlich, meine Hand küssend, als wir unbemerkt waren. Ich werde in acht Tagen diese verzauberten Creaturen nicht vergessen. Es giebt nichts Pikanteres, als Ihre Antwort. Der Paradiesvogel will sich nicht auf diese schmutzige Erde niederlassen, weil er den Tod fürchtet. Haha! haben Sie den Eindruck gesehen? Die Meisten schienen den eigentlichen Inhalt nicht sogleich zu fassen, aber er wird ihnen klar gemacht werden.
Ich fürchte, sie werden den Paradiesvogel dafür als die Henne betrachten, die sich mit bunten Federn schmückte.
Wenn sie an diesen Federn zupfen, werden sie neue Denkzettel auf die Schnabel bekommen, sagte er lachend. Aber sorgen Sie nicht, Ihre Antwort wird Sie in Respect setzen; sie wird die Runde machen, und nur noch ein paar Male so, so wird man im Geheimen Sie anatomiren, und sich, Gott weiß was Alles, von Ihnen auftischen, aber öffentlich wird sich Jeder mit um so größerer Verehrung nähern.
Anatomiren heißt verläumden, sagte ich. und verehren heißt: man wird sich vor mir hüten.
Und was können wir mehr verlangen? rief er belustigt. Wer verläumdet und gefürchtet wird, hat den höchsten Ruf erlangt, den die Gesellschaft ihm geben kann.
Ich habe es mit einem Meister zu thun und muß ihm glauben, sprach ich zu ihm aufblickend.
Das ist eine Schmeichelei, die ich zu würdigen weiß, erwiederte er, aber ich bin nicht bescheiden genug, um sie abzulehnen. Alles, was ich thun kann, gnädigste Frau, ist, mich ihrer würdig zu erweisen.
Ihr Ruf, sagte ich schalkhaft, ist jedenfalls so befestigt, daß es der Proben nicht mehr bedarf.
Ich glaube, er wird in Gefahr kommen, flüsterte er, in der bezaubernden Nähe paradiesischer Schönheit, die alles Irdische verschmäht.
Was das anbelangt, erwiederte ich eben so leise, so wissen Sie ja, daß das Paradies längst zur Fabel geworden ist.
Er sah mich mit einem unverschämten Blicke an, der mir bis ins Mark ging, aber ich bezwang mich dergestalt, daß ich weder die Augen niederschlug, noch verlegen wurde. Ich lachte, und unser Einverständniß war geschlossen.
Mitten in dem Geräusch der Gesellschaft saßen wir lange beisammen; während des ganzen Abends war er in meiner Nähe, und als das Souper begann, bot er mir rasch den Arm. – Ich muß gestehen, daß ich gut unterhalten wurde. Es war kaum eine Person, die Herr von Neumark nicht kannte, von der er nicht etwas Lächerliches zu erzählen wußte, über welche er keine Bemerkung vorräthig hatte, die mit irgend einer Spitze endigte. – Ich erfuhr in wenigen Stunden mehr, als sonst in Jahren; erfuhr Familienverhältnisse, Geheimnisse, Liebesabentheuer verschiedener Damen, eheliche Scenen von pikanter und komischer Färbung, lustige Streiche aller Art und boshafte Folgerungen von treffender Wahrheit, welche mich herausforderten, das Meinige dazuzuthun, um mich des Vertrauens meines Verbündeten werth zu zeigen.
Die ganze Gesellschaft erschien mir endlich in solchem Lichte, daß ich es verdienstlich hielt, sie heimlich zu verspotten. –
Aber, sagte ich zu Neumark, ist denn hier kein Einziger, vor dem wir mit aufrichtiger Achtung uns neigen könnten?
Es sind ja alles höchst achtungswerthe Personen, erwiederte er. Was hindert uns, jede einzeln in unser Gebet einzuschließen? – Wie viel Geist, wie viel Schönheit, Hoheit, Größe, Reichthum, Weisheit und Jugend sitzen hier beisammen.
Und Alles wird anatomirt, flüsterte ich lachend.
Glauben Sie denn, erwiederte er, daß man es mit uns andere macht? Ich sehe in jeder Hand ein scharfes Messer und bemerke eine infernalische Luft, uns ins beste Fleisch zu schneiden.
Ich sah nach dem Tisch an der anderen Seite und erblickte plötzlich die Brankau im Gespräch mit Arnold. Sie mußte ganz spät gekommen sein, ich hatte sie nicht bemerkt.
Da ist die Gräfin, sagte ich, von ihr haben Sie mir noch nichts gesagt.
Er neigte sich tief nieder, indem er das Fricandeau auf seinem Teller zerschnitt, und zischelte mir zu:
Als die Griechen ihren Göttern noch Hekatomben schlachteten, wurde der fetteste Stier immer zuletzt aufgespart.
Nun, erwiederte ich, ich wüßte wirklich nicht, daß diese Eigenschaft das Opferbeil so lange von ihrem Haupt entfernt halten könnte.
Seine grünlichen Augen blitzten vor Vergnügen, als er sie aufhob, und die allerdings etwas mageren Formen der Gräfin betrachtete. –
Köstlich, sagte er, noch ein klein wenig von dieser Austernsauce. – Kalbfleisch, auch wenn es gespickt ist, hat immer etwas Fades, wenn die pikante Sauce ihm nicht den Haut-gout giebt.
Mit diesen Worten wandte er sich an unsere Nachbarin zur anderen Seite, eine ein wenig schwerhörende Präsidentin, die wegen ihrer haushälterischen Tugenden berühmt ist, und drei graziöse Ballschönheiten zu Töchtern hat.
Ich hörte, wie sie das Souper kritisirte, sah, wie sie den Kopf schüttelte über die Sauce und eine andere rühmte, die neulich bei ihr alle Erwartung übertroffen hatte; dann vernahm ich einige giftige Bemerkungen über die geringe Sorgfalt der Frau vom Hause, und endlich folgten liebreiche Vorwürfe, daß Herr von Neumark sich so selten nahe, sammt einer Einladung auf übermorgen. – Den Anhang konnte ich nicht verstehen, aber es war sicher von mir die Rede. Ich hörte meinen Namen flüstern, dann antwortete Neumark etwas dicht an ihrem Ohr, und die Ober-Präsidentin betrachtete mich mit dem Ausdruck gesättigter Genugthuung.
Es ist doch wahr, sprach ich zu mir, sie sind Alle sich gleich; Alle abgerichtet, ihren Nächsten, wie sich selbst, zu täuschen. Diese alte Frau, der ich nie ein Leid gethan, wird mit Vergnügen dazu beitragen, mir alles mögliche Schlechte nachzusagen.
Neumark wandte sich zu mir um.
Denken Sie, sagte er, daß ich übermorgen das Glück haben werde, mich an drei hüpfenden Murmelthierchen in exquisiter Austern- oder Trüffelsauce zu sättigen.
Ich habe Alles gehört, erwiederte ich. Was haben Sie von mir gesagt?
O! ich habe meiner alten Freundin eine selige Minute verschafft, indem ich meine Augen auf ihr ältestes Fräulein Tochter dort drüben richtete, und mich beklagte, daß mich das Glück nicht besser begünstigt habe. Sie sind doch nicht böse?
Nicht im Geringsten. Es ist ganz in der Ordnung, keine Ausnahme im Anatomiren zu machen. Sagen Sie mir jetzt etwas von der Gräfin.
Ich denke, erwiederte er, Sie werden mir mehr davon vertrauen können, als ich weiß. Sie alliirt sich Ihnen sehr nahe.
Ich bin ihr sehr dankbar dafür, sagte ich.
Er zog die Augenbrauen in die Höhe und sein Gesicht erhielt eine eigenthümliche boshafte Schärfe. –
Sie sind ein wirklicher Paradiesvogel, flüsterte er mir zu; jede Regung ist himmlisch. Aber, gnädigste Frau, wenn wir auch in das fromme Gebet einstimmen: Allen Sündern soll vergeben sein, so ist doch noch nicht damit gesagt, daß wir Undankbarkeit nicht bestrafen müßten.
Meinen Sie, erwiederte ich, weil ich ihn gar nicht verstand, daß Gräfin Aurore nach mancherlei Irrthümern ihres Lebens in dem Hafen christlicher Liebe angelangt ist?
Was ich meine? fragte er, mich fixirend. Ich meine durchaus, was Sie meinen. Sie ist zu schön und zu klug, um gemeinhin zu frömmeln, zu geistvoll, um nicht bestimmte Zwecke zu verfolgen, zu weltlich gesinnt und zu jung noch, um eine büßende Magdalena zu sein. – Sie tanzt niemals am Sonnabend nach Mitternacht, sie fehlt nie am Sonntag in der Kirche, am Donnerstag in der Erbauung; sie leitet zehn fromme Vereine und ist ein Erwählter des Herrn in der inneren Mission. – Aber wird sie davon gehindert, ihre liebenswürdigen Kreise zu beglücken, ihre köstlichen Soupers fortzusetzen, ihre Günstlinge um sich zu versammeln, ihre Spiele zu arrangiren, ihre Intriguen fortzuspinnen und – ihre Netze auszuwerfen?
Ihre Netze auszuwerfen? wiederholte ich, zu ihm aufblickend.
Wie der Fischer Petri für die frommen, edlen Seelen, fuhr er lächelnd fort, welche die Palme des Friedens und der Unschuld tragen, und für die gefallenen Engel, deren Bekehrung oft noch viel amüsanter ist. – Wissen Sie, was ich glaube?
Das sollte mir sehr schwer werden.
Ich glaube, daß Gräfin Aurore gern ihr Angesicht leuchten lassen möchte über Einen, der im Stande wäre, sie wieder einzusetzen in das Reich, aus welchem der Tod des guten Grafen sie ausgetrieben hat in die Kammer der Wittwe.
Ah, und Sie könnten grausam genug sein –
Ich! rief er. Nein, sie weiß zu gewiß, daß meine Verehrung viel zu groß ist, um für eine Heilige irdische Wünsche zu hegen.
Aber was thut eine arme Heilige bei dieser übermäßigen Verehrung?
Sie hilft sich, wie Sie kann, und – nimmt vorlieb, murmelte er so leise, daß ich ihn kaum verstand. –
Sein Gesicht und sein maliziöses Zucken der Lippen flogen zu Arnold hinüber, den ich im emsigen Gespräch mit der Gräfin sah. – Mein Herz fing heftig an zu schlagen, ohne daß ich die eigentliche Ursache mir klar machen konnte. Ich kann doch unmöglich eifersüchtig sein, unmöglich den Thorheiten und läppischen Spöttereien Neumark's irgend Bedeutung geben. –
Ich fuhr aber doch mit Arnold sehr still nach Haus, schützte Kopfschmerzen vor und lag schlaflos bis zum Morgen, ehe ich meine Gedanken bewältigen konnte.
Ich war gestern bei der Brankau, sie hat mir mancherlei Aufschlüsse gegeben, die mich beunruhigen. – Ich fand sie ein wenig unwohl, blaß. In einen köstlichen Pelz gewickelt, lag sie auf den Polstern und streckte mir die kleine Hand entgegen. – Ich legte mich zu ihr, und während sie mir dankte, betrachtete ich sie mit Theilnahme. Die Scheitel ihres üppigen dunklen Haares lagen auf der hohen Stirn, eine breite Flechte hatte sich wellig abgelöst, und fiel über den weißen Hals. Sie war wunderschön; ihr Gesicht hat große Aehnlichkeit mit der Judith von Horace Vernet Französischer Historien- und Militärmaler (1789-1863), der sein umfangreiches Werk ganz nach dem Geschmack des Publikums ausrichtete. – Anm.d.Hrsg., die Arnold neulich gekauft und in seinem Zimmer aufgehängt hat.
Ich habe mich gestern erkältet, sagte sie, und werde noch dahin kommen, alle diese Gesellschaften zu meiden, deren Gewinn so gering ist gegen die Strafen, welche sie uns auflegen.
Was sollen die armen Gesellschaften thun, wenn der glänzendste Stein aus ihrer Krone fällt? erwiederte ich.
Ach, Mathilde, rief sie, sich auf den Arm stützend, Sie kennen das Ennui noch nicht, das uns bei dem großen Haufen plagt, der, stumpfsinnig ausgeputzt, aus einem Salon in den anderen zieht, und dessen ganzes Leben damit hinläuft, wie junge und alte Aeffchen sich gegenseitig zu streicheln, im Kreise zu sitzen, in allen Tonarten zu laden und zu pfeifen, und ehe man es sich versteht, zu fragen und zu beißen.
Ich lachte zu diesem Bilde und antwortete lustig:
Da man es weiß, so pfeift man mit, und fragt gelegentlich wieder.
Sie haben sich gestern sehr gut unterhalten, wie ich denke, sagte die Gräfin. Neumark war viel um Sie beschäftigt.
Ich gab es zu. –
Er interessirt Sie, fuhr sie fort, und er verdient es.
Er ist eine Größe, sagte ich.
Die auch ihre Fläche hat, erwiederte sie lächelnd. Hüten Sie sich.
Wovor? fragte ich.
Theure Mathilde, war ihre Antwort, hören Sie meinen freundlichen Rath. Anbeter, wie Neumark, muß man allerdings mit Schonung und Vorsicht behandeln, aber – man muß sie in den strengsten Schranken halten, ihnen keine einzige Unbesonnenheit erlauben.
Ich bin sehr weit entfernt davon, rief ich erröthend.
Ich kenne ihn genau, fuhr sie fort, ohne auf meine Gegenrede zu achten. Er ist eitel, hält sich für unwiderstehlich; zugeben muß man, daß er kein gewöhnlicher Routinier der Gesellschaft ist, aber er ist der Mann seiner Einfälle und Einbildungen, leichtsinnig über die Folgen, unbeständig in seinen Neigungen, und schonungslos, wenn diese passirt sind.
Ich traue ihm das Alles sehr gern zu, fiel ich ein, allein –
Diesen Uebermüthigen zu halten, bedarf es scharfer Nadeln und strenger Wachsamkeit, unterbrach sie mich. Die Aufgabe ist schwierig, doch der Versuch würde sicheren Erfolg haben, wenn Sie mit der einen Hand ihm zeigen, was Sie mit der anderen ihm entziehen, wenn er nicht im Stande ist, sich des kleinsten Erfolgs zu rühmen, während er doch unmöglich seine Anstrengungen aufgeben kann.
Ich weiß nur Eines nicht, begann ich, als ich jetzt endlich sprechen konnte, ich weiß nicht, was mich bewegen sollte, einen solchen Versuch anzustellen.
Nicht? fragte sie. – Ich denke, Sie haben ihn schon begonnen; wenigstens wird seit gestern Niemand daran zweifeln, daß Neumark zu ihren Füßen liegt.
Aber ich hebe ihn nicht auf, erwiederte ich lachend.
Mit einem Finger, beste Mathilde, mit diesem kleinen einen Finger, rief sie in liebenswürdiger Weise die Spitze meines Fingers fassend, doch niemals mit der ganzen Hand, und dann ziehen Sie den Finger zurück und werfen ihm, wie die Taube der Biene, ein Strohhälmchen zu. Er wird es festhalten und wird eine Jakobsleiter daraus machen, um lange daran aufzuklimmen. – Sie haben ihm gestern erlaubt, Ihre Hand zu nehmen, Mathilde; er hat diese Hand sogar geküßt. Ohne Zweifel hielten Sie sich sicher, aber in einem Salon hat jede Wand Ohren, jeder Spiegel wird zum Verräther, jeder Teppich kann uns compromittiren, und Neumark selbst – ich warne Sie zur Vorsicht.
Ich gebe Alles zu, rief ich, dennoch aber ist mir nicht eingefallen –
Etwas Böses zu thun, fiel sie ein, und Sie haben nichts gethan. Nur achtsamer sollen Sie werden.
O! gewiß, sagte ich lebhaft, ich will diesem thörichten Gerede mit einem Male ein Ende machen.
Die Brankau schwieg ein Weilchen und ließ mich meine Entschuldigungen führen. Ich erhitzte mich und ärgerte mich über ihre Ruhe.
Wenn mich meine Migräne nicht so hart plagte, sagte sie endlich, so würde ich mich sehr über Ihren Zorn und Eifer belustigen. Welche schreckliche Unthat haben Sie denn vollbracht? Ein junger, liebenswürdiger, geistvoller Mann ist von Ihren Reizen entzückt. Er huldigt Ihnen öffentlich, er überläßt sich seinem Ungestüm und seiner Unbesonnenheit.
Mein Gott! rief ich, dunkel erröthend, das sagen Sie mir, Arnolds Frau!
Sie bezwang sich zur Ernsthaftigkeit, aber sie drückte beide Hände an den Kopf. – Können wir es hindern, wenn man uns anbetet, erwiederte sie, und darf eine Frau keine Bewunderer haben? Glauben Sie, daß die Ehe ein Gefängniß ist, durch dessen düstere Mauern kein fremder, freundlicher Blick dringen soll? Haben wir Geist, Schönheit, menschliche Fühlen und Empfinden, alle Forderungen an das Leben an jenem Tage abgeschworen, wo man uns den Ring an den Finger steckte? Und unsere Augen, unser Herz, Mathilde, sollen sie nur ein Gefühl noch haben für ein Wesen, das wir lieben müssen?
Müssen, rief ich. – Ja, wenn es ein Muß wäre! Aber nein; ich wenigstens liebe, ohne einem Zwange zu folgen, und Arnold, mein Mann –
Ich sollte denken, fiel sie ein, er steht auf einem höheren Standpunkte, um seiner Frau den geringsten Vorwurf über ihre Anbeter zu machen. – In diesem Falle aber, speciell mit Neumark, müßte ich mich irren, wenn er nicht selbst wünschte, daß der liebenswürdige Cabinetsrath an den feinen Fingern seiner kleinen Freundin, so lange als nöthig, hängen bliebe.
Ich antwortete nicht, denn ein erschreckender Gedanke erfüllte mich.
Sie sind bestürzt, fuhr Aurora fort. Was ängstigt Sie?
Vor Allem das, erwiederte ich, daß Sie sowohl, wie – o! noch mehr – daß Arnold in diesem Trug nichts sehen wollte, als einen erlaubten Vortheil. Sie, Gräfin, so erfüllt von heiligen Pflichten, und er – er!
Was wollen wir denn? fragte sie. Ich will Ihnen die Augen öffnen, Mathilde, sehen Sie selbst. – Nordstern hat seit Jahren der Regierung wichtige Dienste geleistet, dafür hat man ihm Versprechungen gemacht, ich selbst habe alle meine Freunde in Bewegung gesetzt, für ihn zu arbeiten. Ich habe mich herbeigelassen, viel mehr zu thun wie Sie, habe Menschen zu mir geladen, sie besucht und ihnen gestattet, mir Albernheiten zu sagen, die ich sonst niemals der Beachtung würdige. Sogar einen Ihrer frühesten Anbeter, den Baron Birkfeld, duldete ich in meiner Nähe, weil ich glaubte, seine alte Zuneigung für Sie könne auf den Ministerpräsidenten wirken, der ihn heimlich öfter noch sieht und bei mir, auf meine Veranstaltung, mit ihm zusammentraf. Wir haben uns geirrt, gerade Birkfeld ist es zu danken, daß des wankelmüthigen Ministers Furcht aufgestachelt wurde, mit der entschiedenen Partei zu gehen. – Wollen wir ihn zwingen, entweder zu fallen oder uns in die Arme zu sinken, so müssen wir uns seines besten Hakens im Cabinet versichern. Das ist Neumark, der bisher gegen uns intriguirte, den Sie aber, Mathilde, jetzt schon halb und halb zu unserem Verbündeten umgeschaffen haben, und ihn ganz uns überliefern müssen.
Wie sollte ich das vermögen? rief ich aus.
Sie schlang den Arm um meinen Hals, drückte ihren Kopf an mein Ohr, und sagte lächelnd:
Sie fragen noch, Mathilde? Sie haben alle Mittel dazu. – Wozu haben schöne Frauen nicht die größten Männer schon bewegt! Was vermag eine Frau nicht, wenn sie will! Und hier handelt es sich um eine hohe und heilige Sache. Es handelt sich nicht allein um Nordstern, es handelt sich um den Sieg unserer Partei, um einen völligen Bruch mit der gleißnerischen Rotte, die seit Jahren alle Sünden und Schrecken über uns heraufbeschworen hat.
Ihr Gesicht erhielt einen harten Ausdruck und ihre Augen funkelten in Haß, als sie die Hand aufhob und zusammenballte. –
Fordern Sie von Neumark Beistand, sagte sie, und in vier Tagen wird Nordstern Gesandter sein. Diesen Birkfeld überlassen Sie mir. In diesem Augenblicke schon weiß der Minister, daß die nichtswürdigen Broschüren von ihm herrühren, welche kürzlich verbreitet wurden. Ich will nicht ruhen, bis dieser Elende bestraft ist, der es wagt, mich öffentlich zu verunglimpfen.
Thut er das? fragte ich erstaunt.
Sie sank auf die Kissen zurück und sagte nach einigen Augenblicken:
Ich will es Ihnen nicht verhehlen, Mathilde. Sie kennen mich besser, wie ich glaube, und denken zu verständig. – Meinen Soiréen haben Sie selbst beigewohnt, ich mache die strengste Auswahl. Die Herren spielen ein paar Stunden und spielen zuweilen hoch; sie können es, que m'importe! – Birkfeld – er hat nicht allein gewagt zu erzählen, daß in meinem Salon alle Plane der wüthendsten Junkerreaction geschmiedet würden – das wollte ich ihm verzeihen – es ehrt mich aus solchem Munde – aber er hat auch gewagt, zu behaupten, daß am Spieltisch sich meine Gäste ruinirten, und daß ich, – ich – die fromme Gräfin Aurora Brankau, nichts sei als eine Heuchlerin, die unter dem Deckmantel der Religion schamlose Sittenlosigkeit verberge.
Unerhört! Unmöglich! rief ich aus.
Im Grunde mag es wenig bedeuten, fuhr sie ruhiger fort, aber dieser Birkfeld hat einen Anhang, der auf seine Worte schwört. Er gilt für sehr ruhig, sehr gemäßigt, für einen jener weisen Narren, die die gefährlichsten sind, weil sie ohne Leidenschaft als Richter in Israel erscheinen, und als Hohepriester der Vernunft beräuchert werden. – Birkfeld hat Verbündete, die ihm geschäftige Handlangerdienste leisten; unter anderen selbst ihre Tante, Mathilde, die Generalin von Sturm.
Meine Tante Sturm? Was hat sie gethan?
Sie läutet Sturm, wie ich höre, sagte die Gräfin lachend. Sie erzählt, daß ihre arme, beklagenswerthe Nichte eine höchst unglückliche Ehe führe.
Das kann sie nicht gesagt haben, erwiederte ich. Sie weiß es besser, und ist keiner Lüge fähig.
Aber sie schreit über die Blindheit der Unschuld, welche, vernachlässigt und getäuscht, nicht sehen will oder kann, was um sie her vorgeht. Nordstern ist ihr ein Gräuel, und glücklich hat sie herausgebracht, daß er seine Abende hier verlebt, seine freien Stunden mir widmet, daß ich sein böser Geist bin, und daß er in meinen Schlingen gefangen liegt.
Ein leiser Schauer rieselte über mich hin; meine Augen thaten sich weit auf, ich sah sie starr an. Sie begegnete meinen Blicken, ein seltsames, kaltes Lächeln schwebte um ihren Mund; es war mir, als wollte sie meine heimlichen Gedanken mir aus der Brust holen.
Was denken Sie davon? fragte sie, als ich schwieg.
Nichts, sagte ich; aber Sie kennen Arnold, wie beurtheilen Sie ihn?
Wie einen Mann von glänzenden Gaben, großen Fähigkeiten und großer Zukunft, wenn er gut unterstützt wird. Sein Muth und sein Ehrgeiz reißen ihn fort, er darf nicht neben sich sehen, nicht stehen bleiben, auf keinen Widerstand achten. Sie besonders müssen ihn unterstützen.
So viel ich dies vermag, bin ich sein, flüsterte ich.
Es giebt zwei Arten Frauen, liebe Mathilde, erwiederte sie, die über der Masse hervorragen. Die einen durch die Schärfe ihres Geistes, durch die Freiheit ihres Urtheils, durch die Kühnheit und Verschlagenheit ihrer Pläne, mit denen sie den Geliebten durch alle Klippen und Abgründe begleiten und auf allen gefährlichen Gipfeln neben ihm stehen. Die anderen schmiegen sich an den Mann, den sie lieben, mit nie endender Bewunderung und Treue. Kein Opfer ist ihnen zu groß, keine That zu schwer, kein Wunsch und kein Wille erschreckt sie. Ihr Glaube ist der Glaube einer Heiligen an ihren Gott; was dieser auch befehlen möge, es ist gut, weil es von ihm kommt.
Und wenn ich mich nicht täusche, unterbrach ich sie, so deuten Sie, theure Aurora, mit diesen beiden Arten Frauen ein wenig auf uns selbst.
Ich gebe nur den Weg an, wie wir dem Manne, den wir lieben, angehören müssen, antwortete sie. Entweder ihm ganz ebenbürtig oder überragend, so stark, daß er aus Hochachtung und zu eigen ist, oder so ihm eigen, daß er, von so vieler Liebe und Treue gefesselt, von Mitleid und Mitgefühl erfüllt, uns in seinen Armen festhält und nicht lassen kann.
Aber es giebt eine Grenze, sagte ich. Auch der unterwürfigste Gehorsam – wenn man es so nennen will – hat die Forderung zu machen, nicht auf eine Stufe herabgedrückt zu werden, wo er seine Vernunft aufgeben, sein menschliches Recht verlieren soll.
Falsch! falsch! rief sie mit der blitzenden Lebendigkeit einer Freude, die sie plötzlich zu ergreifen schien. – Sagte ich es nicht, meine kleine Freundin gehört zu den Revolutionairen, die Gehorsam leisten, so lange dieser sich mit dem verträgt, was sie vernünftig nennen, die aber zur Rebellion greifen, wenn die Treue mehr von ihnen fordert.
Nein, erwiederte ich eben so lebhaft, meine Treue ist hoher und heiliger Opfer fähig, sie ist fern von Zweifelsucht, fern von Verdacht; aber es giebt einen Punkt – ich drückte die Hand auf mein Herz.
Da sitzt es, sprach sie lächelnd. Das arme Herz soll nicht beleidigt werden, den kleinen trotzigen Kopf nicht zur Verzweiflung bringen. Liebe, gute Mathilde, jede Frau ist ein Staat im Kleinen; sie bedarf einer Macht, die sie treibt und regiert, sie muß einen Herrscher haben, der ihr Gesetze macht, und einen Polizeiminister, der sie überwacht.
Mit Ausnahme derer, erwiederte ich lachend, die Selbstherrscher und Polizeiminister in eigener Person sind.
Wer so schöne Farben, so gewölbte Glieder hat und so herzhaft lachen kann, muß darauf seine Ansprüche machen, muß niemals philosophiren, rief sie, mich umarmend. Er muß in seiner Liebe und Treue den stolzen, edlen Cavalieren der Stuarts gleichen, die mit dem Rufe: Mein König kann kein Unrecht thun! ihre unwandelbare Ergebenheit selbst mit dem Tode besiegelten.
Was hat die Treue der Liebe damit zu schaffen? fragte ich. Den Tod für den Mann leiden, den wir lieben, ist nicht schwer. Liebe ist eine gläubige Schwärmerei der Seele für ein Wesen, das der beste Theil von uns selbst geworden ist. Wir sehen zu ihm empor wie zu einem heiligen Bilde, das und mit Kraft und Vertrauen beglückt.
Und nach diesem Bekenntniß doch kein unbedingter Gehorsam gegen den Heiligen? rief sie mit spottender Betonung aus.
Ich schüttelte leise den Kopf. Wir können nur lieben, die wir als Heilige erfinden, sagte ich. Ist es möglich, daß Liebe bestehen kann, wenn der Glaube wankt? Wenn, was uns göttlich und anbetungswürdig war, von seiner Hoheit sich entkleidet?
Das ist gefährlicher Skepticismus, fiel sie ein. Die Liebe untersucht nicht; Sie sind auf gefahrvollen Wegen, Mathilde. Wenn Nordstern von Ihnen forderte, was Sie für Unrecht hielten, würden Sie ihm den Gehorsam kündigen?
Er wird nichts fordern, sagte ich mit Entschiedenheit, was ich nicht gewähren könnte. Mein Mann kann nichts fordern, was ich nicht freudig erfüllte.
Das ist der rechte Glaube, rief sie aus, meine beiden Hände und mich selbst an sich ziehend, und nun folgten so viele Lobsprüche und Schmeicheleien, daß ich zuletzt nicht wußte, war es wirklich ehrlich gemeint, oder waren es geheime Spöttereien.
Ich habe mit Arnold zum ersten Male eine Scene gehabt, die mich noch jetzt in Aufruhr bringt. – Ich bin seit langer Zeit daran gewöhnt, daß er mich zurechtweist, mir rasche Worte sagt, welche mich zuweilen kränken, aber es waren immer nur verstimmende Augenblicke, die er gleich wieder gut machte. –
Als er heut nach Haus kam, schien er ungewöhnlich heiter zu sein. Sein Gang war so leicht, seine Stirn klar, seine Augen glänzten; er lächelte und nickte mir zu und erkundigte sich zärtlich nach meinem Befinden.
Du bist seit gestern ungewöhnlich ernsthaft, sagte er, als wir beisammen saßen, es muß Dich etwas ganz Besonderes beschäftigen.
Ich leugnete es, indem ich ihm versicherte, daß ich mich wohl fühle und nichts mich bedrücke.
Ich habe ein gutes Gewissen, schloß ich, und wer das hat, ist immer beruhigt.
Mit dem Gewissen ist es nicht immer abgemacht, erwiederte er. Man kann sich damit abfinden, wie ein Großinquisitor, oder ein Robespierre; vor den Menschen wandeln als ein Musterbild an Rechtschaffenheit, Weisheit und Tugend, und doch weit weniger werth sein, als die Geschmähten und Gekreuzigten.
Er blätterte in den Papieren, die er mitgebracht hatte, und lachte, indem er zu lesen schien.
Du bist froh gestimmt, sagte ich, es muß Dir Gutes widerfahren sein.
Wie man es nehmen will, erwiederte er. Ich freue mich über den Zorn der Gerechten, die mit dem vortrefflichsten Gewissen, tugendhaft bis über die Ohren, mich gar zu gern kreuzigen und verbrennen möchten.
Dich, Arnold? fragte ich.
Mich, sagte er. – Die Sache ist die, Mathilde, daß, nachdem sie in letzter Woche Hymnen und Psalmen angestimmt haben, daß der Herr den Staat vor mir errettet, ihnen jetzt der Gedanke wiederkehrt, daß bei alledem der böse Feind ihre Sinne mit Lüge und Täuschung umnebelt habe.
Was meinst Du? Was ist es? rief ich, indem ich meine Arbeit sinken ließ.
Ein Stern ist ihnen aufgegangen, fuhr er lachend fort. Sie finden plötzlich, daß es doch noch nicht ganz mit mir vorbei sei; ja, daß der Wind mit einem Male so günstig geworden ist, daß er mein scheiterndes Schiff nächstens mit vollen Segeln in den Hafen führen kann.
Ist es denn so? fragte ich.
Ja, Mathilde. Allen diesen Tugendspiegeln, allen diesen Gewissenshelden zum Tort wird es geschehen; all ihr Winseln und Seufzen wird ihnen zu nichts helfen. In wenigen Tagen denke ich Gesandter zu sein, und Se. Excellenz, der Freiherr von Nordstern, wirklicher Geheimrath, wird mit diesem Geschmeiß fertig sein.
Ich schwieg, denn in mir waren sehr verschiedene Empfindungen. –
Du scheinst Dich zu den Gewissenhaften zu wenden, rief er belustigt, Du siehst ganz schwermüthig darein.
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, antwortete ich leise.
Sei ohne Sorge, fuhr er lebhaft fort, ich habe so gute Nachrichten, daß ich selbst über diese boshaften Wische lachen kann, die heut die letzten Mittel versuchen, um meinen Charakter zu verdächtigen, und ihr verläumderisches Spiel auf mein Privatleben ausdehnen.
Auf Dein Privatleben? Was meinen sie damit?
O! sie fassen es allerdings von der empfindlichsten Seite an. – Du weißt, wie man jetzt über religiöse Gesinnung denkt, und mit vollem Recht verlangt, daß der Staat diesen wichtigen Grundstein aller Autorität benutze, so viel er immer vermag, und keine Diener dulde, die nicht dies Princip anerkennen und darnach sich verhalten.
Ist es möglich, fragte ich, religiösen Sinn zu befehlen?
Närrchen, rief er lachend, das ist freilich so wenig möglich, wie befehlen, es solle aus Regen Sonnenschein werden. Aber fordern und befehlen kann die oberste Leitung, daß ihre Diener dem angenommenen System sich anschließen, daß sie gehorsam nach den Grundsätzen desselben handeln, eifrig dafür wirken, sich selbst darnach halten, und mit ihrem Beispiele öffentlich vorangehen, mit einem Worte, daß sie sich fügen.
Aber das ist äußerer Zwang und innere Heuchelei, war meine Antwort.
Wahrhaftig, sagte er, Du stehst beinahe auf demselben Standpunkte wie jene edlen Gewissensmänner, die Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, und der Himmel weiß was noch für Freiheit verlangen, und mit tugendvoller Erbitterung über Zwang, Demoralisation und Tyrannei schreien. – Sieh hier, fuhr er fort, ein Blatt aufschlagend, lies diesen Salbader, er wird Dich in die Mitte ihrer heuchlerischen Weisheit versetzen. –
Er hielt mir das Blatt hin und las selbst. Es war ein scharf und kernig geschriebener Aufsatz, der sich auf's Strengste gegen Gewissens- und Glaubenszwang aussprach, und eine fürchterliche Darstellung der Anfechtungen und ihrer Folgen lieferte, welchen man ausgesetzt sei, wenn es so fort gehe. –
Wir wissen es zu gut, hieß es darin am Schluß, daß mit einem solchen System die innere Fäulniß groß und allgemein werden muß. Fanatismus, Aberglaube, Lüge und hohler Schein verdrängen und vernichten den wahren religiösen Sinn und die Moral, durch welche allein das rechte Christenthum im Volke gedeihen kann. Wir hassen den Indifferentismus, aber wir hassen noch weit mehr die Frivolität, welche sich mit dem Mantel der Frömmigkeit bekleidet. Wir könnten Beispiele anführen, wie weit dies geht. Männer, die vor nicht gar langer Zeit sich öffentlich rühmten, den Standpunkt positiver Religion ganz überwunden oder niemals gekannt zu haben, sieht man jetzt in den ersten Reihen der Gläubigen; Frauen, deren Leben zu ganz anderen Schlüssen berechtigt, stiften Vereine und erscheinen in dem Lichte bekehrter Heiliger. Hebt man aber diese dünne Decke auf, so erblickt man einen Abgrund, den wir nicht weiter enthüllen wollen. Ehrgeiz, Leichtsinn, Genußgier, die Hoffnung auf Stellung und Einfluß, alle schlimmen Leidenschaften der Menschheit vereinigen sich, um das neue Mittel zu benutzen; aber was hat die Gesellschaft zu erwarten, die solcher Werkzeuge sich bedienen will, welche in geheimen Lüsten, in Spiel, Verschwendung, sittenloser Intrigue und unsittlichen Verhältnissen alle Treue und alle Pflicht vergessen und verspotten? –
Das ist eine furchtbare Anklage, rief ich aus.
Arnold warf das Blatt fort. –
Und so geht es weiter, sagte er, eine ganze Spalte herunter. Aber weist Du, wer dies Panegyrikon auf uns gedichtet hat?
Auf uns? fragte ich.
Ohne Zweifel auf uns, lachte er auf. Dem edlen Verfasser haben unsere Gesellschaftskreise vorgeschwebt. Die Brankau, ich – Du, wir Alle. Die Anklage ist so deutlich, daß sie mit Händen gegriffen werden kann, es fehlen nur noch die Namen. Die Brankau und mancher Andere ärgert sich darüber, ich lache dazu, denn was kann es schaden, wenn Hunde bellen, deren Zähne längst ausgebrochen wurden!
Und wer soll der Verfasser sein?
Niemand als Birkfeld, ich kenne seine Feder. Es zweifelt auch kein Mensch mehr daran.
Und seine Absicht?
Die erkennst Du nicht? – Er will die Mächtigen vor uns warnen und schrecken. Es ist eine Denunciation, die wohl berechnet ist; gegen mich besonders ist sie gerichtet. Er möchte mich fortschaffen, mich wo möglich ins Exil schicken. Vielleicht erlaubte er mir in Gnaden nach Schloßberg zu gehen und meinen Kohl zu bauen, wenn ich erniedrigt und gedemüthigt genug mich schamvoll zu verbergen suchte.
Ich seufzte leise, doch ich wagte nicht auszusprechen, was ich in diesem Augenblick empfand.
Sie haben sich aber verrechnet, rief er, und bald wird die Stunde kommen, wo ich diesem Schelm die Suppe, die er sich einbrockt, salzen werde.
Ich dachte an das, was Aurore mir gesagt, und erschrak über seine Worte.
O! lieber Arnold, rief ich bittend seinen Arm ergreifend, laß Dich nicht zu rachsüchtiger Vergeltung fortreißen. Birkfeld war der Freund meines Vaters, er ist sogar entfernt verwandt mit uns, und seit den ersten Jahren meines Lebens habe ich ihn gekannt. Sicher meint er es nicht so böse, schon um meinetwegen kann er es nicht böse meinen.
Um Deinetwegen? erwiederte Arnold, und sein Blick, der sich einbohrte, nahm den höhnischen fatalen Ausdruck an. – Ah, ich erinnere mich – damit brach er ab, that ein paar Schritte und kehrte dann zurück.
Was diesen guten Birkfeld endlich treffen wird, sagte er, wird ihn überkommen ohne mich. Er hat in wenigen Wochen sich so vielen Leuten verhaßt gemacht, die ihm auf die Finger klopfen werden, daß ich mir die Mühe sparen kann; auch werde ich nicht mehr hier sein, um der Hetzjagd beizuwohnen. Aber was Dich näher angeht, Mathilde, ist Deine Tante Sturm, die nach ihrer Husarennatur, mit ihrem Strickbeutel als Husarentasche, umherläuft, und darin einen unermeßlichen Vorrath von Munition aller Art herbergt, den sie auf und abschießt.
Ich habe von ihren Uebereilungen gehört, antwortete ich.
Von dergleichen Weibern muß man sich befreien, fuhr er fort. Ihr den Mund stopfen ist unmöglich; wenn man sie untertauchte, würde sie es ganz so machen, wie die berühmte Frau, der dies geschah. Man kann sie nur verachten und ihr zeigen, daß man dies thut.
Ehe ich antworten konnte, meldete der Bediente den Cabinetsrath von Neumark. Arnold befahl, ihn in sein Zimmer zu führen, und wandte sich zu mir. –
Er kommt, um mir Nachrichten zu bringen, sagte er; wenn ich mit ihm fertig bin, führe ich ihn herüber. Du hast vortrefflich Dein Spiel gespielt, Mathilde, besonders gestern Abend. – Halte ihn nur noch einige Tage fest, dann thue, was Du willst.
Ich muß Dir erklären, sagte ich, daß Neumark in einer Weise zudringlich und lästig wird, die ich nicht länger ertragen will.
Er lachte. –
Halte ihn in Schranken, flüsterte er, wie willst Du denn Deinen Anbeter? Soll ihm alles Feuer fehlen? Soll er bescheiden in Worten, kühn in Thaten sein? – Neumark ist ja unwiderstehlich, sie sagen es Alle, und wenn er sein schwarzes Glas einklemmt, sieht er bezaubernd aus. – Ich schicke ihn Dir, Mathilde, verwandle die Flamme in Mondschein. –
Als er hinaus war, überfiel mich Herzklopfen und Traurigkeit. – War es möglich, daß er so sprechen konnte? Konnte er seiner Frau, die ihn liebte, die er liebte, einen Anbeter empfehlen, und mit ihr darüber scherzen, wie er es gethan? Er liebt dich nicht, du giltst nichts gegen seinen Ehrgeiz! murmelte die Schlange in mir. Er würde dich verkaufen, wenn er damit seinen Durst nach Macht, seinen eitlen Hochmuth befriedigen könnte. Gedanken, vor denen ich in Scham bebte, folgten dieser Warnung nach. Der Stolz meines Herzens rang gegen die Bitterkeit meiner Gefühle. Ich lebte bei den Vorstellungen, die mich quälten, der Glaube meiner Liebe und die kampfgierigen Zweifel, welche ihre Zähne in mein Fleisch schlugen, brachten mich zu Thränen, die endlich glühend heiß aus meinen Augen stürzten.
Mathilde! sagte eine sanfte Stimme endlich von der Thür her.
Ich riß das Taschentuch fort, es war Birkfeld.
Darf ich näher treten? fragte er. – Ihr Diener hat, da er mein langjähriger Bekannter ist, wie in alter Zeit mir gestattet, mich selbst anzumelden.
Ich trocknete rasch meine Augen, suchte zu verbergen, was mit ihnen vorgegangen war, und hieß ihn willkommen. Er setzte sich und schien nichts zu bemerken. –
Ich habe Sie längere Zeit nicht gesehen, begann er, aber ich war Ihnen doch nicht fern.
Man hat Sie nirgends entdecken können, erwiederte ich.
Hm! räusperte er sich lächelnd, indem er die Augen zukniff, ich bin eine in Acht und Bann gesprochene Person, und wenn wir nicht so gute Freunde wären, daß ich es wagen dürfte, würde ich mich auch hier nicht ins Haus wagen.
Sie haben mir, wie ich denke, kein Leid gethan, Birkfeld, und haben es auch nicht im Sinn, sagte ich lächelnd.
Gewiß nicht, war seine ruhige Antwort. Ich wache über Ihr Wohl, Mathilde, aus alter Angewohnheit, und habe in letzter Zeit mancherlei Besorgnisse darum gehabt.
Lieber Birkfeld, erwiederte ich, Sie wissen, wie hoch ich Sie schätze, und wie wenig ich von dem glaube, was man mir von Ihnen erzählt; dennoch möchte ich Sie warnen.
Sie mich? fragte er, seine Hände reibend, wie er immer thut, wenn ihn etwas belustigt. Das ist curios.
Ich, ja! rief ich aus. – Man sinnt darauf, Sie zu verderben.
Darauf hat man schon sehr lange gesonnen.
Aber man weiß von Ihnen– ich stockte.
Was weiß man, liebe Freundin?
Sie haben Schmähschriften gegen die Regierung geschrieben.
Das habe ich hübsch bleiben lassen, dabei kommt nichts heraus.
Aber Sie haben viele mächtige Personen beleidigt, und öffentlich gegen eine Dame gesprochen, die Ihnen dies nie vergeben wird.
Gegen die Gräfin Brankau und deren Treiben, sagte er, seine Augen weit öffnend, die so tiefblau und leuchtend sind.
Haben Sie dies geschrieben? fragte ich, indem ich das Blatt aufnahm, das Arnold liegen ließ, und ihm den Aufsatz zeigte.
Er sah ihn lächelnd an, dann mich. –
Sie sind ein scharfer Inquisitor, war seine Antwort, aber es freut mich, daß Sie das gelesen haben.
Es trat eine kleine Pause ein. –
Sie sollen nun auch wissen, liebe Mathilde, begann Birkfeld dann, warum ich zu Ihnen komme. Ich komme, Sie zu warnen. Ich, Ihr ältester und getreuester Freund. Glauben Sie, daß ich das bin?
Ja – ja! rief ich gepreßt und drückte seine Hand.
Gut, erwiederte er ruhig. Ich will Sie nicht ängstlich machen, aber Sie müssen fort von hier, so schnell wie möglich.
Ich? – Wohin? – Arnold verlassen? Mich trennen? Es ist unmöglich!
Nach Schloßberg, sagte Birkfeld. Sie sollen sich nicht von ihm trennen; er muß Sie begleiten.
O! mein theurer Freund, rief ich ergriffen von diesem Gedanken, er wird es nicht thun.
Es kommt darauf an. Vielleicht wird Ihr Wunsch doch erfüllt.
Was hoffen Sie? sagte ich. Ist es wahr, Birkfeld, was Arnold ahnet? Wirken Sie ihm mit allen Mitteln entgegen, daß sein brennendes Verlangen nach einer hohen Stellung nicht erfüllt werde? Häufen Sie alle Beschuldigungen und Anklagen gegen ihn zusammen, um ihn dem Hohn und Undank Preis zu geben?
Und wenn ich es thue, Mathilde, antwortete er, glauben Sie, daß ich lüge und verläumde? Wenn ich ihn für Sie erhalten, diesen Mann, der sein Glück so wenig verdient, Ihnen wieder zuführen möchte, giebt es andere Mittel, als – seine Thorheiten zu durchkreuzen?
Sie sind hart, grausam, ungerecht! sprach ich erregt. Sie hassen Arnold und verdammen ihn auf unerhörte Weise. Alle hassen ihn, aber es ist vergebens. In diesem Augenblick ist Neumark bei ihm. Ich zweifle nicht, daß er ihm die Gewißheit seiner Ernennung bringt.
Birkfeld schlug seine Augen klar auf zu mir, ein Strom von Mitleid und warmer Theilnahme brach daraus hervor.
Mathilde, sagte er, meine Hand fassend, wozu haben Sie sich herbeigelassen?
Was meinen Sie? – Was? flüsterte ich.
Ich meine diesen Neumark, erwiederte er. – Ich werde nichts weiter hinzufügen.
Reden Sie! rief ich, ihn fest ansehend. Sie sollen nichts von mir glauben, was ich nicht hören könnte.
Wir wurden unterbrochen, denn meine Tante Sturm öffnete die Thür und fuhr mit ihrem gewöhnlichen Ungestüm herein. –
Wenn Du mich auch böse ansiehst, sagte sie, ihren Strickbeutel auf den Tisch werfend, ich komme doch, denn Du bist meiner einzigen Schwester einziges Kind, und es soll nicht von mir gesagt werden, ich hätte meine Schuldigkeit nicht gethan.
So thue denn Deine Schuldigkeit, ober das, was Du dafür hältst, erwiederte ich, so gelassen ich konnte.
Sie stellte sich vor mich hin, stemmte den einen Arm in die Seite und den anderen auf den Tisch. Kannst Du mich mit gutem Gewissen ansehen? fragte sie, und wenn Deine selige Mutter hier stände, wo ich stehe, könntest Du ihren Blick aushalten?
So geneigt ich war, ihr eine heftige Antwort zu geben, so machte ihre vorwurfsvolle Stimme und die Mahnung an meine Mutter mich doch plötzlich ruhiger.
Ich denke, daß ich jedes Menschen Blick ertragen kann, sagte ich; aber meine nächste Verwandte, die mich am besten kennen sollte, müßte daran am wenigsten zweifeln.
Sie schwieg einen Augenblick und schüttelte mit Heftigkeit den Kopf.
Weißt Du denn, rief sie, was sie von Dir sagen?
Sie, wer ist das? – Was sagt man von mir?
Die Menschen, die Gesellschaft, die noblen Kreise! Sie sagen von Dir, daß Du Dich zu trösten weißt.
Und worüber weiß ich mich zu trösten?
Ueber die Flatterhaftigkeit Deines vielgeliebten, theuren Gemahls. Es ist eine Ehe nach der neuesten Mode. Er hat seine Amours und Du entschädigst Dich mit seiner Erlaubniß. Ist es wahr oder nicht, daß der allerliebste Herr von Neumark überall Dein Begleiter ist, daß er Dich führt, Dich besucht, Dich förmlich belagert, und daß Du öffentlich für seine neueste Eroberung giltst?
Herr von Neumark hat mir einige Male die Ehre erzeigt, mich auszuzeichnen, Tante. Ich kann Huldigungen, selbst wenn sie mir mißfallen, nicht ablehnen. Er ist der Freund meines Mannes.
Ein prachtvoller Freund! rief sie. Eine Frau, Mathilde, kann jeden Mann zur Raison bringen, wenn sie ihm den gehörigen Ernst zeigt, und nicht etwa aus geheimer Eitelkeit seine Anmaßung oder seine Leidenschaft begünstigt. – So klein und schwach wir sind, fuhr sie fort, indem sie auf den Tisch schlug und einen Kopf hoch länger zu werden schien, so haben wir doch Mittel, um dem Verwegensten Achtung zu lehren. Mein seliger Sturm sagte zuweilen, eine Batterie sei leichter zu nehmen, als eine Frau, die nicht genommen sein wolle, und das ist die einfache Wahrheit. Aber sie wollen eben genommen sein, daher kommen die Auftritte.
Ich hoffe, Tante, erwiederte ich erzürnt, daß weder ich noch Arnold –
Sie ließ mich nicht ausreden.
Was den betrifft, so verliere kein Wort, fiel sie ein. Ist es von Deiner Seite Leichtsinn oder Unerfahrenheit, so ist er dagegen ein abgehärteter, überlegter Sünder, der genau weiß, was er thut, um Dich zu verderben.
Wie kannst Du es wagen, rief ich zürnend und wankend, mir solche Worte von meinem Manne zu sagen!
Da ist nichts zu wagen dabei, antwortete sie kaltblütig. Weißt Du es nicht, ist es nicht Aerger über ihn, oder gegenseitiges Abkommen, sich nicht zu geniren, wie man sich erzählt, so weiß ich es um so besser. – Wenn Du meinst, er habe wunder wie wichtige Geschäfte abzumachen, so ist er bei der Brankau; wenn er in der Frühe nach Haus kommt, so hat er sie verlassen; wenn Du ihn unruhig erwartest, sitzt er an ihrer Seite und nimmt Unterricht im Beten!
Elende Verläumdung und Klatscherei! sagte ich glühend.
Er kann nicht ohne sie leben, fuhr meine Tante boshaft lachend fort. Was hängt über seinem Schreibtisch?
Eine Judith, flüsterte ich mit irrem Blick.
Ihr Bild, Du Lämmchen, rief sie auflachend, – ihr Bild für ihn gemalt. Und weißt Du, wohin Dein Geld wandert? Weißt Du, wer ihre Feste bezahlt? Weißt Du, warum er Schulden macht, warum er Deine Eichen niederschlagen läßt, und Schloßberg an den Mann bringen will?
Bis dahin hatte Birkfeld ohne ein Zeichen der Theilnahme schweigend zugehört, jetzt streckte ich meine Hände bittend zu ihm aus.
Reden Sie, mein Freund, reden Sie endlich, rief ich angstvoll. Was soll ich glauben? Was ist wahr? Bei Ihrem Gewissen, bei Ihrer Freundschaft für mich, beschwöre ich Sie, offen über Arnold zu sprechen und keine Lüge über ihn zu dulden.
Es ist jetzt nicht die Zeit, mich Ihnen zu erklären, erwiederte Birkfeld, indem er aufstand. Sie sind zu aufgeregt, theure Mathilde, schwerlich würden Sie die nöthige Ruhe haben, mich aufmerksam zu hören. Morgen will ich Sie wiedersehen, oder übermorgen, und bis dahin glauben Sie nichts.
So habe ich nichts zu fürchten, fiel ich erleichtert ein, dann ist es Verläumdung, was man geschäftig ausstreut, womit man selbst meine gute Tante getäuscht hat. Sie könnten mir nicht sagen, daß ich ruhig sein und nichts glauben sollte. Freundschaft und Ehre würden Ihnen nicht gestatten, mich mit falschem Troste einzuwiegen, wenn Sie selbst von den schändlichen Anklagen überzeugt wären.
Ich werde, was ich für wahr und gewiß halte, Ihnen nicht verhehlen, antwortete er. Seien Sie überzeugt, meine arme Freundin, daß ich das Beste erwarte: was aber auch geschehen möge, erinnern Sie sich, daß mein getreuer Beistand Ihnen immer gewiß ist, wo es sich um Ihr Glück handelt.
Als er diese letzten Worte sprach, erschien Arnold, der rasch hereintrat, und sein lächelndes, lebhaftes Gesicht beibehielt. Es schien ihm nicht ganz unerwünscht, Birkfeld hier zu finden; er überhäufte ihn mit Artigkeiten, begrüßte auch meine Tante ungewöhnlich gütig, die ihn grämlich anblinzelte, und setzte sich dann zu uns, indem er sogleich mit Birkfeld von allerlei politischen Neuigkeiten zu sprechen begann.
Seine Absicht war bald zu merken; er wollte Birkfeld durch die neuesten Triumphe seiner Partei ärgern und demüthigen. Er erzählte ihm, daß heut in aller Frühe schon Ministerrath gewesen sei, wobei ein halbes Dutzend Präsidenten ernannt worden wären, deren Namen er nannte, und seine blitzenden Augen dabei auf den Baron heftete, um die Wirkung seiner Mittheilungen zu genießen. – Er konnte jedoch sicher so wenig eine Aufregung bemerken, wie ich. Birkfeld saß mit dem sanften Lächeln in seinem Gesicht so mild da und nickte so beistimmend, als höre er das Alles sehr gern.
Es kann gar nicht anders sein, sagte er darauf, es ist nur zu wünschen, daß dieser ersten Auflage bald noch recht viele nachfolgen. –
Wir werden damit wenigstens aus der Schwäche und Halbheit heraus kommen, rief Arnold.
Und zur nothwendigen Energie übergeben, meinte Birkfeld gelassen. Aber wie kommt es, lieber Nordstern, daß Ihr Name auf dieser ersten Liste fehlt?
Weil ich so theilnehmende Freunde habe, antwortete Arnold lachend, die für mein Heil so besorgt sind, daß sie nicht aufhören, alle Mittel anzuwenden, um mich von dem Abgrunde zu erretten. Eine dieser edlen Seelen hat mich sogar heut als früheren Gottesläugner, Sabbathschänder und verschlagenen Heuchler geschildert, während zu gleicher Zeit meine geistigen Fähigkeiten und mein Charakter einer so sorgfältigen Kritik unterzogen werden, daß man mich chemisch zersetzt und nichts übrig läßt, als ein hohles Nichts.
Und auf diese Kritik hin hat man Sie von der Liste gestrichen? fragte Birkfeld.
Man hat sehr Recht gethan, versetzte Arnold mit frommer Miene. Der Moral und öffentlichen Meinung muß Rechnung getragen werden.
Aber Moral und öffentliche Meinung sind selbst ein hohles Nichts geworden. – Was werden Sie thun?
Ich? Gar nichts, erwiederte Arnold. Ich werde abwarten.
Sie haben also Hoffnungen? fragte Birkfeld, seine Augen öffnend.
Arnold's Gesicht drückte den lustigsten Spott aus.
Gott bewahre! sagte er, wer sollte sich wohl eines so unbedeutenden und nur durch seine edle Dreistigkeit bemerkungswerthen Junkers annehmen?
Birkfeld lächelte und nickte noch stärker.
Ich habe das auch gelesen, war seine Antwort, aber trösten Sie sich, lieber Nordstern, es ist das Schlimmste nicht, was man von Ihnen sagen kann. Im Gegentheil giebt es Ohren genug, vor denen solch Ausspruch jetzt hohes Lob ist. Edle Dreistigkeit oder Kühnheit ist dasselbe, und wo man mit nichts Anderem mehr durchkommt, ist es ja eben die unerschrockene Stirn, die über Scrupel und Zweifel hilft. –
Der Ton dieser Worte war freundlich, aber ich sah auf Arnold's Stirn eine dunkle Wolke.
Es giebt Menschen, gegen welche nichts weiter fruchtet als die feste Hand, rief er aus, und ich denke, wir erleben Beide bald den Tag, wo alle Intriguanten und Verräther sie fühlen sollen.
So ging es noch eine Zeit lang fort. Ich verstand nicht Alles, was sie sich gegenseitig sagten, aber ich bemerkte recht gut, wie Arnold mit Mühe an sich hielt, wie seine Adern hervortraten, und seine Blicke hin- und herflammten, während Birkfeld seine lächelnde Ruhe keinen Augenblick verlor.
Mein Herz zog mich zu Arnold, meine Gedanken richteten sich auf Birkfeld. Angstvolle Vorstellungen peinigten mich. Es kam mir vor, als sähe ich in Birkfeld's ruhigen, stolzen Zügen eine Schönheit glänzen, die ihn veredelte, während Arnold's Gesicht voll Leidenschaft heiß und roth war. – Ungläubig, und gläubig zugleich, saß ich zwischen Beiden, voller Furcht ihre Unterhaltung bewachend, und doch nicht geneigt, sie zu unterbrechen.
Endlich stand Arnold auf und sagte geringschätzig lachend:
Meine Stunde ist leider um, ich erwarte einige Freunde hier. Wenn diese Zeit nichts Gutes hat, so ist es das doch, daß man sein Haus säubert von Menschen, die nicht hinein gehören. Die Elemente scheiden sich, das Verwandte sucht sich das Verwandte, am widerwärtigsten aber sind die Heuchler, welche sich überall eindrängen, und unter ihrer Rhinozeroshaut die Fußstöße nicht fühlen, die man ihnen giebt.
Mein liebster Nordstern, erwiederte Birkfeld, allerdings ist es das charakteristische Zeichen unserer Zeit, daß Alle heucheln, allein auch die Heuchler sind heut zu Tage ganz anders, wie ehemals. Sonst dachte man sich unter dieser Benennung einen geschmeidigen, rückenkrummen Burschen mit feinlächelnden, demüthigen Mienen und großer Verschlagenheit; jetzt thut die Kühnheit auch dabei das Beste. Je plumper und gröber es Einer machen kann, so gewisser ist die Täuschung; je trotziger und frecher er auftritt, um so leichter sein Spiel. – Man verschwelgt fremdes Gut, betrügt und verräth die Nächsten, verläugnet die heiligsten Pflichten, bricht Eid und Ehre ohne zu erröthen, und thut sich obenein viel darauf zu Gute, alle Scham verloren zu haben. In keiner Zeit ist die Heuchelei so ordinair gewesen und hat doch so gute Geschäfte gemacht.
Was Arnold geantwortet haben würde, weiß ich nicht, es schien, als suche er nach Worten, er wurde jedoch durch Tante Sturm jeder Antwort überhoben. – Sie schwang den schwarzen Strickbeutel wie eine Lanze, und schrie mit ihrer kernigen Stimme:
So ist es, Birkfeld, und deswegen eben ist so viel Verdorbenheit bei den Menschen, die auftreten, als wollten sie die ganze Welt in die Tasche stecken. Mein seliger Sturm sagte einmal, als ich einen von den neumodischen Romanen las, in denen die vornehmen Leute als lauter elende Schufte und Narren abgemalt werden, während die armen Arbeiter und Mädchen lauter Engel an Gerechtigkeit und Großmuth sind – siehst Du, Margarethe, sagte er, das sind die Folgen der Heuchelei. Damit hetzen sie die ganze Menschheit auf, bringen Haß und Verachtung in alle Herzen, und reißen das rechte Christenthum aus, das Gerechtigkeit und Wahrheit, Liebe und Treue Allen befiehlt, und denen, die oben stehen, am allermeisten. Solche Menschen sind es eben, die alle diejenigen, welche durch Geburt und Reichthum, nach Gottes Willen, vorangestellt sind, in ein so schlechtes Licht setzen, als sei kein gutes Haar an ihnen, während es doch dem Himmel sei Dank! Manchen darunter giebt, der edel und gerecht denkt und handelt. Den Unsinn der communistischen Lehren rufen sie hervor, aber Recht wird darum Recht bleiben, und laß sie nur pochen und prahlen, der alte Gott lebt noch, die Wahrheit kommt doch nach oben, und wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Das Letzte sprach sie mit steigendem Eifer, indem sie heftig mit dem Kopf nickte und Arnold böse ansah, der dazu lachte. – Erzürnt nahm sie Birkfeld's Arm, der sich rasch verabschiedete und mit ihr fortging, um es zu keiner weiteren Strafpredigt kommen zu lassen.
Dies würdige Paar soll uns zum letzten Male belästigt haben, rief Arnold, als sie zur Thür hinaus waren, wohin er sie mit spottender Höflichkeit begleitete, und er sagte es so laut, daß sie es jedenfalls gehört haben müssen. – Du wirst Befehl geben, Mathilde, daß sie abgewiesen werden – oder ich! fügte er hinzu, indem er mich ansah; ich werde der Sache ein Ende machen.
Es ist meine Tante, erwiederte ich, meiner Mutter Schwester.
Gleichviel, ich will in meinem Hause vor Beleidigungen sicher sein, war seine Antwort.
Ich weiß nicht, was direct Dich beleidigen konnte, wandte ich ein, doch er unterbrach mich mit einigen hastig hervorgestoßenen Worten, daß sein Wille hier Gesetz sei.
Aber Dein Wille wird mich niemals zu einer unschicklichen Handlung zwingen wollen, sagte ich.
Seine Haltung war drohend, er biß die Lippen zusammen und wandte sich um. Nach einigen Augenblicken aber war er freundlicher. –
Wir wollen nicht streiten, rief er, mir die Hand reichend, und meinetwegen auch keinen Anlaß geben, das Feuer zu schüren. In wenigen Tagen, morgen schon, vielleicht heut noch, wird alles entschieden sein. – Neumark war so eilig, daß er nicht herein kommen konnte, was mir jetzt sehr lieb ist. Er wird heut Abend zu uns kommen. In seiner Hand liegt jetzt Alles, und durch ihn in Deiner Hand, liebe Mathilde. –
Darf ich offen zu Dir reden, Arnold? fragte ich.
Nicht jetzt, morgen, wann Du willst – nur nicht heut! rief er. – Aber ich will offen sein zu Dir. – Ich fordere eine Hülfe, die Deine Klugheit mir gewähren kann. Stelle Dich auf einen höheren Standpunkt, Mathilde; es handelt sich um Großes und Bedeutendes, um unsere Zukunft, um unser Glück, um mein ganzes Ringen und Streben. Ich sage nichts mehr zu Dir; ich kenne Dein Herz, und weiß, wie sicher ich darauf rechnen kann. Und im Grunde, was ist es denn? – Ein kleiner Roman, eine kleine Zerstreuung, eine Toilettengeschichte, über die wir künftig lachen werden. – Jeder Mensch hat seine Hoffnungen, und jede Frau muß ihren Mann unterstützen, wo es etwas gilt. Sei liebenswürdig, sei heiter, sei hoffnungsvoll, Mathilde, ich verspreche Dir dafür Alles, was Du Dir wünschen kannst. Zu Deinen Füßen will ich dankbar sein, doch jetzt muß ich fort, und wenn ich zu Mittag nicht erscheine, so verzeihe. – Wir haben eine Zusammenkunft bei der Brankau; es wäre möglich, daß sie mich festhielte. –
Ich ging in sein Zimmer, als er das Haus verlassen hatte, und betrachtete die Judith. Ein Zittern überfiel mich, je länger ich darauf hinstarrte. –
O! sie ist es, sie ist es! aber großer Gott! kann es möglich sein? Ist so viel Falschheit, so viel Verachtung mein Loos? Ich kann es nicht fassen und dennoch kann ich nicht mehr glauben.
Die Brankau ist bei mir gewesen, sie wollte mich sehen, wollte mich zu einer Spazierfahrt auffordern. Ich schützte Kopfschmerzen vor; sie blieb eine Stunde zu meiner Gesellschaft.
Wenn es wahr ist, daß Verstellung bei den Frauen eine natürliche Gabe ist, so bin ich stiefmütterlich bedacht worden. Ich habe einen Widerwillen gegen diese Frau gefaßt, und bin nicht im Stande, ihn zu verbergen. Welche Mühe macht es mir, sie anzusehen, und die gewöhnlichsten Formen zu beobachten! – Meine Hand zuckte, als sie mich berührte, ich hätte sie von mir stoßen und zurücktreten mögen. –
Die Tante und Birkfeld haben dies Mißtrauen und Grauen in mir bewirkt. Sie können nicht heucheln, und wo Birkfeld zum strengen Ankläger wird, da muß er überzeugt sein, daß er nicht anders kann. Aber ich weiß es wohl, auch meines Herzens Schwäche tritt hinzu. Ich möchte Schutz für Arnold suchen, möchte ihn entschuldigen, und ist es denn nicht so? Diese arglistige Frau hat ihn umstrickt, sie reißt ihn in ihre Netze, treibt ihn zu den trügerischen, ehrsüchtigen Entwürfen. Sie hat ihn vergiftet mit ihren Künsten, sie beherrscht ihn, und was soll daraus werden, was soll aus mir werden?
Während ich kalt und einsilbig blieb, war sie bis zur Zärtlichkeit gütig gegen mich, voller Theilnahme, voll tröstender Freundlichkeit und feiner Schmeichelworte. Meine Mißstimmung schien sie nicht zu bemerken. Ihre süße Stimme klang verführerisch; was sie sagte, war so reizend, die edle Gestalt so bezaubernd, daß ich verwirrt und demüthig mich davor beugte. –
O! mein Gott, ich begreife es, was bin ich gegen sie?! Sie ist so schön, so klug, so welterfahren. Ihr Geist durchdringt alle Verhältnisse, er hat männliche Stärke und Macht, er greift in alle Fäden und erschrickt vor keinen Schwierigkeiten. Was bin ich dagegen! – ich, so untergeordnet, immer kämpfend mit mir und nichts besitzend, als ein Herz mit seinen Sorgen und seinen Vorwürfen.
Aurora erzählte mir, daß Arnold bei ihr gespeist habe und jetzt einen Besuch mache. –
Ich hielt es kaum für nöthig, fügte sie hinzu, die Angelegenheit steht so gut, daß er ruhig warten konnte; aber er ist ungeduldig, und will das Eisen schmieden, weil es warm ist.
Sie glauben also, daß seine Ernennung erfolgt? fragte ich.
Ich zweifelte niemals daran, war ihre Antwort. Nordstern ist zu fähig und zu nöthig, ein Champion wie man ihn braucht, und wie er nicht häufig vorkommt. Die Schwächlichkeit der Vermittlungsmänner hat allein an den Verzögerungen schuld – seit aber Neumark ganz für uns gewonnen ist, fügte sie dann lächelnd hinzu, ihre großen dunklen Augen auf mich werfend, krümmt sich die Schwäche, wie gewöhnlich, zusammen und streichelt sich an den Rockfalten glatt.
Und bald kann es geschehen, sagen Sie? fuhr ich nachdenkend fort.
Sehr bald – vielleicht heut noch. Ihre Blicke beleben sich, Mathilde. Sie sind davon erfreut.
So sehr ich es sein kann. –
Sie lächelte und küßte mich. –
Meine arme, kleine Freundin, rief sie aus, das ist ein neuer Triumph Ihres Geistes über Ihr Herz. Wäre es Ihnen nicht lieber hier zu bleiben, oder nach Schloßberg zu gehen? und fühlen Sie nicht einen leisen Schauder vor dem Gewühl fremder Kreise? dabei Arnold kaum am Tage auf Minuten zu sehen, ein Haus machen zu müssen, mit Französisch und Englisch sich abzuplagen, mit steifen langweiligen Gesichtern sich zu langweilen, und dem Zwange der Etiquette Alles zu opfern, was Sie liebgewonnen haben? Das ist entsetzlich!
Entsetzlich, ja, aber ich weiß, daß ich mich fügen muß, erwiederte ich, somit werde ich thun, was ich vermag.
Heroische, himmlische Seele! rief sie, mich umarmend, wie wahr ist das alte Wort: Eine Frau, die liebt, kann Alles! Was wird aber geschehen, wenn unsere Kreise diesen Stern, der so leuchtend aufgegangen, so schnell verlieren sollen? – Was wird ein gewisser Sonnenanbeter sagen, wenn sein Gestirn, zu dessen Dienst er sich geschworen, ihm Licht und Leben entzieht?
Er wird, wie ich denke, Trost und Licht bei denen suchen, die seine Klagen um das zu früh Verschwundene theilen, erwiederte ich mit einem lächelnden Blicke auf sie.
Im Ernst, Mathilde, fuhr sie fort, wenn Nordstern heut oder morgen ernannt wird, so kann es kommen, daß er auch sofort einen Reisebefehl erhält. Seine Anwesenheit in ****** ist wichtig, die dringendsten Fragen warten dort, und es bedarf eben so großer Unerschrockenheit, wie unermüdlicher Arbeitslust, um in der ersten Zeit nicht zu unterliegen. –
Ich weiß nicht, warum es mir Vergnügen machte, ihr zu widersprechen, aber ich fühlte das größte Verlangen darnach, und als ich bemerkte, daß sie nach und nach gereizter wurde und ihre geistige Oberhoheit gegen mich ausüben wollte, ward ich immer bereitwilliger, ihr zu beweisen, daß ich mich nicht unterwerfen mochte.
Ihre Absicht war, mich zu überzeugen, daß ich Arnold nicht sogleich begleiten dürfe, wenn er sich auf seinen Posten verfügte. Er selbst sei ein Neuling in den Geschäften und Lebenskreisen, die ihn erwarteten. Er müsse sich einarbeiten und einleben, und würde dies weit leichter vermögen, wenn er vor der Hand nicht auch für die Herstellung und Anordnung seines Hauses zu sorgen habe.
Die Anordnung und Einrichtung seines Hauses, erwiederte ich, wird er hoffentlich mir überlassen können.
Theures Kind, antwortete Aurora mit einem gewissen übermüthig-mitleidigen Ausdruck, das Haus eines vornehmen Mannes einzurichten und ihm vorzustehen, erfordert eine künstlerische Bildung, die nur mit der Zeit erworben werden kann. Aus lauter Gutherzigkeit und Liebenswürdigkeit kann man Fehler machen, die Stoff zu unauslöschlichen Moquerien geben, und wer auf dem glatten Parquet des höheren Lebens, indem er zur Thür hereintritt, ausgleitet und fällt, ist für immer Gegenstand der Lächerlichkeit geworden.
Ich werde dies niemals werden, liebe Gräfin, sagte ich stolz.
Gute Mathilde! rief sie leise den Kopf schüttelnd, vor der Gefahr der Lächerlichkeit schützen uns weder Tugend, noch edler Sinn, noch sittliche Strenge, oder die achtungswerthesten Eigenschaften. Die Gesellschaft hat einen ganz anderen Maßstab, der in der feinen Form, der Gewohnheit, dem Schönheitssinn, der geistigen Beweglichkeit des Gedankens, und in dem ganzen Schliff eines Lebens liegt, das von den kunstvollen, glänzenden Rosetten des Salons erleuchtet wird. – Der ungeschliffene Diamant, und wäre er noch so kostbar, gilt dort nichts. Sehen Sie zum Beispiel Ihre würdige Tante, die Generalin; sie ist eine vortreffliche Frau, und doch von jeher nur Gegenstand der Lustigkeit gewesen, wo sie sich zeigte. Sehen Sie den Baron Birkfeld, er ist ein Mann von großer Gelehrsamkeit, dabei besitzt er Geist, Sarkasmen, Satyre, und dennoch lacht man ihn aus.
Das wird, wie ich denke, Vielen so gehen, fiel ich ein, die, gleich ihm, sich nicht so ausprägen lassen, wie die beliebte Form es will.
Sie haben das rechte Wort gefunden, fuhr sie fort. Das Gepräge ist es, worauf es ankommt! Der Inhalt mag immerhin Gold sein, wenn es verunstaltet ist, wirft man es weg und behilft sich lieber mit der feinen, glatten Composition der Scheidemünze. – Aber wir wollen diese Gleichnisse nicht fortsetzen, es ist besser einfach und wahr da zu sprechen, wo die Stimme der einfachen Wahrheit am liebsten gehört wird.
Sie wissen, Mathilde, daß Nordstern eigentlich einen gewagten, kühnen Sprung mitten in den höchsten Kreis macht. Er ist nicht dafür geboren, er gehört nicht dahin, er ist ein Eindringling, es wird mit ihm ein Versuch gemacht. Mißräth dieser, so fällt er zurück und keine Hand wird ihn halten, denn er hat keine Stützen, keine Familienverbindungen, keine mächtigen Verwandten. – So richten sich denn alle Blicke auf ihn; der Neid ist geschäftig, die Eifersucht rege, der erste Fehler, den er begeht, wird ein Geläut aller Glocken zur Folge haben. – Nordstern bedarf daher bewährten und geprüften Rathes, er bedarf Freunde, die den Boden kennen, auf dem er steht, die ihn ebnen und nichts verwirren.
Und das, meinen Sie, würde ich thun?
Sie haben jedenfalls Talent dazu, sagte sie lachend, obgleich es die liebenswürdigste Art ist, wie man Verwirrung anstiften kann. Aber, Mathilde, Sie sind Nordstern's erstem Auftreten dort im Wege, während Sie ihm hier von größtem Nutzen sein können. Bedarf es noch etwas Weiteres, um Sie zu überzeugen, daß Sie bleiben müssen? Können Sie Besseres thun, süßes Kind, als den Mann, den Sie lieben, mit solcher Hingebung auch zu verstehen?
Ich bedauere, daß mir dies höhere Verständniß fehlt, erwiederte ich, daß ich so einfach in meinen Sitten und so wenig geeignet zu der Politur der feinen Composition bin. Als ich Arnold heirathete, glaubte ich, niemals mich dahin zu verirren, wo ich oder er als Eindringlinge gelten könnten. Was aber auch geschehen mag, mein Platz ist bei ihm. Zu einer Intrigue bin ich zu gut oder zu schlecht, ihm dabei zu helfen vermag ich nicht; mögen meine Begriffe von Würde oder Ehre auch belustigend oder ländlich genannt werden, so werde ich doch nimmermehr mich zu einer Rolle verwenden lassen, die mir verächtlich und abscheulich erscheint.
Die Gräfin schwieg einige Augenblicke; es schien mir beinahe, als habe sie eine ähnliche Antwort erwartet. – Endlich sagte sie:
Es ist immer übel, wenn wir in veränderten Verhältnissen nicht fähig sind, das richtige Maß zu finden, und den kindlichen Trotz einer guten Seele da mitbringen, wo das Bewußtsein der That uns leiten soll. – Erinnern Sie sich, Mathilde, was ich Ihnen sagte. Hingebende Liebe fordert unbegrenzte Opfer. Sie haben jetzt Gelegenheit, sowohl dies zu beweisen, wie auch, wenn Sie wollen, sich kühn und gewandt zu zeigen. – Nordstern kann Ihnen leicht einmal verloren gehen.
Wenn er mir verloren geht, sprach ich erregt, wenn wirklich eintreten könnte, was Sie andeuten und was mich durchbohrt, so kann es nur dadurch geschehen, daß ich aufhörte, ihn zu lieben, weil ich ihn verachten müßte.
Mit welchen Gedanken martern Sie sich? erwiederte sie. Nur wenn Sie die Hand zurückstoßen, die Sie zum Verständniß ihrer richtigen jetzigen Stellung bringen will, kann Unglück über Sie kommen.
Nein, Gräfin, rief ich aufstehend, und meine Augen hefteten sich fest und stolz auf sie, ich bin nicht wie ein Kind zu behandeln, das sich geduldig leiten läßt. In diesem Irrthum befindet sich Arnold vielleicht, und meine Schuld mag es sein. – Er geht aber auf falschen Wegen, nicht ich; er hat sich vor Schuld und Unglück zu hüten; ich werde immer ertragen können, was mir droht. Bin ich betrogen, so will ich nicht betrügen, und wie Lüge und Sünde sich auch geistvoll und höher begabt nennen mögen: sie bleiben, was sie sind; ich mag feine Gemeinschaft mit ihnen.
Vortrefflich, sagte sie lächelnd, allein Sie erhitzen sich, meine kleine eifrige Freundin, und bei Ihrem Kopfschmerz ist das gefährlich. Sonderbar, wie wenig Männer oft ihre Frauen kennen. Sie haben Willensstärke und großen Muth, Mathilde; ich habe das erklärt, nachdem ich Sie zweimal gesehen hatte. Er hat es nicht glauben wollen, jetzt wird er es empfinden. Ich kann Ihnen keinen Rath geben, gutes Kind. Sie sind entschlossen zum Bruch, er wird nicht ausbleiben. –
Mit diesen Worten ist sie gegangen. –
In welcher Seelenangst habe ich diesen letzten Tag verlebt! Ich habe von einem Manne gelesen, der an einem morschen Seile über einem furchtbaren Abgrunde schwebte und langsam heraufgewunden wurde. Er kam glücklich an, aber sein dunkles Haar war weiß geworden. –
Arnold habe ich fast gar nicht gesehen, nur auf Augenblicke, und wie ich glaube, vermied er absichtlich alle Gelegenheit zu einer Annäherung. Niemand ist zu mir gekommen, weder Birkfeld, noch die Tante, noch selbst Neumark, der im Hause war; er fuhr mit Arnold fort, ohne mich zu sehen. –
Es ist, als ob mich Alle flöhen; meine Unruhe stieg mit jeder Stunde, und als es dunkel wurde, saß ich mit festgeklammerten Händen in einer finsteren Ecke, und wenn ich denken wollte, faßte mich eine glühende Hand und drückte meinen Kopf zusammen. Ich hielt das morsche Seil meiner Hoffnung in Todesnoth fest, jeder Gedanke war ein Messer, das die letzten Fasern zerschnitt. Ich sah den Abgrund deutlich unter meinen Füßen und schloß meine Augen; aber was hilft alles Augenschließen, was helfen die qualvollen Rettungsversuche eines verzweifelnden Herzens, wenn der Wurm in unserem Gehirn immer wieder sein Klopfen und Hämmern beginnt, die Macht, der wir nicht entrinnen können, ohne zu enden oder wahnsinnig zu werden, uns zwingt zu hören, was sie uns zuflüstert.
Zuweilen gelang es mir, ruhiger zu werden. Ich gelobte mir, vernünftig zu handeln, ich fand Stärke darin, zu bedenken, daß ich nicht schutzlos sei, daß meine Tante und mehr noch Birkfeld Rath und Hülfe für mich hätten, und endlich, daß, trotz alles Scheins, doch Arnold selbst mich und sich zu retten vermöchte. Plötzlich aber brach dann ein Gedanke, wie ein Blitz, der eine Gewitternacht durchzuckt, durch alle diese trügerischen Bauwerke, und ließ sie hell aufflammen und zusammenstürzen.
Mitten in einer solchen trostlosen Verlassenheit, wo meine Augen in die leergebrannten Trümmer starrten, hörte ich draußen eine Stimme, die mich bis ins Mark erschütterte. – Ich wollte aufspringen, wollte befehlen, Niemand den Eintritt zu gestatten, wollte fliehen, aber stand mitten in dem halbdunklen Zimmer, als Neumark hereintrat, dem Franz die Thür öffnete.
Sie sind allein, gnädige Frau? fragte er, und in Dunkelheit?
Bringe Licht, Franz, sagte ich.
Er führte mich an das Sopha. – Man schreit so viel über die Finsterniß dieser Zeit, sagte er, nun aber fühle ich mehr als je, welch ein Vorzug es sein kann, zu den Finsterlingen zu gehören.
Um dennoch lichtfreundliche Gesinnungen zu haben, erwiederte ich.
Das heißt da, wo das süße Licht mir auch im Finstern leuchtet, rief er lachend. – Sie zittern, gnädige Frau. Zittern ist ein Zustand, welcher die verschiedenste Auslegung finden kann. Er kann Freude, Glück und Minne, eben so wohl aber das Entgegengesetzteste ausdrücken.
Sie haben die Erwartung vergessen, antwortete ich.
Darf ich das auf mich beziehen? fragte er rasch.
Gewiß, ich habe Sie längst erwartet, sagte ich.
O! wie Schade, rief er aus, daß ich nicht in Ihren Augen dies reizende Geständniß verfolgen kann. –
Er küßte meine Hand, die er trotz meines Sträubens festhielt, bis ich mich frei machte.
Haben Sie meinen Mann gesehen? fragte ich.
Grausame Dame, erwiederte er, in diesem Augenblick erinnern Sie mich an ihn? Lassen wir diesen Undankbaren, der nach Schätzen sucht und Regenwürmer findet, während er den schönsten Schatz, den die Götter ihm zuwandten, nicht zu würdigen versteht.
Es wurde Licht gebracht, und ich behielt Zeit, bei einigen gleichgültigen Fragen mich zu sammeln. – Neumark mochte mir ansehen, daß ich erregt und verwirrt sei; er verhielt sich abwartend, erzählte mir Allerlei, und führte mich geschickt damit, wohin er wollte.
Wissen Sie, sagte er endlich, daß wir einige ausgezeichnete, neue Erscheinungen in unseren Kreisen zu erwarten haben? – Er nannte ein paar Familien von hohem Rang, die sich entschlossen hatten, einige Monate in der Hauptstadt zu verleben, spöttelte dann über seinen werthen Freund, den Präsidenten, der, von den drei Grazien, seinen Töchtern, umringt, nächstens einer entfernten Provinz zuschweben würde, wohin er als Proconsul versetzt worden sei, und fügte zuletzt im leichtesten Tone hinzu: Wenn wir somit genügsam sein wollen, können wir uns um den Verlust trösten, den uns die Gräfin Brankau bereitet.
Bereitet sie uns Verluste? fragte ich rasch.
Keine unersetzlichen, sagte er lachend, indem er mich anblickte. Sie reist heut Nacht oder morgen.
Wohin?
Wissen Sie das nicht?
O! richtig, Sie begleitet Arnold, rief ich, an meine Stirn fassend. Wie gütig meine liebe Freundin ist, wie viel habe ich gut zu machen!
Quitte à double! murmelte er, mich keck betrachtend.
Aber mein Mann, fuhr ich fort, wie steht es mit ihm? Ist seine Ernennung sicher?
Unterzeichnet, sagte er. Heut früh, als ich hier war, brachte ich ihm die Gewißheit; Alles wurde zwischen uns abgemacht. Sie wissen das nicht?
Ich sollte meinen, daß ich Allerlei gehört hätte, was mich mehr noch interessierte, erwiederte ich lächelnd.
Das heißt, wir bleiben hier! antwortete er. Ist es das?
Ich nickte und lehnte mich zurück, um seinen Fingern zu entgehen.
Wir bleiben, er reist – aber wann? Ich hoffe, sehr bald.
Natürlich morgen. Ich habe dafür sorgen helfen, flüsterte er.
Und diese Sorge hat sich auch auf mich erstreckt, wie ich vermuthe, sagte ich. Nämlich auf mein Hierbleiben.
Neumark besann sich einen Augenblick, dann erwiederte er mit seinem spöttischen kalten Tone:
Ich muß jedes Verdienst dieser Art von mir ablehnen. Er war im Voraus und gewiß schon seit längerer Zeit dazu entschlossen, Sie den Unbequemlichkeiten einer eiligen Reise in dieser Jahreszeit nicht auszusetzen. Schon vor einer Woche wenigstens hatte er mir seine Besorgnisse mitgetheilt, und mich gebeten, in diesem Falle jede mögliche Sorgfalt für Sie zu tragen.
Ah! das ist mehr noch, als ich erwartete, rief ich lebhaft. Aber bei aller Bescheidenheit muß ich annehmen, daß Ihr ritterlicher Charakter seine Bitte nicht abgeschlagen hat.
Ich habe ihm heut noch die Versicherung ertheilt, zu allen Seiten Ihr ergebenster und treuester Freund und Diener zu sein.
Und ich nehme diese Versicherung an, sagte ich, denn wer war jemals eines treuen Freundes benöthigter, als ich in meiner Verlassenheit!
Was ich mit dem Ausdruck tief empfundener Wahrheit sagte, hielt er ohne Zweifel für ein Kunstproduct, das seine Bewunderung erregte. Er tröstete mich ganz in der Weise, wie er ein Recht dazu zu haben glaubte, und suchte mit guter Berechnung mir Aufschlüsse zu geben, die ihm nützen und mir über mögliche Bedenken forthelfen konnten. –
Alles, was ich hörte, weckte in mir die Art von Selbstironie auf, welche das Product eines bis zur Verachtung gelangten großen Schmerzes ist. – Ich lachte und spottete, ich sann auf Antworten, deren beißende Schärfe sich gegen Alles richtete, was mir einfiel; ich sah, wie ich Neumark damit entzückte, wie er ganz erstaunt war, eine solche Fülle von Bosheit in mir zu entdecken, und ich nahm seine schmeichelnden Bekenntnisse über meinen fein organisirten Geist mit Gegenbemerkungen in Empfang, die ihn noch mehr elektrisirten. –
Ich weiß nicht, was ich that, aber ich, erfüllte ihn mit Hochachtung, und sicher gab er den Gedanken auf, in mir eine ziemlich leichte Beute zu erblicken, mit der man wenig Umstände zu machen brauche, denn ohne irgend eine Mahnung wagte er nicht ein Wort mehr, das mich verletzt haben könnte.
Wir werden, sagte er endlich lächelnd, unsere Freundschaft als, ebenbürtige Mächte abschließen, das heißt auf Tractaten begründen, die uns gegenseitige Vortheile sichern.
Ich hoffe doch, es kommt dabei nicht bis zum Eide, erwiederte ich scherzend.
Was Eide bedeuten, wissen wir, fuhr er belustigt fort. Die wahre Freiheit besteht darin, daß sie jeden Zwang haßt und ihren Willen als einziges Gesetz erkennend, auf so lange mit anderen Willen in Einklang setzt, als beide das Bedürfniß dazu haben. – Nordstern hat wirklich glückliche Constellationen. Zwei Damen von höchster Willensfreiheit verbinden sich mit ihm, zwei feine und glänzende Frauen, die von dem schweren Erdenstaube alltäglicher Nüchternheit sich erlöst haben, theilen sich in diesen Endymion.
Aber Eine kann ihn nur besitzen, rief ich, meine Locken zurückwerfend.
Und er, flüsterte er mit listigem Lächeln – er hat gewählt.
Ich auch, antwortete ich rasch.
Wer ist der Glücklichste? fragte er, meine Hände küssend.
Stil! sagte ich, Spötter, was ist das Glück? Ein wesenloses Ding, ein Wahn, der uns täuscht, ich frage nichts darnach. Im Willen liegt die Kraft, über Glück und Unglück des Lebens zu stehen, jede Fessel zu brechen, die uns hinabziehen will.
So behalte denn Jeder, was er besitzt, rief er aus. Aber wissen Sie, was ich der Brankau zutraue? – Sie hat eine solche Gewalt über Nordstern gewonnen, hat ihn so in den Maschen, daß er sich schwer jemals wird frei machen können.
Und was liegt daran, wenn er stecken bleibt? fragte ich.
Göttliche Frau, sagte er, ich möchte niederknieen und Sie anbeten. Die Brankau wird Nordstern nützlich sein, sie ist für die Intrigue geboren. Er kann sie zu den subtilsten Beobachtungen anwenden; sie hat den Instinkt, auf's Feinste zu combiniren, aber sie ist eine Verschwenderin. Sie wird viel Geld brauchen, derangirt ist sie längst, und ich müßte sehr irren, wenn nicht –
Wenn Nordstern nicht seit langer Zeit ihr gefälliger Kassier gewesen sein sollte, fiel ich ein. Darin irren Sie nicht.
Das wissen Sie also auch? erwiederte er erstaunt. Diese Toleranz ist die höchste zu erringende. Man kann gegen einen Treulosen gleichgültig sein, kann über seinen Geschmack lachen und ihm guten Appetit wünschen, kann den contrat-social so erweitern, daß Niemand genirt wird, dergleichen Beispiele sind keine Seltenheiten; aber mit demselben edlen Selbstbewußtsein die Börse zu den Füßen der Freundin schleudern, ist die höchste, seltenste Spitze der Emancipation.
Sie sehen, lieber Neumark, sagte ich lachend, daß es bei mir nicht la bourse ou la vie! heißt.
Ich sehe noch mehr, rief er, ich sehe eine Vollendung, vor der ich mich tief beuge, wie vor einem großen Meister.
Der seinen größeren Schüler gewiß bald zu einer neuen Lection erwarten darf.
Die ihm neue Geheimnisse aufschließt, flüsterte er mir zu. Wann darf der Schüler nahen?
Sobald ich mit Nordstern meine Rechnung abgeschlossen habe, erwiederte ich.
Damit beginnt mein Conto, lachte er, seinen Hut fassend; und ehe ich es hindern konnte, fühlte ich einen Kuß auf meinen Lippen.
Sie zürnen doch nicht, himmlischer Meister? fragte er von der Thüre zurück.
O! nein nein! rief ich ihn fortwinkend, ich finde es ganz in der Ordnung. Ein andermal mehr.
Er schlüpfte zur Thür hinaus. – Vernichtet, meine Hände krampfhaft in mein heißes Gesicht drückend, ohnmächtig und mit Abscheu erfüllt, sank ich in die Kissen zurück.
Alles ist vorüber. Er ist fort, ich bin allein, bin in Schloßberg, und dort sitzt meine Tante Sturm strickend am Fenster, schaut auf den See hinaus, betrachtet den fahlen Eichwald und schwört, daß kein Baum angerührt werden solle, da jeder Contract null und nichtig sei, den ich nicht unterschrieben habe. Birkfeld wird nachkommen, sobald er kann. O! welche Nächte, welche Tage! Und doch bin ich ruhiger, stärker und gefaßter, als ich selbst mir zutraute. Das macht der Wille, der die Fessel zerbricht, die Ueberzeugung, daß es nicht anders sein kann – die Ueberzeugung, daß Arnold aus meinem Herzen gerissen werden mußte, weil er keinen Platz mehr darin fand.
Es giebt mir Trost, diese Worte niederzuschreiben. Ich klage nicht, ich weine nicht. Weinen kann man nur um Schmerzliches, ich empfinde keinen Schmerz. Ich weiß, daß ich leiden muß, aber ich weiß auch, daß diese Leiden nothwendig sind. Wie ein Arzt eine Wunde ausbrennt, der Kranke aber sich sagt, diese Pein rettet dein Leben, so habe ich meine Wunde selbst ausgebrannt, ohne Furcht vor dem glühenden Eisen.
Arnold kam an jenem letzten Abend sehr spät nach Haus, es war mitten in der Nacht, und bis der Morgen dämmerte, blieb er in seinem Zimmer wach, ordnete seine Papiere, arbeitete und packte zusammen. Ich lag im Bett und bewachte jedes Geräusch, hörte jedes Wort, jeden Schritt – er kam herein, und ich mochte ihn nicht anreden. – Er trank Kaffee, den Franz, der ihm Beistand leistete, bereitet hatte; endlich als es heller Tag war, warf er sich aufs Sopha in seinen Kleidern und schlief ein paar Stunden.
Ich saß inzwischen auf den Kissen aufrecht und überlegte, was ich thun wollte, nochmals. Während der ganzen unendlichen, qualvollen Nacht war dieß mein einziger Gedanke gewesen. Endlich stand ich auf, kleidete mich an und begab mich in das Familienzimmer. – Ich frühstückte allein. Sonst hatte ich immer gewartet, bis er kam, heut wartete ich nicht – ich mußte mich daran gewöhnen, allein zu sein.
Der Herr reist? fragte ich den alten Diener – ich konnte nicht »mein Mann« sagen, meine Zunge weigerte sich, und weigerte sich noch mehr vor dem fremden Worte.
Wann reift er?
Um zehn Uhr habe ich den Wagen bestellt, war seine Antwort.
Und Du? fragte ich.
Der gnädige Herr will, daß ich ihn bis auf Weiteres begleite.
Du hast zu wählen, sagte ich. Du bist ein alter Diener meines Vaters, Franz; Du hast mich auf Deinen Armen getragen. Willst Du mit dem Herrn von Nordstern gehen, so thue es; willst Du bei mir bleiben, so wirst Du heut noch mit mir nach Schloßberg zurückkehren.
Der alte Mann sah mich mit einem eigenthümlichen Ausdruck von Zärtlichkeit, Mitleid, Freude und Kummer an. Er streckte seine Arme betheuernd in die Höh', nickte mit dem weißhärigen Kopfe und sagte halb laut, als fürchte er sich:
Ja, ja! Schloßberg, da ist es gut. Das ist ein schlechter Boden hier, schlechte Luft. O! ah! gnädigste Frau, wie blaß sind Sie hier geworden, und damals, ja – o! wo der gnädige Herr Papa, mein alter Herr, so oft sagte: Was sie für Backen hat, wie gemalt. Wie Borstorfer Apfel, Franz! – Haha!
Alles wird wiederkommen, antwortete ich, ihm die Hand drückend. Jetzt geh, und wenn der Herr aufwacht, sage ihm, ich sei hier.
Ich nahm die Zeitungen und las; wie gewöhnlich auf den ersten Blick fand ich seine Erinnerung, und noch hielt ich das Blatt in der Hand, als er hereintrat.
Steht es schon darin? fragte er lebhaft.
Ich reichte es ihm zu. –
Das ist die beste Antwort auf das Geheul der Meute, rief er lachend. Auch der letzte nichtswürdige Versuch, den Birkfeld angezettelt hat, ist gescheitert. Dafür ist gestern beschlossen worden, ihn zur Untersuchung zu ziehen wegen seines Antheils an den Broschüren; er wird heut schon die Vorladung erhalten haben.
Da er behauptet, unbetheiligt zu sein, antwortete ich, wird er ohne Sorge sein können.
Du hast großes Vertrauen zu seiner Wahrheitsliebe! rief er spottend aus.
Weil ich niemals fand, daß Birkfeld gelogen hätte, sagte ich.
Wahr oder falsch, erwiederte er, Du mußt von jetzt ab jeden Umgang mit ihm abbrechen. Ein Mensch, der in solchem Verdacht steht, sich so persönlich feindlich gegen mich stellt, darf in Deiner Nähe nicht mehr erscheinen.
Ich glaube, war meine Antwort, daß mein Umgang künftig von meinem Ermessen abhängen wird.
Von meinen Vorschriften, die Du befolgen wirst, sagte er nachdrücklich. Du wirst keine Unschicklichkeiten begehen, mich nicht compromittiren.
Sei versichert, Arnold, daß dies meine erste Sorge sein wird, gab ich zurück, aber setze Dich zu mir und laß uns ruhig über unsere Angelegenheiten sprechen.
Ruhig, aber ganz kurz, fiel er ein. In einer Stunde muß ich fort. Ich werde Dir schreiben, Mathilde, sobald ich vermag. Inzwischen bleibst Du, Neumark wird Dich beschützen; Du weißt, was ich wünsche und erwarte. Ich habe seine Hülfe jetzt erst recht dringend nöthig; Deine Klugheit wird Alles anwenden, ihn im Interesse zu erhalten. Und nun sprich, was kann ich noch für Deine Wünsche thun?
Zuvörderst, sagte ich, da unsere Trennung lange währen kann, beantworte mir einige Fragen. Ich habe mich zeither nicht um mein Vermögen gekümmert, gieb mir Auskunft darüber.
Er blickte mich erstaunt und finster an.
Ich werde ausreichend Sorge tragen, erwiederte er, daß Du vor jeder Verlegenheit geschützt bist. Im Uebrigen plage mich jetzt nicht mit einer Rechnungslegung, die ich Dir überhaupt nicht schuldig bin.
Du bist sie mir schuldig, sobald ich sie fordere, antwortete ich; und ich fordere sie jetzt, weil ich wissen will, was davon noch mein ist.
Das Blut stieg ihm dunkel ins Gesicht, aber er bezwang sich.
Du hast mir oft gesagt, begann er, daß Alles, was Du besäßest, mein volles und freies Eigenthum sei, und hast mich gebeten, damit zu schalten, wie es mir gefalle. – Wer hat Dir jetzt das Köpfchen so verwirrt? Wer hat es angestiftet, daß Du mir Dinge sagst, Die mich empören müßten, wenn ich nicht größer dächte? Ich bitte Dich, Mathilde, laß uns die letzte Stunde nicht mit elenden Zwistigkeiten verbittern.
Du willst mir ausweichen, sagte ich ihn festhaltend, als er aufstehen wollte, ich darf das nicht zulassen. – Sage mir aufrichtig, wie viel Dein hohes Spiel und die Kosten der Feste Deiner Freundin von meinem baaren Vermögen übrig gelassen haben?
Ich muß bekennen, rief er mit Heftigkeit aufspringend, daß diese Insolenz das Maß meiner Geduld übersteigt.
Ich werde Dir darauf nicht weiter antworten, sprach ich gelassen, ich fürchte jedoch, daß dies Geld vollständig verbraucht sein muß, da Du den Eichwald in Schloßberg niederschlagen läßt.
Er hatte sich gesammelt und richtete seine Augen freundlicher auf mich. Ich kann nicht denken, Mathilde, sagte er, daß Du mir ungerechte Vorwürfe machen willst.
Nein, erwiederte ich, davon bin ich weit entfernt, denn ob gerecht ob ungerecht, so wären sie in gleichem Maße vergebens. Du hast mir öfter gesagt, daß an vollendeten Thatsachen nichts mehr geändert werden könne.
So willst Du eigentlich nur eine Beichte, sagte er. Gut, um Dich zu beruhigen, weigere ich mich nicht, Dir zu gestehen, daß allerdings von unserem Gelde ein Theil verbraucht worden ist.
Sage dreist, Alles verbraucht worden ist, fiel ich ein.
Nun ja, wenigstens der größte Theil, rief er lachend meine Hände nehmend und an meine Seite rückend. Siehst Du, Mathilde, ich halte nicht damit zurück. Diese Jahre haben Opfer gefordert; was sind für Anstrengungen gemacht worden – patriotische Anstrengungen – und überall hieß es Geld geben. – Ich, der ich voran stand, durfte mich um so weniger ausschließen, meine Börse mußte zu allen Zeiten und bei allen Fällen offen sein.
Die Feste der Brankau waren somit ebenfalls patriotische Anstrengungen? sagte ich lächelnd.
Du mußt einsehen, erwiederte er, daß sie nothwendig waren. Sie bildeten den belebenden Mittelpunkt für unsere ganze Partei. – Glaubst Du, daß es sonst möglich gewesen wäre, dahin zu gelangen, wo wir sind, und daß in Bezug auf mich selbst es möglich gewesen wäre, zu erreichen, was ich erreicht habe?
Im letzten Fall bin ich allerdings überzeugt, daß Neumark das Beste dazu beigetragen hat.
Durch Dich, Mathilde, nun ja – und wer könnte dankbarer sein! – Harre nur einige Monate noch, so folgst Du mir. Hoffentlich habe ich dann Neumark nicht mehr nöthig.
Er wird überflüssig, so gut wie ich es bin, sagte ich. – Ich werde Dir niemals folgen, Arnold, denn weder Dein Herz, noch Deinen Besitz, noch mein Haus oder mein Vermögen will ich fernerhin mit Deiner geistreichen Freundin theilen.
Also eifersüchtig, Mathilde? Wahrhaftig eifersüchtig! rief er mich umarmend und laut lachend, um mit dieser Unverschämtheit mich zu erdrücken.
Nein, war meine Antwort, darüber bin ich hinaus. Sie ist Dir nothwendig, sie wird Dir sehr nützlich sein. Ich könnte Dir dagegen wenig bieten, würde wahrscheinlich Deine Verlegenheiten vermehren, während, wenn ich hier bleibe, Neumark sich die ersinnlichste Mühe geben wird, mir gefällig zu sein, und wenn ich es recht anfange, kann ich ihn so vollständig fesseln, daß auf lange hinaus er allen meinen Winken folgt.
Das hoffe ich, Mathilde, das ist die Erwartung, welche ich hege, erwiederte er.
Die Brankau hat mir Alles klar gemacht, Du hast geholfen, Neumark selbst wird das Uebrige thun. Aber Arnold, ich bin jung, unerfahren, reizbar, ich bin nicht ohne Leidenschaft – ich weiß nicht, wohin diese Intrigue, bei der ich allein stehe, führen kann.
Du bist ein Närrchen, rief er belustigt. Ich fürchte von Deinen Leidenschaften nichts, denn ich weiß, daß Du mich liebst, und weiß eben so wohl, daß Dein Kopf stark genug ist, um Blut und Jugend die Zügel zu halten. – Du bist keine Frau, die ihren Mann compromittiren kann durch irgend einen öffentlichen Scandal. Was Du auch thun magst, es wird überlegt sein, es wird mit Besonnenheit ausgeführt werden. Der Zweck heiligt die Mittel! mag man darüber denken, wie man will. – Auf jeden Fall hast Du volle Freiheit, über Dich zu bestimmen.
Das will ich, erwiederte ich von einem unbeschreiblichen Weh gefaßt, indem ich aufstand. – Wir müssen uns trennen, Arnold, für immer trennen. Zwischen uns liegt eine Kluft, die durch Nichts mehr sich ausfüllen läßt.
Was meinst Du? Was sagt Du da? fragte er erschrocken und ungläubig, mich starr ansehend.
Ich werde den nöthigen Rechtsbeistand finden, fuhr ich fort, und hoffentlich wird die Trennung unserer Ehe von seiner Seite erschwert werden.
Mathilde! schrie er auf, und alle Farbe verließ sein Gesicht.
Ich gehe noch heut nach Schloßberg, sprach ich mit so vieler Ruhe, wie möglich. Mein Justiziar soll an Dich schreiben. Mache Deine Forderung, ich werde mich nicht weigern, auf alle Bedingungen einzugehen.
Um Gotteswillen! Du bist im Fieber – Du hast den Verstand verloren! rief er mich am Arm fassend und in seine Nähe ziehend. Rede, Mathilde! Sprich zu mir. – Sage mir, daß es ein Scherz, ein Traum, ein Einfall ist. – Liebst Du mich nicht mehr? Habe ich Dein Vertrauen ganz verloren?
Ich liebe Dich nicht mehr, erwiederte ich tonlos, denn Du hast mich verrathen und verlassen. – Das Alles wollte ich Dir verzeihen – wollte in Demuth warten, bis Dein Herz sich wieder zu mir wendet, aber Du hast mich hingeworfen auf den Markt, mich verkauft. – Ein Mann, der das vermag, hat nichts mehr von mir zu hoffen, als –
Halt ein! rief er zornfunkelnd. Mit diesem Worte wankt die Brücke zwischen uns; laß sie nicht stürzen, Mathilde.
Was kannst Du zu Deiner Vertheidigung sagen? fragte ich – O! wenn es möglich wäre, wenn ich mich täuschen könnte – auf meinen Knieen wollte ich Dir Abbitte leisten, Deinen Fuß auf meinen Nacken setzen, Deine willenlose Sclavin für immer sein. – Aber das ist es, darin eben hast Du Dich verrechnet. – Deine Freundin kannte mich besser, sie beeilte sich, mich für das höhere Verständniß des Lebens reif zu machen; meine bäuerische Natur konnte nicht lernen. – Nein, Arnold, es ist aus mit uns. – Wir müssen uns scheiden. Der Bruch ist da, wie die Brankau richtig sagte, er ist nicht mehr zu vermeiden – suche und finde Dein Glück bei der, die zu Dir paßt; ich weiß, daß ich es nicht vermag.
Was willst Du denn? Was verlangst Du denn? erwiederte er. Erhole Dich, werde ruhig, laß uns zu einer Vermittlung kommen.
Die giebt es nicht, war meine Antwort. – Ich will Dir nur eine Frage stellen: Willst Du dem Ministerpräsidenten schreiben, daß Du für alle Huld und Gnade dankst? Willst Du mich nach Schloßberg begleiten, und dort mit mir leben?
Nein! sagte er mit stolzer Bestimmtheit – das ist Narrheit, wie überhaupt alle Deine Anschauungen auf die Spitze gedrängt, überspannt und verrenkt sind. – Du bist immer unklar, ein Spiel Deiner fantastischen Einbildungen gewesen.
Du wirst mich nicht zwingen wollen, Dir den ganzen Verlauf Deiner Handlungen herzuzahlen, sagte ich.
Trage Deine Kindereien vor, rief er, kein vernünftiger Mensch wird sich davon rühren lassen. Erkennen wird man nur, daß ich Recht gethan habe, bei der feinen, geistvollen Brankau Schutz zu suchen.
Ich fand mit gefalteten Händen vor ihm, meine Augen auf ihn gerichtet. Eine Minute lang blieb ich sprachlos von dieser Antwort, während er unruhig hin und her blickte, vielleicht im Gefühl, daß er zu weit gegangen sei. –
Du hast selbst Schuld, Mathilde, sagte er mild sich nähernd, wenn ich gereizt antworte. Ihr Frauen tragt immer den meisten Antheil an ehelichen Scenen, durch Euren Widerspruchsgeist und Eigensinn, der keine vernünftige Ueberlegung aller Verhältnisse zuläßt.
O! wie wahr ist es, rief ich meine Augen aufhebend, daß in dieser schrecklichen Zeit die Heuchelei alle Scham verloren hat.
Er erwiederte nichts, aber er deckte die Hand auf seine Stirn und drehte sich schnell um, als meine Tante in das Zimmer trat. –
Was höre ich denn? rief sie. Du willst reisen? Der Wagen steht vor der Thür. Alle Welt schreit über den neuen Herrn Gesandten, und ich weiß nichts davon? Kein Wort, keine Zeile hast Du mir geschickt.
Beruhige Dich, liebe Tante, erwiederte ich, ich reise allerdings, aber nach Schloßberg, und ich würde zu Dir gekommen sein, um Dich zu bitten, mich zu begleiten.
Das versteht sich, Mathilde, sagte sie, allein kannst Du nicht bleiben, Du mußt Schutz und Beistand haben, und Landluft wird Dir besser thun, selbst jetzt, wo es beinahe noch Winter ist, als die Luft, welche Dich hier umgiebt. Wie krank Du aussiehst. Zum Erbarmen! – Da kommt Birkfeld; er wird mir beistimmen.
Ich zuckte zusammen bei Birkfeld's Anblick, und doch war es mir, als erhielte ich durch seine Nähe eine höhere Sicherheit. – Arnold blieb abgewandt stehen, während wir die ersten Worte wechselten.
Ich höre, sagte der Baron, daß Nordstern sogleich fort muß, und da ich nicht weiß, wann ich Sie wiedersehen werde, komme ich, um mein Versprechen zu erfüllen.
Nehmen Sie meinen Dank, theuerer Freund, antwortete ich. Ihr aufrichtiger Rath, den ich mir erbeten hatte, stimmt, wie ich hoffen darf, mit dem Uebereinkommen zusammen, das ich mit Arnold getroffen habe.
Mein Mann wandte sich zu uns, als habe er jetzt erst Birkfeld's Anwesenheit bemerkt. –
O! Birkfeld, rief er, ich bin erfreut, Sie zu sehen. Sie kommen ganz zur rechten Zeit, denn kaum bleibt mir eine Viertelstunde, um Ihnen Mathildens Glück und Wohlfahrt aufs Innigste empfehlen zu können.
Ihre Frau wird Sie also nicht begleiten, Nordstern? fragte Birkfeld.
Nein, erwiederte Arnold lächelnd; es ist ihr Wunsch und Wille, mich überhaupt nicht mehr zu begleiten. Zum letzten Male, gute Mathilde, frage ich Dich in Gegenwart Deiner beiden bewährten Freunde und Rather: ist es Deine Ueberzeugung, und läßt diese sich nicht ändern, bestehst Du darauf, Dich von mir zu trennen?
Ja, Arnold, antwortete ich; es kann nicht anders sein.
So mag es denn sein, sagte er meine Hand ergreifend und küssend. Du hast meine Einwilligung.
Wie, Nordstern! rief Birkfeld, mich festhaltend und den Arm zu ihm erhebend, sind alle Mittel bis auf dies letzte erschöpft?
Durch Ihre gütige Mitwirkung, die das Beste dabei gethan hat, vielleicht auch durch Irrthümer von meiner Seite, war seine Antwort, indem er sich höflich, verbeugte. Ich bitte, schweigen wir Alle darüber; ich weiß, unsere Standpunkte lassen sich nicht vermitteln. Wir werden keinen Zank erheben, wir werden freundlich trennen, was die Bindung verloren hat. – Nehmen Sie Mathilde, Birkfeld; ich bekenne, daß ich sie nicht länger glücklich machen kann. Was ich verschuldet habe, vergüten Sie es ihr. Leiten Sie ein was geschehen muß; ich werde so viel wirken, als ich vermag, um jedes Geräusch zu vermeiden. Wenn Mathilde nach Schloßberg geht, von dort aus in größter Stille die nöthigen Schritte thut, so wird die Angelegenheit schnell und mühelos zu Ende geführt werden.
Und was – was soll das arme Kind denn als Grund angeben? rief meine Tante.
Treten Sie an Ihre Stelle, beste Tante Sturm, sagte er, und klagen Sie getrost auf unüberwindliche Abneigung.
Ja, die habe ich, schrie meine Tante, denn hinter allem diesem Lächeln, diesem sanften Wesen, dieser bezuckerten Süßigkeit und Milde ist doch nichts verborgen als Sünde und Schande und innere Verdorbenheit. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte Thränen bei Ihnen gesehen und Seelenschmerz, aber Reue ist nur bei denen, die dazu fähig sind. Gott sei also gedankt! daß Mathilde frei wird, mag dabei verloren gehen, was da will.
Ich hoffe, Sie auch darüber zu beruhigen, antwortete Arnold mit einer anderen lächelnden Verbeugung, aber meine Pferde warten. So lebe denn wohl, Mathilde, laß Deines Herzens Güte immer über meinem Andenken walten, und wenn wir uns wiedersehen – sei es, daß wir nichts bereuen.
Ich fiel in Birkfeld's Arme zurück. Meine Augen waren dunkel, als ich seinen Schritt hörte. Als die Räder seines Wagens rollten, fuhr ich elektrisch auf, ein Schrei, sein Name widerhallte im Zimmer, und meine krampfhaft verstrickten Hände deckten sich auf mein Gesicht.
Du kannst es nicht tragen, Mathilde, rief meine Tante, das Herzeleid bringt Dich um. Ruf ihn zurück, versöhne Dich! Wir wollen Alles versuchen!
O! Tante, sagte ich mit fester Stimme, mich aufrichtend, um keinen Preis der Welt kannst Du mein Elend wollen. – Reden Sie, Birkfeld, sagen Sie mir, ob ich recht gehandelt habe?
Seine tiefblauen Augen öffneten sich weit und strömten ihre Liebe über mich aus. –
Die Kämpfe unseres Herzens, sagte er mild, in denen wir uns läutern – werden mit unserem besten Blute bezahlt. Große Siege fordern große Opfer, aber es ist kein leerer Wahn, Mathilde, daß eine göttliche Macht uns überwinden hilft.
Nach einer Stunde ruhigen Gesprächs und auf Birkfeld's Rath schrieb ich ein Billet an Neumark, in welchem ich ihm Arnold's Abreise anzeigte, zugleich aber mich ihm empfahl, da ich nothwendig mich nach Schloßberg begeben müsse. – Dies Billet sandte ich fort, als der Wagen bereit war, der mich zur Eisenbahn brachte, und hier in Schloßberg habe ich nun ein sehr feines, sehr bescheidenes und sehr schmachtendes Briefchen von meinem betrübten Anbeter erhalten, der so bald nicht auf Antwort rechnen darf.
Meine Scheidung ist erfolgt, ein Jahr ist hingegangen – seit einem Monate bin ich frei, und jetzt kommt der Frühling wieder. Ueber dem See spiegelt die Himmelsbläue, die Kronen meiner geretteten Eichen werden wieder grün, und o! ich kann wieder weinen und lachen.
Alles danke ich Birkfeld, Alles seiner Treue, und Tante Sturm schlug gestern mit der Hand auf den Tisch, und schrie mir zu:
Mathilde, wenn Du gegen Birkfeld undankbar bist, so giebt es keine Gerechtigkeit mehr in der Welt. Deinetwegen hat er alle seine Pläne und Reisen aufgegeben, ist geblieben, um Dir beizustehen, hat Deine Sache geführt bei Advocaten, Richtern, Pharisäern, und mitten in dem Wirrwarr hat er obenein immer auch an seine eigene Haut denken müssen, denn gar zu gern hätten sie ihn in feste Mauern gebracht.
Gott sei Dank, daß er frei ist, daß wir beide frei sind! fiel ich ein. Aber wie soll ich ihm denn danken, Tante? fügte ich lachend hinzu, weil ich ihre Ungeduld bemerkte.
Was das für eine Frage ist! rief sie. – Wie kann eine junge freie Frau einem Manne danken, von dem sie genau weiß, was unter seinem dritten Knopfe geschrieben steht?
Also in seinem Herzen, erwiederte ich. Aber, beste Tante, ich kann doch wirklich nicht zu ihm sagen: Birkfeld, da bin ich. wollen Sie mich haben? – Er hat mit keiner Sylbe mir angedeutet, was in ihm vorgeht. Er ist immer sich gleich, immer hülfreich, immer gut, und wenn er seine freundlichen Augen öffnet, überkommt es mich mit so heißer Freude, daß ich ihm beide Hände reichen möchte.
Tante Sturm stand auf, legte ihre Finger auf meine Stirn und sah mir so sonderbar starr ins Gesicht, daß ich roth wurde.
Was treibst Du denn? fragte ich, was drohst Du mir?
Du hast mir einmal ein Geheimniß anvertraut, Mathilde, antwortete sie lachend, weißt Du noch, als Arnold Gesandter werden sollte? Jetzt werde ich Dir ein Geheimniß mittheilen, aber Du mußt es ganz für Dich behalten, kein Mensch darf etwas davon erfahren. Du liebst ihn! schrie sie mir ins Ohr, daß das Zimmer dröhnte.
Um's Himmels Willen, Tante! fuhr ich auf, aber ich ließ den Arm sinken, und sagte gelassen: Warum sollte ich ihn nicht lieben? Er ist der beste, der edelste Mann, den ich bis jetzt kennen lernte.
Ich sehe es auch nicht ein, antwortete sie, aber Du mußt es ihm sagen, denn, wie ich ihn kenne, wird er niemals Dir einen Antrag machen. Du hast ihn früher verschmäht, hast den jungen schönen Nordstern vorgezogen, der hat Dich dafür behandelt wie ein Gänschen vom Lande, mit dem er machen mochte, was er Lust hatte; was hat aber Birkfeld gethan? und was thut er noch jetzt? – Schloßberg hat er dem Nordstern aus den Zähnen gerissen, hat ihn so tractirt mit Politessen und Ermahnungen, daß Deine Ehe Dich nichts kostet, als die dreißig tausend Thaler, die er mit der Brankau durchgebracht hat.
Du schmähst Arnold noch immer, Tante, unterbrach ich sie, er hat aber Wort gehalten und ist auf Alles eingegangen. –
Sie ließ sich nicht stören. –
Was hat Birkfeld weiter gethan? fuhr sie fort. Er ist hierher gekommen, hat Dein Gut verwaltet, hat Dir die richtigen Leute ausgesucht, hat Zeit, Mühen und Geld geopfert, um Dir zu dienen, und ist noch jetzt Tag für Tag in Arbeit für Dich, um alle Beschwerden des Besitzes von Dir zu entfernen. Von dem aber, was er für Dich im Herzen fühlt, kann und wird er Dir nichts sagen.
Ich blickte still vor mich hin, als eben ein Brief hereingebracht wurde. Ich kannte die Aufschrift, er war von Neumark. Seit einiger Zeit hatte ich mehre empfangen, die äußerst lebhaft, witzig, eindringlich geschrieben waren; er bittet mich in jedem, zurückzukehren, aber in diesem – ja, wirklich! es steht klar und deutlich darin – er trägt mir seine Hand an! –
Und welche Neuigkeit habe ich dabei erfahren! Arnold hat sich von der Brankau getrennt, sie hat ihn verlassen, aufgegeben, und er – er hat sich mit der reichen Tochter und einzigen Erbin eines Handelsherrn verlobt! – Neumark witzelt darüber. Sie soll häßlich und schief sein, aber was thut das! Der gute Papa hängt seinen Kassenschlüssel an die unglückliche Hüfte, und sie ist feingeformt und schlank, wie ein antikes Meisterstück. Neumark ruft aus, daß ich gerächt sei und es bald noch mehr sein werde. O! mag er glücklich leben, mag er sie glücklich machen, das ist Alles, was ich wünsche. –
Birkfeld kommt. Er hat Freunde in der Nähe besucht. Tante Sturm, er soll mir Rede stehen!
So bin ich denn, was ich vor vier Jahren hätte sein sollen, wenn meines Herzens Täuschungen mich nicht ins ungewisse Lebensmeer geschleudert hätten – ich bin Birkfeld's Verlobte!
Als er gestern zu mir hereintrat, sah ich, daß er ein wenig unruhig und hastig war, und nach den ersten Begrüßungen fragte ich ihn, was ihn betrübe?
Ich fürchte, meine letzte Stunde ist gekommen, antwortete er lächelnd.
Wie? rief ich erschrocken. Sind Sie krank, Birkfeld? Mein Gott! ängstigen Sie mich nicht. Es kann nicht sein, es wäre zu schrecklich!
Was wäre schrecklich, theuere Freundin?
Ich mag es gar nicht aussprechen – ich mag es nicht denken! fiel ich ein, und meine Hand zitterte heftig in der seinen, während ich die andere auf meine Augen deckte.
Ich sah aber doch, wie er mich betrachtete, wie seine Augen aufstrahlten, und wie ein zärtlicher Kummer, eine tiefe Empfindung sein Gesicht veredelte.
Hören Sie mich an, liebe Freundin, sagte er. Meine letzte Stunde ist so gemeint, daß ich Sie lange Zeit nicht mehr sehen werde. Ich bin jetzt wieder mehre Monate in Ihrer Gesellschaft, lebe in Ihrem Hause, in Ihrem täglichen Umgange. Ich muß fort, Mathilde, die Ursachen liegen nahe. Sie sind jung, schön, reich, die Welt liegt offen vor Ihnen, Sie müssen hineintreten. Ich werde endlich meine große Reise antreten, die mich seit Jahr und Tag beschäftigt. Es ist wirklich die höchste Zeit, wenn noch etwas daraus werden soll, fügte er leiser hinzu, indem er seine Augen ganz zukniff und seine Hände rieb.
Ich darf mich nicht beklagen, erwiederte ich; reisen Sie, Birkfeld, verlassen Sie mich, wenn es Ihr Wille ist, aber zum letzten Male fordere ich Ihren guten Rath in einer wichtigen Angelegenheit.
Ich zog Neumark's Brief aus der Tasche und reichte ihm diesen. Er las ihn aufmerksam. –
Was soll ich thun? fragte ich.
Ich denke, erwiederte er, daß Sie die richtige Antwort gefunden haben.
Das habe ich, und hier ist sie, erwiederte ich, indem ich ihm ein Blättchen gab, auf welches ich geschrieben hatte:
Er hielt das Blatt, dann schlug er seine Augen groß auf, voll Rührung, voll Liebe, aber ohne ein Wort zu sagen.
Darf ich Neumark diese Karte schicken? flüsterte ich bebend.
O! Mathilde, erwiederte er die Hand auf seine Brust legend – welche Seligkeit, die ein ganzes Leben aufwiegt, liegt in dieser Frage.
Und die letzte Stunde ist nicht gekommen, rief ich, meine Arme um ihn schlagend – sie wird nie kommen, Birkfeld – grausamer Freund, keine Reise ohne mich, wohin es auch sei – hier oder fort, Birkfeld – aber kein Verlassen!
Niemals! niemals! sagte er, und seine Küsse schlossen meine Lippen.
Bravo! schrie Tante Sturm hinter uns. – Küsse ihn, Mathilde, ja halte ihn fest und küsse ihn, oder ich reiße ihn Dir fort, und thue es für die ganze Familie. – Deine Eltern sind nicht mehr da, um ihren Segen zu geben, mein seliger Sturm kann auch nicht mehr Amen sagen, und seinen lieben Birkfeld ans Herz drücken, aber ich kann Alles. Segen über euch, Gottes reicher Segen! – doch das versteht sich eigentlich von selbst, und nun keine Narrenspossen weiter, kommt beide in meine Arme.
Sie öffnete ihre mächtigen Arme und lachte, aber die Thränen liefen still über ihr Gesicht, und das Glück dieser reinen, schönen Stunde wird dauern und unser Leben begleiten. –
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