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1.

Seit uralten Zeiten war es Sitte in der guten kurmainzischen Stadt Erfurt, daß am ersten Sonntage nach Frohnleichnam, dem hohen geistlichen Feste, ein lustiges Volksfest folgte. War die Geistlichkeit am Frohnleichnamstage unter Gesang und Lichtesglanz mit geputzten Kinderschaaren und unter Geleit der Brüderschaften und vieler Gläubigen durch die blumenbestreuten Straßen gezogen, so stieg am Sonntage darauf ein Haufe von Schalksnarren in allen Vermummungen vom Dome herunter, und dieser »kleine Frohnleichnamstag,« wie er genannt wurde, war ein Tag großer und allgemeiner Lustigkeit, an welchem die tollsten Streiche die besten waren.

Im Jahre 1803 ging am kleinen Frohnleichnamstage die Sonne in voller Herrlichkeit auf, und Erfurt war voll froher, lachender Menschen. Vom Petersberge herunter, vom Dom und allen Kirchen, flatterten zahlreiche Fahnen, alle Häuser waren bekränzt und reich geschmückt; in das mächtige Geläut der Domglocken mischten sich die Silbertöne des St. Severinstiftes, und Lärm und Gedränge füllten die Straßen am Graben, wo es zum Dome hinaufgeht.

Hier standen zwei Reihen Soldaten von der österreichischen Besatzung, und weiterhin die des kurmainzischen Bataillons, um Ordnung zu halten unter dem Stadt- und Landvolk; denn aus den thüringischen Bergen waren Tausende gekommen; Weiber mit schwarzen Kopftüchern und langen flatternden Bändern daran, Mädchen in rothen Röcken, schwarzen Miedern und weißen Faltenschürzen, Männer und Bursche in kleinen dreieckigen Hüten und blauen langen Staatsanzügen, deren thalergroße Knöpfe in der Sonne blitzten. –

All dies Volk drängte sich dem Domhofe zu und mischte sich mit Bürgern und Gesellen der Stadt. Die Soldaten ließen jedoch Keinen die Stufen hinauf und erregten durch ihre Grobheit fast eben so vielen Unmuth, wie manche junge Offiziere, die mit aufgeschlagenen Hüten, blank und stattlich durch die Menge hin und her zogen, mit den Dirnen scherzten, die Damen an den Fenstern beäugelten und begrüßten und den Bürgern und Bauern, welche ihnen nicht schnell genug auswichen, mit ihren Degengefäßen Aufmerksamkeit beibrachten.

Es ist weiß Gott zu arg! schrie einer der Gestoßenen, der sich den Arm rieb. Wart ihr Sakermenter! Die Preußen kommen und werden euch die Röcke ausziehen. Mit Haselruthen werden sie es euch zu kosten geben.

Gelt, sagte ein Anderer, es sind jetzt Manche unter den Kurmainzern, die die Nase bis in die Wolken tragen, wenn aber die Preußen kommen, Nachbar, und Erfurt sammt dem Eichsfeld verschlucken, wie ein Butterbrod, weil's ihnen der Franzos als Entschädigung zuerkannt hat, meint ihr denn, es sollte darum besser werden? Gebt Acht wie's die Preußen machen. Fragt nur nach, wie es drüben hergeht, wie sie's bürgerliche Pack behandeln. – Eine Schand' ist's, daß wir derweil verkauft werden, wie's liebe Vieh, von den großen Hänsen. – Der Kurfürst von Mainz ist unser Herr seit ein paar Jahrhunderten und hat uns vielerlei Gutes gethan. Wo ist aber ein Recht, daß der Regreß uns verhandelt, bei dem der Franzos und der Russe zu Gericht sitzen?!

Jeder nimmt was er kriegen kann vom deutschen Reich, rief ein Dritter dazwischen. Die Pfaffen haben es ausgeplündert, manches Jahr; hat aber ein Pfaffenseckel weder Boden noch Deckel. Jetzt kommt die Reihe an sie, und es wird ihnen Wenig übrig bleiben.

Ein Gelächter entstand rund umher; der jedoch, welcher vorher gesprochen hatte, rief eifrig: Euch wirds auch noch gereuen, ihr preußisch Gesinnten, denen der protestantische Herr besser behagt, wie der Krummstab. Weinen sollten wir alle über die Heidenwirthschaft, statt dessen verhöhnt ihr die armen Leut', die Soldaten, die von eurem eigenen Fleisch und Blut sind, bis sie um sich schlagen und uns wie ihre ärgsten Feinde ansehen. Alle Tag' ist Schlägerei in den Wirthshäusern, und daß Gott erbarm'! es wird auch heut blutige Köpfe genug geben.

Ein heftiger Streit entspann sich, und für Kurmainz und Preußen bildeten sich Parteien, an denen man sehen konnte, wie es in Erfurt damals aussah. Die Protestanten waren meist für Preußen und sie waren die Ueberzahl und die Reichsten und Thätigsten; die Katholiken waren für den Erzbischof, den alten milden Dalberg. Beide Theile warfen sich harte Dinge vor. Wie Kurmainz mit Gewalt die alte Freiheit Erfurts unterdrückt und die Stadt mit Hülfe der Franzosen erobert habe; wie diese ausgeschält worden sei, um den Mainzer Adel und die Mainzer Prälaten zu bereichern; wie Geld und Gut an den Rhein wanderten, um dort verpraßt zu werden, und wie jetzt ganze Häuser und Gassen fast leer stünden, kein Handel, kein Geschäft mehr sei und von 60 000 Einwohnern kaum 20 000 noch übrig wären.

Die Katholischen gaben's den Protestanten tapfer zurück, daß sie mit ihrer Unzufriedenheit, ihren Händeln und Fortziehen aus der Stadt den Ruin verschuldet hätten. Der Landesherr würde verlacht und verhöhnt, und nicht allein Preußen-Freunde wären jetzt die meisten, sondern viele sogar Franzosen-Freunde. Revolution und Unheil sei ihre Lust; die Jugend wäre verdorben, keine Frömmigkeit und keine Achtung vor der Obrigkeit mehr; aber die Preußen würden über sie kommen und der Franzos dazu, der das ganze Rheinufer schon in die Tasche gesteckt habe.

Es war nahe daran, daß aus dem Streiten ein Schlagen geworden wäre, wie es oft schon der Fall gewesen, als plötzlich ein Mann von herculischer Gestalt unter die erhitzten Bürger fuhr und Ruhe gebot.

Ihr Himmelsakermenter! schrie er, ist noch nicht genug Spectakel in der Welt. Wollt ihr den einzigen lustigen Lag auch noch ruiniren? Fass' Einer an, ich will ihm einen Denkzettel geben, den er sein Lebtag nicht vergessen soll. – Da kommt die österreichsche Wache vom Petersberge herunter, und oben am Dom seh ich Fitz-Patrick's lange rothe Nase funkeln. Nehmt euch vor dem in Acht oder er spießt euch daran, ehe er abzieht, und läßt Keinen lebendig mehr sein Schöppchen trinken.

Der Witz des Friedenstifters versöhnte die finsteren Gesichter, welche seine Drohungen übel genommen hatten. –

Es ist der lustige Weinhändler, Franz Baier, der lustige Franz! riefen mehre Stimmen, und Viele nickten dem jungen Bürger zu, der ganz so aussah, daß er seinen Mitbürgern gefallen konnte. – Denn er war groß und stattlich, breitschulterig und mit hellen blauen Augen versehen, die muthwillig und verständig um sich schauten. –

Der schlanke, kraftvolle Mann sah umher wie Einer, der so leicht nichts fürchtet und immer bei der Hand ist, wo es etwas giebt. Dabei war er ersichtlich kein vornehmer Herr, sondern ein Mann so recht aus dem Volke Heraus, der mit dem Volke umzugehen weiß und den c8 versteht.

Gelt, sprach er, ihr kennt mich, Nachbarn, und wißt, daß ich der Franz Baier bin, der guten Rath und guten Wein hat. Macht nicht noch mehr böses Blut, wie schon da ist, und wer sein Leben lieb hat, der halt's weder mit den Preußen, noch mit den Kurmainzern und Oesterreichern, sondern mit mir. – Und nun rückt zusammen und steht fest; da kommen die Fahnen und der ganze Zug kommt.

Alle Blicke richteten sich zum Dome hinauf und der Streit hatte ein Ende. Der lustige Weinhändler aber zog sich aus dem Gedränge zurück und streckte seine Hand nach einem jungen kurmainzischen Offizier aus, der ihm freundlich zunickte.

Bist auch dabei, Franz, sagte dieser, und machst den Ruhestifter. Du solltest in der Reichsdeputation sitzen, um den Frieden herzustellen, was dir vielleicht besser gelingen würde, als allen Räthen und Excellenzen des heiligen römischen Reichs.

Franz Baier lachte dazu.

Ich glaube es selbst, rief er, denn ich thäte es um Gottes willen und wollte nicht einmal ein Stiftchen oder Klösterchen, ein Kirchengütchen oder einen reichsfreien Marktflecken für mich. Es ist eine Donnerwirthschaft überall jetzt, Buchholz. Und was wird mit euch geschehen, wenn die Preußen kommen? Werden euch die bunten Röckchen ausziehen und euch nach Haus schicken.

Dann werden wir Alle Weinhändler, es ist das beste Geschäft, erwiederte der Lieutenant lächelnd.

Was! bezahlt erst die alten Rechnungen, fiel Baier ein. Wer wird überhaupt die Schulden bezahlen?

Der König von Preußen, sagte der kurmainzische Offizier.

Das heißt so viel, wie der König von Spanien, oder der Kaiser von Marokko, rief der Weinhändler.

Nein, tröste dich, Franz, rief der Lieutenant. Wir werden Alle, ober doch die Meisten, in preußische Dienste übergehen.

Das heißt die adeligen Herren werden übergehen, sagte Baier, und den Bürgerlichen – wie du einer bist, der aus guterfurter Blut stammt, so gut wie mein eigenes – denen wird man den Laufpaß geben. – Gelt, so wird's sein?!

So wird's allerdings wohl sein, antwortete der Offizier, aber man will doch Ausnahmen machen, und was mich selbst betrifft, so hat der Oberst mich gefragt, ob ich bleiben will.

Der Fitz-Patrick? fragte Baier.

Buchholz nickte.

Ich gelte etwas bei ihm, sagte er.

Bist ein junger, rascher Soldat, der seine Sache versteht, rief Franz, die allermeisten dagegen sind abgelebte Leut', oder solche, die durch Priesterconnection oder Weiber das Patent bekommen haben. Wärst so ein Abkömmling von einer Favoritin oder einem kurmainzer Junker, so würdest längst eine Compagnie haben.

Ich hoffe wenigstens bald eine zu bekommen, erwiederte der Lieutenant.

Und meinst, weil's Glück schon Manches für dich gethan, kann's noch mehr thun, erwiederte Franz. Sieh dahin Buchholz, da hinauf, nach den Fenstern im grauen Hause: da steht Eine, die sich die hübschen Augen beinahe aus dem Kopf sieht, um dich aus dem Haufen herauszufinden.

Der Lieutenant folgte dem Wink seines Jugendfreundes und sah nach dem grauen Giebelhause hinüber, wo hinter den Fenstern im ersten Stockwerk mehre Damen standen.

Wen meinst du denn, Franz? fragte er lebhaft.

Wen? erwiederte Baier. Denkst, ich kenne deine Schliche nicht? O du türkisch Gemüth! ich weiß auf ein Haar, wie es da drinnen im Herzen bei dem schönen Fräulein von Belling aussieht.

Ei, Franz, ei! rief der junge Offizier ein wenig verlegen, das wäre mir doch ärgerlich, wenn es Viele wüßten. – Was du aber auch wissen magst, glaube mir, wenn Charlotte mein werden soll, ist es nothwendig, daß ich den preußischen Soldatenrock tragen muß.

Das seh' ich doch halt nimmermehr ein, sagte der Weinhändler kopfschüttelnd. Ein Mädchen, die einen Mann liebt, liebt ihn doch nicht der bunten Jacke wegen, und wenn sie daran denkt, was ein Soldat ist und wie es jeden Tag mit ihm kommen kann, muß sie Gott bitten zu jeder Stund, ihr Lieb davon zu erlösen.

Sie möchte es wohl, ich glaube es gern, murmelte der Lieutenant.

Nun also, fuhr Franz fort, und dabei hat sie Geld und Gut und kann das Glück mit dem Manna bestreuen, das so Vielen fehlt.

Aber sie hat eine Mutter, die ohnehin schon schwer genug sich darein finden wird, wenn Charlotte mich wählt, und hat einen Bruder, der selbst preußischer Offizier ist. Du siehst, mein lieber Franz, rief er aufblickend und seinen Kopf in die Höhe werfend, als wollte er alle Sorgen von sich schleudern, du siehst, daß ich bleiben muß, was ich bin, und daß mein Glück daran hängt, wenn Oberst Fitz-Patrick mich mit hinüber in preußische Dienste bringt.

Da kommt er, ich sehe seine Nase leuchten, sagte der Weinhändler.

Und da kommt der Zug, Franz. Lebe wohl, ich will hinein zu den Damen, die mich erwarten. Wenn ich heut Abend zeitig vom Balle aus dem Casino komme, spreche ich bei dir an und wir plaudern zusammen.

Sie drückten sich die Hände, und mit Wohlgefallen sah Franz Baier seinem Jugendfreunde nach, der rasch durch das Soldatenspalier sprang und in dem stattlichen grauen Hause verschwand, welches der verwittweten Frau von Belling gehörte.

Ein wackerer Bursch! Echt brav thüringisches Blut! murmelte er. Aber ein tausend Kopfstück wollt' ich wetten, daß er gern die bunte Jacke auszöge und ein schlichter Bürger würde, wenn nicht die Rücksichten wären.

Die Betrachtungen des Weinhändlers wurden hier durch zwei Dinge unterbrochen. Der Festzug kam mit Pauken und Janitscharenmusik vom Dome herunter und ihm vorauf ging der Oberst Fitz-Patrick, Commandeur des kurmainzischen Bataillons, durch das Spalier seiner Soldaten und stellte sich Franz Baier gegenüber mit mehren seiner Offiziere auf, die sämmtlich sehr höflich zu dem grauen Hause hinaufgrüßten, wo geschmückte junge Damen in Puder und Locken die Fenster geöffnet hatten und den Zug erwarteten.

Oberst Fitz-Patrick war ein Irländer von Geburt, ein Herr von fünfzig Jahren, der bei dem größten Theile der Bevölkerung Erfurts nicht besonders beliebt war. Es war ein großer magerer Mann mit langem, hartem Gesicht, an welchem eine rothe, spitze Nase vorherrschte. Sein barsches, zu Willkür und Gewaltthaten geneigtes Wesen hatte oft schon die Bürger erbittert; der kurmainzische Hof wußte jedoch, daß Oberst Fitz-Patrick ein zuverlässiger Diener sei, und je übler die Zeiten sich machten, je mehr gemurrt und geklagt wurde, um so mehr stieg er in Gunst.

Gab es aber Einen, dem man Hochmuth und Grobheit vergolten wünschte, so war es dieser hochfahrende Mann.

Alle Kinder gehen ihm aus dem Wege, murmelte Franz Baier vor sich hin, indem er ihn betrachtete, und das ist ein übles Zeichen. Wen die Kinder lieben, der hat wenigstens ein gutes Gesicht, wenn er kein gutes Herz hat, und Gott im Himmel hat ihm etwas aufgedrückt, woran die Unschuldigen Freude haben; aber der da ist gezeichnet, wie Kain, ein Schrecken für seine Mitmenschen.

Der Oberst Fitz-Patrick schien etwas von dem zu merken, was der Weinhändler zwischen seinen Zähnen verschluckte. Er sah eine Minute lang starr zu ihm hinüber, denn der junge Bürger ragte um Kopfslänge über seine Nachbarn hinaus, und auf seiner Stirn bildeten sich ein paar dicke Falten, die, wie ein Rad, sich zusammen zogen. Franz Baier schlug jedoch seine Arme ins Kreuz und sah den Obersten wieder an wie Einer, der sagen will: Komm an, wenn du Lust hast, und während dessen schmetterten Trompeten und Pauken immer näher und ein neuer unermeßlicher Jubel, ein Lachen und Klatschen und Brüllen erfüllte die Luft, denn der Narrenzug war glücklich bis in die Straße gelangt.

Es war aber auch ergötzlich und lustig genug mit anzusehen. – Ein ganzer Troß seltsamer Gestalten in Masken und bunten Gewändern sollte gefangene Philister vorstellen, die Simson, den Eselskinnbacken in der Hand, vor sich der trieb. Simson selbst war ein riesenhafter Bursche mit einem ungeheuren zähnfletschenden Kopfe, auf dem ein Helm saß, dessen Spitze ein Hahn oder ein Adler mit schlagenden Flügeln bildete. Neben Simson ging eine Weibergestalt, die treulose Delila, ihr Haupt tief gesenkt und wehklagend, hinter diesem Paare aber folgten vermummte Männer, mit langen Bärten, Stricke um den Leib und Stricke in den Händen. Es sollten Juden sein, und ihre Geldsäck und gefüllten Taschen bestätigten diese Annahme; aber der ganze Zug erhielt noch eine andere im Volke schnell verbreitete Auslegung. Die Philister waren demnach die ausgeplünderten, bisher reichsfreien Ritter, Aebte, Bischöfe, Marktflecken, Städte, Herrschaften u. s. w. Simson war, je nachdem man wollte, der Kaiser oder der große Bonaparte in Frankreich; seine Begleiter waren die, welche ihre Taschen bei der Plünderung gefüllt hatten, sammt Russen und Franzosen; die weinende Delila endlich war die trauernde Germania, deren Händeringen die Gräuel nicht bessern konnte.

Jeder legte sich nun die Sache aus, wie er sie zu treffen meinte, unter den Beamten und Offizieren fand jedoch der Scherz nicht denselben Anklang, und Baier sah, wie der Oberst Fitz-Patrick den Arm aufhob und diesen gegen den Simson oder gegen ihn selbst schüttelte, auch dabei laut und heftig sprach und nach seiner Gewohnheit um sich spie.

Es ließ sich aber nichts dadurch ändern; der Jubel des Volks ließ sich so wenig stören, wie Simson, der mit seinem Eselskinnbacken jedem Philister, den er erreichen konnte, Eines versetzte, daß es knallte. Mit jedem Schlage wurde der tolle Lärm ärger, die Luft ausgelassener, und Simson kampfwüthiger, denn Manche drängten sich heran, um ihm unter die Maske zu sehen; allein der Riese brauchte seine Fuchtel nach allen Seiten, und Keiner, den er erreichen konnte, blieb ungestraft.

Da geschah es, daß, als Simson dicht vor dem Obersten Fitz-Patrick anlangte, dieser entweder ausglitt, oder von dem Kinnbacken an der Hutspitze wirklich getroffen wurde, was niemals entschieden worden ist; so viel aber ist gewiß, daß der Oberst jählings zurückprallte und daß sein Hut sowohl wie seine Perücke in die Luft flogen, wo sie von den umstehenden Offizieren wiedergefangen wurden.

Ein brüllendes, unermeßliches Gelächter folgte dieser kühnen That, die viel zu sehr im Sinne des Volkes war, um nicht das größte Wohlgefallen zu erregen. Oberst Fitz-Patrick fuhr im ersten Augenblicke mit der Hand an den Degen, aber er besann sich sogleich, daß eine unüberlegte Handlung das Uebel weit ärger machen würde. Er setzte gelassen Perücke und Hut wieder auf, und lachte verächtlich dem Narrenzuge nach, während sein häßliches langes Gesicht sich mit dunkler Röthe bedeckte und seine Augen die Gesichter musterten, die ihn zu verhöhnen wagten.

Nach einigen Minuten, als der Zug vorüber war und die Menge ihm nachstürzte, ging er mit seinen Begleitern auf das Haus der Frau von Belling zu und dicht neben Franz Baier hin, den er grimmig ansah. Der Bürger ließ sich dadurch weder bewegen seinen Hut abzuziehen noch irgend eine Miene zu verändern; er trat jedoch einige Schritte zurück, um die Gelegenheit zu irgend einer rachsüchtigen Handlung zu vermeiden, denn er dachte daran, wie vor kurzer Zeit erst der junge Graf Beust von einem Offizier geringer wörtlicher Fehde willen bei Tisch erstochen worden war.

Die Frechheit des Pöbels hat keine Grenzen mehr, sagte der Oberst, als er vorüber ging; aber dieser Vorgang ist eine überlegte Sache. Man muß die Urheber herauskriegen und kurzen Prozeß mit ihnen machen.

Meinst mich etwa? lachte Franz, als er dem zornigen Mann und seinen Begleitern nachblickte. Kannst aber lange warten.

Er sah ihn in das Haus der reichen Wittwe gehen und ging selbst heim, wo Frau und Kind ihn erwarteten.

Soll mich doch wundern, rief er, als er um die Ecke bog, obs da drinnen nicht bald losbrechen wird. Es war ein himmlischer Spaß und die hübschen Mädchen lachten wie die Kobolde. Jetzt kommt er und wird sich rächen, und es kann sich Jeder vor ihm in Acht nehmen. Haha! der Buchholz zumeist, der kriegt's vollauf mit dem alten Ungeheuer zu thun.


2.

Der Oberst war inzwischen in das Besuchzimmer der Frau von Belling getreten, wo er von einer Anzahl junger Damen und Herren empfangen wurde, von denen manche bei seinem Erscheinen nicht übel Lust zu haben schienen, sich der lächerlichen Scene auf der Straße nur zu gut zu erinnern.

Frau von Belling, eine kleine, starke und stolzblickende Dame im weitbauschigen, schweren Seidenkleide, gepuderten Locken, rothen gestickten Schuhen mit hohen Absätzen und einem Kopfputz, der wie ein Thurm auf ihrem Scheitel sich erhob, kam dem militairischen Gaste mit aller der würdevollen Steifheit entgegen, welche die damalige Zeit von der guten Gesellschaft forderte. Ihr Reifrock bildete einen ungeheuren Kreis um die kleine Frau, das Brokatkleid floß in gediegenen Wellen darüber hin, und schleppte hinten nach, alle Finger der feinen runden Hände waren mit Ringen besteckt, und um die ganze Gestalt schwebte eine Wolke süßen Wohlgeruches verschiedener Essenzen, Pomaden und Seifen.

Frau von Belling gehörte zu dem begüterten Adel des Erzstiftes. An dem üppigen Hofe in Mainz hatte sie ihre Jugend verlebt; ihr Gatte war bei seinen Lebzeiten mehrfach im Dienste der Erzbischöfe, zuletzt im Dienste Karl Dalbergs gebraucht worden, und wenn auch jetzt früherer Glanz von der hinterbliebenen Familie abgestreift und eine stillere Zurückgezogenheit eingetreten war, so gehörte die Wittwe dennoch zu den angesehensten Familien in Erfurt, welche zu den Hoffesten nach Weimar geladen wurden und deren Häuser die Sammelplätze der städtischen Aristokratie bildeten.

Fitz-Patrick küßte der Dame galant die Hand und wurde dafür huldvoll an den Fingerspitzen in das reich getäfelte und geschmückte Cabinet, zu dem Ehrensitze auf dem blumigen seidenen Sopha geführt; denn nicht allein war der Oberst der höchste und erste Offizier, Jedermann wußte auch, daß er aus dem alten irländischen Grafenstamme der Fitz-Patrick ein weit verschlagener Sprößling war. Das gastliche Haus der Frau von Belling zählte ihn überdies zu seinen oft genannten Gästen, und seit einiger Zeit erschien er hier so häufig, daß allerlei Gerüchte hierüber verbreitet wurden, wenn es auch ungewiß blieb, ob der Mutter oder der Tochter seine Huldigungen galten.

Der dürre, große Oberst schien sich um die übrige Gesellschaft wenig zu kümmern. Nur einmal wandte er sich zu ihr um, als er bei dem schönen Fräulein von Belling vorüberging, die im Kreise ihrer Freundinnen stand und eine Rolle Papier in der Hand hielt. Dergleichen Papierbogen besaßen fast alle Anwesenden, und mitten unter ihnen befand sich auch der Lieutenant Buchholz, welcher seinen Vorgesetzten militairisch höflich begrüßte. Oberst Fitz-Patrick sah über ihn fort, aber er verbeugte sich vor Fräulein Charlotte, und ein großes vertrauliches und verbindliches Lächeln, das sein Gesicht verzerrte, machte ihn noch häßlicher, als er sonst war.

Die Frau vom Hause setzte sich neben dem hohen Offizier im Nebenzimmer nieder, dessen Flügelthüren offen standen, und theilte ganz seinen gerechten Zorn über den Frevel des kleinen Frohnleichnamfestes.

Es ist empörend, sagte sie, was sich die frechen Menschen herausnehmen. Ganz offenbar will man damit doch nur die Obrigkeit verspotten. Ach! in solchen Zeiten muß man leider allzu nachsichtig sein.

Man wird nicht nachsichtig sein! rief der Oberst. Es soll eine Untersuchung angestellt werden.

In dieser Verwirrung wird sie nicht viel fruchten, meinte die Dame, und obenein giebt es jetzt zu Viele, die an solchen Ungebührlichkeiten Wohlgefallen haben.

So wird es wenigstens das letzte Mal gewesen sein, erwiederte Fitz-Patrick mit einem grimmigen Lächeln.

Das wäre Schade, rief Frau von Belling. An sich ist die Volkslust sehr hübsch, nur ausarten darf sie nicht; und dann unser Ball im Casino und Theater – Sie wissen doch, Oberst, daß heut Abend gespielt wird? Hier sehen Sie sämmtliche Schauspieler zur Probe versammelt, worauf im Casino selbst Generalprobe gehalten werden soll.

Fräulein Charlotte spielt auch mit? fragte der Oberst, nachdem er einige Minuten stumm gewesen war.

Ich habe es erlaubt, sagte Frau von Belling, weil ich von allen Seiten darum gebeten wurde und weil nur Personen daran Theil nehmen, die eine Garantie bieten.

Der Lieutenant Buchholz, murmelte der Oberst.

Er ist zum Regisseur gewählt worden, fiel die Dame entschuldigend ein, und ist so ziemlich der einzige Bürgerliche. – Lieutenant Buchholz ist sehr hoch geschätzt, lieber Oberst, Sie selbst haben ihn ja öfter gelobt.

Fitz-Patrick nickte mehrere Male und sagte dann:

Befähigt ist er und im Dienst vorzüglich.

Dabei gehört er zu einer Patrizierfamilie, fügte Frau von Belling hinzu, zu dem alten Stadtadel, der zwar immer Gewerbe getrieben hat, aber doch seinen Rang behauptet und feine Wappenschilder noch immer über seine Hausthüren nagelt.

Das geringschätzige Lächeln des Obersten wurde mit einer dazu passenden Handbewegung begleitet, und der gereizte Ausdruck in seinem Gesicht vermehrte sich, als eine junge Dame hereintrat, deren große blitzende Augen, voll Schelmerei oder Spott, sich auf den grämlichen Offizier richteten.

Unsere Cousine Hartenstein aus Weimar, sagte Frau von Belling, die sogar eine Reise gemacht hat, um Komödie spielen zu helfen.

Der Oberst verbeugte sich, so weit es die Höflichkeit erforderte, aber jeder seiner Blicke drückte deutlich seinen Widerwillen gegen die hübsche Frau aus. Er sah mit derselben Grimmigkeit auf ihr pfirsichfarbenes, mit grünen Ranken durchwebtes Kleid, auf die Kantenärmel, unter welchen die weißen vollen Arme hervorblickten, auf den goldgestickten Gürtel, der ihren schlanken Wuchs befestigte, und auf den prachtvollen Fächer, mit dem ihre schmalen Finger spielten, wie er auf einen seiner Musketiere gesehen haben würde, der sein Lederzeug schlecht geputzt hatte. –

O! sagte er dann, ich finde es ganz in der Ordnung, daß die gnädige Frau von Hartenstein bei der Komödie nicht fehlen darf.

Die schöne Frau neigte sich so tief, daß ihr reiches Kleid weit auf den Fußboden fiel. Sie senkte das Köpfchen mit den zahllosen Locken, die à la neige, wie es genannt wurde, wirklich wie Schneeflöckchen Stirn und Scheitel bedeckten, und mit dem graziösesten Lächeln, indem sie ihren Fächer öffnete und zumachte, erwiederte sie:

Der Herr Oberst Fitz-Patrick, mein allzuleidenschaftlicher Verehrer und Bewunderer, geht in seiner schmeichelhaften Anerkennung zu weit.

Niemals so weit, rief der Offizier mit unverkennbarem Hohn, um Ihren großen Talenten genug zu thun.

Die darin bestehen sollen, die Kunst zu lieben und selbst eine Künstlerin zu sein, lachte die Dame. Wir in Weimar haben darin den Vorzug vor allen Deutschen. Unsere großen Geister haben uns Schönheitssinn eingeimpft, die Komödie ist unsere Lieblingsunterhaltung geworden, und jeder Caliban Figur aus William Shakespeares »Der Sturm«; der wilde Caliban (Anagramm von canibal ist) verkörpert die Natur als ungebildete, triebgesteuerte Energie im Gegensatz zur Kultur. – Anm.d.Hrsg. kann uns interessant genug werden, um ihm Hut und Perücke aufzusetzen und seine Rolle spielen zu lassen.

Cäcilie! rief Fräulein Charlotte vor der Thür, Du mußt kommen. –

Sie steckte das freundliche Gesicht herein und nickte ihrer Mutter zu, die ziemlich verlegen und geärgert aussah.

Muß ich? fragte die Hartenstein, nun so will ich. Ich will immer, wo ich muß, aber ich muß nicht immer, wo Andere wollen. Adieu, liebenswürdiger Verehrer, auf Wiedersehen! Klatschen Sie mir heut Abend Beifall zu.

Cäcilie ist übermüthig wie immer, sagte Frau von Belling. Sie neckt sich gern mit Ihnen.

Sie ist verwöhnt, erwiederte der Oberst. Niemand wird leichter verwöhnt, als schöne Frauen, und diese da – er schwieg, indem er heftig den Kopf schüttelte, und Frau von Belling schwieg ebenfalls und lächelte vor sich hin, denn sie dachte an das vergangene Jahr, wo Fitz-Patrick wirklich den Namen eines leidenschaftlichen Verehrers der jungen Wittwe verdient hatte.

Cäcilie hat sehr viel Geist, begann Frau von Belling dann von Neuem, als ihr Nachbar kein Wort sagen wollte. Sie ist jung, ihr Mann ist todt, ihr Vermögen ist nicht unbedeutend und in Weimar geht es jetzt sehr ungezwungen her.

Diese kleinen Höfe, erwiederte der Oberst, ziehen Intriguanten und Koketten in ganzen Schaaren groß und rotten alle Moralität aus im deutschen Volke. Die Weiber sind die wahren Blutsauger; es geschieht Unglaubliches durch diese Weiberwirthschaft. – Er schüttelte wieder heftig den Kopf und blickte die Dame an, deren Gesicht sich röther gefärbt hatte, denn sie hatte ihre Jugend ja auch an einem üppigen Hofe verlebt.

Ah! sagte er ihre Hand ergreifend, Sie haben nichts damit zu thun. Ich verehre Sie, und welch' Unterschied zwischen der gnädigen Frau aus Weimar da und Fräulein Belling! Solcher Umgang taugt nichts, ich würde mich absperren vor ihm.

Das ist nicht wohl möglich, antwortete Frau von Belling, welche die Anmaßung ihres militairischen Freundes sanft und leidend ertrug.

Möglich ist Alles, fuhr Fitz-Patrick in seiner rauhen Weise fort, es gibt nichts Unmögliches. –

Sein finsteres Gesicht hellte sich auf, und indem er sich näher zu dem Ohre seiner Nachbarin beugte, sagte er:

Ich wäre im Stande, Ihnen sogleich ein Mittel vorzuschlagen.

Welches Mittel? fragte die Dame erwartungsvoll.

Ein Mittel, das gewiß helfen wird, erwiederte er, und indem er den Finger auf seine Brust setzte, fügte er hinzu: Ich bin das Mittel, ich!

Frau von Belling schlug mit ahnungsvoller Verlegenheit lächelnd ihre Augen nieder.

Sie wissen, sagte der Oberst leise, daß wir Preußen werden?

Die Dame nickte.

Der Vertrag ist abgeschlossen. Wir tauschen die Röcke und für uns ist es ein vortheilhafter Tausch. Eine Anzahl Offiziere wird verabschiedet, Alles liegt in meiner Hand. Ich selbst erhalte mein Patent als preußischer Oberst, und die Zusicherung, in kurzer Zeit zum General ernannt zu werden.

General! rief Frau von Belling mit einem süßen Blicke.

General, Madame! erwiederte Fitz-Patrick. – Wir werden nach Preußen marschiren, eine preußische Garnison unter dem General Wartensleben wird Erfurt besetzen, es wird hier Alles anders werden, und beim heiligen Patrick, dem Schutzpatron meines Hauses! dies übermüthige Volt wird lernen, was strenges Regiment heißt, Soldatenregiment!

Strenge ist sehr heilsam, sagte die Dame, und die Preußen spaßen nicht.

Spaßen nicht! wiederholte der Oberst. Recht gesagt, Madame, und weil wir Preußen werden, müssen wir ernsthaft sein. – Sie kennen meine Ergebenheit, auch meine Gefühle können Ihnen nicht unbekannt sein. Worte sind meine Sache nicht – Sie verstehen mich – wollen Sie mir geben, was ich fordere?

Herr Oberst – ich bin sehr überrascht – lassen Sie mir Zeit zu überlegen, sagte Frau von Belling.

Warum überlegen? fragte Fitz-Patrick. Geben Sie mir Ihr Wort.

Frau von Belling deutete auf die offenen Thüren des Salons, wo die Komödie, von Gelächter und Lärm unterbrochen, in vollen Gange war.

Was thut das? rief der Oberst. Rufen Sie Fräulein Charlotte herein, sagen Sie ihr, was ich fordere, legen Sie ihre Hand in die meine, und Alles ist abgemacht. – Blitz und Schlag! Soldatenart. Sie begleiten uns nach Preußen, leben mit uns.

Meine Tochter – murmelte Frau von Belling in großer Verwirrung.

Da ist sie, sagte der Oberst.

Ich habe bis jetzt an Charlottens Verheirathung so wenig gedacht, lieber Oberst, fuhr die Dame mit schneller Fassung fort, daß Charlotte sehr überrascht sein würde, wenn ich unvorbereitet sie von Ihrem Antrage unterrichten wollte.

Oberst Fitz-Patrick richtete sich stolz auf. Sein hartes Gesicht verlor den Schein der Milde.

Wie Sie wollen, Madame, sagte er, aber ich bitte um Pardon, wenn ich frage, ob meine häufige Anwesenheit in Ihrem Hause und mein Verhalten Ihre Aufmerksamkeit nicht in Anspruch genommen hat? Was sagen Sie? Sie werden roth. –

Er lachte und ordnete sein Gilet mit der Hand. –

Ich bin kein duftender Herr, der auf Hofbällen liegt, kein Komödiant, der Rollen einstudirt – er sah durch die Thür auf den Lieutenant – ich bin der Oberst Fitz-Patrick, aus alter Familie, Madame, das ist Alles.

Ich würdige ganz die Ehre, welche wir erfahren, erwiederte Frau von Belling sich steif verneigend.

Wohl, fuhr der Oberst fort, Sie kennen meine Stellung und welchen Rang meine Frau einnehmen wird. Fräulein Charlotte besitzt alle Eigenschaften, welche ich mir wünsche. Ich werde sie glücklich machen, verlassen sie sich darauf.

Meine Tochter besitzt kein großes Vermögen, sagte Frau von Belling.

Ich kenne Ihre Vermögensverhältnisse nicht, antwortete der Oberst, aber ich suche kein großes Vermögen, Madame. Von meiner Familie beziehe ich drei hundert Pfund jährlich, mein Gehalt ist als Oberst bedeutend und wird als General sich vermehren. Wir werden den Rang behaupten, der uns gebührt. Im Uebrigen liebe ich Einfachheit und, was Charlotte anbelangt, so ist sie so zufriedenen Sinnes und so wenig nach Tand, Putz und Vergnügungen lüstern, daß sie die beste Frau sein wird.

Meine Tochter ist häuslich erzogen worden, sagte die Dame.

Häuslich! – Richtig, ich konnte das Wort nicht finden, was die Deutschen allein für sich haben, rief der Oberst lachend. Man trifft sie immer fleißig, beim Stickrahmen, beim Zeichnen, bei den Büchern sogar. Das gefällt mir. Ich habe oft zugesehen und meine Entschlüsse gefaßt.

Aber sind Sie auch von der Neigung meiner Tochter überzeugt? fragte Frau von Belling.

Neigung? rief Fitz-Patrick die Augen weit öffnend, als verstände er die Frage nicht recht. Ich mache Ihnen meinen Antrag, Madame. Ich halte um die Hand Ihrer Tochter an. Haben Sie diese schon versagt?

Nein, Oberst, erwiederte sie, aber meine Antwort hängt davon ab, was Charlotte auf Ihren Antrag zu sagen hat.

Die ganze Unterredung war so bestimmt und ohne alle Umwege geführt worden, der Oberst mit seinem rauhen anmaßenden Wesen, und seiner nicht ganz vollkommenen Kenntniß der Sprache, war so wenig im Stande, feiner zu Werke zu gehen, und Frau von Belling so aufgeregt, daß diese letzte Antwort den passenden Schluß bildete.

Der Oberst schien zu ahnen, was in dem Herzen der Mutter Charlottens vorgegangen war. Er lächelte und blinzelte sie an, dann sagte er:

Sie wollen neutral bleiben, wollen sich nicht einmischen, wollen mir allein das Schlachtfeld überlassen. – Gut, Madame, ich nehme es an. – Ich will es abmachen wie ein Soldat. Rufen Sie Fräulein Charlotte herein, wir wollen in fünf Minuten zu Ende kommen.

Frau von Belling stand auf und kam mit ihrer Tochter zurück, indem sie zugleich die Thür so weit zumachte, daß die Scene, welche jetzt sich begeben sollte, von der anderen Seite nicht zu beobachten war. Das junge Mädchen schien völlig unbekannt mit dem, was ihr bevorstand. Ihr liebliches Gesicht war voller Freude, ihre blauen freundlichen Augen blickten unbefangen auf den Obersten; lächelnd und fragend sah sie ihre Mutter an, als diese zu Fitz-Patrick gewendet ihn mit den Worten anredete:

Hier ist meine Tochter, Herr Oberst!

Und hier bin ich, erwiederte dieser, indem er auf Charlotten zuging. Wir beide sind genug zu dem, was wir vorhaben, und wie es nach christlicher Sitte sein muß.

Wollen Sie mit mir etwas aufführen? fragte Fräulein Charlotte, ihre vollen Augen auf ihn richtend.

Aufführen? Haha! Allerliebst! rief der Oberst ihre Hände ergreifend. Freilich will ich: ein Lustspiel!

Wenn's keine Posse wird, sagte eine Stimme vor der Thür, auf deren Schwelle Frau von Hartenstein stand.

Die Cousine winkte befehlend, und Frau von Hartenstein zog sich schnell zurück. Oberst Fitz-Patrick schien es gar nicht zu bemerken. –

Das Lustspiel, fuhr er fort, hat nur zwei Personen nöthig, Sie und ich; es heißt: Wir heirathen uns, und endet in vier Wochen mit der Hochzeit. Wie sehen Sie mich an, Miß Charlotte? – Es ist kein Scherz. Richten Sie die Augen nicht auf die Mutter, es ist Wahrheit. Oberst Fitz-Patrick legt sein Herz Ihnen zu Füßen, nehmen Sie es auf. Geben Sie mir Ihre Hand, die Mutter hat nichts dagegen. Haha! ich glaube, sie wird ohnmächtig. Wie blaß sie geworden ist!

Das junge Mädchen hatte sich in die Arme ihrer Mutter geflüchtet, sie war keines Wortes mächtig, aber sie zitterte heftig und ihre Hände hielten sich krampfhaft fest.

Sei ruhig Charlotte, beruhige Dich, flüsterte Frau von Belling. Oberst Fitz-Patrick, unser werther Freund, macht Dir einen höchst ehrenvollen Antrag, der Dich mit Dankbarkeit erfüllen muß. Dein Herz allein hat darüber zu entscheiden, welche Antwort Du ertheilen kannst.

Nicht das Herz allein, Miß Charlotte, sagte Fitz-Patrick mit einem scharfen Blick auf die Rathgeberin, sondern Herz und Verstand im Bunde. – Ja, liebenswürdige Charlotte, hören Sie mich, ich biete Ihnen Alles, was ich habe. Oberst Fitz-Patrick, General Fitz-Patrick! wird seine schöne Frau anbeten, sie mit Ehren umringen und alle ihre Wünsche erfüllen.

O, meine Mutter! o nein! Es kann nicht geschehen! Es ist unmöglich! flüsterte das junge Mädchen weiter zurückweichend.

Es kann nicht geschehen? lachte der Oberst. Es ist unmöglich? – Es ist möglich, und wird geschehen, liebreizende Charlotte. Auf mein Wort! ich bin Ihr Sclave, Sie sollen meine Gebieterin sein.

Antworte endlich, sagte Frau von Belling. Du bist neunzehn Jahre alt und hast freien Willen.

Ja, antworten Sie, fügte der Oberst so galant hinzu, wie es ihm möglich war. Bedenken Sie, grausame Charlotte, daß ich hier im Kreuzfeuer Ihrer schönen Augen stehe und um Gnade bitte.

Das schüchterne Fräulein wandte sich zu ihm um und indem sie zwei oder drei tiefe und schnelle Verbeugungen machte, sagte sie halblaut mit niedergeschlagenen Augen und einem reizenden, kaum merklichen Lächeln:

Ich halte es noch immer für einen Scherz des Herrn Obersten, denn ich kann nicht denken, wie ich einer so großen Ehre theilhaftig würde. Wenn es aber wirklich so sein sollte, und meine Sinne sich nicht täuschen, so würde ich dem Herrn Obersten mich zu Füßen werfen und um Verzeihung flehen, wenn ich dem Herrn Obersten bekennen müßte, daß ich – daß der Herr Oberst es doch gar nicht übel deuten möge, wenn ich unterthänigst dankte.

Ah! rief Fitz-Patrick, Sie danken? Warum danken Sie, Miß Charlotte?

Lieber Oberst, sagte Frau von Belling, ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir den Gegenstand für heut ganz fallen lassen.

Sie strich ihrer Tochter das Haar glatt, küßte sie auf die Stirn, rieb mit dem Taschentuche ihre blassen Wangen und sagte lächelnd:

Geh, Charlotte, spiele dort weiter. Du wirst als gute Schauspielerin wissen, mein Kind, daß man seine Gefühle beherrschen muß.

Der Oberst stand stumm, die Hand zwischen den Knöpfen seiner Uniform, noch immer auf derselben Stelle, aber in seinem Gesicht arbeitete eine kaum zu bewältigende Erbitterung. –

Nehmen Sie Platz, lieber Oberst, sagte Frau von Belling im möglichst unbefangenen Tone. Die Probe wird gleich beendigt sein, die jungen Acteure werden dann frühstücken; ich hoffe, Sie wollen uns die Ehre schenken, daran Theil zu nehmen. – Glauben Sie, daß Herr Joseph von Dalberg auf dem Balle sein wird? Man sagt, er sei heut früh unerwartet abgereist, weil der Markgraf von Baden ihn zu seinem Gesandten in Paris ernannt habe. – Alle Schönheiten Erfurts werden sich heut im Casino einfinden. Ein wahrer Blumengarten, lieber Oberst, und wenn wir im Saale beisammensitzen –

Madame! rief Fitz-Patrick sich umdrehend und seinen Hut ergreifend, ich hasse alle Komödienstreiche, und danke Ihnen.

Das Gesicht der gnädigen Frau bedeckte sich mit dunkler Röthe, dann wurde es leichenblaß; sie war unfähig, ein Wort zu erwiedern; der Oberst machte ihr eine kalte Verbeugung und entfernte sich rasch, ohne die Schauspieler im Saale eines Grußes zu würdigen. –

Als er draußen auf der Treppe war, hörte er lautes Gelächter.

Ich will euch lachen lehren! murmelte er zwischen den Zähnen, und wenn ich erfahre, wem das kindische Püppchen sich angehängt hat, der soll den Fitz-Patrick kennen lernen!


3.

Am Abend fand im Casino die Theatervorstellung statt, der sich der Ball anschließen sollte. Alles, was in der Stadt zur guten Gesellschaft gehörte, hatte sich dazu eingefunden, und so viel es nur irgend der Raum zuließ, waren Billets ausgegeben, welche von den betheiligten Familien guten Freunden zugewandt wurden. Die Offiziere der Garnison, der Adel, der höhere Bürgerstand, und manche fremde Gäste füllten den Theatersaal, der zum Hause gehörte und geräumig genug war, um mehrere Hundert Personen aufzunehmen. Eine glänzende Erleuchtung ließ jedes Gesicht genau erkennen.

Die Damen waren im höchsten Staat, und der damalige Putz war reich an Seide, Gold und theurer Zierrath. Es war die Zeit des Uebergangs von der alten, schweren gediegenen Tracht zu den neu französischen, zwanglosen und gefälligeren Formen. Der Puder, der Zopf, die Schönpflasterchen und die Reifröcke stritten sich mit dem kurz geschnittenen Haar, dem anschmiegenden Corset, dem engen Aermel ohne Fischbein, und dem weiten Pantalon. Der Frack von Atlas und das Gilet von Gold- und Silberstoff führten den Kampf gegen den Rock von Tuch und den besponnenen Knopf; der Stiefel zog gegen den Schnallenschuh zu Felde, und der Strumpf von Seide gegen das verhüllte Bein.

Es waren jedoch immer nur Einzelne, die es wagten, als Revolutionäre die Moden der Revolution nachzuahmen, und diese wurden als Sünder und Verbrecher gegen den guten Geschmack angesehen. Die Damen zumal konnten sich nicht entschließen, den glänzenden schweren Stoffen zu entsagen, von deren Farbenpracht und bunter Herrlichkeit man jetzt nichts mehr weiß. Sie saßen in langen Reihen, in den weit ausgeschnittenen Kleidern, und bewegten die Seidenfächer von Elfenbein, welche, mit Flittern gestickt, ein blendendes Sterngefunkel verbreiteten, oder sie versteckten sich mit verlockender Gefallsucht hinter den schützenden Schirmen, die sie so gut zu gebrauchen wußten, wenn allzuneugierige Blicke sie verfolgten.

Nach langen Vorbereitungen, und nachdem zahllose kleine Intriguen im besten Gange waren; nachdem die Logen und Plätze gefüllt und über Anwesende und Abwesende, über Anzüge und Tagesvorgänge, über Neuigkeiten und Klatschereien die Urtheile hinreichend sich ergossen hatten, begann das erste Stück, und alle Blicke richteten sich neugierig auf die Bühne. Es war ein altes Stück von Schröder Friedrich Ludwig Schröder (1744-1816), deutscher Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker. – Anm.d.Hrsg., eines der vielen, die der geistreiche Mann, nach dem Niemand mehr fragt, der deutschen Komödie hinterlassen hat, die sie in die Rumpelkammer warf. –

Ein junges hübsches Mädchen wird von einem alten Vormund bewacht, denn damals spielten die Vormünder eine wichtige Rolle. Ein eben so alter Capitain soll sie heirathen, aber sein Vetter, ein junger Student, ist sein gefährlicher Nebenbuhler. Mit Hülfe einer höchst lustigen und höchst kecken Cousine wird, unter drastischen und ergötzlichen Zwischenfällen, endlich der grimmige alte Stelzfuß besiegt. Der Geizhals muß das Geld ausliefern, und die beiden geprellten alten Sünder, welche schließlich als Damen verkleidet entdeckt werden, erhalten zu guter Letzt eine tüchtige Tracht Schläge, die sie sich gegenseitig zumessen.

Das Stück wurde unter zunehmendem Gelächter und Beifall flüssig und warm gespielt. Die Dilettanten machten sich wenig aus der Charakterentwickelung, weit mehr aus der Karikatur; aber die Rollen waren gut vertheilt und paßten zu der Natur der Schauspieler. Das ängstliche, zaghafte Mündel war, wie es sein mußte, dem Fräulein Charlotte Belling zugefallen, die übermüthige Cousine hatte in Eile Frau von Hartenstein übernommen, da die eigentliche Eignerin der Rolle krank geworden war. Die beiden alten Herren wurden von zwei jovialen Mitgliedern der Casinogesellschaft dargestellt, der Student endlich konnte kein anderer sein, als Lieutenant Buchholz.

War es nun so, wie später behauptet wurde, daß Frau von Hartenstein boshafter Weise den Darsteller der Rolle des alten Capitains vermocht hatte, in Gang, Sprache, und selbst in manchen üblen Angewohnheiten, den Obersten Fitz-Patrick nachzuahmen, oder war es Zufall, oder aber bildete der größte Theil der Gesellschaft sich überhaupt nur die Aehnlichkeiten ein, welche man finden wollte: genug, der Glaube daran verbreitete sich rasch überall im Saale, und ein unmäßiges Gelächter und Beifallklatschen folgte jedem erneuten Versuche des Schauspielers, sein Vorbild wiederzugeben.

Der Beweis, daß Oberst Fitz-Patrick wenige Freunde besaß, war nicht abzuläugnen. Es gab kaum Einen, der nicht mit dem größten Vergnügen die Verspottung belacht hätte. Des Obersten Benehmen in letzter Zeit bei den Streitigkeiten zwischen Soldaten und Bürgern hatte ihn noch verhaßter gemacht, dazu kam der heutige Festtag, wo des Esels Kinnbacken ihn schon zur komischen Person gestempelt hatte, endlich aber waren seine Aeußerungen über die Stadt und seine Aussichten auf die preußische Uniform hinlänglich bekannt, um ihn noch mehr Gegner zu erwecken.

Nur die Offiziere, welche im Theatersaale anwesend waren, hüteten sich, so viel als möglich, in die allgemeine Lustigkeit einzustimmen. Theils hatten sie Furcht vor den Folgen, theils war es ihnen empfindlich, einen Soldaten, ihren Obersten, zum Gegenstand des Gelächters gemacht zu sehen. Der Corpsgeist regte sich in ihnen, und finstere Blicke flogen nicht allein auf die lachlustige Gesellschaft, sondern mehr noch auf ihren Kameraden Buchholz, der unmittelbar mit dem Vorgange in Verbindung stand. –

Alle Blicke aber spähten nach dem Obersten umher, allein er war nicht zu entdecken, und als der Vorhang endlich fiel, entstand eine allgemeine Bewegung der entgegengesetztesten Art. – Man erzählte sich die Einzelnheiten, lief zusammen, stritt und erzählte wieder, und in den wiederholten großen Jubel über den köstlichen Spaß mischten sich nun erst auch tadelnde Stimmen, welche es unrecht fanden, daß man durch solche Ungehörigkeiten neuen Skandal herbeiführe.

Frau von Belling hatte ihren Platz auf den Sperrsitzen der Logenreihe genommen, und saß dort unter mehreren Freundinnen in der vordersten Reihe. – So sehr sie Ursache hatte, auf den Obersten zu zürnen, so unangenehm war ihr das Geschehene. Es wußte zwar Niemand, was an diesem Morgen in ihrem Hause vorgegangen war, aber Gerüchte konnten nicht ausbleiben, und wie leicht ließen sie sich mit diesem beleidigenden Scherz verbinden. Sie bemerkte recht gut, wie viele Augen sich auf sie richteten, wie manch lachendes Gesicht sich zu ihr hinwandte, wie spöttische Bemerkungen sich auf sie bezogen, und wie junge sowohl wie alte Damen sich Allerlei zuflüsterten, was Keiner Anderen gelten konnte. –

Mit jeder Scene steigerte sich daher ihre Unruhe und ihr Mißfallen. Sie wünschte auf's Lebhafteste, nie ihre Einwilligung gegeben zu haben, daß Charlotte mitspielen durfte, und zweifelte keinen Augenblick, daß die Hartenstein wirklich die Urheberin des Unfugs sei, denn sie sah es ihr auf der Bühne an, wie sehr sie sich darüber freute.

Kaum war daher der Vorhang gefallen, als Frau von Belling aufstand und eilig sich auf das Theater hinab verfügte, um ihren ganzen Unwillen auf die boshafte Cousine fallen zu lassen. Augenblicklich sollte Charlotte sie in den Saal begleiten, denn eben hierdurch wollte sie der Welt beweisen, daß sie durchaus keinen Theil an der Intrigue habe und sich ganz von ihr lossage. Der Polsterstuhl, auf welchem sie bisher gesessen, wurde mit dem großen Kantentuche belegt, ein Zeichen, daß sie bald zurückkehren werde; so machte sie sich eilig auf den Weg.

Es dauerte jedoch einige Zeit, ehe Frau von Belling auf der Bühne sich zurechtfinden konnte, denn hier war der Lärm wo möglich noch ärger, als vor den Coulissen. – Die Freunde der Schauspieler waren hereingedrungen und belustigten sich mit Wiederholung der Spöttereien auf's Köstlichste. Endlich gelangte die erzürnte Dame in die Garderobe, wo Frau von Hartenstein im vollen Theateranzuge auf dem Tische saß, da alle Stühle voll Kleider und Putz lagen, und mit einer kleinen Scheere Männerchen aus Papier schnitt, zu denen sie Erklärungen gab, welche von anderen umstehenden Damen ausgelassen belacht wurden. – Fräulein Charlotte allein nahm keinen Theil daran, sondern war mit Hülfe einer Dienerin beim Umkleiden beschäftigt.

Bei dem Eintritt der Frau von Belling, und dem strengen Befehle an ihre Tochter zu eilen, um sie zu begleiten, entfernten sich die jungen Freundinnen, nur die Hartenstein blieb auf dem Tische sitzen, und sagte gemüthlich:

Sie wollen Charlotte mit sich nehmen, gnädigste Cousine? Warum sehen sie so geärgert aus? Es ist ein allerliebster Abend.

Ich finde es unverantwortlich, Cäcilie, erwiederte Frau von Belling leise, daß Sie, alle Dehors, welche Sie uns schuldig sind, vergessend, einen solchen Auftritt veranlassen können, der uns in unzähligen Aerger und Verlegenheiten verwickeln muß.

Was habe ich denn veranlaßt, chère cousine? fragte die leichtfertige Frau.

Läugnen Sie nicht, geben Sie sich keine Mühe, fuhr Frau von Belling fort. Sie haben diese Verhöhnung des Obersten herbeigeführt. Es ist Ihnen Natur, überall Muthwillen anzustiften, aber ich verbitte mir das, so weit es mich und meine Familie betrifft.

Sie werden aber ernstlich – böse, chère cousine, sagte Frau von Hartenstein lachend; doch ich beuge mein schuldbeladenes Haupt. Schauen Sie her, Cousine Belling, fuhr sie fort, jetzt bin ich fertig. Ich habe die ganze letzte Scene ausgeschnitten, wo er geprellt wird und Prügel bekommt. Ist das nicht allerliebst! komm her, Charlotte, er ist zum Sprechen ähnlich. Morgen früh soll er es zum Kaffee haben.

Sie legte die ausgeschnittenen Figürchen auf den Tisch und bereitete sich zu einer spaßhaften Erläuterung, als Frau von Belling ohne Umstände die Kunstwerke ergriff, zusammenballte, zerriß und in die Tasche steckte.

Zugleich nahm sie ihre Tochter bei der Hand und sagte auf's Höchste gereizt:

Ich muß dafür sorgen, diese hier indem sie auf Charlotten deutete – künftig vor Beispielen und Lehren zu bewahren, die sie verderben würden.

Und die Tugend, sie ist kein leerer Wahn! Nach Friedrich Schillers Verszeile »Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn.« aus der Ballade »Die Bürgschaft« (1797) – Anm.d.Hrsg. rief Frau von Hartenstein aufstehend. Ueb' immer Treu und Redlichkeit Verszeile aus Ludwig Höltys »Der alte Landmann an seinen Sohn« (1776e); zum Volkslied wurde das Gedicht, indem man es nach der Arie des Papageno »Ein Mädchen oder Weibchen« aus der Oper »Die Zauberflöte« (1791) von Wolfgang Amadeus Mozart sang. Ein Druck in dieser Form erschien erstmals 1798. – Anm.d.Hrsg., liebste Charlotte. – Cousine Belling, ich danke Ihnen für diese Strafpredigt!

Die Cousine eilte jedoch aus der Thür, durch welche sie Fräulein Charlotte vor sich her trieb, und die schöne übermüthige Frau lachte hinter ihr her. Gleich darauf klopfte es, und eine leise Stimme fragte, ob es erlaubt sei einzutreten?

Sie sind es, Herr Lieutnant Buchholz, erwiederte sie ihm öffnend. Sie sehen ja ganz bestürzt aus. Was ist geschehen?

Es ist gar nichts geschehen, antwortete der junge Mann.

Nichts? Aber um nichts rollt man die Augen nicht, oder bohrt wie Hamlet den Blick in den Boden, um dort den Geist zu suchen. – Sie haben ausgezeichnet gespielt, Herr Buchholz. Ihr Feuer, Ihre Leidenschaft, Ihre Empfindungen waren der Gipfel der Kunst, die zur Natur wird, oder der Natur, die sich zur Kunst erhebt. Ihre Umarmungen sind meisterhaft, Sie haben den Polonius Figur aus Shakespeares »Hamlet«, der Typus des ebenso eingebildeten, überheblichen wie berechnenden Intriganten. – Anm.d.Hrsg. gelesen und verstanden. – Und was ist das Nichts? das Nichts ist Alles. Aus dem Nichts geht nicht allein Himmel, Sonne und Sterne hervor; was kümmern uns die! Aber wir mit unseren Empfindungen, mit unserem Leben, unseren Leiden und unserem Seufzen, und Nichts bleibt übrig davon, wenn die Spanne vorüber ist. Ich glaube, Sie sind ein Philosoph, Herr Buchholz.

Ich glaube, erwiederte er lachend, daß ich einer werden könnte.

Geben Sie die Hoffnung auf. Was sagen die Narren da draußen. Lachen sie noch?

Das Gelächter hat sich abgekühlt, erwiederte der Lieutnant, und ich –

Nun und Sie?

Ich habe von einigen ernsthaften Narren Vorwürfe und die Weisung erhalten, mich so schnell als möglich von dem hier begangenen Verbrechen loszusagen.

Die ernsthaften Narren sind die dümmsten, sagte Cäcilie, und die dümmsten sind die gefährlichsten. Was wollen Sie thun?

Da ich bei der Leitung betheiligt bin, werde ich bleiben und meine Pflicht erfüllen.

Pflicht erfüllen! vortrefflich! Gesprochen wie ein Deutscher, der nichts kennt als Pflichterfüllung, rief die schöne Frau. – Meine gnädige Cousine Belling erfüllt ebenfalls ihre Pflicht, indem sie die betrübte Charlotte aus dieser Höhle des Lasters entführt. Jeder erfüllt seine Pflicht in Deutschland, von Kaiser und Reich bis zum ärmsten tugendhaften deutschen Hausknecht; darum geht es uns so vortrefflich, und darum wird der Caliban Fitz-Patrick nächstens General werden, und wenn er mit den dicken Epauletten kommt, wird er die kleine Charlotte heirathen. – Was sehen Sie mich so tugendhaft deutsch, starr und voll tiefsinniger Gedanken an, Herr Buchholz? – Zweifeln Sie nicht an der Wahrheit, aber thun Sie Ihre Pflicht, und fliehen Sie aus meiner Nähe, oder erwarten Sie die Nemesis.

Es könnte allerdings sein, erwiederte der junge Soldat lächelnd, indem er in ihre muthwilligen Augen blickte, daß eine Nemesis nicht ausbliebe.

Aber die Nemesis, sagte die schöne Frau mit einem ihrer feurigen und tief dringenden Blicke, straft nicht allein, sondern belohnt auch. – Haben Sie Muth? – Doch was frage ich danach, Sie sind ja Soldat – so führen Sie mich in die Loge, Herr Buchholz, und ich erkläre Sie zu meinem Ritter.

Der arme Lieutenant gerieth in nicht geringe Bestürzung.

Frau von Hartenstein lachte ihn aus.

Nun, ich sehe schon, sagte sie, ich muß allein gehen, und tadle Sie nicht darum. Aber was hält Sie denn in diesen jämmerlichen Verhältnissen fest? Warum kommen Sie nicht nach Weimar, wo es sich doch anders leben läßt, als hier unter diesen engherzigen, mit Vorurtheilen vollgestopften Krämern, Priestern, Jungfern und Kamaschenhelden! – Sie würden bei uns, wo Geist und Bildung etwas gelten, besser am Platze sein.

In diesem Augenblicke wurde die Thür wiederum geöffnet, und abermals trat Frau von Belling herein, gefolgt und gehalten von ihrer Tochter, deren Gesicht mit Thränen bedeckt war, während ihre Mutter einer Ohnmacht nahe schien. – Sie zitterte heftig, das große Kantentuch hielt sie zusammengedrückt in der Hand, ihre Lippen waren blaß und zusammengepreßt; so sank sie auf den nächsten Stuhl.

Buchholz und Cäcilie waren sogleich zu ihrem Beistande thätig. Charlotte kniete an dem Stuhle nieder und küßte die Hände ihrer Mutter, Frau von Hartenstein nahm ein Glas Wasser und versuchte der leidenden Cousine etwas davon einzuflößen, Buchholz griff nach einem Fläschchen Melissenessenz und besprengte das Tuch.

Was ist Ihnen widerfahren? Was ist geschehen? riefen Beide zu gleicher Zeit; aber die Antwort blieb aus. Charlotte schluchzte laut, und Frau von Belling lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen.

So rede doch, sagte Cäcilie. Es muß ein Unglück geschehen sein, aber ihr lebt ja beide, also noch nicht das Aergste.

Der elende, abscheuliche Mann! rief das Fräulein. Welche gemeine niedrige Rache!

Rache! Wer? – O! ich bin überzeugt, kein Anderer als Fitz-Patrick. Was hat er Dir gethan, Du armes Kind? Was ist geschehen, Cousine Belling?

Auf alle diese Fragen und Ausrufungen antwortete Frau von Belling nur mit einem Seufzer, den eine heftige Bewegung der Hände begleitete.

Wäre mein Sohn hier, sagte sie dann mit heiserer Stimme, mein Sohn! Wir würden nicht ohne Schutz sein.

Madame, fiel Buchholz mit Wärme ein, Sie sind nicht ohne Schutz; sagen Sie mir, was ich thun soll.

Frau von Belling blickte ihn dankbar an, aber sie schüttelte den Kopf. –

Ich will nicht, erwiederte sich, daß ein Freund sich einwirft, der dafür leiden müßte, und dann – Sie können nichts thun, Herr Lieutenant, Sie können Ihren Obersten nicht zur Rechenschaft ziehen. – Verschaffen Sie uns einen Wagen, daß wir nach Haus können. Ich bin meinem Ende nahe.

Buchholz eilte fort, Frau von Hartenstein half und tröstete und hörte dabei aus den abgerissenen Mittheilungen ihrer Verwandten den Hergang der Geschichte.

Als Frau von Belling mit ihrer Tochter die Loge erreichte, in welcher sie ihren Platz hatte, geschah dort so eben etwas sehr Befremdendes. Oberst Fitz-Patrick war kurz vorher hereingetreten, und obwohl noch einige Plätze auf der hintersten Bank leer waren, ging er bis an die Ballustrade vor und sah sich nach allen Seiten um. Er war in voller Uniform, den Degen angesteckt und den Paradehut in der Hand. –

Wahrscheinlich hatte man ihm gesagt, was in seiner Abwesenheit vorgefallen war und wie man auf seine Kosten sich lustig gemacht hatte. Seine Augen blitzten daher nach allen Richtungen, um einen der Lacher auf der That zu ertappen, und in seinen Mienen waren Vorsätze ausgedrückt, welche gerechte Besorgnisse vor einer Gewaltthätigkeit hervorrufen konnten. –

Bei seinem Anblick, seiner stolzen Haltung und dem höhnischen Lächeln, mit welchem er die ganze Versammlung zu messen schien, verstummte die Unterhaltung, und alle Gesichter wurden ernsthaft. Eine unbestimmte Furcht beschlich sehr Viele, die vorher am lautesten gewesen waren; sie wagten es nicht zu dem beleidigten Offizier empor zu sehen, der mit rachsüchtiger Genugthuung eine Zeit lang den Triumph der Anerkennung seiner Macht genoß. Endlich blickte er neben sich auf den Stuhl, wo Shawl und Fächer der Frau von Belling lagen, und machte Miene ihn in Besitz zu nehmen.

Der Platz ist besetzt, sagte eine der nebensitzenden Damen.

Besetzt? fragte der Oberst rauh, die Sprecherin mit seinen runden grünlichen Augen in einer Weise ansehend, daß sie behauptete, noch drei Tage nachher das Zittern nicht losgeworden zu sein.

Er ist besetzt, antwortete eine Andere, die beherzter war. Frau von Belling wird sogleich zurückkehren.

Jetzt sah der Oberst wirklich satanisch aus, und danach war auch seine Handlungsweise eingerichtet. Er faßte das Kantentuch mit dem Fächer zusammen, als seien es Lappen und Flicken, und schleuderte beide mitten in den Gang der Loge, gerade zu den Füßen der zurückkehrenden Besitzerin, die in erstarrender Bestürzung stehen blieb und mechanisch ihr Eigenthum aufhob.

Einen Augenblick herrschte allgemeines Schweigen, dann erhob sich ein Gemurmel des Unwillens. Mehrere Damen standen auf und umringten Frau von Belling; eine hatte den Muth, dem Obersten zu sagen, daß er wahrscheinlich nicht gehört habe, wem der Platz zukomme; aber Fitz-Patrick sah sich kaltblütig nach der beleidigten Frau um und erwiederte polternd:

Hier giebt es kein besonderes Recht. Mag die Dame sich anderswo niederlassen, – und ohne weitere Beachtung lehnte er sich in den Armstuhl zurück und blickte in die Versammlung, welche diesen brutalen Uebermuth schweigend ertrug; wenigstens war Niemand da, der auf der Stelle ihn geahndet hätte.

Frau von Belling selbst hatte kein Wort gesagt, sie entfernte sich mit ihrer Tochter, aber sie war nicht im Stande ihre Würde zu behaupten. Ihre Schritte wankten, der öffentlich zugefügte Schimpf füllte ihr Herz nicht sowohl mit stolzer Verachtung, wie mit Wuth und Rachbegier. In Thränen und Drohungen suchte sie Beruhigung, und da sie in diesem Zustande nicht sofort das Haus verlassen konnte, führte Charlotte sie in die Garderobe, wohin sie auch ohne Widerstand folgte.

Als Cäcilie Hartenstein endlich Alles vernommen hatte, schien sie große Lust zu haben, weit eher zu lachen, als betrübt zu sein. –

Es ist ein Scheusal, dieser Caliban! rief sie aus, aber Niemand hat ihn richtiger behandelt, wie ich. Mich fürchtet und verabscheut er bei Weitem mehr als die sämmtliche übrige Menschheit, und ich fühle die größte Lust, den glorreichen Versuch zu machen, Sie wieder in Besitz ihres Stuhles zu bringen, weil ich überzeugt bin, daß, so wie er mich erblickt, er das Hasenpanier ergreift.

Ich habe nach nichts jetzt Sehnsucht, als nach meinem Zimmer und nach Ruhe, sagte die niedergeschlagene Cousine.

Ohne Gnade! rief die Hartenstein. Es ist zu beklagen, daß der Lieutenant Buchholz eben ein Lieutenant ist, und daß er der Familie nicht näher steht. Er würde die Sache am besten führen.

Mein Sohn soll kommen, sagte Frau von Belling. Er wird seine Mutter und seine Schwester schützen.

Dem Caliban eine Kugel durch das verrätherische Herz jagen, fiel Cäcilie heimlich belustigt ein, oder ihn zur knieenden Abbitte zwingen.

Der Wagen wartet, gnädige Frau, sagte Buchholz, der die Thür öffnete. – Und vorüber ist es mit aller Ballherrlichkeit, rief Frau von Hartenstein, denn ohne Zweifel ist es das Klügste und Schicklichste, daß wir Alle gehen.

Buchholz begleitete die Damen zum Wagen und verließ dann, wie sehr viele Andere, die Gesellschaft, deren Freude so unerwartet gestört worden war. Er hörte, daß auch der Oberst sich bald nach seinem Siege fortbegeben habe, und sprach mit verschiedenen Personen, welche die allgemeine Entrüstung theilten und die härtesten Urtheile aussprachen, dagegen aber ziemlich hoffnungslos waren, daß dem Störenfried etwas geschehen könne.

Wer will ihm denn Etwas thun? sagten sie. Wo soll denn gegen ihn geklagt werden? Wer ist hier noch Herr und was kann ihm überhaupt geschehen? – Die Preußen stehen in Halle bereit, wir können sie alle Tage erwarten. Fitz-Patrick ist unser Meister, er kann machen, was er will, und eigentlich ist es ein Glück, daß er nur einen Fächer und ein Tuch zu Boden gestreckt hat; wäre ein Mensch ihm in den Weg gekommen, er hätte ihn niedergestochen, und es wäre auch nichts daraus gemacht worden. – Soldatenwirthschaft Teufelswirthschaft! der Himmel erbarme sich über solche Zustände. Habt Ihr nicht gehört, was die Offiziere sagten? Der Oberst sei gereizt worden, die Bellings seien Schuld daran. So werden sie die Sache umdrehen. Alle haben sie das Haus verlassen, sobald der Oberst ging, und wenn einer einen schweren Stand haben wird, so werden Sie es sein, Lieutenant Buchholz.


4.

Mehrere Tang lang war in Erfurt von nichts Anderem die Rede, als von den Vorfällen im Casino und der beleidigten, angesehenen Familie, für welche die ganze Stadt Partei nahm. Jedermann wünschte, daß Fitz-Patrick einen gehörigen Denkzettel bekommen möchte, und Jeder freute sich, als die Nachricht verbreitet wurde, der junge Belling sei angekommen.

Leopold von Belling, der preußische Husarenoffizier, war ein lebhafter, stattlicher junger Herr, dem man Entschlossenheit zutrauen durfte. In seiner goldblitzenden, reichen Uniform sah er wie ein Halbgott aus, im Vergleich zu dem dürren, alten Irländer; auch hatte er gar kein Hehl, allen Bekannten einzugestehen, daß er gekommen sei, Fitz-Patrick Sitte zu lehren. Er hatte an den Obersten geschrieben und Aufklärung gefordert, daran aber die unzweideutige Drohung gehängt, im Weigerungsfalle binnen vier und zwanzig Stunden diejenige Genugthuung zu nehmen, wie es unter Edelleuten und Offizieren Gesetz sei.

Auch das war bekannt geworden, und in allen Familienkreisen, wie an öffentlichen Orten wurde darüber gestritten, was Fitz-Patrick thun werde. – Die Erwartung war auf's Höchste gespannt. Daß der Oberst Versöhnung suchen und abbittende Entschuldigungen machen sollte, glaubte man bei seinem stolzen und hochfahrenden Charakter nicht; die ihn näher kannten, glaubten jedoch ebensowenig, daß er bei seiner Stellung und seinem Alter leichthin einen Zweikampf eingehen werde.

Am Morgen des Tages, wo Fitz-Patrick seine Antwort ertheilen sollte, sah der Weinhändler Baier den Lieutenant Buchholz in voller Uniform bei seinem Hause vorübergehen. – Er steckte den Kopf zum Fenster hinaus und rief ihn an.

Wohinaus alleweil? fragte er lustig, mit Hut und Degen in die feuchte Morgenluft? Komm herein zu mir, und nimm ein Tröpfchen gegen die Erkältung.

Es geht nicht, erwiederte der junge Offizier, ich bin im Dienste, Franz.

Da hinauf? sagte der Weinhändler, indem er auf den Petersberg und auf das Commandantenhaus der Citadelle deutete, wo der Oberst wohnte.

Da hinauf, antwortete Buchholz lächelnd. Er hat mich in aller Frühe rufen lassen. –

Der alte Donner! schrie Franz. Sechs Flaschen vom Besten, wenn er Dich nicht bei der Geschicht' brauchen will, die er sich eingebrockt hat.

Magst wohl nicht Unrecht haben, sagte der Lieutenant.

Halt Dich tapfer! fuhr der Weinhändler fort, hilf ihm nicht, laß ihn seine Supp' ausessen und blase weder hinein noch hinaus, so wird's gut für Dich sein. – Ich will Dich nicht aufhalten, Heinrich, habe aber Manches gehört, was von Offizieren in meinem Hause über die Sach' gesprochen wurde. – Sie wissen, daß Du alle Tage, nach wie vor, in Bellings Hause steckst, wissen auch, daß der Leopold Belling Dein Freund ist, und der Donner da oben weiß es auch. – Hast nicht viel Freunde unter ihnen, Buchholz; bist ihnen zu ernsthaft, bist kein adliger Junker, hast mehr gelernt wie sie, und hältst Dich ab von den Meisten. Sie nennen's gegen die Offizierehre, daß Du mit den Bellings noch verkehrst, und wollen Dein ganzes Benehmen untersuchen. – Halt Dich steif, Heinrich, laß Dich nicht unterkriegen!

Ich danke Dir für Deine Warnung, sagte Buchholz ihm die Hand schüttelnd. Furcht habe ich nicht; was ich gethan habe, muß Jeder thun, der seine Ehre behüten will; aber es ist mir lieb zu hören, wie man von dieser Seite über mich urtheilt.

Der Lieutenant ging den Weg hinauf zur Citadelle und über Gräben und Brücken durch das düstere Thor, bis in das bombenfeste Haus des Obersten, der ihn ziemlich lange in dem Saale warten und hinreichend überlegen ließ, was er zu thun habe. –

Er stellte sich an ein offenes Fenster und sah auf die Stadt hinunter, die zu seinen Füßen sich ausdehnte. Sie lag im Morgensonnenschein mit ihren vielen Thürmen und Klöstern groß und freundlich vor ihm. Rund umher lagen blühende Gärten, reiche Felder und duftiger Wald auf den Höhen. Die Frühlingsluft drang süß in den gewölbten finsteren Saal, Nachtigallen schlugen in den Fliederbüschen des kleinen Gartens hinter den Wällen, und ihm gegenüber an der Domseite konnte er das hohe Dach des Bellingschen Hauses erkennen. –

Sehnsüchtig blickte er darauf hin und überließ sich seinen Gedanken, die mit immer größerem Ernste ihn überkamen und sein Herz belasteten.

Wenn ich mit ihr dort wohnen könnte! murmelte er vor sich hin, indem er auf die zerstreuten kleinen Häuser blickte, welche in den Gärten standen. Könnte ich nicht arbeiten, arbeiten wie Viele es thun für Weib und Kind? Und würde ich nicht glücklicher sein, dort in der Hütte, als hier abhängig von Menschen und Verhältnissen, die ich verachte.

Sein letzter Seufzer galt einem geheimen Familienleid, an welchem Buchholz zu tragen hatte. Seine Schwester, die einen wohlhabenden Mann geheirathet, war Wittwe geworden mit der Entdeckung, daß der Todte beinahe mehr Schulden als Vermögen hinterlassen hatte. Die Schulden wurden getilgt, aber die Wittwe sollte nun mit kümmerlichen Ueberbleibseln drei Kinder erziehen. Buchholz gab, was er geben konnte. Er zeichnete Karten und Pläne; er hatte ein paar militärische Handbücher herausgegeben, und über verschiedene kriegerische Vorgänge geschrieben, deren Ertrag er seiner armen Schwester zuwandte. So viel wie möglich wußte es Niemand, er aber wußte am besten, daß, wenn seine Unterstützungen aufhörten, die Wittwe und ihre Kinder bald in tiefe Noth gerathen mußten.

Mitten in diesem trüben Nachsinnen hörte er seinen Namen nennen, und auf der Schwelle des nächstens Zimmers stand Oberst Fitz-Patrick, der ihm gravitätisch freundlich winkte. –

Der Oberst war im Hausrock und hatte eine Feder in der Hand, als sei er eben von seinem Schreibtische aufgestanden. Das ergrauende Haar, heut noch nicht mit Puder und Pomade bearbeitet, hing wirr um seinen Kopf und gab ihm beinahe das Aussehen eines Hexenmeisters, der aus seiner Küche kommt.

Das Zimmer, in welches Fitz-Patrick den Lieutenant führte, war mit einem großen englischen Teppich belegt, weiß lackirte und vergoldete Lehnstühle standen an den Wänden, und um den großen Tisch in der Mitte. Auf diesem Tische erblickte Buchholz eine mächtige Silberschüssel mit dem herzoglichen Wappen der Fitz-Patrick, und auf derselben eine große Terrine von demselben edlen Metall in sehr schöner getriebener, alter Arbeit. –

Der Oberst setzte sich auf einen der Stühle am Tische und deutete Buchholz an, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Dann lüftete er den Deckel der Bowle, ergriff einen vergoldeten Löffel, füllte zwei Gläser mit starkduftenden Getränk und reichte das eine dem erstaunten jungen Offizier.

Kosten Sie, sagte er; echter Whiskipunsch. Es ist ein Geschenk meines Vetters, des Herzogs. Auf gute Kameradschaft und gutes Glück, Lieutenant Buchholz.

Der Lieutenant war über diese seltene Herablassung seines Vorgesetzten um so mehr verwundert, da er wußte, wie schroff und streng der Oberst weit höher stehende Offiziere von sich abhielt. Mit ihm plauderte er heut lange Zeit in so vertraulicher Weise über viele Dinge, welche auf die Lage der Verhältnisse und die nächste Zukunft des Bataillons Bezug hatten, als wolle er Buchholz zu seinem Rathgeber machen.

Wie alt sind Sie, Lieutenant Buchholz? fragte er endlich.

Sieben und zwanzig Jahre, war die Antwort.

Fitz-Patrick sah ihn mit wohlwollenden Blicken an. Jung genug zum Capitain, rief er. In Jahr und Tag können Sie eine Compagnie haben, und dann ist der Weg offen, rasch weiter zu steigen. Ich habe mir vorgenommen, Ihnen zu helfen und bleibe dabei.

Herr Oberst, erwiederte Buchholz sich dankbar neigend, ich weiß, was ich Ihrer Gewogenheit schulde.

Ich werde mich nicht irre machen lassen, fuhr der Oberst fort, obwohl man mir allerlei Dinge hinterbringt, die mich aufreizen sollen.

Ich bin mir keiner Schuld bewußt, sagte der junge Mann erröthend.

Fitz-Patrick lächelte und reichte ihm die Hand. –

Ich kenne Ihren Werth, antwortete er; finde nichts darin, daß Sie der Familie Belling Ihren Respect beweisen, glaube kein Wort, daß Sie von den schlechten Streichen im Casino etwas wußten, und habe Sie rufen lassen, um Ihnen zu beweisen, daß mein Vertrauen unerschüttert ist.

Buchholz horchte hoch auf, er war in großer Erwartung.

Es giebt Leute, sagte der Oberst, die Ihnen zu Leder wollen, Lieutenant, Ihr Benehmen untersuchen wollen – ich will nichts davon hören – ich hasse die Mantelträgereien.

Ich fürchte keine Untersuchung, fiel der junge Offizier ein.

Bah! rief Fitz-Patrick verächtlich, zum Hängen fehlt der Strick nie. Ich will Sie aus dem Geklatsch bringen und Allen die Mäuler stopfen. – Sie sollen nach Halle gehen zu den Preußen. General Wartensleben fordert einen Offizier von mir, der ihm genaue Nachweisungen über den Platz geben kann. Sie sind der Mann dazu. Vortheilhaft wird es für Sie sein, wenn Sie den General kennen lernen; überdies habe ich Sie in dem Briefe hier besonders empfohlen.

Er nahm ein dienstliches Schreiben von seinem Bureau und reichte es dem erstaunten Lieutenant hin.

Sie müssen sogleich fort, sagte er dann aufstehend, ich gebe Ihnen höchstens zwei Stunden. Nehmen Sie keinen Abschied von Freunden, die Sache muß geheim bleiben, Geld liegt in der Commandantur für Sie bereit, hier ist die Anweisung. – Halt, noch Eins. Ich habe gestern einen Brief von dem Lieutenant von Belling erhalten, der wie ein Hahn seit einigen Tagen durch die Straßen kräht. Sie wissen darum. Man hat mir hinterbracht, daß Sie mit dem Belling viel zusammen sind.

Ja, Herr Oberst, erwiederte Buchholz. Ich habe geglaubt, daß ich dazu beitragen könnte, den unangenehmen Vorfall vermitteln zu helfen.

Die grauen scharfen Augen des Obersten fuhren über ihn hin. Er schüttelte den Kopf und grinste ihn an.

Diese Menschen sind unverbesserlich, sagte er, man muß sich vor ihnen hüten. Meinetwegen thun Sie, was Sie wollen, ich frage den Henker danach.

Er legte die Hand auf des Lieutenants Schulter. –

Ich achte Sie, Lieutenant Buchholz. Sind Sie mein Freund?

Herr Oberst, erwiederte der junge Mann mit Wärme, gewiß das bin ich.

So geben Sie nach Halle und lassen Sie die intriguanten Frauen laufen. Die Alte hetzt mir jetzt den Sohn auf den Hals, als ob ich Zeit hatte, mich mit Lieutenants herumzuschießen, eines alten Weibes wegen!

Der Herr Oberst dürfte ja nur erklären, daß es ihm leid thue, Frau von Belling beleidigt zu haben, sagte Buchholz bittend, und ich bin überzeugt, daß damit Alles gethan sein wird.

Fitz-Patrick drehte sich um, ging zum Fenster, sah hinaus und kehrte dann wieder zurück. In seinen Augen lag ein böser Blick.

Den Teufel will ich thun! rief er. Wenn ich Sie wäre, oder Sie ich, würde es gehen. Dies Volk haßt mich, ich verachte es. Kein Wort will ich sagen! Was aber den Husaren betrifft, so sehen Sie ihn vielleicht noch oder können es ihm schreiben. Sagen Sie ihm, daß er in seine Garnison reisen und wiederkommen soll, wenn ich Zeit habe.

Sie verweigern also die Annahme einer Herausforderung?

Das thue ich, rief der Oberst. Was meinen Sie?

Ich halte den Zweikampf überhaupt für die schlechteste Ehrenrettung, erwiederte Buchholz.

Der Oberst zog seine dichten, grauen Augenbrauen zusammen.

Was sagen Sie da, Lieutenant, rief er. Ein Edelmann, ein Offizier, muß immer bereit sein, nach Pistol und Degen zu greifen. – Mir ist es leid, daß ich dem Herrn von Belling nicht aufwarten kann, wie es sich gehört; aber ich bin Commandant hier und habe wichtige Pflichten zu erfüllen. – Sagen Sie ihm das. Er soll warten, bis wir sämmtlich preußische Uniformen tragen, dann stehe ich ihm zu Diensten. Ordnen Sie die Sache und reisen Sie ab. – Ich denke von Ihnen zu hören. – Capitain Buchholz! Noch ein Glas und dann auf Wiedersehen!

Der junge Offizier war, als er seinen Obersten verließ, voll freudiger und dankbarer Gefühle, die ihm eine schwer zu schildernde Stimmung gaben. Statt der gefürchteten Vorwürfe und Drohungen war er mit Freundschaftsbeweisen überhäuft, mit einem ehrenvollen Auftrage betraut worden, der ihm die sichersten Vortheile verhieß. Er ging auf die Kasse der Commandantur, wo ihm eine nicht unbeträchtliche Summe gezahlt wurde, mit der er überflüssig die Reisekosten decken konnte, dann stieg er den Petersberg hinunter, packte rasch seine Sachen zusammen, bestellte Postpferde und überlegte während dieser Zeit, wie er am besten den Auftrag seines Beschützers erfüllen könnte. –

Sein Herz zog ihn in das graue Haus und mahnte ihn, nicht zu gehen, ohne dort Lebewohl zu sagen, die Klugheit erinnerte ihn daran, es nicht zu thun. Seine Ehrlichkeit sträubte sich vor jeder Falschheit und sein Gewissen erklärte ihm, daß er schon auf falschen Wegen sei und nothwendig nicht zweien Herren dienen könne, ohne den einen zu hintergehen.

Was Fitz-Patrick ihm über die Familie Belling gesagt hatte, war unwahr und leidenschaftlich unrecht, und doch hatte er nicht den Muth gehabt, ihm zu widersprechen. Der Oberst hatte ihm zwar erlaubt, zu thun, was er wolle, aber nur zu sicher war es, daß er eine fortgesetzte Freundschaft nicht günstig betrachten konnte. Alle Offiziere, die mit der Familie bekannt waren, hatten sich zurückgezogen, er allein nicht. –

Er erinnerte sich, daß Fitz-Patrick ihn zuweilen lauernd und drohend angesehen hatte, und war überzeugt, daß, wenn er nicht das dienstwillige Werkzeug seines Vorgesetzten werde, bald genug die Krallen zum Vorschein kommen würden. Aber er tröstete sich damit, daß Alles bald ganz anders kommen könne. Wenn Fitz-Patrick General wurde, Erfurt den Preußen übergeben war, er den Capitainsrang erhalten hatte, mußten sich die Verhältnisse umwandeln. –

Der General erhielt wahrscheinlich dann eine Stellung, die ihn Gott weiß wohin versetzte; die Offiziere wurden eben so gewiß zerstreut, die ärgerliche Geschichte war vergessen, und was konnte ihn dann noch hindern, mit dem geliebten Mädchen glücklich zu sein?!

Er beschloß zu thun, was sich irgend thun ließ, um seinen Freund zu bewegen, die Sache vor der Hand auf sich beruhen zu lassen, oder – den Vorschlag des Obersten anzunehmen.

Nach einer Stunde trat er in das Haus der Frau von Belling und sein Gesicht strahlte vor Freude, als er, in das Wohnzimmer tretend, Charlotten allein fand, die, mit einer Arbeit beschäftigt, diese sinken ließ, als sie ihn erblickte.

Theuerste Charlotte, sagte er leise, wie gut meint es mein Schicksal, daß ich Sie finde.

Es muß Ihnen etwas sehr Glückliches begegnet sein, erwiederte das Fräulein.

Das Beste, daß ich bei Ihnen bin, um es Ihnen sogleich mitzutheilen, gab er zur Antwort. Ich gehe nach Halle zum General Wartensleben, in einer Stunde muß ich fort; aber wenn ich wiederkomme, werde ich Capitain sein, preußischer Capitain, im Dienste eines großen Monarchen, und wenige Jahre werden hinreichen, höher zu steigen. –

Er erzählte ihr flüsternd Alles, was sich zugetragen, und Charlottens Blicke begeisterten sich, ihre Schüchternheit wich den feurigen Worten, mit denen er ihr den Muth ihrer Liebe gab. Sie blickte zu ihm auf und ließ ihm ihre Hände, die er mit Küssen bedeckte; sie vergaß endlich ganz, daß noch mancherlei Hindernisse zu besiegen waren, und hörte nichts mehr als seine Stimme.

Aber was wird geschehen, wenn der Oberst es erfährt, daß Sie noch in dieser Stunde bei uns waren? fragte sie furchtsam.

Daß ich hier war, mag er immerhin wissen, lachte der junge Mann. Er weiß freilich nicht, welcher Himmel mich hier aufnimmt, aber das soll er auch nicht eher erfahren, bis sich nichts mehr ändern läßt. Fitz-Patrick ist so böse nicht, wie man ihn macht.

Charlotte schüttelte das Köpfchen. Sie wagte nicht zu sagen, was sich an derselben Stelle begeben hatte, wo Beide jetzt saßen, aber sie flüsterte vor sich hin:

Ich fürchte ihn sehr, uns allen ist er bitter feind.

Mir ist er dafür mehr zugethan, als ich es verdiene, erwiederte Buchholz. Mag sein, daß er die Absicht dabei hat, mich ganz an sich zu fesseln; aber was er auch sinnen mag, in die Gefühle meines Herzens soll er sich nicht mischen. Meine menschliche Freiheit soll er nicht antasten. Irrt er sich, so ist das seine Schuld, nicht die meine.

Ach! theurer Freund, rief die junge Dame, wenn ich an ihn denke, ist es mir, als stände er hinter uns und wollte uns ein Leid anthun. Es ist mir so, als hätten Sie – verzeihen Sie mir – ihm dazu neue Gelegenheit gegeben.

Sie tadeln mich, Charlotte, erwiederte der junge Offizier betrübt, das thut mir weh. Was konnte ich thun? Sollte ich ihm die volle Wahrheit sagen, seine Gunst zurückweisen, ihm sein Unrecht vorhalten? Was hätte ich dabei gewonnen? Er würde mit Hohn mich in meine Schranken zurückgewiesen haben. Ich, der Lieutenant, er der Oberst! Meines Bleibens wäre kaum mehr gewesen; es hätte dahin kommen können, es für das Beste zu halten, dies Kleid freiwillig von mir abzulegen. – Und Alles, was ich thue, geliebtes Mädchen, sagte er mit ausbrechender Leidenschaft, thue ich ja für Dich! – Als ich vor ihm stand, bezwang ich den Trieb, der mich drängte, ihm zu sagen, was ich dachte. Ich dachte an Dich! – O! warum ist Armuth die Fessel, welche mich hindert, muthig und wahr zu sein?! Warum sind die Reichen und Mächtigen so sehr zu beneiden? Weil sie nicht klug zu sein brauchen, nicht zu rechnen und zu drehen brauchen, sondern thun können, was recht ist, ohne zu bereuen. Alle meine Hoffnungen hängen daran, Sie mein zu nennen, Charlotte, und wo ist ein anderer Weg dazu, als durch mein Steigen in Rang und Ehren? Was würde Ihre Mutter sagen, wenn ich kommen würde, ich, der arme, verabschiedete Lieutenant, der nichts besitzt, nicht einmal einen Degen und dessen Zukunft! Nein, immerhin! sei es Gott oder Teufel, gleichviel wer mir hilft – ich darf seine Hülfe nicht zurückweisen.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und Frau von Belling trat herein, die von einem Besuche zurückkehrte. Sie mußte gesehen haben, daß Buchholz den Arm um Charlotten gelegt hatte und in welcher vertraulichen Stellung er neben ihr saß, denn sie blieb einen Augenblick überrascht stehen, und eine Donnerwolke zog sich auf ihrer Stirn zusammen.

Ehe jedoch Blitz und Schlag erfolgen konnte, erschien auch ihr Sohn, der mit Gelächter einen Brief emporhielt und zu Buchholz gewandt diesem zurief:

Da habe ich die Antwort von dem Bramarbas. Ich dachte es wohl, daß er Ausflüchte machen würde, aber sie sollen ihm nichts helfen. Ich will ihn so in die Enge treiben, daß er aus allen Pelzen herauskriechen soll.

Er las hierauf mit lustigen Anmerkungen einen kurzen Brief des Obersten vor, der ziemlich dasselbe besagte, was Buchholz von ihm gehört hatte. Die Form war höflich, aber der Inhalt bestimmt. Für jetzt hindere ihn seine Pflicht die Forderung anzunehmen, wenn jedoch die jetzige politische bewegte Situation vorüber sei, und der Herr Lieutenant dann noch Genugthuung wünsche, werde er damit nicht zögern. So lange aber sei es unmöglich; bei einigem Nachdenken sei es auch einzusehen, daß jedenfalls er nicht im Stande sei, seinen persönlichen Wünschen auf der Stelle zu folgen.

Nun, was sagst Du? rief der junge Belling. Er verkriecht sich hinter seine Pflicht und verpanzert sich in siebenfaches Steifleinen.

Wenn wir billig sein wollen, sagte Buchholz bedächtig, so hat er allerdings bei der nahen Uebergabe Erfurts viele Verantwortlichkeit und wichtige Geschäfte.

Und deshalb soll ich warten? fiel der ungestüme junge Mann ein. Ein Offizier und Edelmann muß keinen Augenblick zögern sich zu stellen, wenn der Beleidigte ihm keine Frist giebt, und wenn Papst und Kaiser ihm sagten, Du sollst nicht. Ich aber will ihm diese Frist nicht geben, denn ich sehe, wohin er steuert. Ist er erst Oberst oder General in preußischen Diensten, so muß ich den Abschied nehmen, wenn ich ihn fordern will. Alle Vortheile sind dann auf seiner Seite, und Einmischungen werden stattfinden, um mir die Sache zu verleiden.

Gnädige Frau, sagte Buchholz, indem er sich an Frau von Belling wandte, die ihn stolz und streng beobachtete, ich rufe Ihr mütterliches Gefühl auf, Ihren Sohn, meinen lieben, aber allzu heftigen Freund, vor solchen Schritten zu bewahren. Ich selbst muß in einer Stunde nach Halle reisen, da ich zum General Wartensleben commandirt worden bin.

Das ist eine neue List von ihm, rief Leopold von Belling. Er weiß, daß Du mein Freund bist, und schickt Dich fort.

Es ist ein ehrenvoller Auftrag, erwiederte Buchholz, der mir obenein das Capitainspatent sichert. – Ich bitte Dich, Leopold, verhalte Dich ruhig. Selbst wenn Du Recht hast, daß Oberst Fitz-Patrick sich verkriechen will, so wird er viele Mittel finden, es zu können. Seine Oberen werden ihm beipflichten, Du wirst endlich gezwungen, Deine Absichten aufgeben zu müssen, und während man ihn wegen seiner kaltblütigen Mäßigung lobt, wird man Dich verdammen und Deine Unüberlegtheit tadeln.

Nichts da! rief der Husarenoffizier erbittert, Deine Gründe bestimmen mich nicht. Du magst Ursach haben, Dich seiner anzunehmen, denn dieser Auftrag nach Halle wird Dir gute Dienste thun. Ich habe keine Rücksichten zu nehmen und will keine nehmen. Oeffentlich auf der Parade mitten unter seinen Offizieren will ich ihn aufsuchen und, wenn er sich weigert, ihn wie einen feigen Schelm behandeln.

Das wirst Du nicht thun, sagte Buchholz, denn mit Recht würden die Folgen einer so unüberlegten Handlung Dich verderben. Rufe einen Ehrenrath der Offiziere zusammen, wenn Du mir nicht folgen willst; aber ich sehe voraus, er wird gegen Dich entscheiden. Was mich anbelangt, so vergesse ich willig Deine mißtrauischen Worte. Ergebenheit und Achtung für diese edle Frau und Alles, was zu ihr gehört, wie meine Freundschaft für Dich, sind viel zu groß, als daß ich denken könnte, Du glaubtest in Wahrheit, Fitz-Patrick werde mich bestechen oder ändern. Erwägest Du meine Lage, so muß mir die Sendung willkommen scheinen; erwägst Du meine Grundsätze, so wirst Du überzeugt sein, daß ich in unwandelbar treuer Anhänglichkeit zurückkehren werde.

Die Ruhe und Klarheit, mit welcher Buchholz die Verhältnisse eröffnete, die Bescheidenheit, mit welcher er sich beurtheilte, und die warme Theilnahme, welche er für die befreundete Familie zeigte, wirkten vortheilhaft für ihn. – Frau von Belling hörte aufmerksam, was er sagte, und ihre Strenge schmolz in gütige Zeichen. Sie nickte leise ihrer Tochter zu, die sehr ängstlich zeither die Mutter beobachtet hatte, küßte sie auf die Stirn und flüsterte ihr einige Worte in's Ohr, welche Charlotte erröthen ließen, während ihre Augen sich mit plötzlichem Glanz auf Buchholz hefteten.

Ich glaube, sagte die Dame dann, sich in das Gespräch mischend, unser Freund hat Recht, und seiner Einsicht sowohl, wie seiner Ergebenheit, dürfen wir unbedingt vertrauen.

Der Lieutenant küßte Charlottens Mutter die Hand und erwiederte freudig:

Mein größtes Glück ist es, mich so belobt zu sehen, und mein ganzes Streben wird darauf gerichtet sein, Ihr Vertrauen zu verdienen. Was kann es helfen, wenn Leopold die äußersten Wege einschlägt, um den Obersten zum Zweikampf zu zwingen? Seine Handlung ist gerichtet durch ein öffentliches Urtheil, das niemals von ihm abgenommen wird; Ihre Ehre aber ist fürwahr nie angetastet worden, denn wer ist der Entehrte? Gewiß nur der, welcher so gröblich seine Ehre vergessen konnte.

Du sprichst wie ein Priester, wie ein blasser Moralist, rief der junge Belling unwillig. Meine Mutter selbst wird nicht wollen, daß ich in dieser Art mich ducken soll. Frage Charlotten, ob solche tugendhafte Ehrenrettung ihren Beifall findet. Ich würde ausgelacht werden, wir Alle würden ausgelacht.

Immer besser, daß die Unverständigen lachen, als daß die Verständigen weinen, sagte Buchholz. Ist ein Zweikampf ein Gottesurtheil? Siegt darin der Beleidigte immer? Ist der rohe Beleidiger, der Bösewicht, der Nichtswürdige nicht allzuoft der Sieger? – Worauf kommt es denn an bei diesem schrecklichen Würfelspiel? Auf einen Zufall, oder auf eine mörderische Geschicklichkeit, nicht auf Recht, oder gar auf einen göttlichen Ausspruch. – Ich will von Religion und Humanität nicht sprechen, die mit so heiligem und gerechtem Abscheu den Zweikampf verdammen, will nicht daran erinnern, was die besten und edelsten Männer darüber geurtheilt haben, ich frage Dich nur: wo ist die Genugthuung, die Ehrenrettung obenein, wenn Du selbst etwa ihr Opfer wirst? – Ich kann den Gedanken nicht ausdenken, den Jammer mir nicht ausmalen, wenn in der Blüthe Deines Lebens Du auf solche Weise enden solltest. – Leopold, mein lieber Freund, ist Dein Leben nicht mehr werth? Hast Du nichts Größeres von ihm zu hoffen, als einem solchen Ende Dich auszusetzen?

Du meinst es gut, erwiederte der junge Belling ihm die Hand drückend, und vieles ist auch so, wie Du sagst, aber – Du sprichst nicht als Offizier, und kannst selbst nicht danach handeln. Meine Mutter hat mich gewiß lieb, Charlotte auch, dennoch werden sie mir Beide Recht geben, daß ich mich nicht zurückziehen darf.

Ich glaube, sagte Frau von Belling stolz den Kopf aufhebend, daß dies auch nicht die Absicht des Lieutenant Buchholz ist, da er weiß, was jeder Offizier thun muß. Kein Belling wird etwas auf seinem Namen sitzen lassen! Aber mein Sohn, wenn es möglich ist, so soll man lieber den Frieden suchen, als den Streit, und die christliche Religion befiehlt uns, unseren Feinden zu vergeben. Ich will ihm gern verzeihen, will mich damit begnügen, daß meine Freunde mich trösten, und ich in keines guten Menschen Achtung gesunken bin. Du kannst es vielleicht nicht, allein wenn ich denke, daß ich Dich verlieren könnte, möchte ich sagen, wie unser lieber Freund hier sagt: Es ist besser, daß sie über uns lachen, als daß wir im Jammer untergehen.

Bei diesen letzten Worten wurde die Gesellschaft durch Frau von Hartenstein vermehrt, die im Reiseanzuge hereintrat. – Sie ließ sich Alles erzählen und lachte übermüthig, wie immer. –

Schlage ihn todt, Leopold, schlage den Caliban todt! rief sie, aber laß Dich nicht todtschlagen, darin besteht die ganze Kunst des Fechtens und Duellirens. Man theilt Hiebe und Stöße aus und bekömmt keine wieder. – Wer davor sich nicht sicher weiß, ist freilich sehr närrisch, wenn er sich hinstellt, um von Einem, der ihn überdies schon geärgert und geplagt hat, noch einen Schlag auf den Kopf oder eine Kugel in den Leib dankbarlichst in Empfang zu nehmen. – Seht, was ich für Vorzüge habe. Ich habe den grimmigen Irländer aufs Grausamste gezwickt, und fahre jetzt vergnügt davon, während mein armer Vetter Leopold wie ein Truthahn einherspazieren muß, der die Zeit nicht erwarten kann, wo er geschlachtet werden soll.

Sie lachte und scherzte weiter, und kümmerte sich nicht um die mißbilligenden Blicke der Cousine. –

Bah! Leopold, fuhr sie fort, es ist in der ganzen Welt derselbe Trödel. Ein Unsinn vertreibt den anderen, ein Caliban kommt, der andere geht. Die nächste Zeit werdet ihr von mir nichts hören.

Willst Du nicht in Weimar bleiben? fragte der junge Belling.

Ich denke nein, ich will reisen, erwiederte sie. Nach Paris. Die Franzosen sind ein himmlisches Volk! Geschickt für Alles, was sich begeben mag, sich in Alles findend, rasch, klug und ritterlich. Hier wird es schwer und dunkel bleiben, bis an das selige Ende. Zopf und Corporalstock werden die letzten Deutschen überleben.

Sie nahm Abschied und empfahl sich endlich auch Buchholz.

Sie gehen also nach Halle, sagte sich, um gesalzen unter die Preußen zu kommen. Schade, daß ich Sie dann nicht mehr sehen kann, in hohen Stiefeln, zusammengepreßtem Kragen und doppelt gewichstem Zopf, meinem unvergeßlichen Caliban ehrfurchtsvoll aufwartend. Die Hand am Hut, steif, wie von Pappe und Bindfaden.

Sie legte die Hand an ihre Stirn und sah den Lieutenant mit so komischem Ernste an, daß ein allgemeines Gelächter entstand. –

Adieu, mein Lämmchen Charlotte, fuhr sie dann fort. Nimm Dich vor dem Wolfe in Acht, der jetzt nicht mehr in Schafkleidern, sondern mit Degen und Epauletten umherschleicht. – Adieu, Leopold! Wenn Du nicht geschlachtet wirst, laß Dich in Weimar blicken und sei klug. – Die ganze Geschichte ist nichts werth, als Gelächter und Verachtung über den elenden Caliban.

So ging sie hinaus und nach einigen Minuten rollte ihr Wagen mit ihr fort. – Während Frau von Belling und ihr Sohn die Scheidende begleiteten, hatte Buchholz Gelegenheit, Charlotten seine zärtlichen Abschiedsworte zuzuflüstern; sie vertraute ihm dagegen, daß ihre Mutter sich vorher sehr vortheilhaft über ihn geäußert habe, und mit solchen Erwartungen und frohen Hoffnungen konnte das Scheiden nicht schwer werden.

Wenn Sie zurückkehren, sagte Frau von Belling im gütigen Tone, als er Abschied nahm, erwarten wir den Capitain Buchholz zu empfangen; wenn dies aber auch nicht der Fall sein sollte, so wird und unser Freund, der Lieutenant Buchholz, eben so willkommen sein. Ich denke, liebe Charlotte, wir können dies mit gutem Gewissen behaupten.

Entzückt von dieser bedeutsamen Zusicherung, und noch mehr entzückt von dem, was er in den Blicken seiner Geliebten las, eilte der glückliche, junge Offizier seiner Wohnung zu, an deren Thür er schon den wartenden leichten Wagen und die Postpferde erblickte. In Eile wurde sein Koffer aufgepackt, die letzten Anordnungen getroffen und eine Viertelstunde später ging es zum Thor hinaus, unter den lustigen Klängen des Posthorns, die aus den finsteren Gewölben des Festungswalles jubelnd in die freie, blaue Frühlingsluft dem polternden Wagen voraneilten.


5.

Vor funfzig Jahren gab es noch keine Kunststraßen. Als diese viel später im heiligen deutschen Reiche gebaut wurden, glaubten unsere Väter etwas höchst Merkwürdiges und Unerhörtes ausgeführt zu haben, und waren ziemlich eben so erstaunt und erfreut darüber, wie wir es jetzt über unsere Eisenbahnen und Dampfschiffe sind, die wahrscheinlich nach einem halben oder ganzen Jahrhundert wiederum von einer anderen Erfindung weit überflügelt werden.

Damals waren die Landwege von einer Stadt und von einem Dorfe zum anderen aber weit besser, als wir sie heut zu Tage finden. Eben weil diese Wege das einzige Verbindungsmittel zwischen den menschlichen Wohnsitzen bildeten, wurden sie mehr gepflegt und beaufsichtigt, als es nun der Fall ist, und während man jetzt trotz aller Landräthe, Gendarmen und Aufsichtsbehörden mit der größten Bequemlichkeit auf den meisten dieser eigensinnig krummen, alten Straßen, die von Geschlecht zu Geschlecht forterben, den Hals brechen, und unter den alten Weiden und Brombeerbüschen, die sie gewöhnlich da und dort beschatten, selig enden kann, wurden damals sorgfältig alle Löcher ausgefüllt, die Steine beseitigt, und die Brücken und Dämme in Stand gehalten. –

Dafür mußte freilich der Reisende bei jedem Dorfe Damm-, Brücken- und Pflastergeld bezahlen. Es gab fast keine Gemeinde, die nicht ihr besonderes Privilegium dafür hatte, den des Weges kommenden Leuten die Taschen zu erleichtern; oft sogar hatte ein einzelnes Haus oder eine Familie diese besondere Gerechtigkeit, wie es genannt wurde, und diese Gerechtigkeiten waren häufig höchst seltsamlich vom Landesherrn erschlichen, erkauft, erstritten, oder als Gnadensache vergeben worden. – Niemand kann sich jetzt mehr einen rechten Begriff davon machen, was es damals hieß, im lieben Deutschland zu reisen, und wenn man es in Büchern aus jener Zeit liest, möchte man die Leiden und Abentheuer unserer reisenden Vorfahren als Märchen belachen. –

Das beste blieb noch immer der Postwagen, der mit seinem Privilegium allen anderen Privilegien ein Schnippchen schlug, aber der Postwagen war einer der grausamsten Marterkasten, von dem die Schriften erzählen. Ein Gestell von Holz mit Rädern versehen, und Bänke darauf, die, wenn sie recht elegant sein sollten, mit Juchtenleder übernagelt wurden, auf welchem der unglückliche Passagier binnen vier und zwanzig Stunden, Tag und Nacht, unter unsäglichen Qualen höchstens zehn bis zwölf Meilen zurücklegte, die man jetzt mit den Schnellzügen der Eisenbahnen in einer Stunde hinter sich bringt. –

Wer es irgend konnte, ging daher der Ordinairen mit Grauen aus dem Wege, miethete Privatfuhrwerk oder bezahlte Extrapost; allein auch diese theuren Extraposten waren nicht etwa hübsche, leichte Halbwagen, sondern größtentheils Karren und Kaleschen, oft nur mit einem Strohsack versehen, ohne Verdeck und ohne die geringste Bequemlichkeit, so daß, wenn man dies Damals mit dem Jetzt vergleicht, man fast meinen sollte, es sei unmöglich, in fünfzig kurzen Erdenjahren so viele Fortschritte zu machen, und man das Zeitalter der Fortschritte nicht genug anstaunen und von einer erhabenen Zukunft des Menschengeschlechts träumen könnte.

Auch das Fuhrwerk, mit welchem der Lieutenant Buchholz aus der großen Stadt sich entfernte, war keineswegs ein besonders beneidenswerthes. Es war eine kurze Kalesche mit brüchigem Hinterdeck, die vorn auf den Achsen stand, hinten in Schwanenhälsen hing, und deren gelblich verblichenes Ansehen, wie der wacklige Gang ihrer Räder, wohl einige unheimliche Ahnungen erwecken konnte. Von diesen war jedoch der wohlgemuthe Reisende weit entfernt. Er lag in der Ecke seiner stolzen Equipage so bequem wie möglich ausgestreckt, und blickte mit seligen Rückerinnerungen auf die grünen Berge des Thüringer Landes.

So verging ihm die erste Trennungsstunde, während der Wagen rasch fortrollte und den Reisenden zuweilen ziemlich hart aus seinen verliebten Träumereien aufrüttelte, denn heut war es zwar schön Wetter, aber mehre Tage lang hatte es geregnet, und wenn es in diesem Lande regnet, ist der Thonboden aufgeweicht und schlüpfrig. Der Wagen stürzte daher in tiefe Geleise und Löcher, oder glitt und sprang zur Seite, der Postillon sah sich dann und wann nach den Rädern um, bis er in der Nähe eines Dörfchens am Wege abstieg und mit einigen üblichen Flüchen erklärte, daß der Ring an einer Stelle gesprungen sei und nothwendig vom Schmied zusammengeschweißt werden müsse.

Der Aufenthalt war ärgerlich. Der Wagen fuhr langsam ins Dorf hinein. Verdrüßlich blickte Buchholz auf die Hütten, wo über Zaunwänden und aus kleinen Fenstern neugierige Köpfe erschienen; aber plötzlich hörte er seinen Namen rufen, und siehe da, unter dem Vorbau der Schenke hielt eine Chaise, aus welcher eine Dame ihr Tuch winken ließ.

Es war Frau von Hartenstein, die im Begriff schien, weiter zu fahren, und als sie den Unfall vernommen hatte, Buchholz sogleich einen Platz in ihrem Wagen anbot. –

Hätte ich gewußt, sagte sie, daß Sie über Weimar reisten, so würde ich Sie sogleich gebeten haben, mein Reisemarschall zu sein. – Steigen Sie ohne Complimente ein und lassen Sie den Mann sich helfen, wie er kann. Was uns nicht drückt, muß uns keine Sorge machen.

In fünf Minuten saß Buchholz neben Cäcilien, ihre Jungfer neben dem Kutscher, und rasch ging es zum Dorfe hinaus. Die schöne Frau scherzte in ihrer ungezwungenen Weise über dies unerwartete Zusammentreffen, aber es war noch keine halbe Stunde vergangen, so wußte der junge Offizier ganz bestimmt, daß er erwartet worden sei.

Bei der ersten Bemerkung, welche er darüber wagte, gab sie es zu.

Wirklich, ich habe Sie aufgefangen, sagte sie, und meinen Plan wie ein Stegreifritter vom Thüringer Walde gemacht. Meine Jungfer da vorn besitzt Talent genug, um mit Ihrem Postillon Complott zu machen. Es war verabredet, daß er irgend ein Unheil anstiften oder vorgeben sollte, um im Dorfe mit zerbrochenem Wagen anzukommen. Das ist Alles vortrefflich ausgeführt und nun – sind Sie mein Gefangener.

Und in welches feste Schloß führen Sie mich? fragte Buchholz.

In das sicherste, das ich besitze, erwiederte sie.

Wie lange soll ich dort gefangen sein?

Zeit Ihres Lebens, wenn Sie nicht ausbrechen.

Der Offizier scherzte weiter; er hielt es für das Beste, was er thun konnte. Er küßte die feine Hand des schönen Kerkermeisters, von welchem er sich die mildeste Behandlung erbat.

Nachdem eine Zeit lang die Entführung belacht worden war, sagte Frau von Hartenstein sich zurücklehnend:

Genug davon, ich führe Sie nach Weimar, wo Sie die Behörden um Schutz wegen Raub eines Lieutenants auf offener Landstraße anrufen, oder auch einen energischen Selbstbefreiungsversuch machen können, der unfehlbar glücken wird. Aber im Ernst! mein vortrefflicher Freund, wäre diese Gelegenheit nicht erwünscht, Sie von Banden zu befreien, welche wie Stahl und Blei an Ihren Fersen hängen müssen?

Ich fühle keine Bande, sagte Buchholz. Wenigstens jetzt nicht, fügte er galant hinzu.

Bleiben wir bei dem Ernst, antwortete die Dame. Sie sind der einzige Mensch in dem ganzen kurmainzischen heiligen Filial, der mir Interesse einflößt. Sie sind jung, gewandt, gebildet, liebenswürdig, und von den Geistern ergriffen, welche durch diese dicken, deutschen Nebel ziehen, ohne sie zertheilen zu können. Wenn Sie wollen, Herr Buchholz, will ich Sie in Weimar dem Herzoge vorstellen und seinen geistreichen Umgebungen zuführen. Bleiben Sie ein paar Tage bei uns, ich habe Einfluß genug, um sie Ihnen angenehm und für Ihre Zukunft nützlich zu machen.

Wie gern würde ich bleiben, sagte Buchholz, aber ich habe strenge Ordre, keine Stunde zu versäumen, und meine Pflicht –

Was da, Pflicht! fiel sie lachend ein, schon wieder die Pflicht. Werfen Sie Ordre und Pflicht zusammen über den Bord und gehorchen Sie mir.

Süßer Gehorsam! rief der Lieutenant, aber was würde die Folge sein?

Man machte Sie sicher nicht zum Capitain, sagte Frau von Hartenstein, doch was wäre daran verloren? – Ist denn das Glück so groß, ein preußischer Hauptmann mit fabelhafter Halsbinde und langem Rohrstock zu sein? Gütiger Himmel! welche trostvolle Aussicht, immer von den Winken eines gräulichen Caliban abzuhängen, mit den übrigen fluchenden Herren Kameraden auf die Wachtparade zu ziehen und deren sonstige geistvolle Unterhaltung zu theilen. – Sie passen dazu nicht, Sie sind Besseres werth und dennoch – ja dennoch wird es Ihnen als besondere Gnade angerechnet werden.

Ich glaube nur Ihrer Gnade zu bedürfen, sagte Buchholz, der den scherzenden Ton beibehielt.

Nein, mein schöner Herr, hören Sie die Wahrheit, antwortete Frau von Hartenstein, indem sie sich in ihren Shawl wickelte, denn die Luft strich kühl durch den offenen Wagen. Sie sind nicht umsonst mein Gefangener geworden; ich habe mir vorgenommen, Ihnen dabei Alles zu sagen, was ich über Sie und Ihre Lage denke. – Sie sind nicht von Adel, ich habe das mehr als einmal von Ihren eigenen Kameraden bemäkeln hören. Die Menschen da wissen nichts von einem Adel des Geistes. Das ist eine neue Erfindung, oder vielmehr eine sehr alte, die aber nie viel gegolten hat und noch lange nicht viel gelten wird. Die Roheit, auch wenn sie nichts hat, als ein Wappen, wird sich damit immer weit über das wahre Verdienst stellen. Es ekelt Einen an, das alle Tage zu sehen und zu hören, selbst von Menschen, wo man es nicht glauben sollte; aber Dünkel, Pharisäerthum aller Art, Engherzigkeit und angeborene, anererbte Vorurtheile werden unter diesem Haufen von Dummköpfen, Lügnern, Heuchlern und Narren nie aufhören. – Schon unter den Soldaten des Erzpriesters sieht man Sie über die Achsel an, in Preußen ist das noch viel schlimmer. Der Offizier muß dort adlig sein, dem Bürger traut man weder Muth, noch Befähigung zu. – Es ist sehr zweifelhaft, ob Sie trotz der Empfehlung Fitz-Patricks angenommen werden; sollte es aber der Fall sein, so werden Sie sicher eine traurige Rolle spielen, gegen jeden Junker zurückgesetzt werden und nur durch besondere Glücksfälle weiter gelangen. – Sie haben auch öfter gegen den Unsinn gesprochen, der Zweikampf genannt wird; das wird man Ihnen nicht vergessen. Sie haben den ritterlichen Geist nicht begriffen, der erbliches Eigenthum des Adels und des Offiziers ist. Hüten Sie sich, mein schöner Herr, über kurz oder lang sind Sie ein verlorener Mann. Reißen Sie sich los von dieser Kaste, machen Sie sich frei, vertrauen Sie Ihrem Muthe, der Zukunft, den Gedanken der neuen Zeit, oder wenn Sie dem Allen nicht vertrauen wollen, so vertrauen Sie meiner lebhaften Theilnahme – meiner Freundschaft.

Die Blicke, welche die lebten Worte der schönen Frau unterstützten, flogen wie zündendes Feuer durch die Brust des jungen Offiziers. Er glaubte sie nie so gesehen und nie so angesehen zu laben. – Ueber ihr reizendes Gesicht fielen lange braune Locken, ein unnachahmliches, aufforderndes und verspottendes Lächeln umgab den feinen Mund, und ihre Augen ruhten auf ihm mit einer geheimnisvollen Gewalt, die sein Herz zu heftigen Schlägen trieb.

Er war allein mit ihr in dem engen Wagen, dessen Vorderdeck der Sonne wegen festgestellt war. Der Kutscher plauderte und lachte draußen mit der Jungfer. Niemand sah und hörte, was drinnen vorging. Buchholz hätte sich dreist zu ihren Füßen werfen, oder mit einem verwegenen Entschlusse sich in ihren Armen wiederfinden können; aber er war verwirrt und glühend. Er senkte seine Augen und konnte keine Worte finden, während sie schweigend zu erwarten schien, was er thun würde.

Endlich fing Cäcilie laut an zu lachen.

Wollen Sie mir aufrichtig eine Frage beantworten? sagte sie.

Gern und aufrichtig, war seine Antwort. Fragen Sie.

Haben Sie jemals geliebt? Heiß und innig eine Frau geliebt?

Wunderbare Frage! erwiederte er sein Gesicht aufhebend. Ich soll Ihnen die Wahrheit sagen. Gut – nein, bis vor kurzer Zeit wußte ich nicht was Liebe sei, aber jetzt – jetzt!

Jetzt glauben Sie innig zu lieben? sagte Cäcilie den Finger schalkhaft aufhebend.

Mit ganzer Seele, bis zur Anbetung! rief er, und sein Gesicht füllte sich mit der Gluth der Leidenschaft.

Wie stolz, wie kühn Sie aussehen, fiel die schöne Frau ein. Ich glaube es beinahe – wirklich, ich glaube es.

Darf ich Ihnen ein Bekenntniß machen, meine edle Freundin, fuhr der junge Mann fort, indem er die feine Hand heftig drückte, die sie ihm gereicht hatte. Darf ich Ihnen mein ganzes Herz enthüllen?

Nicht hier, nicht jetzt, erwiederte sie rasch. Da liegt der Ettersberg dicht vor uns, in wenigen Minuten sind wir in der Stadt. Aber ich wiederhole meine Frage: Will mein Gefangener nicht freiwillig einige Tage lang mein Gefangener bleiben, oder muß er durchaus nach Halle ziehen?

Sie stellen mich auf eine harte Probe, sagte Buchholz seufzend, nach einem augenblicklichen Bedenken. Wie gern würde ich dieser Einladung folgen, allein meine Ehre gebietet mir zu thun, was ich muß.

So sind die Männer, rief Frau von Hartenstein. Leichtsinnig und grausam in unzähligen Fällen, wo sie es nicht sein sollten, und voll pflichtgetreuer nüchterner Verständigkeit, wo sie schwören, Flamme und Feuer zu sein. – So gehen Sie denn nach Halle, aber schreiben Sie mir.

Gern und gleich, sagte er.

Heinrich an Cäcilie, fuhr sie fort. Es klingt poetisch. Schütten Sie Ihr ganzes Herz aus, sagen Sie mir Alles, Ihr ganzes Geheimniß – ich will es wissen. Und nun hören Sie mich an – meine arme kleine Person hat Ihnen auch ein Bekenntniß zu machen, worüber Sie weiter nachdenken sollen. – Sie wissen, daß es dem Himmel gefallen hat, mich frühzeitig zur Wittwe zu machen. Ich war ein Kind, wie man mich verheirathete, und erhielt einen grämlichen Gebieter, der mich quälte und mich mißtrauisch machte. – Seit ich frei geworden bin, haben mir alte und junge Herren in bedeutender Zahl die Ehre angethan, mich mit begehrlichen Blicken zu betrachten. Ich lachte darüber und ließ es mir gefallen, aber ich verspottete sie, wenn sie mir langweilig wurden. Das hat man mir übel genommen. So viele Huldigungen und dennoch ein unempfindliches Herz! – Als ob ich dazu da wäre, mich von jedem Narren heirathen zu lassen. Ihre Narrheit konnte ich ertragen, ihre Ernsthaftigkeit war mir lächerlich. – Dafür haben sich die Beleidigten gerächt und mir viel Uebles nachgesagt, als sei Alles an mir falsch und leer, mein Herz ohne Treue, mein Sinn eitel und verdorben, mein Gemüth keiner wahren Neigung fähig, leichtsinnig und unfähig, wahr und heiß zu lieben. – Was ist Wahres daran? Denken Sie darüber nach, schreiben Sie mir mein Urtheil.

Sind Lüge und Verläumdung werth, daß man über sie nachdenkt? rief Buchholz. Ich erblicke meine schöne Freundin in einem anderen Lichte. Erhaben über der trägen Masse stehend, mit Verachtung erfüllt gegen Anmaßungen und Vorurtheile, für alles Gute und Rechte aber die ganze Seele öffnend, und das Gemeine und Schlechte mit Hohn und Spott geißelnd.

Und werden Sie immer so denken, nie zweifeln, nie mich verrathen? sagte Cäcilie, ihre Hände um seinen Arm legend und feurig dicht in seine Augen blickend.

Nie, o, nie! erwiederte er.

So lebe wohl und bleibe treu! flüsterte sie. Ein Kuß brannte auf seinen Lippen; er wußte nicht, war er gegeben, war er genommen. Im Augenblick aber hielt der Wagen still und das pfiffige Gesicht der Jungfer sah herein. –

Hier ist der Richtweg, gnädige Frau, sagte sie.

Oeffne den Schlag, Margarethe, sagte Frau von Hartenstein. Du bist wie das Schicksal, Du sorgst für Alles. Jakob, fahre den Herrn zur Post. Viel Vergnügen in Halle, Herr Lieutenant, und glückliche Reise.

Rasch ging sie auf einem Gartenpfade fort, und der Wagen fuhr weiter.

Heinrich Buchholz saß eine Zeit lang wie betäubt. Was war das? rief er endlich. Sie liebt mich! verlangt Treue von mir! Alles, was ich sagte, hat sie falsch gedeutet; wie soll ich sie aus diesem Irrthum wecken? –

Er hatte Zeit, sich allen seinen Vorstellungen zu überlassen.


6.

Am nächsten Abend traf der junge Offizier in Halle ein, wo General Wartensleben sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. –

Der General war ein alter Herr mit steifem Zopf und hohen Stiefeln, ein Greis, der keinen hohen Respect vor seinen Kenntnissen und geistigen Fähigkeiten erwecken konnte; allein was Bildung betraf, so waren die meisten Generale seiner Zeit nicht besser wie er, und weit davon entfernt, von der »Federfuchserei« viel zu halten. Graf Wartensleben ließ sich von seinem Sohne, der sein Adjutant war, den Brief des Obersten Fitz-Patrick vorlesen, dann ging er in das Dienstzimmer, wo der Lieutenant wartete, um diesen zu empfangen.

Die schlanke Figur und das edel gebildete Gesicht des jungen Mannes machten einen vortheilhaften Eindruck; aber seine Haltung war bei Weitem nicht militairisch genug, um den General sonderlich für ihn einzunehmen. – Nach einer langen Reihe von Fragen, die Buchholz genau beantwortete, und nachdem er einen vollständigen Bericht über die Zustände in Erfurt, über das kurmainzische Bataillon, über die Festungswerke, über die abziehenden Oesterreicher und viele andere Dinge abgestattet und seine sauber gezeichneten Pläne vorgelegt und erläutert hatte, kam es zu einigen persönlichen Bemerkungen.

Sie sind mir von dem Obersten Fitz-Patrick als vorzüglich brauchbar empfohlen worden, sagte Graf Wartensleben, und stehen auf der Liste der Offiziere, die in preußische Dienste treten sollen.

Buchholz verbeugte sich. Der General schüttelte den Kopf und betrachtete die Uniformstücke des Mainzer Offizieres.

Schwerenoth! rief er, es wird eine schöne Gesellschaft sein, die wir da in die Cur nehmen sollen. Ihr Herren wißt nicht, was strenger Dienst heißt; reglementmäßig jeder Knopf und jedes Glied, Alles nach Vorschrift, und ein Donnerwetter, wo sich ein Auge im Kopfe rührt. Sie sind so was man einen gelehrten Offizier nennt. Oberst Fitz-Patrick sagt mir, daß Sie Bücher geschrieben haben.

Einige militairische Darstellungen, Herr General, erwiederte Buchholz sich höflich neigend.

Gewöhnen Sie sich die Complimente ab, Lieutenant, rief der General rauh und grob. In Preußen ist die Instruction so, daß der Offizier still steht, wenn sein Vorgesetzter mit ihm spricht, und Hand am Hut antwortet. Ich will's hier allerdings nicht so genau nehmen, wie im strengen Dienst, auch sind Sie noch nicht Offizier in der Armee; aber es ist immer gut, wenn der junge Herr Conduite lernt, die Uniform knapp knöpft, die Binde zuhakt und keine Falten duldet.

Er warf einige bedeutsame Blicke auf den halb offenen Kragen des Lieutenants, dessen Uniform ziemlich bequem und weit aussah, und der in diesem Augenblicke sich an das Prophezeihen Cäciliens erinnerte; aber der General war einigermaßen befriedigt, als er die Verlegenheit des jungen Mannes bemerkte.

Nun, wird sich schon geben, fuhr er im milderen Tone fort, wenn der preußische Rock erst auf dem Leibe sitzt und die preußische Soldatenehre mitbringt. – Sie sind nicht von Adel?

Nein, Herr General.

Aber aus einer alten Stadtfamilie, die ein Wappen führt, wie der Oberst schreibt.

Meine Familie gehört mit zu den ältesten in Erfurt.

Bah! rief der General, das will nicht viel sagen. In der preußischen Armee sind alle Offiziere von gutem Adel; indeß, es ist immer doch etwas besser, als gemein bürgerlich.

Wenn der Herr General mich deswegen nicht gebrauchen kann, erwiederte Buchholz mit geröthetem Gesicht, weil ich nicht adlig bin, so wäre es vielleicht am besten, ich rapportirte nach Erfurt, daß einer meiner adligen Kameraden mich ersetzen möchte.

Der General runzelte die Stirn. –

Das Räsonniren steht auch nicht im preußischen Reglement, sagte er. Bei uns heißt es: schweigen und gehorchen. Sie sind hierher geschickt worden und werden hier bleiben, Ordre pariren, so lange es mir gefällt. Schwerenoth, Lieutenant, wollen Sie mir etwa Vorschriften machen?

Ich will nichts, Herr General, erwiederte Buchholz unerschrocken, als keinen Makel auf mich werfen lassen. Ich habe die Ehre Offizier zu sein, und denke, wenn man mich für würdig hält in die Dienste des Königs zu treten, muß ich das nöthige Verdienst haben, das den Mann adelt, mag er ein Wappen besitzen oder nicht.

Oho, Lieutenant, oho! rief der alte General erstaunt und doch mit einem gewissen Wohlwollen, hab' ich es nicht gedacht! Sie sind auch so einer von den Neuerern, wovon der König jetzt mehre um sich hat, und die, da und dort, selbst in der Armee vorkommen. Hole der Teufel alle Gelehrten, alle Federfuchser und alle Zungendrescher, die nichts auf dem alten Fleck lassen wollen; sogar die Zöpfe wollen sie abschneiden! Haben französische Gedanken in den Köpfen, wollen die Welt umkehren, reden von dem Bonaparte, wie von Einem, der uns Mores lehren soll. Kreuz Donnerwetter! ich bestreite es nicht, gelehrte Offiziere haben ihre Meriten, sind im Generalstab und zum Schreiben und Zeichnen gut zu gebrauchen, oder können bei der Artillerie ihr Fortkommen finden, wo man leichter ein Auge zudrückt, ob sie bürgerlich oder woher sonst sind. Aber in der Armee taugen sie nichts; mit der Armee ist es eine andere Sache, und bei den Grenadieren ist das beste Blut im Lande von jeher gewesen. – Nichts für ungut, Lieutenant, ich rede gerade heraus. Sie gefallen mir sonst, und was ich thun kann, soll geschehen. Sie bleiben beim Regimentsstab, meine Offiziers werden Sie gut aufnehmen, das Uebrige muß von Berlin kommen. Morgen halte ich Parade, da sollen Sie mein Regiment sehen, und das andere dazu, was zum Corps gehört. – Sind Burschen, die sich sehen lassen können; machen kein Federlesen, wo sie hinkommen. Sind keine Pfaffensoldaten, die eine Stiefelette hoch, die andere runter. Na, nichts für ungut, Lieutenant!

Der dicke General brach in ein schallendes Gelächter aus und gerieth nach und nach in so guten Humor, daß er den Lieutenant zu Tische bat, ihn mit seinem Sohne bekannt machte, und ihn mit sich auf die Wachtparade nahm, wo er ihn selbst den Oberoffizieren vorstellte. –

Buchholz wurde im Allgemeinen freundlich, aber ziemlich gleichgültig empfangen. Die Stabsoffiziere waren sämmtlich bejahrte Herren, von den engsten und engherzigsten Begriffen über ihre Würde und ihren Stand. Auch unter den Capitainen und Oberlieutenants schienen die meisten weit über die Jugendjahre hinaus, die Lieutenants und Fähndriche dagegen hatten zum Theil die Kinderschuhe kaum ausgezogen. Es waren milchbärtige Junker, deren Ungebundenheit und kecker Muthwille ihnen meist deutlich genug aufgeprägt war, und deren wilde Streiche das preußische Heer überhaupt zur damaligen Zeit in besonderen Ruf brachten. – Buchholz fühlte sich von den ersten Eindrücken, die er erhielt, nicht besonders freudig gestimmt.

Zu Haus bei den Kurmainzern war das Alles anders. Die Soldaten wurden nicht hart behandelt, der Dienst war weder schwer noch streng. Das Ganze hatte weit mehr den Anstrich eines Familienlebens, und ehe die letzten Zänkereien zwischen Bürgern und Soldaten stattgefunden hatten, war ein gewisser Familienverband überall sichtbar. Fast jeder Offizier hing mit Bürgerfamilien zusammen. Man nannte jeden bei seinem Namen, kannte jeden Soldaten von Vater und Mutter her, und nahm es nicht übel, wenn der oder jener einmal fehlte, oder ein Knopf sich verschob, die Patrontasche zu weit rechts saß, und das Gewehr zu weit nach links stand.

Hier sah der Lieutenant zum ersten Male die ganze rauhe Disciplin eines eingeschulten, streng überwachten und streng behandelten Heeres, wo jedes Haar seine Stelle hatte, der ganze Mensch nichts als Maschine war. Das Bataillon auf der Wachtparade bestand nur aus alten Soldaten, manche darunter mochten sechszig Jahre zählen. In den blanken Grenadiermützen, den Uniformen mit breiten rothen Rabatten, den straffen Hosen, die kein Fältchen zeigten, und den blitzenden Waffen sahen sie stattlich und kräftig aus. Jedes Commando wurde schnell und sicher ausgeführt; es war ein Tritt, ein Schlag, eine Linie, die nirgend sich krümmte oder verschob. Der General sah lächelnd auf seinen verwunderten Gast, aber dieser machte im Stillen manche Bemerkungen, welche keinesweges so günstig ausfielen. –

Die Gesichter dieser Soldaten kamen ihm unheimlich, düster und wild vor. Wie erstarrt unter einer dämonischen Gewalt regte sich nichts an ihnen. – Der Stock und die Furcht hatten selbst den Blick geknechtet, und alles Leben, alles Leiden, alle Leidenschaften sorgfältig nach Innen gedrängt. Aber diese schlecht behandelten, schlecht bekleideten und schlecht ernährten Maschinen glichen Raubthieren, die, so lange der Wächter mit der Keule vor ihnen steht, sich demüthig ducken, während sie racheglühend den günstigen Augenblick erwarten, wo sie ihm an die Kehle springen können. –

Der junge Offizier war Zeuge von den Wirkungen der Fuchtel und des Rohres. Er sah, wie knabenhafte Jünglinge diese alten Soldaten stießen und schlugen, ohne daß die Gemißhandelten mit den Lippen zuckten; er sah die grausame Tyrannei des Prügelsystems, das Friedrichs des Großen Staat einst begründet und getragen hatte, und ihn noch immer tragen sollte, nachdem eine neue Welt durch neue Ideen entstanden war, die den Menschenwerth und die Menschenrechte verkündigt hatten.

Bei dem Diner im Hause des gräflichen Generals lernte er aber auch die unzugängliche Verstocktheit des verrotteten Preußenthums von damals kennen, und welchen grellen Unterschied bildeten diese Herren und Damen gegen viele Frauen und Männer aus den gebildeten Kreisen der kurmainzischen Aristokratie! Der erzbischöfliche Hof war früher sehr üppig, sehr sinnlich und sehr verschwenderisch gewesen, aber gebildete und gelehrte Leute hatte es immer dort gegeben, und welche Entartung auch die gekrönten Priester und ihre geistlichen Diener ergriffen hatte, die Prälaten der Kirche liebten und schätzten Künste und Wissenschaften doch immer weit mehr, als die allermeisten Fürsten jener Zeit, deren Erziehung gewöhnlich eine soldatische war, und deren Neigungen sich jedem ernsten Lernen und jeder höheren geistigen Entwickelung widersetzten.

Unter dem ganzen Kreis der Damen, die Buchholz hier fand, war keine einzige, welche über die allergewöhnlichste Bildung hinausgegangen wäre, und unter all den dicken bezopften Majoren, Capitainen und Obersten bemerkte er nicht Einen, den er Fitz-Patrick vorgezogen hätte. – Durch die dünne Decke angenommener Formen und einer Politur, die cavaliergemäß genannt wurde, brach alle Augenblicke die innere Roheit, der Dünkel, die Vorurtheile des Standes und des Kastengeistes. Die Damen übertrafen darin noch die Männer, und heimlich seufzend dachte der junge Mann an die liebenswürdige, alle Vorurtheile verspottende Cäcilie und an seine schöne, kindlich treuherzige Geliebte, die winkend und lächelnd an ihm vorüberschwebte.

Der schweigsame und bescheidene junge Mann hatte sich inzwischen doch Freunde erworben. Der Sohn des Generals war sein Beschützer geworden, der ihn im Gespräche anfocht, und ihn gelegentlich mit seiner Gelehrsamkeit aufzog. Es war ein echter Cavalier, jung, tapfer, übermüthig, mit körperlichen Vorzügen ausgerüstet, abenteuerlustig und ein Liebling der Damen.

Wir feiern heut Abend ein Fest ganz unter uns, sagte er beim Schlusse des Mahls zu Buchholz. Eine kleine Compagnie auserwählter Kameraden wird an einem Orte beisammen sein, wo es lustig hergehen soll. Morgen früh haben wir Parade. Die alten Herrn thun es nicht anders, sie müssen uns quälen, aber eine Paradenacht muß durchjubelt werden, das ist das Beste dabei. – Sie müssen mein Gast sein, Lieutenant Buchholz, Sie müssen bei uns warm werden und sehen, wie wir leben. Um zehn Uhr hole ich Sie ab, auch an Damen fehlt es uns nicht. Hübsche Kinder, Schauspielerinnen, Leipziger Schönheiten, nicht etwa steife Püppchen, wie diese hier. – Auf Ehre! Sie dürfen es nicht abschlagen; ich habe Sie schon angekündigt, Herr Kamerad.

Buchholz mußte es annehmen, und als der General ihn entlassen hatte, um mit einigen alten Stabsoffizieren bei einer Partie l'Hombre den Abend zu vertilgen, wurde es ihm endlich möglich, ein paar Stunden allein zu sein und seinen Gedanken nachzuhängen. –

Er gedachte seines Versprechens, Frau von Hartenstein sogleich zu schreiben, aber er konnte sich nicht dazu entschließen. Alles Nachdenken hatte nichts gefruchtet; er war verlegen und ungewiß, was er ihr mittheilen und welchen Ton er annehmen sollte. Endlich schrieb er an Leopold Belling, dem er eine Schilderung seiner Erlebnisse in Halle machte, ohne jedoch sein Zusammentreffen mit Cäcilie Hartenstein zu erwähnen. Er füllte seinen Brief mit Betheuerungen der Ergebenheit für die Familie seines Freundes, und mit Zeichen der Bewunderung für die liebenswürdige Charlotte, die nicht mißverstanden werden konnten, und war noch damit beschäftigt, sich die lieblichsten Irrgärten seiner Hoffnungen auszumalen, als plötzlich die Thür lebhaft aufgedrückt wurde und der junge Graf Wartensleben hereintrat. –

Sein Gesicht war geröthet, seine Augen glänzten, er schien bacchantisch wild und froh gelaunt zu sein.

Holla! mein lieber Kamerad, rief er, seinen Hut um sich schwenkend, daß die Papierblätter vom Tische aufflogen, Sie sind bei meiner armen Seele! ein vollkommener Bücherwurm! Es ist beinahe elf Uhr, ich sollte um Verzeihung bitten, und finde Sie zwischen Federn, Büchern und Papier die ganze Welt vergessend.

Ich habe Briefe geschrieben, sagte Buchholz, die Schreiberei zusammenpackend.

Briefe? Verse! Machen Sie Verse? Um Gottes Willen lassen Sie meinen Vater nichts davon wissen. Er erzählt Ihnen sonst von dem einzigen Verse, den Friedrich der Große in deutscher Sprache einmal gemacht hat: »Will er Verse, mach Er se!« und schimpft über die verfluchten Versemacher, die jetzt in Deutschland Mode werden. –

Der junge Offizier lachte hell auf, warf seinen Hut wieder auf den Kopf, stampfte mit seinem Schwert auf dem Boden umher und schrie übermüthig:

Donnerwetter, Herr Kamerad, vorwärts, drauf und dran! Sie sehen so ernsthaft aus, wie ein Regimentsprediger vor der Front. – Sind Sie ein Duckmäuser, der den Kopf unter die Decke steckt, wenn der Nachtwächter pfeift und den Abendsegen betet, – oder sind Sie verliebt, Kamerad? Auf Ehre! ich habe getroffen. – Verliebt in ein schönes Erfurter Kind. Laßt uns hineinkommen, wir nehmen sie Alle für uns in Beschlag!

Es lag eine gewisse Gutmüthigkeit in den Rodomontaden des jungen Grafen, der auf keinen Fall damit beleidigen wollte. – Buchholz hielt es für das Beste, in den Scherz einzugehen und gab endlich zu, daß er, je eher je lieber, nach Erfurt zurückkehren möchte.

Ein höchst billiger und verständiger Wunsch, mein lieber Kamerad, erwiederte Graf Waldemar, den ich mit Ihnen theile, denn in dem Neste hier, bei Studenten und Professoren, gefällt es mir ebenso wenig. – Kreuz Element! man kann keinen Wig mit einer Professorentochter machen, so wird man gerüffelt, und von oben herunter kommen Donnerwetter, die dem Junker gebieten, ehrbar und sittsam zu sein. – Die gute Nachricht kann ich Ihnen geben, daß die Parade morgen eine Abschiedsparade ist. Keine acht Tage kanns mehr dauern, sagt mein Vater, so wird der Befehl zum Vorrücken kommen. Also, frohen Muth, Herr Kamerad, und nun lassen Sie uns eilen, damit wir nicht zu spät kommen, sonst sind wir um die Damen geprellt.

Ich trete meinen Antheil freiwillig ab, sagte Buchholz.

Nicht ein Haar, nicht eine Nagelspitze! rief der junge Wartensleben zur Thür hinausspringend. Hören Sie, Kamerad. Ich bin kein Bibelhengst, kenne aus dem ganzen dicken Buche nur die eine Geschichte von dem heiligen Joseph und der schönen Potiphar In Wahrheit Potifars Frau: Laut biblischer Darstellung war Potifar Oberst der Leibwache des Pharaos; er kaufte Josef als Sklaven, der sich zunächst das Wohlwollen und Vertrauen seines Herrn erwarb und zu dessen Verwalter aufstieg, jedoch in Ungnade fiel, nachdem ihn Potifars Frau aus verschmähter Liebe der versuchten Vergewaltigung bezichtigt hatte – daraufhin ließ Potifar Josef ins Gefängnis werfen. – Anm.d.Hrsg., und frage Sie, was Sie davon halten?

Daß Joseph auf keinen Fall ein junger Grenadier-Lieutenant war, erwiederte Buchholz belustigt.

Daß er ein Esel war, der gepeitscht und gehängt werden mußte, rief der Graf, indem er seinen Begleiter unter den Arm faßte, und laut lachend und degenklirrend ihn durch die stillen Gassen fortzog.


7.

Nach einiger Zeit gesellten sich noch einige Offiziere zu ihnen, in deren Gesellschaft unter allerlei Späßen sie nach dem Gasthause gingen, das der Versammlungsort war. Bald wurde ein ehrsamer Bürger auf die Seite gestoßen, bald eine Dirne verfolgt, bald durch ein erleuchtetes Fenster eine Familienscene beobachtet, bald an einen Laden geschlagen und ein dröhnendes Gelächter oder ein Hussa den Flüchtlingen nachgeschickt, die lieber sich bei Zeiten in Seitengassen oder Häuser retirirten, als auf den breiten Steinen mit den jungen Herren zusammentreffen mochten, von denen sie nichts Gutes erwarteten.

Man nannte das eine lustige Suite, aber die Lustigkeit war durchaus einseitig, denn Niemand freute sich darüber als die jungen Offiziere selbst, daß ihr Ruf ein so fürchterlicher sei. – In Berlin hatten freilich die Herren von den Gensdarmen und Husaren einen noch ganz anderen Flug für ihre lustigen Abende und Nächte genommen, aber auch in den Regimentern der Armee galt es gewissermaßen für Ehrensache, es den Garden nachzuthun, und die Regimentscommandeure sahen durch die Finger, wenn die lustigen Streiche selbst zuweilen zu den bittersten Klagen Anlaß gaben.–

Für den kurmainzischen Lieutenant war diese frivole Lärmmacherei ganz neu und ungewohnt. Das durfte kein Offizier zu Haus sich herausnehmen. Die Canaille ließ sich in Erfurt nicht auf solche Weise tractiren, und Buchholz fand diese rohe und brutale Spaßmacherei keinesweges nach seinem Geschmack. Da er nichts zu hindern vermochte, ließ er seine Begleiter gewähren, ohne irgend sich selbst zu betheiligen; aber mit Erstaunen sah er, wie in den vielen Wohnungen, wo Soldaten einquartiert waren, – was immer massenweis geschah, damit der Eine über den Anderen Aufsicht führen, und keiner so leicht desertiren konnte, – überall viel Licht brannte, und die Mannschaften wach und gerüstet waren. –

Auf Schemeln und Stühlen erblickte er die Grenadiere steif sitzend, in Uniform, während Andere noch unter den Händen ihrer Kameraden waren, die ihnen die Haare brannten und die Zöpfe flochten, Alles unter Aufsicht der Corporale, welche Jeden beleuchteten und ihm seinen Platz anwiesen.

Als er nach der Ursach dieser seltsamen nächtlichen Geschäftigkeit fragte, rief der junge Wartensleben lachend:

Das werden Sie künftig besser kennen lernen und ihr Theil davon abbekommen. Morgen früh ist Parade, aber wie zum Henker! sollten die Burschen alle ihre Zöpfe geflochten und ihre Locken gebrannt haben, wenn sie bis zum Morgenlicht schlafen wollten? Legten sie sich ins Bett, oder auch nur an die Wand, so würden die Haare zerdrückt und, Himmel Element! was würde es für Hiebe morgen regnen! So müssen die Kerle denn die Nacht über steif und still sitzen, gepudert und frisirt, drei Locken links, fünf rechts, und die Unteroffiziere müssen aufpassen. Wo Einer einschlafen will, wird er mit einem Nasenstüber aufgeweckt, oder ihm etwas Papierrauch in den Hals geblasen, oder ein Spaß mit dem Röhrchen angewandt.

Eine schlimme Lage, besonders für die alten Leute, sagte Buchholz.

Amüsant muß sie eben nicht sein, rief ein Anderer. Sie sitzen so ernsthaft auf ihren hölzernen Schemeln, wie festgebundene Leichen; aber wer hat den Sakermentern auch Amusement versprochen? Wenn die Karbatsche nicht wäre, sie rührten sich überhaupt nicht, und auf meine Ehre! niemals hat Einer ein wahreres Wort gesprochen, wie unser alter Fritz, als er den Zieten fragte, was das Beste an seiner Armee sei? Alle riethen hin und her, bis der König sagte: Das Beste daran ist, daß die Kerle nicht eines Sinnes sind, denn wenn das wäre, schlügen sie uns heut noch todt, und ich und Er, Zieten, wir wären die Ersten.

Unter Gelächter und Lärmen zogen die Herren in dem Gasthofe ein. Buchholz folgte ihnen in einen Saal, wo schon der größte Theil der Gesellschaft beisammen war. An zwanzig junge Offiziere saßen um einen großen Tisch, der mit seinen Umgebungen das malerische Bild eines bacchantischen Festes darbot. – Die große Halle war mit Wolken von Tabacksdampf gefüllt, denn eine Anzahl der Theilnehmer rauchten aus kurzen Thonpfeifen. Wohl ein Dutzend Lichter brannten auf dem Tische mit langen Schnuppen und warfen ihr röthliches Licht auf die erhitzten Gesichter der Junker, die in den allerverschiedenartigsten Stellungen die Stühle und Sophas in Beschlag genommen hatten. –

Gefüllte und leere Flaschen und Gläser, Schüsseln mit Speisen, verschüttete Getränke, Brotstücke und Korke, Säbel und Lichtscheren, Teller und Tassen und viele andere Dinge bedeckten in wilder Unordnung die lange Tafel. – An dem einen Ende derselben wurde gesungen, am anderen Ende saßen ein paar Tarokspieler. Mehrere der jungen Herren hatten die Uniformen ausgezogen, und es sich nach Herzenslust bequem gemacht, Andere hatten die Röcke aufgeknöpft und die Halstücher abgebunden. Die mannichfache Unterhaltung der einzelnen Gruppen, Lachen, Flüche, Schwüre, kreischende und dröhnende Stimmen verursachten ein betäubendes Gewirr, dessen hervorragender Ursprungsort die Mitte der Tafel war, wo ein Schwarm lockerer Genossen sich dicht zusammengeschaart hatte. Hier saßen die Damen des Festes, vier junge Schauspielerinnen und einige ältere Freundinnen und Begleiterinnen, die es verstanden, mit solchen Beschützern und Verehrern umzugehen. –

Champagnerflaschen bezeugten, daß diese großmüthig und verschwenderisch waren. Die Mädchen gehörten zu der rechten Art, die, wie Göthe sagt: »an des Erkorenen Brust mit Blicken schon die Nachbarn sich verbinden.« »Ein Mädchen, das an meiner Brust / Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet« – so in Goethes »Faust« (Studierzimmer). – Anm.d.Hrsg. Sie waren nicht so schön, als einladend, ihre Locken flatternd und frei, ihre Augen keck herausfordernd, ihre Kleider Zitz und Mousselin, aber die Jäckchen von weitem Ausschnitt, darunter verlockend durchsichtig und ihre weißen Arme schlangen sich ohne Ziererei um ihre Lieblinge. Sie theilten Küsse aus ohne Eifersucht zu befürchten, und beantworteten die Späße und Witze ihrer halb berauschten Freunde mit anderen Späßen und Witzen, die zuweilen eine brüllende Lustigkeit erregten.

Es war ein Hogartsches William Hogarth (1697-1764), sozialkritischer englischer Maler und Grafiker mit Vorliebe für satirische bildliche Darstellungen, welche die Sitten und Gebräuche seiner Zeit schonungslos und mit beißender Ironie anprangerten. – Anm.d.Hrsg. Bild, diese nächtliche Tafel im Prinzen von Preußen; selbst die Uhr fehlte nicht, welche auf Mitternacht zeigte, und wenig änderte sich daran, als Graf Wartensleben mit seinen Begleitern hereintrat.

Holla, Wartensleben! schrieen ein Dutzend Stimmen. Da ist Wartensleben! Hierher Wartensleben! Was zum Teufel! kommst Du so spät? Eckstädt hat Dir Deine Phillis Phyllis ist eine Gestalt der griechischen Mythologie, deren Name in der Schäferpoesie (die um 1800 noch aktuell war) gerne für liebeskranke Schäferinnen benutzt wurde. – Anm.d.Hrsg. genommen.– Phillis, da steht Wartensleben wie ein Mann von Stein. Stürze in seine Arme, wecke ihn auf, Du kannst nicht ohne ihn aushalten.

Die junge Komödiantin, die hübscheste und schlankeste unter allen, welche aus irgend einem Schäferspiele den Namen Phillis davon getragen hatte, richtete sich aus den Armen eines Offiziers auf, und ihr Glas emporhebend rief sie in das schallende Gelächter hinein:

Ich werde es euch beweisen, daß ich ohne ihn auskommen kann. Auf Deine Gesundheit, Wartensleben, das ist Alles, was ich heut für Dich thun kann. Wenn Du artig sein willst, setze Dich zu uns. Aber wen hast Du da mitgebracht? Aus welchem fernen Ocean stammt dies fremdartig seltsamliche Wesen!

Sie declamirte die letzte Zeile und deutete mit dem Finger auf Buchholz, der neben ihrem Geliebten stand.

Dies, o Schönste der Schönen, keusche Phillis, Diana's Fächerträgerin, antwortete Wartensleben mit demselben Pathos, ist kein Gericht für Dich; ich fürchte, Du wirst Deine prächtigen Zähne daran zerbeißen. Denn dieser Mann der Weisheit und der Tugend stammt aus dem Lande des Hohenpriesters Johannes, und gehört zu seiner Leibwache, die das Gelübde gethan hat, kein Weib anzurühren.

Wenn er in Deiner Gesellschaft ist, kleiner Wartensleben, lachte die Schauspielerin, wird kein Gelübde ihm helfen.

Der Heilige Antonius, erwiederte der Graf, widerstand dem bösen Feinde, als er das schönste Weib ihm in den Arm legte; versuche Du, o Phillis! was Du vermagst, um diesem Heiligen seinen Mantel zu entreißen. Und auf daß Du aufbietest alle Deine Künste, so laß uns an Deinen Seiten sitzen und von dem verführerischen Tranke trinken, den die Sünder Champagner nennen, und welcher bereitet wird in dem Lande des verworfenen Volkes der Franzosen.

Bei diesen Worten schnallte er sein Schwert ab und warf es auf den Tisch, den Hut setzte er auf den Hals einer Flasche, und mit der anderen Hand drückte er Buchholz auf den Stuhl nieder, den ein aufstehender Freund für ihn leer gemacht hatte.

Scherz folgte nun auf Scherz, und der kurmainzische Offizier that sein Bestes, um, wie er sich selbst sagte, mit den Wölfen zu heulen, und dennoch seinen Pelz für sich zu behalten. –

Die Damen fanden, daß er schön und stattlich sei, dabei weder blöde noch begehrlich, und obwohl er auf alle Scherze einging, und keine Frage ohne Antwort ließ, hatte sein Wesen doch etwas, was der Frivolität eine Grenze setzte. –

Je mehr der schäumende Wein die Köpfe bewältigte, um so höher stiegen Uebermuth und Sinnentaumel. Die lustigen Junker hatten es von allen Seiten auf den Pfaffensoldaten abgesehen. Alle waren freundlich und kameradschaftlich um ihn beschäftigt. Die Einen wollten ihn unter den Tisch trinken, die Anderen ihm den Heiligenmantel von der berauschten Phillis abziehen lassen, die zur größten Belustigung des ganzen Kreises vergebens ihre Liebkosungen verschwendete.

Endlich als nichts fruchtete, warf Graf Wartensleben seine Börse auf den Tisch und schlug ein Spiel vor, das von allen Seiten mit Beifallsgeschrei angenommen wurde. Die Karten wurden nun der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit, auch die Mädchen nahmen Theil daran und Phillis selbst gab den undankbaren Barbaren auf, der eben so wenig mit ihr spielen, wie trinken und ihre Küsse und ihr Geflüster annehmen wollte.

Nach einer Stunde gehörte Buchholz fast zu den Vergessenen. Er sah dem Spiele zu, das glückliche Wendungen für einzelne Theilnehmer hatte, während es andere mißmuthig und zornig machte. Die Mädchen trösteten oder bewunderten, lachten mit den Glücklichen und ließen sich Geld schenken, klatschten und schrieen über einen vorzüglichen Treffer, und trieben die Verlierenden an, muthig weiter zu wagen, bis der letzte Thaler fort war. –

Buchholz hatte Alles, was er sah und hörte, herzlich satt und beschäftigte sich mit dem Gedanken, wie er am unbemerktesten und besten dem immer wüsteren Gelag entkommen könne, als etwas geschah, was unerwartet ihn zum Bleiben bestimmte.

Die Thür wurde plötzlich aufgestoßen, und ein Offizier zerrte gewaltsam und lachend ein Mädchen herein, deren Sträuben er mit einigen rohen Schmeichelworten zu beschwichtigen suchte. – Er war ein großer schöner Mann, der wildeste und verwegenste unter diesen jungen Edelleuten, denen so leicht nichts heilig und achtbar war. Seinen Mantel hatte er über den Arm zurückgeworfen, um seine Beute besser zu fassen, in der anderen Hand hielt er eine Zither; so blieb er mitten auf der Schwelle stehen, offenbar weil der Widerstand zunahm und er die äußerste Gewalt nicht brauchen wollte.

Sei nicht so närrisch, Du dummes Ding, rief er, sperre Dich nicht länger. Auf mein Wort! es soll Dir kein Leid geschehen. Alter Gauner Du! laß sie los oder bei Moses und allen Propheten! ich schlage Dir mit dem Kasten hier den Schädel ein. – Viel Ehre für euch in solche Gesellschaft zu kommen. Du sollst bezahlt werden, Mädchen, aber jetzt ist es aus mit meiner Geduld. He – holla! Herbei! Wartensleben! Eckstädt! hier ist Musik. – Ich bringe die Musikanten, sie sollen zum Tanz aufspielen.

Das Spiel war gestört, Alle eilten der Thür zu, wo inzwischen der Streit schon durch die stärkere Kraft entschieden war. Der große Offizier hatte das Mädchen in den Saal gezogen und schleppte einen weißbärtigen Greis mit herein, der eine letzte, verzweifelte Anstrengung machte sich an dem Thürpfosten festzuhalten.

Wen hast Du da, Mons? riefen verschiedene Stimmen. Bei Gottes Thron! es ist der alte Jude und seine Tochter. – Steh still, Jude, und sei vernünftig. Wie heißt das schwarzhaarige Kind? Rachel, Rebekka oder Sarah? Verdammter Jude! laß los, oder es geht Dir übel. – Werft ihn hinaus, den Hund und behaltet das Mädchen hier. Nieder mit ihm! Nieder mit dem alten Makkabäer!

Alle diese verschiedenartigen Ausrufungen wirrten durcheinander und nahmen den letzten drohenden Charakter an, denn der alte Mann, welcher an einem Riemen über seiner Schulter eines jener alterthümlichen Instrumente trug, die jetzt ganz verschwunden sind, damals aber Hackebrett genannt und oft auf den Straßen gehört wurden, vergaß in seiner Noth, daß Unterwerfung und Geduld die einzige Rettung des Schwachen ist. – Er schlug mit der eisenbeschlagenen Ecke seines Hackebretts so kräftig auf den Arm des Offiziers, daß dieser das Mädchen losließ; in der nächsten Minute aber lag der Greis mit blutendem Gesicht in einer Ecke, sein Hackebrett war zertreten und zerbrochen, und nur das klägliche Geschrei seiner Tochter, die sich über ihn warf und laut um Mitleid und Gnade flehte, hinderte die weiteren Mißhandlungen.

Wart Du Hund! rief der große Offizier an seinen Arm fassend und im heftigen Zorn, ich will Dich lehren nach einem Edelmann schlagen. Ich will Dich lehren, Dich widersetzen, wenn ein Offizier Dir etwas befiehlt.

Hängt ihn auf! hängt ihn, den verdammten Juden! schrie der Chor.

Erbarmen, gnädige Herren, Erbarmen! weinte das Mädchen auf ihren Knieen.

Ich gehe die Straße entlang, sagte Mons zu seinen Freunden, der alte Kerl und das Mädchen kommen mir entgegen. Wir kennen sie als Hof- und Gassenmusikanten. Ich rede sie an; sie sagen mir, daß sie vor einer Horde Studenten Musik gemacht haben. – Darauf meine ich es gut mit ihnen, lade sie ein uns aufzuwarten und ein Stück Geld mit nach Haus zu nehmen. Weil das Mädchen sich ziert, fasse ich sie am Arme und bringe sie herein. Ist das ein Grund für den Hallunken, nach meinem Arm zu schlagen? Kreuz Element! ist es dahin gekommen, daß ein Jude sich erfrecht, die Hand gegen uns aufzuheben?

Er muß gerichtet werden! schrie einer der Junker.

Siegelt ihn mit dem Bart an den Tisch fest, rief ein Anderer.

Laßt ihn Speck und Schweinefleisch essen, so lange er kann.

Und peitscht ihn! Peitscht ihn! Heraus aus der Ecke da! – Peitscht ihn, bis er auf seinen Knieen zur Thür hinauskriecht, schrieen Mehrere.

Eine Menge ähnlicher menschenfreundlicher Rathschläge ließen sich hören. Die Schauspielerinnen stiegen auf den Tisch und klatschten in die Hände, Andere betrachteten das zitternde Opfer von den Stühlen und lachten über seine Angst. Ein Halbkreis hatte sich um den greisen Verbrecher gebildet, der in den Armen seines Kindes und mit diesem vereint flehende Bitten und Entschuldigungen versuchte, die jedoch verschlossene Ohren und Herzen fanden. Rauchend, lachend und sich in Strafvorschlägen überbietend standen die jungen Cavaliere umher und erhöhten die Pein des Juden durch die lockeren Worte, welche sie an seine Tochter richteten.

Welches das Ende dieses Auftrittes gewesen sein würde, mag ungewiß bleiben, gewiß ist, daß die Einmischung des kurmainzischen Offiziers eine plötzliche Wendung herbeiführte.

Ich dächte, sagte Buchholz, der seinen Unwillen nicht länger bemeistern konnte, und indem er, wie zum Schutze, dicht vor die Angegriffenen trat, daß es das Beste sein wird, den alten Mann abziehen zu lassen, und ihm ein Schmerzensgeld für sein zerbrochenes Instrument und ausgestandene Angst auf den Weg zu geben.

So versöhnlich und scherzend diese Worte lauteten, so mißbilligend und verwerfend wurden sie aufgenommen. Der Freiherr von Mons sah den Friedensstifter von Kopf zu Fuß höhnend an, und rief dann im wegwerfenden Tone:

Was bei Ihnen in Kurmainz Sitte ist, mein Herr Kamerad, das weiß ich nicht; bei uns ist es Sitte, daß ein Schuft, wie der da, gepeitscht wird, so lange es uns beliebt, und daß Niemand sich einmischt, den die Sache nichts angeht.

Sie werden schwerlich doch einen Greis schlagen wollen, der so schwach auf seinen Füßen ist und obenein schon erfahren hat, wie sehr Sie ihm überlegen sind, erwiederte Buchholz ruhig.

Ich werde thun, was mir gefällt, fuhr der junge Offizier hitzig fort. Auf meine Ehre! ich hätte nicht geglaubt, daß dies Gesindel hier einen Vertheidiger finden würde!

Und ich, sagte Buchholz, stolz den Kopf aufhebend, bin überzeugt, daß, wenn Sie darüber nachdenken, was hier geschah, Sie mir Recht geben werden.

Was zum Teufel! schrie Mons, was glaubt der Herr Kamerad aus Erfurt? Glaubt er, wir denken nicht nach? Glaubt er, daß er ein Privilegium zum Denken hat? Hervor aus Deiner Ecke, Du alter Gauner! ich will Dir zeigen, wie hier gedacht wird.

Er streckte den Arm nach dem zitternden Juden aus, der zum Gott seiner Väter schrie; aber Buchholz trat rasch vor ihn hin und sagte mit gebietender Stimme:

Ich will es nicht leiden und will eine solche Gewaltthat niemals dulden, so lange ich sie zu hindern vermag.

Fort da! brüllte Mons, oder die Plempe heraus. Er riß seinen Degen aus der Scheide. Buchholz kreuzte die Arme und blieb bewegungslos stehen, während sein wüthender Gegner von Wartensleben und mehreren anderen Offizieren gehalten und entwaffnet wurde.

Bis Du von Sinnen, Mons! rief Wartensleben ihm zu; ist das alte Ungeheuer da so viel Zorn werth? – Fort mit ihm, hinaus! Packt euch Beide, und da – laß Dein Hackebrett leimen – er warf dem Alten ein Goldstück zu – Mons, fuhr er dann sich zu diesem wendend fort, sei verständig und gieb Dich zufrieden. Zum Henker! laßt keinen Streit aufkommen. Wer heißt Sie auch sich hineinmischen, Herr? Was ist daran gelegen, wenn der alte Kerl ein paar Hiebe mehr oder weniger in dieser Welt bekommt?

Der erzürnte Freiherr wurde von seinen Kameraden fortgeführt, Buchholz seinerseits öffnete die Thür und winkte dem alten Musikanten und seiner Tochter zu, die eilig sich davon machten.

Die Offiziere flüsterten in einem Haufen beisammen, aber Wartensleben sagte lebhaft:

Es soll nicht geschehen. Mein Gast ist er, und arg genug ist es gewesen. Hüten wir uns, daß die Geschichte nicht an die große Glocke geschlagen wird. Mein Vater hält auf ihn, und wenn er hinausgewiesen werden soll, gehe ich mit.

So will ich ihm auf der Stelle Genugthuung geben und sie von ihm fordern, rief Mons laut, indem er sich zu Buchholz umwandte. – Wir haben uns gegenseitig beleidigt, Herr Kamerad, sagte er. Hier sind Pallasche genug und Raum genug, wir können es ohne Aufschub abmachen.

Mein Herr Kamerad, sagte Buchholz, ich bin der Aeltere von uns beiden, es schickt sich daher für mich zumeist, Ihnen die Hand zum Frieden zu bieten. Mehr als einmal habe ich mein Leben eingesetzt, um anderer Menschen Leben zu erhalten. Aus tiefem Wasser und unter wilden Pferden habe ich Verunglückte hervorgeholt, aber niemals habe ich mein Leben gewagt, um meinen Mitmenschen zu tödten.

Was ist das? fragte der junge Offizier die Stirn faltend. – Sie sind hier unter Männern von Ehre, von gutem Adel – Sie versagen mir die Genugthuung?

Ich – der einzige Bürgerliche – ja – sagte Buchholz. Ich mag Ihr Blut ebenso wenig vergießen, wie ich das meine für eine bessere Sache aufsparen will: für das Vaterland, für meinen Beruf als Offizier des Königs, nicht für Raufhändel dieser Art.

Seine kalte Ruhe machte Eindruck. Mons sah ihn starr an und dann auf seine Genossen, die nicht recht zu wissen schienen, was sie davon halten sollten. Einige lächelten verächtlich, Andere fühlten etwas von der Wahrheit, die der bürgerliche Offizier aussprach, abermals mischte sich jedoch Wartensleben ein und vermittelte den Frieden.

Ich will ein Jude werden! rief er, wenn unser Herr Kamerad aus Erfurt nicht gesprochen hat mit König Salomonis Zunge und Weisheit. – Was zum Henker! sollen wir uns solchen Gesindels wegen die Köpfe zerschlagen? Und wenn es morgen die Welt erführe, warum es geschehen, was würde mein Papa General dazu für Gesichter schneiden? – Arrest, Untersuchung, höllische Zöpfe würde es setzen. Deine Hand her, Mons! Und hier, Ihre Hand, Buchholz. – Eingeschlagen und vergessen, wie es tapferen Offizieren geziemt; und jetzt den letzten Groll hinuntergespült – die Gläser her Champagner! He – Holla! laßt uns ein Lied singen – Phillis komm in meine Arme und streichle dem Mons das rothe Haar ins Genick. Buchholz hierher – stoßt an, Ihr müßt Freunde werden – und nun die Stimmen heraus: Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne! Schillers ›Räuberlied‹ aus seinem Schauspiel »Die Räuber« wird auf die angepasste Melodie des Studentenlieds › Gaudeamus Igitur‹ gesungen. – Anm.d.Hrsg.

Gesang und Champagner brachten die Lustigkeit von Neuem in den alten Gang, und als der Tag dämmerte, war der größte Theil der jungen Schwelger des süßen Weines voll und beseligt durch mannichfache Genüsse. – Plötzlich traten dann Soldaten mit den Paradeanzügen der Herren herein, die sich nun unter fortgesetzten Scherzen im Saale frisiren ließen und sich ankleideten. – Die engen Beinkleider von Leder mußten halb naß angezogen, die Eigenthümer von zwei Stühlen herunter gleichsam darin eingesackt werden, ehe sie den weißen Thonanstrich empfingen, der, nachdem er trocken geworden, mit der Bürste wiederum ausgetrieben werden mußte.

Alle diese Proceduren gaben Stoff zu unausgesetztem Gelächter. Die Schauspielerinnen ließen sich nicht davon abschrecken, sie jagten sich mit ihren frisirten und belederten Freunden im Saale umher, der mit Wolken von Thonstaub und Puder gefüllt war. Eine der dichtesten dieser Wolken benutzte endlich Buchholz, um sich davon zu machen. Als er auf der Straße war, schlugen die Tamboure Generalmarsch. Die Bataillone traten zur Parade zusammen.


8.

Der Abmarsch des kleinen Heeres verzögerte sich doch noch mehrere Wochen, und während dieser Zeit hatte Buchholz manche Gelegenheit, um die Gunst des General Wartensleben zu erwerben. Er war nicht allein ein thätiger Arbeiter im Bureau, sondern der General gestand ihm auch zu, daß er ein verteufelt gescheuter Federfuchser sei, dem nichts fehlte als der Adel, um einen Offizier abzugeben, aus dem was Rechtes werden könne.

Wenn er den Adel vom lieben Gott erhalten hätte, sagte der General, Donnerwetter! ich wollte ihn zu meinem eigenen Adjutanten machen. So aber kann er niemals unter die Grenadiere, es geht nicht, ist dummes Zeug!

Bei alledem aber begünstigte der alte General den jungen Mann und versprach ihm wiederholt, sich in Berlin für ihn verwenden zu wollen. Auch mehrere der alten Stabsoffiziere waren ihm gewogen, vornehmlich weil der General es war, zum Theil vielleicht auch darum, weil Buchholz es mit den jüngeren Offizieren seit jener Nacht verdorben hatte. – Was damals vorgefallen, blieb nicht ganz verborgen. Es kam auch zu den Ohren des Grafen Wartensleben, daß der Kurmainzer den alten Juden und dessen Tochter beschützt, strengen Tadel über das Benehmen der übermüthigen Junker erhoben, dann aber sich dennoch geweigert habe, dem wilden Mons seine Klinge zu zeigen.

Er ließ sich Alles von seinem Sohne erzählen, der ein paar spöttische Bemerkungen darüber machte, daß Buchholz weit schneller mit der Zunge als mit der Degenspitze auf dem Platze sei; aber zu seinem Erstaunen billigte der General Alles, was sein Günstling gethan hatte.

Ihr jungen Springinsfelde, sagte er, seid nicht daran gewöhnt, daß ein gesetzter, verständiger Mensch unter euch ist, der euch die Leviten liest und zeigt, wie toll und gedankenlos ihr in den Tag hineinlebt. – Es freut mich von dem Buchholz, daß er den Juden schirmte. Ein Jude ist auch ein Mensch, und es wäre ihm sicher schlimm gegangen.

Bewahre, Papa, erwiederte der Sohn. Wir wollten ihm nur den Bart an den Tisch fest siegeln.

Der General lachte, daß er sich den Leib hielt, und drohte dann wieder.

Ihr müßt dem Buchholz dankbar sein, rief er, daß er euch von dem Jux abhielt, den kein Christ und kein Gesetz billigen kann. – Aber das Beste war, daß er den Mons nicht gleich mit der Plempe bediente, sondern ihm sein Unrecht nochmals vorhielt und sein Leben für's Vaterland aufsparte. Lache nicht, Waldemar. Die Raufereien sind dummes Zeug. Ich wills euch allen rathen, keine Händel mit ihm anzufangen, oder ich will euch ein ander Lied fingen.

Durch solche Erklärungen zu seinen Gunsten konnte die Abneigung nicht verschwinden, welche die meisten der jungen Herren gegen den Sittenprediger empfanden, der offenbar nicht in ihren Kreis paßte. – Er wurde nicht wieder von ihnen eingeladen, fand, wo er sich sehen ließ, einen kühlen, steifen Empfang und hatte seinerseits kein Verlangen, es zu einer vermehrten Annäherung kommen zu lassen. Der Einzige unter Allen, welcher ihm fortgesetzt eine gewisse Anhänglichkeit zeigte, war der junge Graf Wartensleben, der zuweilen ihn aufsuchte, im Hause seines Vaters mit ihm zusammentraf, und den frommen und tugendhaften Pfaffenknecht, wie er genannt wurde, gern reden und erzählen hörte.

Was galten aber diese kleinen Spöttereien über seine Zurückgezogenheit für Buchholz, der seine besten Stunden hier allein verlebte. Er konnte ungestört dann an Charlotten denken, konnte den Brief lesen, den sie ihm durch Vermittlung ihres Bruders geschrieben hatte, und der so natürlich lieblich und reizend war, daß er ihn immer wieder hervorholte, lächelnd studirte, und Antworten schrieb, die er wieder zerriß, weil sie ihm nie genug thaten. – Seines Freundes Angelegenheit beschäftigte ihn daneben, aber er freute sich, daß Alles wahr geworden; was er vorher gesagt hatte. –

Leopold Belling hatte sich an das Offiziercorps gewandt, als Oberst Fitz-Patrick nochmals seine Herausforderung ablehnte, aber das Offiziercorps hatte dem Obersten Recht gegeben. Der ungestüme junge Mann trieb nun seine Angelegenheit bis an die bischöfliche Behörde und bis an den Erzbischof selbst, aber überall wurde er zur Ruhe ermahnt. – Die hohen Geistlichen und die ersten Räthe des Erzpriesters waren zum größten Theil selbst adligen Stammes und fanden es gerechtfertigt, daß ein Duell stattfinden solle; allein Oberst Fitz-Patrick weigerte sich ja dessen nicht, er forderte nur Aufschub, um höhere Staatsangelegenheiten zuförderst zu ordnen.

Leopold Belling schrieb leidenschaftliche Briefe an seinen Freund, in welchen er das feige und tückische Benehmen des Obersten zergliederte, der es hartnäckig abschlug, die beleidigte Familie durch eine Entschuldigung zu besänftigen, und Hohn zum Schaden fügend, sich über den Husarenlieutenant lustig machte, welcher ihm nirgend ankommen konnte. Der Briefwechsel, welchen Buchholz führte, war daher lebhaft und wurde vermehrt durch die Berichte, welche er dem Commandanten in Erfurt, seinem Chef und Gönner, senden mußte, der ihm öfter antwortete, und immer freundliche Worte und vertrauungsvolle Zusicherungen einfließen ließ.

Oberst Fitz-Patrick benachrichtigte ihn dabei endlich, daß er aus Berlin die Bestätigung erhalten habe, daß seine Anträge sämmtlich bewilligt seien, und daß die Patente für die neu ernannten preußischen Offiziere sofort nach Erfurt gesandt werden sollten, wenn die Besitznahme erfolgt sei.

Diese Nachricht gab der Sehnsucht des jungen Mannes neue Flügel, aber er wurde dadurch zu gleicher Zeit an die Gefahren erinnert, die ihn von zwei verschiedenen Seiten bedrohten. Fitz-Patrick sagte zwar kein Wort über seine Privatangelegenheit mit den Bellings, allein von Weimar aus erhielt Buchholz eine plötzliche zufällige Aufklärung über den eigentlichen Grund seiner brutalen Handlung, und eben dieser Brief aus Weimar jagte ihm zugleich Schrecken anderer Art ein.

Frau von Hartenstein schrieb an ihn:

»Cäcilie hat Wochen lang vergebens gewartet, der treulose Gefangene ließ nichts von sich hören. Hat Heinrich nichts an Cäcilien zu sagen? Was fesselt ihm in dem räuchrigen Sitze der Musen Hand und Gedanken? Ist etwa irgend eine hochblonde Tochter des allerdicksten Majors aus Pommern sein Magnet? Lehrt sie ihn mit eigenen zarten Händen, wie man Zöpfe macht und Zopfbänder wickelt? Oder trägt der schreckliche Caliban auch diesmal die Schuld mit allerlei kurzweiligen Befehlen und Arbeiten? – Sei es was es sei. Ein Königreich für einen Brief! – Aus Erfurt empfing ich Nachricht von meinem Lämmchen, Charlotte. Das arme Kind ist aufgeregt und romantisch gestimmt. Ich habe jetzt erst erfahren, wie Caliban an jenem unheilvollen Balltage ihr Herz und Hand zu Füßen legte, und – schmählich verworfen wurde. Das ist zum Lachen und zum Weinen. Die chère cousine hat sich dabei auch verrechnet. Irrthum an allen Ecken! Hätte er vor ihr gekniet, sie hätte ihn nicht liegen lassen, und niemals wäre geschehen, was geschah. Mein armer Vetter Leopold hätte auf der Hochzeit seines Papa's getanzt, statt jetzt mit mörderischen Vorsätzen ihn zu umschleichen. Das Lämmchen schreibt so kläglich, so schwermüthig, so seufzend, so mondscheinlustig, daß ich glaube, es thut ihr leid, den zärtlichen Caliban so schlecht behandelt zu haben und nicht Frau Generalin geworden zu sein. Ihr Herzchen schlägt so zärtlich nach einem anderen Lämmchen, um gemeinsam zu weiden, zu spielen und Blumen zu naschen. Ach! armes Lämmchen, ich verstehe Deine Sehnsucht. Ich kenne die Sehnsucht! aber mein Herz schlägt mit anderen Schlägen. Es ruft den Geliebten, es will ihn frei und stolz und herrlich sehen. Es möchte ihm Vieles sagen, doch zuerst ein Brief! Die Antwort soll nicht ausbleiben.«

Buchholz war durch dieses Schreiben in keine geringe Unruhe versetzt. Er hatte mehr als einmal schon Frau von Hartenstein sein Versprechen erfüllen wollen, aber immer war er davor zurückgewichen. Jetzt wurde er gemahnt, und mit allen Zeichen gemahnt, daß er wirklich, seltsamer Weise, errungen hatte, was Andere vergebens erstrebten, und er konnte keinen Gebrauch davon machen. Als er Cäciliens Brief voll Spötterei und Verheißungen las, war ihm der Gedanke, von dieser Frau geliebt zu sein, unheimlich und unerträglich. – Er setzte sich nieder, um ihr ehrlich zu sagen, wie es mit ihm stand; allein die Worte wollten nicht aus der Feder. Er empfand, daß er ihr das Bekenntniß, Charlotten zu lieben, nicht machen könne, und daß es besser sei, einen jener kalt höflichen Briefe zu schreiben, die von Allem reden, nur nicht von dem, worauf es ankommt.

Nach der Anrede »Gnädige Frau« folgten steife und zierliche Entschuldigungen über sein langes Schweigen und eine Geschichtserzählung seiner Arbeiten und zahlreichen Beschäftigungen. – Er theilte ihr mit, was er von Erfurt wußte, und beschrieb weitläuftig und ernsthaft die Verhandlungen zwischen dem jungen Belling und den verschiedenen Behörden, sammt den fortgesetzten Weigerungen des Obersten. –

»Soll ich nach meinem innersten Gefühl urtheilen,« fuhr er dann fort, »so finde ich allerdings das Benehmen des Obersten in jeder Beziehung falsch, und wahrscheinlich haben Sie nur zu sehr Recht, daß er auf eine niedrige Weise sich rächen will. – Ihm ist aber geworden, was er verdiente. Wie kann er daran denken, sein Auge auf ein so liebliches und schönes Bild der Jugend und edler Jungfräulichkeit zu werfen! Jetzt verkriecht er sich hinter seine Pflichten, und obwohl Sie wissen, wie ich über den Zweikampf denke, so muß ich doch sagen, daß ich es für hinterlistige Feigheit halte; denn er rodomontirt dabei mit den Gesetzen der Ehre, wie ein Edelmann und Offizier stets bereit sein müsse, Genugthuung zu fordern und zu geben, während er doch sehr gut weiß, daß, wenn er erst Oberst in preußischen Diensten ist, ihm Leopold nichts mehr anhaben kann, ohne seine ganze Zukunft aufs Spiel zu setzen.« –

Buchholz las noch einmal, was er geschrieben hatte, und einen Augenblick war er geneigt, das ganze Blatt fortzuwerfen. Aber sein Kopf war erhitzt von dem Gedanken, daß dieser alte, heuchlerische, brutale Mann es gewagt hatte, um Charlotten zu werben und sie dann roh zu beleidigen. Er hatte bisher nichts davon erfahren, jetzt faßte ihn eine eifersüchtige Regung, und diese verband sich mit dem Unwillen über Cäciliens Spott gegen Charlotte.

Mit Hast schrieb er weiter und sein feuriges Lob auf die edlen Eigenschaften der Familie Belling wurde durch einige Bemerkungen über Natur und Unnatur, über einfache und schöne Empfindungen im Gegensatz zu der geistigen Freiheit, die keine Fessel kennt, noch schärfer hervorgehoben.

»Sie werden es glauben, meine schöne Freundin,« sagte er zuletzt, »daß ich mit Sehnsucht den Tag erwarte, wo ich zurückkehren kann. Sie haben mir gut prophezeit, was ich hier finden würde. Anregenden Umgang entbehre ich ganz. Die Kluft ist grenzenlos, welche zwischen Militair und Civil besteht. Ich kann es den Männern der Wissenschaft, und wer sonst Geist und Herz besitzt, nicht verdenken, wenn sie sich vor Unwissenheit und Roheit, die mit größter Anmaßung auftreten, zurückziehen. Ich selbst mache es so, nachdem ich einen widerwärtigen Auftritt erlebt habe. Ohne meinen Schutz wäre ein Greis, der freilich nur ein Jude war, mit seiner Tochter aufs Grausamste gemißhandelt worden. – Am anderen Tage kamen beide zu mir, um sich zu bedanken. Das Mädchen hatte etwas Tiefleidendes, Ergreifendes in ihren großen, schwermüthigen Augen. Ich versichere Sie, daß es das einzige Weib ist, die mir hier Interesse einflößte, obwohl es nur eine arme Sängerin, kein Fräulein war. Ich rieth ihr die Stadt zu verlassen, machte dem Vater ein kleines Geschenk und werde sie wohl niemals wiedersehen. Sie wünschten mir den reichsten Segen Gottes und daß ich General werden möchte, vermuthlich weil sie dies als den Gipfel meiner Wünsche betrachteten. – Nun, wenigstens kommt es auf den Versuch an, wie weit der Schutz Jehovas reicht und was seine Kinder für mich erbitten können. Ich bin entschlossen, Soldat zu bleiben. General Wartensleben will mir wohl; auch sein Sohn, der alle guten und schlechten Eigenschaften eines jungen preußischen Cavaliers in sich vereint, ist mir freundlich gesinnt. Ich bin gewiß, daß ich zum Capitain ernannt werde, und davon hängt mein Glück ab, denn –«

Hier wollte Buchholz das entscheidende Wort hinzufügen, aber er wurde unterbrochen. – Der junge Wartensleben trat rasch zu ihm herein und sang ihm fröhlich zu: Auf, auf Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Wir haben Befehle aus Berlin, lieber Buchholz, es geht vorwärts. Uebermorgen marschiren wir. Schreiben Sie es in ihren Brief da, es wird Freude in Israel sein, und dann schnell! Begleiten Sie mich zu meinem Vater, er will Ihnen Aufträge für den Commandanten von Erfurt geben.

Buchholz hatte nur noch Zeit, Frau von Hartenstein die eben empfangene Nachricht mitzutheilen. –

»So spare ich mir denn Alles für Erfurt auf,« schrieb er. »Zürnen Sie mir nicht, meine schöne verehrte Freundin. Sie werden meine Bekenntnisse hören, und zu Ihren Füßen werde ich um Verzeihung bitten!«


9.

Eine Woche später zogen die Preußen in Erfurt ein. Rasch war die Stadt besetzt, von der Citadelle wehte die schwarz-weiße Fahne. Das Bataillon der Mainzer ward entwaffnet, die Soldaten wurden in die Reihen der Preußen gesteckt, eine Anzahl Offiziere empfing die Anzeige, daß sie verabschiedet seien, die übrigen versammelte General Wartensleben auf der Parade und hielt ihnen eine Anrede, worin er ihnen mittheilte, daß Se. Majestät sie allergnädigst estimirt habe, in seine Dienste zu treten, daß die Patente nächstens von Berlin kommen, und ohne alles weitere Molestiren Jeder erfahren würde, wo Sr. Majestät höchster Wille ihm seine Carriere anweise. Dann umarmte der General den Obersten Fitz-Patrick und dankte ihm im Namen des Königs für alle geleisteten Dienste; den anderen Offizieren reichte er die Hand, und den Beschluß machte ein Diner im Commandantenhause, wo der General sich die Behörden vorstellen ließ, nachdem der Act der Besitzergreifung mit allen Formalitäten vollzogen worden war.

Die Einwohner von Erfurt sahen neugierig und mit getheilten Empfindungen der Umgestaltung ihres politischen Schicksals zu; aber mit Ausnahme derer, die von der preußischen Herrschaft Vortheile hofften, waren sie nicht sonderlich erbaut von den ersten Eindrücken. – Die steife und stolze Militairwirthschaft, wie sie jetzt sich vor ihren Augen entwickelte, war doch etwas ganz anderes, als was sie bisher gesehen hatten.

Die preußischen Offiziere traten keck auf, als Herren im Hause, die abgedankten Mainzer schlichen schüchtern umher und ließen sich geduldig auslachen. Bei dem lustigen Weinhändler Franz Baier am Dom saßen die übermüthigen Junker alle Nächte, oft bis zum Morgen, und wenn sie gingen, widerhallten Straßen und Plätze von Lärm und Gelächter, was sonst niemals gelitten worden war. Aber was kümmerten sich die preußischen Offiziere um die Polizeistunde?! Die alten, armen Rathsdiener und Schaarwächter hatten in den ersten Tagen so viele Stöße und Hiebe bekommen, daß sie sich eiligst davon machten, wo sie Geschrei und Degengeklirr hörten; Baier dagegen fand die Wirthschaft in seinem Hause zwar oft heidnisch wild, aber sonst ganz einträglich, denn die Preußen hatten Geld und schonten es nicht. Er war der rechte Mann dazu mit Späßen, Schwänken und Schnurren, und mit seiner Derbheit und riesenhaften Körperstärke auch mit den Schlimmsten zurecht zu kommen.

Ein paar Tage nach dem Einzug kam Buchholz zu ihm und wurde mit vieler Herzlichkeit empfangen.

Glück auf, Heinrich! rief der Weinhändler, siehst aus wie eine Lerche im Weizenfelde, aber sing' nit zu früh und setz' Dich her zu mir. Laß uns Eins plaudern, wie ehemals.

Buchholz setzte sich; Baiers Frau und Kinder kamen. Die Kinder hingen sich an den guten Freund, die Frau war voller Freude ihn wieder zu sehen. Es gab viel zu erzählen und zu lachen; alle Begebnisse, alte und neue, wurden aufgetischt und ausgetauscht. Buchholz mußte von seiner Reise und von Halle, von den Preußen und von seiner Zukunft mittheilen; als aber die beiden Männer wieder allein waren, sagte der Weinhändler:

Wenn ich Dich höre und sehe, Heinrich, will's mir nicht in den Kopf, daß so viele Leut' gegen Dich sind. – Bist so ein schmucker, gerader Bursch, freundlich von Wesen, klar in den Augen und hast etwas in Deinem Gesicht, was aus dem Herzen kommt.

Habe ich denn so viele Feinde? fragte Buchholz.

Bah, sagte Baier, unter den Preußen da, die Abends in der grünen Stub' sitzen, ist Keiner, der Dir nicht was anhängen möcht'.

Das hat freilich seine Gründe, erwiederte der junge Mann verächtlich lächelnd; doch es macht nicht viel aus, wenn die mich nicht besonders preisen. Meine Sache steht gut, Franz. Ich weiß, daß das Capitainspatent für mich unterweges ist, und General Wartensleben, trotz aller seiner Vorurtheile und meines bürgerlichen Namens, hat mir seine Gunst in solchem Grade geschenkt, daß ich als Adjutant und Bureauchef bei ihm bleiben werde.

Baier machte ein vergnügtes Gesicht und schüttelte die Hand seines Jugendfreundes. –

Es freut mich, Heinrich, rief er, als ob's mir selbst widerführe oder meinem eigenen Kinde. Aber ich möchte um die Welt doch nicht in solchem bunten engen Rocke stecken, möcht' nicht wie eine Puppe steif vor dem Wartensleben stehen, mich preußisch dressiren lassen, und um den Fitz-Patrick schwänzeln, der seine rothe Nase jetzt noch höher in die Luft steckt.

Laß es gut sein, Franz, laß es gut sein! antwortete Buchholz gutmüthig. Jeder in seiner Weise. Der Eine muß es so machen, der Andere so. Diesem muß das gefallen, und jenem jenes, damit die Welt werden kann, wie sie ist.

Lumpig genug ist sie ausgefallen, rief Baier dazwischen. Wären Gottes Ebenbilder nur ein Bischen besser, als sie sind, so brauchte Vieles nicht zu sein, wie wir's leider sehen.

Dann gäbs aber auch keine Weinhändler, die den Pastoren ins Handwerk fallen und sich mit Taufen einlassen, sagte der Offizier lachend. – Laß Du die Welt, wie sie ist, Franz, und mach Dir die Stirn nicht kraus.

Das Taufen ist das Schlechteste noch lange nicht, versetzte Baier, der Wein bleibt immer noch Wein. Aber wozu sind Soldaten in der Welt? Wozu die vielen, unnützen Leut', die nicht arbeiten, sondern blos verzehren, uns aussaugen, und obenein uns regieren, wie sie's nennen? Das heißt uns mit allerlei Mitteln nehmen, was wir haben, und mit Hochmuth unter die Füße treten. – Wozu ist der Fitz-Patrick da? Schau fest auf den alten Donner, Heinrich, er hat Dich an der Leine. Traue ihm nicht; ich weiß, daß er Dich benutzen will als seine Creatur.

Buchholz schüttelte den Kopf. Der Oberst ist mir gewogen, sagte er, schaden kann er mir nicht mehr. – In acht Tagen bin ich Wartenslebens Adjutant, damit sind wir getrennt. – Das behalt für Dich, Franz, und behalt für Dich, daß ich eben jetzt in das graue Haus dort gehen werde, um – als ein Bräutigam wieder heraus zu kommen.

Wahrhaftig! rief Baier mit leuchtenden Augen und einem kräftigen Faustschlag auf den Tisch. Das ist das Schönste, Heinrich, was Du mir sagen konntest.

Der junge Offizier stand auf und nahm seinen Hut. Ich bin meiner Sache gewiß, sagte er; ich habe jetzt ein Mittel, Charlottens Mutter zu erweichen.–

Er drückte sich den Hut auf den Kopf fest und fuhr fröhlich fort:

Sich her, Franz, wenn der Tressenhut und der bunte Rock nicht wären, so würde ich niemals das Fräulein von Belling bekommen, ergo: müssen Soldaten sein!

Schnack! rief der Weinhändler seinen Freund zur Thür begleitend; wenns keine Soldaten gäbe, gäbs keine Fräulein, und wenns keine Fräulein gäbe, gäbs keine gnädigen Damen und Herren, und wenn die nicht in der Welt wären, gäb's keine Titel, Stände und besonderen Ehren, Bänder und Orden, aber Menschen gäb's, die menschlicher dächten und handelten.

Du bist ein Freigeist der schlimmsten Sorte, der nichts gelten läßt, lachte Buchholz. Nimm Dich in Acht, Franz, daß sie Dich nicht bei den Ohren nehmen.

Keine Noth davor! schrie Baier ihm nach, aber mach's gut, Heinrich. Den Hochzeitswein geb' ich vom Besten, und das Taufen soll der Pastor allein vornehmen.

Nach einigen Minuten stieg der junge Offizier die Treppe des grauen Hauses hinauf. Sein Herz schlug heiß, Charlotte hatte ihm vom Fenster leise zugenickt und jetzt öffnete sie ihm die Thür und blickte belebt von Glück und süßen Hoffnungen in seine Augen. – Ihr unschuldsvolles Gesichtchen glühte; sie sah so reizend aus in den kleinen Löckchen, die ihre offene Stirn umgaben. Erwartungsvoll und freudig forschte sie in seinen Mienen und flüsterte ihm zu, daß sie seit einer Stunde am Fenster gestanden habe.

Und jetzt bin ich da, meine reizende Geliebte, erwiederte er schmeichelnd, und bringe Nachrichten mit, von denen ich hoffen darf, daß die Mama mich gnädig anhört. O, süße Charlotte, ich zweifle nicht, daß ich Ihr Herz gewonnen habe, nein, ich weiß es gewiß. Doch arm, wie ich bin, namenlos, ein schlichter Mann, der nichts hat als sich selbst – werden Sie niemals bereuen, mich Reicheren, Vornehmeren vorgezogen zu haben?

Können Sie das glauben? fragte sie, die blauen, strahlenden Augen zu ihm aufhebend.

Nein, Charlotte! – Nie, o, nie! rief er mit dem Feuer der Leidenschaft. Was mich betrifft, so werde ich sorgen, Dich vor der Welt so hoch zu erheben, wie ich es vermag; Dich mit so viel Ehren zu schmücken, wie ich erringen kann.

Ich frage wenig nach diesen blendenden Ehren, sagte Charlotte von Belling. Theurer, geliebter Freund, führen Sie mich in eine Einsamkeit, ich werde glücklich sein, wenn Sie bei mir sind.

Und in aller Noth, in aller Pein, die mich treffen könnte, würden Sie treu bei mir aushalten, geliebte Charlotte?

Alles, was Gott uns schickt, wollen wir getreulich theilen, Heinrich, flüsterte sie in seinen Armen.

O! Himmel, welch Glück! rief er im Uebermaße seiner Seligkeit. Ein Herz, ein Wesen, jung und göttergleich, das mir ganz gehört. – Nicht in eine Einsamkeit, nicht dem Unglück entgegen denke ich Sie zu führen. General Wartensleben hat mir heut mitgetheilt, daß mein Patent schon unterzeichnet sei, und mir den ehrenvollen Antrag gemacht, sein Adjutant und Chef seines Bureaus zu werden. Auch will er mich dem General Rühel empfehlen, der in der Nähe des Königs Alles gilt. Er will ihm meine Arbeiten einsenden und verspricht mir, daß ich bald nach Berlin in den Generalstab berufen werden soll. In Jahr und Tag schon kann ich Major sein.

Charlotte hörte begeistert zu, ihr Gesicht verklärte sich unter den Regenbogenfarben der Hoffnungen ihres Geliebten. Sie sah ihn bewundert, geehrt, zu den Ersten gezählt, und ihr Stolz erwachte. Sie stieß einen Schrei der Freude aus und klatschte in die kleinen Hände, während sie voll Zärtlichkeit zu ihm aufsah, und der Ausdruck ihres Entzückens war so hinreißend, daß Buchholz, zu ihren Füßen knieend, Alles vergessend, sie mit den süßesten Namen nannte und ihre Hände und Lippen mit seinen Küssen bedeckte.

Ein bekanntes Räuspern von dem Kabinette der Frau von Belling her schreckte endlich die Liebenden auf; aber auf der Schwelle stand nicht allein die Mutter, sondern über ihre Schulter fort blickte Cäcilie Hartenstein dem erschrockenen Buchholz verzerrt und hohnvoll lachend ins Gesicht. Ein erstarrendes Gefühl der Schuld und Angst überkam ihn; er fühlte, daß alles Blut aus seinem Gesicht wich.

Verzeihung, Madame, sagte er stockend und verwirrt zu Frau von Belling, die sehr gütig aussah und sehr mild lachte – ich hoffe, daß Sie mich hören, ehe Sie mein Urtheil fällen.

Lieber Buchholz, rief die Dame ihm die Hand bietend, ich denke, wir haben beide genug gehört, ich sowohl, wie Cousine Hartenstein, und was Ihr Urtheil betrifft, so ist das gestern schon gefällt worden. – Verborgen konnte es uns nicht sein, was zwischen Ihnen und Charlotten vorging; da aber auch mein Sohn Ihr Fürsprecher geworden ist, ich selbst Sie seit langer Zeit hochschätze, und Charlotte Sie aufs Innigste liebt, so sollen Menschen nicht scheiden, was Gott zusammenfügt und – Meine lieben, theuren Kinder, des Himmels Segen über Euch! Charlotte! meine geliebte Charlotte! Cousine Hartenstein, nehmen Sie Theil an unserem Glück!

Sie umarmte die Cousine, und umarmte den Schwiegersohn, der es nicht wagte, Cäcilien sich zu nähern, obwohl sie freundlich, wie immer, jetzt aussah und ihre Augen schelmisch umherblickten.

Nach kurzer Zeit kam Leopold, und ein Familienrath begann über die Veröffentlichung dieser Verlobung. – Sie wird allerdings einige Verwunderung zunächst erregen, sagte Frau von Belling, und wer am meisten getroffen sein wird, kann ich mir denken.

Fitz-Patrick! rief Cäcilie. Er wird angenehm überrascht sein.

Nur wenige Tage noch, sagte Buchholz, möchte ich mein Glück verheimlichen. Ich bin dem Obersten Dank schuldig. Mögen seine Absichten auch andere gewesen sein, es hat sich so gefügt, daß ich durch seine Verwendung wirklich große Vortheile gezogen habe. – Bin ich erst preußischer Capitain, Adjutant des General Wartensleben, so habe ich eine Laufbahn betreten, die von jener Seite nicht mehr angefochten werden kann. General Wartensleben aber wird sich freuen, wenn er hört, welche edle Familie mich ihrer Verwandtschaft gewürdigt hat.

Der Vorschlag leuchtete ein und wurde gebilligt. Der rachsüchtige Irländer mußte vollständig getäuscht werden, und Frau von Belling weidete sich im Voraus an dem Triumph, wenn er inne werden würde, wozu er geholfen, ohne das Geringste ändern zu können.

Eines aber müssen Sie mir versprechen, Buchholz, sagte sie. Ich bin nicht hochmüthig und denke, daß ich es beweise. Ich habe auch nichts gegen den Bürgerstand, er ist sehr ehrenwerth und es kommt häufig gar nichts darauf an, ob ein Bürgerlicher oder ein Adeliger etwas Gutes thut; vor Gott sind wir Alle gleich! – Aber in dieser Welt muß man adelig sein, wenn man seine Fortüne machen will. Wenn nicht ganz besondere Zufälligkeiten Sie begünstigten, würden Sie nicht fortkommen; auf jeden Fall werden Sie aber weit leichter steigen, wenn Sie sich adeln lassen. Sie sind überdies aus einem alten Geschlecht und haben ein Familienwappen. Was sagen Sie, Cäcilie, habe ich nicht Recht? fuhr sie lebhafter fort, als sie die geringe Zustimmung bei Buchholz bemerkte.

Frau von Hartenstein nickte ihr zu und erwiederte dann halb zu dem Bräutigam gewandt:

Ich gebe Ihnen völlig Recht, chère cousine, und unser neuer Cousin, Herr Heinrich Buchholz, kann schwerlich etwas dagegen haben, künftig Herr Heinrich von Buchholz zu heißen. – Er muß einsehen, daß seine neuen Verhältnisse ihn in Kreise führen, wo man adelig sein muß, um etwas zu gelten. Meine liebe Charlotte könnte ja mit Anstand in seinem noblen Kreise erscheinen. Man würde ihr die Thür versperren, würde sie zu den Ungeborenen werfen. Bei seinem Hofe, und wäre es der Hof von Lilliput, könnte sie eingeführt werden, sie wäre nicht curfähig, nicht hoffähig, welch Horreur! Was gäbe es für ein Nasenrümpfen! Ich halte es daher für eine wichtige und unabänderliche Sache, daß Herr Buchholz sich so schnell wie möglich, standesmäßig erhebt. Sollte es hier etwa schwierig werden, so schreibt man nach, Wien. Der Ritter kostet dort fünfhundert Dukaten, der Freiherr tausend. Man kauft am besten, wo man am billigsten kauft, und im heiligen römischen Reiche braucht man Geld. Vielleicht kann man die Goldagio Im Finanzwesen bezeichnet Agio einen Aufschlag, der bei bestimmten Geschäftsarten zusätzlich zum Kaufpreis oder Kurswert verlangt werden kann. – Anm.d.Hrsg. abziehen, wenn man ordentlich handelt. Räthlich wäre es dabei auch gewiß, gleich acht oder zwölf Ahnen mitzukaufen, die Stück für Stück mit zwanzig oder dreißig Dukaten bezahlt werden, aber bei verschiedenen Gelegenheiten besonders gute Dienste thun können.

Es ist mit Ihnen kein ernstes Wort zu reden, Cäcilie, sagte Frau von Belling verdrüßlich, als die schöne Frau in ihrer Weise lachte und von Leopold unterstützt wurde. Mein Schwiegersohn wird in Berlin haben können, was er wünscht.

Sie haben Recht, Cousine, rief die Hartenstein, es kommt mir alles auch wirklich so spaßhaft vor, daß ich zum ernsthaften Rath nicht gut zu gebrauchen bin. Aber plagt euch nicht vor der Zeit mit Dingen, die aus der Zeit sich erst entwickeln und zur Geltung gelangen können. Laßt den Herrn Lieutenant erst Capitain sein, gebt ihm die glückliche Braut, laßt ihn seinem General Herr zum Donnerwetter! erst ein würdiger Adjutant werden und in die neuen Verhältnisse sich einleben: das Uebrige kommt dann von selbst, ein Schritt zieht den anderen nach sich und aller Widerstand hört vor der Nothwendigkeit von selbst auf.

Buchholz sah sich unterstützt, freilich in einer Weise, die ihm nicht sonderlich behagte, allein er war froh, durch Gelächter und Scherze den Forderungen und Anmuthungen der Schwiegermutter vor der Hand entkommen zu können. Er sagte daher fröhlich, daß er Alles der Zukunft überlasse und daß nichts richtiger wäre, als die Bemerkung, man müsse der Zeit nicht vorgreifen.

So vergingen heitere Stunden, die nur dann und wann dem glücklichen jungen Paare durch die ernüchternden Interventionen der Frau von Belling unterbrochen worden. Von Zeit zu Zeit kam sie in das Kabinet, wo die beiden Verlobten vertraut beisammen saßen, und rechnete ihnen die Zukunft zusammen, was jene längst für sich in ganz anderer Weise unternommen hatten. Dabei kam es zu Erklärungen über Charlottens Vermögen, das nicht unbedeutend war. Ihr Vater hatte Bestimmungen hinterlassen, was seine Tochter bei ihrer Verheirathung erhalten sollte; die Mutter legte jetzt großmüthig aus ihren Mitteln eine Summe zu, und schenkte dem jungen Paare obenein ein niedliches Landhaus dicht bei der Stadt an der Gera, wo es wohnen sollte, so lange Buchholz in Erfurt blieb. –

Nach den Dankergüssen erfolgten lange Berathungen über Ausstattung und Hochzeit. Zahllose Fragen, Bitten und Widersprüche kreuzten sich. Charlotte versenkte sich in die Süßigkeiten dieser neuen Empfindungen, in alle Schätze von Seiden und Linnen, von Kanten und prächtigen Stoffen, die sich vor ihrer Phantasie ausbreiteten. Sie dachte an ihre Freundinnen, an deren Ueberraschung, an den Empfang, an alle die heiteren, köstlichen Tage, welche sie erwarteten, und Buchholz vermehrte ihre Seligkeit durch seine ausmalenden Träumereien, seine Schwüre und sein Entzücken über ihr Geplauder.

Der junge Offizier blieb, da er vor der Hand gar nichts zu thun hatte, als sich selbst und seinem Glücke zu leben, zum Mittag bei seinen neuen Verwandten. Am Nachmittage fuhr die Familie nach dem Landhause, das mitten in einem schönen schattigen Garten lag, ganz dazu geeignet, die bräutlichen Schwärmereien fortzusetzen. Wie anders aber würde Buchholz sich diesen Gefühlen überlassen haben, wenn nicht neben ihm Cäcilie, wie der Cherub mit dem feurigen Schwerte, gestanden hätte. –

Sie war so übermüthig, neckig und gesprächig, wie je vorher, immer bereit zu launigen Einfällen und Sarkasmen, und keine Sylbe erinnerte daran, wie sie getäuscht worden war. Aber eben dies gänzliche Schweigen war drückend, und zuweilen kam es Buchholz doch vor, als ruhe ihr Blick leidenschaftlich heftig und verächtlich auf ihm, während sie lachte, weil Charlotte ihn umklammerte und ihn zu zärtlichen Tändeleien herausforderte.

Nicht ohne Absicht erzählte der junge Mann das erste Entstehen seiner Neigung, und wie lange er hoffnungslos das Bellingsche Haus besucht habe, bis er bemerkte, daß Charlottens Augen ihm entgegenstrahlten, wenn er kam, und die geheimen Zeichen der Liebe, deren es so viele giebt, die Niemand kennt, als wer sie empfindet, ihm sagten, daß er verstanden sei. –

Doch nun wurde das Unglück erst groß, fuhr er fort, denn welche Hoffnungen blieben mir? Wo war die Aussicht auf Besitz? – Fast ein Jahr verging so, ehe ein gütiges Schicksal für mich die Karten mischte. – Oberst Fitz-Patrick übernahm es, mein Brautwerber zu sein, und wahrlich, ich will es ihm niemals vergessen. Als er mich nach Halle schickte, war ich meiner Sache gewiß. Ich hatte meiner süßen Charlotte Alles bekannt, und entfernte mich mit der Ueberzeugung, daß eine glückliche Wendung für mich eingetreten sei. Leider durfte ich mein Geheimniß keinem Freunde vertrauen, selbst denen nicht, die in edelster Weise den lebendigsten Antheil an mir und meinem Geschick nahmen.

Er blickte bei den letzten Worten zu Cäcilien auf, die kaum zuzuhören schien, weil sie muthwillige Scherze mit ihrem Vetter Leopold trieb, ihn neckte, mit Blumen warf und sich von ihm bekränzen und unter Spöttereien ewige Treue schwören ließ.

Dies lustige Treiben wurde nach einiger Zeit von Besuch aus der Stadt unterbrochen. Mehrere Damen kamen, und da man vor ihnen verbergen wollte, was sich begeben, trat größerer Zwang ein. – Charlotte und ihr Bruder gingen den Ankommenden entgegen. Die beiden Anderen blieben zurück. Buchholz befand sich jetzt allein mit Cäcilien.

Es ist heiß hier, sagte sie, die Sonne brennt, und helles Licht können wir vermeiden, bei dem, was wir uns zu sagen haben. –

Sie trat in einen schattigen Gang wilder Akazien, zur Seite rauschte der kleine Fluß in seinem tiefen Bette, das Haus lag bedeckt in der Ferne.

So, mein schöner Herr, begann sie, hier vernimmt und sieht uns Keiner. Lassen Sie mich hören, was Sie mir zu sagen haben.

Was ich zu sagen hätte, theure Freundin, erwiederte er, ist schwer in Worten auszudrücken, wie diese heut zwischen uns gesprochen werden dürfen. Um Ihre Verzeihung bitte ich, um die Gunst schweigen zu dürfen, damit ich mich nicht anklage.

Wenn Sie schweigen wollen, großmüthig, wie ich denke, um mich zu schonen, rief Frau von Hartenstein, so treibt es mich um so mehr zum Reden. Sie haben mich schmählich verrathen, das mag sein, ich trage geduldig mein Kreuz. Aber ich habe Ihnen mehr geglaubt, wie ich je einem Mann geglaubt habe; ich habe – ich weiß nicht warum – Ihnen so viel zugetraut, daß ich mich jetzt davor schäme, und noch in diesem Augenblicke, noch jetzt, ist es mir, als könnte ich nicht von meiner Täuschung aufwachen.

Daß Sie nicht gering von mir denken, meine edle Freundin, erwiederte Buchholz sanft, wird mich immer stolz machen. Mein Unglück besteht darin, daß ich liebte. In meinem Glücke liegt meine Schuld; um meines Glückes Willen, Verzeihung, Cäcilie!

Er küßte ihre Hand, sie blickte fest in seine Augen und legte den Arm auf seine Schulter. – Der Wind wehte in ihren Locken, das Wasser murmelte leise herauf, sie sah in ihren Kränzen und Blumen so schön aus, wie ein Weib aus überirdischem Stoff. –

Und wenn dieser Schatten nicht zwischen uns stände, sagte sie leise lächelnd, indem sie den weißen Finger nach dem Hause ausstreckte, wenn Sie frei wären, Heinrich!

Fragen Sie nicht – O, fragen Sie nicht danach! antwortete er den Kopf senkend.

Welches Glück erwarten Sie denn? fuhr Frau von Hartenstein fort. Ist es kein Irrthum Ihres Lebens? Haben Sie wirklich Alles bedacht? Glauben Sie, daß dies Kind Ihnen genügen kann, daß Sie ihm genügen werden? – Antworten Sie mir nicht; ich weiß, was Sie sagen wollen; aber Alles, was Sie thaten, war falsch, es wird sich als falsch bewähren. Ihre Lage ist schwankend, Ihr Glück von Glas, der Boden unter Ihren Füßen hohl, ein einziger Stoß – und Alles bricht zusammen.

Buchholz wandte sich unmuthig ab.

Warum denken Sie doch so gering von denen, die mich als Freund und Verwandten aufgenommen haben? sagte er.

Weil ich sie kenne, erwiederte Cäcilie. – Sie haben die Einwilligung meiner stolzen Cousine erhalten, theils aus geheimer Rachelust an Fitz-Patrick, dessen Zorn und Aerger grenzenlos sein wird, wenn er es erfährt, theils aus Berechnung der Umstände. – General Wartensleben ist Ihnen gewogen, Sie haben die Aussicht, einen raschen Flug zu nehmen, sogar in die Reihe des Adels zu treten. Lassen Sie an diesem Gebäude sich einen Stein verschieben, und Sie werden sehen, was übrig bleibt.

Und Charlotte, die mich liebt, die nicht nach jener Berechnung fragt? sagte er.

Was hoffen Sie von ihr, fiel Frau von Hartenstein ein, vom weichen Wachs, vom Kinde ohne Willen, ohne Charakter, ohne Bewußtsein?

Halten Sie ein, gnädige Frau, rief Buchholz stolz. Ich weiß, Sie behandeln Charlotten nach Vorurtheilen.

Stellen Sie diese Liebe auf keine Probe, antwortete sie im warnenden und spöttischen Tone – oder wagen Sie es, stellen Sie eine Probe an. Gehen Sie in jenes Haus, erklären Sie, statt des Hauptmannspatentes sei Ihr Abschied gekommen; sagen Sie ihnen, der General habe Sie ungnädig entlassen, und Sie werden erfahren, was der Rock gilt, und was der Mann.

Sie haben Unrecht, arge Versucherin, murmelte er vor sich hin.

Ich habe Recht, Heinrich, und Sie fühlen es, daß ich Recht habe, erwiederte Frau von Hartenstein triumphirend. Wenn aber Alles um Sie wankt und bricht, dann denken Sie an die Freundin, deren Herz Sie von sich stießen. – Cäcilie hat nicht nach dem Rock gefragt, nicht nach dem Namen. In welche kleinlichen Verhältnisse haben Sie sich verirrt? Welche Binden liegen vor Ihren Augen? Wo ist Glück, wo ist Unglück, mein Freund? – Ich reise morgen, in acht Tagen bin ich in Paris.

Madame, sagte Buchholz mit strenger Kälte, ich wünsche Ihnen glückliche Reise. Sie haben Recht, eine Binde hat vor meinen Augen gelegen, sie ist abgefallen. – Ich liebe Charlotten aufrichtig und wahr. Ein anderes Gefühl wird niemals in mir sein. Ich kann weder lügen, noch mich erniedrigen. Lassen Sie uns scheiden für immer.

Frau von Hartenstein stand lächelnd vor ihm. Sie hatte den Kranz aus ihrem Haar genommen, den Buchholz vorher für Charlotten gewunden, und zerpflückte ihn spielend in Stücke. – Durch die Bäume leuchtete Charlotten's weißes Gewand, die von ihrem Bruder gefolgt den Gang heraufkam.

Geben Sie mir den Arm, Herr Buchholz, sagte Frau von Hartenstein.

Wo steckt Ihr denn? rief Charlotte voraneilend. Unser Besuch ist glücklicher Weise weiter gewandert.

Hier liefere ich den Bräutigam unversehrt ab, erwiederte Cäcilie lachend. Bewahre ihn vor Feuer und Licht, damit in der Stadt kein Schaden geschieht.

Charlotte hing sich ängstlich, an Buchholz' Arm, indem sie einen leisen Schrei ausstieß. – Jenseits des kleinen Flusses lief ein Weg hart am Ufer hin. Der Kopf eines Reiters, der sein Pferd langsam gehen ließ, sah über die Weidenbüsche. Es war Oberst Fitz-Patrick, der sein finsteres, rothes Gesicht der Gruppe zuwandte und wie ein Gespenst verschwand.


10.

Als Buchholz am Abend aus dem Belling'schen Hause sich entfernte, war er glücklicher als je. Eine Last war von ihm genommen, denn auch das fatale Begebniß mit Cäcilie von Hartenstein war gelöst. Zwar nicht in der versöhnenden Weise, wie er es gewünscht hatte, aber doch so, daß es auf immer begraben war. – Was sie zuletzt mit ihm versuchte, um ihn von Charlotten zu trennen, schien so abentheuerlich, daß Buchholz geneigt war, es für einen augenblicklichen Einfall zu halten, der nicht ernstlich gemeint sein konnte; was sie ihm prophetisch als Unheil ankündigte, nahm er leicht hin als Folge ihrer Gereiztheit und einer verschmähten Leidenschaft. –

Es lag allerdings Wahrheit darin, aber diese Wahrheit hatte er sich selbst ja oft genug vorgehalten. Nur durch die Gunst der Verhältnisse war es möglich geworden, seine Liebe zu Charlotten gebilligt zu sehen; fielen jene zusammen, so trat die alte Unmöglichkeit ein. Allein in der Welt hängt ja überhaupt das Glück der Liebe unter Ungleichen von der Befriedigung der Bedingungen ab, welche die Klassen der Menschen trennen. Mag es Hochmuth heißen, Geld oder Geburtsstolz, Kastendünkel, Eigenliebe oder Vorurtheil, es ist einmal so, daß Niemand von seinem Stande lassen und nicht hinuntersteigen will, um seine Verwandten zu suchen.

Buchholz stellte sich das Alles vor und sagte dann beruhigend zu sich selbst: Nur noch einige Tage, und Alles wird für immer entschieden sein. Morgen spreche ich im Vertrauen mit dem General, er wird durch seinen Besuch und seine Theilnahme dem Stolze der Schwiegermutter genugthun; ist meine Verlobung dann erst öffentlich erklärt, so mag Fitz-Patrick wüthen, so viel er Lust hat.

Heda! Lieutenant Buchholz! – Woher des Weges? fragte eine rauhe Stimme dicht hinter ihm, und nicht zu seiner Freude erkannte er den Mann, an welchen er so eben gedacht hatte.

Ich komme aus dem Hause der Frau von Belling, sagte der junge Offizier, nach dem der Oberst sich zu ihm gesellt hatte.

Und es geht lustig her da? rief Fitz-Patrick.

Der Kreis der Familienfreunde hat sich wesentlich verkleinert, antwortete Buchholz.

Sie gehören noch immer dazu, fiel der Oberst ein. Nun, es ist so gekommen, wie ich gesagt habe. Der Lieutenant ist mit seinen Dummheiten zurechtgewiesen worden, und die Weiber, die mir an den Hals wollten, führen jetzt andere Komödien aus. Sie sind oft mit Ihnen zusammen?

Zuweilen wenigstens und heut den ganzen Nachmittag.

Nehmen Sie sich vor der Hartenstein in Acht, sagte Fitz-Patrick. Das ist ein Weib ohne Gewissen und ohne Scham. In Weimar darf sie nicht mehr an den Hof kommen; sie will fort nach Paris, hat man mir gesagt, und dahin gehört sie.

Ich glaube, daß ich nichts von ihr zu besorgen habe, lachte Buchholz.

Und wie ist es mit dem Kinde, fuhr der Oberst fort, mit der Charlotte Belling? Sie sind mit ihr vertraut, wie ich heute bemerkte.

Vertraut, erwiederte der junge Mann, dürfte der rechte Ausdruck nicht sein, Herr Oberst. Es ist in der That noch ein Kind, das erst das Leben kennen lernen soll.

Der Oberst schwieg einige Minuten, er schien mit der Antwort zufrieden zu sein. –

Ich will Ihnen etwas mittheilen, Lieutenant Buchholz, sagte er, was Ihnen beweisen soll, welchen Antheil ich an Ihnen nehme. – General Wartensleben will Sie zu seinem Adjutanten machen und hat Ihnen vom Generalstab vorgesprochen. – Wartensleben ist ein alter Mann, der nächstens pensionirt wird. Daß er Ihnen so günstig ist, hat seinen Sohn und alle Offiziere aufgebracht; einen Günstling Ihrer Art kann Keiner leiden. – Ich gehe nächstens nach Berlin, sobald ich zum General ernannt bin. Ich will Sie mitnehmen, Sie sollen bei mir bleiben, und wie ich denke, habe ich schon für Sie gesorgt und kann besser sorgen, wie der da.

Herr Oberst, erwiederte der Lieutenant, Ihre Güte flößt mir die dankbarsten Gefühle ein, aber –

Was aber? fragte Fitz-Patrick.

Ich weiß nicht – General Wartensleben –

Lassen Sie das meine Sorge sein. Ich werde morgen mit dem alten Herrn sprechen. Wir müssen Beide fort von hier; ich will Ihnen den Weg zeigen. – Kinder habe ich nicht, Lieutenant Buchholz, aber ich kann doch väterlich fühlen. Gute Nacht, ich werde Sie morgen sehen.

Der Oberst drückte ihm die Hand und ging die Straße hinab, welche ihn zunächst nach dem Petersberge brachte, da er noch immer im Commandanten-Hause wohnte. Als er an der Ecke war, wo die Straße zum Dome einbog, sah er plötzlich an seiner Seite eine dunkle Gestalt. Der Abend war so finster, daß er kaum erkennen konnte, daß ein in Mantel und Kappe verhülltes Wesen ihn am Arm berührte und etwas hin hielt, das weiß schimmerte.

Was ist das? fragte er.

Ein Brief, murmelte eine tiefe Stimme.

Für mich?

Lesen Sie, sagte die Gestalt, indem sie sich rasch entfernte.

Der Oberst hielt das Papier in der Hand. Nach einigem Besinnen eilte er der Unbekannten nach, aber sie war verschwunden. –

Ein Abentheuer? rief er lachend, ja wenn ich jünger wäre, könnte ich Geschmack daran finden. Aber was ist es? Nirgend Licht. Ha da, bei dem Giftmischer!

Die hellen Fenster in Franz Baier's Hause leuchteten die Straße entlang, und nach einigem Bedenken siegte die Neugier des Obersten. Zu des Weinhändlers größtem Erstaunen sah er Fitz-Patrick bei sich eintreten, der ihn, wie er gut wußte, als einen der übelgesinntesten Bürger erklärt und immer mit Verachtung behandelt hatte. – Der Oberst war nie in seinem Hause gewesen und hatte selbst seine Offiziere häufig sein Mißfallen empfinden lassen, wenn er hörte, daß sie bei Baier verkehrten; jetzt forderte er Wein und setzte sich in eine Ecke des grünen Zimmers nieder, wo er sich allein befand.

Nachdem der Wirth sich zurückgezogen hatte, nahm er das Papier hervor und betrachtete es von allen Seiten. Es war leicht zugemacht und ohne Aufschrift. Fitz-Patrick öffnete es, wenige Zeilen waren darin mit groben verbogenen Zügen geschrieben:

»Dem Obersten Fitz-Patrick,« las er, »wird hierdurch mitgetheilt, daß der Lieutenant Buchholz sich heut' mit Fräulein Charlotte von Belling verlobt hat. Weitere Neuigkeiten findet er in dem inliegenden Briefe.«

Der Oberst starrte die Zeilen an, ein grimmiges Lachen lief über seine Lippen. Er trank sein Glas aus und schien etwas zu überlegen; plötzlich nahm er das beschriebene Blatt, das in dem Umschlage lag und hielt es an das Licht.

Betrügerei! Complott! murmelte er zwischen den Zähnen. Fitz-Patrick läßt sich nicht fangen. Er kennt das Pack, er kennt den Streich. – Aber was ist das – das ist seine Hand, und hier – Höllenteufel! hat er das geschrieben, so Gnade ihm Gott! – Er legte den Brief zusammen, seine Hände zitterten so stark, daß er ihn zusammenknüllte. Dunkelblaue dicke Adern traten auf seine Stirn, und mit einem furchtbaren Fluche stand er auf, drückte den Hut in sein Gesicht und verließ das Haus.


11.

Am nächsten Morgen sah Franz Baier mit der langen Pfeife wieder einmal zum Fenster hinaus, als Buchholz des Weges kam und ihm die Hand bot.

Nun, Heinrich, sagte der Weinhändler, siehst beinahe aus wie damals, wo der alte Donner Dich in sein Nest hinaufgelockt hatte, um Dich nach Halle zu schicken, und es ist mir so, als wolltest Du ihm wieder eine Staatsvisite machen.

Keine Staatsvisite, erwiederte Buchholz, denn wie Du siehst, hab' ich weder Degen, noch Uniform, weil ich noch immer nicht Fisch noch Fleisch bin.

Und es taugt allemal nichts, rief Franz lachend, wenn man nicht Eines ganz und vollständig ist.

Wir dürfen jetzt Alle nur den Uniformrock tragen, bis wir das preußische Kleid und den Degen mit der preußischen Silbertroddel bekommen, sagte Buchholz. Mein Schneider ist in voller Arbeit. Heut' Abend wird der Capitainsrock fertig sein, morgen komme ich zu Dir und stelle mich vor.

Höre, Heinrich, sagte der Weinhändler, was ist denn gestern bei Bellings geschehen?

Halt immer Deinen Hochzeitswein bereit, mein Junge, erwiederte Buchholz. Es ist alles in Richtigkeit.

Und jetzt willst hinauf zu dem Fitz-Patrick, statt zur Braut?

Er hat mich heut' morgen zum Frühstück einladen lassen.

Und willst ihm sagen, daß Du ein Bräutigam bist?

Will's ihm nicht sagen, bis ich es allen Leuten sagen kann.

Geh' nicht hin, Buchholz, sprach Baier bedächtig. Ich habe eine Menge preußischer Offiziere schon hinauf gehen sehen, die allerwildesten Junker sind dabei.

Ich wüßte nicht, daß ich mich vor denen fürchten sollte, sagte Buchholz lächelnd.

Dann steck' einen Degen an die Seit', fuhr Baier fort, und schmeiß' sie zusammen, wenn Dir Einer zu nahe kommt.

Es ist mir gar nicht so zu Muthe, erwiederte Buchholz. Ich hoffe, daß wir lustig mit dem Glas in der Hand streiten wollen.

So höre noch Eines, sagte Franz, als er gehen wollte. Gestern, es war bald Mitternacht, ist der Fitz-Patrick hier gewesen.

Was? rief der junge Offizier erstaunt. Hast einen Geist gesehen?

So sah er beinahe aus, fuhr Baier fort. Da hinten im Winkel hat er gesessen, hat da einen Brief gelesen, ich hab's durch das kleine Wandfenster mit angesehen. Weißt' etwas von dem Briefe?

Nicht eine Sylbe.

Was er sagte, habe ich nicht verstanden, sprach der Weinhändler, aber er sah aus, wie oben in der alten Kirche das Wandbild, auf dem die Pest abgemalt ist. Die Augen standen ihm weit offen, das ganze schlimme Gesicht zuckt' und zerrte sich, und es kam mir vor, als hätt' er Deinen Namen gesprochen, und einen Fluch dazu, der nicht enden wollte.

Bist ein Narr, rief Buchholz lachend. Ich habe den Obersten gestern spät noch gesehen, keine Viertelstunde ehe er bei Dir war, und zärtlicher ist er nie zu mir gewesen.

Aber wenn er nun erfahren hätte, was Du ihm angethan? fragte Baier. Weißt', was ich in Deiner Stelle thäte? Wenn ich hinauf käme zu ihm, würde ich sprechen: Herr Oberst, es muß klar werden zwischen uns, damit Sie nicht sagen, es sei Trug und Hinterlist in mir. Von den Bellings kann ich nimmer lassen, hab' mich mit dem Fräulein verlobt. Dank' Ihnen für alle Güt', kann aber den Segen nit brauchen, wenn's so gemeint sein soll, daß ich hier oder da falsch sein muß. Und dann schlag' an Deine Seit und reck' den Kopf in die Höhe. Zeig' dem alten Donner, daß gut Erfurter Blut in Dir ist, und Deine Väter ausgeritten sind, wie mannhafte Leut', und haben Grafen und Fürsten die Zähn' gewiesen.

Franz, Franz! rief Heinrich Buchholz, noch lustiger lachend, Du siehst aus, als schrieben wir vier hundert Jahre zurück an einem Tage, wo die Buchholz und die Baier die Nachricht bekommen hätten, ihre Fuhrleute mit Waaren seien von den Grafen von Gleichen oder den Beichlingen niedergeworfen. – Lege die Kriegslust ab, Franz, und kollere Deine Weinfässer friedlich in den Keller. Mit dem Fitz-Patrick laß mich umgehen; ich hoffe zur rechten Zeit mit ihm fertig zu werden, in aller Ruhe und ohne Falschheit.

Das kühne Gesicht des Weinhändlers sah roth und ärgerlich aus über die Abfertigung; er nickte schweigend und wandte sich ab, als sein Freund sich entfernte, der rasch den Weg zurücklegte und erhitzt vom Ersteigen der Höhe vor dem Commandanten-Hause anlangte. – Hier sah er sich noch einmal um, und gerade so ein Tag war es, wie damals, wo der Oberst ihn entboten hatte. Der Himmel blau und rein, die Sonne sommerheiß, der blaue Rauch auf der tiefen Stadt ruhend und hier oben ein Strom frischer kühler Gebirgsluft. – Die Sehnsucht des jungen Mannes wachte lebendig auf, als er das Dach des hohen, grauen Hauses erblickte. –

Lieber wäre ich bei Dir, meine süße Charlotte, murmelte er; aber Geduld, es ist der letzte Tag – nur dieser eine noch voll Zwang, morgen soll alle Welt mein Geheimniß erfahren, und wenn mein grimmiger Gönner auch noch so zornig wäre, meine Vorstellungen und Bitten sollen ihn versöhnen.

Mit diesen letzten Worten trat er in das Haus. Ein Diener des Obersten öffnete ihm den Vorsaal, und plötzlich stand er Fitz-Patrick gegenüber, der an dem Tische beschäftigt war, welcher die Mitte des großen Zimmers einnahm. Es war eine gedeckte Tafel, auf welcher die große silberne Terrine stand, deren süßen Inhalt Buchholz schon einmal erprobt hatte. Des Obersten Hand ruhte auf dem Deckel, er schien diesen so eben geschlossen zu haben. Als er sich umwandte, blieb der Gast von einer sonderbaren Ahnung ergriffen stehen. Es fiel ihm ein, was Franz gesagt hatte. Das furchtbare Gesicht des höllischen Gespenstes, das die Pest darstellt, blickte ihn an; doch im nächsten Augenblicke war es vorüber. – Fitz-Patrick reichte ihm freundlich die Hand. Er war in die preußische Oberstenuniform gekleidet, mit reichen Achselstücken und Fangschnüren, und trug den Degen an der Seite.

Willkommen, Lieutenant Buchholz, sagte er, ich bin erfreut Sie zu sehen. Sie kommen zur rechten Zeit, wir sind noch allein, können ein Wort im Vertrauen sprechen. Ich hoffe, fuhr er fort, als Buchholz sich verbeugte, Vertrauen ist das rechte Wort zwischen uns; denn ich zweifle nicht, daß es wahr ist, was Sie mir oft betheuert haben: daß Sie mein Freund sind.

Das bin ich, Herr Oberst, erwiederte der junge Offizier.

Dankbarkeit der Menschen ist Staub, fuhr Fitz-Patrick fort, aber ich denke, mit Ihnen ist es anders. Ich rühme mich nicht, doch ich habe Sie immer geschätzt; ich wollte einen Freund haben, der es treu mit mir meint. Sie meinen es treu mit mir?

Zweifeln Sie nicht daran, antwortete Buchholz. In jeder Lage des Lebens denke ich es zu beweisen.

Der Oberst schüttelte seine Hand mit Wärme. Die Patente sind gekommen, sagte er; Sie sehen, ich trage meine Uniform, und was ich Ihnen gestern sagte, wird heut schon wahr werden. Sie haben meinen Vorschlag angenommen, mich zu begleiten?

Er nickte ihm zu, seine Augen nahmen einen wilden Glanz an. Zuförderst, sagte der Lieutenant, muß ich Sie bitten, mir ein ruhiges Gehör für einige wichtige, mich betreffende Mittheilungen zu gestatten.

Nichts da! – keine Einwände! rief Fitz-Patrick. Was es auch sein mag, wir gehen zusammen. Heben Sie den Deckel da auf, dort liegt etwas für Sie. – Heben Sie ihn auf, sage ich, wiederholte er, die Arme kreuzend.

Der junge Offizier blieb bewegungslos. Ich begreife nicht, murmelte er, – was ist es – mein Patent?!

Oder ein Hochzeitsgeschenk, treuer Freund, schrie der Oberst lachend. Auf mit dem Deckel!

Buchholz ergriff den mächtigen Knopf, er sah ein Papier in einem großen Umschlage, und zog es heraus. –

Lesen Sie, sagte der Oberst, lesen Sie laut und deutlich. Kennen Sie die Schrift?

Alles Blut wich aus dem Gesichte des Lieutenants, er erkannte den Brief, den er in Halle an Cäcilien geschrieben hatte.

Hier, sagte Fitz-Patrick mit dem Finger auf eine unterstrichene Stelle deutend, lesen Sie das:

»Er will sich auf niedrige Weise für den Korb rächen; ich halte es für hinterlistige Feigheit, daß er sich hinter seine Pflichten versteckt.«

Haben Sie das geschrieben, Herr? Antwort: Verdammniß und Tod! – Antwort, wenn Ehre noch in Ihnen ist!

Ich habe es geschrieben, erwiederte Buchholz; aber hören Sie mich.

Du hast es geschrieben! – rief der Oberst. – Schurke! Elender! was kannst Du noch sagen? – Hier – komm an! – hier! –

Er riß den Deckel von der Terrine und schleuderte ihn vor sich, daß er klingend über den Boden kollerte. Mit beiden Händen griff er hinein und zog zwei Pistolen heraus. –

Dorthin an jene Ecke des Tisches, schrie er, wähle – rasch – sie sind geladen. –

Er hielt ihm die beiden Waffen hin.

Sie handeln falsch und ungerecht, sagte Buchholz, bleich und verwirrt; allein auch durch dies Uebermaß von Schimpf will ich mich nicht zu einem Verbrechen leiten lassen.

Verläumder! Feigling! schrie Fitz-Patrick, Du willst nicht?

Wenigstens nicht jetzt – nicht hier. – Ich habe für Wesen zu sorgen, die ich liebe – die ich nicht lassen kann ohne Abschied. – Nein, ich will nicht, aber ich bin kein Feigling und kein Verläumder.

Fitz-Patrick hatte das Feuergewehr in seiner Hand umgekehrt und hielt dessen Mündung auf den Kopf seines Gegners. Ein satanisches Lachen verzerrte sein Gesicht.

Wollen Sie mich ermorden? sagte Buchholz. Es steht in Ihrer Macht. Lieber aber ein Gemordeter sein, als ein Mörder!

Nein, gemeiner Kerl, sprach der Oberst, der Du nicht verdienst den Rock eines Offiziers zu tragen, Du sollst anders behandelt werden.

Er warf das eine Pistol auf den Tisch, und zog aus der Terrine eine Peitsche hervor. –

Nimm das, nimm das! schrie er und mit voller Gewalt führte er zwei oder drei Hiebe gegen den Lieutenant, der im nächsten Augenblicke ihm die Peitsche entrissen hatte.

Fitz-Patrick sprang zurück und hielt ihm das Pistol vor, aber Buchholz machte keine Miene auf ihn einzudringen, denn mit den Schlägen, die er empfangen, wurden zugleich die Flügeltüren aufgerissen, welche in die Zimmer des Obersten führten, und mehr als ein Dutzend preußische Offiziere blickten auf den Gemißhandelten unter lautem Gelächter und Hurrageschrei.

Fort mit ihm! – Herunter mit dem Rock! – Gepeitscht! Gepeitscht! – Werft ihn hinaus! Die Thüre da auf! schrieen die wilden Junker, und die Thüren zum Vorflur wurden geöffnet. Soldaten, Bedienten und Weiber standen draußen. –

Man hat mich entehrt – absichtlich – vorbereitet! rief Buchholz bleich und heftig athmend. – Empörend – nichtswürdig ist dieser Ueberfall. Ich werfe die Schande auf die, welche einen schuldlosen Mann zu verderben sich verschworen haben.

Hohngelächter und neue Beschimpfungen waren die Antwort. – Hohngelächter schallte ihm nach, als er hinaus ging. Er taumelte über die Brücke an der Wache vorüber, die beisammen stand und ihn betrachtete. – Weiber schrieen hinter ihm her, als wollten sie die ganze Stadt aufwecken mit ihrer Neuigkeit. Es war dunkel vor seinen Augen; er sprang den jähsten Abhang hinunter und lief durch die Gärten hinter St. Severin. Vergebens suchte er Fassung zu gewinnen; mit jeder Minute wuchs die Gewißheit, daß er verloren sei. Angst, Verzweiflung, Entsetzen überwältigten jeden Versuch, sich vor sich selbst zu rechtfertigen; endlich setzte er sich in einem dichten Gebüsche nieder, um seine Lage zu bedenken; aber sein Gehirn brannte, wie mit Fieberfeuer gefüllt.

Zu ihr, zu Charlotten! rief er mit bebenden Lippen. Ich muß sie sehen. Mein Gott! was hab' ich gethan? Nichts Böses, nein! Ich bin derselbe, der ich war – ich habe mir keinen Vorwurf zu machen. Ich habe recht und vernünftig gehandelt, und dennoch, dennoch verdammt!

Eine Viertelstunde später erreichte er das graue Haus. Die Thür war verschlossen – er klingelte. – Nach einiger Zeit öffnete sich ein Fenster, und eine Magd sah heraus, die ihn spöttisch lächelnd ansah, mit einigen Worten ihm zurief, daß Niemand zu Haus sei, und das Fenster zuschlug.

Er taumelte die Stufen hinab, an der Ecke blickte er zurück. – Da stand Charlotte hinter dem halb geöffneten Vorhang. Ihre Augen waren roth geweint, ihre Hände umklammerten das weiße Taschentuch. Er hob den Arm zu ihr auf, es kam ihm vor, als wollte sie ihm ein Zeichen geben; plötzlich aber wurde sie zurückgezogen und statt ihrer sah das drohend finstere Gesicht ihres Bruders auf ihn nieder.

Buchholz ging weiter. Franz Baier lehnte an seiner Thür, aber er rief ihn nicht an, er hatte kein frohes Wort, keinen Trost, keinen Blick für ihn. – Einen Augenblick stand der Unglückliche still und sah bittend zu dem Jugendfreunde hin; doch Franz, der sonst für den Aermsten eine offene Hand und für Jeden Hülfe besaß, der sie haben wollte, trat einen Schritt zurück. –

Wärst ein Mann gewesen, rief er grollend, hätt'st gethan, was ich Dir gerathen hab'. – Schand' über Dich und geh Deinen Weg. Es ist aus mit uns, kein Mensch kann mehr mit Dir sein.

So wichen sie Alle vor ihm zurück, die arme Schwester allein blieb ihm treu. Drei Tage lang lag er hart nieder, weniger krank am Körper, wie erschlafft durch Schmerz, zerfallen mit den Menschen, irre geworden an sich selbst, ohne Muth, ohne Hoffnung und Vertrauen; Gram und Scham nagten an seinem Leben. Die arme Schwester wachte bei ihm, sie tröstete ihn, sie vertheidigte ihn; sie war die einzige letzte Freundin, die alle trostlosen Stunden mit ihm theilte ohne ihre Liebe würde er die Last seines Elends nicht ertragen haben.


12.

Eine Stunde hatte hingereicht, um alle die glänzenden Träume zu vernichten, welche Buchholz vom Glücke seines Lebens träumte, und schon am nächsten Morgen erhielt er ein Schreiben vom General Wartensleben, der ihm anzeigte, daß nach dem, was vorgefallen, er entweder, da sein Patent unterzeichnet und eingetroffen sei, sofort um seinen Abschied einkommen müsse, oder aber eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet werden solle, die seine Cassation zur Folge haben werde. In harten, bestimmten Ausdrücken sprach der alte General von dem schmachvollen Benehmen eines Offiziers, der niemals seine Ehre reinzuwaschen vermöge und der sich nicht bemühen solle, ihn mit einer Vorstellung zu behelligen.

Das aber war der härteste Leidensbecher nicht, den er zu leeren hatte. Nachdem er an Frau von Belling einen Brief gesandt, in welchem er der Wahrheit gemäß den beschimpfenden Vorfall erzählte und sie um Bewilligung einer Unterredung bat, erhielt er eine Antwort, die ihn weit tiefer demüthigte. – Eine Unterredung kann ja nichts nützen, stand darin. Sie werden einsehen, daß von einem befreundeten Verhältniß zwischen uns nicht mehr die Rede sein kann. Es erfolgt daher auch die Einlage an meine Tochter zurück, welche Sie ersuchen läßt, ihre Ruhe fernerhin nicht zu stören.

Ruhe vor dem Gebrandmarkten! stöhnte der junge Mann. Wo steht das Kainszeichen? Hier auf meiner Stirn! – Mein Gott! weil ich Deine Gebote ehrte, weil ich zurückbebte vor einer schlechten, gewaltthätigen, gesetzlosen Handlung, weil ich von einem Wüthenden mich nicht zwingen lassen wollte, mich oder ihn auf eine Schlachtbank zu werfen: darum verdammen sie mich, schaudern vor mir zurück, betrachten mich als einen Elenden, einen Verworfenen, stoßen mich als verpestet aus ihrer Gesellschaft, machen mich ehrlos – ehrlos! – sie, deren Ehre darin besteht, in sittenloser Rohheit es allen Anderen zuvorzuthun. Ich wollte es ihnen vergeben, murmelte er seufzend vor sich hin. Denn nach ihren Begriffen von Standesehre und ihrem Kastenwesen bin ich ein Verbrecher. – Wäre ich ein ehrlicher Kaufmann, ein Handwerker, ein Mensch, der Gesetze zu achten hat und dafür verachtet wird, sie würden es ganz in der Ordnung finden, daß ich nicht wie ein wildes Thier mich zerfleischen und tödten lassen will. Da ich Offizier bin, gehöre ich zu den Privilegirten, die verpflichtet sind, fortgesetzt im Zeitalter des Faustrechts zu leben, verpflichtet bei Strafe der Ehrlosigkeit jedem gemeinen Burschen ihr Leben vorzuwerfen, der wie ein Raubthier sie überfällt.

Mitten in diesen trübsinnigen Betrachtungen erhielt er ein Billet, das an ihn abgegeben worden war. Als er es öffnete, stand nichts darin, als die Worte: »Cäcilie reist morgen.«

In die Hölle! rief Buchholz, indem er den Zettel zerriß und von sich warf. – Er ging heftig auf und nieder, der bitterste Groll war in seiner Brust, und dennoch flüsterte eine Stimme in seinem Kopfe: Was sie gethan hat, weshalb geschah es denn? Weil sie dich liebt, weil sie dich retten wollte aus diesem Elend. Und hat sie nicht Recht behalten? Sind nicht Alle von mir gewichen, die mich Freund, Bruder, Geliebter nannten – nur sie allein reicht mir die Hand, sie allein liebt mich noch.

In Mitten eines heftigen Seelenkampfes suchte er nach Entschuldigungen für Cäcilien, denn er konnte nicht zweifeln, daß sie selbst jenen verhängnißvollen Brief in die Hände des Obersten gebracht habe; aber je mehr er darüber nachdachte, um so mehr empörten sich seine Empfindungen. Herzlos und eitel hatte sie ihn mit dem schändlichsten Mittel verrathen, um einen schrecklichen Triumph zu feiern. Er war mit einem einzigen Stoße aus allen seinen Himmeln geworfen, der Bau seines Glückes lag eingestürzt bis auf den letzten Stein.

Mit geballten Händen und heißen Augen stand er in der Mitte des dunkelnden Zimmers, als die Thür sich öffnete und Jemand leise hereintrat. –

Fort von hier! schrie er auf. Kein Wort! kein Laut! ich würde Dich erwürgen! Geh zu Deinem Helfershelfer, er kann Dich belohnen, wie Du es verdienst.

Bist ein Narr, Heinrich, antwortete die tiefe Stimme Franz Baier's. Ich bin kein Helfershelfer, sondern, will's Gott, ein Helfer und fürchte mich nit vor Dir.

Du bist es, Franz – Du bist es! murmelte Buchholz mit matter Stimme.

Und wer soll's sein? fragte Baier. O, ich merk's! Das schlimmste Weib, das da ist, die Hartenstein. – Die ist aber vor einer Stund' schon zum Thore hinaus, denn manche Leut' wollen's ihr eintränken und die Bellings haben sie aus dem Haus geworfen.

Er zog die Vorhänge auf, öffnete ein Fenster und setzte sich dann zu seinem Freunde nieder. – Laß etwas Luft und Licht herein, sagte er, Buchholz betrachtend. Siehst übel aus, Heinrich, bring' Dir aber einen Sack voll Neuigkeiten, die aufs Blut wirken.

Es ist aus mit Blut und Leben, murmelte der junge Mann vor sich hin.

Richt' Dich auf, rief Baier seine Hand fassend, wie ein ganzer Mann richt' Dich auf, und es ist nicht halb so schlimm mit Dir, wie es aussieht. Bist in die Falle gegangen, weil Du den Kopf verloren hast. Hab's Dir vorher gesagt, geh' weg, Du paßt nicht zu ihnen, zieh den Rock ab, geh' nit unter die Preußen. Straff Dich auf Deine eigenen Füß' und bück' Dich nit, dreh Dich nit, wirf den Kopf in den Nacken, wie ein freier Mann.

Ich weiß, fuhr er ruhiger fort, das verwetterte Weib hat es Dir auch gesagt, aber aus anderen Gründen wie ich. – Der Fitz-Patrick will zwar nicht angeben, wie der Brief in seine Hände gekommen ist, es haben ihn aber Viele gelesen, wissen was darin steht, und die alte Frau von Belling hat mir selbst erzählt, daß die Hartenstein ihr haarklein berichtet, wie sie mit Dir nach Weimar gefahren ist, was sich zugetragen hat, und was sie gesagt und geschrieben hat.

Frau von Belling! rief Buchholz.

Sie ist nicht halb mehr so bös auf Dich, fuhr Baier fort. Der Leopold ist zu dem Regiment zurück, will von der ganzen Geschicht nichts mehr hören. Die Charlotte ist krank – glaub nicht, daß sie sterben wird – denn in der ganzen Stadt weiß man jetzt, wie's oben im Commandantenhause zugegangen, wie es abgemacht gewesen, Dich zu überfallen, wie Du plötzlich die Schläge bekommen hast, und wie Alles berechnet worden ist von dem alten Donner, aus Eifersucht und Neid und, weil er gewiß war, Du würdest seine Pistole nicht annehmen. – Hätt'st Du's gethan, er hätt' wohl andere Saiten aufgezogen; wärst überhaupt ein richtiger Mann gewesen, wär's gar nit dazu gekommen. So wußt' er, wie Du's Duell als eine schlechte Sach' vor Gott und Menschen erklärt, und einen Abscheu davor hattest. – Hab' den auch, Heinrich, im tiefsten Herzen, und bin ein schlichter Bürger und Hausvater; aber in solchem Fall, dem bösen Kerl entgegen, hätt' ich gesagt: komm her, sollst mich nit unterkriegen; aber erst Zeugen herbei und nachgesehen, ob Alles mit rechten Dingen zugeht; denn Dir trau' ich nit, Hallunk!

Ich habe, erwiederte Buchholz, das Alles bedacht. Habe gesagt, gieb mir Zeit, meine Einrichtungen zu treffen, und hör' mich an, was ich zu sagen habe.

Es ist Alles bekannt geworden, fiel Franz Baier ein, und eben deswegen hat sich die Meinung über Dich geändert. Jetzt sagen die Meisten, der Buchholz hat Recht gethan, hat gehandelt wie ein vernünftiger Mensch, wollte nicht wie ein Vieh aus der Welt gehen, es war angelegt auf ihn – ich sage jedoch, Du hast Unrecht gethan.

Ja, Unrecht in allerlei Weis' rief er eifrig, denn wenn es Dein Wille war, und wenn Du den Muth in Deiner Brust trugst, daß es Sünd' und Schand' sei, sein Mordgewehr auf seinen Mitmenschen zu richten, dann mußtest Du mit den Schlägen um so stolzer Dein Gesicht zeigen. Mußtest nit hier sitzen in dem dunklen Zimmer in Scham und Gram, nit warten, bis sie Dir Rock und Degen abforderten, sondern ihn hinschicken und sagen: ich werf ein Kleid von mir, das mich zwingen soll ein Mörder zu sein. Mußtest hintreten voll Stolz vor Deine Mitbürger und sprechen: Seht her, wie es mir gegangen, seht hier das Zeichen an meiner Stirn, das ich mit Ehren trage, weil ich nicht freveln wollt' gegen Gottes Gebot.

Du hast Recht! – ganz und vollkommen Recht! rief der junge Mann sich aufrichtend.

Das ist vorbei, fuhr Franz kopfschüttelnd fort. Aber was duckst Dich hier in die Eck' und legst die Händ' in den Schooß? – Die Schläg' müssen jetzt herunter von Dir, müssen abgewaschen werden in Blut, wie die Junker sagen. Wasch' sie ab, Heinrich, mit einem Schwamm von Eisen und Stahl. Es bleibt kein Mittel sonst mehr für Dich, bist ruinirt für alle Zeit, oder blühst auf, wie ein Baum, unter dessen Wurzeln ein Grab liegt.

Schieß' den alten Donner nieder, sagte er mit zorniger Stimme, und hör', was ich Dir vertrauen will. Die Charlotte liebt Dich noch, sie liegt in ihrer Kammer und weint und seufzt; das ist der Mutter ins Herz gegangen. – Sie hat mich rufen lassen und hat mir gesagt: Daß Buchholz nicht mehr ein preußischer Offizier sein kann, ist freilich wahr; aber so viel ist gewiß, daß der rachsüchtige Oberst ihn um unsertwegen verfolgt hat. Wenn er seine Ehre herstellt, wie es sich geziemt, so soll er nicht über uns klagen. Charlotte hat Vermögen und vielleicht ist es recht gut, wenn ihr Mann den Soldatenstand aufgiebt. – Nun, Heinrich, wie gefällt Dir das? – Mach Dich an den langbeinigen Irländer. Morgen will er fort, ich meine nach Berlin. Laß ihn nicht aus dem gesegneten Erfurt, haben prächtige Kirchhöfe hier. – Mohren, Stern und Hagel! entweder ein Sarg oder eine Braut, das ist die einzige Wahl für Dich.

Buchholz saß mit gekreuzten Armen, den Kopf gesenkt, ernsthaft vor sich hin schauend.

Glaubst Du, sagte er vor sich hin sprechend, daß ich den Tod fürchte? Daß es mir an Muth fehlt?

Ich glaube nichts, erwiederte Baier aufstehend, aber ich habe gesprochen und gerathen, was mir Recht schien. Jetzt thue, was Du willst, aber mach's rasch und entschlossen ab, oder es kann keine Hand Dir mehr aufhelfen; auch Charlottens Hand kann's nicht.

Mit diesen Worten ging er, und nach einer Stunde schrieb Buchholz einen furzen Brief an den Obersten Fitz-Patrick. –

»Ich habe jetzt,« schrieb er, »alle meine irdischen Angelegenheiten in Ordnung gebracht und erwarte von Ihnen, daß Sie mir Rechenschaft geben für den nichtswürdigen Ueberfall, welchen Sie sich gegen meine Person erlaubt haben. Der Ueberbringer ist von mir beauftragt, die Mensur auf Tischweite oder über ein Schnupftuch, oder wie es sonst Ihnen beliebt, anzunehmen. Zu dieser Stunde, in dieser Nacht, an jedem Orte, spätestens morgen in der Frühe, bin ich bereit.«

Mit diesem Briefe suchte er einen seiner verabschiedeten Kameraden auf, der nach einiger Weigerung den Auftrag übernahm und Fitz-Patrick auf der Stelle aufsuchte, welcher sich in einer Offiziergesellschaft befand. – Nach kurzer Zeit kehrte er mit düsterem Gesicht zurück und warf den Brief auf den Tisch.

Was ist es? fragte Buchholz erbleichend.

Dein Brief in Stücke zerrissen, sagte der Andere. Ein allgemeines Hohngelächter, das auch mich traf, ist die Antwort. Der Oberst wird niemals einen Menschen, den er gepeitscht hat, anders bedienen, als immer wieder mit der Peitsche.

Und Du Du! stammelte der junge Mann.

Was kann ich thun? – Ich bin nicht im Stande noch etwas zu thun. Geh' fort von hier, – geh nach Amerika weit fort – ich weiß nichts weiter für Dich.

 

Am anderen Morgen verließ Buchholz seine Wohnung ziemlich früh. Er hatte sich sauber bürgerlich gekleidet, und allem Vermuthen nach schien er die Absicht zu haben, dem General Wartensleben einen Besuch zu machen, um diesem, seinem ehemaligen Gönner, eine offene Schilderung seiner Lage zu machen. Mancher sah ihm theilnehmend und mitleidig nach. Sein Gesicht, sonst so gut und freundlich, war blaß und tief leidend, die junge kräftige Gestalt niedergebeugt, die Augen fieberhaft entzündet. –

Plötzlich, gerade an der Ecke der Straße, wo diese auf den Domplatz mündete, sah Buchholz kaum zwanzig Schritte vor sich den Obersten Fitz-Patrick. – Er schien eilig zu sein, trug einen Mantel und eine Mütze, als sei er bereit abzureisen. – Als er Buchholz erkannte, wandte er sich um, als habe er die Absicht, ihm auszuweichen; nach einigen Augenblicken aber gab er dies auf und ging gerade auf den Gemißhandelten los, der stehen geblieben war und ihn erwartete.

Fitz-Patrick sah nach der anderen Seite, doch Buchholz vertrat ihm den Weg.

Herr Oberst, sagte er, ich habe ein Wort mit Ihnen zu sprechen.

Fitz-Patrick blickte ihn an und sagte kalt:

Ich nichts mit Ihnen; scheeren Sie sich fort.

Sie haben nichtswürdig an mir gehandelt, ich verlange Genugthuung.

Die Sie bekommen haben. Fort, aus dem Wege!

Sie sollen und müssen mir Genugthuung geben, rief Buchholz ihn anfassend. Ich lasse Sie nicht fort, aller Schimpf und alle Feigheit auf Sie!

Gemeiner Kerl, nimm das! schrie Fitz-Patrick, und Buchholz' Hand von seinem Mantel schleudernd, sprang er zurück und stieß mit dem Degen nach ihm.

Heimlich, als er Buchholz sah, hatte er die Klinge gezogen, aus Furcht, daß er angefallen werden möchte; und wahrscheinlich vermuthete er, daß der tödtlich beleidigte Mann nicht unbewaffnet sei.

Der meuchelmörderische Stoß war auf der Stelle entscheidend. Der Getroffene taumelte gegen die Mauer des nahen Hauses und glitt daran nieder. Seine Augen brachen schnell. Er drückte die Hand auf seine Brust:

O, Gott! arme Schwester! Charlotte! Das waren seine letzten Seufzer.

Mörder! schrie eine gellende Stimme; haltet den Mörder! – Mord! Mord! –

Fitz-Patrick sah sich wild um, er hielt den blutigen Degen noch in der Hand. Ein alter Jude mit einem Hackebrett lief hinter ihm her, und an dem Ecksteine, wo sein Opfer lag, kniete ein weinendes Mädchen, die ihre Zither von sich geworfen hatte, ihren Arm um den Kopf des sterbenden Mannes schlang und ihn aufzurichten suchte.

Unser Wohlthäter! unser Freund! weinte sie. O! Gott meiner Väter, laß ihn nicht sterben! – Ihr Engel des Lichts, haltet seine Seele fest, rettet ihn! rettet ihn!

Aber in dem Schooße der Jüdin verröchelte der Verlassene ohne Rettung, und hinter dem weichenden Obersten erhob der weißbärtige Vater immer lauter sein Geschrei. – Die Menschen stürzten aus den Häusern, in der nahen Hauptwache traten die Soldaten ins Gewehr, von seiner Thür herüber sprang Franz Baier, der Weinhändler, und seine hochgeschwungenen Arme gaben der ausbrechenden Volkswuth die Richtung.

Er hat den Buchholz ermordet! schrie Franz, der feige, nichtswürdige Schurke! Nieder mit ihm, schlagt ihn todt! Schlagt ihn todt den irländischen Hund!

Fitz-Patrick hätte sein Ende gefunden, wenn eine Abtheilung der Wache ihm nicht zur rechten Zeit beigesprungen wäre. Seinen Degen hatte Franz Baier ihm entrissen und zerbrochen. Andere wüthende Männer hatten ihn zu Boden geschlagen und stampften ihn unter Tritten und Stößen. – Sein Mantel und sein Rock flogen in Fetzen, Hut und Perücke wurden zermalmt.

Die Wache hob ihn auf und nahm ihn in die Mitte. Der wuthbrüllende Haufen raffte Steine auf, und mehr als einer traf den Verbrecher und die Soldaten, welche, so rasch sie konnten, der Wache zueilten, – Mit Blut bedeckt, entstellt, zertreten und halb bewußtlos wurde der Oberst auf das Offizierbett gelegt. Bald rasselte der Generalmarsch durch die Straßen. – General Wartensleben ließ die Garnison dichte Colonnen bilden, unter deren Schutz Oberst Fitz-Patrick auf die Citadelle gebracht wurde; aber er versprach der aufgebrachten Stadt die strengste Untersuchung, indem er zugleich mit den härtesten Strafen drohte, wenn Ruhe und Ordnung gestört werden sollten.

 

Am nächsten Morgen trat Franz Baier zu Frau und Kindern in die Wohnstube. Die Mutter mußte Trauriges erzählt haben, die Kinder weinten, der Frau hingen die Augen voll Thränen.

O, Gott! sagte sie ihren Mann anblickend, der sich schweigend zu ihnen gesetzt hatte, wie siehst Du aus, Franz! es geht Dir ans Leben. Wie ist's bei Bellings?

Sie haben das arme Kind hinaus auf das Gütchen gebracht, erwiederte er. Sterben wird's nicht davon, aber die Freud' ist für alle Zeit aus seinem jungen Herzen gerissen.

Und der Unmensch, der das Alles thun konnte, sagte die Frau weinend. Es ist ein Trost, daß er fest sitzt und der Blutrichter bei ihm steht.

Franz Baier drückte die Faust auf den Tisch, daß er bebte. –

Hast es noch nicht gehört, sprach er, was sie durch alle Gassen schreien? In der Nacht ist der Fitz-Patrick entsprungen, ist auf und davon.

Jesus Maria! schrie die Frau.

Entsprungen! rief Baier grimmig lachend, aber wir wissen's besser. Nachts um ein Uhr ist der junge Wartensleben gekommen, hat mit eigener Hand den Mörder aus dem Gefängniß auf der Wach' am Ausfallsthor gelassen. Mehrere Offiziere sind bei ihm gewesen, haben ihm eine Börse mit Gold gegeben, ihn auf ein Pferd gesetzt, und fort ist er geritten.

Und das leidet ihr? Das darf geschehen?! schrie die Frau roth vor Zorn.

Lieb' Dorel, sagte der kräftige Bürger, setzt Dich nieder und hör' zu. Es ist eine faule Sach' mit Recht und Gerechtigkeit auf Erden und wird's bleiben, so lange die Menschen ihr Recht nit in sich tragen. – Es wird lange dauern, ehe Gedanken in die Köpfe kommen; Gott im Himmel mags bessern! aber nach und nach wirds doch ein Ende nehmen mit Gewalt und Uebermuth. Dafür muß man die Kinder aufziehen, daß sie richtige Männer werden. Der Buchholz ist todt, den weckt Keiner mehr. Lang' wirds nicht dauern, so wird Gras auf dem Hügel wachsen, unter dem die traurige Geschicht liegt. Er ist der Erste auch nicht gewesen, und wird der Letzte nicht sein, der für die Sünden der Menschen sterben mußte. Aber für die Waisen laß uns sorgen, Frau, denen er Vater gewesen ist; das ist das Einzige noch, was wir für den armen Freund thun können. – Willst es thun, lieb Dorel?

Die Frau nickte ihm zu und mit Blicken der Liebe reichte sie ihm beide Hände.

 

So endete Heinrich Buchholz, der den Vorurtheilen seiner Zeit trotzen wollte und nicht der Mann dazu war. Seine Geschichte wurde schnell vergessen, denn die Zeit lief rasch. Drei Jahre später stürzte der Staat Friedrichs des Großen ein, und alle die glänzenden übermüthigen Junker wurden fortgefegt, sammt Zopf und Stock, ohne doch in ihrem Sarge Ruhe zu haben.

Charlotte Belling ist unvermählt gestorben. Vom Obersten Fitz-Patrick hat man nichts wieder gehört. – Zwölf Jahre später aber kam von Dublin ein Brief mit der Abschrift eines Testamentes, welches James Fitz-Patrick hinterlassen hatte, durch welches er die Schwesterkinder des ehemaligen kurmainzischen Lieutenant Buchholz zu Erben seines ganzen Vermögens einsetzte, das einige Tausend Pfund betrug. –



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