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10.

Am 26. April zogen die Szekler Husaren in Rastatt ein, ein ungarisches Regiment der prächtigsten Art. Ich stand mit Bertha am Fenster, neben uns befand sich Jean Debry, einige andere Herren plauderten mit dem Geheimrath; so blickten wir auf die Straße hinunter, die vom Schalle der Trompeten widerhallte. Es war ein lebensvoller, glänzender Anblick, diese wimmelnde Kette malerisch gekleideter Reiter, ihre blitzenden Spencer Eng anliegende, taillenkurze Jacke. und Dollmanns Dolman: an Brust und Ärmeln mit Schnüren und ›ungarischen Knoten‹ besetzte, eng anliegende Uniformjacke der Husaren., ihre Schnüre und Quasten, die flatternden blauen Säbeltaschen und die bunten Husarenmützen mit dem Troddelbeutel. Alle diese Männer waren kräftig und schlank, schwarzbärtig und slavisch starkknochig. Ihre Pferde mit krausen Mähnen und funkelnden Augen sahen so fremdartig und tückevoll aus, wie die Reiter. Von dem Riemzeug, das mit Schlangenköpfen besetzt war, schleuderten sie den Schaum nach allen Seiten und bäumten sich in den Reihen plötzlich auf, um die Vorsicht und Geschicklichkeit ihrer Reiter zu prüfen, welche bewunderungswerth war.

An der Spitze des Regiments ritt ein alter Offizier, Oberst Barbaczy, der die österreichische Vorhut befehligte. Er war ein echter Husarenoberst, mit verwettertem Gesicht, langem, eisgrauem Schnurrbart und blauen, hellen Augen. Sein Stab war um ihn her, ritterliche junge Offiziere auf herrlichen Rossen und so sauber geputzt und geschniegelt, als ginge es zu einem Balle. –

Als der Zug die Straße herunterkam, die Musik ertönte und alle Fenster sich mit Neugierigen füllten, hatten auch wir uns aufgestellt, in demselben Augenblick, wo im Hause des Grafen Lehrbach der Gesandte neben Frau von Garampi sichtbar wurde.

Ich hatte sie seit jenem Tage nicht mehr erblickt. Sie sollte erkrankt sein, sagte man mir; krank aus Verzweiflung über mich, wie de Bray spottete. Nur einige Male hatte ich ihre große Berline Zwei- oder viersitziger voll durchgefederter Reisewagen. Der Name beruht auf der Beliebtheit, die er in der zweiten Hälfte des 17. Jh. am Brandenburger Hof erlangte. fahren sehen, doch ganz verschlossen und verhängt, und mich verlangte wahrlich nicht danach in das Innere jenes mächtigen Sammetkastens zu schauen. Ich lebte so beglückt in Berthas Nähe, daß ich alles andere vergaß, was nicht dicht zu mir herantrat; denn meine ganze Zeit brachte ich jetzt in diesem Hause zu, so weit dies statthaft schien. Offen erklärt war unser Verhältniß noch nicht und sollte es auch in diesem Wirrwarr der Auflösung nicht sein. Wir wollten das Ende abwarten, dann sollte ich ihr nach München folgen, sobald ich meine Angelegenheiten geordnet hatte.

Man kann denken, wie sehr uns dies Alles beschäftigte; welcher Reiz und wie viele kleine Leiden darin lagen, vor den Allermeisten unser inniges Verständniß zu verbergen, wie aber dennoch sich die Schleier zuweilen verrückten, und welche schöne Minuten und Augenblicke uns Entschädigung gewährten. Jetzt erst lernte ich Bertha kennen; ihre liebenswürdige, kindliche Güte, die Reinheit ihrer Seele und die Wahrheit ihrer Empfindungen entzückten mich eben so sehr, wie ihr Muth, ihr schönes Zürnen gegen alles Schlechte und Ungerechte und ihr starkes Hoffen auf den Sieg des Guten mich erfreute.

Als ich mit ihr und Debry am Fenster stand und die Husaren gegen uns anzogen, sagte sie lächelnd:

Ich mag diesen Trompetenlärm nicht leiden. Diese scharfen, wilden Töne müssen rohe Naturen zu noch größerer Wildheit aufstacheln. Ich kann mir denken, wie unter solchem Geschmetter die Köpfe sich mit Mordgedanken füllen und alle Rachegeister aufwecken.

Indem sie dies sagte, blickte ich die Straße hinab und meine Augen hefteten sich auf Helene Garampi. Schwarz und groß stand sie hinter dem offenen Fenster, das beinahe bis zur Erde reichte und mir ihre ganze Gestalt zeigte. Sie schien im Reiseanzug zu sein, ihr Haupt bedeckte ein dunkler Federhut, aus dem das blasse Gesicht hervorschaute. So sah sie zu uns herüber und blieb eine Minute lang stehen, indem sie uns beobachtete und sich dann langsam den heranziehenden Husaren zuwandte.

Hoffentlich, sagte ich scherzend, sind dies nicht die Trompeten von Jericho, vor denen Wälle und Mauern stürzen. Selbst diese halbwilden Soldaten aus dem Szeklerlande wurden schon von der Cultur beleckt und sind bei Weitem nicht so schlimm, wie sie aussehen.

Die Husarencolonne war jetzt bis vor das Haus des Gesandten gelangt, Oberst Barbaczy grüßte verbindlich hinauf, und alle die glänzenden Offiziere um ihn beugten sich bis auf die Sattelknöpfe, indem sie zugleich ihre Säbel vor Frau von Garampi senkten, welche diese Huldigungen mit dem wehenden Taschentuche in ihrer Hand erwiederte; Graf Lehrbach steckte nebenan seinen Kürbiskopf so weit er konnte aus dem Fenster; der Rattenschwanz wackelte in merkwürdigen Windungen, und mit seinem unaufhörlichen Nicken und heftigen Hand- und Armbewegungen sah er so lächerlich aus, daß es fast unmöglich war, ihn ernsthaft anzusehen.

Selbst Jean Debry vermochte dies nicht; in dem Augenblick aber, wo er sein erheitertes Gesicht auf die Husaren wandte, bemerkte ich den Rittmeister von Burkard, der an der Spitze des ersten Zuges reitend zu uns heraufsah, dann sein Pferd spornte, bis er neben Barbaczy war, und mit diesem alten Soldaten redend sich halb zurückwandte, indem er mit dem Säbel auf uns deutete.

Barbaczy sah nun ebenfalls zu uns hin. Er strich seinen Bart, sprach heftig zu dem Offizier und drohte mit dem Finger; gleich darauf kehrte der Rittmeister um; statt aber seinen Platz wieder einzunehmen, sprengte er bis an unsere Thür, sprang ab und polterte die Treppe herauf.

Er kommt hierher, sagte ich.

Da ist er schon! antwortete Bertha, als die Thür geöffnet wurde.

Mit einem raschen Soldatengruße, die Mütze auf dem Kopfe, ging der Rittmeister gerade auf den französischen Gesandten los. Sie sind Herr Jean Debry? fragte er. Ich habe einen Auftrag des Obersten von Barbaczy auszurichten.

Was wünschen Sie, mein Herr? fragte Debry französisch. .

Ich verstehe kein Wälsch, antwortete der Rittmeister rauh. Wollen Sie dem Herrn deutlich machen, was ich ihm zu sagen habe? fuhr er fort, indem er sich an mich wandte. – Oberst Barbaczy verlangt, daß die drei Gesandten noch heut Rastatt verlassen; was sie längst hätten thun sollen, da sie hier nichts mehr zu schaffen haben.

Wir werden uns entfernen, sobald wir dazu die Befehle unserer Regierung empfangen haben, erwiederte Debry.

Hier hat kein Anderer zu befehlen, als der Commandant der Vorhut! rief der Rittmeister, indem er seinen Säbel aufstieß, der dabei ein Stück aus der Scheide fuhr; Oberst Barbaczy befiehlt Ihnen zu gehen, da es noch Zeit ist. Thun Sie es nicht, so schreiben Sie sich alle Folgen selbst zu; der Commandant kündigt Ihnen hiermit alle Sicherheit und alle Ansprüche daran auf, welche Sie in Ihrer Eigenschaft als Gesandter bisher zu machen hatten.

Damit verließ er das Zimmer, in welchem wir ziemlich bestürzt zurückblieben.

Es wird in der That nichts übrig bleiben als Abschied zu nehmen, sagte Debry lächelnd. Sie künden uns die Sicherheit auf, um so mehr müssen wir dafür Sorge tragen.

Was haben Sie zu fürchten, wenn Sie bleiben? fragte ich. Bei aller Roheit dieser Soldaten verbürgt dennoch deren Ehre Ihre Sicherheit, welche niemals aufgekündigt werden kann.

Alle Anwesenden stimmten mir bei, alle waren jedoch auch überzeugt, daß die französischen Gesandten nichts mehr in Rastatt zu thun hätten. Der Congreß war aufgelöst, der kaiserliche Plenipotentiarius fort, die übrigen Excellenzen zum Theil ebenfalls schon nach Haus, zum Theil in der Abreise begriffen. Mit den Reichsständen weiter zu unterhandeln, nachdem der Kaiser nicht mehr unterhandeln wollte, war unmöglich; Preußen weigerte sich dessen, Niemand hatte Lust dazu, und rund umher lagerte die siegreiche österreichische Armee. Die französischen Gesandten konnten daher nichts Besseres thun, als den Ort verlassen, was Debry auch seit einer Woche schon wollte, während seine Collegen noch immer zögerten.

Nach einer langen Berathung, welche jetzt in Debrys Wohnung stattfand, an welcher auch die Gesandten der ligurischen Republik und die Mailänder und Holländer Theil nahmen, wurde beschlossen, daß sie sämmtlich am Abend sich auf den Weg nach Straßburg machen sollten. Der General Secretair Rosenberg ließ die Pässe unterzeichnen, theilnehmend halfen wir dem Freunde Bücher und Gepäck ordnen, und schon dunkelte es, als ich mich entfernte, um in meine Wohnung zu gehen.

Die Straße war öde geworden, Rastatt hatte sich überhaupt verändert. Alle die Rettungsengel Deutschlands, welche hier beisammen gesessen, waren zerstiebt; einer derselben, Graf Stadion, strich flüchtig an mir vorüber und bot mir seinen letzten Gruß.

Er war erregt wie immer, voll fantastischer Hoffnungen und hochfliegender Träume. Ich begleitete ihn einige Schritte, bis vor Lehrbach Haus, dessen Fenster im ersten Stockwerk hell erleuchtet waren. Unten stand die Einfahrt geöffnet, Diener liefen mit Koffern und Lichtern umher, mehrere Reisewagen wurden gepackt.

Zeit gewonnen Alles gewonnen, sagte Graf Stadion; glauben Sie mir, es kann nicht lange mehr dauern, daß Menschen wie dieser Thugut und seine Gehülfen in Wien geduldet werden. Der Erzherzog Karl ist ein deutschgesinnter Fürst. Sobald er fertig ist mit diesen Franzosen, wird er der Wirthschaft in Wien ein Ende machen. Die Russen siegen in Italien, die Deutschen dringen nach Paris vor. Deutschland wird wieder werden was es war. Alle Deutschen müssen sich jetzt um ihren Kaiser sammeln. Der deutsche Adel muß ihm zur Seite stehen, dann werden die großen schönen Zeiten des Reichs auch wiederkehren; wir werden noch einmal Herrliches erleben!

Und Sie glauben, daß die Geistlichkeit nicht ihrer Güter beraubt, daß der reichsfreie Adel, die reichsfreien Städte fortbestehen werden?

Wir werden unsere Freiheiten und unsere Rechte künftig besser schützen, wie es jetzt der Fall gewesen! rief er. Nur festes Vertrauen zu dem Kaiser, nur Gezücht wie dieser Lehrbach erst beseitigt. Der Erzherzog Johann, die Kaiserin, die Besten und Ersten sind für uns. Mein Bruder geht nach Wien, ich werde ihm nachfolgen. Der Adel muß dem Kaiser zeigen, daß des Reiches Kraft noch in ihm ist; er muß die Reichsfahne ihm vortragen, wie einst vor Friedrich Barbarossa.

Mit solchen Träumen schied er von mir, um, wie sein Bruder, noch jung in Gram um unerfüllte Einbildungen als letzter Reichsritter zu sterben.

Wehmüthig blickte ich ihm nach und setzte meinen Weg fort, als ich meinen Namen hinter mir nennen hörte. Aus Graf Lehrbachs Hotel kam der Rittmeister Burkard in lustiger Laune und hielt mich an. Seine Husarenmütze saß ihm schief auf einem Ohr, den Säbel trug er unter dem Arm, und sein Gesicht sah ungemein erhitzt und roth aus.

Gut, daß ich Sie antreffe, sagte er mit schwerer Stimme und lachend, ich muß endlich meine Schuld bezahlen. Wissen Sie damals im Kaffeehause, wo Sie mir zehn Karolin liehen. – Auf Ehre! es war wie ein Edelmann gehandelt! – Ich riß den Franzosen mein Geld damit aus den Zähnen, Gott verdamme alle diese wälschen Schufte! Hier, da nehmen Sie – er zog eine gefüllte Börse aus seiner Tasche und zählte die Goldstücke ab, – so! und wenn ich jemals wieder dienen kann, soll's mit Vergnügen geschehen. Eh, warum waren Sie nicht bei dem Grafen Lehrbach?

Er reist heut noch ab? fragte ich statt der Antwort.

Weiß es nicht! rief er mich anstierend, Frau von Garampi reist. Ein göttliches Weib, mit nichts zu vergleichen! Wir haben vortrefflich gespeist, und noch besser getrunken! Aber es ist ein Engel an Liebenswürdigkeit und dabei ein echt kaiserlich Herz, daß man niederknieen möchte davor. Voller Ehre für das Vaterland, das alle seine Feinde zerschmettern möchte!

Hoffentlich wird das Ihre Sache sein, mein tapferer Rittmeister, erwiederte ich.

Meine Sache! hoho! meiner Treu, Sie haben Recht! Meine Sache muß es sein, die Feinde meines Kaisers zu zermalmen, wo ich sie finde. – Morgen gehen wir über den Rhein; zum Teufel mit allen Franzosen! Machen Sie, daß Sie aus diesem vermaledeiten Neste fortkommen, und Glück auf Ihren Weg, mögen wir uns wieder finden oder nicht!

Damit schüttelte er meine Hand, und seine Schritte waren nicht ganz sicher, als er mich an meiner Thür verließ, wo ebenfalls einige Wagen hielten, welche Abreisende erwarteten. Gerade als ich eintrat, schlüpfte Mademoiselle Hyacinthe heraus, in einem Arm ihren Bologneser Spitz, im anderen eine große Schachtel voll Bonbons, Blumen, Kuchen, Schleier, Fächer, Tücher und verschiedenartiger Dinge. Ich half ihr in den Wagen. Sie war dankbar.

Wo ist Graf Cobenzl? fragte ich.

Fort, erwiederte sie, heut Mittag ist er abgefahren.

Er hat Sie verlassen?

Er geht nach Petersburg zurück, sagte sie lachend; es war Zeit, ich liebe die Kälte nicht. Fahren Sie mit mir nach Straßburg; ich bleibe acht Tage dort, die ich Ihnen widmen will; dann gehe ich nach Paris.

Ich sagte ihr tausend Dank für ihre Güte, warf den Spitz auf meinen Platz und schlug den Schlag zu.

Adieu denn, Undankbarer! rief sie mir nach, auf Wiedersehen bei dem nächsten Congreß dieses glorreichen deutschen Volks!

Verspottet sogar von dieser Hetäre! murmelte ich indem ich die Treppe hinaufsprang.

Doch viel fehlte nicht, so hätte ich auf der obersten Stufe den würdigen Samhaber zu Boden gerannt, welcher soeben, beladen wie ein Kameel der Wüste, mir entgegen kam. Auch er war reisefertig, im großen Klappenrock, Hut und Perrücke, aber welch ein Unterschied bildete seine Bürde gegen Mademoiselle Hyacinthe's leichtfertiges Gepäck! Unter seiner linken Achsel hielt der gelehrte Professor einen ungeheuren rothen Regenschirm eingeklemmt, statt des Blumenkorbs umklammerte seine Hand einige verräucherte Bücher in Pergamentband, und im rechten Arme trug er, zärtlicher wie die Schauspielerin ihr Bologneser Hündchen, das berüchtigte große Faß, in welchem das göttliche Arkanum enthalten war.

Theuerster Professor! rief ich nach den ersten Entschuldigungen, so sollen auch wir uns trennen?

In Gottes Namen! antwortete er. Ich kehre freudig zurück in meine Zelle. Das Werk des Bösen ist nicht gelungen, die Tempel Gottes sind nicht geschändet worden!

Dank ihnen! Dank Ihren weisheitträufelnden Reichsdeputationsgutachten, Dank Ihren tiefsinnigen Promemorias!

Er lächelte voll Selbstbewußtsein und nickte mir würdevoll zu. Sie sind ein junger Herr von Einsicht, sagte er, ich werde mich Ihrer immer mit Freuden erinnern, und sintemal ich in diesem unscheinbaren Behälter noch eine Quantität des edlen Stoffes bewahre, mit welchem allein die Barbarei bezwungen und das deutsche Vaterland errettet werden kann, so nehmen Sie diese von mir als ein Zeichen meiner Verehrung an.

Er machte in Wahrheit eine Bewegung, mir das schreckliche Faß zu überantworten, aber ich wehrte es mit Heldenmuth ab.

Unmöglich! rief ich, das wäre zu viel der Güte! Nein, edler und gelehrter Mann, niemals darf ich Sie Ihres Geistes berauben. Was sollte aus Deutschland werden ohne den großen Samhaber und sein Faß?! Eilen Sie, reisen Sie, sitzen Sie und schreiben Sie unermüdlich, denn wenn es Einem gelingen kann, die schöne alte Zeit längstvergangener Jahrhunderte zurückzuführen, so sind Sie es!

O! mein bester, vortrefflicher Herr! erwiederte Samhaber tief gerührt, wie soll ich diese Ihre hohe Meinung jemals verdienen!

Gehen Sie, Theuerster, erweichen Sie mich nicht zu Thränen, sagte ich ebenfalls gerührt. Der Himmel sei mit Ihnen und allen Ihren Werken! Die Unsterblichkeit derselben wird Ihre eigene Unsterblichkeit sichern.

So schied ich von Samhaber, nachdem er bis an die Treppenstufen rückwärts schreitend sich mehrmals verbeugt, während ich vorschreitend im gleichen Tempo dasselbe gethan; er einen letzten Versuch gemacht hatte, mir trotz des Nektarfasses und der Folianten die Hand zu drücken, ich ihm dafür das nöthige Gleichgewicht zurückgegeben, ohne welches er die Treppe hinabgestürzt sein würde.

Endlich war ich ihn los und lief nun lachend in mein Zimmer, allein hier wurde mein Gelächter von einem anderen Gelächter erwiedert, mit welchem mich der Chevalier, oder der jetzige Geheime-Legationsrath de Bray empfing, der auf dem Sopha saß und die Füße kreuzte.

Ich habe Sie hier erwartet, theurer Freund, sagte er, weil ich in wenigen Stunden nach München fahre und Sie doch noch vorher sehen und sprechen möchte.

Auf meinem Tische lag ein amtliches Schreiben, nach welchem ich mechanisch griff, während er sprach. –

Lesen Sie zunächst, wenn es Ihnen beliebt, sagte de Bray, vielleicht unterstützt der Inhalt mich bei meinen Abschiedswünschen.

Ich brach den Brief auf, er war aus dem Cabinet des Grafen Haugwitz; der Minister zeigte mir ganz kurz an, daß ich hiermit einen Urlaub auf unbestimmte Zeit zur Herstellung meiner Gesundheit empfinge.

Man schickt mich auf Reisen, sagte ich das Papier fortschleudernd, und wahrlich ich bin nicht böse darüber.

Was wollen Sie thun? fragte de Bray, doch nicht etwa ein achtbarer Hausvater auf irgend einer Scholle werden?

Mir scheint dies wirklich beinahe das einzige Nützliche, was wir Alle thun sollten, antwortete ich ihm, um die Menschheit von ihren Drohnen zu befreien.

Was sagen Sie da! rief er spottend, die Drohnen im Bienenstock sind so nothwendig, daß der Staat ohne sie unmöglich wäre. Aber lassen Sie uns ernsthaft bleiben. Man weist Ihnen die Thür, Sie wollen gehen, ich finde dies eben so richtig wie gerechtfertigt. Allein wohin wollen Sie? Geben Sie Acht auf Ihren Weg, mein Freund, wie Herkules haben Sie zu wählen.

Er drückte meine Hände und hielt sie fest.

Hören Sie mich ruhig an, fuhr er fort. – Sie haben meine Absichten und Pläne durchkreuzt, Sie wissen, daß ich mich darein zu fügen wußte, wie jeder Mensch von Einsicht sich den Thatsachen fügen soll.

Ich habe Ihnen Alles offen mitgetheilt, antwortete ich ihm. Sie dürfen nicht weiter zürnen, de Bray!

Zürnen! lachte er, warum sollte ich zürnen? Ich sagte Ihnen, daß ich mich vollständig sicher gestellt habe. Montgelas wird eine andere Partie für mich suchen und ich sage Ihnen im Vertrauen, das Vermögen des Fräulein von Hochhausen hat bedeutend gelitten und wird noch mehr leiden, und da Sie ebenfalls nicht mit großen Glückgütern gesegnet sind, so scheint es mir auch von dieser Seite gerechtfertigt, wenn Sie im Dienste eines Staates bleiben.

Ihr Rath hat Vieles für sich, antwortete ich. – Welch Glück reich zu sein!

Sie haben dies Glück verschmäht, flüsterte er mich ans Ohr fassend, Sie haben Reichthum, Macht, eine große Zukunft von sich gestoßen! – Denken wir nicht mehr daran, nehmen wir die Sachen auf wie sie liegen, aber halten wir jetzt das Gewisse fest ohne uns weiter in Ungewisses zu verlieren.

Ich reise heut Abend um zehn Uhr nach München. Begleiten Sie mich; mein Wort darauf, Graf Montgelas wird Sie nicht wieder fortlassen. Sie haben das Größere aus Gewissensscrupeln und Ihrer Herzensgefühle wegen verworfen, wohlan denn, Ihr Herz ist befriedigt und Ihr Gewissen wird sich nicht empören können, wenn Sie in die Dienste des Kurfürsten treten. Graf Montgelas ist ein Mann der neuen Zeit, der Kurfürst den liberalen Ideen zugänglicher, wie irgend ein deutscher Herr und – mit Frankreich muß er gehen! Baiern ist ein Staat der Zukunft, schließen Sie sich ihm an, helfen Sie zu seiner Größe, er wird dankbar dafür sein. Mögen Idealisten wie Jean Debry am Herde unter dem Birnbaum sitzen und es für das höchste Glück erklären, mit den Heimchen dort um die Wette zu singen und zu lieben; Sie würden solche idyllische Gemüthlichkeit bald bis zum Ekel langweilig finden und darüber zu Grunde gehen.

Es kam mir vieles wahr vor was er sagte, ich blieb nachdenkend sitzen. – Packen Sie rasch zusammen, fuhr er fort, nehmen Sie Abschied von der schönen Braut und folgen Sie mir diesmal, sie wird Ihnen später diese rasche Trennung danken. Punkt zehn Uhr soll mein Wagen vor Ihrer Thür sein. Wollen Sie?

Ich schlug ein und wir umarmten uns, denn ich war gerührt über seine Freundschaft, welche ich, wie ich ihm aufrichtig gestand, gar nicht in solchem Maße verdient hätte.

Weil ich Sie achte, sagte er, weil Sie Geist und Kenntnisse besitzen, die Besseres werth sind, als in einem Winkel, in einem Weiberschooß zu vermodern, und weil ich nicht dulden will, daß Sie unglücklich werden, darum sollen Sie auf der Höhe des menschlichen Daseins bleiben, die träge, trübe Masse ordnen und treiben helfen, zu den Regierern gehören, um nicht unter die Füße der Regierten zu gerathen. Um zehn Uhr also! Ehe wir München erreichen, sollen Sie von allen tugendhaften und romantischen Grillen geheilt sein.

Als er mich verlassen hatte, räumte ich, was ich besaß, zusammen und füllte meine Koffer damit, so schnell ich konnte. De Brays Rath war verständig, seine Anerbietungen von Werth, ich zweifelte nicht daran, daß sie ernstlich gemeint waren, und daß er ohne alle Eifersucht mir dienen wollte. Mochte er einige geheime eitle Nebenabsichten hegen, vielleicht die, daß Bertha, welche ihn verschmähte, seinen Glanz bewundern, oder er im schönsten Lichte der Großmuth sich zeigen konnte, ich glaubte, daß ich ihm folgen müsse, und als ich fertig mit meiner Arbeit war, hörte ich mit Freuden die Stadtuhr achtmal schlagen. In zwei Stunden fort nach München! Ich eilte, um diese letzten Stunden zu benutzen, mein Kopf war voll Hoffnungen, voll Zukunftsträume.

Bertha kam mir entgegen, als ich zu ihr hereintrat. Am Tische saß Debry in seinen Reisekleidern und der Geheimrath neben ihm hob sein gefülltes Glas auf und rief mir zu:

Da kommt er endlich, um den Abschiedstrunk mit uns zu halten. Zeigen Sie uns zum letzten Male ein frohes Gesicht, Debry, und segnen wir diesen Congreß, der uns sämmtlich hier zusammenbrachte. Was können wir dafür, daß er ein klägliches Ende genommen hat! Sorgen wir, damit wir selbst kein solches nehmen, und dazu ist vor allen Dingen ein Glas voll guten Weins nöthig.

Sorgen wir dafür, daß es uns wohl gehe auf Erden! fiel ich fröhlich ein.

Und daß das Himmelreich zu uns komme! fügte der alte Herr hinzu, als er bemerkte, daß ich Berthas Hand festhielt.

Es muß Ihnen etwas sehr Gutes begegnet sein, sagte sie in mein erregtes Gesicht blickend.

So ist es auch, antwortete ich; ich habe so eben meine Entlassung oder einen ewigen Urlaub erhalten. Ich bin frei!

Wirklich! rief der Geheimrath aufspringend und mich nach seiner Gewohnheit an einem Knopf fassend. Es ist ein Glücksmensch! es macht sich alles, wie er es haben will. Eben sitzen wir hier beisammen und denken nach, wie wir's halten könnten mit ihm, wenn er ein freier Mann wäre, und kaum haben wir's gedacht, so ist er frei und die Sache kann losgehen.

Was kann losgehen?

Das Heirathen! schrie er mich schüttelnd. Die Hochzeit kann morgen am Tage sein.

Ich sah ihn verwirrt an, dann Bertha, die so lieblich lächelte und die Augen niederschlug, daß ich noch mehr dadurch verwirrt wurde, doch Debry kam mir zur Hülfe.

Was Sie hören, ist Wahrheit, sagte er, und da Sie unerwartet von Ihren bisherigen Pflichten befreit wurden, stehen Sie dicht an der Erfüllung Ihrer Wünsche. Herr von Wochardi bewilligt Ihnen die Hand seiner Nichte, noch hier in Rastatt können Sie das Bündniß schließen, dann ziehen Sie mit Ihrer jungen Frau nach Speier, weil deren Güter während der jetzigen Kriegsverwirrung der Aufsicht und Verwaltung bedürfen. Wie glücklich sind Sie, mein Freund, und wie sehr freue ich mich Ihres Glücks!

Mir schwindelte der Kopf. Mit einem Schlage war Alles vernichtet, was de Bray darin aufgebaut. Statt in die Hofburg nach München, sollte ich jetzt in eines der alten Giebelhäuser von Speier ziehen, statt der glänzenden Träume vom Leben mit Fürsten und deren Genossen, sollte meine vielleicht einzige Gesellschaft das lächelnde Mädchen sein, das neben mir stand und mich anblickte, als wollte sie mir Muth dazu machen. Und welche Arbeiten erwarteten mich! Das ganze mühevolle Dasein eines Mannes, der in des Tages Last und Hitze hart werden soll, trat mich schreckend an.

Ich wagte nichts von dem Chevalier und unseren Plänen zu sagen, aber ich sagte stockend:

Wir müssen das wohl bedenken und überlegen, ob in dieser Zeit ein so abgeschiedenes Leben zu führen, für uns Beide gutgethan wäre.

Ein abgeschiedenes Leben führt man niemals, wenn man mit der Frau lebt, die man liebt, sagte Debry.

Aber in dieser Zeit der Stürme, fiel ich ein, ist es, wie mich dünkt, eines Mannes würdiger, auf der Höhe des Lebens zu stehen, Theil zu nehmen an den großen Bewegungen der Völker, und zu deren Führern zu gehören, als in einem Weinberge zu sitzen und Reben anzubinden.

Debry betrachtete mich strenge. –

Zu den Führern zu gehören! sagte er, das klingt freilich verlockend genug, allein die Führer der Völker haben immer zum Volke gehört, bei dem Volke gewohnt, das Volk kennen gelernt und sich nicht geschämt, wie jener berühmte Cincinnatus hinter ihrem Pfluge hervor an die Spitze des Volkes geholt zu werden.

Man muß billig sein, man muß nicht übertreiben! rief ich aus. Wir leben nicht mehr in rohen Zeiten; die Diener der Fürsten sind zugleich Diener des Volkes.

Eh, Bertha! fiel der Geheimrath lachend ein, ich glaube, er hat nicht Lust mit Dir in Deiner Mutter Weinberg auf der Haardt zu wohnen, obgleich der allerbeste Wein dort wächst.

Er hat mir gesagt, daß er mich liebt, erwiederte meine treue Freundin, und daß er zu seinem Volke stehen will; darauf will ich fest bauen, mag geschehen, was er für gut hält.

Jetzt rollten Wagen unten auf der Straße und hielten vor dem Hause; ich konnte nur Bertha danken und ihr leise sagen, daß ich sogleich mit ihr und dem Geheimrath weiter über diese wichtige Sache reden würde, als die Herren Bonnier und Roberjot hereintraten, gefolgt und begleitet von einem Dutzend anderer Personen, die alle Abschied nehmen wollten.

Es wurde der Vorschlag gemacht, die scheidenden Gesandten bis ans nahe Thor zu begleiten, und von allen Seiten angenommen. Der Abend war schön, aber sehr dunkel; denn der Himmel war bedeckt. Frühlingsluft wehte, Debry legte seinen Arm in den meinen; wir gingen voraus, er nahm einen fast zärtlichen Abschied.

Ich kann mir denken, daß jetzt in Ihrer Brust zwei Mächte sich bekämpfen, mein armer Freund, sagte er. Der Ehrgeiz zeigt Ihnen noch immer Ruhm und Größe in der Ferne, in Ihrer Nähe aber zeigt die Liebe Ihnen ein dunkles Loos, einen engen Herd, ein stilles Leben. Wehren Sie den Trug von sich ab, nehmen Sie das Schönste und Edelste, was ein Mensch vom Schicksal erhalten kann, nehmen Sie das Herz auf, das Sie gefunden haben und das mehr werth ist, als was alle Könige der Erde Ihnen geben könnten. Gehen Sie nicht von ihr, um Fantomen nachzujagen. Sie können es nicht, Sie dürfen es nicht!

Warum nicht? fragte ich hart.

Er fragt warum, murmelte er, und er sagt, daß er sie liebt!

Bertha selbst soll darüber entscheiden, sagte ich mit meinem Unmuth kämpfend.

Wir gingen schweigend weiter, endlich drückte er mir die Hand und wandte sich zu seinen Gefährten zurück; die Wagen hielten am Thore und beim Schein einer Laterne, die der alte Diener des Geheimraths mitgenommen, stiegen die Gesandten ein.

Debrys Wagen war der erste. Er umarmte den Geheimrath, doch als er Bertha auf die Stirn küssen wollte, bot diese ihm den Mund, und ich glaube ihre Hände, die auf seinen Armen ruhten, zitterten heftig. Dann wurde der Schlag zugeschlagen und ein letztes Lebewohl vermischte sich mit dem Rollen der Räder und dem Stampfen der Rosse. Die beiden andern Wagen folgten schnell und flogen an uns vorüber, die letzten Abschiedsgrüße verhallten, wir schauten lautlos einige Minuten lang hinter ihnen her, jeder in Erinnerungen versunken, die ihre himmlischen Flügel ausspannten und unsere Seelen mit ihren Schmerzen und Hoffnungen den Freunden nachtrugen. –

Es war kein Mensch auf der Straße zu sehen und zu hören; außerhalb der Stadt tiefe, schweigende Dunkelheit, innerhalb nur da und dort ein Lichtschimmer aus einem Fenster. Der Weg, der sich in Nacht verlor, war mit starken Bäumen besetzt, in deren meist noch kahlen Zweigen der Wind rauschte. Plötzlich war es uns, als ob der Boden dröhnte, es kam mir vor, als ob in einiger Entfernung eine Anzahl Pferde im vollen Galopp über den festen Damm jagten, und der Wind brachte einen Ton wie Waffengeklirr mit.

Was war das?! – Wir standen Alle und horchten. Ein dumpfes Geschrei ließ sich hören, verworrene Stimmen, ein gellender schnell erstickter Ruf, der wie ein Ruf nach Hülfe klang. – Die Wagen konnten noch nicht weit sein. War etwas an ihnen gebrochen, irgend ein Unfall vorgekommen? Es vergingen noch einige Minuten, während wir in die Ferne forschend uns mit Erklärungen trösteten, bis das Geräusch sich nochmals hören ließ, das, wie wir meinten, rasch laufende Pferde verursachten.

Da fahren sie schon weiter! rief der Geheimrath aus, und, wie es mir scheint, mit vermehrter Geschwindigkeit.

Es kommt Jemand von dorther, sagte Bertha, er wird uns Aufschluß geben können.

Der alte Peter hielt seine Laterne so hoch er konnte, um deren Lichtkreis zu erweitern. Die Umrisse einer menschlichen Gestalt wurden sichtbar, ein hoher dunkler Schatten, der hin und her schwankte. Jetzt erkannte ich einen Kopf ohne Hut mit lang herunterfallendem verwirrten Haar, und die Laterne ergreifend eilte ich auf ihn zu und schrie voll Entsetzen auf:

Debry! Großer Gott! was ist geschehen?

Jean Debry strich das blutige Haar von seinem Gesicht, das mit Blutstreifen ganz bedeckt, grauenhaft bleich und entsetzlich aussah. Blut floß von seinem Hinterkopf, von Hals und Arm, doch seine Stimme war fest und klar. Er hielt sich ohne Schwanken auf seinen Beinen, als ich ihn unterstützte, und seine ersten Worte waren:

Da sehen Sie, wie mich die treuen Diener des Kaisers, die auch die Diener des Volkes sind, zugerichtet haben!

Fragen und Geschrei bestürmten ihn, und eben rasselte ein Wagen aus der Stadt mit vier Postpferden bespannt. Auf dem Bock saßen zwei Diener, die brennende Fackeln trugen, welche, als sie an uns vorüberrollten, ein helles Licht verbreiteten. Die Fenster der großen Batarde Mischung von zwei Kutschengrundtypen, dem offenen und dem steifgedeckten Wagen. standen auf, Julie Garampi lehnte sich heraus, wenige Schritte ihr gegenüber erblickte sie die blutige, entstellte Gestalt des Gesandten und ich sah, wie sie einen langen stieren Blick auf ihn warf, wie etwas, das einem Lachen glich, über ihr Gesicht zuckte und wie sie langsam in die Kissen zurückfiel. Der Wagen entfernte sich ohne Aufenthalt, aber er fuhr die Straße, welche nach Karlsruhe führte, und ließ uns, die wir den wunden Freund umringten, in Dunkelheit und Schrecken zurück.

Noch wußten wir nicht, was geschehen war, in Mitten der verwirrten Ausrufungen hatte Debry nur eine ungenügende Antwort ertheilt, welche darin bestand, daß er die Laterne ergriff und uns aufforderte ihm zu folgen:

Laßt uns ihnen Hülfe leisten, rief er, vielleicht ist es möglich, daß wir sie retten!

Er schwankte jedoch bei den ersten Schritten und verlor so viel Blut, daß er unmöglich weiter konnte. Bertha unterstützte mich, wir hielten ihn beide zurück. Inzwischen kamen noch einige Leute und der Wagen, in welchem die ligurische Gesandtschaft, die Herrn Boccardi, sich befanden.

Schafft einen Arzt herbei! rief ich, Debry ist schwer verwundet. Es muß ein Verbrechen an den Gesandten verübt worden sein!

Wir wurden überfallen, erwiederte er, mein Wagen aufgerissen, ich niedergestoßen!

Wer hat die Schandthat verübt?

Eine Räuberbande, sagte er, die ihr Handwerk in der Finsterniß abthat. Soldaten in weißen Kitteln und Jacken.

Szekler Husaren!

Eilen Sie, vielleicht leben meine unglücklichen Collegen noch, antwortete Debry, aber ach! ich fürchte, die Mörder haben sie besser getroffen, wie mich.

Ohne längeres Verweilen eilten wir den Weg hinab, während Debry in den Wagen der ligurischen Gesandtschaft gesetzt und nach Rastatt zurückgebracht wurde; Bertha und ihr Oheim begleiteten ihn.

Wir Anderen hatten nicht weit zu gehen, um an den Ort des Schreckens zu gelangen. Wenige Hundert Schritte vom Thor war die verruchte That vollbracht worden, welche uns so unglaublich und unerhört schien, daß wir sie in ihrer ganzen Schrecklichkeit noch immer bezweifelten.

Allein noch waren wir nicht auf dem Platze, als ein Mann ganz verwildert und verstört uns entgegensprang, in dem wir den General-Secretair der französischen Gesandtschaft erkannten. Er war so erfüllt von Entsetzen, daß er nur unverständliche Töne hervorbrachte; später ergab sich, daß er sich rettete, indem er zunächst unter den Wagen kroch, in welchem er saß und dann querfeld ein davon rannte, bis er uns hörte und unsere Laterne sah.

Wir hielten uns nicht lange bei ihm auf, Pferde schnaubten, vor uns tauchte eine dunkle Masse bepackter Wagen auf. Wir sahen, wie sie seitwärts gegen den Graben gezogen, die Deichseln gegen diesen gekehrt waren. Die Postillone waren entflohen, die Schläge der Wagen nach beiden Seiten aufgerissen, Papiere und zertrümmerte Kasten und Kisten lagen umgestreut am Boden, und wie ich die Leuchte aufhob, fiel ihr Strahl auf einen gräßlich verstümmelten, von Hieben und Stichen zerhackten menschlichen Körper.

Bei dieser furchtbaren Entdeckung standen wir einen Augenblick regungslos; von Schauder ergriffen blickten wir darauf hin und dies Entsetzen verdoppelte sich, als wir wenige Schritte weiter einen zweiten Leichnam erkannten, ganz mit Blut und schrecklichen Wunden bedeckt.

Ringsumher war Nacht, die Mörder vielleicht noch in der Nähe; hinter den rauschenden Bäumen auf der Lauer hielten sie vielleicht diese Todtenschau mit uns. Plötzlich aber drang aus dem Innern der verlassenen, verwüsteten Wagen ein wildes, verzweiflungsvolles Geschrei. Die ermordeten Gesandten waren verheirathet. Die Mörder hatten sie aus den Armen ihrer Familien an den Haaren herausgerissen, barbarisch zerfetzt und durchbohrt. Stöße und Schläge trafen auch diese unglücklichen Frauen, welche jetzt aus ihrer Ohnmacht erwachten. Trostloser Jammer erwachte mit ihnen, furchtbare Herzensnoth malte sich in ihren Gesichtern, als sie auf die entseelten Reste ihrer Gatten niedersanken, die kein Schrei zu Gottes Erbarmen wieder aufzuwecken vermochte.

Viele Menschen eilten jetzt mit Fackeln und großen Laternen herbei, denn die Nachricht von dem was geschehen, hatte sich in der Stadt verbreitet. Mit den Bürgern kamen auch mehrere Mitglieder der Gesandtschaften, und unter diesen zeichnete sich besonders der edle, aufs Tiefste empörte, Herr von Dohm aus. Er war es, der auch am nächsten Tage schon alle Gesandten vereinigte, um den Thatbestand festzustellen, die Verfolgung der Verbrecher möglich zu machen und mit dem Abscheu der noch in Rastatt vertretenen Regierungen den verruchten Gesandtenmord zu brandmarken. Aber man darf nicht verschweigen, daß Herr von Dohm für seinen Eifer übel belohnt wurde; seine eigene Regierung nahm ihm die Einmischung übel und er fiel in Ungnade.

Als ich in die Stadt zurückkehrte, wohin jetzt alle Wagen und die unglücklichen Frauen eiligst geschafft wurden, fand ich im Hause des Geheimraths Jean Debry unter den Händen des Wundarztes, der die allerbesten Hoffnungen gab, daß er in kurzer Zeit völlig hergestellt sein würde. Wunderbarer Weise war keine der vielen Wunden, die er empfangen, bedeutend oder gefährlich, was Debry dem Umstande zuschrieb, daß es ganz finster war und die große Menge der Mörder in ihrem Eifer sich gegenseitig hinderten.

Ich muß fast glauben, sagte er, daß es auf mich besonders abgesehen war. Die ganze Bande stürzte sich zunächst auf meinen Wagen, wenige nur machten sich mit meinen Begleitern zu schaffen. Ich sah, wie der Schwarm, breite Säbel in den Händen, mich umringte, ich sah auch die wilden Pandurengesichter, welche ich heut schon unter den Husaren gesehen hatte; aber im nächsten Augenblick waren die Laternen zerschlagen, der Schlag aufgerissen, und ein Dutzend rauhe Stimmen brüllten mich fragend an, ob ich Jean Debry sei? Ja, meine Freunde, erwiederte ich; doch beim ersten Laute ward ich an der Kehle, an Armen und Beinen gepackt, niedergeworfen und niedergesäbelt. In der Finsterniß schlugen ihre Säbel meist in den Wagen, in den Boden oder der eine auf den andern, und da ich keine Bewegung machte, ließen sie mich liegen, um ihren Kameraden bei dem Morde meiner armen Collegen zu helfen.

Die Elenden! rief ich. Doch Husaren morden keine Gesandten ohne Befehl. Wer hat diese That angestiftet und sich dieser Werkzeuge bedient?! darauf muß sich die Untersuchung richten; sie muß die wahren Schuldigen herausbringen.

Es standen Viele umher, die dies hörten, die allermeisten aber hatten bis jetzt nichts weiter gedacht, als daß ein ein Trupp Marodeure oder halb wilde Ungarn auf eigene Faust den Mord und die Plünderung ausgeführt. Meine Worte machten eine sichtliche Wirkung, es fielen Winke und Blicke verständlich genug, um zu beweisen, wohin der aufgeweckte Verdacht sich richte. Herr von Dohm rief laut, daß jede Regierung dafür sorgen müsse, daß kein Schatten von dieser ungeheuren That auf ihre Ehre falle.

In diesem Augenblick berührte Jemand leise meine Schulter; als ich umblickte, sah ich, daß es der Chevalier war.

Bester Freund! sagte ich lebhaft, wo waren Sie? Welch gräßliches Ereigniß ist hereingebrochen!

Ich weiß Alles, erwiederte er. Nehmen Sie sich in Acht, sich weiter dabei zu betheiligen, Sie compromittiren sich.

Wodurch?

Wenn Sie sich in die vorderste Reihe derjenigen stellen, die dies Verbrechen verfolgen und aufdecken wollen.

Es wird und muß aufgedeckt werden!

Er lächelte achselzuckend.

Ich wünschte es gewiß so lebhaft wie Sie, sagte er, allein ich glaube, es wird nie ans Tageslicht kommen, wer die Urheber waren. Die Nacht war dunkel, man wird bald genug läugnen, daß überhaupt Soldaten diesen Mord verübten. Der Krieg wird bald ärger rasen, wie je vorher, und wenn selbst, des allgemeinen Abscheus wegen, eine Untersuchung beginnt, wird diese schnell erloschen und für immer abgethan sein.

Die Untersuchung muß Andere treffen, nicht diese räuberische Bande, fiel ich ein.

Eben deswegen, sagte er, wird nichts daraus werden. Käme es nur darauf an, ein Dutzend Schaafhirten aus dem Szeklerlande aufzuhängen, der Galgen würde bald fertig sein. Aber dieser Mord hängt an langen Fäden, die weit reichen. Es giebt eine Partei, die den Krieg will auf Tod und Leben, die den wildesten Fanatismus, den Schrei nach blutiger Rache braucht. Denken Sie, welche Wuth dieser Gesandtenmord in Paris und ganz Frankreich aufwecken wird! Von jetzt ab hat die Friedenspartei in Wien jede Hoffnung auf Versöhnung verloren. Es wird ein Kampf werden, wie die Engländer ihn wünschen, keine Möglichkeit für Oesterreich mehr sich zurückzuziehen. Der schwankende Kaiser ist unaufhaltsam in das blutige Verhängniß gerissen.

Glauben Sie, flüsterte ich, seinen Arm krampfhaft pressend, daß die kaiserliche Regierung um diese That weiß?

Die Regierung, nein, antwortete er. Diese That ist allerdings ein Mord, der in die Politik greift, allein es haben sicher nur einzelne Personen einer Partei damit zu thun.

Lehrbach! murmelte ich.

Möglich, sagte er, indem sein stechender Blick auf mir ruhete. Vielleicht trug auch eine Dame besonders dazu bei, die Freundin eines berühmten Staatsmannes, welcher durch diesen Mord ganz sicher ist, seine Macht zu behalten.

Abscheulich! rief ich, wenn der Menschheit ein solches Beispiel von denen gegeben werden könnte, die ihre Gesetzgeber sind.

Bah! antwortete er kaltblütig, wo denken Sie hin. Die That ist von dem Standpunkte aus, von dem sie begangen wurde, gut berechnet, aber sie ist zum Theil dadurch mißlungen, daß Debry am Leben geblieben ist, theils wird sie sich als ein Fehler herausstellen. Die Cabinette werden bald klar sehen und schweigen, das Geschrei wird ein Ende nehmen, allein die Franzosen werden durch diesen Mord sich bis zur höchsten Wuth begeistern, der Abscheu aller Völker wird sie unterstützen und was das Schlimmste ist, die sogenannten ehrlichen Leute in Oesterreich, der Erzherzog Karl an der Spitze, werden sich zurückziehen, den Muth verlieren oder von der Partei Thugut abgesetzt werden. Geben Sie Acht, es wird nicht lange dauern, so verläßt der Erzherzog das Heer und dann werden die Franzosen siegen.

Er sagte das Alles mit der größten Ruhe, zugleich zog er seine Uhr heraus und fuhr fort:

Wir haben uns um zwei Stunden verspätet, der Wagen wartet. Nehmen Sie Abschied und lassen Sie uns gehen.

Bertha näherte sich uns, ich rief sie herbei. Mein theurer Chevalier, sagte ich, ich bin Ihnen dankbar, allein ich kann Ihnen nicht folgen. Zunächst habe ich für meinen Freund Debry zu sorgen; er muß fort aus Rastatt, sobald der Morgen tagt, ich werde ihn nach Straßburg begleiten. Sobald ich aber von dort zurückkehre, werde ich mich verheirathen, mit meiner Frau mich in Speier niederlassen und auf ihrem Gütchen bei Neustadt mit ihr das einsame, einfache Leben eines Landmannes führen.

Das wollen Sie? fragte er lächelnd.

Ja, das will ich, antwortete ich. Was ich so eben erlebte, bestärkt mich darin, daß ich nicht zu den Höhen des Lebens passe. Ich, will euren Ruhm nicht theilen, ich will bei denen stehen, die den Fehler nicht über das Verbrechen stellen. Mein Dasein will ich nützen so viel ich vermag, will mit edlem Herzen lieben die mich lieben, und zu den Narren gehören, die nichts weiter begehren, als eines engen Hauses Glück.

Dann fort mit mir! sagte der Chevalier, indem er mir die Hand schüttelte. Ich sehe, Sie sind abgefunden mit der Welt, wir wollen warten, wer zuletzt Recht behält.

Er entfernte sich rasch und unbemerkt, aber ohne auf die Anwesenden zu achten legte Bertha ihre Arme um mich und sah mich mit unaussprechlicher Liebe an.

Jetzt bist du mein! flüsterte sie, ich lasse dich nicht mehr!


Ich habe nur wenige Worte noch hinzuzufügen. – Am folgenden Tage begleitete ich unseren verwundeten Freund nach Straßburg und verweilte bei ihm, bis er seine Reise nach Paris fortsetzte. Die entsetzliche That machte ihn zum Gegenstande der Neugier für ganz Europa, doch es kam ganz so, wie der Chevalier vorher gesehen. Der Fanatismus der Völker wurde zur wildesten Wuth aufgestachelt, entdeckt aber wurde nichts, die Untersuchung vielmehr bald beseitigt.

Nach wenigen Monaten kam General Bonaparte aus Egypten zurück, die Directorialgewalt wurde gestürzt, die beiden Räthe zersprengt, die Vertreter der Nation mit Bajonetten verjagt. Debry zog sich in die Einsamkeit seines kleinen Hauses zurück und lebte dort mit seinen Büchern und Blumen, ein Wohlthäter der Armen und Bedrückten.

Als ich aus Straßburg zurückkehrte, waren von dem guten, alten Oheim alle Vorbereitungen zu meiner Verbindung mit Bertha getroffen, die in der Stille erfolgte. An demselben Tage reiste ich mit ihr nach Speier und lange schöne Jahre habe ich dort und in den rebengrünen Bergen der Haardt mit ihr verlebt. –

Als ich den Chevalier wiedersah, war er längst Graf und Gesandter geworden, aber er war alt und gebückt, obwohl er nicht älter war, als ich, der ich nichts von der Abnahme meiner Kräfte spürte. Er besuchte mich auf meinem Weinberg, blieb einen Tag bei uns und wir tauschten unsere Schicksale aus. Ich erzählte ihm mein einfaches Leben, erzählte ihm von meinen Kindern und Enkeln, wie der alte treffliche Geheimrath bis an sein Ende bei uns gelebt und wie Debry uns oft besucht und Monate bei uns zugebracht habe, bis er abgerufen wurde von Einem, dessen Willen noch Niemand widerstehen konnte. –

Er das gegen theilte mir mit, daß er an sechs großen Höfen im Norden und Süden Gesandter gewesen, daß er eine Verwandte des Grafen Montgelas, die Tochter eines Staatsrathes, geheirathet, diese Ehe jedoch kinderlos geblieben und seine Frau von ihm getrennt sei!

Er ging über dies eheliche und häusliche Verhältniß mit einigen ironisirenden Schlagworten fort, die herb genug klangen. –

Habe ich das Haus nicht voll Kinder, sagte er, so habe ich dafür keinen Platz mehr für alle Orden auf meiner Brust! – Eh! – er richtete seine Blicke dabei auf meine jüngsten Buben, die sich frisch und kräftig vor uns im Grase wälzten – es ist doch noch die Frage, was die wenigsten Sorgen giebt und den meisten Segen bringt? – Aber wissen Sie auch, fuhr er dann fort, daß ich Frau von Garampi häufig gesehen habe? Sie machte ein ausgezeichnetes Haus, hat sich jedoch nicht wieder vermählt. Als Thugut sich zurückziehen mußte, begleitete sie ihn auf seine kroatischen Herrschaften, später nach Preßburg. Der größte Theil seiner zusammengescharrten Millionen floß in ihre Taschen, der ganze ungeheure Reichthum aber ist zuletzt der Kirche und Stiftungen zugefallen; denn sie wurde fromm und starb ohne Erben.

Er sah mich mit dem alten lauernden Blicke an, und indem er mich leise am Arme rüttelte, sagte er:

Haben Sie niemals bereut?

Eben kam Bertha mit ihren Töchtern, um den einfachen Holztisch unter dem großen Birnbaum zu decken. Sie brachten Brod, Milch, frische Butter, Früchte und Wein. Die sinkende Sonne schien roth und mild auf uns, und vor uns lag das weite Land wie ein herrlicher Garten Gottes. Die traute Frau war noch immer stattlich. Ich legte den Arm um ihren Leib und zog sie an mich.

Ob ich bereut habe?! rief ich aus. Wie hätte ich dies je gekonnt! Sehen Sie ihr ins Auge, sehen Sie in das gute, liebe Gesicht, mein Glück steht darin geschrieben. Wenn ich zurückblicke, bin ich dankbar für jeden Tag. Wir haben in mancher Noth beisammen gestanden, niemals hat sie mich verlassen. Mancher Sturm ist über uns hingefahren, doch wo es galt, sich rüstig zu helfen, den Muth wach zu halten, das Rechte zu thun, und vor dem Verzagen sich zu hüten, hat sie mir nie gefehlt. Kein Nothleidender ist von unserer Thür gegangen, kein Trauernder ohne Trost, kein Bedrückter ohne Beistand. Alle meine Nachbarn kommen zu mir und verlangen nach mir, wenn Noth über sie kömmt, sie aber ist gesegnet von den Mühseligen und Beladenen. Und so sind wir Beide alt geworden, alt in Arbeit und mancherlei Sorgen, aber auch in vielen und großen Freuden. Da sind meine Kinder, einfache Menschen, doch mit warmen Herzen und klaren Köpfen, da sitze ich in Frieden unter dem Baume, der mir Schatten giebt, und danke Gott, daß er mich so glücklich machte! Ich habe keine Reichthümer, ich bin nicht geehrt und geschmeichelt von den Mächtigen, kein Titel und kein Orden ist von mir erworben worden, allein so nahe dem Grabe fallen alle Flittern – reden Sie de Bray, bekennen Sie, daß ich recht gethan habe!

Er zog seine Stirn zusammen und sein Mund spitzte sich wie zu einer Spötterei, allein seine Augen wollten nicht mit, es überkam ihn etwas wie ein tiefes innerstes Empfinden. Stumm drückte er meine Hand, und während er trocken und hohl aufhustete, sah er in das Sonnenlicht hinaus und in die warme glänzende Abendlandschaft.

Nach einer Stunde verließ er uns, ich habe ihn nicht wieder gesehen. Ein paar Jahre darauf ist er gestorben. –



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