Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von dem Geist der Gesetze.

oder
von der Beziehung, welche die Gesetze haben sollen zu der Regierungsform jedes Landes, seinen Sitten, dem Klima, der Religion, dem Handel usw.

Mit einem Anhange neuer Untersuchungen über die das Erbfolgerecht betreffenden römischen Gesetze, die französischen Gesetze und die feudalen Gesetze.

1748.

Vorbemerkung zur Übersetzung.

Da die nachfolgenden Auszüge aus dem »Geist der Gesetze« noch stärker als die aus Montesquieus beiden anderen Hauptwerken von den Grundsätzen beeinflußt worden sind, die für diese Sammlung der »Bücher der Weisheit und Schönheit« maßgebend sein sollen, so ist es notwendig, folgendes zu beachten:

Die »Betrachtungen« füllen in der großen Ausgabe von Laboulaye etwa zweihundert, die »Persischen Briefe« etwa viereinhalbhundert Seiten, der »Geist der Gesetze« gegen vierzehnhundert. Wenn von dem letzteren Werke ein verhältnismäßig viel kleinerer Teil geboten wird als von den andern beiden, so sind dafür nicht nur Rücksichten auf den Raum maßgebend gewesen, sondern vor allem die Frage: was kann von Montesquieus Erörterungen noch heute den Leser fesseln, fördern und zu dem fruchtbaren Selbstdenken anregen, das der Verfasser als bedeutungsvollste Wirkung seiner eigenen Gedankenarbeit ersehnte.

Der Stoff, den Montesquieu nicht als erster, wohl aber von ganz neuen Gesichtspunkten anpackte, war schon damals von ungeheurer Ausdehnung, obschon das ihm vorliegende Material nur einen kleinen Teil von dem ausmacht, was wir heute dank unserer gewaltig gesteigerten Kenntnis von den Bewohnern der Erdoberfläche einer ähnlichen Arbeit zugrunde legen könnten und müßten. Es ist gar nicht in Abrede zu stellen, daß er trotz einer hingebenden zwanzigjährigen Arbeit dieses Stoffes nicht Herr geworden ist. Weder hat er ihn hinreichend gesichtet und geordnet, noch ihn nach allen Seiten hin bis in seine letzten Folgerungen hinein vertieft. Sein Buch ist voller Abschweifungen, die den strengen Gedankengang unterbrechen, wenn sie auch aufklärend wirken und manchesmal grade das enthalten, was von bleibendem Werte ist. Es ist voller Längen und ermüdender Wiederholungen, es geht Wege, denen niemand heute zu folgen Lust hat, weil sie von den politischen Denkern längst verlassen sind. So scheiden für unsere Zwecke vornehmlich die Teile aus, in denen diese Mängel am stärksten hinderlich hervortreten, sowie die, welche vor unserer heutigen Kenntnis gar nicht mehr standhalten können. Aber auch in dem, was bleibt, zeigt sich naturgemäß Montesquieu als Kind seiner Zeit, Sohn seines Volkes, Mitglied seines Standes, daß er auf den Anspruch, ein Lehrmeister künftiger Geschlechter in unbeschränktem Sinne zu sein, verzichten muß. Doch auch hier muß noch eine Aussprache mit ihm für jeden von Nutzen sein, der nur nicht vergessen will, daß doch auch er schließlich ein Kind unserer Zeit ist, die dereinst auch nur eine Stufe auf dem Wege der fortschreitenden Erkenntnis bilden wird.

Bei einem derartigen Auszuge des Wertvollsten ist es nun aber nicht zu vermeiden gewesen, daß der Übersetzer an einigen Stellen das Wort ergriff, um eine Verbindung herzustellen, die zum Verständnis unerläßlich war. Es gilt das besonders vom Anfang, also Buch 1-10, deren Inhalt wohl am wenigsten ansprechen würde. Es mag vielleicht auf den ersten Blick nicht sehr angenehm berühren, wenn der Übersetzer dem Verfasser so oft dreinredet, doch mag bedacht werden, daß ohne jeglichen Kommentar der Geist der Gesetze überhaupt nicht gelesen werden kann und hier ja auch nur eine Art Kommentar geboten werden soll. Vom 11. Buche an konnte eine weitaus größere Zurückhaltung geübt und dem Verfasser allein das Wort gelassen werden. Mit dem 25. Buche konnten die Auszüge dann schließen. Das 26. versucht eine Abgrenzung der verschiedenen Rechtsgebiete, die ein allgemeines Interesse nicht erwecken kann. Das 27., 28., 30. und 31. enthalten den Niederschlag geschichtlicher Forschungen über römisches und französisches Recht, auf die Montesquieu zwar sehr stolz war, die aber der Kritik am wenigsten standgehalten haben. Das 29. bereitet dem Leser eine Enttäuschung. Es soll der Überschrift nach davon handeln, »wie Gesetze abzufassen sind«, widmet aber diesem Thema eigentlich nur den 16. und 17. Abschnitt, und weiß hier keine tiefere Weisheit vorzutragen, als daß Gesetze knapp, einfach und nicht mehrdeutig sein dürfen.

Endlich ist zu bemerken, daß Unebenheiten, ja wohl gar Unklarheiten und Widersprüche im Text nicht der Übersetzung zur Last zu legen sind. Montesquieu rang mit seinen Gedanken. Neu, wie sie waren, verlangten sie ein neues Gewand, neue Ausdrücke, Umprägung und eigenartige Anwendung alter. Seine Gewohnheit, zu diktieren und dabei oft nur den verkürzten Auszug längerer Gedankenreihen zu geben, kommt hinzu, mancherlei zu erklären. Das Streben nach einer das Verständnis bequem machenden Breite sowie nach einem glänzenden Stil lag ihm vollkommen fern. Die Schönheit des Ausdruckes wurde immer den höheren Rücksichten geopfert.

Einführung.

Sollte sich in dem reichen Inhalt dieses Buches etwas finden, das ganz gegen mein Erwarten jemand kränkte, so kann ich wenigstens versichern, daß mir jegliche böse Absicht vollkommen fern gelegen hat. Ich bin von Natur nicht tadelsüchtig. Plato dankte dem Himmel, daß er zur Zeit des Sokrates geboren sei, und ich danke ihm, daß er mich unter der Regierung hat geboren werden lassen, unter der ich lebe, und daß er gewollt hat, ich solle denen gehorchen, die ich liebe.

Um eine Vergünstigung bitte ich, fürchte freilich, daß man sie mir nicht gewährt, nämlich nicht nach dem Eindruck einer flüchtigen Lesung eine Arbeit von zwanzig Jahren zu beurteilen. Will man dies Buch anerkennen oder verurteilen, so nehme man es als ein Ganzes und halte sich nicht an einzelne Wendungen und Gedanken. Sucht man nach der Absicht des Verfassers, kann man sie wohl nur im Plane des ganzen Buches entdecken.

Zuerst habe ich die Menschen prüfend beobachtet, und da habe ich gefunden, daß sie bei aller unendlichen Verschiedenheit der Gesetze und Sitten nicht einzig und allein durch die Laune ihrer Einfälle geleitet worden sind.

Ich habe dann die allgemeinen Grundsätze aufgestellt und gesehen, wie die Sonderfälle sich von selbst in sie fügten, die geschichtlichen Entwicklungen aller Völker nur ihre Folgen waren, und daß jedes Sondergesetz mit einem anderen verknüpft war oder von einem anderen, allgemeineren abhing.

Mußte ich von dem Altertum reden, habe ich seinen besonderen Geist zu erfassen gesucht, um nicht wesentlich verschiedene Fälle als gleichartig zu betrachten, und nicht die Unterschiede derer zu übersehen, die gleichartig scheinen.

Ich habe meine leitenden Gedanken nicht aus meinen Vorurteilen, sondern aus der Natur der Dinge hergenommen.

Auch hier werden viele Wahrheiten sich erst herausstellen, wenn man die Verkettung mit anderen erkennt. Je mehr man über die Einzelheiten nachdenkt, um so deutlicher wird man die Zuverlässigkeit der allgemeinen Grundsätze empfinden. Und auch diese Einzelheiten habe ich nicht alle gegeben. Denn wer könnte alles aussprechen, ohne tödlich langweilig zu werden?

Man wird in diesem Buche nicht jene stark ins Auge fallenden Züge finden, welche die Werke unserer Zeit zu kennzeichnen scheinen. Wenn man sich nur die Dinge von einem gewissen höheren Gesichtspunkte ansieht, so pflegen diese hervorspringenden Punkte sich zu verwischen; denn sie verdanken ihr Entstehen gewöhnlich nur dem Umstande, daß der Geist sich einer gänzlich einseitigen Betrachtung hingibt.

Ich schreibe nicht, um irgendwelche in irgend einem Lande zu Recht bestehende Einrichtung zu kritisieren. Jedes Volk wird hier die Begründung seiner Regierungsgrundsätze finden. Und daraus wird man naturgemäß den Schluß ziehen, daß Abänderungsvorschläge nur deren Sache sind, die, unter einem glücklichen Sterne geboren, mit genialem Blick die gesamte Verfassung eines Staates zu durchdringen vermögen.

Es ist nicht gleichgültig, ob ein Volk aufgeklärt wird. Die Vorurteile der Regierenden sind immer zuerst die Vorurteile des Volkes gewesen. In einer Zeit der Unwissenheit kennt man keine Bedenken, auch wenn man das größte Unheil anrichtet; in einer Zeit der Aufklärung zittert man selbst dann noch, wenn man die besten Unternehmungen beginnt. Man fühlt die alten Mißbräuche, man sieht ihre Verbesserungsmöglichkeit; aber man sieht auch noch die Mängel der Verbesserungen. Man läßt das Schlechte bestehen, wenn man das Schlimmere fürchtet; das Gute, wenn man über das Bessere in Zweifel ist. Man betrachtet die Einzelheiten nur, um ein Urteil über das Ganze zu haben; man prüft die Ursachen, um alle Folgen zu sehen.

Wenn ich das herbeiführen könnte, daß jeder in diesem Buche neue Gründe dafür fände, seine Pflichten zu lieben, seinen Herrscher, sein Vaterland, seine Gesetze; daß man sein Glück deutlicher empfände in jedem Lande, unter jeder Regierung, auf jedem Posten, auf dem man steht – dann würde ich mich für den glücklichsten aller Sterblichen schätzen.

Wenn ich das herbeiführen könnte, daß die Regierenden ihre Kenntnisse über das, was sie vorschreiben sollen, erweiterten, und die Regierten eine neue Freude am Gehorsam fänden, dann würde ich mich für den glücklichsten aller Sterblichen schätzen.

Ich würde mich für den glücklichsten aller Sterblichen schätzen, wenn ich es erreichen könnte, daß die Menschen von ihren Vorurteilen geheilt würden. Vorurteile nenne ich hier nicht das, was bewirkt, daß man gewisse Dinge nicht kennt, sondern das, was bewirkt, daß man sich selber nicht kennt.

Dadurch, daß man die Menschen aufzuklären sucht, kann man jene oberste Tugend ausüben, welche die Liebe zu allen umfaßt. Der Mensch, dies wandlungsfähige Wesen, das sich in der Gemeinschaft den Gedanken und Eindrücken der anderen anpaßt, ist in gleichem Maße fähig, seine eigene Natur zu erkennen, wenn man sie ihm zeigt, wie jegliche Vorstellung davon zu verlieren, wenn man sie ihm verhüllt.

Ich habe dies Werk oft begonnen und ebenso oft wieder beiseite gelegt, tausendmal die schon geschriebenen Seiten dem Winde zum Spiel überlassen. Manchen Tag ließ ich ermattet die schaffenden Hände sinken. Ich verfolgte meinen Gegenstand ohne festen Plan, ich erkannte nicht die Regeln, nicht die Ausnahmen, ich fand die Wahrheit nur, um sie wieder zu verlieren. Aber als ich erst meine Leitsätze gefunden hatte, kam mir alles von selbst entgegen, und im Verlauf von zwanzig Jahren habe ich mein Werk beginnen, wachsen, vorrücken und sich vollenden sehen.

Wenn dies Werk Beifall findet, werde ich ihn in hohem Grade der Erhabenheit meines Gegenstandes verdanken. Indessen, glaube ich, hat mich mein Genius nicht gänzlich in Stich gelassen. Als ich sah, was so viele bedeutenden Männer in Frankreich, in England und in Deutschland vor mir über denselben Gegenstand geschrieben haben, ergriff mich aufrichtige Bewunderung. Aber ich verlor keineswegs den Mut. »Auch ich bin ein Maler«, habe ich mit Correggio gesprochen.

Vorbemerkung des Verfassers.

Zum Verständnis der vier ersten Bücher dieses Werkes muß man beachten, daß das, was ich die »Tugend« in der Republik nenne, die Vaterlandsliebe, das heißt die Gleichheitsliebe ist. Das ist weder eine sittliche, noch eine christliche Tugend, sondern das ist die politische Tugend, und das ist die Triebfeder, die einer republikanischen Regierung Bewegung verleiht, wie die »Ehre« einer monarchischen. Also, ich habe »politische Tugend« die Liebe zum Vaterlande und zur Gleichheit genannt. Ich habe neue Ideen gehabt, darum wohl oder übel auch neue Worte finden, oder den alten einen neuen Sinn geben müssen.

Zweitens: Man muß beachten, daß ein großer Unterschied dazwischen besteht, ob man sagt, daß eine gewisse Eigenschaft oder Gestaltung der Seele oder eine gewisse Tugend nicht die Triebfeder einer Regierungsform ist, oder ob man sagt, daß sie überhaupt in dieser Regierungsform nicht vorhanden ist. Wenn ich sagte: solch Rad oder solcher Hebel sind nicht die Triebfeder dieser Uhr, wollte man daraus schließen, daß sie überhaupt nicht in der Uhr vorhanden sind? Weit gefehlt, daß die sittlichen und die christlichen Tugenden aus einer Monarchie ausgeschlossen seien! Sogar die politische Tugend ist es nicht. Also: die Ehre ist in der Republik, obschon die politische Tugend ihre Triebfeder; politische Tugend ist in der Monarchie, obschon die Ehre ihre Triebfeder.

Endlich: Der gute Mensch, von dem im 5. Abschnitt des 3. Buches die Rede ist, ist nicht der christlich gute Mensch, sondern der politisch gute Mensch, der die beregte politische Tugend hat. Es ist der Mensch, der die Gesetze seines Landes liebt und aus Liebe zu ihnen handelt.

Buch 1.
Von den Gesetzen im allgemeinen.

Die Gesetze in ihren Beziehungen zu den verschiedenen Wesen.

Gesetze im weitesten Sinne sind die naturnotwendigen Beziehungen, die aus dem Wesen der Dinge herfließen, und in diesem Sinne hat alles, was ist, seine Gesetze – die Gottheit, die materielle Welt, die dem Menschen überlegenen Intelligenzen, die Tiere, der Mensch.

Wer behauptet hat, daß ein blindes Verhängnis alle Wirkungen, die wir in der Welt sehen, hervorgebracht hat, hat eine große Widersinnigkeit ausgesprochen. Denn welcher Widersinn ist größer als ein blindes Verhängnis, das denkende Wesen hervorgebracht hat?

Es gibt also einen Urgrund der Dinge, und die Gesetze sind die Beziehungen, die zwischen ihm und den verschiedenen Wesen bestehen, sowie die Beziehungen dieser verschiedenen Wesen untereinander.

Gott hat Beziehungen zum Weltall als Schöpfer und als Erhalter. Die Gesetze, nach denen er geschaffen hat, sind die, nach denen er erhält. Er handelt nach diesen Gesetzen, weil er sie kennt; er kennt sie, weil er sie geschaffen hat; er hat sie geschaffen, weil sie Beziehung haben zu seiner Weisheit und seiner Macht.

Da wir sehen, daß die Welt, gebildet durch Bewegung der Materie, aber der Intelligenz bar, fortfährt zu bestehen, so müssen ihre Bewegungen unveränderliche Gesetze haben; und wenn man sich eine andere Welt vorstellen könnte als diese, so würde sie auch beständige Gesetze haben, oder zerstört sein.

So setzt die Schöpfung, die ein willkürlicher Akt zu sein scheint, ebenso unveränderliche Gesetze voraus, wie das Verhängnis der Atheisten. Es wäre widersinnig zu sagen, daß der Schöpfer ohne diese Gesetze die Welt regieren könnte, weil die Welt ohne sie nicht bestehen würde.

Diese Gesetze sind eine feststehende Beziehung. Zwischen zwei in Bewegung befindlichen Körpern wird alle Bewegung entsprechend den Beziehungen von Masse und Geschwindigkeit übertragen, vermehrt, vermindert, verzehrt. Jede Verschiedenheit ist Gleichförmigkeit, jede Veränderung Beständigkeit.

Die vernunftbegabten Einzelwesen können Gesetze haben, die sie gemacht haben, aber sie haben auch Gesetze, die sie nicht gemacht haben. Ehe es vernunftbegabte Wesen gab, waren vernunftbegabte Wesen möglich. Sie hatten also auch mögliche Beziehungen, folglich auch mögliche Gesetze. Ehe es gemachte Gesetze gab, gab es mögliche rechtliche Beziehungen. Behaupten, daß es nichts Gerechtes noch Ungerechtes gibt, außer was die positiven Gesetze vorschreiben oder verbieten, heißt behaupten, daß, ehe man den ersten Kreis zog, auch noch nicht alle Radien gleich gewesen wären.

Man muß also das Vorhandensein von Gerechtigkeitsbeziehungen vor dem positiven Gesetz, das sie festlegte, zugeben; wie zum Beispiel: vorausgesetzt, daß es eine menschliche Gesellschaft gäbe, so würde es recht sein, sich ihren Gesetzen zu fügen; oder: wenn es vernünftige Wesen gäbe, die von einem anderen Wohltaten empfangen hätten, so würden sie dafür erkenntlich sein müssen+... usw.

Aber es fehlt viel daran, daß die Regierung der Welt des geistigen Geschehens ebenso gut sei wie die der Welt des physischen Geschehens. Denn obschon auch jene Gesetze hat, die ihrer Natur nach unveränderlich sind, so folgt sie ihnen nicht so beständig, wie die physische Welt den ihren. Der Grund davon ist, daß vernunftbegabte Wesen von Natur beschränkt und darum dem Irrtume unterworfen sind, andrerseits liegt es auch in ihrer Natur begründet, daß sie auch von sich aus handeln. Sie folgen also ihren ursprünglichen Gesetzen nicht beständig und den selbstgegebenen Gesetzen folgen sie nicht immer.

Man weiß nicht, ob die Tiere nur den allgemeinen Bewegungsgesetzen folgen, oder ob sie einen besonderen Antrieb haben. Wie dem aber auch sei, sie haben zu Gott keine engeren Beziehungen als die übrige materielle Welt, und ihre Empfindungen dienen ihnen nur in den Beziehungen, die sie zueinander, zu anderen Einzelwesen, oder zu sich selbst haben.

Ihr Selbsterhaltungstrieb beruht auf dem Streben nach Lustgefühlen, und ebendarauf beruht auch ihr Trieb, die Gattung zu erhalten. Sie haben natürliche Gesetze, weil sie durch die Empfindung miteinander verknüpft sind; sie haben keine positiven Gesetze, weil sie keine Erkenntnis haben. Dennoch folgen sie ihren natürlichen Gesetzen nicht ohne Abweichung. Die Pflanzen, an denen wir weder Empfindung noch Erkenntnis bemerken, folgen ihnen besser.

Die Tiere haben nicht unsere hohen Vorzüge; dafür haben sie andere, die wir nicht haben. Sie haben nicht unsere Hoffnungen, aber auch nicht unsere Befürchtungen. Sie erleiden wie wir den Tod, aber ohne ihn zu kennen. Die Mehrzahl sorgt besser für ihre Selbsterhaltung als wir und macht keinen so schlechten Gebrauch von ihren Leidenschaften.

Der Mensch wird, insoweit er ein natürliches Wesen ist, ebenso wie alle anderen Körper, von unveränderlichen Gesetzen beherrscht. Als vernunftbegabtes Wesen verletzt er unaufhörlich die von Gott eingesetzten Gesetze und ändert an denen, die er selbst gegeben hat. Er muß über sich bestimmen, und ist doch ein beschränktes Wesen. Er ist der Unkenntnis und dem Irrtum ausgesetzt, wie alle begrenzten Intelligenzen. Die schwachen Erkenntnisse, die er hat, verdirbt er noch: denn als empfindendes Geschöpf ist er tausend Leidenschaften unterworfen. Ein solches Wesen konnte alle Augenblicke seinen Schöpfer vergessen: Gott hat ihn durch die Gesetze der Religion zu sich zurückgerufen. Ein solches Wesen konnte alle Augenblicke sich selbst vergessen: die Philosophen haben seine Aufmerksamkeit durch das Sittengesetz geschärft. Geschaffen, um in der Gemeinschaft zu leben, konnte er deren andere Mitglieder vergessen: die Gesetzgeber haben ihn durch die staatlichen und bürgerlichen Gesetze seinen Pflichten zurückgegeben.

3. Die positiven Gesetze.

Das Gesetz im allgemeinen ist die menschliche Vernunft, insoweit sie alle Völker der Erde regiert, und die staatlichen und bürgerlichen Gesetze jedes Volkes dürfen nur die Sonderfälle sein, in denen diese menschliche Vernunft zur Anwendung kommt.

Sie müssen derartig dem Volke, für das sie gegeben sind, angepaßt sein, daß nur durch einen sehr großen Zufall die Gesetze des einen Volkes auch für ein anderes einmal passen können.

Sie müssen in Übereinstimmung sein mit dem Wesen und dem Grundzuge der bestehenden oder einzusetzenden Regierung, sei es, daß sie diese gestalten, wie es die staatlichen Gesetze tun, sei es, daß sie sie aufrecht erhalten wie die bürgerlichen.

Sie müssen angepaßt sein den physikalischen Verhältnissen des Landes; dem kalten, dem heißen, dem gemäßigten Klima; seiner Bodenbeschaffenheit, seiner Lage und seiner Größe; der Lebensweise der Völker – Landbauer, Jäger oder Hirten; sie müssen sich richten nach dem Grad der Freiheit, die die Verfassung vertragen kann, nach der Religion der Einwohner und ihren Neigungen, ihrem Reichtum, ihrer Zahl, ihrem Handel, ihren Sitten, ihren Gewohnheiten. Endlich haben sie Beziehungen zueinander, sie haben solche zu ihrem Ursprunge, zu dem Zweck des Gesetzgebers, zu der Ordnung der Dinge, auf denen sie begründet sind. Nach allen diesen Gesichtspunkten muß man sie betrachten.

Das zu tun, unternehme ich in diesem Werke. Ich werde alle diese Beziehungen prüfen: sie alle zusammen bilden, was man den Geist der Gesetze nennt.

Aus Buch 2 und 3.

(Es gibt drei Regierungsformen: die republikanische, die monarchische, die despotische. Erstere hat wiederum zwei Unterformen: die aristokratische und die demokratische Republik.

Man hat zu unterscheiden zwischen der Natur, dem Wesen einer Regierungsform – la nature – und ihrem Lebensprinzip, ihrer Triebfeder – le principe –; »die Natur einer Regierungsform ist das, was sie so sein macht, wie sie ist, ihr Prinzip das, was sie handeln macht.«

Durch das Wesen einer Regierungsform sind gewisse Grundgesetze bedingt, ohne welche sie nicht bestehen kann. Da beispielsweise in einer Demokratie das Volk, das die souveräne Gewalt hat, seinen Willen nur in Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck bringen kann, so sind Grundgesetze für eine Demokratie die Wahl und Abstimmung regelnden Gesetze.

Die Triebfeder oder das Lebensprinzip der Demokratie ist die politische Tugend, die der Aristokratie eine weise Mäßigung, die der Monarchie der Ehrbegriff, in den despotisch regierten Staaten die Furcht, wozu man vergleiche, was Montesquieu in seiner Vorbemerkung sagt.)

Buch. 4.
Die Gesetze der Erziehung müssen den verschiedenen Triebfedern der verschiedenen Regierungsformen entsprechen.

Die Gesetze der Erziehung sind die ersten, die auf den heranwachsenden Menschen wirken, und da sie uns dazu vorbereiten, Bürger zu sein, so muß jede einzelne Familie nach den Grundsätzen der großen Familie, die alle umfaßt, geleitet werden. In den Monarchien werden sie also als Gegenstand die Ehre, in den Republiken die Tugend, in den despotischen Staaten die Furcht haben.

In einer Monarchie geben nicht die öffentlichen Schulen die Erziehung. Erst wenn wir in die Welt hinaustreten, beginnt sie gewissermaßen. Da ist die Schule dessen, was man die Ehre nennt, diese allgemeine Meisterin, die uns alle führen muß.

(Von der Erziehung des Volkes redet Montesquieu nicht, sondern nur von der Erziehung des Adels – Beamten- und Kriegeradels – und der Geistlichkeit. Den Begriff »Volk« schuf erst die Revolution.)

Dort – in der Monarchie – sieht man immer und dort hört man immer von drei Dingen: daß man in die Tugenden einen gewissen Adel, in die Sitten eine gewisse Freimütigkeit, in die Manieren eine gewisse Höflichkeit legen muß.

Die Tugenden, die man uns dort lehrt, sind immer weniger das, was man anderen schuldet, als was man sich selbst schuldig ist. Sie sind nicht so sehr das, was uns mit unseren Mitbürgern verbindet, als was uns von ihnen unterscheidet.

Die Ehre hat ihre obersten Regeln, denen sich die Erziehung anschließen muß. Die erste ist, daß es uns wohl erlaubt ist, Wert auf unseren Besitz zu legen, aber daß es uns vollständig untersagt ist, Wert auf die Erhaltung unseres Lebens zu legen. Die zweite ist, daß, wenn wir einmal einem Range zugewiesen sind, wir nichts tun noch dulden, was zeigt, daß wir uns dieses Ranges selbst nicht für würdig halten. Die dritte ist, daß die Dinge, die die Ehre verbietet, noch strenger verboten sind, wenn die Gesetze sie nicht gleichfalls von sich aus verbieten, und daß die, welche die Ehre fordert, um so strengere Forderungen sind, wenn die Gesetze sie nicht fordern.

Wie die Erziehung in den Monarchien daran arbeitet, das Herz zu erheben, so sucht sie es in den despotischen Staaten nur zu erniedrigen. In ihnen muß sie knechtisch sein.

Die Mehrzahl der alten Volker lebten unter Regierungsformen, deren Lebensprinzip die Tugend war, und wenn sie unter ihnen in Blüte stand, so taten sie Dinge, die man heute nicht mehr erlebt und die unsere kleinen Seelen in Erstaunen sehen.

Ihre Erziehung hatte gegenüber der unseren noch einen anderen Vorzug, sie widersprach sich nie. Heutzutage empfangen wir drei verschiedene oder sogar sich widersprechende Erziehungen: die des Hauses, die der Schule, die der Welt. Was man uns in der letzteren sagt, stürzt alle Vorstellungen der beiden ersten um. Das kommt zum Teil von dem Gegensatz, der bei uns zwischen den Vorschriften der Religion und denen der Welt besteht und den die Alten nicht kannten.

In den Demokratien hat die Erziehung eine besonders schwere Aufgabe. Die politische Tugend ist eine Selbstverleugnung, die immer schmerzvoll ist. Man kann diese Tugend definieren als die Liebe zu den Gesetzen und zum Vaterlande. Diese Liebe verlangt eine ständige Bevorzugung des öffentlichen Interesses vor dem eigenen. Damit die Kinder diese Liebe haben, gibt es ein sicheres Mittel: die Väter müssen sie selber besitzen.

Man ist gewöhnlich imstande, seinen Kindern seine Kenntnisse zu geben; man ist es noch mehr, ihnen seine Leidenschaften zu geben.

Aus Buch 5.

(Die Gesetze, die der Gesetzgeber gibt, müssen mit der Triebfeder jeder Regierungsform in Einklang stehen. So müssen in der Republik die Gesetze zur Tugend, d. h. zur Vaterlandsliebe führen; der Geist der Einfachheit und Gleichheitsliebe muß durch sie erhalten werden. Ähnlich in der aristokratisch regierten Republik, nur mit dem Unterschiede, daß hier keine Gleichheit, sondern Mäßigkeit herrscht. In der Monarchie, deren »Prinzip« die Ehre ist, muß vor allem der Adel geschützt, gestützt und erhalten werden. Doch müssen die Gesetze auch ein gewisses Korrektiv gegen den absichtlichen oder unabsichtlichen Mißbrauch der königlichen Gewalt bilden. »Die monarchische Regierung hat einen großen Vorzug vor der republikanischen: da die Staatsangelegenheiten von einem einzelnen ausgeführt werden, so gibt es eine größere Raschheit in der Ausführung. Aber da diese Raschheit in Übereilung ausarten könnte, müssen die Gesetze eine gewisse Langsamkeit herbeiführen.« »Was würde aus der schönsten Monarchie der Welt – nämlich Frankreich – geworden sein, wenn die Beamten durch ihre Verlangsamungen, ihre Klagen und Bitten nicht den Lauf, selbst der Tugenden ihrer Könige, aufgehalten hätten?« »Die Monarchie hat auch vor dem Despotismus einen großen Vorzug. Da es in ihrer Natur liegt, daß es außer und unter den Fürsten noch mehrere Stände gibt, denen an der Erhaltung der Verfassung gelegen ist, so ist der Staat fester, die Verfassung unerschütterlicher, die Person derer, die regieren, gesicherter.« Überhaupt liegt ein großer Segen in diesem Mitwirken der Stände und der Parlamente.)

(Buch 6

handelt von der Handhabung der Gerichtsbarkeit in den verschiedenen Staatsformen.)

(Buch 7

behandelt die »Folgen der verschiedenen ›Prinzipien‹ der drei Regierungsformen in Bezug auf die Luxusgesetze, den Luxus selbst und die Stellung der Frauen«.

»Der Luxus ist nur begründet aus den Bequemlichkeiten, die man sich durch die Arbeit anderer gibt.« Er ist unmöglich bei vollkommener Gleichheit des Besitzes, der dadurch erhalten bleibt, daß das Gesetz einem jeden nur das zur Erhaltung seines Lebens Notwendige gibt. Alles also, was über dies Notwendige hinausgeht, erscheint Montesquieu als Luxus.

Je weniger solchen Luxus eine Republik kennt, um so glücklicher ist sie. In einer Aristokratie muß auch der Luxus von dem Geist der Mäßigkeit beherrscht sein. In einer Monarchie ist er notwendig. Schon ihre Verfassung, indem sie verschiedene Stände vorsieht, seht Ungleichheit des Besitzes voraus. »Wenn die Reichen nicht viel ausgeben, werden die Armen Hungers sterben.« Nur in einem Falle dürfen in einer Monarchie Luxusgesetze gegeben werden: »wenn ein Staat merkt, daß fremde Waren von einem zu hohen Preise eine derartige Ausfuhr der seinigen erfordern würden, daß er sich dadurch seiner eigenen Bedürfnisse berauben würde.«

Der Abschnitt über die Frauen beginnt mit folgender Auseinandersetzung:)

In den Monarchien haben die Frauen wenig Zurückhaltung. Die der Stellung ihrer Familien zukommende Auszeichnung ruft auch sie an den Hof und dort nehmen sie jenen freien Ton an, der fast der einzige dort geduldete ist. Jeder bedient sich ihrer Reize und ihrer Leidenschaften, um sein Glück zu fördern, und da ihre Schwäche ihnen keinen Stolz erlaubt, sondern nur Eitelkeit, so herrscht mit ihnen dort der Luxus.

In den despotisch regierten Staaten führen die Frauen keinen Luxus ein, aber sie sind selbst ein Luxusgegenstand. Darum müssen sie ganz und gar wie Sklavinnen gehalten werden. Da die Gesetze dort streng sind und auf der Stelle ausgeführt werden, hat man Furcht, daß die Freiheit der Frauen dort Schwierigkeiten bereiten könnte. Ihre Zänkereien, ihre geringe Verschwiegenheit, ihre Widerspenstigkeit, ihre Neigungen, ihre Eifersüchteleien, ihre Nörgeleien, jene Kunst, welche die kleinen Seelen haben, die großen zu interessieren, würden dort nicht ohne Folgen sein.

Da ferner in diesen Staaten die Fürsten der menschlichen Natur spotten, haben sie mehrere Frauen, und tausend Rücksichten zwingen sie, dieselben einzuschließen.

In den Republiken sind die Frauen den Gesetzen nach frei, den Sitten nach gebunden. Der Luxus ist dort verbannt und mit ihm Verderbnis und Laster.

(Es folgen dann einige wenige Aufstellungen über die Freiheit, die Vormundschaft, die Mitgift der Frauen und zuletzt folgende Bemerkung:)

Es ist gegen die Vernunft und gegen die Natur, daß die Frauen Herrinnen im Hause sind, wie das bei den Ägyptern der Fall war; aber es ist nicht gegen Vernunft und Natur, daß sie ein Reich regieren. Im ersten Falle gestattet ihnen ihre Schwäche keine hervorragende Stellung, im zweiten gibt ihnen gerade ihre Schwäche Sanftmut und Mäßigung, was viel eher eine gute Regierung ausmachen kann, als harte und rauhe Tugenden.

Buch 8.
Von der Verderbnis der Triebfedern der drei Regierungsformen.

(Eine Republik kann nicht nur dadurch zugrunde gehen, daß die Liebe zur Gleichheit schwindet, sondern auch dadurch, daß sie übertrieben wird, d. h. daß niemand mehr gehorchen, sondern alle befehlen und keinen über sich dulden wollen. Der zweite Fall wird in folgenden Worten geschildert, zu denen am Ende des Jahrhunderts Napoleon eine glänzende Bestätigung liefern sollte:)

Es entstehen dann kleine Tyrannen, die alle Laster eines einzigen haben. Bald wird auch der letzte Rest Freiheit unerträglich, ein einziger Tyrann erhebt sich und das Volk verliert alles, sogar den Vorteil, sich bestechen lassen zu können. Die Demokratie hat also zwei Auswüchse zu vermeiden: den Geist der Ungleichheit, der zur Aristokratie führt oder zur Herrschaft eines einzelnen, und den Geist einer übertriebenen Gleichheit, der sie zum Despotismus eines einzelnen führt, wie der Despotismus eines einzelnen seinerseits dann mit Eroberungszügen endet.

(Abschnitt 6 und 7 behandelt die »Verderbnis des Prinzipes der Monarchie«. Hier wie überall, wo Montesquieu von einer Monarchie redet, muß man »Frankreich« einsetzen und unter der sehr vorsichtigen Verschleierung wird man unschwer eine Kritik französischer Verhältnisse, wie sie die Regierung Ludwigs XIV. geschaffen, erkennen. Die Hauptsätze lauten:)

Wenn die Demokratien zugrunde gehen, wenn das Volk – ihr Souverän – den Senat, die Verwaltungsbeamten, die Richter ihrer Funktionen beraubt, so zerrütten sich die Monarchien, wenn man allmählich die Prärogativen der Körperschaften (Parlamente, Generalstände) oder die Privilegien der Städte beseitigt. Im ersten Falle kommt es auf einen Despotismus aller, im zweiten auf den Despotismus eines einzelnen hinaus.

Was die Dynastien von Tsin und von Suï zugrunde richtete, so sagt ein chinesischer Autor, war, daß statt sich auf eine allgemeine Oberaufsicht zu beschränken, die Fürsten alles unmittelbar und selbstherrlich regieren wollten. Der chinesische Autor gibt uns hier den Grund der Verderbnis fast aller Monarchien.

Die Monarchie geht zugrunde, wenn der Fürst meint, daß er seine Macht mehr braucht, wenn er die Ordnung der Dinge ändert, als wenn er sie beibehält, wenn er den einen die ihnen naturgemäß zukommenden Funktionen nimmt, um sie nach Willkür anderen zu geben, und wenn er in seine phantastischen Einfälle verliebter ist als in seine Willensäußerungen.

Die Monarchie geht zugrunde, wenn der Fürst alles einzig und allein auf sich bezieht, den Staat in seine Hauptstadt, die Hauptstadt an seinen Hof und den Hof um seine eigene Person beruft.

Endlich geht sie zugrunde, wenn ein Fürst die Bedeutung seiner Autorität, seiner Lage, der Liebe seiner Völker verkennt und wenn er es nicht empfindet, daß ein Monarch sich in Sicherheit glauben muß, wie ein Despot in ständiger Gefahr.

Das Prinzip der Monarchie leidet, wenn die ersten Würdenstellen die Zeichen hervorragender Knechtsgesinnung sind, wenn man den Großen die Achtung des Volkes nimmt und sie zu Werkzeugen der willkürlichen Macht erniedrigt.

Ferner leidet es noch mehr, wenn die Ehre in Widerspruch steht mit den Ehren und wenn man gleichzeitig mit Schmach und mit Würden überhäuft sein kann.

Es leidet, wenn der Fürst seine Gerechtigkeit wandelt in Strenge, wenn er wie die römischen Kaiser ein Medusenhaupt auf seine Brust heftet, wenn er jene furchtbar drohende Miene annimmt, die Commodus seinen Bildsäulen geben ließ.

Das Prinzip der Monarchie leidet, wenn seltsam feige Seelen ihrer Eitelkeit durch einen Wettkampf in Knechtsgesinnung frönen. Wenn sie glauben, daß, weil man alles dem Fürsten danke, man dem Vaterland gar nichts schulde.

Aber wenn es wahr ist – und das hat man zu allen Zeiten gesehen –, daß in dem Maße, wie die Macht eines Herrschers ins Ungemessene wächst, seine persönliche Sicherheit abnimmt, heißt es da nicht ein Majestätsverbrechen begehen, wenn man diese Macht im Keime verderben hilft, bis sie ihr eigentliches Wesen umkehrt?

(Bis zum Schlusse des Buches werden dann die Ursachen untersucht, welche die anderen Regierungsformen zerstören, sowie die Rettungsmittel angedeutet.)

Buch 9 und 10.
Die Gesetze in ihren Beziehungen zu den Angriffs- und Verteidigungskräften.

Daraus:

Über den Krieg.

Das Leben der Staaten ist wie das der Menschen. Diese haben das Recht zu töten im Falle der Notwehr, jene das Recht, Krieg zu führen zu ihrer Selbsterhaltung.

Im Falle der Notwehr habe ich das Recht zu töten, weil mein Leben mir gehört, wie dem, der mich angreift, auch sein Leben gehört. Ebenso führt ein Staat Krieg, weil seine Selbsterhaltung so berechtigt ist wie jede andere.

Unter Bürgern schließt das Recht der Notwehr nicht das Recht zum Notangriff in sich. Statt anzugreifen, brauchen sie sich nur an die Gerichte zu wenden. Sie können also das Recht dieser Verteidigung nur in den eiligen Fällen ausüben, wo sie verloren wären, wenn sie sich auf den Rechtsschutz verließen. Aber unter größeren Gemeinschaften zieht das Recht der Notwehr manchmal auch das Recht zum Notangriff nach sich, wenn ein Volk sieht, daß ein längerer Friede ein anderes instand setzen würde, es zu vernichten, und der Angriff in diesem Augenblick das einzige Mittel ist, diese Zerstörung zu verhindern.

Daraus folgt, daß die kleinen Gemeinschaften öfter das Recht haben, Krieg anzufangen, weil sie öfter in dem Fall sind, befürchten zu müssen, daß sie vernichtet werden.

Das Recht zum Kriege ergibt sich also einmal aus der Nötigung und dann aus dem strengen Recht. Wenn die, welche das Gewissen oder die Entschlüsse der Fürsten leiten, sich nicht daran halten, so ist alles verloren, und wenn man sich auf die willkürlichen Begriffe Ruhm, Geziemlichkeit, Nutzen stützen will, werden Ströme von Blut die Erde überschwemmen.

Besonders spreche man nicht von dem Ruhme eines Fürsten. Sein Ruhm – das würde heißen: sein Dünkel, und das ist eine Leidenschaft und kein Recht.

Allerdings könnte der Ruf seiner Macht die Kräfte seines Staates vermehren, aber der Ruf seiner Gerechtigkeit kann das ebensogut.

(Nachdem Montesquieu dann von den Eroberungen und ihrer Bedeutung für die einzelnen Regierungsformen gesprochen, widmet er Alexander dem Großen einen Abschnitt, der in ihm nach langer Zeit wieder einen einsichtigen Beurteiler und verständigen Bewunderer fand.)

Er begann seine Züge nicht eher, als nachdem er Makedonien gegen die benachbarten Barbarenstämme gesichert und Griechenland vollkommen niedergeworfen hatte. Dieser Niederwerfung bediente er sich aber nur zur Ausführung seines Unternehmens. Er nahm den Lakedämoniern die Macht, ihrer Eifersucht Folge zu geben. Dann griff er die Küstenprovinzen Persiens an und zog an der Küste entlang, um seiner Flotte nah zu sein. Er bediente sich mit bewundernswertem Geschick der größeren militärischen Zucht gegen die größere Zahl. Er sorgte für ausreichende Verpflegung, und wenn es auch wahr ist, daß der Sieg ihm alles gab, so tat er auch alles, um zu siegen.

Zu Beginn seines Zuges, d. h. zu einer Zeit, wo ein Mißerfolg ihn vernichten konnte, überließ er weniges nur dem Zufall. Als das Glück ihn über die Ereignisse hob, wurde auch die Tollkühnheit eins seiner Mittel. Wenn er vor seinem Ausbruch nach Asien gegen die Triballer und Illyrier zieht, so ist das ein Krieg, wie ihn Cäsar in Gallien später führte. Als er von diesem Kriege zurück nach Griechenland kommt, ist es, als wenn er Theben gegen seinen Wunsch einnimmt und zerstört. Vor der Stadt lagernd, wartet er, daß die Thebaner Frieden nachsuchen sollen. Sie stürzen sich selbst in ihr Verderben. Wenn es sich um Bekämpfung der persischen Seemacht handelt, ist die Kühnheit vielmehr auf Parmenions Seite, die weise Vorsicht auf Alexanders. Sein Dichten und Trachten war, die Perser von der See abzuschneiden und sie dahin zu bringen, ihre Seemacht aufzugeben, in der sie überlegen waren. Tyrus war grundsätzlich an Persien geknüpft, das seinen Handel nicht entbehren konnte noch seine Seemacht. Alexander zerstörte es. Er nahm Ägypten, das Darius von Truppen entblößt gelassen hatte, während er in dem anderen Weltteil gewaltige Truppen sammelte.

Der Übergang über den Granikus machte Alexander zum Herrn der griechischen Kolonien. Die Schlacht bei Issus gab ihm Tyrus und Ägypten. Die Schlacht bei Arbela gab ihm das ganze Land.

Nach der Schlacht bei Issus läßt er Darius fliehen und beschäftigt sich damit, seine Eroberungen zu festigen und zu ordnen. Nach der Schlacht bei Arbela folgt er ihm so dicht auf den Fersen, daß er ihm keine Zuflucht in seinem Reiche gönnt. Kaum ist Darius in einer Stadt, einer Provinz angelangt, so muß er schon wieder weiter. Alexanders Märsche sind so schnell, daß die Weltherrschaft mehr wie in den Spielen der Griechen der Preis eines Wettlaufes als der Preis eines Schlachtensieges zu sein scheint. So machte er seine Eroberungen. Sehen wir zu, wie er sie bewahrte.

Er widerstand denen, die da wollten, daß er die Griechen als Herren und die Perser als Sklaven behandeln solle. Er dachte nur daran, die beiden Nationen zu einen und den Unterschied zwischen Eroberern und Besiegten zu verwischen. Nach der Eroberung gab er all die Vorurteile auf, die ihm gedient hatten, sie zu machen. Er nahm die Sitten der Perser an, um sie nicht damit zu kränken, daß er ihnen die der Griechen aufzwänge. Darum erwies er der Frau und der Mutter des Darius so viel Achtung und zeigte ihnen gegenüber so viel Mäßigung. Was ist das für ein Eroberer, den alle von ihm unterworfenen Völker beweinen! Was ist das für ein Usurpator, über dessen Tod die von ihm entthronte Familie Tränen vergießt! Das ist ein Zug aus diesem Leben, den kein Geschichtschreiber einem anderen Eroberer nachrühmen kann!

Nichts festigt eine Eroberung mehr, als wenn Sieger und Besiegte untereinander heiraten. Alexander nahm selbst aus dem von ihm besiegten Volke Frauen und verlangte, daß seine Umgebung es ihm nachtue. Die Fernerstehenden folgten von selbst dem Beispiele.

Alexander dachte ferner daran, in Persien eine große Zahl griechischer Kolonien zu gründen. Er baute eine Unzahl von Städten, und er fügte alle Teile dieses neuen Reiches so fest, daß sich nach seinem Tode inmitten der Verwirrung und Greuel der Bürgerkriege, nachdem die Griechen sich sozusagen gegenseitig vernichtet hatten, nicht eine persische Provinz empörte.

Um Griechenland und Mazedonien nicht zu erschöpfen, schickte er nach Alexandrien eine jüdische Kolonie. Es war ihm gleich, welche Sitten diese Völker hätten, wenn sie ihm nur treu wären.

Er ließ den besiegten Völkern nicht nur ihre Sitten, sondern auch ihre Gesetze und oft sogar die Könige und Regenten, die er vorgefunden hatte. An die Spitze der Truppen stellte er Mazedonier, an die Spitze der Regierung Eingeborene, indem er sich lieber der Gefahr einer einzelnen Untreue aussetzte, was er manchmal erlebte, als einer allgemeinen Empörung. Er achtete die alten Überlieferungen und alle Denkmäler des Ruhmes oder der Eitelkeit der Völker. Die persischen Könige hatten die Tempel der Griechen, der Babylonier, der Ägypter zerstört: er stellte sie wieder her. Wenige Völker unterwarfen sich ihm, auf deren Altären er nicht geopfert hätte. Es machte den Eindruck, als wenn er nur darum Eroberungen gemacht hätte, um der besondere Herrscher jedes einzelnen Volkes und der erste Bürger jeder Stadt zu sein. Die Römer eroberten alles, um alles zu zerstören, er wollte alles erobern, um alles zu erhalten, und welches Land er auch durchzog, seine ersten Gedanken, seine ersten Anordnungen waren immer, etwas zu tun, was dessen Wohlstand fördern könnte. Die ersten Mittel fand er dazu in der Größe seines Geistes; die zweiten in seiner Mäßigkeit und seiner eigenen Sparsamkeit; die dritten in seinen gewaltigen Aufwendungen für die großen Dinge. Seine Hand schloß sich für private Ausgaben, sie öffnete sich für die öffentlichen. Handelte es sich darum, seinen Haushalt zu ordnen, war er ein sparsamer Mazedonier. Handelte es sich darum, die Schulden der Soldaten zu bezahlen, den Griechen von seinen Eroberungen mitzuteilen, das Glück jedes einzelnen Kriegers zu machen – dann war er Alexander.

Er beging zwei schlechte Taten: er verbrannte Persepolis und er tötete Klitus. Er machte diese Taten berühmt durch seine Reue, so daß man seine verbrecherischen Handlungen vergaß, um sich seiner Achtung vor der Tugend zu erinnern. Daher sie mehr wie unglückliche Schickungen denn wie zu seinem Wesen gehörige Dinge betrachtet wurden, daher die Nachwelt die Schönheit seiner Seele fast noch in seinen Zornesausbrüchen und Schwächen findet, daher man ihn beklagen mußte und es nicht mehr möglich war, ihn zu hassen.

Ich will ihn noch mit Cäsar vergleichen. Als Cäsar die asiatischen Könige (in ihrem Zeremoniell) nachahmen wollte, brachte er die Römer zur Verzweiflung um einer rein äußerlichen Sache willen. Als Alexander die asiatischen Könige nachahmen wollte, tat er etwas, das einen Teil seines Eroberungsplanes ausmachte.

Buch 11.
Von den Gesetzen, welche die politische Freiheit bilden, in ihrer Beziehung zur Verfassung.

1. Allgemeine Übersicht:

Ich unterscheide die Gesetze, welche die politische Freiheit ausmachen, in deren Beziehung zur Verfassung, von den Gesetzen, die sie ausmachen, in deren Beziehung auf den Bürger. Erstere werden den Gegenstand dieses, letztere den Gegenstand des folgenden Buches bilden.

2. Verschiedene Bedeutungen des Wortes Freiheit.

Es gibt kein Wort, dem mehr voneinander verschiedene Bedeutungen beigelegt worden sind und das in so vielerlei Weisen auf die Geister eingewirkt hat, als das Wort Freiheit. Die einen haben es aufgefaßt als die Leichtigkeit, den abzusehen, dem sie eine tyrannische Macht gegeben hatten, die anderen als die Möglichkeit, den zu wählen, dem sie gehorchen sollten; andere als das Recht, Waffen zu führen und Gewalt üben zu können; andere wieder als das Vorrecht, nur von einem Manne ihres Stammes oder nach ihren heimischen Gesehen regiert zu werden. Ein Volk – die Russen hat die Freiheit lange für die Erlaubnis gehalten, einen Vollbart tragen zu dürfen. Andere haben diesen Namen mit einer bestimmten Regierungsform verknüpft und die anderen darum ausgeschlossen. Die einen, die an der republikanischen Regierungsform Geschmack gefunden hatten, haben die Freiheit gerade in dieser erblickt, die anderen, die ihr Glück in der Monarchie gefunden hatten, haben sie in dieser gesucht. Kurz, jeder hat Freiheit die seinen Gewohnheiten und Neigungen angemessene Regierungsform genannt. Gewöhnlich erblickt man sie in der republikanischen, nicht aber in der monarchischen. Denn in einer Republik hat man die Werkzeuge der Übel, über die man sich beklagt, nicht immer so deutlich und aufdringlich vor Augen; die Gesetze sind es mehr, deren Sprache sich vernehmlich macht, weniger die Ausführer der Gesetze. Kurz, da in Demokratien das Volk ungefähr das, was es will, zu tun scheint, hat man die Freiheit in diesen Regierungsformen zu erblicken gemeint und hat die Macht des Volkes mit der Freiheit des Volkes verwechselt.

3. Was Freiheit ist.

Allerdings scheint in den Demokratien das Volk zu tun, was es will. Aber die politische Freiheit besteht gar nicht darin, daß man tun kann, was man will. In einem Staat, d. h. in einer von Gesetzen geregelten Gesellschaft, kann die Freiheit nur darin bestehen, daß man tun kann, was man wollen muß, sowie nicht gezwungen ist zu tun, was man nicht wollen soll.

Man muß sich nur deutlich vergegenwärtigen, was Unabhängigkeit und was Freiheit ist. Freiheit ist das Recht, alles zu tun, was die Gesetze erlauben, und wenn ein Bürger tun könnte, was sie verbieten, so würde er darum nicht mehr Freiheit haben, weil die anderen geradeso diese Macht haben würden.

4. Fortsetzung.

Die Demokratie und die Aristokratie sind keine ihrer Natur nach freie Staaten. Die politische Freiheit findet sich nur in den gemäßigten Regierungsformen. In ihnen ist sie auch nur vorhanden, wenn man die Macht nicht mißbraucht. Aber es ist eine uralte Erfahrung, daß, wer Macht hat, auch geneigt ist, sie zu mißbrauchen: er geht so weit, bis er auf Schranken stößt. Wer sollte es glauben: auch die Tugend bedarf der Schranken.

Damit man die Macht nicht mißbraucht, muß durch entsprechende Anordnung Macht der Macht Halt gebieten. Eine Verfassung kann so sein, daß niemand gezwungen wird, Dinge zu tun, zu denen das Gesetz nicht verpflichtet, und Dinge zu unterlassen, die das Gesetz ihm erlaubt.

5. Von dem Ziel der verschiedenen Staaten.

Obschon alle Staaten im allgemeinen dasselbe Ziel haben, nämlich sich zu erhalten, hat jeder Staat doch wieder sein besonderes. Vergrößerung war Roms Ziel, Krieg das Lazedämons, Religion das der jüdischen Gesetze; Handel das von Massilia; öffentliche Ruhe das der chinesischen Gesetze u. s. w.

Es gibt auch eine Nation in der Welt, deren Verfassung als Endziel die politische Freiheit hat. Wir werden jetzt die Grundlagen prüfen, auf denen diese Nation dieselbe begründet. Sind sie gut, wird die Freiheit sich darin wie in einem Spiegel zeigen.

6. Von der englischen Verfassung (im Anschluß an Locke).

In jedem Staate gibt es drei Arten von Gewalten: die gesetzgebende Gewalt, die ausführende für die Dinge, die unter das Völkerrecht fallen, und die ausführende für die, welche unter das bürgerliche Recht fallen.

Vermittels der ersteren gibt ein Fürst oder Beamter Gesetze kürzerer oder längerer Wirkungsdauer, bessert oder stellt die bestehenden ab. Vermittels der zweiten macht er Frieden oder Krieg, schickt oder empfängt Gesandtschaften, stärkt die Sicherheit des Landes, beugt feindlichen Einfällen vor. Vermittels der dritten straft er die Verbrechen und schlichtet die Streitigkeiten der einzelnen Bürger. Diese letztere werden wir kurz die richterliche, die andere kurz die ausführende Staatsgewalt nennen.

Die politische Freiheit in einem Bürger ist jenes ruhige Bewußtsein seiner Sicherheit. Damit jeder diese Freiheit hat, muß die Regierung so sein, daß kein Bürger einen andern Bürger zu fürchten braucht.

Wenn gesetzgebende und ausführende Gewalt in derselben Beamtung verbunden sind, gibt es keine Freiheit, weil man fürchten muß, daß derselbe Monarch oder dieselbe Körperschaft tyrannische Gesetze gibt, um sie tyrannisch durchzuführen.

Gleichfalls gibt es keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von den beiden andern getrennt ist. Wäre sie mit der gesetzgebenden verbunden, so würde die Gewalt über Leben und Freiheit der Bürger eine willkürliche sein, denn der Richter wäre Gesetzgeber. Wäre sie mit der ausführenden verbunden, könnte der Richter die Macht eines Unterdrückers haben.

Alles wäre verloren, wenn alle drei Gewalten in der Hand eines einzelnen Menschen, derselben Körperschaft von Fürsten, von Adligen oder aus dem Volke vereint wären: nämlich die Macht, Gesetze zu geben, die öffentlichen Beschlüsse auszuführen, die Verbrechen oder Streitigkeiten der einzelnen zu schlichten.

In der Mehrzahl der europäischen Königreiche ist die Regierungsform eine gemäßigte, weil der Fürst nur die ersten beiden Gewalten hat, die Ausübung der dritten seinen Untertanen überläßt.

So haben denn auch die Fürsten, die sich zu Despoten machen wollten, damit begonnen, alle Amtsgewalten in sich zu vereinigen.

Die Gerichtsbarkeit darf nicht einem lebenslänglichen Senat übertragen werden, sondern muß einer Körperschaft übertragen werden, die aus der Gesamtheit des Volkes zu einer gewissen Zeit des Jahres in einer gesetzlich festgelegten Weise ausgewählt wird, um einen Gerichtshof zu bilden, der nur die gerade notwendige Zeit amtiert.

So wird die richterliche Gewalt, wenn sie weder an einen bestimmten Stand noch an eine bestimmte Profession gebunden ist, ihres Schreckens entkleidet, sozusagen unsichtbar und verschwindet in gewissem Sinne. Man hat nicht fortwährend »Richter« vor Augen und fürchtet nur das Amt, nicht die Beamten.

Ja bei schweren Anklagen muß der Angeklagte mit einem gleichen Recht wie das Gesetz auch seinerseits Richter bestimmen oder wenigstens so viele zurückweisen können, daß man annehmen kann, die übrigbleibenden entsprächen seiner Wahl.

Die beiden anderen Gewalten können ständigen Körperschaften oder ständigen Beamten übertragen werden, weil sie nicht gegenüber einzelnen in Anwendung kommen. Denn die eine ist nichts anderes als der allgemeine Wille des Staats, die andere dessen Ausführung.

Wenn aber die Gerichtshöfe nicht ständig sein dürfen, so müssen es die Urteilssprüche bis zu dem Grade sein, daß sie nie etwas anderes sind als der genaue Text des Gesetzes. Wären sie eine Einzelmeinung eines Richters, würde man in einer Gemeinschaft leben, ohne doch genau die ihr gegenüber eingegangenen Verpflichtungen zu kennen.

Die Richter müssen sogar von derselben Lebensstellung wie der Angeklagte, seinesgleichen sein, damit er sich nicht einbilden kann, er sei in die Hände von Männern gefallen, die ihn zu vergewaltigen geneigt seien.

Wenn die gesetzgebende Gewalt der ausübenden die Macht läßt, Bürger einzusperren, die für ihr Benehmen Bürgschaft stellen können, gibt es keine Freiheit, es sei denn, sie würden festgenommen, um sich ohne Verzug wegen eines durch das Gesetz als Kapitalverbrechen gekennzeichneten Vergehens zu verantworten, in welchem Falle sie tatsächlich frei sind, weil sie nur der Macht des Gesetzes unterworfen sind.

Wenn jedoch die gesetzgebende Gewalt sich durch eine geheime Staatsverschwörung oder ein Einverständnis mit äußeren Feinden für gefährdet hielte, könnte sie für eine kurze und begrenzte Zeit der ausführenden Gewalt gestatten, die verdächtigen Bürger festzunehmen, die dann ihre Freiheit nur darum zeitweilig verlieren würden, um sie für immer zu bewahren.

Da in einem freien Staate jeder Mensch, der eine freie Seele hat, sich selbst regieren muß, so müßte das Volk die gesetzgebende Gewalt haben. Da das aber in den großen Staaten unmöglich ist, und in den kleinen mancherlei Unzuträglichkeiten unterworfen, so muß das Volk durch seine Vertreter alles tun, was es nicht selbst tun kann.

Man kennt die Bedürfnisse seiner Stadt besser als die einer anderen, und man hat über die Fähigkeiten seiner Nachbarn ein richtigeres Urteil als über die seiner andern Landsleute. So dürfen also die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaft nicht aus der ganzen großen Masse des Volkes genommen werden, sondern es empfiehlt sich, daß in jedem Hauptort sich die Einwohner einen Vertreter wählen.

Es ist nicht notwendig, daß die Vertreter, die von ihren Wählern eine allgemeine Instruktion erhalten haben, eine besondere für jede einzelne Angelegenheit bekommen, wie das in den deutschen Reichstagen üblich ist. Es würde ja allerdings auf diese Weise das Wort der Abgeordneten in höherem Grade die Stimme des Volkes sein. Aber das würde unendliche und aufhaltende Umständlichkeiten ergeben, jeden Abgeordneten zum Herrn aller andern machen, und in eiligen Angelegenheiten würde die ganze Kraft des Volkes durch eine Laune aufgehalten werden können.

Wenn die Abgeordneten, sagt Algernon Sidney sehr richtig, wie in Holland das Gesamtvolk vertreten, müssen sie ihren Auftraggebern Rechenschaft ablegen. Etwas anderes ist es, wenn sie, wie in England, von einzelnen Flecken abgeordnet werden.

Alle Bürger in den verschiedenen Bezirken müssen das Recht haben, ihre Stimme bei der Abgeordnetenwahl abzugeben, abgesehen von denen, die in einem derartig geschwächten Zustande sind, daß sie nach allgemeiner Anschauung keinen freien Willen haben.

In den alten Republiken gab es einen großen Fehler: das Volk hatte das Recht, wirkende Beschlüsse, die eine gewisse Exekutive verlangen, zu fassen, und dazu ist es vollkommen unfähig. Es darf sich vielmehr nur so weit an der Regierung beteiligen, als es seine Vertreter wählt, was seiner Urteilsfähigkeit entspricht. Denn wenn auch wenige Menschen den genauen Grad der Begabungen eines Menschen beurteilen können, so ist doch im allgemeinen jeder imstande, zu wissen, ob der, den er wählt, aufgeklärter ist, als der Durchschnitt.

Die Volksvertretung darf ebenfalls nicht gewählt werden, um aktiv wirkende Beschlüsse zu fassen. Denn das würde sie nicht gut besorgen. Ihre Aufgabe ist, Gesetze zu machen und darüber zu wachen, daß die von ihr gemachten gut ausgeführt werden. Das kann sie nicht nur, sondern kann sogar nur sie allein besorgen.

Es gibt immer in einem Staate Männer, die durch Geburt, Reichtümer oder Ehren ausgezeichnet sind. Wenn sie aber unterschiedslos unter dem Volke aufgehen sollten, und wenn sie nur eine Stimme hätten, wie alle andern, würde die allgemeine Freiheit für sie Knechtschaft sein und sie würden keinen Antrieb haben, sie zu verteidigen, weil die Mehrzahl der Beschlüsse gegen sie wäre. Der Anteil, den sie an der Gesetzgebung haben, muß also zu den übrigen Vorzügen, die sie im Staate haben, in richtigem Verhältnis stehen, und das kann geschehen, wenn sie eine Körperschaft bilden, die das Recht hat, den Unternehmungen des Volkes Halt zu gebieten, so wie dies den ihren gegenüber dasselbe Recht hat.

So wird denn die gesetzgebende Gewalt sowohl der Körperschaft der Adligen als auch der Volksvertretung anvertraut sein. Beide werden ihre besonderen Versammlungen haben und ihre besonderen Beratungen sowie gesonderten Gesichtspunkte und Interessen.

Die ausführende Gewalt muß in den Händen des Monarchen liegen, weil dieser Teil der Regierung, der fast immer eines sofortigen Eingreifens bedarf, besser von einem als von mehreren verwaltet wird, genau umgekehrt wie bei der gesetzgebenden Gewalt.

Wenn die gesetzgebende Körperschaft eine beträchtliche Zeitlang nicht einberufen würde, würde es keine Freiheit mehr geben. Denn eines von zwei Dingen müßte eintreten: entweder gäbe es überhaupt keine gesetzgeberischen Beschlüsse und der Staat würde der Anarchie verfallen; oder diese Beschlüsse würden von der ausführenden Gewalt gefaßt und diese würde dann zu einer unumschränkten.

(Dagegen empfiehlt es sich, die gesetzgebende Körperschaft für bestimmte Perioden zusammentreten zu lassen und sie in regelmäßigen Zeiträumen einer vollkommenen Neuwahl zu unterwerfen. Hier wie in dem ganzen Abschnitt hat Montesquieu immer die englische Verfassung im Auge und will nicht etwa allgemeine Grundsätze aufstellen.)

Die gesetzgebende Körperschaft kann sich nicht aus eigener Machtbefugnis versammeln. Denn Machtbefugnis hat sie erst, nachdem sie versammelt ist, und wenn sie sich nicht einstimmig versammelte, wüßte man nicht, welcher Teil nun eigentlich als gesetzgebende Körperschaft angesehen werden sollte.

(Auch über die Dauer ihrer Session kann sie nicht bestimmen. All dies ist Sache der ausführenden Gewalt, die auch gegen ihre Beschlüsse ein Veto einlegen kann. Das Umgekehrte darf jedoch nicht stattfinden.)

Dagegen muß die gesetzgebende Körperschaft das Recht und die Möglichkeit haben, zu prüfen, in welcher Weise die von ihr gegebenen Gesetze ausgeführt werden. Doch darf sie, wie diese Prüfung auch gehandhabt werden mag, nicht die Macht haben, die Person und damit das Betragen desjenigen, in dessen Händen die Ausführung liegt, in die Erörterung zu ziehen. Seine Person muß geheiligt sein, weil, da er dem Staate unentbehrlich ist, um ein Ausarten der Macht der gesetzgebenden Körperschaft bis zur Tyrannei zu verhindern, von dem Augenblick an, wo er angeklagt oder kritisiert würde, keine Freiheit mehr vorhanden wäre.

In diesem Falle wäre der Staat keine Monarchie mehr, sondern eine nicht freie Republik. Aber da der ausführende Herrscher seine besondere Tätigkeit nur dann schlecht ausüben kann, wenn er böswillige Ratgeber hat, so können diese zur Rechenschaft gezogen und gestraft werden.

(Legislative und exekutive Gewalt müssen im allgemeinen getrennt sein. Davon gibt es drei Ausnahmen. Erstens müssen die Adligen nur von ihresgleichen abgeurteilt werden, weil das Volk ihnen aus sehr verzeihlichem Neid nicht gerecht werden würde. Zweitens muß eine Appellation gegen die Gesetze, die »gleichzeitig hellseherisch und blind und in einigen Fällen zu streng sind«, an einen aus der gesetzgebenden Körperschaft gebildeten Gerichtshof möglich sein. Endlich kann in besonderem Falle die aus dem Volke gebildete gesetzgebende Körperschaft vor dem aus dem Adel gebildeten Teile als Anklägerin auftreten müssen.)

Die ausführende Gewalt muß gegenüber der Gesetzgebung ein Veto haben, sonst würde sie bald ihrer Vorrechte verlustig gehen.

Folgendes ist also die wesentliche Einrichtung der Regierung, von der wir sprechen: Da die gesetzgebende Körperschaft sich aus zwei Teilen zusammensetzt, so wird ein Teil den andern durch sein Einspruchsrecht in Schranken halten. Beide werden durch die ausübende Gewalt gebunden sein und diese selbst wieder durch die gesetzgebende.

Diese drei Gewalten würden also einander in vollkommenem Gleichgewicht (also sozusagen die Staatsmaschine auf dem toten Punkt in vollkommener Ruhe) halten müssen. Da sie aber durch die notwendige Bewegung der Dinge gezwungen sind, sich auch in Bewegung zu setzen, so werden sie zu einem einheitlichen Vorgehen genötigt werden.

Da die ausführende Gewalt nur durch ihr Veto an der Gesetzgebung teilnimmt, kann sie auch nicht in die Debatte eingreifen. Sie braucht nicht einmal die Initiative zu ergreifen, weil sie eben durch ihr Veto alle ihr unliebsamen Beschlüsse hindern kann.

In einigen alten Republiken, wo das Volk im ganzen über die Angelegenheiten debattierte, mußte die ausführende Gewalt auch die Initiative ergreifen und mit dem Volke debattieren können, sonst würde in den Beschlüssen eine seltsame Verwirrung eingegriffen sein.

Damit der, in dessen Händen die Ausführung liegt, nicht eine Vergewaltigung ausüben kann, müssen die Heere, die man ihm anvertraut, Volk sein und von demselben Geiste beseelt, wie das Volk, wie es in Rom bis zu den Zeiten des Marius war. Dazu gibt es nur zwei Mittel. Entweder müssen die zum Kriegsdienst herangezogenen wohlhabend genug sein, um von den andern Bürgern für ihre Führung zur Rechenschaft gezogen werden zu können, und dürfen, wie in Rom, immer nur für ein Jahr eingestellt werden. Oder wenn man ein stehendes Heer hat, dessen Soldaten die niedrigsten Schichten des Volkes darstellen, muß die gesetzgebende Gewalt es kassieren können, sobald sie das wünscht; ferner aber dürfen die Soldaten nicht in einem gesonderten Lager, noch in Kasernen, noch in Festungen, sondern müssen unter den Bürgern wohnen.

Ist das Heer einmal ausgehoben und eingerichtet, darf es nicht unmittelbar von der gesetzgebenden Körperschaft abhängen, sondern von der ausführenden Gewalt. Und dies naturgemäß, da seine Sache Handeln, nicht Erwägen ist.

Es liegt in der menschlichen Denkweise begründet, daß man Mut höher schätzt als Ängstlichkeit, Stärke höher als Besonnenheit, Tatkraft höher als gute Ratschläge. Das Heer wird immer einen Senat geringschätzen und seine Offiziere hochachten. Befehle, die es von einer Körperschaft erhält, deren Mitglieder in seinen Augen furchtsam und darum nicht würdig sind, ihm zu befehlen, wird es wenig beachten. Sobald also das Heer einzig von der gesetzgebenden Körperschaft abhängt, wird eine Militärherrschaft entstehen. Wenn jemals das Gegenteil eingetreten ist, so sind ganz außergewöhnliche Umstände daran schuld.

Wie alle menschlichen Dinge ihr Ende haben, so wird auch der Staat einmal seine Freiheit verlieren, er wird zugrunde gehen, und zwar dann, wenn die gesetzgebende Gewalt zerrütteter sein wird, als die ausführende.

Buch 12.
Von den Gesetzen, welche die politische Freiheit hinsichtlich des einzelnen Bürgers begründen.

1. Allgemeines.

Es genügt nicht, von der politischen Freiheit in ihrer Beziehung zur Verfassung gesprochen zu haben, man muß sie auch in ihrer Beziehung zum Bürger betrachten.

Ich habe gesagt, daß sie im ersteren Fall durch eine gewisse Verteilung der drei Gewalten gebildet wird. Im zweiten muß man sie unter einem andern Gesichtspunkt auffassen. Da besteht sie in der Sicherheit oder in der Vorstellung, die man von seiner Sicherheit hat.

Es kann vorkommen, daß die Verfassung frei ist, nicht aber der Bürger, sowie auch das Umgekehrte. In diesen beiden Fällen wird die Verfassung der Theorie nach, nicht den Tatsachen nach, der Bürger den Tatsachen nach, nicht der Theorie nach frei sein.

Die Freiheit in bezug auf die Verfassung beruht einzig und allein auf Anordnung der Gesetze, sogar der Grundgesetze. In ihrer Beziehung auf den Bürger jedoch können Sitten, Gewohnheiten, überkommene Beispiele sie entstehen lassen und gewisse bürgerliche Gesetze sie begünstigen, wie wir im nachstehenden Buche zeigen werden.

Da außerdem in der Mehrzahl der Staaten die Freiheit weit mehr eingeengt, bedrückt oder niedergehalten wird, als ihre Verfassung es verlangt, ist es gut, von den besonderen Gesetzen zu sprechen, die in jeder Verfassung das Prinzip der Freiheit, die jeder Staat vertragen kann, fördern oder hindern können.

2. Von der Freiheit des Bürgers.

Die Freiheit im philosophischen Sinne besteht in der Ausübung seines Willens oder wenigstens in der Vorstellung, daß man seinen Willen ausübt. Die Freiheit in politischem Sinne besteht in der Sicherheit oder wenigstens in der Vorstellung, die man von seiner Sicherheit hat.

Diese Sicherheit wird am stärksten durch öffentliche oder private Anklagen angegriffen. Also hängt die Freiheit des Bürgers hauptsächlich von der Güte der Strafgesetze ab.

Die Strafgesetze haben sich nicht in einem Tage zur Vollkommenheit entwickelt. Grade dort, wo man die Freiheit am eifrigsten gesucht hat, hat man sie nicht immer gefunden, (wie mancherlei historische Beispiele beweisen.) Wenn die Unschuld der Bürger aber nicht in Sicherheit ist, ist es die Freiheit auch nicht.

Die Erfahrungen, die man in einigen Ländern (z. B. in England) über die sichersten, bei Strafurteilen zu beobachtenden Vorschriften gesammelt hat und in anderen noch erwerben wird (z. B. in Frankreich), gehen das Menschengeschlecht näher an, als sonst irgend eine Angelegenheit in der Welt.

Allein auf diesen Erfahrungen kann die Freiheit begründet werden, und in einem Staate, der darüber die bestmöglichen Gesetze besäße, würde ein Mensch, dem man den Prozeß macht und der am nächsten Tage gehängt werden sollte, freier sein als ein türkischer Pascha.

3. Fortsetzung.

Gesetze, die einen Menschen auf die Aussage eines einzigen Zeugen hin zum Tode verurteilen, sind für die Freiheit verhängnisvoll. Die Vernunft verlangt zwei Zeugen, weil ein Zeuge, der bestätigend aussagt, und ein Angeklagter, der leugnet, Stimmengleichheit ergeben, zu deren Lösung es eines dritten bedarf.

Die Griechen und Römer verlangten eine Stimme Mehrheit, um zu verurteilen. Unsere französischen Gesetze deren zwei. Die Griechen behaupteten, daß ihr Gebrauch von den Göttern eingesetzt sei – das ist der unsere.

4. Die Freiheit wird begünstigt durch die Art und das richtige Verhältnis der Strafen.

Es ist der Triumph der Freiheit, wenn die Gesetze jede Strafe aus der besonderen Natur des Vergehens herleiten. Jede Willkür hört damit auf. Die Strafe hängt nicht von der Laune des Gesetzgebers ab, sondern ist rein sachlich, und es ist dann nicht der Mensch, der dem Menschen Gewalt antut.

Es gibt vier Arten Verbrechen. Die der ersten verletzen die Religion; die der zweiten die Sitten; die der dritten die Ruhe und die der vierten die Sicherheit des Bürgers. Die Strafen, die man verhängt, müssen sich aus der Natur jeder dieser Arten herleiten.

Unter die Vergehen gegen die Religion setze ich nur die, welche sie unmittelbar angehen, wie beispielsweise alle einfachen Sakrilegien. Denn die Vergehen, die die Ausübung der Religion stören, gehören in die zweite und dritte Klasse, weil sie die Ruhe oder die Sicherheit der Bürger beeinträchtigen.

Um die Strafe für einfache Sakrilegien aus der Natur der Sache herzuleiten, muß sie in der Entziehung aller Vorteile bestehen, welche die Religion gewährt: Ausschluß aus den Kirchen, zeitweilige oder dauernde Verbannung aus der Gemeinde; Vermeidung ihres Umganges, Verfluchung und Exkommunikation.

Von den Dingen, welche die Ruhe oder die Sicherheit des Staates stören, fallen die geheimen Handlungen unter die Machtbefugnis der menschlichen Gerechtigkeit. Aber bei denen, welche die Gottheit verletzen, kann da, wo keine öffentliche Handlung vorliegt, auch nicht von Verbrechen die Rede sein: Das ist eine Angelegenheit, die jeder Mensch mit seinem Gott abmachen muß, der Zeit und Maß seiner Rache kennt. Wenn darum der Beamte, in Verwechselung der Dinge, auch dem geheimen Sakrileg nachspürt, dehnt er die Inquisition auf eine Art von Handlung aus, bei der das nicht nötig ist: er zerstört die Freiheit der Bürger, indem er gegen sie den Eifer der ängstlichen Gewissen bewaffnet, sowie den Eifer der kühnen Gewissen.

Das Übel ist aus der Vorstellung entstanden, daß man die Gottheit rächen müsse. Nein, ehren muß man die Gottheit, rächen niemals. Denn in der Tat, wollte man sich von jener Vorstellung leiten lassen, wo fände man ein Ende mit Strafen? Wenn die Gesetze der Menschen ein unendliches Wesen zu rächen haben, werden sie sich nach dessen Unendlichkeit zu richten haben, nicht nach den Schwächen, der Beschränktheit und der Laune der menschlichen Natur.

Die zweite Art Vergehen bilden die, welche gegen die Sitten gehen. Dahin gehört die Verletzung der öffentlichen oder häuslichen Enthaltsamkeit, d. h. der Bestimmungen über den sinnlichen Genuß. Auch hier muß die Strafe aus der Natur der Sache fließen. Entziehung der Vorteile, welche die Gesellschaft an die Sittenreinheit geknüpft hat, Geldstrafen, die Schande, der Zwang sich zu verbergen, öffentliche Entehrung, Verbannung aus Staat und Gesellschaft, kurz alle die Strafen, die unter die Befugnis der Zuchtpolizei fallen, genügen, um die Ausschreitungen der beiden Geschlechter zu unterdrücken. In der Tat beruhen diese Vergehen weniger auf Schlechtigkeit als auf einem Vergessen oder Mißachten seiner selbst.

Hier handelt es sich nur um die Vergehen, welche allein die Sitten verletzen, nicht um die, welche die öffentliche Sicherheit gefährden, wie Entführung und Notzucht. Diese gehören zur vierten Gruppe.

Die Verbrechen der dritten Gruppe sind die, welche die Ruhe der Bürger beeinträchtigen; die entsprechenden Strafen: Gefängnis, Verbannung, Züchtigung und andere Strafen, welche die unruhigen Geister zur Ordnung zwingen.

Ich beschränke die Vergehen gegen die Ruhe auf die Dinge, die eine einfache Verletzung der Polizeiordnung betreffen. Denn wenn ein Vergehen gleichzeitig Ruhe und Sicherheit gefährdet, gehört es in die vierte Gruppe.

Die Strafen dieser letzteren Vergehen sind, was man nennt, die hochnotpeinlichen. Es ist das eine Art Wiedervergeltung, die bewirkt, daß die Gesellschaft dem Bürger die Sicherheit versagt, der einen anderen derselben hat berauben wollen. Diese Strafe ist aus der Natur der Dinge gezogen und geschöpft aus der Vernunft und den Quellen von Gut und Böse. Ein Bürger verdient den Tod, wenn er die Sicherheit derart verletzt, daß er Leben unterdrückt hat, oder versucht hat zu unterdrücken. Diese Todesstrafe ist gleichsam das Heilmittel der kranken Gesellschaft. Wenn man die Sicherheit hinsichtlich des Besitzes verletzt, können Gründe vorliegen, die auch die Todesstrafe verlangen. Aber es wäre vielleicht besser und würde der Natur der Dinge mehr entsprechen, wenn diese Vergehen durch Verlust des Besitzes bestraft würden, und das müßte jedenfalls so sein, wenn die Vermögen alle gleich wären. Da aber meistens Besitzlose sich an Besitzenden vergreifen, hat die körperliche Strafe an Stelle der Geldstrafe treten müssen.

Alles, was ich sage, ist aus der Natur geschöpft und der Freiheit des Bürgers sehr günstig.

5. Über Zauberei und Ketzerei.

(Dieser Abschnitt empfiehlt allergrößte Vorsicht und Mäßigung bei der Behandlung von Anklagen wegen Zauberei und Ketzerei. So widersinnige Anklagen, wie die unter Philipp dem Langen gegen die Juden wegen Vergiftung der Brunnen erhobene, müßten Bedenken gegen alle auf den öffentlichen Haß begründete erwecken. Ketzerei wird nur mit einem Wort gestreift: »Ich sage hier nicht, daß man die Ketzerei gar nicht bestrafen solle, ich sage nur, daß man sehr vorsichtig bei ihrer Bestrafung zu Werke gehen soll«.)

6. Von der Unzucht.

(Sie wird streng verurteilt, nur wird ebenfalls große Vorsicht bei der Bewertung der Zeugenaussagen empfohlen.)

Es ist seltsam, daß bei uns drei Verbrechen: Hexerei, Ketzerei und Unzucht oft mit dem Feuer bestraft worden sind, während man doch von dem ersten beweisen könnte, daß es gar nicht existiert, von dem zweiten, daß es einer Unzahl von Unterscheidungen, Auslegungen, Einschränkungen unterliegt (Vergl. Persische Briefe Nr. 29, S. 14.), vom dritten, daß es sehr oft dunkel ist.

Ich muß auch sagen, daß die widernatürlichen Vergehungen niemals in einer Gemeinschaft große Ausbreitung finden werden, wenn sie nicht durch sonst irgend einen Gebrauch dazu geführt wird, wie bei den Griechen, wo die jungen Männer alle ihre Übungen nackend machten, wie bei uns, wo die häusliche Erziehung außer Gebrauch ist; wie bei den Asiaten, wo manche eine große Zahl von Frauen haben, die sie verachten, während andere gar keine haben können. Man soll die Veranlassung zu diesem Verbrechen forträumen, es durch eine scharfe Polizeiaufsicht ächten, wie alle anderen Sittenvergehen, und man wird sehen, wie die Natur ihre Rechte verteidigt, oder sie sich zurückerobert. Sanft, liebenswert und bezaubernd hat sie die Genüsse mit freigiebiger Hand ausgestreut, und indem sie uns mit Genüssen überhäuft, bereitet sie uns durch Kinder, in denen wir sozusagen wieder aufleben, eine Befriedigung, die größer ist als diese Genüsse selbst.

7. Von dem Verbrechen der Majestätsbeleidigung.

Chinas Gesetze bestimmen, daß, wer es dem Kaiser gegenüber an Achtung mangeln läßt, mit dem Tode bestraft wird. Da sie aber nicht definieren, was dieser Mangel an Achtung ist, so kann alles und jedes den Vorwand liefern, um einem Manne sein Leben zu nehmen oder eine Familie zu vernichten. (Folgen einige Beispiele aus China.)

Es genügt vollkommen, daß der Begriff Majestätsbeleidigung unbestimmt ist, um die Regierung in Despotismus ausarten zu lassen. Ich werde mich darüber des breiteren in dem Buche über die textuelle Abfassung der Gesetze – Buch 29. – auslassen.

8. Von der üblen Anwendung der Bezeichnungen »Sakrileg« und »Majestätsbeleidigung«.

Es ist gleichfalls ein starker Mißbrauch, eine Handlung als Majestätsbeleidigung zu bezeichnen, die es nicht ist. Ein Gesetz der römischen Kaiser verfolgte als Sakrileg, wenn jemand das Urteil des Herrschers in Frage zog oder an dem Verdienst derer zweifelte, die er für irgend ein Amt ausgewählt hatte. Dies Verbrechen hatten wohl der kaiserliche Rat und die Günstlinge ausgeklügelt. Ein anderes Gesetz hatte erklärt, daß ein Angriff auf die Minister und die Offiziere einem Angriff auf den Herrscher selbst gleichgeachtet werden sollte. Dies Gesetz verdanken wir zwei Fürsten – Arkadius und Honorius – die in der Geschichte für ihre Schwäche berühmt sind, zwei Fürsten, die von ihren Ministern geleitet wurden, wie die Herde vom Hirten, zwei Fürsten, die Sklaven in ihrem Palast, Kinder im Staatsrat, Fremdlinge in ihrem Heere waren, die die Krone nur behielten, weil sie sie alle Tage verschenkten. Einige jener Günstlinge verschworen sich gegen ihre Kaiser. Sie taten noch mehr: sie verschworen sich gegen das Reich. Sie riefen die Barbaren herbei, und als man sie festnehmen wollte, war der Staat so schwach, daß man ihr eigenes Gesetz verletzen mußte und sich dem Majestätsverbrechen aussetzen, um sie bestrafen zu können.

(Hier sowie in 9 und 10 folgen einige Beispiele.)

11. Von den strafbaren Gedanken.

Ein gewisser Marsyas träumte, daß er dem Dionys die Kehle abschnitte. Dieser ließ ihn hinrichten, indem er sagte, daß er so etwas nicht in der Nacht geträumt haben würde, wenn er nicht am Tage daran gedacht hätte. Das war eine große Tyrannei. Die Gesetze befassen sich nur mit der Bestrafung von Handlungen.

12. Von unvorsichtigen Worten gegen den Herrscher.

Nichts macht die Anklage wegen Majestätsbeleidigung abhängiger von der Willkür, als wenn unvorsichtige Worte ihren Gegenstand bilden. Reden sind der Auslegung so unterworfen, die Grenze zwischen Unvorsichtigkeit und Absichtlichkeit ist so schmal und der Unterschied zwischen den Ausdrücken, deren beide sich bedienen, so gering, daß das Gesetz Worte kaum einer peinlichen Strafe unterwerfen kann, wofern es nicht ausdrücklich die Worte nennt, die es unter Strafe stellt.

Worte bilden kein Corpus delicti. Sie bleiben nur in der Vorstellung. Oft liegt ihre Bedeutung nur in dem Ton, in dem man sie sagt. Oft, wenn man dieselben Worte wiederholt, gibt man nicht denselben Sinn wieder, denn dieser hängt von ihrer Beziehung auf irgendwelche anderen Dinge ab. Manchmal drückt das Schweigen mehr aus als alle Reden. Es gibt nichts so Doppelsinniges, wie all das. Wie soll man also aus Worten eine Majestätsbeleidigung machen? Überall wo dies Gesetz besteht, ist keine Freiheit, ja nicht einmal ihr Schatten vorhanden.

(Etwas anderes sei es natürlich, wenn es sich um aufrührerische Reden handle, deren Zweck Herbeiführung von Handlungen sei. »Dann straft man nicht die Worte, sondern eine begangene Handlung, bei der man Worte braucht.«)

13. Majestätsbeleidigung durch Schriften.

Satirische Schriften sind in despotisch regierten Staaten kaum bekannt, weil hier einerseits die Niedergedrücktheit, andrerseits die Unwissenheit weder das Talent noch den Willen, solche zu machen, aufkommen lassen. In einer Demokratie verhindert man sie nicht, aus demselben Grunde, der sie in einer Monarchie verbieten läßt. Da sie sich gewöhnlich gegen die Mächtigen richten, so schmeicheln sie in einer Demokratie der Spottsucht des regierenden Volkes. In einer Monarchie verbietet man sie aber viel mehr durch polizeiliche denn durch gesetzliche Maßnahmen. Sie können die allgemeine Spottsucht belustigen, die Unzufriedenen trösten, den Neid gegen die hohen Stellungen mindern, dem Volke die Geduld zum Leiden geben, ja es über seine Leiden lachen machen.

Eine aristokratische Regierung verbietet am nachdrücklichsten die satirischen Werke. In ihr sind die Beamten kleine Souveräne, die nicht groß genug sind, um Beschimpfungen mit Verachtung zu strafen. Wenn in einer Monarchie ein Pfeil gegen den Herrscher abgeschossen wird, ist dieser viel zu erhaben, als daß der Pfeil ihn erreiche. Ein aristokratischer Herr wird von ihm durch und durch geschossen. So bestraften die Dezemvirn in Rom, die eine Aristokratie bildeten, die satirischen Schriften.

14. Verletzung des Schamgefühles bei der Bestrafung der Verbrechen.

Es gibt Vorschriften der Scham, die bei fast allen Völkern der Welt beobachtet werden. Es wäre widersinnig, sie bei der Bestrafung der Verbrechen zu verletzen, die immer die Wiederherstellung der Ordnung zum Gegenstande haben muß.

(Nach diesem Grundsatz sind Bestrafungen, wie sie bei Asiaten, aber auch bei den Römern vorkamen, zu verwerfen.)

27. Von den Sitten des Monarchen.

Die Sitten des Herrschers tragen ebensoviel zur Freiheit bei wie die Gesetze. Er kann, wie sie, aus Menschen Tiere und aus Tieren Menschen machen. Wenn er die freien Seelen liebt, wird er Untertanen haben; wenn er die niedrigen Seelen liebt, wird er Sklaven haben. Will er die große Kunst des Herrschens besitzen, so sammle er Tugend und Ehre um sich, so berufe er wahres persönliches Verdienst. Er darf selbst manchmal die Augen auf ein Talent werfen. Er möge nicht jene Rivalen fürchten, die man Männer von Verdienst nennt: er ist ihresgleichen, sobald er sie liebt. Er gewinne die Herzen, aber er fessele nicht die Geister. Er mache sich beim Volke beliebt. Ihm muß die Liebe seines geringsten Untertanen schmeicheln – es sind immer noch Menschen. Das Volk verlangt so wenig Rücksichten, daß es gerecht ist, sie ihm werden zu lassen. Der unendliche Abstand, der zwischen dem Volk und dem Herrscher besteht, läßt es ihm nicht beschwerlich werden. Der Bitte zugänglich, sei er fest gegenüber Forderungen und sei gewiß, daß das Volk sich seiner Weigerungen und die Höflinge sich seiner Gunstbezeigungen freuen.

Buch 13.
Von den Beziehungen, welche die Erhebung der Abgaben und die Größe der Staatseinkünfte zu der Freiheit haben.

17. Von der Vermehrung der Truppen.

Eine neue Krankheit hat sich in Europa ausgebreitet, sie hat unsere Fürsten ergriffen und läßt sie eine Maß und Ziel überschreitende Zahl von Soldaten unterhalten. Sie hat ihre besonders heftigen Anfälle und sie wirkt notgedrungen ansteckend. Denn sobald ein Staat das vermehrt, was er seine Truppen nennt, vermehren die andern sie schleunigst auch, so daß nichts dabei herauskommt als allgemeiner Ruin. Jeder Herrscher hält alle Soldaten auf Kriegsfuß, die er haben könnte, wenn sein Volk unmittelbar vor der Vernichtung stände. Und man nennt »Frieden« diesen Zustand der Bewaffnung aller gegen alle! Folglich ist Europa wirtschaftlich in solcher Notlage, daß Privatleute, die in der Lage der drei Großmächte dieses reichsten Teiles der Erde wären, nicht wüßten, wovon sie leben sollten. Wir sind arm mit allen Reichtümern und dem gesamten Welthandel, und bald werden wir so viel Soldaten haben, daß wir nur noch Soldaten haben, und dann werden wir auf der Kulturhöhe der Tataren stehen.

Die großen Herrscher, nicht zufrieden damit, die Truppen der kleineren zu erkaufen, suchen nach allen Seiten Bündnisse zu erkaufen, d. h. fast immer ihr Geld fortzuwerfen.

Die Folge einer solchen Weltlage ist die ständige Erhöhung der Abgaben und, was alle zukünftigen Besserungen unterbindet, man rechnet nicht mehr auf die Einkünfte, sondern man führt den Krieg mit seinem Kapital (d. h. mit Anleihen). Es ist nichts Ungewöhnliches, daß ein Staat seinen Grundbesitz mit Hypotheken belastet und, um sich zu ruinieren, Mittel anwendet, die er außerordentliche nennt, und die das in so hohem Grade sind, daß der liederlichste Sohn einer Familie kaum auf sie verfallen möchte.

Buch 14.
Die Gesetze in ihrer Beziehung zum Klima.

1. Allgemeine Vorbemerkung.

Wenn es wahr ist, daß Denkweise und Empfindungsweise unter verschiedenen Himmelsstrichen außerordentlich verschieden sind, so müssen sich die Gesetze dieser Verschiedenheit genau anpassen.

2. Wie sehr die Menschen unter verschiedenen Himmelsstrichen verschieden sind.

Unter dem Einfluß der Kälte ziehen sich die unter der Haut gelegenen Fibern unseres Körpers zusammen und drängen das Blut nach dem Herzen. Unter demselben Einfluß verkürzen sich auch diese Fibern und dadurch nimmt ihre Kraft zu. Die Wärme hat die umgekehrte Wirkung.

Unter kalten Himmelsstrichen hat man also eine größere Lebenskraft. Die Wirkung des Herzens und die Gegenwirkung der Fibern geht besser von statten, die Säfte sind in besserem Gleichgewicht, das Blut strömt kräftiger zum Herzen und das Herz ist entsprechend kräftiger. Diese größere Kraft muß mannigfaltige Wirkungen haben. So erzeugt sie beispielsweise größeres Selbstvertrauen, d. h. größeren Mut; größeres Bewußtsein der eigenen Überlegenheit, d. h. geringere Rachlust; größeres Sicherheitsgefühl, d. h. größeren Freimut, geringere Argwöhnischkeit, List und Verschlagenheit. Kurz, all dies muß den Menschen ein sehr verschiedenes Gepräge geben. Man bringe einen Menschen in einen heißen und eingeschlossenen Raum, dann wird er aus den angegebenen Gründen eine sehr große Herzschwäche verspüren. Schlägt man ihm in diesem Zustande eine kühne Handlung vor, so wird man ihn, glaube ich, wenig dazu geneigt finden. Seine augenblickliche Schwäche wird in seiner Seele Entmutigung erzeugen; er wird alles fürchten, weil er fühlen wird, daß er nichts kann. Die Völker in den heißen Ländern sind furchtsam wie alte Leute; die in kalten mutig wie junge. Betrachten wir den letzten Krieg, den spanischen Erbfolgekrieg, der für uns das Nächstliegende und durchsichtigste Beispiel liefert, so werden wir merken, daß die nordischen Völker, in die südlichen Länder versetzt, sich nicht so bewährt haben wie ihre Landsleute, die, da sie in ihrem eigenen Klima kämpften, im Vollbesitz ihres Mutes waren.

(Aus physiologischen Aufstellungen, die heutzutage etwas sonderbar anmuten, zieht Montesquieu eine Reihe von Folgerungen über den Charakter der Völker. Man muß in diesen Folgerungen das Ergebnis seiner auf seinen Reisen und aus dem Studium der Geschichte gesammelten Beobachtungen erblicken und ihnen als solchen ihren Wert belassen, mag auch die physiologische Erklärung des Tatsächlichen minderwertig oder ganz wertlos sein, obschon er sie stellenweise durch Versuche, die er beschreibt, zu stützen unternommen hat. Im folgenden sind nur seine Äußerungen über die Charaktereigenschaften der Völker gegeben, die physiologischen Erklärungsversuche ausgelassen.)

(Die nordischen Völker nähren sich kräftiger, sind größer und stärker an Wuchs, jedoch weniger sensibel und lebhaft. Den feineren Reizen weniger zugänglich, haben sie wenig Empfänglichkeit für die Genüsse. Diese steigern sich mit der zunehmenden Wärme des Klimas.) Ich habe in England und in Italien Opern gesehen. Es waren dieselben Stücke und dieselben Schauspieler. Aber dieselbe Musik übt auf die beiden Nationen eine ganz verschiedene Wirkung. Die eine ist so ruhig und die andere so hingerissen, daß es unbegreiflich erscheint.

(So nimmt auch die Empfindlichkeit gegen Schmerz mit der Wärme des Klimas ab.) Einem Russen muß man schon die Haut abziehen, um in ihm Schmerzempfindung zu erzeugen.

Mit dieser Zartheit der Organe, die man in heißen Ländern hat, hängt es auch zusammen, daß die Seele von allem, was auf den Geschlechtsgenuß hinzielt, mächtig erregt wird: alles führt auf diesen Gegenstand hin.

In den heißen Ländern liebt man die Liebe um ihrer selbst willen. Sie ist dort die alleinige Ursache des Glückes. Sie ist das Leben.

In den südlichen Ländern gibt sich ein zarter, schwächlicher, aber fein empfindender Organismus entweder einer Liebe hin, die sich in einem Serail unaufhörlich erzeugt und beruhigt, oder einer Liebe, die, indem sie den Frauen eine größere Unabhängigkeit läßt, tausend Beunruhigungen ausgesetzt ist. In den nördlichen Ländern dagegen findet ein gesunder, wohlausgestatteter, wenn auch schwerfälligerer Organismus seine Genüsse in allem, was die Lebensgeister in Bewegung zu setzen vermag: Jagd, Reisen, Krieg, Wein. In nördlichen Strichen wird man Völker finden, die wenig Laster, ziemlich viel Tugenden, viel Ehrlichkeit und Offenheit zeigen.

Nähert man sich dem Süden, so hat man den Eindruck, als wenn man sich von der Sittlichkeit selbst entfernte. Heftigere Leidenschaften steigern die Zahl der Verbrechen. Jeder versucht über die andern alle die Vorteile zu erlangen, die eben diese Leidenschaften begünstigen. In den gemäßigten Ländern – wie in Frankreich – findet man Völker, die in ihren Gewohnheiten, sogar in ihren Lastern und ihren Tugenden, unbeständig sind. Die Beständigkeit des Klimas ist dort nicht groß genug, um ihnen selbst Beständigkeit zu verleihen.

3. Widersprüche in den Charakteren gewisser südlicher Völker.

Die Indier besitzen keinen natürlichen Mut. Selbst die in Indien geborenen Kinder von Europäern verlieren den Mut ihrer Rasse. Aber wie soll man das mit ihren gräßlichen Handlungen, ihren Sitten, ihren barbarischen Bußübungen vereinigen? Die Männer unterwerfen sich unglaublichen Leiden, die Frauen verbrennen sich selbst: das ist viel Stärke für so viel Schwäche!

Die Natur, die diesen Völkern eine Schwäche gegeben hat, die sie furchtsam macht, hat ihnen auch eine lebhafte Einbildungskraft gegeben, die von allen Reizen bis zum Übermaß erregt wird. Dieselbe organische Zartheit, die sie den Tod fürchten läßt, dient ihnen auch, tausend Dinge mehr zu fürchten als den Tod. Dieselbe Empfindlichkeit läßt sie vor allen Gefahren fliehen und allen Gefahren trotzen.

Wie eine gute Beaufsichtigung für Kinder notwendiger ist als für ausgereifte Leute, so haben auch die Völker jener Himmelsstriche einen weisen Gesetzgeber mehr nötig als die Völker des unseren. Je leichter und nachhaltiger man Eindrücke aufnimmt, um so wichtiger ist es, sie in zuträglicher Weise aufzunehmen und sich von der Vernunft leiten zu lassen.

Zu den Zeiten der Römer lebten die nördlichen Völker ohne Künste, ohne Erziehung, ja fast ohne Gesetze. Und doch hielten sie sich gegen die Römer mit einer bewundernswerten Klugheit dank ihrer gröberen und kräftigeren Konstitution bis zu dem Augenblicke, wo sie aus ihren Wäldern hervorbrachen, um das Römerreich zu zerstören.

4. Gründe der Starrheit des Orients in Religion, Sitten, Gewohnheiten und Gesetzen.

Wenn man zu dieser Schwäche der Organe, die den orientalischen Völkern die stärkste Eindrucksfähigkeit verleiht, noch eine gewisse geistige Trägheit hinzunimmt, die sich naturgemäß mit der körperlichen verbindet und bewirkt, daß ihr Geist keiner Handlung, keiner Anstrengung, keiner Anspannung fähig ist, so wird man begreifen, daß solch eine Seele, wenn sie einmal Eindrücke empfangen hat, nicht mehr von ihnen loskommt. Das ist der Grund, daß die Gesetze, die Sitten, die Gewohnheiten, selbst die nebensächlich erscheinenden, noch heute fast im Orient so sind, wie sie vor tausend Jahren waren.

5. Schlechte Gesetzgeber sind die, welche die im Klima begründeten Laster begünstigt, gute, die sich ihnen widersetzt haben.

Die Indier glauben, daß die Ruhe und das Nichts Grund aller Dinge und das Endziel sind, auf das sie hinstreben. Sie betrachten also die vollkommene Untätigkeit als den vollkommensten Zustand und das Ziel ihrer Wünsche. Sie geben dem höchsten Wesen den Beinamen des Unbeweglichen. Die Siamesen glauben, daß das höchste Glück darin bestehe, keine Maschine in Bewegung zu setzen und den Körper nicht handeln zu lassen.

In diesen Ländern, wo die übermäßige Hitze entnervt und niederdrückt, ist die Ruhe so köstlich und die Bewegung so mühselig, daß dieses metaphysische System natürlich erscheint, und Buddha, der indische Gesetzgeber, hat seinen eigenen Empfindungen nachgegeben, wenn er die Menschen in einen außerordentlich passiven Zustand versetzt hat. Aber seine Lehre, die aus der Trägheit des Klimas geboren ist und sie ihrerseits wieder begünstigt, hat unzählige Übel erzeugt.

Vernünftiger waren die chinesischen Gesetzgeber. Sie berücksichtigten den Menschen nicht in dem friedlichen Zustande, in dem er eines Tages vielleicht sein wird, sondern in dem tätigen, der ihn befähigt, die Ansprüche des Lebens zu erfüllen, und geben ihrer Religion, ihrer Philosophie und ihren Gesetzen einen durchaus nüchternen Anstrich. Je mehr die natürlichen Rücksichten den Menschen zur Ruhe drängen, um so mehr müssen die sittlichen Rücksichten ihn davon entfernen.

6. Der Landbau in den heißen Ländern.

Der Anbau der Erde ist die größte Leistung des Menschen. Je mehr das Klima dazu drängt, diese Arbeit zu vermeiden, um so mehr müssen die Religion und die Gesetze dazu anfeuern. Wenn also die indischen Gesetze das Ackerland den Fürsten zusprechen und den Einzelnen den Sinn für Landbesitz nehmen, so steigern sie die schlechte Wirkung des Klimas, d. h. die natürliche Trägheit.

7. Das Mönchswesen.

Das Mönchswesen erzeugt dort dieselben Übel. Es ist in den heißen Ländern des Ostens entstanden, wo man weniger zum Handeln als zum Grübeln geneigt ist.

In Asien scheint die Zahl der Derwische oder Mönche mit der Wärme des Klimas zuzunehmen. Indien, wo sie übermäßig ist, wimmelt davon. Auch in Europa findet man den gleichen Unterschied.

Um die im Klima begründete Trägheit zu überwinden, müßten die Gesetze jede Möglichkeit, ohne Arbeit zu leben, unterbinden. Aber im südlichen Europa tun sie genau das Gegenteil. Sie weisen denen, die untätig leben wollen, Stellungen, die zum grüblerischen Leben geeignet sind, an und statten sie mit unermeßlichen Reichtümern aus. Diese Leute, die in einem ihnen selbst lästigen Überfluß leben, geben mit Recht, was sie entbehren können, dem niederen Volke: es hat ja das Nutzungsrecht seines Besitzes an sie verloren. Sie entschädigen es durch die Untätigkeit, deren Genuß sie ihm verschaffen, und so findet es schließlich an seinem Elende Wohlgefallen.

9. Mittel, um die Gewerbe zu ermutigen.

Im 19. Buche werde ich zeigen, daß die trägen Völker gewöhnlich ehrliebend sind. Man könnte die Wirkung gegen die Ursache ausspielen und die Trägheit durch den Ehrgeiz zerstören. Da im südlichen Europa die Völker für Anregungen ihres Ehrgefühls so empfänglich sind, sollte man den Bauern Preise versprechen, die ihr Land am besten in Ordnung halten, und den Gewerbetreibenden, die ihre Industrie am weitesten bringen. Dies Verfahren wird selbst in jedem Lande anwendbar sein. Es hat in unseren Tagen in Irland zu der Begründung der bedeutendsten Leinenindustrie in Europa geführt.

10. Gesetze gegen Trunkenheit.

(Montesquieu sieht in dem Weinverbot der Mohammedaner eine durch Rücksicht auf das Klima hervorgerufene Vorschrift. Die stärkere Ausdünstung des Körpers in warmen Ländern muß durch Wassertrinken ausgeglichen werden. Wein würde das Blut zu sehr verdicken.)

Ein ähnliches Gesetz würde in kalten Ländern nicht gut sein, wo das Klima zu einer gewissen Volkstrunkenheit zu zwingen scheint, die sehr verschieden von der Trunkenheit des einzelnen ist. Die Trunksucht findet sich überall auf der Erde (und nimmt vom Äquator nach den beiden Polen hin zu).

Es ist natürlich, daß da, wo der Wein sich nicht mit dem Klima und also auch nicht mit der Gesundheit verträgt, die Unmäßigkeit strenger gestraft werden muß, als in den Ländern, wo die Trunkenheit wenig schlechte Wirkungen für den einzelnen hat, wo sie auch wenig solche für die Allgemeinheit hat, wo sie die Menschen nicht wild, sondern nur stumpfsinnig macht. So waren die Gesetze, die einen trunkenen Menschen sowohl für die Trunkenheit als für eine in diesem Zustande begangene Handlung straften, nur anwendbar auf die Trunkenheit des einzelnen, nicht auf die nationale Trunkenheit. Ein Deutscher trinkt aus Gewohnheit, ein Spanier mit Vorbedacht.

11. Von den Gesetzen gegen klimatische Krankheiten.

(Die Lepra machte besondere Gesetze nötig.)

Vor zweihundert Jahren kam eine unsern Vätern unbekannte Krankheit aus der neuen Welt zu uns und griff die menschliche Gesundheit bis in die Quellen des Lebens und Genusses an. Man sah die meisten großen Familien des südlichen Europas durch ein Übel zugrunde gehen, das zu allgemein wurde, um noch entehrend zu sein, und nur noch wie ein Verhängnis betrachtet wurde. Der Durst nach Gold gab dieser Krankheit immer von neuem Nahrung: man ging ununterbrochen nach Amerika und brachte immer neues Gift mit.

Da eine weise Gesetzgebung auch über die Gesundheit der Bürger wachen muß, so wäre es sehr vernünftig gewesen, die Weiterverbreitung durch Gesetze nach dem Muster der mosaischen zu verhindern.

Die Pest richtet noch viel schnellere und gewaltsamere Verheerungen an. Ihre Heimat ist Ägypten, von wo sie sich über die Erde verbreitet. Man hat in der Mehrzahl der europäischen Staaten sehr gute Bestimmungen gegen ihre Einschleppung getroffen, und in unsern Tagen hat man ein treffliches Mittel ersonnen, um ihr Halt zu gebieten: man zieht einen Truppenkordon um das angesteckte Land und verhindert so jeglichen Verkehr.

12. Die Gesetze gegen die Selbstmörder. (Vgl. Persische Briefe Nr. 76, S. 69.)

(Die Römer begingen Selbstmord nur aus triftigen Gründen, die Engländer ohne ersichtliche Gründe, infolge einer Krankheit, die sie Spleen nennen.) Es ist klar, daß die Gesetze einiger Länder gute Gründe gehabt haben, um den Selbstmörder mit Schande zu behaften. Aber in England dürfte man sie ebensowenig bestrafen, wie Verbrecher aus Irrsinn.

13. Wirkungen des englischen Klimas.

In einem Volke, das durch eine klimatische Krankheit bis zum Ekel am Leben getrieben wird, würde, wie man einsieht, die Regierungsform die beste sein, die es verhinderte, daß diese mit allem Unzufriedenen an einem einzelnen ihre Unzufriedenheit auslassen könnten, und bewirkte, daß, da Gesetze, nicht Menschen regierten, man, um den Staat zu ändern, eben die Gesetze selbst umstürzen müßte.

Wenn nun dasselbe Volk auch noch durch das Klima einen ungeduldigen Charakter empfangen hätte, der es die gleichen Dinge nicht lange unverändert ertragen ließe, so würde die bezeichnete Regierungsform doppelt passen.

Diese Ungeduld ist nicht an sich groß, kann es aber werden, wenn sie sich mit Wagemut verbindet.

Sie ist verschieden von der Leichtfertigkeit, die da bewirkt, daß man sich grundlos in Unternehmungen stürzt und sie ebenso grundlos aufgibt. Sie ist eher mit der Hartnäckigkeit verwandt, weil sie aus einer so lebendigen Empfindung für die Übel herkommt, daß sie sich nicht einmal durch die Gewöhnung abschwächt.

Dieser Charakterzug würde bei einem freien Volke sehr geeignet sein, um allen umstürzlerischen Bestrebungen den Boden zu entziehen.

Die Knechtschaft beginnt immer mit dem Schlaf. Aber ein Volk, das in keiner Lage Ruhe hat, das sich ohne Aufhören betastet und dann alle Stellen schmerzhaft findet, könnte kaum einschlafen.

Die Politik ist einer heimlich wirkenden Feile zu vergleichen, die langsam eindringt und zu ihrem Ziele gelangt. Leute wie die, von denen wir reden, könnten die Langsamkeit, Sorgfältigkeit und Kaltblütigkeit politischer Verhandlungen nicht aushalten. Sie würden damit oft weniger leicht zum Ziele kommen, als die anderen Völker, und sie würden durch ihre Verträge verlieren, was sie mit ihren Waffen gewonnen haben.

14. Andere Wirkungen des Klimas.

Unsere Vorfahren, die alten Germanen (d. h. die Franken), bewohnten ein Klima, wo die Leidenschaften sehr mäßig waren. Ihre Gesetze faßten die Dinge ganz nüchtern auf. Und da sie die Menschen angetanen Kränkungen nach der Größe der Wunden bemaßen, so suchten sie in den Frauen angetanen Kränkungen nichts Besonderes. Das Gesetz der alten Deutschen ist darin sehr sonderbar: wenn man einer Frau den Kopf entblößt, soll man eine Geldstrafe von 10 Solidi bezahlen, ebensoviel für eine Entblößung bis zum Knie, drüber hinaus das Doppelte. Es scheint, daß das Gesetz die Größe der den Frauen angetanen Kränkungen nach dem Längenmaß bestimmte. Es strafte nicht das in der Vorstellung liegende Vergehen, es strafte das Vergehen der Augen. Als aber ein germanischer Stamm nach Spanien verpflanzt wurde, erfand das Klima andere Gesetze. Das Gesetz der Westgoten verbot den Ärzten, eine vornehme Frau anders zur Ader zu lassen als in Gegenwart ihres Vaters oder ihrer Mutter oder ihres Bruders, ihres Sohnes oder ihres Oheims. Die Einbildungskraft des Volkes hatte sich entzündet, die der Gesetzgeber erhitzte sich gleichfalls; das Gesetz beargwöhnte alles im Sinne eines Volkes, das auch alles beargwöhnen konnte.

Diese Gesetze richteten also eine außerordentliche Aufmerksamkeit auf die Beziehungen der beiden Geschlechter. Aber es scheint, daß sie bei ihren Strafen mehr darauf sahen, der Rache des einzelnen Genüge zu leisten, als der öffentlichen Vergeltung. So gaben sie auch in der Mehrzahl der Fälle die beiden Schuldigen den Verwandten oder dem beleidigten Gatten zu Sklaven. Eine vornehme Frau, die sich einem verheirateten Manne hingegeben hatte, wurde seiner Frau zu freier Verfügung überliefert. Sie verpflichteten die Sklaven, eine Frau, die sie beim Ehebruch ertappten, ihrem Manne gefesselt zu übergeben. Sie erlaubten ihren Kindern, sie anzuklagen, und Sklaven auf der Folter zur Aussage gegen sie zu zwingen. Somit waren sie geeigneter, ein gewisses Ehrgefühl zu übersteigern, als eine gute Aufsicht zu begründen.

Buch 15.
Von den Beziehungen der bürgerlichen Sklaverei zum Klima.

(Dies Buch handelt von der Sklaverei. Montesquieu verwirft sie von allen Gesichtspunkten aus. Doch erscheinen nach ihm die Schwarzen als eine so minderwertige Rasse, daß er es sich wenigstens vorstellen kann, mit welchen Gründen jemand die Sklaverei für diese aufrecht erhalten könnte, vorausgesetzt, daß klimatische Gründe ihr Bestehen erklären. Jedenfalls empfiehlt er große Menschlichkeit gegen die Sklaven und eine gesetzliche Regelung ihres Verhältnisses zu ihren Herren.)

Buch 16.
Von den Beziehungen der Gesetze über häusliche Sklaverei zu dem Klima.

(Dies Buch bespricht zunächst die Länder, in denen die Frauen wie Sklaven gehalten werden, berührt die Vielweiberei und behandelt dann die Ehescheidung.)

12. Von der natürlichen Scham.

Alle Völker haben in gleichem Maße Verachtung für die Ausschweifungen der Frauen. Das zeigt, wie die Natur zu allen Völkern vernehmlich gesprochen hat. Sie hat die Verteidigung geschaffen, sie hat den Angriff eingerichtet, und während sie beiden Geschlechtern das sinnliche Verlangen gab, gab sie dem einen die kühne Zudringlichkeit, dem andern die Scham. Um sich zu erhalten, gab sie den Einzelwesen eine lange Zeit; daß sie sich fortpflanzten, gewährte sie ihnen nur kurze Augenblicke.

Es ist also nicht wahr, daß, wer seinem sinnlichen Begehren maßlos nachgibt, den Gesetzen der Natur folge. Er verletzt sie im Gegenteil. Maß und Zurückhaltung entsprechen diesen Gesetzen.

Übrigens liegt es in der Natur der verstandesbegabten Wesen, sich ihrer Unvollkommenheiten bewußt zu sein: also hat die Natur das Schamgefühl in uns gelegt, d. h. das Bewußtsein unserer Unvollkommenheiten.

Wenn also die physikalische Wirkung gewisser Klimate das natürliche Gesetz verletzt, und zwar sowohl das der beiden Geschlechter als auch das der vernunftbegabten Wesen, so muß der Gesetzgeber bürgerliche Gesetze schaffen, welche die Einwirkung des Klimas überwinden und die ursprünglichen Gesetze wiederherstellen.

13. Von der Eifersucht.

Man muß wohl unterscheiden zwischen der Eifersucht der Leidenschaft und der Eifersucht der Gewohnheiten, Sitten, Gesetze. Die erstere ist ein brennendes und verzehrendes Fieber. Die andere, die kühl überlegend, mitunter aber furchtbar ist, kann sich mit Gleichgültigkeit und Verachtung verbinden.

Die eine, die eine Mißgestalt der Liebe ist, entsteht aus eben dieser Liebe. Die andere ist einzig abhängig von den Sitten und Gebräuchen des Volkes, den Landesgesetzen, der Sittlichkeit und manchmal sogar von der Religion.

Sie ist fast immer ein Ausfluß des Klimas und zugleich ein Heilmittel gegen dessen verhängnisvolle Wirkungen.

15. Von Ehescheidung und Verstoßung.

Zwischen Ehescheidung und Verstoßung besteht der Unterschied, daß erstere durch gegenseitige Einwilligung auf Grund gegenseitiger Unverträglichkeit zustande kommt, während die Verstoßung nur durch den Willen und nur zum Nutzen eines der beiden Teile ausgeführt wird, ohne Rücksicht auf Willen und Vorteil des andern.

Manchmal sind die Frauen notgedrungen in der Lage, ihren Gatten verstoßen zu müssen, und dabei ist es für sie so folgenschwer, es zu tun, daß das Gesetz hart ist, das dies Recht allein den Männern gibt. Der Gatte ist der Herr des Hauses. Er hat tausend Mittel, seine Frau in der Pflicht zu erhalten oder zu ihr zurückzuzwingen, und es scheint, als sei die Verstoßung in seinen Händen nur ein neuer Mißbrauch seiner Gewalt. Aber eine Frau, die den Mann verstößt, benutzt nur ein trübseliges Heilmittel. Für sie ist es immer ein großes Unglück, sich einen zweiten Mann zu suchen, wenn sie die Mehrzahl ihrer Reize bei einem andern verloren hat. Das ist einer der Vorzüge der Jugendreize der Frauen, daß in vorgerückterem Alter der Gatte durch die Erinnerung an das, was er früher genossen, zum Wohlwollen geneigt ist.

So gilt also allgemein die Forderung, daß in den Ländern, wo den Männern vom Gesetze das Recht der Verstoßung gewährt wird, die Frauen dies auch haben müssen. Mehr noch: unter den Himmelsstrichen, wo die Frauen in häuslicher Sklaverei leben, muß anscheinend das Gesetz den Frauen die Verstoßung, den Männern dagegen nur die Ehescheidung gestatten.

(Letzteres wird noch begründet und schließlich noch darauf hingewiesen, daß die Scheidung unwiderruflich sein müsse.)

16.

(Handelt von Scheidung und Verstoßung bei den Römern.)

Buch 17.
Von den Beziehungen der politischen Sklaverei zum Klima.

1-3.

(Aus den klimatischen Verhältnissen Asiens und Europas wird gefolgert:)

In Asien stehen kräftige Völker den schwachen gegenüber. Kriegerische, tapfere, tatkräftige Völker grenzen unmittelbar an weichliche, träge, furchtsame. So müssen die einen Eroberer, die anderen Eroberte sein. In Europa dagegen steht ein kraftvolles Volk einem anderen kraftvollen gegenüber. Die Nachbarn sind sich an Mut ungefähr gleich. Das ist der große Grund für Asiens Schwäche und Europas Stärke, Europas Freiheit und Asiens Knechtschaft, ein Grund, von dem ich nicht weiß, ob man ihn schon bemerkt hat.

4. Folgerungen aus dem Vorangehenden.

Das eben Gesagte stimmt mit dem Verlauf der Geschichte vollkommen überein. Asien ist dreizehnmal unterjocht worden, elfmal von den nördlichen, zweimal von den südlichen Völkern. In alten Zeiten eroberten die Skythen es dreimal, dann Perser und Meder je einmal, dann die Griechen, die Araber, die Mongolen, die Türken, die Tataren, die Neuperser und die Afghanen. Ich spreche nur von Mittelasien und rede noch gar nicht von den Einfällen im südlichen Teile dieses Erdteiles, der unaufhörlich unter großen Umwälzungen gelitten hat.

In Europa kennen wir dagegen seit der Begründung der phönizischen und der griechischen Kolonien nur vier große Veränderungen. Die erste wurde durch die Eroberungen der Römer veranlaßt, die zweite durch die Völkerwanderung, die dritte durch Karls des Großen Siege und die letzte durch den Einbruch der Normannen. Und wenn man diese Vorgänge genau prüft, wird man selbst in diesen Veränderungen noch beobachten, wie eine allgemeine Kraft durch alle Teile von Europa verbreitet ist. Man kennt die Schwierigkeit, die die Römer bei ihren Eroberungen in Europa fanden, und die Leichtigkeit ihrer asiatischen Eroberungen. Man kennt die Mühe, die die Barbaren hatten, Rom zu stürzen, die mühevollen Kriege Karls des Großen, die verschiedenen Versuche der Normannen. Die Zerstörer wurden ohne Unterlaß selber zerstört.

Buch 18.
Die Gesetze in ihrer Beziehung zur Bodenbeschaffenheit des Landes.

1. Güte des Bodens führt ein Volk zur Abhängigkeit.

Die Landleute, die dann die Mehrheit bilden, sind nicht so eifersüchtig auf die Erhaltung ihrer Freiheit bedacht. Sie sind von ihren kleinen und besonderen Sorgen zu sehr in Anspruch genommen. Flaches Land, das viel Reichtümer besitzt, fürchtet die Plünderung, fürchtet ein Heer.

So findet sich denn die Einzelherrschaft zumeist in den fruchtbaren Ländern, die Vielherrschaft in denen, die das nicht sind, und das ist für letztere manchmal eine Entschädigung.

Die Unfruchtbarkeit des attischen Bodens begründete auf ihm die Volksherrschaft, und Lazedämons Fruchtbarkeit die aristokratische. Denn in jener Zeit wollte man in Griechenland von einer Monarchie nichts wissen, die aristokratische hat aber mit ihr die meiste Verwandtschaft.

Plutarch sagt uns, daß, als die Kylonische Verschwörung in Athen vorüber war, die Stadt in die alten Parteikämpfe zurückfiel und sich in so viel Parteien auflöste, als es Bodenarten in Attika gab. Die Bergbewohner verlangten die Volksherrschaft, die Bewohner der Ebene die Herrschaft der Vornehmen, die Bewohner des Küstenstriches waren für eine aus beiden gemischte Regierung.

2. Fortsetzung.

Die fruchtbaren Länder sind Ebenen, wo man sich schlecht gegen den Stärkeren verteidigen kann. So unterwirft man sich ihm, und wenn das geschehen ist, kann der Geist der Freiheit nicht wiederkommen. Landbesitz ist ein Unterpfand der Treue. In gebirgigen Ländern aber kann man seinen Besitz leicht verteidigen, und man hat auch nicht viel. Die Freiheit, das heißt die Regierungsform, die man hat, ist das einzige Gut, das der Verteidigung wert ist. Sie herrscht also mehr in den bergigen und schwer zugänglichen Ländern, als in denen, die von der Natur mehr begünstigt erscheinen.

Die Bergvölker bewahren eine gemäßigtere Regierung, weil sie nicht so den Eroberungen ausgesetzt sind. Sie verteidigen sich leicht und sind schwer anzugreifen. Darum finden alle Gesetze, die man zur Sicherung eines Volkes schafft, dort weniger Boden.

3. Welches die kultiviertesten Länder sind.

Die Kulturstufe eines Landes steht nicht in gradem Verhältnis zu seiner Fruchtbarkeit, sondern zu seiner Freiheit, und wenn man in Gedanken die Erde teilt, wird man erstaunt sein zu sehen, wie die meiste Zeit hindurch die fruchtbarsten Striche öde liegen, und große Völker dort aufwachsen, wo der Boden ganz zu versagen scheint.

Es ist natürlich, daß ein Volk einen schlechten Boden verläßt, um einen besseren zu suchen, nicht umgekehrt. Die von der Natur am meisten begünstigten Länder sind also den meisten Einfällen ausgesetzt, und da Einfall und Verwüstung eng zusammengehören, sind die besten Landstriche oft die entvölkertsten, während das häßliche Gebiet des Nordens immer bewohnt bleibt, weil es fast unbewohnbar ist.

Aus den Berichten über den Zug der Völker von Skandinavien nach den Donauufern sieht man, daß das kein Eroberungszug, sondern eine Auswanderung nach verlassenen Gebieten war.

Diese glücklichen Himmelsstriche waren also durch andere Auswanderungen entvölkert worden, und wir kennen nur nicht die tragischen Vorgänge, die dort stattgefunden hatten.

4. Weitere Folgen der Fruchtbarkeit und der Unfruchtbarkeit eines Landes.

Die Unfruchtbarkeit des Bodens macht seine Bewohner erfindungsreich, nüchtern, arbeitsgewohnt, mutig, kriegstüchtig, sie müssen sich eben schaffen, was der Boden nicht von selbst gibt. Die Fruchtbarkeit eines Landes gibt mit der Wohlhabenheit die Weichlichkeit und eine gewisse Liebe zur Erhaltung des Lebens um jeden Preis.

Man hat beobachtet, daß die deutschen Truppen, die in Gegenden ausgehoben werden, wo die Bauern reich sind, wie in Sachsen, nicht so gut sind wie die andern. Die militärischen Gesetze können diesem Übelstande durch eine strengere Manneszucht abhelfen.

7. Der Einfluß des Menschen auf die Erdoberfläche.

Durch ihre Sorgfalt und durch gute Gesetze haben die Menschen die Erde geeigneter gemacht, ihnen zur Wohnung zu dienen. Wir sehen Flüsse strömen, wo früher See und Sumpf war. Diese Vorzüge hat die Natur zwar nicht geschaffen, aber sie erhält sie. Als die alten Perser Herren von Asien waren, gewährten sie denen, die an einen vorher dürren Ort eine Quelle hingeleitet hatten, fünf Generationen hindurch die Benutzung davon, und da viele Bäche vom Taurus herabkommen, sparten sie keine Ausgabe, sie zur Bewässerung auszunutzen. Heute findet man dort Wasser in seinen Gärten und auf seinen Feldern, ohne zu wissen, woher es kommt.

Wie die zerstörenden Völker Übel schaffen, die sie überdauern, so gibt es arbeitsame Völker, die Werke schaffen, die nicht mit ihnen untergeben.

Buch 19.
Die Gesetze in ihrer Beziehung zum Nationalcharakter.

1. Von dem Gegenstand dieses Buches.

Dieser Stoff ist von großer Ausdehnung. Gegenüber der Masse von Ideen, die sich mir zudrängen, werde ich auf die Anordnung der Dinge mehr achten als auf die Dinge selbst. Ich muß rechts und links Überflüssiges abweisen, grade vorwärts streben und mich hindurcharbeiten.

2. Auch für die besten Gesetze muß der Boden vorher bereitet sein.

Nichts schien den Germanen unerträglicher als die Gerichtsoberhoheit des Varus. Die, welche Justinian bei den Lazianern einsetzte, um dem Mörder ihres Königs den Prozeß zu machen, erschien diesen als eine entsetzliche und barbarische Sache. Zu einer Rede gegen die Römer macht ihnen Mithridates besonders die Formalitäten ihrer Rechtssprechung zum Vorwurf. Die Parther mochten jenen König nicht, der, in Rom erzogen, sich allen Leuten zugänglich und umgänglich erzeigte. Selbst die Freiheit hat Völkern unerträglich geschienen, die an ihren Genuß nicht gewöhnt waren. So ist manchmal reine und frische Luft denen schädlich, die in einer Sumpfniederung aufgewachsen sind.

3. Von der Tyrannei.

Es gibt zwei Arten von Tyrannei, eine wirkliche, die in der Gewaltsamkeit der Regierung besteht, und eine, die nur in der Vorstellung vorhanden ist und fühlbar wird, wenn die Regierung Einrichtungen trifft, die die Denkweise eines Volkes beleidigen.

(Als Beispiel wird Augustus genannt, der, in Wahrheit König, die Abneigung der Römer gegen das Königtum weise zu schonen wußte, indem er den Namen desselben vermied und die äußeren Formen der Republik bestehen ließ.)

4. Was Nationalcharakter ist.

Mehrere Dinge beherrschen den Menschen: Klima, Religion, Gesetze, Regierungsgrundsätze, seine Vergangenheit, Sitten, Gewohnheiten. Als Endergebnis aus all diesem entspringt ein allgemeiner Volksgeist.

In dem Maße, wie in jedem Volke eine dieser Ursachen stärker wirkend austritt, weichen ihr die andern um ebensoviel. Über die Wilden herrschen Bodenbeschaffenheit und Klima fast allein; Gewohnheiten regieren in China. Die Gesetze tyrannisieren Japan. Die Sitten gaben in Sparta ehemals den Ton an, in Rom taten es die Regierungsgrundsätze und die alten Sitten.

5. Wie sehr man darauf achten muß, den Nationalcharakter zu erhalten.

Wenn es in der Welt ein Volk gäbe – (Montesquieu meint die Franzosen) – das einen umgänglichen Charakter besäße, ein offenes Herz, Lebenslust, Geschmack, Leichtigkeit, seine Gedanken mitzuteilen; ein Volk, das lebhaft, ansprechend, heiter, manchmal unklug, oft unbesonnen wäre, und dabei Mut, Edelsinn, Freimut, eine gewisse Empfindlichkeit in Ehrensachen besäße, dann dürfte man es nicht in seinen äußerlichen Gewohnheiten durch Gesetze beirren, um es nicht in seinen inneren Vorzügen zu beirren. Wenn der Charakter im ganzen gut ist, was liegt dann an einzelnen Mängeln?

Man würde bei diesem Volk die Frauen etwas einschränken, Gesetze geben können, um ihre Sitten zu bessern, ihre Prachtliebe einzudämmen; aber wer weiß, ob man dadurch nicht einen gewissen Geschmack zerstören würde, der die Quelle der Volksreichtümer wäre, sowie eine Höflichkeit, welche die Fremden zu ihm hinzieht?

Des Gesetzgebers Aufgabe ist es, sich dem Volkscharakter anzupassen, solange er nicht den Regierungsgrundsätzen widerspricht. Denn wir machen nichts besser, als das, was wir aus freiem Antriebe tun, indem wir unserer natürlichen Beanlagung folgen.

Gibt man einem von Natur leichtlebigen Volke den Geist der Pedanterie, wird der Staat weder nach innen noch nach außen dadurch etwas gewinnen. Man lasse es die nichtigen Dinge ernst und die ernsten Dinge leichtfertig tun!

6. Man muß nicht alles verbessern wollen.

Man lasse uns, wie wir sind, sagte mir ein Edelmann aus einem Volke, das dem eben geschilderten sehr ähnlich sieht. Die Natur gleicht alles wieder aus. Sie hat uns eine Lebhaftigkeit gegeben, die sich wohl bis zu einer Beleidigung vergessen und über alle Rücksichten hinwegsehen kann, aber ebendieselbe Lebhaftigkeit wird berichtigt durch die Höflichkeit, die sie uns verleiht, indem sie uns Geschmack an der Geselligkeit, besonders am Umgang mit Frauen, einflößt.

Man lasse uns also, wie wir sind. Unsere Voreiligkeit, verbunden mit dem fast gänzlichen Mangel an Bosheit, bewirkt, daß Gesetze, die unseren Geselligkeitssinn beeinträchtigen würden, ganz ungeeignet wären.

7. Athener und Spartaner.

Die Athener, fuhr jener Edelmann fort, waren ein Volk, das mit dem unsern einige Ähnlichkeit hatte; es brachte Heiterkeit in seine Staatsgeschäfte. Ein spottender Zug gefiel ihm auf der Rednerbühne so gut wie auf der Schaubühne. Die Lebhaftigkeit seiner Entschlüsse übertrug es auch auf die Ausführung. Der Charakter der Spartaner war gewichtig, ernst, trocken, schweigsam. Man würde ebensowenig mit einem Athener etwas haben anfangen können, wenn man ihn langweilte, wie mit einem Spartaner, wenn man ihn zu belustigen versuchte.

8. Wirkung des Geselligkeitssinnes.

Je mitteilsamer ein Volk ist, um so leichter wechselt es in seinen Gebräuchen, weil jeder für den andern ein Schauspiel ist; man sieht besser die Eigenarten der einzelnen. Das Klima, das bewirkt, daß ein Volk es liebt, sich mitzuteilen, bewirkt auch, daß es die Veränderung liebt, und das, was bewirkt, daß ein Volk die Veränderung liebt, bewirkt auch, daß es seinen Geschmack ausbildet.

Der Verkehr mit Frauen verdirbt die Sitten und bildet den Geschmack. Der neidische Wunsch, mehr zu gefallen als die andern, führt zum Schmuck, und der Wunsch, mehr zu gefallen, als man selbst (d. h. als man gefallen würde, wenn man auf seine eigenen Vorteile und seinen eigenen Geschmack angewiesen wäre), schafft die Moden. Die Moden sind eine wichtige Sache. Dadurch, daß man sich den Sinn mit nichtigen Dingen füllt, vermehrt man fortwährend die Gewerbszweige.

9. Von der Eitelkeit und dem Dünkel der Völker.

Die Eitelkeit als Triebfeder zu benützen ist ebenso empfehlenswert für eine Regierung, wie die Ausnützung des Dünkels gefährlich. Man braucht sich auf der einen Seite nur die zahllosen segensreichen Wirkungen der Eitelkeit vorzustellen: aus ihr die Prachtliebe, der Gewerbefleiß, die Künste, die Moden, die Höflichkeit, der Geschmack; und auf der anderen alle die Übel, die aus dem Dünkel gewisser Völker entstehen: Trägheit, Armut, Nachlässigkeit in allem, Zerstörung der durch den Zufall in ihre Hand gegebenen Völker und ihrer selbst. Trägheit ist eine Folge des Dünkels, Arbeitslust eine Folge der Eitelkeit. Der Dünkel eines Spaniers hält ihn von der Arbeit zurück, die Eitelkeit eines Franzosen wird ihn dazu drängen, besser zu arbeiten als andere.

Jedes träge Volk ist würdevoll, denn die da nicht arbeiten, betrachten sich als Herren derer, die arbeiten.

Man beobachte alle Völker und man wird sehen, daß meistenteils würdevoller Ernst, Dünkel und Trägheit sich beisammenfinden.

14. Welches sind die natürlichen Mittel, um Sitten und Gebräuche eines Volkes zu verändern?

Wir haben gesagt, daß die Gesetze besondere und fest umschriebene Einsetzungen des Gesetzgebers sind, die Sitten und Gebräuche Einsetzungen des Volkes im ganzen. Daraus folgt, daß, wenn man Sitten und Gewohnheiten ändern will, man sie nicht durch die Gesetze ändern muß: das würde zu tyrannisch erscheinen. Es ist besser, sie durch andere Sitten und Gebräuche zu beeinflussen.

Das Gesetz, das die Russen zwang, Bart und Kleider kurz zu tragen, und die Bestimmung Peters I., die denen, die in die Städte kamen, die Kleider bis zu den Knien abzuschneiden befahl, waren tyrannisch. Es gibt Mittel, um die Verbrechen zu hindern, das sind die Strafen; es gibt andere, um Gebräuche zu ändern, das sind die Beispiele.

Die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der dies Volk sich den neuen Verordnungen fügte, hat deutlich gezeigt, daß Peter I. eine zu schlechte Meinung von ihm hatte, und daß es nicht, wie er sagte, aus Tieren bestände. Die gewalttätigen Mittel, die er anwandte, waren unnütz. Er wäre geradesogut durch Milde zum Ziel gekommen.

Er erfuhr es selbst, wie leicht diese Änderungen waren. Die Frauen wurden bis dahin eingeschlossen gehalten und waren gewissermaßen Sklavinnen. Er rief sie an den Hof und ließ sie deutsche Kleidung tragen, er schickte ihnen passende Stoffe. Dies Geschlecht fand sofort Geschmack an einer Lebensweise, die seinen Neigungen entsprach, seiner Eitelkeit, seinen Leidenschaften, und machte sie auch den Männern schmackhaft.

Was die Veränderungen leicht machte, war der Umstand, daß die damaligen Sitten nicht dem Klima angemessen waren, vielmehr durch die Mischung der Völker und Eroberungen dorthin gebracht worden waren. Da nun Peter I. europäische Sitten und Gewohnheiten einem europäischen Volke brachte, so fand er Erleichterungen, die er selbst nicht erwartet hatte. Die Macht des Klimas ist die größte aller Mächte.

Er bedurfte keiner Gesetze, um Sitten und Gewohnheiten seines Volkes zu ändern, es hätte genügt, ihm andere Sitten und Gewohnheiten einzuflößen.

Im allgemeinen hängen Völker sehr an ihren Gebräuchen. Sie ihnen gewaltsam entreißen, heißt sie unglücklich machen. Man muß sie also nicht abändern wollen, sondern die Völker dahin bringen, daß sie sie selbst ändern.

Jede Strafe, die nicht aus der Notwendigkeit herfließt, ist tyrannisch. Das Gesetz ist nicht bloß ein Akt der Macht. Dinge, die ihrer Natur nach gleichgültig sind, fallen nicht in seinen Bereich.

16. Wie einige Gesetzgeber die Grundsätze verwechselt haben, welche die Menschen regieren.

Sitten und Gewohnheiten sind Gebräuche, welche die Gesetze nicht geschaffen haben oder nicht haben schaffen können oder wollen.

Zwischen Gesetzen und Sitten besteht dieser Unterschied, daß die Gesetze mehr die Handlungen des Bürgers regeln, die Sitten mehr die Handlungen des Menschen. Zwischen Sitten und Gewohnheiten besteht dieser Unterschied, daß die ersteren mehr die innere, die letzteren mehr die äußere Lebensführung angehen.

Manchmal verwischen sich in einem Staat diese Unterschiede. Lykurg gab ein und dasselbe Gesetzbuch für Gesetze, Sitten und Gebräuche. Dasselbe taten die chinesischen Gesetzgeber.

27. Wie die Gesetze dazu beitragen können, die Sitten, die Gewohnheiten und den Charakter eines Volkes zu bilden.

Ich habe im 6. Kapitel des 11. Buches von einem freien Volke gesprochen (gemeint war und ist im folgenden England). Ich habe die Grundsätze seiner Verfassung gegeben. Betrachten wir jetzt die Wirkungen, die daraus haben folgen müssen, den Charakter, der sich daraus hat bilden können, und die Gewohnheiten, die daraus entspringen.

Ich meine nicht etwa, daß nicht das Klima zum großen Teil die Gesetze, Sitten und Gewohnheiten dieses Volkes hervorgebracht hat, sondern ich meine, daß Sitten und Gewohnheiten desselben in enger Beziehung zu seinen Gesetzen stehen.

Wenn dieses Volk eine Insel bewohnte, würde es keine erobernde Nation sein, weil fernab liegende Eroberungen es schwächen würden. Es würde noch weniger das sein, wenn der Boden dieser Insel fruchtbar wäre, weil es dann den Krieg nicht brauchte, um sich zu bereichern.

In ihm würde man die Soldaten als Leute ansehen, deren Gewerbe nützlich, doch oft auch gefährlich sein kann, als Leute, deren Dienste für das Volk recht drückend sind, und die bürgerlichen Tugenden würden dort höher geschätzt sein.

Diese Nation, die der Frieden und die Freiheit in Wohlstand versetzen würden, befreit von den Vorurteilen der kriegerischen Eroberer, würde geneigt sein, ein Handelsvolk zu werden. (Ihre Landesprodukte, damals Wolle und Leinen, würden zu einem großen gewerblichen Aufschwung Anlaß geben.)

Ein handeltreibendes Volk hat eine Unmasse kleiner Sonderinteressen. Es kann also auf eine Anzahl verschiedener Weisen anstoßen und selbst behelligt werden. Dies würde in übertriebener Weise eifersüchtig werden und sich mehr über anderer Völker Wohlstand ärgern, als seinen eigenen genießen. Und seine Gesetze, im übrigen sanft und leicht, könnten hinsichtlich der Schiffahrt und des Handels so streng sein, daß es den Eindruck machte, als wenn es nur mit seinen Todfeinden Handel triebe.

Wenn dieses Volk Kolonien ausschickte, würde das mehr geschehen, um seinen Handel, denn um seine Herrschaft auszudehnen.

Da man seine heimischen Einrichtungen auch anderswohin zu übertragen liebt, so würde es seinen Kolonien die heimische Verfassung geben, und da diese Verfassung den Wohlstand mit sich bringt, würde man große Staaten entstehen sehen selbst in den Wäldern, die es besiedelte. (Zu dieser Voraussagung der einstigen Größe Amerikas vergleiche man die Voraussagung seiner Lostrennung, die sich in Montesquieus »Bemerkungen über England« findet: Ich glaube, daß, wenn ein Volk von seinen Kolonien verlassen wird, das mit dem englischen anfangen wird.)

Dies Volk, das eine große Insel bewohnte und einen ausgedehnten Handel besäße, würde sich unschwer eine große Seemacht halten können, und da die Rücksicht auf seine innere Freiheit ihm weder Festungen noch ein Landheer gestattete, würde es dieser Seemacht zum Schutz gegen Einfälle bedürfen und seine Seemacht würde der aller anderen Mächte überlegen sein, da diese ihr Geld für die Landheere aufbrauchen.

Die Herrschaft über das Meer hat den Völkern, die sie besaßen, immer einen natürlichen Stolz gegeben, weil sie sich befähigt fühlen, überall einzugreifen und überzugreifen, und glauben, daß ihre Macht ebensowenig Grenzen hat wie das Weltmeer.

Man würde die Menschen dort kaum nach nichtigen Talenten oder Eigenschaften schätzen, sondern nur nach wirklichen, und deren gibt es nur zwei: Reichtum und persönliches Verdienst.

Dort würde ein solider und wohlbegründeter Luxus bestehen, nicht zu verfeinerter Befriedigung der Eitelkeit, sondern der realen Bedürfnisse.

Buch 23.
Die Gesetze in ihrer Beziehung zur Einwohnerzahl.

(Es wird von der Ehe gesprochen, diese aber natürlich nur von ihrer rein rechtlichen Seite, nicht von der sittlichen betrachtet. Herausgehoben sei die Schilderung der jungen Mädchen, die nur auf die französischen des 18. Jahrhunderts Rücksicht nimmt, auch heute noch aber in vielen Zügen auf die französischen Verhältnisse paßt.)

Die jungen Mädchen, denen man nur durch die Verheiratung den Weg zu den Vergnügungen und zur Freiheit öffnet, die einen Verstand haben, der nicht zu denken wagt, und ein Herz, das nicht zu fühlen wagt, Augen, die nicht zu sehen, und Ohren, die nicht zu hören wagen, die sich nur blicken lassen, um sich stumpfsinnig zu zeigen, die unaufhörlich zu Kleinlichkeiten und Beobachtung von Vorschriften verurteilt sind, haben eine hinreichende Neigung zu heiraten: die jungen Männer dagegen muß man ermutigen.

Buch 24.
Die Gesetze in ihrer Beziehung zu der in jedem Lande bestehenden Religion, sowohl nach ihren äußeren Kultformen als ihrem inneren Wesen nach.

1. Von den Religionen im allgemeinen.

Wie man aus den Finsternissen die weniger dichten, aus den Abgründen die weniger tiefen ausscheiden kann, so kann man auch unter den irrigen Religionen die heraussuchen, die dem allgemeinen Wohl der menschlichen Gesellschaft am meisten entsprechen, die Religionen, die, wenn sie auch nicht imstande sind, die Menschen zu der Glückseligkeit des ewigen Lebens zu führen, doch am meisten zu dem Glücke des irdischen beitragen.

Ich werde also die verschiedenen Religionen der Welt nur insofern einer Prüfung unterziehen, als man aus ihnen im bürgerlichen Leben Gutes schöpfen kann, sei es nun, daß ich von der spreche, die ihre Quelle im Himmel hat, oder von denen, die auf der Erde wurzeln.

Da ich in diesem Werke nicht als Theologe, sondern als Politiker auftrete, so könnten sich wohl Dinge darin finden, die nur von einem menschlichen Gesichtspunkte aus betrachtet ganz wahr sind, indem ich sie gar nicht an den erhabenen Wahrheiten gemessen habe.

Hinsichtlich der wahren Religion braucht es nur geringer Billigkeit, um mir zu bestätigen, daß ich niemals ihre Forderungen habe hinter die politischen zurücktreten lassen, sondern sie nur habe vereinigen wollen. Am sie aber zu vereinen, muß man sie kennen.

Die christliche Religion, die den Menschen befiehlt, einander zu lieben, will ohne Zweifel, daß jedes Volk die besten bürgerlichen Gesetze habe, weil sie, abgesehen von der Religion, das höchste Gut sind, das die Menschen geben und empfangen können.

2. Ein Paradox von Bayle.

Bayle hat den Beweis unternommen, es sei besser, gottlos als Götzendiener zu sein, d. h. in anderen Ausdrücken, daß es weniger gefährlich ist, gar keine Religion haben als eine falsche. »Ich würde es vorziehen,« sagte er, »daß man von mir sagte, ich existierte gar nicht, als daß man sagte, ich sei ein schlechter Mensch.« Aber das ist nur ein Sophismus, der darin beruht, daß es für die Menschheit von keinem Nutzen ist, ob man glaubt, daß ein gewisser Mensch vorhanden ist, während es sehr nützlich ist, daß man an Gottes Dasein glaubt. Aus der Vorstellung, daß er nicht vorhanden sei, folgt die Vorstellung unserer Unabhängigkeit, oder wenn wir diese Vorstellung nicht haben können, die unserer Auflehnung. Behaupten, die Religion sei nicht eine einschränkende Macht, weil sie nicht immer einschränkt, heißt behaupten, daß die bürgerlichen Gesetze auch keine einschränkende Macht sind. Das heißt ein schlechtes Vorgehen gegen die Religion, wenn man in einem großen Buche eine lange Aufzählung aller der Übel bringt, die sie hervorgebracht hat, nicht aber auch ihre guten Wirkungen anführt. Wollte ich alle Leiden erzählen, welche die Gesetze und die verschiedenen Regierungsformen in der Welt hervorgerufen haben, so müßte ich schreckliche Dinge erzählen. Wenn es überflüssig wäre, daß die Untertanen eine Religion hätten, so wäre das nicht überflüssig, daß die Fürsten eine Religion hätten und in den einzigen Zügel schäumten (so wörtlich), den die haben können, die über den menschlichen Gesetzen stehen.

Ein Fürst, der die Religion liebt und fürchtet, ist ein Löwe, welcher der Hand folgt, die ihn streichelt, oder der Stimme, die ihm freundlich zuredet. Ein Fürst, der die Religion fürchtet und haßt, gleicht einem wilden Tiere, das in die Kette beißt, die es hindert, sich auf die Vorübergehenden zu stürzen. Ein Fürst, der gar keine Religion hat, ist jenes schreckliche Ungeheuer, das seine Freiheit nur fühlt, wenn es zerreißt und verschlingt.

Die Frage ist nicht, ob es besser wäre, daß ein bestimmter Mensch oder ein bestimmtes Volk gar keine Religion hätte, als daß es die mißbraucht, die es hat, sondern was das geringere Übel ist, daß man manchmal die Religion mißbraucht, oder daß es gar keine auf Erden gebe.

Um die Greuel des Atheismus zu mindern, übertreibt man die des Götzendienstes. Es ist nicht wahr, daß, wenn die Alten einem Laster einen Altar errichteten, das hieß, daß sie dies Laster liebten. Das hieß im Gegenteil, daß sie es haßten. Wenn die Lazedämonier der Furcht einen Tempel errichteten, so bedeutete das doch nicht, daß dies kriegerische Volk die Furcht bat, sich im Kampfe ihrer Herzen zu bemächtigen. Es gab Gottheiten, die man bat, das Verbrechen nicht einzuflößen, und andere, die man bat, es abzuwenden.

3. Zum Christentum paßt eine gemäßigte, zum Islam eine despotische Regierung.

Die christliche Religion steht dem reinen Despotismus fern. Denn da die Sanftmut im Evangelium so empfohlen ist, so widerspricht sie dem despotischen Zorn, mit dem der Fürst sich Recht verschaffen und seine Grausamkeiten ausführen würde.

Da diese Religion die Vielweiberei verbietet, so sind in ihr die Fürsten weniger abgeschlossen, weniger getrennt von ihren Untertanen und folglich mehr Mensch. Sie sind geneigter, sich gesetzliche Einschränkung aufzuerlegen, und fähiger, zu fühlen, daß sie nicht alles können.

Während die mohammedanischen Fürsten unaufhörlich die Todesstrafe verhängen, aber auch oft genug selbst eines gewaltsamen Todes sterben, so nimmt bei den Christen die Religion ihnen die Befürchtung eines solchen gewaltsamen Todes und macht sie so auch weniger zur Grausamkeit geneigt. Der Fürst verläßt sich auf seine Untertanen und sie auf ihn. Wunderbar! Die christliche Religion, die nur auf die Seligkeit im Jenseits hinzuzielen scheint, macht auch schon im Diesseits unser Glück.

Dies Christentum ist es, das trotz der Größe des Reiches und des bedenklichen Einflusses des Klimas in Äthiopien das Aufkommen des Despotismus verhindert und europäische Sitten und Gesetze in das Herz von Afrika getragen hat.

Der Thronfolger von Äthiopien besitzt ein Fürstentum und gibt den anderen Untertanen das Beispiel der Liebe und des Gehorsams. Dicht daneben in Nubien werden unter dem Einfluß des Islam die Kinder des Königs eingesperrt und nach seinem Tode zugunsten dessen erwürgt, der den Thron besteigt.

Man stelle sich nur einerseits die unaufhörlichen Hinmordungen der griechischen und römischen Könige und Führer vor Augen, andererseits die Verheerungen, die Timur Tamerlan und Dschingiskhan unter Asiens Städten und Völkern bei ihren Eroberungen angerichtet haben, dann wird man einsehen, was wir dem Christentum verdanken: in der Regierung ein sicheres bürgerliches Recht, im Kriege ein sicheres Völkerrecht, das die menschliche Natur nicht genug anerkennen kann.

Jenes Völkerrecht bewirkt bei uns, daß der Sieg den besiegten Völkern doch diese großen Dinge läßt: Das Leben, die Freiheit, die Gesetze, den Besitz und immer die Religion, wenn nicht eine ganz außerordentliche Verblendung den Sieger beherrscht.

4. Folgen des Charakters des Christentums und des Islams.

Auf Grund des Charakters des Christentums und des Islams muß man ohne weiteres jenes annehmen, diesen verwerfen. Denn es ist uns viel einleuchtender, daß eine Religion die Sitten der Menschen sänftigen muß, als es uns einleuchtet, ob eine Religion wahr ist.

Es ist ein Unglück für die menschliche Natur, wenn die Religion von einem Eroberer gebracht wird. Der Islam, der nur vom Schwerte redet, wirkt noch auf die Menschheit mit diesem Zerstörungsgeist, der ihn begründet hat.

5. Die katholische Religion paßt mehr für eine Monarchie, die protestantische mehr für eine Republik.

Wenn eine Religion sich in einem Staate bildet, folgt sie gewöhnlich der Form der Regierung, unter der sie sich niederläßt. Denn die Menschen, die sie aufnehmen, und die, welche sie ausbreiten, haben kaum andere politische Anschauungen als die ihres Heimatsstaates.

Als die christliche Religion vor zwei Jahrhunderten die unselige Spaltung erlitt, die sie in Katholizismus und Protestantismus schied, nahmen die nördlichen Völker den Protestantismus an, die südlichen behielten den Katholizismus.

Das kommt daher, weil die nördlichen Völker immer einen größeren Trieb nach Unabhängigkeit und Freiheit hatten und haben werden als die südlichen und so eine Religion, die kein sichtbares Haupt hat, besser zu dem in der Lage des Landes begründeten Unabhängigkeitstriebe paßt.

Selbst in den Ländern, wo der Protestantismus festen Fuß faßte, paßte er sich der besonderen Regierungsform an. Luther, der die großen Fürsten für sich hatte, würde ihnen kaum eine kirchliche Autorität haben annehmbar machen können, die keine äußeren Machtzeichen besessen hätte, und Calvin, der republikanisch organisierte Völker vor sich hatte oder eine zurückgesetzte Bürgerklasse in Monarchien, konnte sehr wohl auf Vorrang und Würden verzichten.

Jede dieser Religionen konnte sich für die vollkommenste halten. Die Calvinisten glaubten sich genauer nach dem zu richten, was Christus gesagt hatte, die Lutherischen nach dem, was die Apostel getan hatten.

6. Weiteres Paradox von Bayle.

Nachdem Bayle alle Religionen im ganzen beschimpft hat, setzt er die christliche im besonderen herab. Er wagt zu behaupten, daß wahre Christen keinen Staat bilden könnten, der Bestand habe. Warum nicht? Sie würden doch Bürger sein, die über ihre Pflichten außerordentlich aufgeklärt wären und die einen großen Eifer haben würden, sie zu erfüllen. Sie würden auch sehr gut das Recht der natürlichen Selbstverteidigung fühlen. Je mehr sie sich ihrer Religion gegenüber für verpflichtet hielten, um so mehr würden sie auch ihrem Vaterlande zu schulden meinen. Wenn die Grundsätze des Christentums fest in ihr Herz geschrieben wären, würden diese unendlich viel segensreicher wirken, als der falsche Ehrbegriff, auf den die Monarchien begründet sind, die rein irdischen Tugenden der Republiken und die knechtische Furcht der despotisch regierten Staaten.

Es ist erstaunlich, daß der große Mann die Anordnungen für die Einrichtungen des Christentums nicht von dem Christentum selbst hat unterscheiden können und daß man ihm den Vorwurf machen darf, den Geist seiner eigenen Religion verkannt zu haben. Wenn der Gesetzgeber statt Gesetze zu geben Ratschläge erteilt, so hat er eben eingesehen, daß seine Ratschläge, wenn sie wie Gesetze gegeben würden, dem Geist seiner Gesetze widersprechen würden.

7. Die Gesetze der Vervollkommnung in der Religion.

Die menschlichen Gesetze, die sich an den Verstand wenden, müssen Vorschriften, keine Ratschläge geben. Die Religion, die sich ans Herz wendet, muß viel Ratschläge und wenig Vorschriften geben.

Wenn sie z. B. Regeln nicht für das Gute, sondern für das Beste gibt, nicht für das, was gut ist, sondern für das, was vollkommen ist, so ist es zweckentsprechend, wenn sie Ratschläge gibt, nicht Gesetze. Denn die Forderung der Vollkommenheit berücksichtigt nicht den Durchschnitt der Menschen noch der Dinge. Außerdem, wenn es Gesetze sein sollten, so bedürfte es einer Anzahl Ergänzungsbestimmungen, um die Befolgung der Grundgesetze zu erlangen. Die Ehelosigkeit war ein Rat des Christentums. Als man daraus für einen gewissen Stand ein Gesetz machte, bedurfte es fortwährend neuer Gesetze, um die Menschen zu seiner Beobachtung zu zwingen. Der Gesetzgeber quälte sich und quälte die Menschheit, um die Menschen als eine Vorschrift befolgen zu lassen, was die, welche die Vollkommenheit lieben, als einen Rat befolgt haben würden.

8. Übereinstimmung der Sittengesetze mit den religiösen.

In einem Lande, wo man zum Unglück eine von Gott nicht eingesetzte Religion hat, ist es immer nötig, daß sie sich mit der Sittlichkeit verständigt, weil die Religion, selbst wenn sie falsch ist, die beste Bürgschaft gewährt, die Menschen für die Rechtschaffenheit der Menschen haben können.

Die Hauptpunkte der Religion in Pegu (Hinterindien) sind: nicht zu töten, nicht zu stehlen, die Schamlosigkeit zu vermeiden, seinen Nächsten nicht zu kränken, sondern ihm im Gegenteil alles mögliche Gute zu tun. Damit glauben die Bewohner durchzukommen, welcher Religion man auch angehört. Daher kommt es, daß diese Völker, wenn auch stolz und arm, Sanftmut und Mitleid mit den Unglücklichen haben.

9. Von den Essäern.

Die Essäer legten das Gelübde ab, gegen die Menschen gerecht zu sein, niemandem Übles zu tun, selbst nicht, um zu gehorchen, die Ungerechten zu hassen, sein Wort jedem zu halten, mit Bescheidenheit zu befehlen, immer die Wahrheit zu verteidigen, jeden ungesetzlichen Gewinn zu fliehen.

10. Von den Stoikern.

Die verschiedenen philosophischen Sekten bei den Alten können wie Religionen betrachtet werden. Es hat nie eine Sekte gegeben, deren Grundsätze menschenwürdiger gewesen wären, noch geeigneter, gute Menschen zu bilden, als die Sekte der Stoiker. Und wenn ich mich für einen Augenblick von der Vorstellung losmachen könnte, daß ich Christ bin, würde ich nicht umhin können, die Zerstörung der Sekte des Zeno auf die Liste der großen Unglücke des Menschengeschlechtes zu setzen.

Sie übertrieb nur Dinge, in denen Größe liegt: die Verachtung der Genüsse und des Schmerzes.

Sie allein konnte Bürger bilden, sie allein bildete große Männer, sie allein bildete die großen Kaiser.

Man sehe einmal für einen Augenblick von den offenbarten Wahrheiten ab und schaue sich dann einmal in der ganzen Welt um, so wird man nichts Größeres finden als die Antonine. Julianus sogar, Julianus der Abtrünnige – ein sich mir so entwindendes Urteil kann mich nicht zum Mitschuldigen seines Abfalles machen! – nein, es hat nach ihm keinen Fürsten gegeben, der würdiger gewesen wäre zu herrschen.

Während die Stoiker Reichtümer, menschliche Größe, Schmerz, Kummer, Genuß als eitle Dinge betrachteten, waren sie auf nichts gerichtet, als an dem Glück der Menschen zu arbeiten, die Pflichten der Gemeinschaft zu erfüllen. Es schien, als wenn sie den geheiligten Geist, den sie in sich selbst zu tragen meinten, wie eine Art gütige Vorsehung betrachteten, die über das Menschengeschlecht wachte.

Geboren für die Gemeinschaft, glaubten sie alle, daß es ihre Bestimmung sei, für sie zu arbeiten, und fielen ihr umsoweniger zur Last, als ihre ganze Belohnung eine rein innerliche war, als sie, glücklich allein durch ihre Philosophie, nur noch durch anderer Glück das ihre steigern zu können meinten.

11. Von der Beschaulichkeit.

Da die Menschen geschaffen sind, um sich zu erhalten, sich zu nähren, sich zu kleiden, alle Pflichten der Gemeinschaft zu erfüllen, darf ihnen die Religion kein zu beschauliches Leben bereiten.

Die Mohammedaner werden beschaulich aus Gewöhnung. Sie beten fünfmal am Tage und jedesmal müssen sie einen Akt ausführen, durch den sie alles, was dieser Welt angehört, hinter sich werfen. Das erzieht sie zur Beschaulichkeit. Dazu kommt noch die Gleichgültigkeit, die ihnen das Dogma von der Unabwendlichkeit des Geschickes gibt.

Wenn obendrein noch andere Gründe mitwirken, ihnen Loslösung vom Irdischen einzuflößen, so, wenn die Karte der Regierung oder die Gesetze über den irdischen Besitz ihnen das Gefühl der Abhängigkeit von anderer Gnade geben, dann ist alles verloren.

Die Religion des Zoroaster machte ehemals das Perserreich zu einem blühenden, sie glich die üblen Folgen des Despotismus aus. Der Islam zerstört heute eben dieses selbe Reich.

12. Von den Bußen.

Es ist gut, daß die Bußen mit der Vorstellung der Arbeit verknüpft seien, nicht mit der Vorstellung der Untätigkeit; mit der des Guten, nicht mit der des Außergewöhnlichen; mit der der Mäßigkeit, nicht der des Geizes.

13. Von den unsühnbaren Verbrechen.

Nach einer von Cicero aufbewahrten Stelle der Pontifikalbücher scheint es, daß es bei den Römern unsühnbare Verbrechen gab. Darauf begründet Zosimus die Erzählung, welche die Beweggründe von der Bekehrung Konstantins so entstellen, und Julian jenen bitteren Scherz, den er in seiner Schrift über die Cäsaren über ebendiese Bekehrung macht.

Die heidnische Religion, die nur einige grobe Sünden verbot, die die Hand fesselte, aber die Gesinnung frei ließ, konnte unsühnbare Verbrechen haben. Aber eine Religion, die alle Leidenschaften unter ihre Aufsicht nimmt, die nicht minder eifersüchtig auf Wünsche und Gedanken wie auf Handlungen ist, die uns nicht durch einige wenige Ketten, sondern durch unzählige Fäden gefesselt hält, die alle menschliche Gerichtsbarkeit unter sich läßt und eine neue aufstellt, die geschaffen ist, um unaufhörlich von der Reue zur Liebe und von der Liebe zur Reue zu führen, die zwischen Richter und Sünder einen großen Mittler stellt, zwischen den Gerechten und den Mittler einen großen Richter, eine solche Religion darf nicht unsühnbare Verbrechen kennen. Aber ob sie gleich Allen Befürchtungen und Hoffnungen gibt, läßt sie doch durchfühlen, daß es, wenn es auch keine ihrer Natur nach unsühnbaren Verbrechen gibt, ein ganzes Leben wohl unsühnbar sein kann; daß es sehr gefährlich wäre, die göttliche Barmherzigkeit durch immer neue Sünden und neue Sühnen in Anspruch zu nehmen; daß wir, unruhig über unsere alten Schulden und dem Herrn gegenüber niemals quitt, uns scheuen müssen, neue zu machen, das Maß zu häufen und bis zu der Grenze zu gehen, wo die väterliche Güte ein Ende hat.

14. Wie religiöse und bürgerliche Gesetze einander ergänzen.

Da Religion und bürgerliche Gesetzgebung hauptsächlich danach streben müssen, die Menschen zu guten Bürgern zu machen, so sieht man, daß, falls eine von beiden sich von diesem Ziel entfernen sollte, die andere ihm um so eifriger nachstreben muß. Je geringer der Zwang ist, den die Religion ausübt, um so stärker muß der gesetzliche sein.

Wenn die Religion das Dogma aufstellt, daß die Handlungen der Menschen unabänderlich vorausbestimmt seien, so müssen die gesetzlichen Strafen strenger und die Beaufsichtigung sorgfältiger sein, damit die Menschen, die sich sonst gehen lassen würden, durch diese Rücksichten geleitet werden. Stellt aber die Religion das Dogma der sittlichen Freiheit auf, so ist es etwas ganz anderes.

Aus der Trägheit der Seele wird das mohammedanische Dogma von der Vorausbestimmtheit des Schicksals geboren, und aus diesem Dogma wiederum entsteht Trägheit der Seele. Man sagt sich: das liegt so im Willen Gottes, also muß man still halten. In einem solchen Falle müssen die Gesetze die Menschen wecken, die in der Religion einschlafen.

Wenn die Religion Dinge ausdrücklich verbietet, welche die bürgerlichen Gesetze zulassen müssen, ist es gefährlich, wenn die Gesetze ihrerseits Dinge ausdrücklich erlauben, welche die Religion verdammen muß. Eins von beiden zeigt immer einen Mangel von Übereinstimmung und Richtigkeit in den Vorstellungen, der sich auf das andere überträgt.

So hielten es die Tataren Dschingiskhans für eine Sünde, ja für ein todwürdiges Verbrechen, das Messer ins Feuer zu stecken, sich an eine Peitsche zu lehnen, ein Pferd mit seinem Zügel zu schlagen, einen Knochen mit einem andern aufzubrechen, aber sie hielten es für keine Sünde, seine Treue zu brechen, fremdes Gut zu rauben, einem Menschen Unrecht zu tun, oder ihn gar zu töten. Kurz, Gesetze, die Unwesentliches als notwendig hinstellen, haben die schlechte Wirkung, daß sie als unwesentlich erscheinen lassen, was notwendig ist.

Die Bewohner von Formosa glauben an eine Art Hölle. Aber sie ist für die vorhanden, die zu gewissen Jahreszeiten nicht nackend gegangen sind, Leinwand statt Seide getragen haben, Austern gefischt und ohne den Vogelgesang zu befragen gehandelt haben. Dafür betrachten sie denn auch Trunksucht und Ehebruch nicht als Sünde. Sie glauben sogar, daß die Ausschweifungen ihrer Kinder den Göttern wohlgefällig seien.

Wenn die Religion für eine nebensächliche und äußerliche Sache die Seligkeit verheißt, verdirbt sie sich damit die mächtigste Triebfeder, die es auf Erden gibt. Man glaubt bei den Indiern, daß die Wasser des Ganges eine heiligende Kraft haben. Wer an seinen Ufern stirbt, ist, so meint man, von allen Strafen im Jenseits befreit und kommt an einen Ort voller Freuden. Von weit her schickt man Urnen mit Totenasche, um sie in den Ganges zu streuen. Was kommt darauf an, ob man tugendhaft gelebt hat oder nicht? Man läßt sich eben in den Ganges werfen!

Die Vorstellung eines Ortes der Belohnung nach dem Tode bringt notwendig die Vorstellung eines Aufenthaltes der Strafen mit sich, und wenn man die eine hofft, ohne die andere zu fürchten, so verlieren die bürgerlichen Gesetze ihre Kraft. Menschen, die der Belohnungen im Jenseits sicher zu sein vermeinen, entschlüpfen dem Gesetzgeber: sie werden für den Tod zu viel Geringschätzung haben. Welches Mittel gibt es wohl, um einen Menschen in Schrecken zu halten, der da meint, sicher zu sein, daß die höchste Strafe, die der Staat verhängen kann, in einem Augenblick vorüber sein wird, um sein Glück beginnen zu lassen?

16. Wie die Gesetze der Religion die Mängel der staatlichen Verfassung ausgleichen.

Andererseits kann die Religion den Staat stützen, wenn seine Gesetze sich ohnmächtig finden.

So wird, wenn der Staat oft von Bürgerkriegen heimgesucht ist, die Religion viel leisten, wenn sie einem Teil des Staates andauernden Frieden sichert. Bei den Griechen erfreuten sich die Eleer als Priester Apollos eines ewigen Friedens. In Japan läßt man stets die Stadt Kioto in Frieden, die eine heilige Stadt ist. Die Religion hält diese Anordnung aufrecht, und dies Reich, das ganz abgeschlossen von der übrigen Erde zu sein scheint, das bei den Fremden keine Hilfsquellen hat noch haben will, besitzt in seinem Schoße ständig einen Handel, den der Krieg nicht vernichtet.

In den Staaten, wo Kriege nicht auf gemeinsamen Beschluß geführt werden und wo die Gesetze kein Mittel gewähren, um sie zu hindern oder zu enden, bestimmt die Religion Friedenszeiten oder Waffenstillstand, damit das Volk die Dinge tun kann, ohne die der Staat nicht bestehen könnte, wie die Aussaat und ähnliches.

Vier Monate lang ruhte jedes Jahr bei den arabischen Stämmen jede Feindseligkeit, die geringste Störung wäre eine Gottlosigkeit gewesen. Als in Frankreich jeder Baron Krieg oder Frieden nach eigenem Gutdünken machte, schuf die Religion den Gottesfrieden, der zu gewissen Jahreszeiten eintrat.

17. Fortsetzung.

Wenn in einem Staate dem Haß viel Nahrung geboten ist, muß die Religion viele Mittel zur Versöhnung bieten. (So muß Blutrache durch Geld abgelöst werden können.)

19. Nutzen und Schaden eines Dogmas

Es ist weniger die Richtigkeit oder die Falschheit eines Dogmas, die es im bürgerlichen Leben für die Menschen nützlich oder schädlich macht, als vielmehr der Gebrauch oder der Mißbrauch, den man damit treibt.

Die wahrsten und heiligsten Dogmen können sehr schlimme Folgen haben, wenn man sie nicht mit den Lebensbedingungen der Gemeinschaft verknüpft; und im Gegensatze dazu können die falschesten Dogmen bewundernswerte Folgen haben, wenn man sie mit eben jenen Bedingungen in Einklang zu setzen weiß.

(So hatte das Leugnen der Unsterblichkeit durch Confucius und Zeno gute, die Anerkennung derselben durch Laotse und Buddha die übelsten Folgen, wie die Witwenverbrennung u. a.)

Diese Gebräuche fließen weniger unmittelbar aus dem Dogma von der Unsterblichkeit als aus dem von der Auferstehung des Fleisches. Aus ihm hat man die Folgerung gezogen, daß dasselbe Individuum nach dem Tode auch dieselben Bedürfnisse, dieselben Empfindungen, dieselben Leidenschaften haben müsse. In dieser Hinsicht spricht das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele die Menschen wunderbar an, weil die Vorstellung von einem einfachen Wechsel des Wohnortes leichter zu fassen ist und unserem Verstände und unserem Gemüte mehr zusagt als die Vorstellung einer völligen Umwandlung.

Es genügt nicht, daß eine Religion ein Dogma aufstellt, sie muß auch seine Wirkung überwachen. Das hat das Christentum hinsichtlich der besprochenen Dogmen in bewundernswerter Weise getan. Es läßt uns einen Zustand hoffen, den wir glauben, und nicht etwa einen Zustand, den wir empfinden oder kennen. Alles, sogar die Auferstehung des Fleisches nach christlicher Auffassung, führt zu geistigen Vorstellungen.

20. Fortsetzung.

Die heiligen Bücher der alten Perser sagten: »Willst Du selig werden, so unterweise Deine Kinder, weil alle ihre guten Taten Dir angerechnet werden sollen.« Sie rieten, frühzeitig zu heiraten, weil die Kinder am jüngsten Tage gleichsam eine Brücke sein werden, und die, welche keine hätten, nicht hinüberkommen würden. Diese Dogmen waren falsch, aber sehr nützlich.

21. Von der Seelenwanderung.

Das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele teilt sich in drei Zweige: das Dogma der reinen Unsterblichkeit, das des einfachen Aufenthaltswechsels und das der Seelenwanderung, d. h. die Lehre der Christen, der Skythen, der Indier. Von den beiden ersten habe ich gesprochen. Vom dritten will ich sagen, daß es, da es bald gut, bald schlecht angewendet wurde, in Indien gute und schlechte Wirkungen geübt hat. Da es den Menschen ein gewisses Grauen vor Blutvergießen einflößt, so gibt es in Indien wenig Morde, und obschon man dort die Todesstrafe kaum kennt, ist die persönliche Sicherheit dort groß.

Andrerseits verbrennen sich dort die Frauen beim Tode ihres Mannes; nur die reinen Gewissens sind, erleiden den gewaltsamen Tod.

22. Wie gefährlich es ist, wenn die Religion Abscheu gegen gleichgültige Dinge einflößt.

Ein gewisser Ehrbegriff, den religiöse Vorurteile in Indien erzeugen, bewirkt, daß einige Kasten gegen einander Abscheu hegen. Dieser Ehrbegriff ist einzig auf religiöse Anschauungen begründet. Diese Familienunterscheidungen haben keine rechtliche Bedeutung. Es gibt Indier, die sich für entehrt halten würden, wenn sie mit ihrem König an einem Tisch essen müßten.

Diese Arten Unterscheidungen sind an eine gewisse Abneigung gegen andere Menschen geknüpft, die gar sehr anders ist, als die Empfindung, welche die Rangunterschiede entstehen lassen dürfen, da sie bei Christen immer Liebe zu den Niedrigerstehenden enthält.

Die Gesetze der Religion sollen es vermeiden, eine andere Verachtung als die des Lasters einzuflößen, und besonders den Menschen der Liebe und dem Mitleid für seinesgleichen zu entfremden.

Die mohammedanische und die indische Religion umfassen jede eine große Zahl von Völkern. Die Indier hassen die Mohammedaner, weil sie Rindfleisch essen, die Mohammedaner die Indier, weil sie Schweinefleisch essen.

23. Von den Festtagen.

Wenn eine Religion Arbeitsruhe anordnet, muß sie dabei mehr auf die Bedürfnisse der Menschen als auf die Größe des Wesens, das sie ehren will, Rücksicht nehmen.

In Athen war die große Zahl der Festtage eine große Unzuträglichkeit. Bei diesem herrschenden Volk, vor das alle Städte Griechenlands ihre Streitigkeiten brachten, konnte man diesen Ansprüchen gar nicht allen gerecht werden.

Als Konstantin der Große (und endgültig erst Leo III.) bestimmte, daß Sonntags alle Arbeit ruhen sollte, gab er diesen Befehl für die Städte, und nicht für die Landbevölkerung: er fühlte es, daß in den Städten die nützlichen und auf dem Lande die notwendigen Arbeiten gemacht werden.

Aus demselben Grunde muß in den handeltreibenden Staaten die Zahl der Festtage mit den Ansprüchen dieses Handels im Einklang stehen. Die protestantischen und die katholischen Länder sind so gelegen, daß man in ersteren mehr auf die Arbeit angewiesen ist, als in den letzteren: also paßte die Unterdrückung der Feste mehr für die protestantischen als für die katholischen Länder.

Dampier bemerkt (in seiner »Neuen Reise um die Welt. 1697«), daß die Unterhaltungen der Völker nach dem Klima sehr verschieden sind. Da die heißen Himmelsstriche sehr viel zarte Früchte erzeugen, so benützen die Völker, weil sie das Notwendige mühelos vorfinden, mehr Zeit, um sich zu belustigen. Die Indianer in kälteren Strichen haben nicht so viel Muße. Sie müssen unaufhörlich jagen und fischen. Bei ihnen gibt es also wenig Tänze, Musik, Festaufzüge, und eine Religion, die bei diesen Völkern Fuß fassen wollte, müßte bei der Einsetzung ihrer Feste darauf Rücksicht nehmen.

24. Von den religiösen Lokalgesetzen.

Es gibt in den verschiedenen Religionen viele Gesetze von örtlich beschränkter Wirkung. Wenn Montezuma so hartnäckig wiederholte, daß die Religion der Spanier für ihr Land gut wäre, und die mexikanische für sein Land, sagte er keine Ungereimtheit, weil die Gesetzgeber tatsächlich nicht umhin gekonnt haben, auf das Rücksicht zu nehmen, was die Natur vor ihnen festgesetzt hatte.

Die Lehre von der Seelenwanderung ist wie gemacht für das indische Klima. Die übermäßige Hitze verbrennt alle Felder, man kann dort nur wenig Vieh halten. Man ist immer in der Gefahr, keines für die Feldarbeit zu haben. Die Rinder vermehren sich dort nur mäßig und sind vielen Krankheiten unterworfen. Ein Religionsgesetz, das sie schont, entspricht also sehr den Bedürfnissen des Landes.

Während die Weiden dort verdorren, wachsen Reis und Gemüse dank des für sie verwendbaren Wassers sehr üppig. Eine Religion, die nur diese Nahrung gestattet, ist den Bewohnern jenes Erdstriches sehr nützlich.

Das Fleisch der Tiere ist dort nicht schmackhaft. Dagegen bilden Milch und Butter einen wesentlichen Bestandteil ihrer Nahrung. Das Gesetz, das den Genuß von Rindfleisch verbietet, ist also nicht unvernünftig für Indien.

25. 26.

(Aus Abschnitt 24 folgt, daß es sehr oft unzuträglich ist, eine Religion von einem Lande je in ein anderes zu verpflanzen.)

Buch 25.
Die Gesetze in ihren Beziehungen zu den Einrichtungen der Religion eines jeden Landes und seiner äußeren Regierung.

1. Von dem religiösen Gefühl.

Der fromme Mensch und der Gottesleugner sprechen immer von der Religion. Der eine spricht von dem, was er liebt, der andere von dem, was er fürchtet.

2. Von dem Grund der Zuneigung zu den verschiedenen Religionen.

Die verschiedenen Religionen der Welt geben ihren Bekennern nicht die gleichen Motive der Anhänglichkeit an sie. Das hängt viel von der Form ab, in der sie sich mit der natürlichen Denk- und Empfindungsweise der Menschen abzufinden wissen.

Wir sind sehr zum Götzendienst geneigt und doch hängen wir nicht sehr an den götzendienerischen Religionen; wir sind kaum zu rein geistigen Abstraktionen geneigt, und doch hängen wir sehr an den Religionen, die uns ein geistiges Wesen anbeten lehren. Es ist ein glückliches Gefühl, das zum Teil aus der inneren Befriedigung entspringt, daß wir intelligent genug gewesen sind, eine Religion gewählt zu haben, welche die Gottheit aus der Erniedrigung zieht, wohinein die anderen sie verwiesen haben. Wir betrachten den Götzendienst als die Religion der rohen Völker, und die Verehrung eines geistigen Wesens als die der aufgeklärten.

Wenn wir mit der Vorstellung von einem höchsten geistigen Wesen noch zu unseren Sinnen sprechende Vorstellungen verbinden können, die ihre Stelle im Kult einnehmen, so gibt uns das eine große Anhänglichkeit an die Religion, weil die Beweggründe, von denen wir eben geredet haben, sich mit unserer natürlichen Neigung für unsere Sinne ansprechende Dinge decken. So besitzen denn auch die Katholiken, die mehr dergleichen sinnfällige Dinge in ihrem Kult haben, als die Protestanten, auch eine viel unbesiegbarere Anhänglichkeit an ihre Religion als die Protestanten an die ihre, und sind eifriger auf ihre Verbreitung bedacht, als jene.

Wenn eine rein geistige Religion uns noch die Vorstellung gibt von einer Erwählung und Auszeichnung, welche die Gottheit ihren Bekennern vor den Andersgläubigen angedeihen läßt, so macht uns das um so anhänglicher an diese Religion. Die Mohammedaner würden nicht so gute Muselmanen sein, wenn es nicht einerseits götzendienerische Völker gäbe, die ihnen den Gedanken erwecken, sie seien die Rächer des einigen Gottes, und andrerseits die Christen, um sie glauben zu machen, sie seien die Auserwählten Gottes.

Eine Religion, die viele Andachtsübungen verlangt, fesselt mehr, als eine andere, die das nicht tut. Man hängt viel mehr an den Dingen, mit denen man ununterbrochen beschäftigt ist: Beweis die zähe Hartnäckigkeit der Mohammedaner und der Juden, und die Leichtigkeit, mit der wilde Völker ihre Religion aufgeben, weil sie, immer mit Jagd und Krieg beschäftigt, sich mit Andachtsübungen nicht abgeben.

Die Menschen sind sehr geneigt, zu hoffen und zu fürchten. Eine Religion, die weder Hölle noch Paradies kennte, würde ihnen kaum gefallen können. Das erkennt man an der Leichtigkeit, mit der fremde Religionen sich in Japan haben niederlassen können, und dem Eifer, mit dem man sie dort aufgenommen hat.

Damit eine Religion fesselt, muß sie eine reine Sittenlehre haben. Die Menschen, die im einzelnen Spitzbuben sind, sind im großen sehr ehrenwerte Leute. Sie lieben die Sittlichkeit, und wenn ich nicht einen so ernsthaften Gegenstand behandelte, würde ich sagen, daß man das sehr gut auf dem Theater sieht: da ist man sicher, seinem Publikum zu gefallen, wenn man die allgemein anerkannten Sittenanschauungen vertritt, und sicher, es vor den Kopf zu stoßen, wenn man sie verwirft.

Wenn der äußere Kult eine große Pracht hat, so schmeichelt uns das und gibt uns größere Anhänglichkeit für die Religion. Der Reichtum der Gotteshäuser und der Geistlichen machen uns großen Eindruck. So ist die Armut des Volkes selbst ein Beweggrund, der es an die Religion knüpft; denen, die es in diese Armut versetzt haben, hat die Religion dabei zum Vorwande gedient.

3. Von den Gotteshäusern.

Fast alle staatlich organisierten Völker wohnen in Häusern. Daher der Gedanke, Gott auch ein Haus zu bauen, wo sie ihn anbeten und in ihren Sorgen und Hoffnungen aufsuchen können. Nichts ist in der Tat so tröstlich für die Menschen, als ein Ort, wo die Gottheit ihnen näher ist, wo sie alle zusammen ihrer Schwäche und ihrem Elend Worte verleihen können.

Da die Gottheit die Zuflucht der Unglücklichen ist und es keine unglücklicheren Menschen gibt als die Verbrecher, so ist man natürlich geneigt gewesen, die Tempel als ein Asyl für sie zu betrachten, und diese Vorstellung schien besonders natürlich bei den Griechen, wo die Mörder, aus ihrer Heimat und der Nähe der Menschen vertrieben, keine andere Wohnstätte als den Tempel und keine anderen Beschützer als die Götter zu haben schienen.

Das galt ursprünglich nur für die unfreiwilligen Mörder. Aber als man es auch auf die großen Verbrecher ausdehnte, verfiel man in einen groben Widerspruch: denn wenn sie die Menschen gekränkt hatten, hatten sie noch weit mehr die Götter gekränkt.

(Das war ein Punkt, wo die bürgerlichen Gesetze eingreifen mußten.)

5. Die Grenzen, welche die Gesetze dem Reichtum des Klerus setzen müssen.

Einzelne Familien können aussterben: also sind da die Reichtümer nicht für immer festgelegt. Die Geistlichkeit ist eine Familie, die nicht aussterben kann; ihre Reichtümer sind also für immer festgelegt.

Einzelne Familien können sich vermehren; also müssen ihre Reichtümer auch wachsen können. Der Klerus ist eine Familie, die nicht wachsen darf: also müssen seine Reichtümer beschränkt sein.

(Diese Aufstellung ist irrig, da mit wachsender Bevölkerung natürlich auch die Zahl der Geistlichen wachsen muß und mit ihr auch die Mittel zu ihrem Unterhalt. Montesquieu verlangt aber im Anschluß daran mit Recht, daß man das Wachsen des Besitzes der Toten Hand ins Ungemessene hindern und die Geistlichkeit für ihren Besitz zur Beteiligung an den Steuern und Abgaben heranziehen soll.)

6. Von den Klöstern.

Das geringste Maß gesunden Menschenverstandes verlangt, daß diese Körperschaften, die sich ohne Ende erneuen, ihren Besitz nicht unter Vorbehalt des lebenslänglichen Niesbrauches verkaufen, noch Besitz auf Lebenszeit entleihen dürfen, wenn man nicht will, daß sie sich zu Erben aller derer machen, die keine Anverwandte haben, sowie derer, die keine haben wollen. Diese Leute spielen gegen das Volk und sie halten auch noch die Bank gegen es.

7. Von dem Luxus des Aberglaubens.

(Unter vorsichtiger Verschleierung und dem Vorgeben, von griechischen und römischen Verhältnissen zu reden, wird der kirchliche Luxus verurteilt, und auf Gesetze Solons, Numas, Platons und Ciceros gegen ihn hingewiesen.)

Die Sorgfalt, welche die Menschen darauf verwenden müssen, der Gottheit einen Kult zu weihen, ist sehr verschieden von der Pracht dieses Kultes. Bieten wir doch der Gottheit nicht unsere Reichtümer an, wenn wir ihr damit nicht etwa zeigen wollen, wie hoch wir die Dinge schätzen, die sie uns verachten heißt!

Die Religion darf nicht unter dem Vorwande von Geschenken den Völkern auch das noch abverlangen, was ihnen die Ansprüche des Staates lassen, und, wie Plato sagt, keusche und fromme Menschen müssen Gaben darbringen, die ihnen gleichen.

9 und 10. Von der Duldsamkeit in der Religion.

Hier reden wir als Politiker, nicht als Theologen, und selbst für die Theologen ist noch ein Unterschied zwischen Dulden und Billigen.

Wenn die Gesetze eines Staates geglaubt haben, mehrere Religionen dulden zu dürfen, so müssen sie diese auch zwingen, sich gegenseitig zu dulden. Es ist ein Grundsatz, daß jede Religion, die unterdrückt wird, gegebenenfalls selber zur Unterdrückerin wird.

Da fast nur die unduldsamen Religionen eine Neigung haben, sich auch anderswo niederzulassen, insofern eine Religion, welche die anderen dulden kann, nicht an ihre Verbreitung denkt, so würde es ein sehr gutes Gesetz sein, wenn der Staat, der mit der bestehenden Religion zufrieden ist, die Einrichtung einer neuen nicht duldet. (Doch schon bestehende sollen geduldet werden.)

13. Höchst unterwürfige Vorstellung an die Inquisitoren in Spanien und Portugal.

Ein achtzehnjähriger Jude, der in Lissabon bei dem letzten Autodafé verbrannt wurde, veranlaßte folgende kleine Schrift, und ich glaube, daß nie eine zwecklosere geschrieben worden ist. Denn, wenn es sich darum handelt, so klare Dinge erst noch zu beweisen, ist man sicher, nicht zu überzeugen.

»Ihr beklagt euch, daß der Kaiser von Japan alle Christen in seinen Staaten verbrennen läßt. Er wird euch antworten: wir vergelten nur Gleiches mit Gleichem. Ihr könnt euch höchstens über eure Schwäche beklagen, die euch hindert, uns zu vernichten, und bewirkt, daß wir euch vernichten.

»Aber ihr seid grausamer als dieser Kaiser. Wir denken, daß Gott sein auserwähltes Volk noch liebt, und ihr denkt, daß er es nicht mehr liebt. Und weil ihr so denkt, tötet ihr mit Feuer und Schwert die, welche in dem so verzeihlichen Irrtum sind, zu glauben, daß Gott noch liebt, was er einst geliebt hat.

(Selbst dazu macht Montesquieu noch die vorsichtige Anmerkung am Fuß der Seite: Das ist die Quelle der Verblendung der Juden, daß sie nicht fühlen, daß auch das Evangelium seine angewiesene Stelle im Haushalt Gottes hat, und daß es also eine Folge seiner Unveränderlichkeit ist.)

»Wir beschwören euch nicht bei dem allmächtigen Gotte, dem wir und ihr beide dienen, sondern bei dem Christus, von dem ihr uns erzählt, er habe menschliche Gestalt angenommen, um euch Beispiele zu geben, denen ihr folgen könntet. Wir beschwören euch so zu handeln, wie er selbst handeln würde, wenn er noch auf Erden weilte. Ihr wollt, daß wir Christen sein sollen, und ihr wollt es selbst nicht sein. Aber wenn ihr nicht Christen sein wollt, seid wenigstens Menschen!

»Wir müssen euch auf eins aufmerksam machen: wenn in späteren Zeiten jemals jemand zu sagen wagt, daß in unserem Jahrhundert die europäischen Völker auf einer hohen Stufe der Kultur gestanden hätten, wird man euch als Beweis dafür anführen, daß sie Barbaren gewesen sind, und die Vorstellung, die man von euch haben wird, wird eine solche sein, daß sie Schande über euer Jahrhundert verbreiten und allen euren Zeitgenossen den Haß der Nachwelt zuziehen wird.«


 << zurück weiter >>