Eduard Mörike
Griechische Lyrik
Eduard Mörike

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Anakreonitische Lieder

1. Die Leier

Ich will des Atreus Söhne,
Ich will den Kadmos singen:
Doch meiner Laute Saiten,
Sie tönen nur von Liebe.
Jüngst nahm ich andre Saiten,
Ich wechselte die Leier,
Herakles' hohe Taten
Zu singen: doch die Laute,
Sie tönte nur von Liebe.
Lebt wohl denn, ihr Heroen!
Weil meiner Laute Saiten
Von Liebe nur ertönen.

2. Verschiedener Krieg

Du singest Thebens Kriege,
Und jener Trojas Schlachten,
Ich meine Niederlagen.
Kein Reiterheer, kein Fußvolk
Schlägt mich und keine Flotte.
Ein andres Heer bekriegt mich –
Aus jenem Augenpaare.

3. Liebeswünsche

Als Fels auf Phrygiens Bergen
Stand ehdem Tantals Tochter;
Und einst als Schwalbe durfte
Pandions Tochter fliegen.

O wär' ich doch dein Spiegel,
Daß du mich stets beschautest!
Könnt' ich zum Kleide werden,
Daß du mich immer trügest!

Zum Wasser wenn ich würde,
Um deinen Leib zu baden!
Zum Balsam, o Geliebte,
Daß ich dich salben dürfte!

Zur Binde deines Busens,
Zur Perle deines Halses,
Zur Sohle möcht' ich werden,
Damit du mich nur trätest!

4. Zwiefache Glut

Reichet, reicht mir Wein, o Mädchen,
Vollauf, atemlos zu trinken!
Ein verratner Mann! Wie kocht es
Mir im Busen – ich ersticke!

Kränze von Lyäos' Blumen
Gebt mir, um die Stirn zu winden!
Meine Schläfen glühn und toben.
– Aber Eros' wilde Gluten,
Herz, wie mag ich diese dämpfen?

5. Ruheplatz

Hier im Schatten, o Bathyllos,
Setze dich! Der schöne Baum läßt
Ringsum seine zarten Haare
Bis zum jüngsten Zweige beben.

Neben ihm mit sanftem Murmeln
Rinnt der Quell und lockt so lieblich.
Wer kann solches Ruheplätzchen
Sehen und vorübergehen?

6. Rechnung

Verstehst du alle Blätter
Der Bäume anzugeben,
Hast du gelernt, die Wellen
Der weiten See zu zählen,
Sollst du allein die Summe
Berechnen meiner Mädchen.

Erst von Athen nimm zwanzig
Und dann noch fünfzehn andre,
Dann eine lange Reihe
Von Liebchen aus Korinthos;
Denn in Achaia liegt es,
Dem Lande schöner Weiber.
Aus Jonien und Lesbos,
Aus Karien und Rhodos
Nimm an: zweitausend Mädchen.
Was sagst du, Freund? Du staunest?
Noch hab' ich zu gedenken
Der Schätzchen aus Kanobos,
Aus Syrien und Kreta,
Dem segensreichen Kreta,
Wo Eros in den Städten
Der Liebe Feste feiert.
Wie könnt' ich, was von Gades
Und weiterher von Baktra
Und Indien mich beglücket,
Dir alles hererzählen?

7. Das Nest der Eroten

Du kommst, geliebte Schwalbe,
Wohl alle Jahre wieder
Und baust dein Nest im Sommer;
Allein vor Winter fliehst du
Zum Nil hin und nach Memphis.
Doch Eros bauet immer
Sein Nest in meinem Herzen.
Hier ist ein Eros flügge,
Dort in dem Ei noch einer
Und halb heraus ein andrer.
Mit offnem Munde schreiet
Die Brut nun unaufhörlich;
Da ätzen denn die ältern
Eroten ihre Jungen.
Kaum sind sie aufgefüttert,
So hecken sie auch wieder.
Wie ist da Rat zu schaffen?
Ich kann mich ja so vieler
Eroten nicht erwehren!

8. Weder Rat noch Trost

Leidig ist es, nicht zu lieben;
Leidig auch fürwahr, zu lieben;
Aber leidiger als beides:
Lieben sonder Gegenliebe.

Nicht auf Adel sieht die Liebe;
Weisheit, Tugend stehn verachtet;
Gold allein wird angesehen.
O, daß den Verdammnis treffe,
Der zuerst das Gold geliebet!
Gold – daneben gilt kein Bruder
Mehr, nicht Mutter mehr noch Vater;
Mord und Krieg ist seinetwegen,
Und wir Liebenden – das Ärgste!
Müssen seinethalb verderben.

9. Genuß des Lebens

Auf der Myrte junge Sprossen
Und auf weiche Lotosblätter
Hingelagert, will ich trinken.
Eros möge auf der Schulter
Sich das Kleid mit Byblos knüpfen,
Und so reich' er mir den Becher.

Denn das Leben flieht von hinnen,
Wie das Rad am Wagen hinrollt;
Und ist dies Gebein zerfallen,
Ruhn wir als ein wenig Asche.
Drum, was soll's, den Grabstein salben?
Was, umsonst die Erde tränken?

Mich vielmehr, weil ich noch lebe,
Salbe! Schling' um meine Stirne
Rosen, rufe mir ein Mädchen!
Ich, bevor ich hin muß wandern,
Hin zum Reihentanz der Toten,
Will die Sorgen mir verscheuchen.

10. Genügsamkeit

Mit Gyges' Schätzen geht mir,
Mit Sardes' Königsthrone!
Nach Golde nicht verlang ich,
Noch neid' ich Fürstengröße.

Nach Myrrhenöl verlang ich,
Mir meinen Bart zu salben;
Nach Rosen nur verlang ich,
Zu kränzen mir die Stirne.

Ich denke nur auf heute;
Was morgen ist, wer weiß es!

Darum bei guten Tagen
Die Würfel nimm und trinke
Und opfere Lyäen!
Denn sucht einmal die Krankheit
Dich heim, da möcht' es heißen:
Den Becher von dem Munde!

11. Unnützer Reichtum

Wenn unser sterblich Leben
Mit dargewognem Golde
Der Reichtum könnte fristen,
Ich wollt' ihn fleißig hüten,
Daß, wenn der Tod nun käme,
Er nähme was und ginge.
Doch weil ja nie kann kaufen
Ein Sterblicher das Leben,
Was mag das Gold mir frommen.
Denn ist mein Los, zu sterben,
Wozu deshalb mich quälen?
– Darum so will ich trinken,
Des süßen Weines trinken,
Bei trauten Freunden weilend.

12. Lebensweisheit

Weil ich sterblich bin geboren,
Auf des Lebens Pfad zu wandeln,
Weiß ich wohl, wie lang bis heute, –
Nicht, wie lang ich fürder walle.
Drum, ihr Sorgen, lasset mich!
Nichts mit euch hab ich zu schaffen.
Eh das Ziel mich überraschet,
Will ich scherzen, lachen, tanzen
Mit dem schönen Gott Lyäos.

13. Sorglosigkeit

Trink ich den Saft der Traube,
Dann schlummern meine Sorgen:
Was soll mir all die Müh und Pein
Und Klagen und Gestöhne?
Ob gern, ob ungern, fort muß ich:
Was täuscht' ich mich ums Leben?
Nein! lasset Wein uns trinken,
Des schönen Bakchos Gabe!
Denn trinken wir der Traube Saft,
Dann schlummern unsre Sorgen!

14. Seliger Rausch

Wann Bakchos erst mich heimsucht,
Dann schlummern meine Sorgen,
Reich bin ich dann wie Krösus
Und singe süße Weisen.

Bekränzt mit Efeu lieg ich,
Im Übermute tret ich
Verachtend alles nieder.
– Schenk ein! Es gilt zu trinken!

*

Reich mir den Becher, Knabe!
Viel besser ist es, trunken,
Als tot am Boden liegen.

15. Tanzlust des Trinkers

Wann Bakchos erst, des Zeus Sohn,
Lyäos der Befreier,
Des edlen Weines Geber,
Einzog in meine Seele,
Gleich lehret er mich tanzen.

Noch andre Freude lachet
Dem taumelfrohen Zecher:
Mit Spiel und mit Gesängen
Ergötzt mich Aphrodite;
Und wieder muß ich tanzen!

16. Wechsellied beim Weine

Trink ich ihn, den Saft der Reben,
Gleich erwarmet meine Seele
Und beginnt in hellen Tönen
Einen Preisgesang der Musen.

Trink ich ihn, den Saft der Reben,
Alsbald streu ich meinen Kummer,
All mein Zweifeln, all mein Sorgen
In den Braus der Meereswinde.

Trink ich ihn, den Saft der Reben,
Läßt mich Bakchos, der des Schmerzes
Bande löset, Blumen atmend,
Süßberauscht im Tanze schwanken.

Trink ich ihn, den Saft der Reben,
Wind ich Blumen mir zu Kränzen,
Schmücke meine Stirne, singe
Von des Lebens stillem Glücke.

Trink ich ihn, den Saft der Reben,
Mag ich, schön von Salbe duftend
Und im Arm das Mädchen haltend,
Gerne von Kythere singen.

Trink ich ihn, den Saft der Reben,
Wie entzückt ein Kreis von Mädchen
Mich, wo volle, tiefe Becher
Erst mir Geist und Sinn erweitern!

Trink ich ihn, den Saft der Reben,
Mir vor Tausenden gewinn ich,
Was ich scheidend mit mir nehme;
Doch den Tod teil ich mit allen.

17. Trinklied

Wir sind guter Dinge: trinket!
Trinkt und singt den Gott der Reben!

Er hat uns den Tanz erfunden,
Er liebt volle Kraftgesänge!
Eros gleich ist er geartet,
Ist der Liebling Kythereas.

Bakchos hat den Rausch geboren,
Bakchos ist der Freude Vater;
Er ist's, der den Kummer dämpfet,
Der den Schmerz in Schlaf versenket.

Denn wird uns der wohlgemischte
Trunk gereicht von zarten Knaben,
Flugs entweicht der Gram, im Wirbel
Fort mit allen Winden treibend.

Laßt uns denn zum Becher greifen
Und den Grillen Abschied geben!
Wozu mag es dir doch helfen,
Dich mit Sorgen abzuquälen?

Was da künftig ist, wer sagt es?
Jedem ist sein Ziel verborgen.
Drum will ich, vom Gott beseligt,
Salbeglänzend scherzen, tanzen,
Bald mit allerliebsten Mädchen,
Bald mit Jünglingen voll Anmut.
Mag, wer will, indes nur immer
Sich mit seinen Sorgen plagen.

Wir sind guter Dinge: trinket!
Trinkt und singt den Gott der Reben!

18. Harmlos Leben

Immer freuen Dionysos'
Tänze mich, des scherzereichen,
Und mit einem holden Freunde
Trinkend, rühr ich gern die Leier.

Doch wenn ich, den Hyazinthen-
Kranz um meine Stirne, fröhlich
Unter jungen Mädchen weile –
Süßre Kurzweil fand ich nimmer.

Keinen Neid kennt meine Seele,
Und der Lästerzunge stumpfen
Pfeilen mag ich ferne bleiben,
Wüsten Streit beim Becher haß ich.

Lautenspiel und Tanz beim heitern
Schmause unter zarten Mädchen
Lieb ich mir: in Frieden will ich
Meinen Lebenstag verbringen.

19. Beim Weine

Von Basilios

Gebt mir des Homeros Leier,
Aber ohne blut'ge Saiten!
Gebt den Becher, um gehörig
Nach dem Trinkgesetz zu mischen;
Daß ich trunken möge tanzen
Und, noch klug genug im Taumel,
Zu dem Barbiton ein Trinklied
Mit gewalt'ger Stimme singen.
Gebt mir des Homeros Leier,
Aber ohne blut'ge Saiten!

20. Das Gelage

Kränze laßt uns, Rosenkränze,
Jetzt um unsre Schläfen winden,
Trinken unter milden Scherzen!
Einen Thyrsos in den Händen,
Welchen Efeulaub umrauschet,
Soll die Tänzerin den feinen
Fuß im Takt der Laute heben;
Und ein weichgelockter Knabe
Lasse seine würz'gen Lippen
Zu dem Saitenklang der Pektis
Herrlich von Gesange schwellen.
Eros selbst im goldnen Haarschmuck,
Mit dem schönen Gott Lyäos,
Mit der holden Kythereia,
Kommt, des Schmauses Lust zu teilen,
Dessen sich die Greise freuen.

21. Die Rasenden

Um Kybele, die schöne,
Soll Attis, der entmannte,
Laut schreiend auf den Bergen
Umhergeraset haben.

Am Quellrand auch zu Klaros,
Vom Wunderborne trunken
Des lorbeerreichen Phöbos,
Sind Rasende zu hören:

Ich aber, von Lyäos
Berauscht, von Salbendüften
Berauscht und meinem Mädchen –
So will, so will ich rasen!

22. Verschiedene Raserei

Laßt, bei den Göttern, lasset
Mich trinken! Trinken will ich
Unabgesetzt und rasen.

Einst rasete Alkmäon,
Orest mit nackten Füßen,
Die Mörder ihrer Mütter.

Ich, keines Menschen Mörder –
Bezecht von rotem Weine
Will ich, ja will ich rasen!

Einst rasete Herakles,
Den fürchterlichen Köcher
Und Iphitos' Bogen schüttelnd.

Auch raste jener Aias,
Als er samt seinem Schilde
Das Schwert des Hektor schwenkte.

Ich aber – mit dem Becher
Und mit bekränztem Haupthaar
Will ich, so will ich rasen!

23. Rechtfertigung

Die schwarze Erde trinket;
So trinken sie die Bäume;
Es trinkt das Meer die Ströme;
Die Sonne trinkt die Meere,
Der Mond sogar die Sonne:
Was wollt ihr doch, o Freunde,
Das Trinken mir verbieten?

24. Antwort

Es sagen mir die Mädchen:
Anakreon, du alterst.
Den Spiegel nimm und siehe,
Du hast das Haar verloren;
Ganz kahl ist deine Stirne.
– Ob ich noch Haare habe,
Ob sie mir ausgegangen,
Ich weiß es nicht; doch weiß ich,
Daß holde Lust und Lachen,
Je näher kommt das Ende,
So mehr den Alten ziemet.

25. An ein Mädchen

Nicht fliehen mußt du, Mädchen,
Vor diesen grauen Haaren!
Nicht, weil der Jugend Blume
Noch herrlich an dir leuchtet,
Verachten meine Gaben.
Sieh nur am Kranze selber,
Wie lieblich weiße Lilien
Mit Rosen sich verflechten!

26. Der alte Trinker

Alt bin ich zwar, doch trink ich
Trotz einem Jüngling wacker;
Und wenn es gilt zu tanzen,
Mach ich in meinem Chore
Den tanzenden Seilenos,
    Nehme den Schlauch zum Stabe.

Geht mir mit eurem Stecken!
Hat einer Lust zu kämpfen,
Der kämpfe meinetwegen.
Auf! Bringe mir, o Knabe,
Gemischt mit honigsüßem
    Weine den vollen Becher!

Alt bin ich zwar, doch trink ich
Trotz einem Jüngling wacker.

27. Beste Wissenschaft

Ei, was lehrst du mich des Redners
Kunst und seine feinen Griffe?
Wozu soll ich all den Plunder
Kennen, der mir gar nichts frommet?

Lieber lehre du mich trinken
Den gelinden Saft Lyäens,
Lieber lehre du mich scherzen
Mit der goldnen Aphrodite.

Graues Haar kränzt meinen Scheitel:
Reiche, Knabe, Wein mit Wasser,
Wiege meinen Geist in Schlummer!
Bald bedeckst du den Entseelten;
Der hat nichts mehr zu begehren.

28. Greisenjugend

Ich liebe frohe Greise,
Ich liebe junge Tänzer.
Ein Alter, wenn er tanzet,
Ist wohl ein Greis an Haaren,
Doch jung an Geist und Herzen

29. Jung mit den Jungen

Meine Jugend hab ich wieder,
Seh ich dich im Jünglingskreise:
Dann, ja dann zum Tanz beflügelt
Kann ich noch, ich Alter, schreiten.
Bleibe bei mir, o Kybebes!
Rosen her! – Ich will mich kränzen.
Graues Alter, dich verjag ich,
Jung mit Jünglingen zu tanzen.
Reichet mir von Dionysos'
Traubennaß – und ihr sollt sehen,
Sehen eines Alten Stärke,
Der noch kann so kräftig singen,
Der noch kann so tapfer trinken
Und vor Freude trunken schwärmen!

30. Auftrag

Arbeite dieses Silber
Für mich, Hephästos: aber
Nicht etwa Wehr und Waffen,
Nein, einen Becher mache,
So tief du kannst und räumig!

Nur von Gestirnen komme
Mir nichts darauf, kein Wagen,
Kein leidiger Orion!
Was kümmern mich Plejaden,
Und was Bootes' Sterne?

Du sollst mir Rebenstöcke
Und Trauben daran bilden
Und goldne Keltertreter,
Den schönen Gott Lyäos
Mit Eros und Bathyllos.

31. Das Bildnis der Geliebten

Auf, du bester aller Maler,
Male, allerbester Maler,
Meister in der Kunst der Rhoder,
Male mir, wie ich dir sage,
Die entfernte liebste Freundin!

Erstlich weiche schwarze Haare,
Und, will es dein Wachs vergönnen,
Male sie von Salbe duftend.
Oben wo die Wangen enden
– Deren eine ganz sich zeige –
Male unter dunkeln Locken
Weiß wie Elfenbein die Stirne;
Laß die Bogen dann der Brauen
Sich nicht trennen, nicht verbinden,
Sondern, wie bei ihr, gelinde
Ineinander sich verlieren;
Dunkel wölbe sich die Wimper.
Aber zu dem Blick des Auges
Mußt du lauter Feuer nehmen.
Blau sei dieses, wie Athenes,
Wie Kytheres feucht in Liebe.
Wirst du Nas' und Wange malen,
So vermische Milch und Rosen.
Gib ihr Lippen gleichwie Peitho's,
Die zum Kusse lieblich locken.
In dem weichen Kinne mitten,
Um des Halses Marmor schweben
Alle Chariten vereinigt!
Endlich laß in lichtem Purpur
Ihr Gewand hinunterwallen,
Fleisch ein weniges durchschimmern
Und den Umriß nur erscheinen.

– Doch genug! Schon steht sie vor mir!
Nächstens wirst du, Bild, auch reden.

32. Das Bild des Bathyllos

Male den Bathyll mir also,
Meinen Liebling, wie ich sage:

Salbenglanz gib seinen Haaren,
Dunkel schattend nach dem Grunde,
Außen aber Sonnenschimmer.
Kunstlos nur gebunden, laß sie,
Wie sie eben wollen, selber
Sich in freie Locken legen;
Und den zarten Schmelz der Stirne
Schmücken dunkle Augenbrauen,
Dunkler als des Drachen Farbe.
Trotzig sei sein schwarzes Auge,
Doch von fern ein Lächeln zeigend;
Jenes nimm von Ares, dieses
Von der lieblichen Kythere:
Daß man, bange vor dem einen,
Bei dem andern hoffen könne.
Male seine Rosenwange
Mit dem zarten Flaum der Quitte;
Und sieh zu, daß sie das edle
Rot der Scheu erkennen lasse!
Seine Lippen – weiß ich denn auch
Selbst, wie du mir diese malest?
Weich, von Überredung schwellend.
Wisse kurz: das Bild, es müsse
Redsam selber sein im Schweigen!
Unterm Kinn da schließe zierlich,
Wie ihn nicht Adonis hatte, Elfenbeinern sich der Hals an.
Gib ihm Brust und beide Hände
Von der Maia schönem Sohne,
Leih ihm Polydeukes' Schenkel,
Bauch und Hüften ihm von Bakchos.
Dann, ob jenen weichen Schenkeln,
Jenen feuervollen, gib ihm
Eine glatte Scham, die eben
Aphrodites Freuden ahne.
– Aber deine Kunst, wie neidisch!
Kannst du ihn doch nicht vom Rücken
Zeigen! Herrlich, wenn du's könntest!
– Soll ich erst die Füße schildern? –
Nimm den Preis, den du verlangest,
Und gib diesen Phöbos auf, mir
Den Bathyll daraus zu bilden.
Wirst du einst nach Samos kommen,
Male nach Bathyll den Phöbos.

33. Auf ein Gemälde der Europa

In diesem Stier da, Knabe,
Ist wohl ein Zeus zu suchen.
Denn auf dem Rücken traget
Er ein sidonisch Mädchen
Durchs weite Meer und teilet
Die Wellen mit den Klauen.
Ich wüßte nicht, daß sonsten
Ein Stier entlief der Herde
Und durch die Fluten schiffte,
Als eben nur der eine.

34. Aphrodite auf einem Diskos

Seht dies Kunstgebilde! Wahrlich,
Eine Zauberhand hat Wellen
Ausgegossen auf den Diskos.
Welch ein kühner, hochentzückter
Geist, der hier die zarte, weiße
Kypris auf dem Meere schwimmend
Schuf, die Mutter sel'ger Götter!
Nackend zeigt er sie den Blicken;
Nur was sich nicht ziemt zu schauen,
Decket eine dunkle Welle.

Gleich der weißen Alge schaukelnd
Auf des sanft ergoßnen Meeres
Fläche gleitet sie umher, und,
In die Flut gelehnet, trennt sie
Vor sich her den Schwall der Wasser.

Über ihrem ros'gen Busen,
Unter ihrem zarten Halse
Teilt sich eine große Woge.
Mitten in des heitern Meeres
Furche glänzet Kytherea
Wie die Lilie unter Veilchen.

Ob dem Silber aber wiegen
Sich auf tanzenden Delphinen
Himeros und Eros, tückisch
Lachend zu der Menschen Torheit,
Und ein Heer gekrümmter Fische
Überschlägt sich in den Wellen,
Scherzet um den Leib der Göttin,
Wo sie hin mit Lächeln schwimmet.

35. Auf die Rose

Laßt die Rose, Eros' Blume,
Zu Lyäen sich gesellen;
Mit der Rose Zier die Schläfe
Kränzend, lasset uns den Becher
Leeren unter milden Scherzen!

Rose heißt die schönste Blume,
Rose heißt des Lenzes Schoßkind,
Rosen flicht der Sohn Kytheres
Um die gelben Ringelhaare,
Mit den Chariten zu tanzen.

Kränze, Bakchos, mich mit Rosen,
Und ich will, die Laute rührend,
Mit dem zierlichsten der Mädchen,
Deinen Kranz auf meinem Haupte,
Froh bei deinem Tempel tanzen.

36. Lob der Rose

Säng' ich wohl den schön bekränzten
Lenz und dich nicht, holde Rose?
Mädchen, auf! ein Wechselliedchen!

Wohlgeruch haucht sie den Göttern;
Sie, der Erdgebornen Wonne,
Ist der Chariten erwählter
Schmuck zur Zeit, wo in der Blüten
Fülle die Eroten schwärmen.
Aphroditens Spielzeug ist sie,
Jedes Dichters Lustgedanke,
Ja der Musen Lieblingsblume.

Lieblich duftet sie vom Strauche
Dir am dornbewachsnen Pfade;
Lieblich hauchet Eros' Blume,
Wenn du, sie in zarten Händen
Wärmend, ihren Atem saugest.

Bei dem Schmaus, beim Trinkgelage,
Bei Lyäos' frohen Festen,
Sagt, was möchte wohl den Sänger
Freuen, wenn die Rose fehlte?

Rosenfingerig ist Eos,
Rosenarmig sind die Nymphen,
Rosig Aphrodite selber;
Also lehren uns die Dichter.

Auch den Kranken heilt sie wieder,
Scheucht von Toten die Verwesung,
Ja sie trotzt der Zeit des Welkens:
Reizend selber ist ihr Alter
Durch den Wohlgeruch der Jugend.

Aber nun: wie ward die Rose?
– Als dem Schaum des blauen Meeres
Die betauete Kythere,
Pontos' Tochter, einst entstiegen,
Und die kriegerische Pallas,
Schrecklich selber dem Olympos,
Auf Kronions Haupt sich zeigte,
Damals ließ auch Mutter Erde
Sie, die vielgepriesne Rose,
Dieses holden Wunderwerkes
Ersten jungen Strauch, entsprießen.
Und die Schar der sel'gen Götter
Kam, mit Nektar sie zu netzen.
Alsbald blühend, purpurglänzend,
Stieg sie aus dem Dorngesträuche,
Bakchos' ewig junge Blume.

37. Der Frühling

Sieh den jungen Lenz! Wie ringsum
Schon die Chariten in Fülle
Ihre Rosenpracht ergießen!
Siehe, wie die Meereswelle
Sich in heitrer Ruhe wieget!
Siehe, wie die wilde Ente
Rudert! Wie der Kranich ziehet!

Rein hernieder leuchtet Titan,
Und die Wolkenschatten fliehen,
Und die Flur des Landmanns glänzet.
Früchte zeiget schon der Ölbaum,
Und von Blättern und von Ranken
Strotzend will auch Bromios' Gabe
Schon, die Rebe, wieder blühen.

38. Kelterlust

Schwarze Trauben erst in Körben
Bringen Jünglinge und Mädchen
Auf den Schultern hergetragen.
In die Kelter aber schütten
Jene sie sofort und lösen
Nun den Most, die Beeren tretend.
Hoch erschallt das Lob des Gottes,
Hoch in lauten Kelterliedern,
Während sie den jungen Bakchos
In der Tonne brausen sehen.
Und der Greis, wenn er ihn trinket,
Tanzet er auf wanken Füßen,
Daß die Silberlocken beben;
Und der junge, schöne Bursche
Überschleicht im Rausch ein Mädchen,
Das, dem schweren Schlummer weichend,
Seinen zarten Leib im Schatten
Grüner Blätter hingegossen,
Reizet es, die höchsten Rechte
Hymens keck vorauszunehmen.
Wollen Worte nichts verfangen,
Weiß er durch Gewalt zu siegen.
Denn zu wilden Taten lockt der
Trunkne Gott das junge Völkchen.

39. Auf Dionysos

Der dem Jüngling Kraft im Kampfe
Gibt, ihm Mut gibt in der Liebe,
Reiz, wenn er beim Schmause tanzet –
Seht, der Gott, er kehret wieder!

Seinen Wein, das Kind der Rebe,
Den gelinden Trank der Liebe,
Ihn, den lachenden, den Tröster,
Bringet er den Menschenkindern.

In die grün umrankten Beeren
Schließt er ihn und wartet seiner,
Daß, wenn wir die Trauben schneiden,
Alle Welt gesunden möge,
Frisch und schön an Leib und Gliedern,
Frisch und froh an Sinn und Herzen,
Bis zur Wiederkehr der Lese.

40. An die Zikade

Selig preis ich dich, Zikade,
Die du auf der Bäume Wipfel,
Durch ein wenig Tau geletzet,
Singend, wie ein König lebest.
Dir gehöret eigen alles,
Was du siehest auf den Fluren,
Alles, was die Horen bringen.
Lieb und wert hält dich der Landmann,
Denn du trachtest nicht zu schaden;
Du den Sterblichen verehrte,
Süße Heroldin des Sommers!
Auch der Musen Liebling bist du,
Bist der Liebling selbst Apollons,
Der dir gab die Silberstimme.
Nie versehret dich das Alter,
Weise Tochter du der Erde,
Liederfreundin, Leidenlose,
Ohne Fleisch und Blut Geborne,
Fast den Göttern zu vergleichen!

41. Besuch des Eros

Jüngst in mitternächt'ger Stunde,
Als am Himmel schon der Wagen
An Bootes' Hand sich drehte
Und, ermattet von der Arbeit,
Schlafend lagen alle Menschen,
Da kam Eros noch und pochte
An der Türe meines Hauses.
»Wer doch«, rief ich, »lärmt da draußen
So? Wer störet meine Träume?« –
»Öffne!« rief er mir dagegen:
»Fürchte nichts! Ich bin ein Knabe,
Habe mich verirrt in mondlos
Finstrer Nacht, von Regen triefend.«
Mitleidsvoll vernahm ich dieses,
Nahm in Eile meine Lampe,
Öffnete und sah ein Knäbchen,
Welches Flügel an den Schultern
Hatte, Pfeil und Bogen führte.
Alsbald ließ ich ihn zum Feuer
Sitzen, wärmte seine Hände
In den meinen; aus den Locken
Drückt' ich ihm die Regennässe.
Drauf, als ihn der Frost verlassen,
Sprach er: »Laß uns doch den Bogen
Auch versuchen, ob die Sehne
Nicht vom Regen schlaff geworden!« –
Spannte, traf, und mir im Busen
Tat es wie der Bremse Stachel.
Er nun hüpfte auf und lachte:
»Siehst du, guter Wirt, wie glücklich!
Unbeschädigt ist mein Bogen,
Doch dir wird das Herz erkranken.«

42. Die Probe

Mit einem Lilienstengel
Gar grausam schlug mich Eros
Und zwang mich, ihm zu folgen.
Durch wilde Ströme ging es,
Durch Wälder und durch Klüfte,
Daß mich der Schweiß verzehrte.
Schon auf die Lippe trat mir
Die Seele, ja schon war ich
Ganz nahe am Erlöschen:
Da wehte Kühlung Eros
Mit seinem sanften Fittich
Mir auf die Stirn und sagte:
»Noch kannst du, Freund, nicht lieben!«

43. Bedeutsamer Traum

Mir kam vor im Traum, ich liefe,
Hatte Flügel an den Schultern;
Eros, an den schönen Füßchen
Blei, erhaschte mich im Laufe.
– Was wohl dieser Traum bedeutet?
Ich, der schon von mancher Liebe
Halb verstrickt, bisher noch immer
Glücklich allen war entronnen,
Soll, so will es mich bedünken,
Dieses Mal doch hängen bleiben.

44. Der wächserne Eros

Ein Mann, ein junger, brachte
Aus Wachs ein Erosbildchen
Zu Kauf. Da trat ich zu ihm
Und frug: »Was soll es kosten?«
»Nimm ihn zu jedem Preise!«
Erwidert' er auf dorisch:
»Die Wahrheit zu gestehen,
Ich bin kein Wachsbossierer;
Ich mag nur keinen solchen
Begehrlichen Genossen
Im Haus wie diesen Eros.«
– »Hier nimm die Drachme! Gib mir
Den schönen Schlafgesellen.
Du aber, Eros, laß mich
Jählings entbrennen, oder
Du sollst mir selbst ins Feuer!«

45. Der Kampf mit Eros

Ja, lieben, lieben will ich!
– Zu lieben riet mir Eros;
Doch Törichter ich wollte
Nicht dieses Rates achten;
Da nahm er stracks den Bogen,
Griff nach dem goldnen Köcher,
Mich auf zum Kampfe fordernd.
Rasch warf ich um die Schulter
Den Harnisch wie Achilleus,
Nahm Schild und Schwert und Lanze
Und kämpfte gegen Eros.
Er schoß – doch ich, behende,
Wich ihm noch aus. Nun aber
Zuletzt, wie seine Pfeile
Fort waren, zornig fuhr er
Mit Pfeilsgewalt, er selber,
In mich und tauchte mitten
Ins Herz, und machtlos war ich!
Was soll nun Schild und Wehre?
Was Stich und Stoß hier außen?
Ist doch der Kampf da drinnen!

46. Widmung des Eros

Die Musen banden Eros
Mit Kränzen einst und brachten
Der Schönheit ihn zu eigen.

Nun suchet Kytherea,
Das Lösegeld in Händen,
Den Eros frei zu machen.

Doch komme, wer da wolle:
Er geht nicht mehr, er bleibet,
Der schöne Dienst gefällt ihm.

47. Der verwundete Eros

In einer Rose schlummert'
Ein Bienlein, dessen Eros
Sich nicht versehn. Am Finger
Von ihm verwundet, schrie er
Und schlug und schlug sein Händchen.
Halb lief er dann, halb flog er
Hin zu der schönen Kypris.
»O weh mir, liebe Mutter!
Ach weh, ich sterbe!« rief er:
»Gebissen bin ich worden
Von einer kleinen Schlange
Mit Flügeln – Biene heißet
Sie bei den Ackersleuten.«
Sie sprach: »Kann so der Stachel
Von einem Bienchen schmerzen,
Was, meinst du, daß die leiden,
Die du verwundest, Eros?«

48. Die Pfeile des Eros

Dort in Lemnos' Feueressen
Nahm der Mann der Kytherea
Stahl und machte den Eroten
Pfeile draus; die Spitzen tauchte
Kypria in süßen Honig,
Den ihr Sohn mit Galle mischte.
Ares, einst vom Schlachtfeld kehrend
Und die schwere Lanze schwingend,
Spottet' über Eros' Pfeile.
»Schwer genug ist der«, sprach Eros;
»Nimm ihn nur, du wirst es finden.«
Ares nahm den Pfeil; darüber
Lächelte Kythere heimlich.
Seufzend sprach der Gott des Krieges:
»Er ist schwer – nimm ihn doch wieder!« –
»Nein, behalt' ihn nur!« sprach Eros.

49. Eros gefangen

Von Julianos dem Ägypter

Unlängst – ich band gerade
Mir einen Kranz – da fand ich
Den Eros in den Rosen.
Ich nahm ihn bei den Flügeln,
Warf ihn in meinen Wein, und
So trank ich ihn hinunter.
Nun kitzelt er mich peinlich
Ums Herz mit seinen Flügeln.

50. Der tote Adonis

Als Kypris den Adonis
Nun tot sah vor sich liegen,
Mit wildverworrnem Haupthaar
Und mit erblaßter Wange:
Den Eber ihr zu bringen,
Befahl sie den Eroten.
Sie liefen gleich geflügelt
Umher im ganzen Walde
Und fanden den Verbrecher
Und banden ihn mit Fesseln.
Der eine zog am Seile
Gebunden den Gefangnen,
Der andre trieb von hinten
Und schlug ihn mit dem Bogen.
Des Tieres Gang war traurig,
Es fürchtete Kytheren.

Nun sprach zu ihm die Göttin:
»Du böses Tier, du Untier!
Du schlugst in diese Hüfte?
Mir raubtest du den Gatten?«

Der Eber sprach dagegen:
»Ich schwöre dir, Kythere,
Bei dir, bei deinem Gatten,
Bei diesen meinen Fesseln
Und hier bei diesen Jägern:
Ich dachte deinem holden
Geliebten nicht zu schaden!
Ein Götterbild an Schönheit
Stand er, und voll Verlangen
Stürmt' ich hinan, zu küssen
Des Jägers nackte Hüfte,
Da traf ihn so mein Hauer.
Hier nimm sie denn, o Kypris,
Reiß mir sie aus zur Strafe
– Was soll mir das Gezeuge? –
Die buhlerischen Zähne!
Wenn das dir nicht genug ist,
Nimm hier auch meine Lippen,
Die sich den Kuß erfrechten!«

Das jammert' Aphrodite.
Sie hieß die Liebesgötter
Ihm lösen seine Bande.

Er folgte nun der Göttin
Und ging zum Wald nicht wieder,
Und, selbst ans Feuer laufend,
Verbrannt' er seine Liebe.

51. Die Taube

Woher, o liebe Taube,
Woher kommst du geflogen?
Wie triefst du so von Salben
Und füllst die Luft im Fluge
Mit ihren Wohlgerüchen?
Was hast du vor? Wer bist du?

»Anakreons Gesandte;
Zu seinem Liebling muß ich,
Muß zu Bathyllos, dem ja
Nun alles liegt zu Füßen.
Verkauft hat mich Kythere
Dem Sänger um ein Liedchen.
Anakreon vertrauet
Mir nun die größten Dinge.
Siehst du, hier hab ich eben
Jetzt Briefe zu bestellen.
Wohl hat er mir versprochen,
Mich ehstens frei zu lassen;
Doch, wenn schon frei gelassen,
In seinem Dienste bleib ich.
Wie sollt' ich noch auf Bergen
Umher und Feldern schweifen,
Mich auf die Bäume setzen
Und wildes Futter schlingen?
Ich picke von dem Brote,
Das mich der Dichter lässet
Aus seinen Händen nehmen.
Auch reicht er mir zu trinken
Den Wein, von dem er trinket,
Und nach dem Trunke trippl' ich
Um meinen Herrn und recke
Den Flügel, ihn beschattend.
Dann setz ich mich, zu schlafen,
Auf seiner Leier nieder.
– Nun laß mich. Du weißt alles.
Fürwahr, o Mann, du machtest
Mich schwatzhaft trotz der Krähe.«

52. Anakreons Kranz

Von Basilios

Anakreon, der Sänger
Von Teos, – also träumt' ich –
Ward mein gewahr und rief mich.
Flugs auf ihn zugelaufen
Umarmt' ich ihn und küßt' ihn.
Zwar schon ein Greis, doch schön noch,
Noch schön war er und zärtlich.
Wein hauchte seine Lippe,
Auf wanken Füßen ging er,
Von Eros' Hand geleitet.
Und nun vom eignen Haupte
Den Kranz herunternehmend,
Der alle Wohlgerüche
Des Sängers von sich hauchte,
Reicht' er mir den; ich nahm ihn
Und band ihn um die Schläfe,
Ich Tor! Seit jener Stunde
Weiß ich von nichts als Liebe.

53. Ein Traum

Von Lyäos frohgemutet,
Schlief ich nachts auf Purpurdecken;
Und mir war, als wenn ich scherzend
Mich mit jungen Mädchen jagte.
Leichthin schwebt' ich auf den Zehen;
Sieh, da kamen Knaben, schöner
Als der weiche Gott der Reben,
Die mit bittrem Hohn mich schalten
Jener holden Kinder wegen.
Doch wie ich sie wollte küssen,
Waren alle miteinander
Im Erwachen mir entflohen,
Und ich Armer lag verlassen,
Wünschte wieder einzuschlafen.

54. An eine Schwalbe

Wie soll ich dich bestrafen?
Wie, plauderhafte Schwalbe,
Bei deinen schnellen Schwingen
Dich fassen und sie stutzen?
Sag, oder soll ich etwa
Wie vormals jener Tereus
Die Zunge dir entreißen?
Was! aus so süßem Traume
Mit deinem frühen Zwitschern
Mir den Bathyll zu rauben!

55. Naturgaben

Es gab Natur die Hörner
Dem Stier, dem Roß die Hufe,
Schnellfüßigkeit dem Hasen,
Dem Löwen Rachenzähne,
Den Fischen ihre Flossen,
Den Vögeln ihre Schwingen
Und den Verstand dem Manne.
– So bliebe nichts den Frauen?
Was gab sie diesen? – Schönheit:
Statt aller unsrer Schilde,
Statt aller unsrer Lanzen!
Ja über Stahl und Feuer
Siegt jede, wenn sie schön ist.

56. Der liebenden Kenner

Das Roß führt an den Hüften
Ein eingebranntes Zeichen,
Und am gespitzten Hute
Mag man den Parther kennen.

Mit Einem Blick so will ich
Die Liebenden erkennen:
Ein zartes Mal ist ihnen
Gezeichnet in die Seele.

 


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