Balduin Möllhausen
Der Vaquero
Balduin Möllhausen

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Fünfzehntes Kapitel.

Nachdem Bell das Vaterhaus verlassen hatte, schien Howitt noch starrer und unzugänglicher geworden zu sein. In dem Trachten, den Eindruck zu erzeugen, daß er die Tochter, die so lange sein Liebling gewesen, nicht vermisse, sie sogar vergessen habe, prägte erhöhte Strenge sich in seinem harten Gesichte aus. Dieselbe Strenge offenbarte sich im Verkehr mit den Seinigen, von denen er argwöhnte, daß sie sein Verfahren heimlich mißbilligten, wohl gar in Gedanken auf seiten Bells und King Bobs standen. So durfte auch Bells Name nicht mehr in seiner Gegenwart genannt werden. Sogar Bertrand und Mutter Hickup scheuten sich, ihn an den Verlust eines zweiten Kindes zu erinnern. Im übrigen lebten sie im besten Einvernehmen mit ihm. Er erkannte zwar nicht dankbar, jedoch freundschaftlich den Eifer an, mit dem sie zwischen ihm und dem Kapitän vermittelten und günstigere Bedingungen für den unwiderruflich gebotenen Abzug von der vieljährigen Heimstätte zu erzielen sich bestrebten. Mit dem Kapitän oder gar mit Baxter in Verkehr zu treten weigerte er sich dagegen störrisch. Letzteren nannte er einen hinterlistigen Schurken, mit dem ein ferneres Wort zu wechseln entwürdigend, wogegen er in dem Kapitän einen Knecht der schwarzen Verrat billigenden Regierung erblickte, also einen Mann, der überhaupt keinen eigenen Willen besitze.

Die Kunde der gewaltsamen Entführung Margins hatte durch Baxter Verbreitung gefunden. Erst zur vorgeschrittenen nächtlichen Stunde war er, bis zum Tode erschöpft, zurückgekehrt und nach dem furchtbaren Ritt auch jetzt noch nicht fähig, sich frei zu bewegen. Als Mutter Hickup den Zweck schilderte, den King Bob mit der Entführung verfolgt hatte, glitt ein Schimmer der Befriedigung über Howitts verwitterte Züge. Im übrigen gab er sich das Ansehen, der energischen Korporalswitwe Mitteilungen nicht gehört zu haben. Den Ausspruch, daß seine Tochter für ihn gestorben sei, hielt er aufrecht bis in die kleinsten Nebenumstände hinein.

Erst am zweiten Tage gegen Abend entschloß er, auf seiner Freunde dringendes Zureden, sich dazu, den Kapitän in seinem Lager aufzusuchen. Persönlich wollte er ihn um die Bedingungen befragen, zu denen Baxter sich verstanden habe, verbat sich aber zugleich dessen Anwesenheit. Dagegen sollten Bertrand und Frau Hickup ihm als Zeugen zur Seite stehen, wenn die Verhandlungen als gescheitert betrachtet werden und demnächst die gesetzlichen Maßregeln in Kraft treten mußten.

Höflich empfing ihn der Kapitän. Howitt, dessen unerschütterliches, stolzes Selbstvertrauen sich in seiner Haltung offenbarte, lehnte des Kapitäns Einladung, in das Zelt zu treten, kalt ab. Entschieden erklärte er, kein anderes Dach über seinem Haupte zu dulden, als das von seinen Händen errichtete oder den von seinem Herrgott über ihn ausgespannten Himmel. Gern willfahrte der Kapitän seinem Wunsch, und nachdem er mit den Gästen vor dem Zelt sich auf den Rasen niedergelassen hatte, eröffnete er das Gespräch mit den Worten:

»Ihr Besuch gilt mir als eine gute Vorbedeutung für die Hoffnung, Sie befriedigt von hier scheiden zu sehen.«

»Befriedigt?« fragte Howitt mit einem Anfluge von Spott. »Woher sollte jemand, den man von Haus und Hof vertreiben möchte, Befriedigung kommen? Woher die Luft, nachdem ihm sein Recht heimtückisch gestohlen wurde, sich unter einen heillosen Zwang zu beugen? Und wer bürgt schließlich dafür, daß der Rechtsspruch, den ich anerkennen soll, nicht auf lahmen Füßen steht?«

»Ich muß und kann dafür bürgen, mein lieber Howitt, daß es für Sie keinen anderen Ausweg giebt, als – schwer, wie es mir wird, es auszusprechen – den Baxter käuflich erworbenen Grund und Boden zu räumen.«

»Gut, Kapitän; Sie brauchen's nicht durch einen Eid zu bekräftigen, rechne ich. Ihnen glaube ich aufs Wort, und meine Freunde hier trugen durch ihre ehrlichen Vorstellungen nicht wenig dazu bei, mich zur Anerkennung Ihres guten Willens zu bestimmen. Wäre es anders, so sähen Sie mich jetzt nicht hier. Statt dessen stände ich mit meinen Söhnen hinter den Palissaden meines Gehöftes, um es so lange zu verteidigen, wie noch ein Schuß Pulver in unseren Hörnern, oder bis der letzte von uns durch feindliche Kugeln hingestreckt wäre. Und noch eins: ich erlebte in den letzten Tagen und Wochen so viel schweres Leid hier, daß es mir das Leben vergällte. In jedem auf meinem Acker von einem Maiskorn entsendeten Keim würde ich fernerhin ein bittere Mahnung an die Zeiten erblicken, in denen eine glückliche Familie mich vollzählig umringte, ein Wink meiner Augen genügte, jedes einzelne Mitglied fröhlich hierhin und dorthin fliegen zu sehen. Ja, ich will fort, das ist mein Entschluß, fort, so weit wie der Himmel blau. Wird das Grab meines Sohnes durch Regen, Schnee und darüber hinschreitende Hufe geebnet, daß es sich durch nichts mehr von dem Prairieboden ringsum auszeichnet, so schläft der arme Junge deshalb nicht minder sanft, als wenn ich seinen Hügel von Zeit zu Zeit auffrischte, und die Mutter täglich hinginge, um ihre heißen Thränen darauf herabzuweinen, rechne ich.« Hier schüttelte Howitt das Haupt, um sich einer Anwandlung von Wemut zu erwehren, und freier fuhr er fort: »Sie sprachen von einer Entschädigungssumme. Da möchte ich wenigstens deren Höhe kennen lernen, bevor ich meine endgültige Entscheidung treffe. Denn kann ich wirklich gezwungen werden, von hier fortzuziehen, so vermag doch niemand, mich zu verpflichten, Geld von jemand in Empfang zu nehmen, der besser schon vor Jahren aufgeknüpft worden wäre.«

Mit reger Aufmerksamkeit hatte der Kapitän den Erklärungen des Alten gelauscht. Wie er, sahen auch Bertrand und Mutter Hickup auf die knorrige Gestalt, die, das Haupt geneigt, die Worte von dem Rasen eintönig abzulesen schien.

»Ich wiederhole, was Ihr Freund Bertrand Ihnen ohne Zweifel bereits mitteilte,« erwiderte der Kapitän mit unverkennbar aufrichtigem Wohlwollen, »Baxter bietet Ihnen vierhundert Dollars für Haus, Hof und die grünenden Saaten. Außerdem stellt er Ihnen anheim, die Farm nach Ihrer Bequemlichkeit zu räumen, gleichviel, ob nach drei Tagen oder ebenso vielen Wochen. Das ist die äußerste Grenze, bis zu der gehen zu können er behauptet.«

»Vierhundert Dollars,« wiederholte Howitt nachdenklich, ohne aufzuschauen, »doppelt so viel, wie mir früher geboten wurde. Ein schönes Stück Geld für jemand, der es mit einem Federstrich verdient, aber blutwenig für den, der seine achtzehn Jahre drum arbeitete. Doch gleichviel, an den Gedanken, noch einmal zum Wanderstabe greifen zu müssen, gewöhnte ich mich bereits, und so sage ich: je früher ich von hier aufbreche, um so eher ist es überstanden. Doch auch ich habe meine Bedingungen, die zwar leicht zu erfüllen sind, von denen aber abhängt, ob ich auf die Ihrigen eingehe. Um mich und die Meinigen zur Wanderschaft bedachtsam auszurüsten und alles auf unsere beiden Wagen zu verladen, bedarf es einer Zeit von mindestens vier Tagen. Soll uns aber die Arbeit nicht zu schwer von Händen gehen, so dürfen wir nicht durch den Anblick Ihres Lagers und der Dragoner daran gemahnt werden, daß wir uns unter ein böses Joch beugen. Dergleichen läuft mir nämlich gegen die Natur. Ich fordere daher, daß Sie mit Ihren Leuten sich weit genug zurückziehen, um mir aus den Augen zu sein. In der Nachbarschaft des Feldlagers der beiden schuftigen Sklavenmänner finden Sie gutes Gras im Ueberfluß für Ihre Gäule, und für die Sorte, die da kampiert, mag Ihre Nähe rätlicher sein als für uns. Kommen Sie am vierten Tage gegen Abend mit dem Baxter, so übergebe ich Ihnen, und nur Ihnen allein, das, was ich von meiner Habe zurücklassen muß. Ueber die Auszahlung der Entschädigungssumme will ich ebenfalls nur mit Ihnen zu schaffen haben. Sie aber bürgen dafür, daß ich bis dahin von keinem, auch nicht von dem allerelendesten Strauchdieb, belästigt und in meiner Ruhe gestört werde.«

»Ein durchaus billiges Verlangen,« erwiderte der Kapitän, »es soll geachtet werden bis auf den Buchstaben. Morgen früh, bald nach Sonnenaufgang, marschieren wir ab. Ich setze voraus, Herr Bertrand und meine alte Freundin bleiben noch einige Tage Ihre Gäste.«

An Howitts Stelle antwortete Frau Hickup: »Bei Gingo, Kapitän, man soll eine angefangene Sache nie halb beendigen, das sagte schon mein seliger Knockhimdown – Sie entsinnen sich seiner. Ja wir bleiben bis zu letzten Stunde. Als gute Freunde wurden wir von Daniel Howitt aufgenommen, und als gute Freunde wollen wir ihm eine Strecke das Geleite geben, wenn er dieses Thal auf Nimmerwiedersehen verläßt.«

Sie drückte die ihr gereichte Hand Howitts kameradschaftlich, indem sie tröstlich hinzufügte: »Alter Gentleman, nehmen Sie's leicht; denn so schlecht ergeht es keinem Menschen, daß es nicht noch schlechter sein könnte.«

Howitt nickte ihr ausdruckslos zu, ein Beweis, daß er ihren guten Willen anerkannte. Einen kurzen Abschiedsgruß richtete er an den Kapitän, und in düstere Grübeleien versunken, schritt er dem Gehöft zu. Bertrand und Mutter Hickup folgten etwas später nach.

 

Wie der Kapitän versprochen hatte, war es geschehen. Als am folgenden Morgen die Sonne ihre ersten Strahlen über die Ebene in das Thal hinabsandte, befanden die Dragoner sich bereits eine Strecke abwärts. Howitt atmete auf. Ueber die seine Zukunft betreffenden Pläne verlor er kein Wort. Aber die Söhne rief er zu sich heran, und ruhig, wie in früheren Tagen, klang seine Stimme, als er ihnen die Tagesbeschäftigung zuwies.

Zu ihrem maßlosen Erstaunen vernahmen die drei Aeltesten den Befehl, den Weizen, der eben im Begriff, Aehren anzusetzen, niederzumähen. Ihren ungläubigen Blicken begegnete er mit der Erklärung, daß die grünen Halme sich um so viel leichter vor der Sense neigten, nach dem Weizen der junge Mais an die Reihe komme und demnächst jedes Pflänzchen im Garten ausgerupft, jeder Fruchtstrauch abgeschnitten werden solle. Die beiden Jüngsten beauftragte er, die Einfriedigungen zu öffnen und die Pferde und Rinder zu einigen schwelgerischen Tagen auf die dem Verderben preisgegebenen Saaten zu treiben.

Um ihnen den Ernst seines Willens zu beweisen, nahm er selbst eine Axt, und sich nach dem Garten verfügend, begann er die kräftigen jungen Obstbäume der Reihe nach zu fällen. Jetzt erst gingen die jungen Männer an die Arbeit. Schwer, wie es ihnen werden mochte, die verheißenden Erfolge langen, mühevollen Schaffens zu vernichten, wagte sich keiner, Widerspruch zu erheben. Wo aber unter dem Einfluß versteckten Jammers der Mut zu sinken drohte, da brauchte sich nur die im Ausdruck unbewegliche Gestalt des Vaters zu zeigen, um zu neuem Eifer anzuspornen. Sogar Bertrand und Mutter Hickup, das Vergebliche freundlicher Vorstellungen einsehend und ahnend, was der eiserne alte Squatter bezweckte, beteiligten sich gemeinsam mit Arrowmaker und Rabbit an dem Zerstörungswerk, als er nach dem Fällen der Obstbäume mit dem Einreißen der Zäune den Anfang machte.

So war man am Abend des zweiten Tages so weit vorgeschritten, daß nur noch welke Saaten die Felder bedeckten, die Einfriedigungswerke dagegen und die dazu gehörigen Pfähle samt den schweren Ackergeräten in kurzen Entfernungen voneinander unregelmäßige Anhäufungen bildeten. Der dritte Tag wurde dazu verwendet, die Palissaden auszuheben, ebenfalls in Haufen zusammenzutragen wie das Einfriedigungsmaterial mit Stroh und Heubündeln zu durchschießen und dadurch zugleich mit dem vom Winter erübrigten Futtervorrat aufzuräumen.

Und wiederum senkte der Abend sich auf das Thal, und wie ein Verderben atmender Rachegeist schwebte es über dem Gehöft; wie die Vorahnung eines schweren Verhängnisses lastete es auf allen Gemütern. Wenn einer zum anderen sprach, geschah es mit gedämpfter Stimme. Sogar die beiden Gäste, von schmerzlicher Teilnahme erfüllt, vermochten sich nicht zu einem längeren Gedankenaustausch aufzuraffen.

Howitt selber verlor bis auf einzelne kurze Andeutungen kein Wort; und doch erzeugte es den Eindruck, als ob er sich jetzt freier bewege, die Vorbereitungen zur Ausführung eines mit ernster Ueberlegung gefaßten Entschlusses ihm Erleichterung gebracht hätten. Kämpfte es in seinem Inneren, zerriß es sein altes Herz, einer Heimstätte den Rücken kehren zu müssen, auf der er so viele Jahre in Zufriedenheit verbrachte, so manches mit seinen bescheidenen Ansprüchen im Einklang stehende Glück genoß, aber auch des Lebens bitterstes Leid, so hätte keiner das aus seinem Aeußeren herausgelesen. Nach wie vor charakterisierte ihn dieselbe eherne Ruhe; nach wie vor überwachten seine scharfen, klugen Augen die Ausführung seiner Befehle mit strenger Gewissenhaftigkeit. Und als dann nächtliche Stille das Gehöft umlagerte und bis auf die Wachtposten alle sich zur Ruhe begeben hatten, da mochten wohl jüngere Augen nach des Tages Mühen sich zum kräftigenden Schlummer schließen, wogegen andere sorgenvoll in die sie umringende Finsternis hineinstarrten und den sich ihnen entwindenden Thränen eines unsäglichen Schmerzes ungesehen freien Lauf gönnten.

Der vierte Tag hatte kaum zu grauen begonnen, als die beiden Arbeitswagen vor die Blockhütte hingeschoben wurden und das Verladen der mitzuführenden Habseligkeiten seinen Anfang nahm. Der letzte Maisvorrat bedeckte die Böden der geräumigen Kasten fußhoch, auf diesem reihten die noch reichlich vorhandenen Lebensmittel in Säcken, Kisten und Fässern sich aneinander. Es folgten Betten und Kleidungsstücke, über welchen die wenigen Möbel und sonstiger Hausrat sich auftürmten. Einzeln schaffte man die mit vier Pferden bespannten Wagen nach der Höhe hinauf, wo in aller Form das Feldlager aufgeschlagen wurde, und Bertrand und seine alte Gefährtin mit ihrem Fuhrwerk ebenfalls einen Platz belegten. Auch die Herde hatte man hinaufgetrieben, um dem Abirren einzelner Rinder in den Wald hinein leichter vorbeugen zu können. In der Mitte der im Dreieck zusammengefahrenen Wagen brannte das Küchenfeuer. Um dasselbe herum auf dem Rasen sitzend, wurde das Mittagsmahl eingenommen.

Howitt war wie umgewandelt. Anscheinend sorglos sprach er über dieses und jenes. Es verriet sich darin die versteckte Absicht, vor dem letzten zu führenden Schlage die Seinigen zu ermutigen, ihr Vertrauen auf die Zukunft wachzurufen und sie darin zu bestärken. Sobald aber das Mahl beendigt war, erhob er sich.

»Jungens,« redete er in beinahe heiterem Tone seine Söhne an, »jetzt sollt ihr mir bei dem allerschwersten Werk helfen. Um was es sich handelt, habt ihr längst erraten. Seid ihr die echten Söhne eures Vater, so werdet ihr, wie ich, lieber unser Gehöft in Flammen sehen, als auch nur einen Cent von dem Sündengeld anrühren, das einer der verworfensten Missetäter der Erde uns, wie dem Hunde einen abgenagten Knochen, vor die Füße werfen möchte. Innerhalb einer Stunde muß alles brennen und lodern. Hernach mögen Baxter und die von ihm Eingesetzten den hinterlistig berechneten Vorteil sich aus der Asche herausscharren. Herr Bertrand und Frau Hickup leisten unterdessen der Mutter Gesellschaft. Sie mögen von hier oben aus sich an dem Feuer erfreuen und, wenn erst fern, aller Welt verkünden, wie ein freier Bürger der großen Republik in den niederträchtigsten Lagen seine Ehre zu wahren verstand.«

Er warf die Axt auf die Schulter und stieg den Abhang hinunter.

Seine Söhne, Arrowmaker und der junge Mandane folgten ihm auf dem Fuße. Auf dem Gehöft eingetroffen, versahen sie sich mit Strohfackeln, deren sie tags zuvor eine Anzahl angefertigt und zum sofortigen Gebrauch handgerecht hingelegt hatten. Dann dauerte es nicht lange, bis die ersten Holzanhäufungen schmale Rauchsäulen gen Himmel sandten. Von einer zur anderen schritten sie mit ihren Fackeln, deren bloße Berührung oft genügte, das trockene Stroh und seit Jahren ausgedörrte Holz in Flammen zu setzen. Ebenso verfuhren sie mit den noch sattreichen Palissaden, die sie, um ihren Widerstand gegen das Feuer abzuschwächen, an die Blockwände und Schuppenträger gelehnt, zum Teil sogar in die alten Wohnräume hineingetragen hatten. Und dies alles geschah mit so viel ruhigem Bedacht und einer Umsicht, als hätte man sich vor einer Vorteil verheißenden Aufgabe befunden.

In der Hütte wurde der Brand zuletzt angelegt. Wenige Minuten genügten, und es flackerte im Inneren wie auf der Außenseite. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß ein Erlöschen nicht mehr möglich, schritten sie abermals von einem Scheiterhaufen zum anderen, durch Schüren die Flammen aufs neue entfachend und die glimmenden Holzreste übereinander ordnend, so daß zum Schluß nur einige angekohlte Stumpfen zurückbleiben konnten.

Als endlich alles brannte, loderte, knisterte und krachte und die verschiedenen Rauchsäulen oberhalb des Gehöftes in der stillen Atmosphäre zu einer düsteren Wolke sich vereinigten, ließ Howitt die Blicke noch einmal über die Stätte des Verderbens hinschweifen. Er mochte sie in Gedanken mit dem Bilde vergleichen, das sie vor einigen Tagen noch bot, daß seine Augen trüber und trüber schauten und endlich ein schmerzlicher Seufzer seiner Brust sich entrang. Wie über sich selbst erschrocken, sah er um sich. Seine Söhne standen abseits und betrachteten ihr Werk ebenfalls trübselig, sie hatten, ähnlich den beiden Indianern, nicht einmal Lust, zu einander zu reden.

Und abermals seufzte Howitt tief, jetzt aber erleichtert auf. Mit heftigem Schwunge schulterte er die Axt, und jenen voraus begab er sich nach der nunmehr fliegenden Häuslichkeit zurück. Oben fand er seine Frau auf dem Uferrande sitzend. Starr ruhten ihre Blicke auf dem weitverzweigten, flammenden Herd. Die Hände hielt sie auf dem Schoß gefaltet. Thräne auf Thräne rollte über ihre verwitterten, eingefallenen Wangen.

»Ermuntere dich, Mutter,« redete er sie anscheinend wohlgemut an, obschon das Bild der schwergeprüften Lebensgefährtin ihm das Herz beinahe abstieß; »ermuntere dich und baue auf die Zukunft. Packt dich aber Schwermut, dann sieh auf mich. Denn seit lange war ich nicht so leichten Sinnes, wie jetzt, da die Versuchung sich von mir forthob, die Früchte unseres vieljährigen sauren Schaffens mit dem Sündengeld eines Schurken mir bezahlen zu lassen.«

Er setzte sich neben sie. Bertrand und Mutter Hickup, die in freundlicher Rücksicht bei ihrem Wagen geweilt hatten, gesellten sich ihnen nunmehr zu. Bald darauf trafen Arrowmaker und die jungen Leute ein, sich ebenfalls auf dem Uferrande niederlassend. Dann hingen alle Blicke an den beweglichen Flammen, die hie und da bis zur Baumhöhe emporloderten, wieder zurücksanken und das ausgedörrte Holz gierig verzehrten. Zuweilen tönte dumpfes Krachen herüber, wenn der eine oder der andere Dachbalken niederbrach und einen Funkenregen erzeugte, und jedesmal war den betrübten Heimatlosen, als ob ein schartiges Messer über ihre Gebeine hingeglitten wäre. Doch weder ein Laut der Klage noch der Befriedigung wurde vernehmbar. Das Schweigen, in dem alle verharrten, verriet mehr, als mit Zungen hätte verkündet werden können. Das unbeugsame Familienoberhaupt, zu dem jeder wie zu einem Herrn über Leben und Tod aufsah, hatte entschieden, da gab es nur stummes Unterwerfen unter seinen Willen.

Die Sonne neigte sich dem Untergange zu. Mit ihren rötlichen Strahlen floß ineinander die Beleuchtung des auf den verschiedenen Herden niedriger brennenden Feuers, und Howitt saß mit den Seinigen noch immer auf der alten Stelle. In dem über die Bäume hinaussteigenden Rauch spiegelte sich träumerisch der in Gold und Purpur prangende Westen, und nach wie vor herrschte Schweigen. Da störte der Hufschlag scharf getriebener Pferde Howitt aus seinem dumpfen Brüten. Sich danach umkehrend, erkannte er den Kapitän. Ihm folgten Baxter und zwei Dragoner. Auf der letzten kurzen Strecke hatte das brennende Gehöft in seinem Gesichtskreise gelegen. Leicht erriet er die Ursache des Entstehens des Brandes.

»Um des Himmels willen, Howitt, was brachte Sie auf diesen unseligen Gedanken?« riet er ihm zu, noch bevor er bei ihm eingetroffen war.

Alle hatten sich erhoben. Howitt ging dem Kapitän einige Schritte entgegen.

»Was dort in Asche zerfällt, wie die niedergemähten Saaten war mein Eigentum, kalkulier' ich,« antwortete er rauh, »mit meinem Eigentum aber verfahre ich, wie es mir gefällt, ohne jemand Rechenschaft dafür schuldig zu sein. Als freier Mann bin ich alt geworden, als freier Mann will ich meine Tage beschließen.«

Während er so sprach, umfloß eine eigentümliche Würde die lange, zähe Gestalt. Zu stolz, um den in seiner Brust wühlenden Schmerz auch nur mit einer Miene zu verraten, verharrte sein knochiges Gesicht in ausdrucksloser Ruhe. Auf Baxter, der hinter dem Kapitän hielt, achtete er nicht.

»Aber, lieber Freund,« erwiderte der Kapitän, und in seinem ganzen Wesen offenbarte sich ernste Theilnahme, »Sie übersahen, daß Sie mit der Vernichtung der Farm die ausbedungene Entschädigungssumme verwirkten.«

»Ich übersah nichts,« versetzte Howitt hart, »durch Feuer fegte ich die Merkmale vieljähriger schwerer Arbeit von der Erde fort. So war es mein Wille. Was unter meinen Händen hervorging, sollte keinem anderen zu gute kommen. Hätte es in meiner Macht gelegen, die verwüsteten Felder mit einer Grasnarbe zu überziehen und eine Faust hoch Salz darüber zu streuen, so wäre es geschehen.«

»Und schädigten durch Ihre übereilte Handlung sich selbst wie Ihre Angehörigen am meisten.«

»Seit meinen Knabenjahren beging ich keine übereilte Handlung. Meine Angehörigen kommen nicht in Frage. Sie ehren, was ich beschließe, und achten es. Und Schädigung nennen Sie mein Verfahren? Hätte ich etwa dem Schurken da mein Eigentum in schönster Blüte vor die Füße werfen sollen? Denn daß ich sein Blutgeld nicht anrühren würde, gab ich Ihnen schon früher zu verstehen. Als ich vor achtzehn Jahren hier zuzog, besaß ich mit denen meiner Frau vier gesunde Arbeitsarme, und nicht mehr. Jetzt aber, da ich durch Teufelsränke von meiner Scholle vertrieben wurde, verfüge ich trotz schmerzlicher Verluste noch über sieben Paare. Ich bin also reich genug, mir eine neue Häuslichkeit zu begründen. Und es giebt sicher noch Stellen, wo ich mich gegen Tücke und Verrat zu schützen vermag, rechne ich.«

Der Kapitän kehrte sich nach Baxter um, der, bleich vor Wut und Scham, wenigstens vor ihm bessere Regungen zur Schau zu tragen suchte.

»Was geschehen ist, kann nicht mehr geändert werden,« bemerkte er verstört »ist die Entschädigung böswillig zurückgewiesen worden, so hindert mich das nicht, dem Herrn Howitt durch Auszahlen eines zinsfreien Darlehens –«

»Sprechen Sie das Wort nicht aus, das einem rechtschaffenen Mann das Blut der Entrüstung ins Angesicht treiben muß,« fiel Howitt ihm drohend ins Wort, »wahren Sie Ihre giftige Zunge, oder ich möchte die Rücksicht vergessen, die ich dem Kapitän schuldig bin, und Sie unter die Füße treten. Ich ziehe fort von hier mit unbeschwertem Gewissen. Hinter mir zurück aber bleibt ein Fluch, der noch in Ihrer Sterbestunde mich und die Meinigen an Ihnen rächen wird. Jetzt beeilen Sie sich, aus meinen Augen zu kommen, das ist mein letztes Wort. Und auch Sie, Kapitän, reiten Sie Ihres Weges. Dort drüben erhebt sich ein kleiner Hügel. Darunter schläft mein gemordeter Sohn. Wie wir die offene Gruft trauernd umstanden, so gönnen Sie uns jetzt, daß wir ebenso unbelästigt auf das Grab des besten Teils unserer Habe hinblicken.«

Indem er bei den letzten Worten mit dem ausgestreckten Arm nach den rauchenden, flammenden und schwälenden Trümmerhaufen hinüberwies, hätte man ihn mit einem weit in die Zukunft hinausschauenden alttestamentarischen Propheten vergleichen mögen.

Förmlich begeistert fuhr er fort: »Ja, reiten Sie, Kapitän, reiten Sie, sag' ich. Mich verlangt nicht nach der Teilnahme anderer. Binnen kürzester Frist schüttle ich den Staub von meinen Füßen, um eine Landschaft hinter mich zu legen, in die eine Rotte Sodomiter den Fluch der Sklaverei hereinzutragen beabsichtigt.«

Er kehrte sich ab, und die Arme auf der breiten Brust verschränkend, trat er bis auf den äußersten Rand des Uferhanges vor. Dort heftete er die ruhigen Augen, wie deren Höhe messend, auf die oberhalb der Brandstätte in rosigen Duft verschwimmende Rauchwolke.

Der Kapitän begriff, daß fernere Vorstellungen von dem erbitterten Squatter eine ernstere Zurückweisung erfahren würden, und ritt zu Bertrand und Frau Hickup hinüber. Mit einer bezeichnenden Gebärde reichte er ihnen die Hand. Auch die jungen Leute wollte er scheidend begrüßen, mußte aber erleben, daß sie ihm den Rücken zukehrten und neben ihren Vater hintraten. Ohne Säumen wendete er sein Pferd zur Heimkehr ins Lager.

Baxter hielt sich ihm zur Seite. Eine größere Strecke legten sie schweigend zurück. Der Kapitän, vertraut mit dem hinterlistigen Treiber der Pioniere der Sklavenbarone, empfand in seiner Verachtung für den ungewünschten Begleiter keine Neigung, eine Unterhaltung mit ihm zu eröffnen, wogegen dieser von dem Gefühl beherrscht wurde, vollständig durchschaut worden zu sein.

»Eine ergreifende Scene, deren Zeugen wir eben waren,« bemerkte ersterer endlich wie im Selbstgespräch; »ob diejenigen, die solch schweres Verhängnis auf eine ehrenwerte, in ihrer Anspruchslosigkeit glückliche Familie herabbeschworen, jemals Ruhe vor dem sie verfolgenden Gewissen finden werden?«

»Eine störrische Art Menschen,« erklärte Baxter vorsichtig; »hat sich erst eine Idee in ihren Köpfen eingenistet, so sterben und verderben sie lieber, bevor sie sich eines Besseren belehren lassen. Am ratsamsten ist es, jede Erörterung mit ihnen zu vermeiden. Bei ihrer Roheit zieht man stets den kürzeren.«

»Ich sollte denken, Sie für Ihre Person hätten gerade nicht den kürzeren gezogen,« meinte der Kapitän spöttisch. »Ihr Wunsch ist erfüllt: die beklagenswerten Menschen ziehen ab, und Sie erfreuen sich der Genugthuung, eine unbequeme Nachbarschaft los geworden zu sein.«

»Unbequem, Kapitän? Nun ja, unbequem muß es jede, sein, auf eigenem Grund und Boden angefeindet und verlästert zu werden. Bei der geringsten Nachgiebigkeit von Seiten des Alten wäre alles anders gekommen.«

Der Kapitän antwortete nicht. In seinem fortgesetzten Schweigen verriet sich der Widerwille gegen den unwillkommenen Gefährten. Auch Baxter schwieg. Er fürchtete, neue, ihn wie Geißelhiebe treffende Bemerkungen herauszufordern.

 

Die Sonne war in die westliche Prairie hinabgetaucht. Nächtliche Schatten senkten sich auf Wald und Wiesen. Howitt und seine Söhne saßen wieder auf dem Uferrande. Vor dem Küchenfeuer regte sich die alte Frau. So groß konnte kein Schmerz sein, daß sie darüber die Sorge für ihre Familie vernachlässigt hätte. Mutter Hickup ging ihr gefällig zur Hand. Bertrand rastete auf der Deichsel seines Wagens. Er hatte sich abgesondert, um die trauernde Familie nicht durch seine Gegenwart zu beengen, aber auch um seinen eigenen Betrachtungen nachzuhängen.

Einige Schritte abwärts hatten Arrowmaker und Rabbit sich auf ihre Decken geworfen. Ihr Gleichmut konnte durch nichts gestört werden. Am wenigsten bereitete die Zukunft ihnen Sorge. Wo Howitt und die Seinigen blieben, da fanden auch sie ihr Heim. Nachlässig sandten sie gelegentlich einen Blick in das Thal hinab. Von dem Gehöft war nichts übrig geblieben, als größere und kleinere Aschenhaufen, über welchen matter, rötlicher Schein lagerte. Hie und da, wo das Feuer einen bis dahin vergessenen Holzrest entdeckte, züngelten Flämmchen empor. Wie Irrlichter tanzten und flackerten sie, um alsbald wieder zu erlöschen.

Und abermals drang Hufschlag herüber, jetzt aber von Pferden, die sich langsam einherbewegten. Bertrand erhob sich. Die Dunkelheit hinderte ihn, die Reiter genauer zu unterscheiden. Erst als der Schein des Feuers sie streifte und Mutter Hickup einen Ruf freudigen Erstaunens in die Nacht hinaussandte, erkannte er King Bob, dem Bell zur Seite ritt. Zwei Vaqueros hielten im Hintergrunde und warteten auf das Zeichen, sich aus den Sätteln zu schwingen.


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