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Breno ist ein kleines Dörfchen auf der Heide des Departements Morbihan.
Rings um das Dorf, dessen niedere, schmutzige Häuschen mit Stroh gedeckt sind, erstreckt sich die düstere Heide, voller roter Flecken ihrer honigduftenden Blüten. Einige dürre Schafe, einige Schatten abgezehrter Pferde, einige gerippeähnliche Kühe mit bärtigen Schnauzen, wie die der Ziegen, und blutiger, vom Ungeziefer angefressener Haut, weiden die stachligen Schößlinge des Ginsters ab. Da und dort heben vereinzelte Föhren ihr krummes Geäst dem grauen Himmel entgegen. Sie sind alle in der Richtung nach Nordost gebeugt; dann und wann ist zwischen den unvermeidlichen Ginsterstauden ein viereckiger Fleck frischeren Grünes, von weißem Mauerwerk umgeben, sichtbar; es sind Felder, mit spärlichem Weizen und kargem Hafer bebaut, trostlose Äcker, dem rauhen, unfruchtbaren Boden von einem armseligen Bauernvolke mühselig entrissen. Links, mit den Wolken im Gesichtskreise beinahe verschwommen, leuchtet ein schmaler Streifen Meer in dem matten düsteren Glanze eines Leichenlakens. Die Einwohner dieses verfluchten Landes können kaum als menschliche Wesen gelten. Unter den übelriechenden Lumpen, mit ihren erdfahlen, von Hunger und Fieber abgezehrten Gesichtern und gekrümmten Rückgrat haben sie das Aussehen kranker Tiere. Sie leben von geronnener Milch und faulem Wasser, und manchmal, zu Zeiten guten Fischfanges, auch von dürren Fischen, die sie an langen Ruten an der Sonne faulen lassen. In der Nacht ruhen sie gemeinsam mit ihrem Vieh auf der Jauche und dem frischen Miste der Ställe.
Und dennoch hat der Herr Pfarrer, der dieses Volk als unbeschränkter Herrscher regiert, es ohne fremde Hilfe zuwege gebracht, indem er die Leute seit zehn Jahren rücksichtslos auspreßte, eine neue Kirche zu bauen, die fünfzigtausend Franks gekostet, einen Glockenturm aus rosarotem Granit und obendarauf ein goldenes Kreuz hat, das heiter und sorglos mitten aus diesem Sumpfe menschlichen Elends emporragt.
Ein kupferrotes, mit bläulichen Blatternarben geziertes Gesicht, zwischen einem zausigen Knäuel wergfarbener Haare; ein zahnloser, wüster, verzerrter Mund, in dessen Winkel von früh bis spät ein von Tabakjauche triefendes kleines Pfeifchen steckt, das ohne Unterlaß ausgeht und wieder angebrannt wird; ein hagerer, buckliger, windschiefer Körper, dessen Krümmungen, Beulen und Schrunden durch die fettige, aus alten Lappen zusammengeflickte Soutane noch mehr hervortreten; so sieht der Herr Pfarrer aus. Des Tags zieht er von Türe zu Türe, von Feld zu Feld, bettelt bei einem und fordert beim andern, nimmt Eier, Butter, Milch, dürres Reisigholz, drückt die Mädchen herum, prügelt die Kleinen, bedroht alle Welt mit der Hölle, flucht wie ein Kutscher und ist bei alledem mehr geachtet und geschätzt als das Bild des heiligen Tugen, der von der Wutkrankheit heilt, oder des heiligen Iwo, der die Toten wiedererweckt, hierzulande sagt man von ihm: »Er ist ein Apostel!«
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Eines Sonntags bestieg der Herr Pfarrer zur Stunde der Predigt die Kanzel und schwenkte die Kirchenfahne. Diese war ein altes, verschlissenes, entfärbtes Banner mit abgetrennten Fransen, ein von langen Rissen zerfetzter seidener Lumpen; die ehemals rotgefärbte Fahnenstange hatte sich krumm geworfen; der goldenen Taube an der Spitze fehlten die Flügel und die Beine.
Vorerst bekreuzte sich der Pfarrer, dann erhob er das jämmerliche Banner vor der Menge der Gläubigen und rief: »Seht euch das an! Diese schöne rote Seide ist jetzt schmieriger als die Kitteln der Mutter Tobias! Schweine seid ihr, alle seid ihr Schweine, aber glaubt ihr deshalb das Recht zu haben, das heilige Eigentum, das Eigentum Gottes und der heiligen Jungfrau, in einem solchen Zustande zu lassen? Wie, oder glaubt ihr vielleicht, daß ich Derartiges am Fronleichnamstage der Prozession vorantragen werde? Das ist ja schon zu schlecht, um meine Kochtöpfe damit zu scheuern! Tagediebe, Nichtstuer, Ketzer, Pharisäer, die ihr seid, die sich lieber mästen und besaufen, ihr verstockte Sünder! Ihr wollt euch nicht darum bekümmern, ob der liebe Herrgott, die heilige Jungfrau und alle Heiligen des Himmels halbnackt und zerfetzt herumgehen! Aber wartet, ich will euch was erzählen, denn das muß ein Ende haben, mit euren Schuftereien und Verbrechen. Ich habe heute Nacht den lieben Herrgott gesehen, er war voller Zorn und hat mir gesagt: ›Ich will ein neues Banner haben, hörst du, verdammter Hund! Ein schönes, reichvergoldetes Banner, ein Banner für mindestens vierzig Franks. Johann Marie wird dazu zehn Sous hergeben, Peter Kernouz wird zwanzig Sous geben, die Mutter Tobias, die eine alte Knickerin und schuftige Diebin ist, muß zwei Franks hergeben! Dantu, der vorige Woche ein Kalb verkauft hat, wird drei Franks geben! Und alle anderen müssen drei Sous, ein Pfund Butter, ein Dutzend Eier und einen Topf Schmalz bringen.‹ – So, jetzt wißt ihr, was mir der liebe Gott gesagt hat.«
Einen Augenblick hielt er ein. Die Gläubigen waren ganz bestürzt; keiner wagte die Augen auf den Herrn Pfarrer zu erheben, der fortsetzte:
»Merkt auf, was mir der liebe Gott noch anvertraut hat! Er hat mir anvertraut, – es sind seine eigenen Worte, die ich euch wiederhole – er hat mir Folgendes anvertraut: ›Und wenn sie sich weigern herzugeben, was ich verlange, dann wird es mit ihrer Sache schief gehen; in tolle Hunde, in tote Kälber, in Meerkatzen, in Fledermäuse werde ich sie verwandeln und sie alle in die Hölle schicken! . . .‹«
Ein Hohngelächter von der anderen Seite der Kirche unterbrach ihn. Bei der Tür stand der alte Grenzwächter, schaukelte sich hin und her, strich sich kosend den weißen Knebelbart glatt und lachte ungläubig und spöttisch. Rasend, Schaum vor dem Munde, schrie der Herr Pfarrer ihn an: »Was lachst du da, knebelbärtiger Ketzer, Zollquittung des Teufels! Glaubst du, Gott kenne dich nicht? Glaubst du, er wisse nicht von deinen Schurkenstreichen? Er hat mir auch von dir gesprochen: ›Ja, diese knebelbärtige Kanaille geht in die Stadt, das geraubte Strandgut verkaufen, und dieses Teufelsgeld teilt er mit den Schmugglern! Warte! Warte! Wenn der Knebelbart nicht vier Franks gibt, wird er zuerst ins Gefängnis und später in die Hölle wandern! . . .‹ Was, da lachst du nicht mehr, Abtrünniger!«
Und zu den Gläubigen gewendet, schloß er: »Ihr habt den Willen Gottes vernommen. Nach der Messe werdet ihr ins Pfarrhaus kommen und eure Gaben bringen. Und weh dem, der fehlen wird!«
Der Herr Pfarrer rollte das Banner wieder ein, legte es hinter die Kanzel und wischte sich den Schweiß von der Stirne, der in Strömen herunterrann.
»So, und jetzt,« sagte er nach einer Pause, »noch etwas anderes . . . Der Präfekt ist gestorben. Das war ein jämmerlicher Herr, der mit den andern republikanischen Schweinehunden die heiligen Brüder vertrieben hat. Wenn aber einer von euch dennoch für ihn bitten will, mag er's tun! Es ist keine Sünde. Ich werde noch ein Vaterunser und ein Ave für unseren heiligen König beten, der wiederkehren wird!«
Und drohend kehrte sich der Herr Pfarrer gegen den Grenzwächter, der nun nicht mehr lachte; und während er mit der Faust auf die Holztäfelung der Kanzel mächtig aufschlug, rief er aus: »Und er wird wiederkehren, trotz aller Knebelbärte!«
Worauf er niederkniete, mit gnädiger Gebärde das Zeichen des Kreuzes machte und unverständlich murmelte: »In nomine patris et filii et spiritus sancti, Amen.«
Draußen entrollte die Heide die Armut ihres ewig unfruchtbaren Bodens, und die dürren Schafe, die Schatten der abgezehrten Pferde, die gerippegleichen Kühe mit bärtigen Schnauzen, wie die der Ziegen, und mit blutiger, vom Ungeziefer angefressener Haut weideten unter dem tieftraurigen Himmel die stachligen Schößlinge der dornigen Stauden ab.