Gustav Meyrink
Des Deutschen Spießers Wunderhorn
Gustav Meyrink

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bocksäure

Malaga ist wunderschön.

Aber heiß.

Die Sonne prasselt den ganzen Tag auf die steilen Hügel und reift den Wein, der auf natürlichen Terrassen wächst. – In der Ferne auf blauem stillem Meer die weißen Segel, sie ziehen wie Möwen. – – –

Die dicken Mönche dort oben im Kloster Alkazaba sind stolz geworden und reich – vom Guindre, den nur Herzöge trinken.

Wer kennt nicht den Guindre vom Kloster Alkazaba?! – – So feurig, so süß, so schwer; – – man spricht von ihm in ganz Spanien. –

Doch nur die Erlesenen des Landes gießen ihn in die schimmernden Gläser; ist er doch kostbar gleich trinkbarem Gold.

Weiß steht das Kloster in den nachtblauen Schatten, hoch über der Stadt von blendenden Strahlen beschienen. – – Vor Jahren waren die Brüder so arm, daß sie betteln gingen und die Malagueños segneten, die ihnen spärliche Almosen gaben: Milch, Gemüse, Eier.

Dann kam der neue Abt Padre Cesáreo Ocáriz, der milde, und brachte das irdische Glück.

Zufrieden und rund wie eine Kugel, verbreitete er frohen Sinn, wohin er ging.

Die schlanken Mädchen aus den Dörfern strömten zu ihm, wenn er die Beichte abnahm. – Wie sie ihn liebten! – Hatte er doch für die heißesten Küsse so milde Buße.

– – – Balsa war gestorben, der Weinbauer, und hatte sein kleines Gut, das an den Klostergarten stieß, den Fratres verschrieben, weil ihm der Trost des guten Abtes die letzten Stunden gar so leicht gemacht.

Padre Ocáriz segnete des Toten Vermächtnis. – Er schlug die Heilige Schrift auf und wies den Mönchen das Gleichnis vom Weinberg. – Und die Brüder gruben und gruben, daß die Schollen schwarz glänzten in dem glühenden Sonnenlicht und die Eseltreiber auf den staubigen Wegen verwundert stehen blieben. –

– – – Ja, damals ging es noch, da waren die Fratres noch mager und jung, und ihre emsigen Hände achteten nicht der schmerzenden Schwielen.

Im Schatten saß der Abt in seinem alten Lehnstuhl und warf Brotkrumen den hellen Tauben zu, die in den Klosterhof geflogen kamen.

Sein rundes, rotes Gesicht glänzte zufrieden und nickte ermunternd, wenn einer der fleißigen innehielt und sich den Schweiß von der Stirne wischte. – Zuweilen klatschte er auch drohend in die fleischigen Hände, hatte sich irgend ein spanischer Lausbub zu nahe an die Gartenhecke gewagt.

– – – Und war die Vesperglocke verklungen, und wehte die Abendbrise ihren kühlen milden Segen her vom Meere, saß er oft noch lange unter dem Maulbeerbaum und sah hinaus auf die spielenden Wellen da unten in der Bucht. – Wie die sinkenden Strahlen der Sonne an die flimmernden Kämme sich schmiegen, sich ihnen vermischen zu leuchtendem Schaum, – da wird es so friedvoll, und die dunkelnden Täler warten und schweigen. – – –

Dann ließ er sich wohl auch den alten Manuel kommen, den Gärtner des Kaufherrn Otero, der die Geheimnisse des Weinbaues kannte wie kein zweiter im Lande, und hörte ihm zu. –

Und die Blätter des Maulbeerbaumes rauschten besorgt, als wollten sie die leisen Worte verwehen, daß sie kein Unberufener hörte. –

Kopfschüttelnd vernahm da der gute Abt, daß man verwitterte Lederstücke, je schmutziger desto besser, in den gärenden Most tun müsse, um das Aroma zu erhöhen, und sah dem Alten forschend in das gefurchte Gesicht, ob er auch die Wahrheit spräche. –

Wurde es dunkel, und war die Sonne hinter den grünen Hügeln versunken, so sagte er einfach: »Gehe nun heim, mein Sohn, ich danke dir. Siehe da fliegen schon die Schwalben des Teufels.« Damit meinte er die Fledermäuse, die er nicht leiden konnte. »Und der Segen der Jungfrau sei auf deinen Wegen.« –

Dann kam die blaue schweigende Nacht mit ihren tausend freundlichen Augen, und Funken glommen im schlummernden Hafen. Schwer hingen die Trauben an den Stöcken, jahraus, jahrein. –

Wie der junge stürmische Wein im Keller tobte, als müsse er fort aus dem Dunkel, hinaus ins Freie, wo er geboren!

– – – Es waren bloß wenige Fässer, und die Mönche murrten, daß die Früchte der harten Arbeit so spärlich seien.

– – – Padre Cesáreo Ocáriz sagte kein Wort, schmunzelte nur listig, wenn das Botenweib kam und die Briefe der Kaufherren brachte, – blaue, rote, grüne, – mit Wappen und krauser Schrift aus allen Gegenden Spaniens. –

Als aber ein Sendschreiben eintraf vom Hofe, mit dem Siegel des Königs, da blieb es kein Geheimnis mehr:

Der Klosterwein von Alkazaba war die Perle von Malaga geworden. – Wie den Purpur des Altertums – kostbar – wog man ihn mit Gold auf, und sein Duft wurde gepriesen in Lied und Sang.

Herrscher tranken ihn und hohe Frauen, – und küßten die Tropfen vom Rande des Bechers.

Der Reichtum zog ins Kloster, und wie der Keller sich leerte vom Wein, füllten sich die Schreine mit prunkenden Schätzen.

Die herrliche Kapelle erstand an Stelle der alten, und eine mächtige silberne Glocke »del Espiritu Santo« sang das Lob des Herrn, daß es in heiliger Weihe über den Tälern klang. –

– – – Die Fratres sahen freundlich, wurden dick und rund und saßen gemächlich auf den steinernen Bänken. – Mit dem Graben war es schon lange nichts mehr.

Doch die Trauben wuchsen nach wie vor, – ganz wie von selbst. Und das war den Mönchen recht.

Die aßen und tranken; nur einmal im Jahre zogen sie – wie zum Feste – mit ihrem Abt in den Keller, wenn der Most gärte, und sahen blinzelnd zu, wie er in jedes Faß einen halben alten Stiefel warf. – Das war das ganze Geheimnis, wie sie meinten, und sie freuten sich mit dem frommen Alten, der für diesen feierlichen Moment immer seine eigenen Schuhe sorgfältig aufhob und sie selber zerschnitt. –

– – – Der greise Manuel hatte ihnen wohl oft erklärt, daß es eigentlich ein Wunder sei, daß das Leder allein die Ursache der so besonderen Güte des Weins nicht sein könne. Leder lege doch jeder dritte Weinbauer in Malaga in seinen Most, während er gäre. – Es müsse also wohl nur der segensreiche Boden des Erbstückes sein. – –

Aber was kümmerte all das die Brüder: – die Sonne schien, die Trauben wuchsen, und der Hoflieferant aus Madrid kam pünktlich Jahr für Jahr, holte die Fässer und brachte das Geld.

– – – An einem klaren Herbsttage war Padre Ocáriz in seinem Sessel unter dem Maulbeerbaum eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. –

Im Tale unten läuteten die Glocken. –

Ein grünes, schlichtes, kühles Erdenbett! –

Neben den toten Äbten schläft er nun. – – Und die maurische Ruine auf dem Gipfel des Hügels wirft ihren stillen, ehrwürdigen Schatten auf sein Grab. – Viele kleine dunkelblaue Blumen und ein schmale Steintafel: »Requiescat in pace.«

Der Kardinal von Saragossa hat einen jungen Abt geschickt. – Padre Ribas Sobri.

Ein sehr gelehrter Mann von tiefem Wissen, – erzogen in den Schulen der Fratres vom Herzen Jesu. Mit festem, stechendem Blick, – hager und willensstark. – Vorbei sind die Zeiten süßen Nichtstuns, – die Knechte entlassen, – und ächzend bücken sich wieder die feisten Mönche bei der Weinlese – Tief in die Nacht müssen sie auf den Knien liegen und beten, beten.

Im Kloster herrscht die strenge Observanz: – bleiernes Schweigen. – Gesenkten Hauptes, aufrecht stehend, mit gefalteten Händen üben murmelnd die Fratres die »Anmutungen«:

Non est sanitas in carne mea a facie irae tuae: non est pax ossibus meis a facie peccatorum meorum. – –

Auf dem Hof wächst das Gras zwischen den Steinen, und die weißen Tauben sind fortgeflogen. Aus kahlen Zellen dringt die gramvolle »Betrachtung der Strafen«:

Unusquisque carnem brachii sui vorabit. –

Wenn der kalte Morgen schimmert, siehst du die dunkeln Gestalten zur Kapelle ziehen, und summende Stimmen beten bei flackerndem Kerzenschein das Salve Regina.

Die Weinlese ist vorüber. – Streng befolgt Don Pedro Ribas Sobri die Rezepte seines toten Vorgängers: seine eigenen Schuhe wirft er in die offenen Fässer, genau wie jener. – – Es hallt in dem gewölbten Keller, wie der süße Wein gärt und kämpft. –

Der König wird zufrieden sein mit dem Guindre. –

Die schönen Mädchen kommen nicht mehr und beichten nicht mehr. – Sie fürchten sich. –

Schwer lastet die Scheu, – wortlos wie der mürrische Winter, der seine harten Hände auf die toten Fluren legt. – – – Und der Frühling zieht vorüber und der tanzende junge Sommer – – – und locken umsonst.

Verdrossen laden die Maultiertreiber um halben Lohn die schweren Fässer in die Leiterkarren.

Don Pedro Ribas liest und zieht finster die Stirne: »– der ehrwürdige Vater muß sich wohl geirrt und anderen Wein geschickt haben. – Das sei doch nicht der gute alte Guindre, – gewöhnlicher ›Dulce del Color‹, wie jede andere Sorte aus Malaga«, schreibt man aus der Hauptstadt.

Täglich kommen die Sendungen zurück. Volle Fässer. Aus Lissabon, aus Madrid, aus Saragossa. – – –

Der Abt kostet, – kostet – und vergleicht. Kein Zweifel, – es fehlt der fremdartige würzige Duft.

Man holt den greisen Manuel, – der prüft und zuckt traurig die Achseln.

Ja, ja, der gute, alte Don Cesáreo, der hatte ein glückliche Hand; mehr Segen als der junge Padre. – Doch das darf man nicht laut sagen; – die Mönche raunen es einander zu.

Don Pedro sitzt Nacht um Nacht in seiner Zelle bei seltsamen Retorten, und der Kerzenschein wirft den Schatten seines scharf geschnittenen Profils an die kalkweiße Wand. – Seine langen mageren Finger hantieren an funkelnden Gläsern mit häßlichen dünnen Hälsen. – Abenteuerliche Werkzeuge und Kolben stehen umher. – Ein spanischer Alchimist! –

Vergessen die Observanz – – – die ermatteten armen Mönche schlafen tief und fest.

Das tut nicht gut! – Mit weißen Pulvern und den gelben beißenden Wässern Lucifers findest du nicht, was die schweigsame Natur in verschlossene Bücher schrieb mit heimlichen Fingern.

Die Herzöge werden ihn wohl nicht mehr trinken, den herrlichen, duftenden Guindre!

Wieder stehen die Fässer in Reih und Glied mit gärendem Moste gefüllt. In jedem Gebinde ein anderer zerschnittener Stiefel, – der von dem dicken Bruder Theodosio, – dort einer selbst vom alten Manuel. –

Vom toten Abt noch einer dort im Fasse links in der Ecke. Und wieder kommt das andere Jahr, man kostet und prüft: gut ist der Wein, aber Guindre ist es nicht; – ein Faß nur birgt solchen.

Das in der Ecke mit dem Schuh des alten Abtes.

Das schicket dem König!

Pedro Ribas Sobri ist ein willensstarker Mann, der nicht aufhört zu suchen, zu prüfen, zu vergleichen. – Er sagt, jetzt endlich kenne er das Geheimnis. – Die Mönche schweigen und zweifeln. – Sie fragen nicht und tun blind, was ihr Abt befiehlt, – sie kennen seine eiserne Strenge.

Manuel schüttelt den Kopf.

Die Knechte sind wieder in Diensten des Klosters, graben und wenden die schwarzen Schollen und schneiden den Weinstock, daß die Fratres keinen Finger rühren sollen, wieder feist und rund werden wie ehedem. –

So will es der Abt.

– – – Wenn die glühenden Strahlen der Sonne, unbarmherzig den Klosterhof von Alkazaban sengen, daß der Maulbeerbaum lechzend die Zweige hängt, stehen die braunen Mädchen in den farbigen Mantillas an der Hecke und recken den Hals und kichern.

– – – In langer Reihe müssen die armen Mönche auf hölzernen Bänken liegen – schwitzend – mit schweren wollenen Kutten in der quälenden Glut, – die dicken Füße in hohe Stiefel gesteckt und mit breitem Band aus Gummistoff umflochten. – –

Denn Pedor Ribas Sobri hat sich gelobt, den Guindre wieder zu finden; er ist ein willensstarker Mann, der nicht aufhört zu suchen, zu prüfen, zu vergleichen. –

Ich aber sage, es ist alles umsonst, wenn der Wein auch besser wird: dem alten Abt tut es doch keiner mehr gleich. –


 << zurück weiter >>