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Der Kochetmann

1. Ein Gemeindetag

Hoho! Joho! Da Gmuihogn! (der Gemeindehaken) Nochba! Da Gmuihogn!« so schnarrte ein stämmiger Bauernknecht, vom Hofe des Dorfrichters über die Gänsweide zum Nachbarn herüber rennend, und hing den sogenannten Gemeindehaken, der hier die Stelle des Ansagers oder Viertelmeisters vertritt, an das Fensterchen der strohbedeckten Bauernkeusche. Und alsbald fertigte der also Gemahnte einen eben solchen Boten zum Nachbarn ab, was sich so lange wiederholte, bis die Väter der Gemeinde mit ehrbaren Schritten im Sonntagsstaate, dem langen Rock mit kurzem Leibe und zinnernen Knöpfen, dem breitkappigen Hute, dem rotseidenen, grell geblümten Halstuche mit lang flatternden Zipfeln, die langen Aufziehstiefel sauber beschmiert, die gelbledernen Kniehosen frisch angekreidet, mit wichtiger Miene wie zum Kirchgange über den grasigen Dorfplatz zum Hause des Richters herab wandelten, um zu vernehmen, was das Reichsgesetzblatt schreibt, wie weit die Grundentlastung gediehen, ob die Herrschaft das Zinsgereute nicht verspielt, ob das Dampfmehl wirklich aus wahrhaftem Korn und nicht, wie die Müller sagen, vom Teufel gemahlen werde, ob es wahr ist, dass sie in Frankreich schon wieder raufen und dergleichen, wie es eben die Gemüter solch' schlichter Waldbauern, die nie weiter kommen, als die letzten Föhren ihre Schatten werfen, beschäftigen mag.

Die Stube des Richters war zum Erdrücken voll.

In der »Betecke«, wo sehr unkünstlerisch auf Glas gepinselte Heiligenbilder mit einem Kruzifix und dem an einem Drahte darüber schwebenden Hl. Geiste aus Holz oder einem hohlen Ei mit papiernen Flügeln den bäuerlichen Hausaltar bilden, da saß der ärmsten und bedauernswürdigsten der Erdenpilger einer, der Wandellehrer des Dorfes, jetzt als Gemeindeschriftführer angestellt und beschäftigt. Vor ihm stand der Richter, eine hagere, sehnige Gestalt mit offenem, ehrlichem Gesichte, der echte Typus jenes Menschenschlages, den wir die »Waldleute« nennen.

Als er sich nach einem scharfen, musternden Blicke überzeugt hatte, dass die Gemeinde vollzählig versammelt sei, begann er dieselbe mit klarer, etwas bewegter Stimme also anzureden:

»Ehe wir von den Sachen reden, die mir die Hauptmannschaft zugesandt hat, will ich Euch erst etwas vortragen, liebe Leute, was, wie ich denke, auch vor die Gemeinde gehört!«

Die Bauern horchten alle erwartungsvoll, und einer seufzte tief und schmerzlich auf – es war der Wandellehrer.

Der Richter fuhr fort: »Ihr wisst alle, was für ein Unglück einen armen Mann aus unserem Dorfe getroffen hat, den Andres, den Kochetmann. Er hat Fassreifen geschnitten im herrschaftlichen Walde, und der Heger hat ihn erwischt. Wie sie mich gefragt haben in der Stadt drinn beim Gericht, was die Reifen bei uns kosten, da hab' ich nach meinem Gewissen geantwortet, dass ich's nicht weiß; denn bei uns kauft so was keiner und jeder nimmt sich, was er braucht. – Aber das hat nichts genutzt. Die Herren sagten: der Andres hat gestohlen, und nur, weil ich so viel 'bitt hab' und der Andres alleweil brav war, haben's ihn nur auf vierzehn Tage eingesperrt. Und nun sind seine mutterlosen Kinder allein daheim, und drei davon sind blöd und zu nichts. – So will ich euch jetzt bitten, liebe Leut' und Nachbarn, dass ein jeder nach seinem Willen und Vermögen erklärt, was er tun will, um unter der Zeit die armen Kinder des Andres zu ernähren. Wer nichts hat, gibt ein Helfgott. – Herr Lehrer! Schreiben's mich auf mit zwei Laib Brot und mit einem Viertel Erbsen.«

Der Lehrer schrieb mit tränenden Augen, und einer trat nach dem andern vor, und Brot, Kraut und Erdäpfel, und Eier und Schmalz häuften sich auf dem Papiere vor dem Lehrer zu einem Kalifornien der Hülle und Fülle für die notdürftige, vaterlose Familie.

»Viel ist's und g'nug, liebe Leut'!« rief endlich herzlich gerührt und fröhlich der Richter, »und ich bedank' mich recht schön für die armen Kinder, die für Euch beten und es den lieben Englein sagen werden, dass sie, was Ihr heut an ihnen habt getan, hinauftragen zu unserem lieben Herrgott! – Noch einmal, vergelt's Gott!«

Und nun ging es an das Politische, und es war expliziert und disputiert und räsoniert, bis der Abend kam und die Bauern sich zum Heimgehen anschickten.

Als sie aber hin schritten über den grünen Rasen und ihnen die Hütte des Kochetmannes am Bache unten in die Augen fiel, vor die sie heute ihr Mitleid gestellt hatten als treue Wacht vor Not und Jammer, da fühlte jeder von ihnen sich groß und erhaben, umso mehr, als sie alle, durch die Missernte des vorigen und die Dürre des heurigen Jahres selber nicht viel weniger als Bettler, das, was sie den Kindern gaben, der eigenen Notdurft abgebrochen hatten.

Und als der Lehrer, der letzte von ihnen, mit Freudentränen im Auge der Hütte des Kochetmannes mit der frohen Botschaft zueilte durch die langen Häuserreihen, aus denen ihm überall freundliche Buben und rotbackige Mägdlein zunickten, da meinte er durch eine Reihe von Palästen zu wandeln, in denen die Edelsten der Erde ihre Wohnsitze aufgeschlagen!

Und was flüstert der Wald, der altehrwürdige Böhmerwald mit rauschenden Kronen? Was zwitschern die Vöglein von Baum zu Baum? Was singt die Lerche hoch droben in der Luft?

»Gottes Segen! Gottes Segen und sein Friede über Euch!«

 

2. Der Kochetmann

Der Sollerberg, an dessen Fuße das Dorf Soletin liegt, hängt mit dem Langenrücken des Kubani zusammen, von dem er nur durch eine Einsattlung getrennt ist. Die höchste Kuppe dieses lang gestreckten, dicht bewaldeten Bergrückens heißt der Schreiner, der anfangs steil abfallend, sich dem Fuße des Berges zu in den flachen Gehängen des Flanitztales verliert.

Die Landschaft, in deren Vordergrunde das Dorf liegt, trägt ganz den eigentümlichen, ernsten Charakter dieses weiten Waldgebirges, hervorgebracht durch eine Menge niederer und höherer, mit Flächen abwechselnder Berg- und Hügelzüge, welche durch zahlreiche, größere und kleinere Wasserspiegel und freundliche Ansiedlungen einen eigenen Reiz der Mannigfaltigkeit erhalten, während im Hintergrunde der Urwald sein graues, ehrwürdiges Haupt erhebt, ringsum, soweit das Auge reicht, das Land mit den gewaltigen Waldesarmen umspannend.

Die Natur dieser Gegend, keine milde Mutter, gewährte dem Fleiße des Menschen, der ihre Waldnacht lichtete, um ihr eine Heimat abzutrotzen, die sie nur dem Wilde offen hielt, nichts als dürftigen, steinigen Ackergrund und mooriges Wiesenland.

Da wandte denn der Kecke und Lebenslustige sich der Jagd und dem Schwärzen, der Betrieb- und Genügsame sich anderem friedlichem Gewerbe zu. – Doch Spinnen, Weben, Bleichen, Schindel-, Bretter- und Holzschuhmachen, alles das erforderte ein, wenn auch noch so geringes Vermögen, Holzhauen und Schwemmen einen eisernen, kräftigen Körper, beides Eigenschaften, die der Held unserer Erzählung nicht besaß. Er ergriff also, wie viele Hunderte armer Schicksalsgenossen jenes fabelhafte Gewerbe, dessen Ausübung ihnen den Namen »Kochetleute« verschaffte.

Der Kochetmann steigt jeden Donnerstag früh in seiner ärmlichen, uniformen Kleidung – des Sommers barfuß und leinene, im Winter in Holzschuhen und turetaiene (von gewalktem Zwillich) Jacke und Hose – von seinem Berge herab zur Stadt auf den Wochenmarkt und wagt da sein Ein und Alles an Vermögen an ein Viertel Gerste.

Diese trägt er nun hinauf über die Berge zu einer Mühle an der Flanitz oder Moldau und verarbeitet es da zu Graupen, Gries und Brein (hier »Kochet« genannt), womit er des Sonntags nach der Kirche die mühevolle Wanderung über die Berge, von Dorf zu Dorf, von Einschicht zu Einschicht beginnt, um es seidelweise abzusetzen. Mittwochabends kehrt er mit dem kargen Gewinne heim, um donnerstags dasselbe wieder von Vorne anzufangen.

Lange Jahre hatte der Kochetmann Andres sich auf diese Weise ehrlich fortgeholfen, da kam das traurige Jahr 1850 mit seinem ewigen Regen und seinen Krankheiten in die Berge. Die Ernte missriet, die Getreidepreise stiegen, Andres konnte keine Gerste mehr kaufen. – Da verdingte er sich in den fürstlichen Holzschlägen, um doch etwas zu verdienen, aber er war so schwächlich, die Mühe so groß, und das Brot so klein!

Und als er eines Abends todmüde heim kam, fand er sein Weib erlegen der bösen Krankheit, und als des Morgens der Feldscher kam, lag sie auf dem Schragen.

Ach, da ging es ihm schlecht, dem armen Andres! – Seine drei Buben waren Troddeln, und sein Töchterlein?

»Schön Eva«, nannten sie die Burschen, und ihr Auge blitzte und ihr Herz schlug höher und schneller, wenn von ihr die Rede war. Die »Prinzessin« nannten sie die Bauernmädchen, denn Eva war so fein, so zart, so schön. Andres merkte gar wohl, wie jene ihr eifrig nachschlichen, wie diese ihr scheel nachschauten, und er getraute sich kaum mehr zum Holzflößen zu gehen; denn gar oft in sternenheller, stiller Nacht hatte er den Wachtelruf der verliebten Burschen locken gehört vor dem Fensterlein der Kammer, wo schön Eva schlief.

Da riet ihm einmal in seiner trostlosen Not ein guter Freund, ins Reifschneiden zu gehen und die Reifen nach der Stadt zu verkaufen. Und der gute Andres ließ sich leicht überreden, er ging und schnitt, und da hatten sie ihn schon.

Und jetzt saß er drinnen in der Stadt, in der dunklen, traurigen Zelle, mit und um ihn saßen Diebe und Betrüger, und so viele, viele Tage waren gekommen und vergangen, und er hatte nicht schauen dürfen in die Sonnen seines armen Lebens, in die leuchtenden Augen schön Evas, seines herzliebsten Töchterleins.

 

3. Schön Eva

Traurig, gar traurig mag es wohl überall sein, in jedem Hause, dessen Seele, die ordnende, schaffende Hausfrau, schlafen gegangen für immer, wo der Vater fehlt und die verwaist Zurückgebliebenen wissen, er weine ferne in bitterem Harme.

Aber dass es hier in der kleinen Hütte des Kochetmannes gar so traurig war, so eigen, peinlich, drückend traurig, was war wohl Schuld daran?

Die drei Kinder – den Jahren nach wohl mehr als Kinder, die dort vom hohen Ofen lachend herab glotzen, die hat der Kretinismus mitleidig in die Arme genommen, die wissen nicht, was Trauer ist und warum man weint. Und die liebliche Gestalt, die dort an dem Tische weinend sitzt, ihr Antlitz erzählt nichts von Not, und unglaublich ist's, dass diese schönen Augen sich so rot geweint um Brot! Gedenkt sie wohl des Vaters, wenn Seufzer auf Seufzer sich schmerzlich ihrem Busen entringt? Oder hat sonst ein Leid diese schöne Menschenblume rau berührt?

»Grüß Gott, Everl!« erklang es von der Tür her.

Das Mädchen sprang erschreckt auf, sie hatte nicht kommen gehört, es war der Lehrer.

Er war lange an der Türe gestanden in stummem Anschauen der schönen Gestalt versunken.

Sie sah auch leidend lieblich aus, lieblicher als er sie je gesehen hatte, und obgleich ihre Schönheit der Kleidung nur wenig verdankte, so war doch etwas Geschmackvolles und Elegantes in ihrem Anzuge, so grob er dem Stoffe und Schnitte nach war, was unter diesen Umgebungen doppelt auffiel.

Sie hatte ein hellrotes, gelbgeblümtes Tuch um die üppige Fülle ihres kohlschwarzen Haares gebunden, dessen tiefglänzende Scheitel wunderlieblich ihre große, klare Stirne und das edle, trotz seiner Blässe blühende Gesicht einrahmten. Ihre vollen, runden Arme waren nackt bis an die Schultern. Sie hatte ihr Röckel ausgezogen und saß bloß im Mieder, das Hemd über der schwellenden Brust eng anschließend an den fein gebogenen schlanken Hals, und im gestreiften Unterrocke da, dessen Kürze ihre kleinen, nackten Füße sehen ließ. Ihr Kopf war nachdenklich und traurig gesenkt, und ihre dunklen Augen, deren lange Wimpern die sonngebräunten Wangen berührten, waren niedergeschlagen und ließen nur langsam und widerstrebend die hellen Tränenperlen hervorquellen und niederrollen auf die bewegte Brust.

Als Eva den Lehrer erblickte, überzog im Augenblicke die tiefste Röte flammend ihr Angesicht! Er trat vor, ergriff ihre kleine, braune Hand und erzählte ihr mit freudig bebender Stimme, was heute beschlossen worden unter den Bauern. »Und sie bringen dies alles selbst«, sagte er weiter, »weil ich meinte, du würdest nicht gern gehen von Haus zu Haus.«

»Ich danke Euch, lieber Vetter, recht von Herzensgrund für mich und die Buben«, unterbrach ihn das Mädchen, »bringt den guten Leuten unser Vergelt's Gott – bis es besser geht!« Das Letzte sprach sie mit unsicherer, zitternder Stimme.

»Was ist dir denn, Everl?« fragte besorgt der Lehrer, die ungewöhnliche Aufregung des Mädchens bemerkend, »sei nicht kindisch, jetzt ist ja alles gut. Ihr habt vollauf zu leben, und die andere Woche kommt ja der Vater.« –

»O Vetter«, sagte Eva, von Neuem und bitterlich weinend, »wenn sie nur den Vater nicht fort genommen hätten.« –

»Du fürchtest, es werde ihm jemand vorhalten.« –

»O nein, nein! Nicht das fürchte ich«, sagte langsam das Mädchen und schlug ihr Auge auf zu ihm mit einer Miene flehentlicher Entschuldigung, worauf sie plötzlich mit leidenschaftlicher Hast seine Hand an ihre Brust zog und drängend fragte: »Gelt, Vetter, Ihr habt mich gern? Ich weiß es. Versprecht Ihr mir, mich nichts mehr zu fragen, wenn ich Euch bitte darum?«

»Um Gott, Everl!« rief erstaunt der Lehrer, »was ist denn geschehen?«

Eva ächzte schmerzlich auf; dann sprach sie langsam mit sinkender Stimme: »Ihr sollt es erfahren – alles – den Tag, bevor der Vater kommt.« – Sie schlüpfte in die Kammer und ließ den Lehrer allein.

Er stand totenblass und erschreckt von dem rätselhaften Wesen des Mädchens lange da, das Herz voll bitterer, schmerzlicher Gefühle. »Sie will mir alles sagen«, sprach er leise und wehmütig vor sich hin, »ich fürchte, ich weiß es schon!«, und er schritt hinaus, trauriger, viel trauriger, als er gekommen war.

Und in der Kammer lag Schön Eva bleich und weinend auf den Knien und betete voll reuevoller Glut zu dem, der alle zu sich ruft, die mühselig sind und beladen. Aber auf dem Ofen drinnen kauern die blöden Buben, sie lachen und lachen immer wieder, die wissen nicht, was Trauer ist. Und auf dem Anger draußen tollen und treiben Burschen und Mädchen sonntäglich Kurzweil, die wissen nicht, was Trauer ist. Und die schwankenden Weiden und die flüsternden Erlen am Bache vor der Hütte neigen ihre Zweige nieder zu dem munteren, plätschernden Gewässer, wo Welle auf Welle hüpft, und Fischlein auf Fischlein schießt hinab – hinab – vorüber – vorüber, die wissen nicht, was Trauer ist.

 

4. Die Sprache der Wände

Es war tiefe, dunkle Nacht.

Auf dem zerlegenen Strohsacke seiner Pritsche in dem Gefangenhause saß, halb zugedeckt mit der leichten Sommerdecke, mit gefalteten Händen in stummem Brüten ein alter, schmächtiger Mann, es war Andres, der Kochetmann.

Neben der gemeinschaftlichen, auf eigener Pritsche lag der Stubenvater der Separation, ein großer, starker Bursche, Müller von Gewerbe, wenn er nicht Dieb war – ein Veteran im »Hauen und Schränken« trotz seiner Jugend. »Hauen« bezeichnet in der Gaunersprache Taschendiebstahl. »Schränken« Einbruch.

Der Stubenvater schlief – den Schlaf des Gerechten wohl schwerlich – unbestritten aber einen festen, ruhigen Schlaf.

Andres saß da, den Oberleib erhoben und die Augen trotz der Finsternis in der Zelle fest und starr auf das Luftloch der Eisentüre gerichtet, vor der der monotone Schritt des Wachmannes erklang.

Plötzlich, leise zuerst, dann immer entschiedener ertönten an der Wand neben der Pritsche zwei, drei, zehn, zwanzig rasch aufeinander folgende Schläge, dann wurde es stille, als ob eine Antwort erfolgen sollte.

In demselben Augenblicke, nach dem ersten Schlage schon war neben dem erstaunten Kochetmann die mächtige Gestalt des jungen Stubenvaters aufgeschnellt, wie von einer Feder gehoben »Hollah!«, flüsterte er vorsichtig, »der ist »kochum« (eingeweiht), was der wohl will? Der muss erst gekommen sein!« Und rasch und geräuschlos wie eine Eidechse glitt er von der Pritsche herab, tappte zu des Strohsackes Häupten so lange, bis er den hölzernen Speiselöffel fand, mit dessen Stiele er sofort an der Wand ganz dieselben rasch und kurz einander folgenden Schläge leise erklingen ließ. Nach einer kurzen Pause erfolgt ein vielfältiger, leise vibrierender Schlag.

Der Stubenvater antwortete mit einem Schlage.

Darauf erklang es von drüben her in langsamen Schlägen, gemessen und gezählt, bald kürzer, bald länger anhaltend, immer ein gemessener Schlag war die Antwort des Stubenvaters. Nach einer Weile ertönte wieder der vibrierende, rasche Schlag, und zwar von beiden Seiten der Wand, darauf ward es stille.

»Andres!« flüsterte der Stubenvater, »der da drüben ist ein naher Landsmann von dir, ein »Betelmacher« aus dem »Künischen«, er sagt, er heiße der Mathes von Sommerau«. –

»Er sagt?« fragte leise der erstaunte Kochetmann.

»Ja so! Du kennst unsere Sprache noch nicht«, antwortete mit einem stolzen Lächeln der Stubenvater, »der Betelmacher da drüben spricht sie geläufig, der muss schon viel gesessen haben, siehst du«, fuhr er mit gedämpfter Stimme im erklärenden Tone fort, »wenn ein Klopfer mit vielen schnellen Schlägen an der Wand ertönt, bedeutet das, man wolle eine Unterredung anknüpfen. Ein kurzer Schlag von der anderen Wandseite bedeutet, dass man bereit sei, und überhaupt, dass man verstanden habe. Ein langsamer Schlag heißt A, zwei B oder P, drei C oder Z und so fort. Während ich nun hier die Schläge nicht mit eins, zwei, drei und so fort, sondern mit A, B, C, D und so weiter zähle, halte ich den Buchstaben, den der letzte Schlag angibt, fest und verbinde ihn auf diese Art mit den folgenden zu Silben und Worten. Es mag dies langweilig scheinen, aber geübte Leute verständigen sich auf diese Weise sehr schnell, und man hat übrigens Zeit genug durch die ganze, lange Nacht. Unter Inquisiten ist dies von unendlichem Vorteil, denn man verständigt so ganz leicht seine Komplizen von jeweiligen wichtigen Aussagen oder Vorfällen, selbst durch mehrere Separationen oder Stockwerke, da hier die gewissenhafteste Kameradschaft herrscht. Warte, jetzt werde ich ihm antworten.«

Einige Minuten vergingen unter wechselseitigem Klopfen, dann verkündete der langvibrierende Schlag, dass die Antwort verstanden und genügend sei.

Der Wachmann ging draußen auf dem engen Gange ahnungslos mit tönenden Schritten auf und nieder, drinnen an der Zwischenwand von Nr. 4 und 5 tickte und hämmerte es leise, leise wie der Holzwurm tut, wenn er seine Zelle bohrt und hackt in das Holzgefüge. Es war der Wurm der Sünde, der eifrig bohrte und hackte in ein ehrliches, aber verzagtes Herz, in das des armen Kochetmannes. Und als der Morgen kam mit seinen ersten Strahlen, hörte man kein Picken mehr, der Wurm saß tief drinnen in dem Herzen des armen Mannes und reckte und dehnte den Ringelleib.

Der geschäftige Stubenvater hatte bis zum Morgen ausgeklopft und ausgehorcht. Der Sommerauer Mathes gehöre jener weit verzweigten Schwärzerbande an, die im Vereine mit den bairischen Lackenhäuslern seit Jahren schon in den Gehängen des Rachel, Plöckensteins und Dreisesselberges ihr nächtiges, gefahrvolles, seit dem hohen Stande der Valuta aber wenig rentables Gewerbe trieb.

Er war gestern eingeliefert worden und stand auf »Nein« – welcher technische Ausdruck besagt, dass er leugnen wolle. Er klopfte dem Kochetmanne mittelst des Stubenvaters als Dolmetscher den Rat zu, – wohl weniger um ihm zu helfen, als um seinen Gefährten Nachricht von sich selbst zu verschaffen – nach seiner Freilassung die goldene Freiheit nicht mehr an die Bagatelle einiger Reifbäumchen zu setzten, sondern zu seinen Kameraden zu stoßen und mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen.

Es ist bisher weder Belehrungen noch Bestrafungen gelungen, den Begriff des Schleichhandels den Gemütern der Waldleute als unrecht und verbrecherisch darzustellen. Andres, die treuherzige Seele, fand in dem Vorschlage des Betelmachers, unterstützt von der Beredsamkeit des Stubenvaters, so viel Verlockendes und Hilfe Versprechendes ohne alles moralische Gegengewicht, dass er auf den Antrag freudig einging.

Die Nachricht, der Kochetmann habe eingeschlagen, war die letzte, die der Stubenvater gegen Morgen hinüber klopfte.

Von der langen, aufgeregten Nachtwache erschöpft und umgaukelt von den Bildern einer lachenden Zukunft, schlief Andres gegen Morgen ein, und ihm träumte von seinem Herzblatte – von Schön Eva – die geschmückt mit den schönsten bairischen Tücheln, mit goldenen Ringen und Halsgeschmeide vor ihm stehend seinen Traum verschönte.

 

5. Der Wandellehrer

Kein Sternlein stand am Himmel, kein Licht erhellte das Dunkel der Nacht. Doch über dem hohen, spitzen Sattel des Schwarzberges im Osten beginnt es allmählich blasse Streifen zu ziehen. Die üppigen Laubgebüsche an den Gehängen und Wasserrissen der Berge widerhallen nicht mehr von den ganggezogenen, schmerzlich-süßen Klagetönen der Nachtigall. Schmetternd fliegt ihr Sängergruß der Sonne entgegen, deren Boten rings auf den Bergen empor dämmern. Und statt der Unke unheimlichem Gequake im Moore, statt des Auerhahnes schrillem Gepfeife im Buchengehege sind Lerche, Fink und Grasmücke singend erwacht, und die Lärchenzweige und die Erlenruten schwanken lustig auf und nieder, als hätten sie den Takt zu geben bei der melodischen Morgenmusik ihrer befiederten Bewohner.

Hoho! Was regt sich dort unten über dem Stege bei der Hütte, wo Schön Eva träumt? So rauscht die Welle nicht, so säuselt's nicht im taubedeckten Laube, so flüstert beglücktes Lieben, wenn's zum Scheiden kommt.

Habt acht dort unten, die Nacht ist um!

Schon hat der Hamster ausgesetzt an seinem nächtlichen Baue und sich zur Ruhe gelegt, die Fledermaus sucht schwirrend die tiefste Falte des zerklüfteten Gesteins.

Habt acht dort unten, die Nacht ist um!

Hört ihr die Höfe droben im Dorfe widerhallen vom Hahnenschrei und Hundegekläff? Die wecken den Hütbuben, der gähnend und sich ranzend beim Borne steht, ungewiss, ob er sich heute waschen soll.

Habt acht dort unten, der Tag ist da!

O weh, du blinde Lieb, es ist zu spät!

Was rennst du so scheu an dem Bache hin, du fremder Mann, und schreckst die Vöglein und Fischlein auf? Die plaudern nicht. Was schlägst du so eilig das Fensterlein zu, du schönes Kind, und schreckst die blöden Buben auf? Die plaudern nicht, doch einer stand unter den Erlen am Stege dort, der hörte, wie ihr gekost und geküsst, der hörte, was er dir versprach und schwur, der sah, wie du weintest in liebender Angst, er sah sein glühendes Antlitz an deiner Brust, umwallt von dem duftigen Schleier deines gelösten, üppigen Rabenhaares, der hörte und sah – und weiß alles.

Es ist der Wandellehrer.

Langsam schreitet er, das Herz voll unendlichem Weh, den Bach entlang dem Walde zu, immer tiefer, immer tiefer hinein. Waldeinsamkeit! Nimm ihn auf in deinen Frieden den armen Wanderer, der deine Schatten sucht, lass deine tausendfältigen Trostesstimmen zu seinem verwundeten Herzen sprechen, zeige ihm die vielen Todeswunden, die des Sturmes Wut und Beil und Säge geschlagen, deren Narben aber alle die Zeit mit lindem Moose bedeckte!

Langsam schreitet er immer tiefer in die Waldnacht hinein.

Und das Moos duckt sich schmiegsam unter seinem Tritte und schnellt hurtig wieder auf, um ihm nachzuschauen. Das hat wohl Mitleid mit ihm. Und Wurm und Käferlein rummet sich beiseite, und krümmt sich nicht und summt nicht, still sieht's ihm nach mit den klaren, schwarzen Äuglein. Das Häslein springt nicht über den Weg, und das Reh hört auf an dem Laube zu zerren, es schaut ihm lange und furchtlos nach, und das Eichhörnchen kratzt und springt nicht mehr, es schaukelt ruhig auf dünnem Gezweig und schaut ihm nach. Und das Vöglein mildert den schmetternden Gesang, es fliegt vom Gipfel zum niedersten Ast und singt so leise, so weich und so mild. Die haben wohl alle Mitleid mit ihm. Auch die Fichte knarrt und schwankt nicht mehr, leise zittern und säuseln die Nadeln im Winde, es rauscht von den Kronen herab durch den Wald: »Ach, schreckt mir nicht mein armes Kind!« Der Wald – der Wald hat Mitleid mit ihm.

Indessen weicht das Morgenrot immer tiefer hinab an den Bäumen von Ast zu Ast, bis es drunten fahl erstirbt an dem moosigen Stamme. Denn die Sonne bricht durch das graue Gewölk und ihr glutvoller, Leben weckender Strahl durch die Nacht des Waldes bis tief in sein Herz.

Und gierig saugt der leuchtende, sengende Strahl die Millionen Demantschnüre des Taues auf, die spiegelnd und glitzernd eben noch Moos und Heidegras, Nadelzweig und Laubgewind umsäumen.

Der trauernde Mann war plötzlich in eine Lichtung des Waldes getreten, und das bleiche, abgehärmte Gesicht erhoben zu dem glänzenden Tagesgestirne, das in gewaltigen Sprüngen immer höher, immer sieghafter empor leuchtete hinter den gegenüber liegenden Kuppen, war er in die Knie gesunken in stillem, brünstigem Gebete. Und als von den Halden zu ihm herab tönte das uralte, melodische Gejodel der Schalmeien, als ringsum allüberall die Heiden, Büheln und Weiden sich bevölkerten mit einem Gewimmel blökenden, meckernden Hausgetiers, als alle Dunkel der Nacht gewichen waren der prangenden, lebenstrotzenden Herrlichkeit des Tages, war auch in dem starken Herzen des Waldsohnes der Friede wieder eingekehrt mit allen seinen Segnungen.

Er ging gefasst und ruhig den Steig über die Heide hinan dem Dorfe zu.

Der Lehrer war ein entfernter Anverwandter des Kochetmannes. Seine Armut, sein schwächlicher, zum Bauernstande untauglicher Körper und seine Vorliebe für Musik bestimmten ihn, das Dorf zu verlassen. Er wurde Präparand in der Kreisstadt und machte ziemliche Fortschritte. Mehr war damals nicht vonnöten, um Dorfschulmeister zu werden, und höher verstieg sich seine Hoffnung nicht.

Da ihm wie allen Gebirgsleuten das Heimweh keine Ruhe ließ, übernahm er nach dem Examen die gerade erledigte armselige Stelle eines Wandellehrers in seinem Geburtsorte.

Der Wandellehrer zieht mit seiner Habe, einer hölzernen Schreibtafel und einigen Lesebüchern mit den Schulkindern jede Woche in ein anderes Bauernhaus, dessen Stube für acht Tage zur Schule und dessen Besitzer für diese Zeit seine Kostgeber werden.

Obwohl nun Franz mit dieser vagabundierenden Art zu lehren und zu leben gerade nicht unzufrieden war, fiel ihm doch ein Umstand, den er früher nie sehr hoch angeschlagen hatte, jetzt desto schwerer aufs Herz: er konnte nicht heiraten. Denn der Bauer war bloß verpflichtet, die Person des Lehrers zu ernähren und zu beherbergen, und der unglückselige Wandellehrer liebte seine Base Schön Eva seit Langem mit stiller, aber desto glühenderer Leidenschaft.

Aber er war ein starkes, edles Herz! Er entsagte!

Als der Kochetmann gefangen zur Stadt geführt wurde, folgte der besorgte Vetter dem armen Manne dahin, um, soviel an seinen schwachen Kräften lag, zu raten und zu helfen. – Aber als er heimkehrte, bekümmert, traurig und zerschlagen, harrte ein größeres Leid. Der Stadtbote sagte ihm, der neue Finanzwächter, der einige Male schon die Tabaktrafiken um Sablat herum revidiert, der mit der Everl Ostermontags so häufig getanzt im Grindschädler Badehause und ihr so schön getan, sei gestern nachts und heute morgens um die Hütte und an dem Fensterl Schön Evas gesehen worden.

Er glaubte es nicht, aber Nacht für Nacht bewachte er von da an mit Brudertreue und liebender Angst die Hütte, wo sie schlief – heute war es seine letzte Wacht gewesen.

 

6. Die Prangerin

Schön Eva sitzt vor der Hütte, müßig die Hände im Schoß und den schönen Kopf tief gesenkt.

Auf dem sonnigen Anger kugeln ihre blödsinnigen Brüder herum, durch unartikulierte Schreie ihre Freude äußernd.

Schön Eva seufzt, und so schwer und so bang.

»Hujujuh! Juhuhuh!« so schallt es herab zu ihr durch die Gärten der Bauernhöfe. Juheh! Ein Brautpaar geht die »Prangerin« (Brautjungfer) zu laden.

Ein glitzernder hoher »Buschen« voll Goldflitter steckt auf dem Hute des lachenden Bräutigams, ein eben solcher bläht sich auf dem vollen Busen der Braut, die vor Scham nicht weiß, wohin sie schauen soll, während sie durchs Dorf hinab schreitet an der Hand des Zukünftigen, der kräftig antwortet, wenn rechts und links die jauchzenden Salven erdröhnen.

»Wer wird's wohl sein? Wohin die wohl gehen? Hoho! Zum Bach? Und über den Steg? Zu Kochetmanns Everl? Mein Seel', die wollen d' Prinzessin ha'n!«

Nicht errötend, wie es gang und gebe in solchem Falle, totenblass, zitternd am ganzen Leibe und keines Wortes fähig, stand Eva vor dem Brautpaare, das sie freundlich grüßte. Und die Braut sprach weich und leise: »Lieb's Everl! Wir täten Dich schön bitten, dass Du die Ehr hättest und gingst als Prangerin mit auf unseren Ehrentag. D'Flinserlgugel und d'Musikanten, die bringt der Prangerweiser (Junggeselle und Führer der Prangerin) am anderen Montag her zu Dir; wir wollen's alle so, dass Du siehst, dass wir euch gern haben, wie eh' und vor, und dass Dein Vater eine Freud' hätt', weil er g'rad Montag wieder herkommt aus der Stadt.«

Bebend mit fliegender Brust hatte Eva zugehört, ohne ein Wort zu erwidern, doch als das Brautpaar ihre Hände zum »B'hüt Gott« ergriff, da beugte sie sich plötzlich tief nieder vor ihnen in demütig scheuer Angst und weinte – ach, so bitterlich!

»Wein' nicht, Everl!« tröstete die Braut, »es wird ja alles wieder gut werden, bis der Andres kommt, und schau fein am Montag recht lustig aus. B'hüt Gott!« Und freundlich nickend schritt das junge Pärchen wieder zurück über den Steg zu dem Hause der Braut.

Eva aber sank unter der Türe zusammen und ächzte so schmerzlich: »Mein Gott, mein Gott!«

Die Tage verrauschten, immer näher rückte der Montag heran, immer froher und sehnender wurden die Brautleute, immer blasser und trauriger Schön Eva. Der Lehrer ließ sich nicht sehen. Der Sonntagabend war da. Die jubelnden Burschen zerschlugen irdene Töpfe und Näpfe außen an der Stubentüre, wie's zum Polterabend gehört, die Mägde steckten die kleinen Fensterlein voll saftgrünes Erlenlaub und duftenden Hollunder, und im Vorhause wüteten Messer und Kochlöffel unter dem armen Geflügel, in der Küche schmorte und prasselte es, um den ganzen Hof lag eine warme Atmosphäre von Butterteig und Kolatschenduft, und in der Stube saßen die Brautleute beisammen auf der Ofenbank und bauten ein schmuckes, schuldenfreies Bauerngehöft in die Luft; aber die Prangerin fehlte, Schön Eva war krank, recht krank.

Der ersehnte Montag hatte kaum zu grauen begonnen, da ging es schon los: Piff, paff! Juhuh und juheh!

Die Burschen mit alten Pistolen und rostigen Vogelflinten weckten den Bräutigam und die Braut, und alles strahlte und funkelte freudig und lustig; jeder Hut und jede Brust waren geziert mit wachspapierenen Blumen und Flittern von Rauschgold, als Ersatz für den duftigen Blumensegen, den die raue Natur diesen dürftigen Halden versagte.

Das häufige Schießen und ein leises Zupfen weckten den Lehrer, der heute seit Langem einmal gut und lang geschlafen hatte. An seinem Bette stand ein kleiner Bub aus dem Dorfe und hielt ihm einen offenen Zettel hin. Ein Blick darauf hatte ihn überzeugt, dass er von der Hand seiner Schülerin, Schön Evas war. Und er las mit stockenden Pulsen: »Ich kann nicht gehen als Prangerin, denn ich bin kein ehrliches Mädchen mehr. Ihr werdet mich nimmer wiedersehen; vergesst mich, tröstet meinen armen Vater und bittet ihn, mir nicht zu fluchen.« – Das war alles.

Der Lehrer sprach kein Wort, keine Träne netzte sein Auge. Langsam kleidete er sich an, nahm seine Klarinette und ging zur Hochzeit – um aufzuspielen.

Als der Zug die Anhöhe vor dem Dorfe erreichte, bewegte er sich talabwärts der Pfarrkirche zu, gar lustig anzusehen in seiner buntscheckigen Zusammensetzung; voran kleine Buben in Menge, sich heiser schreiend und müde springend, darauf die Musikanten, der arme Lehrer, seinem bleichen Gesichte und wunden Herzen zum Hohne, lustige, gellende Ländler und Tusche blasend, neben ihm ein alter Bauer, die Bassgeige über den Bauch gehängt, alleweil auf zwei Saiten: wum, wum, wum! Und das Zimbal hintenan, dessen Träger mehr als alle jauchzend und unbekümmert, welche Saiten seine rastlosen Schläglein trafen. Dann das Brautpaar im funkelnagelneuen Staate, so wunderbar überrascht, der Gegenstand aller dieser Anstrengungen zu sein, dann die substituierte Prangerin und der Prangermeister voll Flinsterln und Flitter, dann die Alten Paar und Paar, die Verwandten und Nachbarn, ein wandelnder Wald von künstlichen Büschen und Rosmarinstängeln. Aber um alle herum, bald vorne, bald hinten, der Hochzeitbitter und Spaßmacher voll Bänder und Sträußer. Juheh! Juheh! Glück auf, du liebendes Menschenpaar! Glück auf den Weg durchs Leben!

Doch stille, stille! Seht ihr nicht dort droben die scheu, fliehende Gestalt? Jetzt hat Euer Jubel ihr Ohr erreicht, und sie sinkt wie zum Tode getroffen, – Glück auf, du armes, betrogenes Kind! Glück auf den Weg durchs Leben!

 

7. Der arme Andres

Wie das lebt und singt und jubelt! Die kleinen Fensterlein stehen offen, und stoßweise dringt der dicke, schweißige Qualm, das Rauschen des Ländlers und das Gestampf der Tanzenden heraus aus der übervollen Stube in die Haufen neugierigen Volkes, das mit sehnenden, scheelsüchtigen Blicken von draußen hinein lugt in das hochzeitliche Gewirre.

Es ist wieder Nacht geworden. Über die Heide, in das Dorf, an dem Hause hochzeitlicher Freude vorüber, herab über den Anger und über den Steg schreitet rasch ein einsamer Wanderer. Es ist der Kochetmann, der heute mittags seiner Haft entlassen wurde.

Auf dem Stege bleibt er verwundert stehen. Eva weiß, dass er heute kommt. Ist sie ihm entgegen gegangen, und hat er sie verfehlt? Oder sollte sie bei der Hochzeit – nein, sie muss ja wissen, wie sein Vaterherz sich sehnt, an dem seines liebsten Kindes zu schlagen, wie es sich sehnt, seine Dunkel zu erhellen durch einen leuchtenden Liebesstrahl. Es ist finster in der Hütte, die Fensterchen sind zu, und keine gastliche Flamme leuchtet auf dem dürftigen Herde.

Langsam, mit einem unaussprechlich traurigen Gefühl öffnet er die Türe und tritt in die Stube.

Kein Willkommen tönt ihm entgegen. Die Buben schlafen auf den Spänen hinter dem Ofen, Stube und Kammer sind leer, Evas Bett unberührt.

»Eva!« ruft er mit wehmütiger Stimme. Niemand antwortet. »Sie wird bei der Hochzeit sein«, sagt er leise mit traurigem Herzen, in das sich wieder die dunklen Schatten legen, die erst gewichen vor der Freude des Wiedersehens.

Mit beflügeltem Schritte eilt er hinan ins Dorf in das Haus der Freude.

Die Stube bleibt offen und leer, nichts unterbricht die nächtliche Stille, als der ruhige Atemzug der schlafenden Kretins auf dem Ofen.

Als der Kochetmann wiederkam, war er nicht mehr allein. Der Lehrer kam mit und machte Licht. Andres wusste alles.

Herr Gott, wie entsetzlich bleich sind die beiden Männer! Wie schallt der Schrei, mit dem der Kochetmann niedersinkt, so markerschütternd, herzdurchdringend durch die Nacht!

Lange, lange schwiegen beide und saßen einander gegenüber, tief gesenkt die gebeugten Häupter. Der Lehrer weinte.

Endlich sprach der Kochetmann kalt und ernst: »Franz! Ich werde Dir was sagen!«

Der Lehrer erhob die verweinten Augen rasch zu dem Manne, dessen kalter Ton ihn erschreckte.

»Ich gehe fort, und das heute noch!« sagte Andres langsam und bestimmt, »ich kann hier nicht mehr bleiben, es ist alles, alles hin. Sage dem Richter, ich lasse ihn bitten, sich meiner Buben anzunehmen, es wird sich wohl ein Bauer finden, der sie füttert, dafür gehört die Hütte und das Ackerl sein.«

»Um Gott, was wollt ihr tun, Vetter?« rief besorgt und ängstlich der Lehrer, denn der Kochetmann war aufgestanden, und auf seinem geisterhaft bleichen Gesichte lag ein dunkler, unheimlicher, fremder Zug.

Er schwieg; aber seine Brust arbeitete, seine Wange rötete sich, seine Augen sprühten ein dunkles, leidenschaftliches Feuer.

»Um Gottes Willen, Andres! Übereilt euch nicht, es ist ja euer Kind, euer liebstes Kind!« bat dringend der Lehrer und ergriff die kalte, schwielige Hand des armen Mannes. Der stieß ihn rau von sich und gab keine Antwort, mit tönenden Schritten ging er durch die Stube und trat noch einmal in die kleine Kammer an das Bett seiner Tochter, mit einem seltsamen Blicke sah er vor sich hin, sprach leise zu sich selbst und verließ mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer das kleine Gemach. Dann reichte er dem Lehrer die Hand zum Abschiede und schritt schweigend, und ohne einen Blick mehr nach seiner Hütte zu werfen, in die dunkle Nacht hinaus dem Walde zu.

Als er die erste Kuppe des Sollerberges erreicht hatte, stand er still, erhob die Hand drohend wie zum Schwure und rief laut mit feierlicher Stimme: »Von nun an Pascher, Dieb, Mörder! Wie es kommt!« Dann setzte er langsam seinen Weg in das Hochgebirge fort.

 

8. Der Freibauer von Groß-Baylon

Tief unten am Kiesleitenbache, zwischen hohen, mit Nadel- und Buchengehölz bewachsenen Bergen liegt der Freithof von Groß-Babylon, ein großes, einsames Gehöft, einer der reichsten Freihöfe der königlichen Waldhwozd (Gebiet der königlichen Freibauerngerichte an der bairischen Grenze), umgeben von den fruchtbarsten Äckern und saftigsten Wiesen, eine freundliche Oase in der Wüstennacht des waldigen Gebirges.

Es ist eine helle Mondnacht, und ihre Ruhe liegt allüberall. Der Wald widerhallt nicht mehr vom Schlage der Axt und dem Kreischen der Säge, die Weide nicht vom Geblöke der Herden, die Wiese nicht vom Gejodel der Mahder (Mäher), der Bach nicht vom Geschrei der Flößer. Leise rauschen die Föhren im Abendwinde, leise flüstert am Bühel das Heidegras, still duftet das Heu aus den Schobern auf, und die Scheite im Flößbache stoßen einander wie im heimlichen Geplauder und schwimmen leise plätschernd hinab in das Tal.

Die rote Kienglut auf dem Herde in der großen Stube des Freihofes beleuchtet ein seltsames, unheimliches Bild. Im Hintergrunde der Stube steht ein großes, altväterisches Himmelbett mit rotzitzenen Vorhängen. Zu des Bettes Füßen in einem weiten, hohen Großvaterstuhle sitzt die bleiche, verfallene Gestalt eines jungen Mannes.

Ist das der Kummer, der nimmermüde Ackersmann, der die tiefen Furchen zog in diesem fahlen Angesichte? Ist es der Krankheit zehrende Fieberglut, die diesen kräftig grünenden, jungen Leib so furchtbar ausgedörrt? Ist das des Wahnsinns Nacht, was aus dem starren, unheimlich funkelnden Auge schaut?

Nein, es ist ein eigener rätselhafter Zustand, der dieses junge Leben umschattet mit seinem Dunkel.

Scheu weicht der Bauer von Weitem aus, wenn ihn der Weg in diese Gegend führt, selbst der Stachak (so heißen hier die böhmischen Bewohner des Stachauer Freigerichtes) betritt ungern die Schwelle des Freihofes, um seine hölzernen Teller, Kochlöffel, Spriagler (Quirlholz) an den Mann zu bringen; denn es gehen gar kuriose Gerüchte über den jungen Freibauern unter den Leuten. Vordem, als die Kunde von seinem rätselhaften Leiden unter die Leute kam, hieß es, er habe sich dem Teufel verschrieben. Denn wenn ringsum das Getreide missriet und das Heu und Grummet im Regen verfaulte oder verschneit wurde, war das Korn und der Haber um den Freihof immer schöner und länger als das seiner Nachbarn. Und wenn der Freibauer mähte und einführte, gab es sprichwörtlich Sonnenschein, bis sich dies alles endlich als Zufall und der Arzt aus der Stadt erklärte, der junge Freibauer sei – mondsüchtig.

Die Dienstleute vom Freihofe wussten gar viel wunderliche Dinge zu erzählen von ihrem jungen Herrn, wie er oft ganze Tage lang schlafe und dennoch mit geschlossenen Augen überall und alles sehe bis tief in den Keller hinein. So habe er erst nächst der Margarethe, der Stalldirne, gesagt, dass sie zwei Wecken Butter gestohlen und unter der Kellerstiege versteckt habe, und als man suchte, fand man es richtig, und damals hatte er den ganzen Tag kein Auge aufgetan und sich von seinem Lehnstuhle nicht weggerührt.

Am meisten litt bei diesem krankhaften Zustande des jungen Mannes Mutter, die alte Freibäuerin, die trotz ihres Alters gezwungen war, nebst ihrem Ausnehmen (Ausgeding) die ganz weitläufige Besitzung zu bewirtschaften, und deren ganze stolze Freude an ihrem Sohne in den Brunnen gefallen war, wie man sagt. Denn als sie ihm die Wirtschaft übergab, war er ein gesunder, starker, junger Mann, von schöner, einnehmender Gestalt, belesen und gebildeter als einer irgendwo herum. Kurz darauf aber verfiel er in eine düstere melancholische Stimmung, der bald der lethargische, visionäre Zustand folgte, den der Arzt als eine Gattung des Somnambulismus erklärte. – Jetzt war es wieder die dritte Nacht, seit er in todesähnlichem, halbwachem Schlafe dalag. Seine Mutter, eine noch schöne, rüstige, alte Frau, saß ihm gegenüber beim Spinnrade, die Augen voll Mutterangst auf ihren Sohn gerichtet, als er auf einmal die Hand erhob, ihr winkte und laut und vernehmlich sprach: »Mutter! Rufe die Knechte, am Bache, gleich unterhalb des Holzrechens liegt ein krankes, verlassenes Weib, lasse sie hertragen, denn sonst müsste sie vergeh'n.« –

Die Freibäuerin, weniger verwundert über diesen sonderbaren Auftrag, als erfreut über das, wenn auch wieder krankhafte Lebenszeichen ihres Sohnes, stand sogleich auf und sandte drei Knechte mit Laternen zum Flößrechen hinab.

Dann legte sie frischen Kien auf den Herd und stellte einen Topf mit Tee und kräftiger Brühe an das Feuer. Der junge Mann blieb sitzend wie versteinert in der Stellung, in der er sie angesprochen hatte, mit geschlossenen Augen und immer noch erhobener Hand im Lehnstuhle.

Es dauerte nicht lange, so ertönten auf dem Hofpflaster die schweren Tritte einiger Männer, die eine Last trugen; die Bäuerin öffnete die Türe und herein kamen drei stämmige, halb angekleidete Burschen, von denen einer die Laterne, die beiden andern eine ohnmächtige, leblose Mädchengestalt trugen, die sie vor dem jungen Bauern auf den Boden legten.

Als das nasse, triefende Gewand der Fremden die Knie des Freibauern berührte, sprang er augenblicklich auf, öffnete die dunklen, feurigen Augen und sah einen Moment starr um sich, dann beugte er sich plötzlich tief nieder zu der leblosen Gestalt, und mit einem Tone so voll innigen Gefühls, dass er tief in das Herz der Bäuerin und sogar der Knechte drang, sprach er leise und langsam: »O stirb nicht, Eva! Und wache auf! Ich habe ja so lange Deiner geharrt, mein Engel! Mein Sonnenlicht!«

Eva, denn sie war es, lag starr ohne ein Lebenszeichen in der dunklen Wasserlacke, die ihr triefendes Gewand um sie ausströmte.

Die Bäuerin begann sofort mit ängstlichem Bemühen alle jene Belebungsversuche, die man bei ähnlichen Fällen anwendet, und zwar mit dem glücklichsten Erfolge, denn bald schlug Schön Eva das dunkle Auge auf, und die Brust begann sich zu heben. – »Wo bin ich?« fragte sie verwundert und leise mit bebender Stimme.

»Eva! Eva! Bei mir!« rief der junge Freibauer mit herzerschütternder Leidenschaft, und von der Freude überwältigt, sank er ohnmächtig nieder neben dem Mädchen.

 

9. Der Betelmacher

Mitten im Walde am Bergabhang liegen einige zerstreute Waldhäuschen, die »Betelhäuser« genannt, weil durchgehend bewohnt von Glasmachern, einer nebenan liegenden Hütte, in der hauptsächlich jene ordinären farbigen Glaskorallen erzeugt werden, mit denen ehedem ein sehr beträchtlicher Handel in ferne Länder, besonders nach Spanien und Portugal, getrieben wurde, wo sie als Tauschmittel beim Sklavenhandel in Afrika, hierlands übrigens auch zu Rosenkränzen benützt wurden, woher ihr Name »Paternosterperlen« stammt, aus dem der lokale Ausdruck »Beteln« wurde.

Es ist sehr früh am Morgen.

In der Stube des letzten dieser Häuschen an dem breiten Tische sitzt ein ältlicher, äußerst hässlicher Mann.

Er ist von kleiner Statur, seine Züge sind peinlich verzerrt, der breite, zum Grinsen verzogene Mund zeigt ein schwarzes defektes Gebiss; dennoch aber liegt auf diesem Gesichte eine Art von Intelligenz, ein kecker, verschmitzter Ausdruck, der besonders auffallend und stark ausgeprägt in dem Augenblicke hervortrat, wo wir den Mann treffen.

Er saß an dem Tische, beschäftigt mit der Packung mehrerer Säckchen. Zigarren, Tabakblätter in Päckchen und Pfunden, Kaffee und Zucker, Salz, Saffran und anderes Gewürz nahm er nach und nach aus den unterstehenden Huken (Traggestell) und füllte die Säckchen damit ganz auf die Art, wie das Kochet beim Hausieren verpackt getragen wird.

Da tat sich leise die Türe auf. Der Mann erschrak. Er hatte nicht kommen gehört, und mit einem hastigen Sprunge ergriff er das beim Ofen lehnende Doppelgewehr und schlug an auf den Eindringling.

Dieser, eine bleiche, verfallene Leidensgestalt, rührte und regte sich nicht. Schweigend starrte er den Mann mit der drohenden Waffe an, der sie nach einem kurzen Bedenken absetzte, da er sah, der Fremde gehöre nicht zu seinen Feinden, den Zollwächtern. »Was wollt Ihr, Mann?« fragte er mit rauer Stimme.

»Seid Ihr der Martin von Girgalow?« gegenfragte der Fremde.

»Wohl, was soll's?«

Da trat der Fremde näher und sagte leise: »Moder und Wunderbach!«

Der Schwärzer sprang dem Fremden entgegen und rief freudig: »Du kommst vom Mathes, gewiss, sonst wüsstest Du die Losung nicht!«

»So ist's. Ich komme soeben aus dem Gefängnis!« war die Antwort des Fremden. – Es war der Kochetmann.

»So bist Du kochum?« (einverstanden) fragte der Pascher wieder, indem er schnell Brot und Schnaps herbeiholte und dem Kochetmann vorsetzte.

»Ich bin, was Ihr wollt, darum kam ich her!« sagte dieser langsam mit einem traurigen Lächeln. »Ich habe es versucht, bisher ehrlich zu leben, nun verlohnt es sich nicht mehr der Mühe.« –

Der Pascher sah den unglücklichen Mann mit durchdringenden Blicken lange an, ehe er wieder zu ihm sprach, als wolle er ergründen, wie weit es rätlich sei, sich mit dem Manne einzulassen, den ihm der Sommerauer Betelmacher geworben. Dann sagte er mit einem eigenen Blinzeln der kleinen, grauen, stechenden Augen: »Nun, Mann, es wird sich machen, glaube ich. Warum saßt Ihr denn jetzt und wie lange?«

»Sie sagten, ich habe gestohlen, Reifstauden nämlich im fürstlichen Forste, auf vierzehn Tage haben sie mich verurteilt.«

»Ei, da waren sie noch gnädig!« lachte der Pascher, »und sonst, früher hattet Ihr mit den Herren nie zu tun auf diese Art?« – »Nie!« antwortete Andres.

»Trinkt, Freund, und langt zu!« drängte Martin den Kochetmann. Er hätte ihn gerne zutraulicher, mitteilenden gemacht: »Und den Wald kennt Ihr, ich meine den Kubern (Kubani), den Schreiner, dann den Osser, Panzer und die anderen da um die bairische Grenze herum.«

»Ich kenne fast den ganzen Böhmerwald, die Berge, die Ihr da genannt, aber ganz genau.«

»Schön, schön!« sagte mit beifälligem Lächeln der Pascher und rieb sich vergnügt die Hände, denn er sah, dass Andres der Flasche fleißig zusprach und ein eigener Glanz aus seinen geröteten, schläfrigen Augen zu leuchten begann. »Und habt Ihr nie was herüber getragen über die Grenze, ohne Zoll meine ich natürlich?« fuhr er in seinem Examen fort.

Nach einem kurzen Bedenken antwortete der Kochetmann: »Ein einziges Mal – ein Tüchel für – die Tochter, die ich – hatte.«

»Hm! Hm! Mit den Aufsehern habt Ihr also nie Verdruss gehabt?« fragte der Pascher weiter.

Bei dieser Frage fuhr der Kochetmann fluchend auf, und die Röte auf seinen Wangen, teils der gramvoll durchwachten Nacht, teils dem Einflusse des Branntweins entstammend, konzentrierte sich in zwei hellen Flecken unter den Augen. »Verdruss?« rief er mit gellender Stimme, »Haha! Verdruss? – Ja wohl, eine kleinen, ganz kleinen. Es hat mir einer von ihnen mein Kind – mein schönes, goldenes Everl verführt – gestohlen! Sonst nichts! Das ist wohl kaum der Rede wert!« Er sah dabei stieren Blickes vor sich hin und schlug eine helle, schneidende Lache auf.

Da fuhr der Pascher mit einem Freudenschrei in die Höhe und ergriff die zitternde Hand des erschöpft niedersinkenden Kochetmannes. »Ho, Bruder!« rief er lustig, »ist es um die Zeit? Dann lässt sich was erwarten aus unserer Kameradschaft, hier meine Hand, schlag' ein.«

Der Kochetmann legte seine schwielige Hand in die dürre des Paschers, fortan – selbst Pascher.

Mit geschäftigem Eifer entwickelte sofort Martin dem sinnverwirrt lauschenden Andres die Einrichtung und Organisation des verfemten Bundes, dessen Mitglied er soeben geworden. Mit außerordentlich klug berechneter Geschicklichkeit wusste er ihm die Schattenseiten der dunklen Pläne der Schleicherbande mit der rosenroten Tinte der Aussicht auf Gewinn zu erhellen, dass der halbtrunkene Mann sich mit Freuden bereit erklärte zur Teilnahme an Vorteil und Gefahr.

»Aber wie?« wandte er auf einmal ein, »Ihr heißt ja Betelmacher und wie …«

»Ho, Freundchen!« unterbrach ihn Martin lachend, »Du kennst auf diese Art den Wald gar schlecht. Bist Du doch selbst Kochetmann – wenigstens gewesen – und weißt es nicht, was manchem hier im Sacke über die Achseln hängt und für unschuldiges Kochet gelten muss? Ist denn Dein Heimatdorf so weit von den Podleschaken (Hinterwäldler), dass Ihr noch nicht wisst, es gäbe außer Holzhauen und Schindelmachen noch andere einträgliche Professionen? Kennst Du die pfiffigen Hausierer nicht, die da durchs Gäu (Gau) wandern mit Ratten- und Schwabenpulver oder mit Holz-und Steingutgeschirr? Die kannst Du allabendlich treffen an unseren Sammelplätzen, in Schlösselwald, in Wunderbach, in der »schönen Not« am Geiersberge, im Moos und in der Kellerwastelschenke; die wissen immer gar viel zu erzählen, denn die wissen aufs Haar, wo es alte Zwanziger gibt oder neue Banknoten und wo eine Patrouille lauert. Und was das Betelmachen betrifft, das ist ein Brot, das altbacken und schimmelig geworden, seit der Sklavenhandel aus der Mode gekommen ist. Weil nun das Betelmachen nicht viel mehr einträgt als Bettel in dieser harten Zeit, so sind wir aufs Paschen gekommen – aber Betelmacher nennen wir uns – das ist so was wie ein Erwerb und nimmt nicht viel Zeit weg.

Andres horchte voll Erstaunen dem Pascher zu, und bald merkte er im weiteren Verlaufe des Gespräches, dass Schwärzen nicht die Hauptsache bei den dunklen Unternehmungen der Bande sei.

Indessen stieg die Sonne immer höher empor am Firmament. Die Stube Martins füllte sich nach und nach mit den Bewohnern der benachbarten Waldhäuser, lauter Betelmacher von dem Schlage Martins.

Andres wurde allen vorgestellt und mit Freuden begrüßt. Dann wurden die Hausierer unter ihnen mit ihren verschiedenartigen Missionen betraut, worauf der Feldzugsplan der heutigen Nacht besprochen und festgesetzt wurde, während die Flasche mit starkem Perlbranntwein fleißig in der Runde kreiste.

Als die Nacht ihre Schatten und Nebel legte um die Gipfel der Berge und der lange Zug der Pascher sich gegen die Grenze zu in Bewegung setzte, schritt eine hohe, leichte Hucke auf dem Rücken und lustiger als alle anderen, ganz voran – der Kochetmann.

Er war betrunken.

 

10. Ein Agio

Es waren nahe an zwei Monate vergangen, seit Eva sich im Freihofe befand.

Umgeben von freundlichen, mitleidigen Menschen, gehegt und gepflegt mit der zärtlichsten Teilnahme sowohl von der alten Freibäuerin, deren Neugierde durch eine schnell ersonnene Fabel beschwichtigt wurde, als von dem jungen Bauern, dessen glühende, so wunderbar entfaltete Leidenschaft für Eva mit jeder Stunde an Macht zunahm, genas sie schnell von dem Fieber, das, eine notwendige Folge ihres verzweifelten Entschlusses, ihre Schande mit den Wellen des Kiesleitenbaches zu verdecken, sie durch eine geraume Zeit an das Krankenlager fesselte.

Ihre Schönheit, nicht geknickt, aber von Leid und Harm verdrückt, erhob sich schnell wieder, nicht prangend und leuchtend wie sonst, aber von anderer, edlerer Natur.

Die volle rosige Wange war glatt und blass geworden, das dunkle, sprühende Auge schaute mild und traurig wie unter einem Tränenschleier hervor, das Üppige, Dralle, bäuerisch Frische ihrer Gestalt hatte sich verloren, und leicht und schlank wie eine Feder wand und bog sich der etwas magere, aber außerordentlich anmutige Leib des Mädchens, den noch immer keine auffallende Veränderung als einen mit einer Frucht der Sünde gesegneten kennzeichnete.

Wie ist sie heute wieder so schön!

Es ist nahe am Abend nach einem der heitersten Tage zu Anfang des Juli.

Die Kleemahd war zu Ende, das Futter, ausgedünstet in kleinen Schobern, ward zum Trocknen auf die Stangen aufgeschlagen.

Eva ist in derselben Beschäftigung mitten unter dem anderen Gesinde. Wie ihre vollendete Schönheit so sonnig hervor strahlt aus diesem Gewimmel stämmiger Gestalten! Ihre schlanken Glieder heben und wiegen sich wie im Tanze bei der Arbeit, deren Mühe die süßesten Rosen jagt auf die bleiche, glänzende Wange.

Der junge Freibauer steht am Anger, gelehnt auf seinen Rechen, und starrt wie bezaubert nach dem Mädchen.

Auch mit ihm war eine merkwürdige Veränderung vor sich gegangen. Er sah frisch, munter und blühend aus, es schien, als ob er sogar größer und stärker geworden wäre.

Seine Mutter, deren ängstliche Verwunderung über die so plötzlich und wunderbar entstandene Leidenschaft ihres Sohnes für die Fremde bald in das seligste Entzücken überging, als sie sah, welchen zauberhaft wohltätigen Einfluss Eva auf ihn übte, war bereits ganz einverstanden mit der Neigung ihres Sohnes. Dies bezeugte der wohlwollend lächelnde Blick, womit sie bald ihren Sohn, bald Eva betrachtete. Aus dem Mutterherzen war all' der Geldstolz und Fremdenhass verbannt, der an den Bauern jener Gegend sprichwörtlich geworden ist.

Endlich war die Arbeit getan, der Klee stand in duftenden Mandeln da, und singend und jodelnd zog das Gesinde dem Freihofe zu.

Eva ging mit dem jungen Bauern ganz zuletzt und nicht durch das große Tor über den Hof, sondern durch das Gärtchen vor den Kammerfenstern.

Dort in der Hollunderlaube blieb er stehen, fasste des Mädchens feine Hand und schaute mit innigem Blicke in das schöne, errötende Antlitz Evas: »Nun, Eva!« sprach er mit bebender Stimme, »wirst Du noch immer reden vom Fortgehen und unerbittlich bleiben bei dem Drängen meines Herzens, das vergehen muss und brechen, wenn Du es zu besonnen verweigerst mit dem Strahle Deiner Liebe?« Und er neigte sich nieder zu ihr und wand seinen Arm um ihren Leib.

Eva trat zurück und richtete ihre Blicke mit dem Ausdrucke der trübsten Bekümmernis nach ihm, »O Franz!« sagte sie mit tränenden Augen, »sprich nicht so, was kann ich, die Fremde, die Bettlerin Dir antworten darauf, muss ich Dir denn da nicht sagen, was mich hinaustrieb aus der Heimat in die Fremde – und hinein in des Baches Bett, als die Welle mich lockend rief in jener stillen sternenhellen Nacht!«

Sie hatte ihr langes, schwarzes Haar zurückgestrichen aus dem Gesichte, als sie so sprach, und wie sie nun da stand, die Arme kummervoll herabhängend und die Hände in reuevoller Trauer gefaltet, wodurch ihre eigentümliche Schönheit neuen Reiz und Zauber gewann, da war es unmöglich, sich einen für Sinne und Herz berückenderen, unwiderstehlicheren Anblick zu denken.

»Schweig, Eva!« rief der Freibauer mit bebender Stimme, und nach einer kurzen Pause flüsterte er mit einem tiefen, brennenden Seufzen: »Eva – ich weiß alles – und dennoch liebe ich Dich – ich allein und lange – lange zuvor, ehe Du zu eigen gabst Deinen süßen Leib der Sinnenlust jenes Verführers. Dein Herz, es war mein, mein allein, denn ich habe darum geworben – allnächtlich durch die lange Zeit, wo die Meinen wähnten, ich liege hier im todähnlichen Schlafe. Erinnerst Du Dich nicht in …« –

»Herr, ein Mann will Euch sprechen«, unterbrach ein unbemerkt herangekommener Knecht die Eröffnungen des jungen Mannes, »er wartet schon seit einer Stunde auf Euch und will noch heute Nacht bis Winterberg kommen.«

Der Freibauer erhob das noch immer tief zu Eva herab geneigte Haupt mit erzürnter Miene und sah den Knecht lange und finster an, dann aber wandte er sich, ohne ein Wort mehr zu sagen, zum Gehen, nur einen brennenden Blick warf er noch auf die erbleicht und verwirrt dastehende Gestalt des schönen Mädchens – es nahm ihn nicht wahr, denn es hatte den schönen Kopf tief gesenkt – und weinte.

In der Stube harrte des jungen Freibauern ein Mann in mittleren Jahren mit pfiffigem, verschmitztem Gesichte, der Tracht und dem schon beim Gruße bemerklichen fremdartigen Akzente nach ein Stachak, unter welchem Namen man die dem Stachauer Freigerichte angehörigen, übel beleumdeten Hausierer begreift. Er schien seine Ware an den Mann gebracht zu haben, denn er trug in einer Hand einen Pack leerer Säcke und in der anderen eine sogenannte Brinka (ein langer geschälter Schlehdornstock, das dicke Ende unten).

»Nun, Herr Vater!« rief er dem Freibauer entgegen, »machen wir wieder ein Geschäft mitsammen? Ich habe versprochen, heute Nacht noch dem Fleischerseppl in Winterberg für einige Zehnerzettel Zwanziger zu bringen, weil er morgen ins Baiern hinaus will um Vieh – habt Ihr noch einige?«

Der Freibauer sah ihn lange finster an, bis er sich erinnerte, bereits einige Male mit diesem Manne in Handel gewesen zu sein. »Ja«, war die kurze Antwort, »wie viel braucht Ihr?«

»So viel Ihr habt, Herr Vater; meinethalben um fünfhundert bairische Gulden.«

»Gut!« sprach Franz, »aber Gulden für Gulden gerechnet, anders gebe ich es nicht.«

»Teufel, das wäre stark, das Agio ist ja bedeutend gefallen!« rief der Hausierer mit einer Miene voll erheuchelten Zornes.

»Wie ihr wollt!« sagte Franz kalt und gleichgültig, »ich gebe es nicht anders!«

Da trat der Hausierer vor und sprach mit einem Lächeln, das sehr sonderbar abstach von dem Blicke voll finsteren Hasses, den er auf den Freibauern schleuderte: »Nun, Ihr tut es nicht anders, und ich muss das Silber haben, so muss ich es wohl zufrieden sein. Habt also die Güte und zahlt mich aus, ich habe heute noch einen weiten Weg. Hier sind die Banknoten!«

Franz trat bei diesen Worten an den Wandschrank und zog einige mit Silber gefüllte Blasen heraus, aus denen er die Summe aufzuzählen begann, während er Hausierer auf dem Tische seitwärts die Banknoten zu Hundert in fünf Reihen legte. Er war früher damit fertig als der Freibauer, hinter den er sich dann stellte und mit merkwürdig sorgsamen Blicken das Innere des Wandschrankes musterte.

Als die Summe von fünfhundert bairischen Gulden in Zwanzigern aufgezählt und richtig befunden war, strich sie der Hausierer schweigend ein, verwahrte sie in seinem Leibgurt und ergriff seinen langen Stock. »Lebt wohl, Herr Vater!« sagte er denn langsam mit seltsamer Betonung: »Auf Wiedersehen, aber das Agio habt Ihr mir doch zu hoch gestellt, nun, ich werde mir's schon einbringen – ein andermal. Gute Nacht!«, und er schritt langsam hinaus und gegen den Bach.

Den Freibauern überlief ein seltsamer, kalter Schauer, als er dem Hausierer nachsah, bis sich dessen stämmige Gestalt unter den Erlen verlor, jener Schauer, den man hierlands mit dem abergläubischen Vorurteile verbindet, es gehe in dem Augenblicke, wo er, das Blut gerinnen und das Herz stille stehen machend, einen überkommt, jemand über den Platz, wo sein Grab sein wird.

Als der Hausierer aber bei dem terrassierten Steige an der steilen Kiesleitenwand angekommen war, von wo aus er das ganze ausgedehnte Gehöft übersehen konnte, blieb er stehen, und sich umwendend rief er mit drohend erhobener Faust: »Das Agio sollst Du mir teuer bezahlen, Du mondsüchtiger Freibauer!« Und mit einem höhnisch wilden Lachen stieg er dann den steilen Berg hinan immer tiefer in den Föhrenwald hinein, bis er in einen breiten, langen Holzschlag kam, wo er still stand und auf einem kleinen Meisenpfeifchen (Lockpfeife zum Meisenfang) einen langen, feinen, gellenden Pfiff tat.

Alsbald schien der ganze weite Wald um ihn herum lebendig zu werden, und rechts und links aus dem rauschenden Gestrüppe tauchten dunkle, wilde Gestalten mit geschwärzten Gesichtern hervor, an ihrer Spitze ein kleiner, verwachsener, alter Mann, das Gewehr in der Hand – es war Martin von Girgalow und seine Gefährten, die Betelmacher. –

Und die Nacht senkte ihre Schatten auf die nächtliche Schar und ihre dunklen Wege.

 

11. Rekrut und Veteran

Der Mond war aufgegangen und schaute wie verwundert herab auf das östliche Gehänge des Berges, das unmittelbar an die Weide hinter dem Freihofe stößt; denn aus dessen Waldesschatten schlüpften still und rasch Mann auf Mann der gefürchteten Bande, die wir in dem Waldhause kennen gelernt.

An den niederen Büheln der Hutweide angekommen, machten sie Halt und ihr Anführer flüsterte leise: »Andres! Nun? Bist Du beinand (beisammen, bereit)?«

Andres trat vor – aber langsam und zögernd.

Trotz der tüchtigen Schule, die der arme, verzweifelte Kochetmann durchgemacht seit seinem Aufenthalte bei den Betelmachern, fühlte er dennoch sein Herz erstarrend stille stehen in diesem Augenblick, denn heute galt es nicht, unbemerkt eine Hucke über die Grenze zu tragen, heute galt es nicht Zigarren und Kaffee, heute galt es Blut – und Mord – für Silber.

»Hoho, Alter, ich glaube gar Du zitterst?« rief Martin mit höhnischem Gelächter: »Ei, heut' braucht es Mut und eine feste Hand, gerade weil es Dein erster Versuch ist, etwas auszuführen, was mehr trägt, als eine schäbige Hucke Salz oder Tabak. He, Lorenz!« rief er einem von der Bande zu, »reiche ihm die Flasche und expliziere ihm das Ding mit dem Wandschranke und den schweinernen Bladern (Blasen) darin, dass er sich auskennt und bei seinem Meisterstücke nicht zum Pfuscher wird!« Der Gerufene kam an Andres heran, es war der Hausierer, der abends die Banknoten im Freihofe umgewechselt hatte.

»Ich trinke nicht!« sagte Andres mit dumpfer Stimme, und halb ohnmächtig glitt er nieder auf den Rasen, auf dem sich neben ihm der Hausierer nieder kauerte, um ihm die Lokalität des Freihofes und der Stube zu beschreiben und jene Vorsichtsmaßregeln anzugeben, die er vor, bei und nach dem Einbruche anzuwenden für nötig hielt.

Nach einem kurzen, eifrigen Geflüster erhob sich der Hausierer vom Boden und mit ihm der Kochetmann, der nichts als die entscheidenden Worte sprach: »Ich bin bereit!«, worauf er sogleich dem Hofe zuschritt.

Sofort fertigte Martin vier Mann von der Bande mit dem Befehle ab, dem Andres nachzuschleichen, ihm jedoch allein die Ehre des Einbruches zu überlassen und bloß für den Fall einer Gefahr helfend einzuschreiten.

Dies Geleite ging mit leisen Tritten dem Kochetmann über die Weide nach – die anderen blieben ruhig um die Büheln liegen.

Die Nacht war weit gegen Morgen vorgeschritten, und mit wunderklarer Helle hing des Mondes silberne Scheibe über dem schlafenden Tale, als ein leiser, feiner, lang gehaltener Pfiff der lauschenden Bande verkündete, dass der Einbruch gelungen und Andres im Innern des Freihofes sei.

Martin sprang rasch auf – leise und schnell raschelte über die Weide hin wie ein Heer flüchtiger Eidechsen seiner Gefährten verbrecherische Schar.

Indes war im Freihofe ein seltsames Ereignis vor sich gegangen. Nach dem Abgange des Hausierers war der junge Freibauer plötzlich und zwar zu ersten Male, seit Eva im Freihofe weilte, wieder in den somnabulen Zustand verfallen, der früher tagelang den jungen Mann dem Leben entzog.

Als aber der Mond immer höher emporstieg an dem klaren Himmel und sein bleicher Schein endlich auch in die Stube des Hofes zu leuchten begann, stand der schlafende junge Bauer stille auf von dem Lehnstuhle.

Er war allein in der Stube. Seine alte Mutter schlief fest in dem hohen Himmelbette, neben ihr die liebliche Gestalt Schön Evas. Der Freibauer schlug die Vorhänge des Bettes zurück und ließ sie geräuschlos wieder fallen, als er innerhalb ihres weit hervorragenden Rahmens war.

Er war ganz verdeckt von dem roten Zeuge, und die Stube schien leer, als es leise zu krabbeln und zu bohren begann von außen her an dem Eckfenster der Wohnstube.

»Eva! Eva!« rief Franz leise und beugte sich nieder zu der zaubernden Gestalt seiner Geliebten, bis ihr leiser, würziger Atem seine heiße, blasse Wange berührte – da schnellte er empor, wie vom Schlage getroffen, und alles Blut seines Körpers drängte sich mit stürmischer Glut an sein Herz, das in wonnigem Entzücken stille stand, überströmend von maßloser Liebe – er war erwacht, und an sein Ohr schlug das Knarren des Bohrers und das Stoßen des Stemmeisens an dem Riegel des Fensterchens.

»Eva, Eva!« rief er noch einmal mit zitternder Stimme, und seine Hand legte sich weich und leicht auf die nackte Schulter der Schläferin.

Mit einem leisen »Ach« fuhr die Schläferin auf. In diesem Augenblicke ertönte ein dumpfes Krachen und ein erschütternder Schlag wie vom Falle eines Körpers. Franz schlug den Vorhang zurück. In dem fahlen Mondesstrahle stand eine dunkle Gestalt, ein Mann war durch das erbrochene Fenster in die Stube gesprungen und stand tief aufatmend, das bleiche Gesicht vom Mondschein erhellt, das Stemmeisen in der Hand, da.

Mit einem gellenden, herzzerreißenden Schrei warf sich Eva bei dem Anblicke des Mannes aus dem Bette und schlug ohnmächtig zu Boden. Franz stand starr und wie versteinert neben ihr, und der Dieb stierte mit stockenden Pulsen bewegungslos nach dem Bette hin, an dessen Pfosten Eva bewusstlos lag. Indessen kam es Kopf an Kopf ans Fenster – vier, zehn, zwanzig Männer stiegen nach und nach ein und füllten die Stube.

Der Kochetmann stand noch immer wie gebannt auf der nämlichen Stelle, das Herz mit ahnungsvollem Schrecken erfüllt von jenem Schrei der zu Boden gesunkenen Gestalt.

Indes war Martin mit der Sprengung des Wandschrankes fertig geworden und eben mit dem Ausräumen desselben beschäftigt, während die anderen sich in der Stube an Kästen und Truhen verteilten, als auf einmal Franz, der noch immer, von den Vorhängen verdeckt und von keinem bemerkt, dastand, rasch hervortrat und bleich wie ein Geist an Martins Seite stand. Er sprach kein Wort, aber seine kräftige Faust fasste den diebischen Arm des Betelmachers, dass er laut aufschrie: »Andres, Andres! Siehst du den Kerl nicht da, den Mondsüchtigen? Stoß ihn nieder!«

Andres erhob den Arm mit dem scharfen Stemmeisen, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Mit stieren Augen und gesträubtem Haare sah er gegen das Himmelbett hin, denn zu dessen Füßen erhob sich eine bleiche, geisterhafte und dennoch so schöne Gestalt, die Schön Evas – seines Kindes.

Aber sie glitt schweigend an ihm vorüber, und mit einem Sprunge lag sie an dem Herzen des jungen Freibauern, dessen Hand noch immer wie eine Schraube um den Arm des Betelmachers lag.

»Verflucht! Andres stoß zu, meine rechte Hand ist lahm!« schrie Martin mit schmerzerstickter Stimme. Doch als er sah, dass der Kochetmann noch immer wie eine Bildsäule dastand, im Anschauen des Mädchens versunken, riss er mit einem hastigen, verzweifelten Rucke sich los von der Faust des Freibauern und dem Kochetmann das Stemmeisen aus der Hand.

»Talketer Rekrut!« rief er zornschnaubend, »sieh her, so tut ein alter, echter Betelmacher!« Und seine Hand mit dem scharfen, funkelnden Stemmeisen fuhr hoch auf, zielte und fuhr tief nieder – in die Brust Schön Evas, die mit einem leisen Schrei die Hände, die den Freibauern umklammerten, sinken ließ, taumelte und niedersank in die Blutlacke, die der tiefen Todeswunde ihrer Brust entströmte.

»Verflucht!« rief mit grimmigem Geheule Martin, und abermals fuhr das Eisen nieder – ein dumpfer, gewaltiger Stoß – und der Freibauer fiel getroffen zu Boden.

Mit einem grässlichen Schrei sprang die alte Bäuerin, die gerade erwachte, aus dem Bette.

»Rasch, rasch!« gebot Martin und warf das blutige Stemmeisen von sich, »aufgeräumt und schnell davon, sonst heult uns die Alte dort im Bette den ganzen Hof wach. Auf! Und nehmt den Andres mit, der Mondsüchtige muss es ihm angetan haben.« –

Es dauerte keine Minute, so war die Stube wieder leer von den nächtigen, blutbefleckten Gästen, bis auf die beiden Leichen, über denen die alte Bäuerin mit irrsinnigem Weinen wachte, bis der Tag anbrach und das Gesinde wach wurde.

Als diese die entsetzliche Untat erfahren und der Nachbarschaft mitgeteilt hatten, flog jung und alt dem Walde zu, um eine Spur der Mörderrotte zu finden. Sie fanden nichts als an einer Föhre auf der Kuppe des nächsten Berges die Leiche – eines erhängten Mannes.

Er war alt, mager und voll Blutflecken an den Kleidern. Es war der Kochetmann.

Der arme Wandellehrer hatte gar schwere Not mit den blödsinnigen Kindern des Kochetmannes, als die Nachricht von dem Einbruche im Freihofe und dem Selbstmorde des armen, verführten Mannes in sein Dorf kam.

Kein Bauer wollte die Buben mehr behalten; so nahm er sie denn zu sich, und als nun die Bauern sich weigerten, ihnen nebst ihm die Kost zu geben, resignierte er auf seine Stelle und verließ das Dorf.

Der arme Teufel zog weit über den Wald weg in ein anderes Dorf – jetzt geht er betteln für die Kinder des Kochetmannes. –


 


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