Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Da mehrere der bei Frau von Chaverny eingeladenen Personen abgesagt hatten, verlief das Diner etwas stimmungslos. Aufmerksam und liebenswürdig wie gewöhnlich saß Châteaufort an Julies Seite und war eifrig bestrebt, sie zu bedienen. Chaverny, der am Morgen einen langen Spazierritt getan hatte, entwickelte einen wunderbaren Appetit. Er aß und trank, daß die kränksten Leute Hunger bekommen mußten. Major Perrin tat mit und war bemüht, die Gläser stets nachzufüllen. Seines Wirtes plumper Mutwille gab ihm oft Gelegenheit zu lachen, daß der Tisch wackelte. Chaverny, der sich wieder mit Militärs zusammen sah, hatte sofort gute Laune bekommen und seine Regimentsmanieren aufgefrischt; überdies war er niemals sehr zartfühlend in der Wahl seiner Spässe gewesen. Bei jedem unpassenden Ausbruche steckte seine Frau eine kühl-verächtliche Miene auf, wandte sich dann nach Châteauforts Seite und redete auf ihn ein, damit es so aussähe, als ob sie eine Unterhaltung, die ihr durchaus mißfiel, nicht höre.
Eine Probe der Urbanität des musterhaften Ehemanns: Gegen das Ende des Diners war die Unterhaltung bei der Oper angelangt, man stritt sich über den relativen Wert mehrerer Tänzerinnen. Châteaufort stellte Fräulein X. hoch über die andern und lobte vor allem ihre Anmut, ihren Wuchs, ihr dezentes Aussehen. Dieses Dämchen war Perrin, der einige Tage vorher erstmals die Oper besucht hatte, in lebhafter Erinnerung geblieben.
»War das die Kleine in Rosa,« fragte er, »die wie ein Zicklein sprang? ... welche die hübschen Beine hat, von denen Sie laut sprachen, Châteaufort?«
»Ach, Sie sprechen von ihren Beinen!« rief Chaverny; »wissen Sie auch, daß, wenn Sie zu laut davon reden, mit Ihrem General, dem Herzog von J..., Streit kriegen werden? Nehmen Sie sich in Acht, Kamerad!«
»Ich halte ihn aber nicht für so eifersüchtig, daß er einem verbietet, sie durch ein Glas zu betrachten.«
»Im Gegenteil; denn er ist ja auch sehr stolz darauf, sie entdeckt zu haben. Was sagen Sie dazu, Major Perrin?«
»Ich kenne mich nur in Pferdebeinen gut aus,« antwortete der alte Soldat bescheiden.
»Sie sind wahrlich wunderbar,« fuhr Chaverny fort, »und es gibt keine schöneren in Paris, außer denen ...« Er hielt inne und hub an, seinen Schnurrbart mit martialischer Miene zu streichen, indem er seine Frau anblickte, die sofort bis auf die Schultern errötete.
»Außer denen von Fräulein D...?« unterbrach Châteaufort, eine andere Tänzerin nennend.
»Nein,« erwiderte Chaverny in tragischem Hamletton: »doch seht mein Weib an!« Purpurrot wurde Julie vor Empörung. Sie warf ihrem Manne einen blitzschnellen Blick zu, in welchem Wut und Verachtung geschrieben standen. Dann bezwang sie sich mühsam und wandte sich plötzlich an Châteaufort: »Wir müssen das Duett aus Maometto einstudieren!« mit leise zitternder Stimme fuhr sie fort: »es dürfte Ihnen prachtvoll liegen.«
Chaverny war nicht leicht aus der Fassung zu bringen.
»Wissen Sie, Châteaufort,« plauderte er weiter, »wissen Sie, daß ich die Beine, von denen ich rede, früher nachbilden zu lassen beabsichtigte? Niemals aber hat man's zugeben wollen.«
Châteaufort hatte eine lebhafte Freude an solch einer impertinenten Enthüllung, tat aber, als ob er nichts gehört hätte und sprach mit Frau von Chaverny über »Maometto«.
»Besagte Person,« fuhr der unerbittliche Ehemann fort, »nahm gewöhnlich Anstoß daran, wenn man ihr hinsichtlich dieses Artikels Gerechtigkeit widerfahren ließ; im Grunde aber war sie nicht ärgerlich darüber. Wissen Sie, daß sie sich von ihrem Strumpfhändler Maß nehmen ließ? ... Liebe Frau, ärgere Dich nicht, Strumpfhändlerin, wollte ich sagen. Und als ich in Brüssel war, hab' ich drei Bogen von ihrer Schrift mit eingehendsten Instruktionen für Strumpfkäufe mitgenommen.«
Er hatte aber gut reden, Julie war entschlossen, nichts zu verstehen. Sie plauderte mit Châteaufort und redete mit affektierter Munterkeit mit ihm; ihr anmutiges Lächeln suchte ihn zu überzeugen, daß sie nur ihm zuhöre. Châteaufort seinerseits schien sich völlig dem »Maometto« zu widmen, ließ sich aber keine von Chavernys Impertinenzen entgehen.
Nach dem Essen machte man Musik und Frau von Chaverny sang am Klavier mit Châteaufort. Chaverny verschwand im Momente, wo das Klavier geöffnet ward. Mehrere Besucher kamen, was Châteaufort aber nicht hinderte, recht häufig leise mit Julie zu reden. Beim Fortgehen erklärte er Perrin, der Abend sei kein verlorener gewesen, und seine Angelegenheiten machten sich.
Perrin fand es ganz harmlos, daß ein Mann von den Beinen seiner Frau sprach. Auch sagte er zu Châteaufort, als er allein mit ihm auf der Straße war, im Brustton der Überzeugung:
»Wie können Sie so herzlos sein und solch eine glückliche Ehe stören! Er liebt seine kleine Frau doch so!«