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Gussle

Serbische Balladen

(1827)

Übertragen von Wilhelm Gerhard
1828

Karl Braun sagt in seiner Einleitung zu: Wilhelm Gerhard, Gesänge der Serben. Neudruck, Leipzig, 1877, S. 38 f.: Die Gußle ist das musikalische Instrument der Serben. Es ist ein Saiteninstrument; es hat einen beinahe kreisrunden Resonanzkörper und einen außerordentlich langen Stiel. Gewöhnlich hat es nur eine oder wenige Saiten, bestehend aus mehreren Pferdehaaren. Es wird mit einem Fiedelbogen gestrichen, der ebenfalls mit Pferdehaar bezogen ist. In einigen Gegenden aber wird es mit den Fingern angeschlagen wie eine Gitarre. Beim Spielen hält man es wie ein Violon. Gewöhnlich setzt sich der Spielende auf den Boden und nimmt das untere Ende in den Schoß, während die Spitze des Stiles über seinen Kopf ragt. Mit der Linken macht er die Griffe am Stege oder Stiele; mit der Rechten führt er den Bogen. Die Musik, wenn man dies Geschwirre so nennen darf, ist sehr monoton und bildet nur eine ununterbrochene Begleitung zu den epischen Gesängen. Jedenfalls stört sie niemals das Verständnis des einzelnen Wortes, paßt also gut zu dem ruhig vorschreitenden und etwas melancholischen trochäischen Metrum. Oft sind es Rhapsoden, die das Heldenlied singen und sich selbst mit der Gußle begleiten, oft auch singt die ganze Gesellschaft in Begleitung einer oder mehrerer Gußlen.

Wilhelm Gerhard. Ein guter Freund Goethes, geboren am 20. November 1780 in Weimar, ein Urenkel von Paul Gerhardt (1607-1676), aufgewachsen als Nachbar Wielands und Kamerad dessen jüngerer Kinder, später Kaufmann in Leipzig. Seinen im November 1820 geborenen Sohn Wilhelm Wolfgang hob Goethe aus der Taufe. Im Jahre 1823 bekam Gerhard den Titel eines meiningischen Legationsrates; 1834 setzte er sich zur Ruhe. Studien und Reisen. Er starb auf der Rückkehr aus der Schweiz in Heidelberg am 2. Oktober 1858. Der erste Band seiner Wila (Serbische Volkslieder und Heldenmärchen, 2 Bände, 1828) ist Goethe gewidmet. Im Anhang (S. 89-188) finden wir 27 Balladen aus Mérimées Guzla. Gerhard hatte im August 1827 davon die Aushängebogen vom Verleger Berger-Levrault aus Straßburg zugeschickt bekommen, den er im Sommer zuvor auf der Reise kennengelernt hatte. Gerhard ahnte natürlich nichts von der Mystifikation, die Mérimée seinen Zeitgenossen hierin vorsetzte.

Goethe (Werke, Ausgabe letzter Hand, Bd. 56, Nachgelassene Werke Bd. 6, S. 135 ff.) schreibt 1828: Es ist noch nicht lange her, daß die Franzosen mit Lebhaftigkeit und Neigung die Dichtarten der Ausländer ergriffen und ihnen gewisse Rechte innerhalb des ästhetischen Kreises zugestanden haben. Es ist gleichfalls erst kurze Zeit, daß sie sich in ihren Produktionen auch ausländischer Formen zu bedienen geneigt werden. Aber das Allerneueste und Wundersamste möchte denn doch sein, daß sie sogar unter der Maske fremder Nationen auftreten und uns in geistreichem Scherz durch untergeschobene Werke zum besten haben, indem wir ein problematisches Werk erst als ein fremdes Original ergötzlich und bewundernswürdig finden, sodann aber, nach der Entdeckung, uns abermals und aufs neue an deren gewandtem Talent erfreuen, das zu solchen ernsten Scherzen sich geneigt erwies. Wir wurden aufmerksam, daß in dem Worte Guzla der Name Gazul verborgen liegt, und jene verkappte schauspielerische Zigeunerin (Clara Gazul) kam uns in die Gedanken, die uns vor einiger Zeit (1825) so liebenswürdig zum besten gehabt hatte. Auch blieben deshalb angestellte Nachforschungen nicht unbelohnt. Diese Gedichte (La Guzla) sollen dalmatinischen Völkerschaften abgehorcht, besonders aber einem dortigen Hyacinth Maglanowitsch angehörig sein. Herr Mérimée wird es uns aber nicht verargen, wenn wir ihn als den Verfasser des Theaters der Clara Gazul und der Gußle hiermit erklären und sogar ersuchen, uns mit dergleichen eingeschwärzten Kindern, wenn es ihm irgend beliebt, aufs neue zu ergötzen. – Mérimée hatte durch einen Russen, der durch Weimar kam, ein Exemplar der Guzla an Goethe gesandt, mit der Widmung:

A Son Excellence
Monsieur le Comte de Goethe
Hommage de l'auteur
du Théâtre de Clara Gazul.
Paris, août 27
1827.

Drei Jahre später (am 14. März 1830) sagte Goethe zu Eckermann: Mérimée ist ein ganzer Kerl; wie denn überhaupt zum objektiven Behandeln eines Gegenstandes mehr Kraft und Genie gehört, als man denkt …

Als David d'Angers ihm eine Sammlung seiner Medaillons gesandt hatte, sagte Goethe (am 7. März 1830): Besonders erwartungsvoll war ich auf Mérimée; der Kopf erschien so kräftig und verwegen wie sein Talent … Und ferner bemerkte er, Mérimée habe etwas Humoristisches.

Erstausgabe: [Anonym.] La Guzla ou Choix de poésies illyriques recueillies dans la Dalmatie, la Bosnie, la Croatie et l'Herzégovine. Straßbourg, chez Berger-Levrault, 1827. (Erschienen im August 1827.) Zweite vermehrte Auflage: Paris 1842. Von den 32 Stücken des französischen Prosa-Originals sind hier elf ausgewählt.


Vorwort zur Erstausgabe

1827

Als ich daranging, die Balladen zu sammeln, die hier übersetzt vorliegen, bildete ich mir ein, ich wäre der einzige Franzose (und der war ich damals), der eine Vorliebe für derartige Dichtung hegte, für die Poesie eines wilden Volkes. Sie zu veröffentlichen, lag mir fern.

Später, als ich wahrnahm, daß man mehr und mehr Geschmack an fremdländischen Dichtungen fand, insbesondere an solchen, die schon durch ihre Form ganz anders sind als die Meisterwerke, die wir zu bewundern gewohnt sind, kam ich auf den Gedanken, meine Sammlung illyrischer Gesänge zu veröffentlichen. Ich übersetzte etliches daraus für meine Freunde, und ihre Ermunterung war der Anlaß, diese Auswahl zu treffen und sie der Öffentlichkeit vorzulegen.

Besser wohl denn sonst wer war ich der berufene Übersetzer. Ich habe meine Kindheit in Illyrien verlebt. Meine Mutter war eine Morlakin aus Spalatro, und viele Jahre habe ich mehr Illyrisch als Italienisch gesprochen. Von Natur ein leidenschaftlicher Wanderer, benutzte ich die Muße, die mir meine unbedeutenden Geschäfte gewährten, um mein damaliges Heimatland kennenzulernen, und so gibt es wenig Dörfer, Berge und Täler von Triest bis Ragusa, die ich nicht besucht hätte. Ich dehnte meine Ausflüge auch über Bosnien und die Herzegowina aus, wo sich die illyrische Sprache in voller Reinheit erhalten hat. Dort habe ich hochinteressante Bruchstücke alter Volkslieder entdeckt.

Nun aber möchte ich darlegen, warum ich sie in das Französische übersetzt habe. Ich bin Italiener; doch seit gewissen Ereignissen, die das Land meiner Herkunft betroffen haben, wohne ich in Frankreich, das ich immer geliebt habe und dessen Bürger ich eine Zeitlang gewesen bin. Meine Freunde sind Franzosen, und ich habe mich daran gewöhnt, Frankreich als mein Vaterland anzusehen. Französisch zu schreiben mit der Eleganz eines zünftigen Autoren, das zu können, maße ich mir nicht an; immerhin befähigt mich die Erziehung, die mir zuteil geworden, sowie mein langer Aufenthalt in Frankreich, leidlich Französisch zu schreiben, zumal wo es sich um Übersetzungen handelt, bei denen es meiner Ansicht nach vor allem auf Treue ankommt.

Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die illyrischen Länder, die lange Zeit unter französischer Verwaltung gestanden haben, dem Franzosen hinlänglich bekannt sind, so daß ich mir eine ausführliche geographische, politische und so weiter Einleitung ersparen kann. Ich begnüge mich, einige Worte über die slawischen Barden oder Gußlesänger, wie man sie nennt, zu sagen.

Meist sind das sehr arme alte Männer, oft in Lumpen, die, durch die Städte und Dörfer ziehend, die Balladen vortragen, die sie mit einer Art Gitarre begleiten, Gußle genannt, mit einer einzigen Saite aus Pferdehaar. Umschart sind sie von Vagabunden, denn die Morlaken sind keine Freunde der Arbeit. Wenn der Vortrag zu Ende ist, erwartet der fahrende Sänger seinen Lohn von freigebiger Hörerschaft. Oft auch unterbricht solch ein Schelm seinen Gesang an der spannendsten Stelle durch einen Anruf an den Edelsinn des Publikums; manchmal sogar verlangt er eine bestimmte Summe, für die er den Ausgang des Gedichts vorzutragen gewillt ist.

Aber auch andre Leute befassen sich mit diesen Balladen. Fast jeder Morlake, jung wie alt, ist irgendwie beteiligt. Einige (es sind ihrer nicht viele) dichten die Verse häufig aus dem Stegreif. Ich komme in meiner Bemerkung über Hyazinth Maglanowitsch darauf zurück. Sie singen durch die Nase, und die Melodien haben wenig Abwechslung. Die Begleitung auf der Gußle drängt sich nicht hervor, aber man muß sie gewohnt sein, um sie für leidliche Musik zu halten. Zu Ende jeder Strophe stößt der Sänger einen lauten Schrei aus, eine Art Geheul, wie es ein verwundeter Wolf von sich gibt. Diese Jodler hört man im Gebirge sehr weit, und man muß sie kennen, um zu wissen, daß es menschliche Laute sind.

Vorwort zum Neudruck

1840

Um das begnadete Jahr 1827 war ich Romantiker. Wir sagten zu unseren Klassikern: Eure Griechen sind gar keine Griechen, eure Römer keine Römer. Ihr wißt euern Dichtungen keine Lokalfarbe zu geben. Ohne sie gelingt nichts. Unter Lokalfarbe verstanden wir das, was man im siebzehnten Jahrhundert Sitten und Gebräuche genannt hatte, aber wir waren sehr stolz auf das neue Wort, und wir glaubten nicht nur das Wort, auch die Sache erfunden zu haben. Was die Dichtungen anbelangt, so bewunderten wir nur noch solche aus fremden Ländern und alten Zeiten, zum Beispiel die schottischen Balladen und die spanischen Romanzen des Cid. Diese erschienen uns als unvergleichliche Meisterwerke, und zwar wegen ihrer Lokalfarbe.

Ich starb vor Sehnsucht, dieses Charakteristikum an Ort und Stelle zu studieren, denn bekanntlich findet es sich nicht allerwegen. Doch ach, zum Reisen fehlte mir die Hauptsache, das Geld. Aber Reisepläne kosten nichts, und so beschäftigte ich mich damit zusammen mit meinen Freunden.

Länder, nach denen alle Welt reist, kamen für uns nicht in Frage. Jean Jacques Ampère und ich trachteten nach Gegenden, die kein Engländer entweiht hatte. Florenz, Rom und Neapel gedachten wir nur im Fluge zu berühren, um uns in Venedig nach Triest einzuschiffen und von dort an der Adria gemächlich nach Ragusa vorzudringen. Das war unser überaus eigenartiger, wunderschöner und nagelneuer Plan, der nur den einen bereits berührten wunden Punkt hatte. Zur Lösung der Geldfrage kamen wir auf den Einfall, zuvörderst unsre Reise zu beschreiben, diese Beschreibung vorteilhaft zu verkaufen und im Besitze des Honorars nachzuprüfen, ob unsere Reiseschilderung auch richtig sei. Die Idee war tadellos; leider haben wir sie nicht durchgeführt.

Infolge dieses Planes, der uns einige Zeit belustigte, hatte Ampère, der alle Sprachen Europas versteht, ausgerechnet mich Ignorantissimum ersucht, die illyrischen Volkslieder zu sammeln. Zur Vorbereitung las ich die Reise nach Dalmatien des Abbate Forti, dazu eine leidlich gute statistische Übersicht unsrer ehemaligen illyrischen Provinzen, die, soviel ich mich erinnere, ein Sektionsrat unsres Auswärtigen Amtes zusammengestellt hat. Ich lernte ein halbes Dutzend serbischer Worte und schrieb binnen vierzehn Tagen die anbei folgende Balladensammlung.

Sie wurde in Straßburg heimlich gedruckt, mit Anmerkungen und dem Bildnisse des Verfassers versehen. Mein Geheimnis blieb gewahrt, und der Erfolg war großartig.

Wahr ist allerdings, daß nur zwölf Exemplare regelrecht verkauft worden sind, und das Herz blutet mir noch heute, wenn ich an den armen Verleger denke, der die Kosten der Mystifikation getragen hat. Aber wenn mich auch Frankreich nicht las, das Ausland und die zünftigen Sachverständigen haben mir Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Zwei Monate nach dem Erscheinen der Gußle schrieb mir Mister Bowring, der Herausgeber einer slawischen Anthologie, und bat mich um die von mir so trefflich übersetzten Originale.

Sodann schickte mir Herr Gerhard, Rat und Doktor irgendwo in Deutschland, zwei dicke Bände Serbische Gesänge, darin auch La Guzla verdeutscht war, ebenfalls in Versen, was ihm ein leichtes gewesen sei (wie er im Vorwort sagt), da in meiner Prosa das ursprüngliche Versmaß durchschimmere. Bekanntlich sind die Deutschen Entdeckungskünstler. Herr Gerhard bat mich um weitere Balladen für seinen dritten Band.

Zuguterletzt hat Alexander Puschkin einige meiner Geschichtchen ins Russische übertragen, was mich an die Übersetzung des Gil Blas ins Spanische und an die Übertragung der Briefe der portugiesischen Nonne ins Portugiesische erinnert.

Ein so glänzender Erfolg verdrehte mir aber keineswegs den Kopf. Gestützt auf das Zeugnis der Herren Bowring, Gerhard und Puschkin hätte ich mich brüsten können, Lokalfarbe hergestellt zu haben. Aber mein Verfahren war ein so einfaches und leichtes gewesen, daß ich am Wert der Lokalfarbe zu zweifeln begann und schließlich Racine verzieh, daß er die urwüchsigen Helden des Sophokles und Euripides zivilisiert hat.

Bemerkung über Hyazinth Maglanowitsch

Hyazinth Maglanowitsch ist von allen Gußlespielern, die ich gesehen, der einzige, der zugleich Dichter war; denn die meisten singen nur alte Lieder, oder wenn sie neue dichten, so nehmen sie zwanzig Verse aus einem Liede, zwanzig aus einem andern und verbinden das Ganze mit schlechten Versen eigener Erfindung.

Hyazinth war der Sohn eines Schusters in Swonigrad. Seine Eltern haben sich wohl wenig um seine Erziehung bekümmert; denn er kann weder schreiben noch lesen. In seinem achten Jahre ward er von Zigeunern geraubt und nach Bosnien verschleppt, wo sie ihn in ihre Streiche einweihten und ohne Mühe zum Islam beredeten. Ein Aga in Liwno nahm ihn von den Zigeunern weg in seine Dienste, wo er einige Jahre blieb. In seinem fünfzehnten Jahre glückte es einem katholischen Mönche, auf die Gefahr, bei Entdeckung gespießt zu werden, ihn zum Christentum zu bekehren. Es fiel dem jungen Hyazinth nicht schwer, seinen hartherzigen Herrn zu verlassen. In einer stürmischen Nacht flüchtete er aus Liwno. Um sich wegen der schlechten Behandlung zu rächen, nahm er von seinem Herrn einen Pelz, einen Säbel und etliche Zechinen mit, die er ihm heimlich entwendet hatte. Der Mönch, der ihn getauft, begleitete ihn auf seiner Flucht, zu der er ihn wohl beredet hatte.

Liwno liegt nur wenige Meilen von Senje. Hier unter der venezianischen Regierung fanden die Flüchtlinge Schutz vor der Verfolgung des Aga. Hier war es, wo Hyazinth Maglanowitsch sich zuerst im Dichten versuchte, indem er die Geschichte seiner Flucht besang. Das Lied fand Beifall und begründete seinen Ruf. Die Natur hatte ihm wenig Lust zur Arbeit verliehen; er lebte von der Gastfreundschaft der Landleute und zahlte, wohin er kam, seine Zeche mit alten Liedern, die er zur Gußle sang. Bald fing er selber an, welche zu dichten, und er wußte sich so unentbehrlich zu machen, daß keine Hochzeit, kein Begräbnis, noch irgendein Familienfest ohne den Maglanowitsch und seine Gußle gefeiert ward. In seinem fünfundzwanzigsten Jahre war er ein schöner junger Mann, stark, gewandt, ein guter Jäger und vor allem ein allerorts bekannter Dichter und Musikant. Jedermann hatte ihn gern, vorzüglich die Mädchen. Seine Auserkorene hieß Marie; sie war die Tochter eines reichen Morlaken namens Slarinowitsch. Leicht gewann er ihre Neigung, und nach der Sitte des Landes entführte er sie. Zum Nebenbuhler hatte er einen gewissen Uglian, dessen Eifersucht sein Glück zu stören suchte. Selbiger lauerte ihm in der Nacht, wo Marie schon zu Pferde saß, um ihrem Geliebten zu folgen, auf und rief ihm mit drohender Stimme zu, nicht von der Stelle zu weichen. Wie stets waren beide Rivalen bewaffnet. Maglanowitsch schoß zuerst und tötete den Uglian. Ohne Familie, wie er war, konnte er sich der Rache nicht aussetzen; er wäre der Familie des Getöteten unfehlbar zum Opfer gefallen. So entschloß er sich kurz, floh mit seiner Braut in die Berge und gesellte sich zu einer Bande Hajduken.

Lange lebte er unter und mit ihnen, ward auch bei einem Scharmützel mit den Panduren (den Soldaten der Regierung) im Gesicht verwundet. Endlich, im Besitze genügender Ersparnisse, verließ er die Berge, kaufte Schlachtvieh und ließ sich mit seinem Weib und einigen Kindern in den Kotaren nieder. Sein Haus liegt bei Smokowitsch am Rande eines kleinen Flusses, der in den Wrana-See fällt. Seine Frau und Kinder beschäftigen sich mit der Landwirtschaft; er aber ist immer auf Reisen. Bisweilen besucht er seine alten Freunde, die Hajduken.

Ich habe ihn zuerst 1816 in Zara gesehen. Damals sprach ich das Illyrische geläufig und wünschte einen Poeten von Ruf singen zu hören. Mein Freund, der Wojwode Nikola *** hatte den Hyazinth Maglanowitsch in Biograd getroffen, und da er wußte, daß er nach Zara ging, gab er ihm einen Brief an mich mit. Er schrieb mir, wenn ich etwas von dem Gußlespieler hören wollte, müßte ich zuerst mit ihm zechen, denn er fühle sich nur begeistert, wenn er angetrunken sei.

Hyazinth war damals sechzig Jahre alt, noch immer ein großer, stattlicher und derber Mann; seine Schultern sind breit, sein Hals ungeheuer stark. Sein Gesicht ist fürchterlich von der Sonne gebräunt, seine Augen sind klein und ein wenig hervortretend, seine Adlernase vom Genuß geistiger Getränke gerötet; sein langer weißer Schnurrbart und seine großen schwarzen Brauen bilden ein Ganzes, das man schwer vergißt, wenn man es einmal gesehen. Hierzu denke man sich eine lange Schmarre, die ihm über eine der Brauen und einen Teil des Backens hinläuft. Es ist zu verwundern, daß er bei dieser Verwundung nicht das Auge verlor. Sein Haupthaar war, wie es fast allgemein Sitte, geschoren. Er trug eine Mütze von schwarzem Lämmerfell; seine Kleidung war ziemlich abgenutzt, aber reinlich.

Sobald er in mein Zimmer getreten, überreichte er mir den Brief des Wojwoden und setzte sich ohne Umstände nieder. Als ich das Schreiben gelesen, fragte er mich mit ungläubiger, ziemlich verächtlicher Miene: Du sprichst also Serbisch? Ich erwiderte ihm in dieser Sprache, daß ich wenigstens so viel davon verstände, um seine Lieder zu würdigen, die mir außerordentlich gerühmt worden wären. Gut, gut! sagte er, aber ich habe Hunger und Durst. Ich werde singen, wenn ich satt bin. Wir aßen zusammen zu Mittag, wobei er einen derartigen Heißhunger zeigte, daß ich annahm, er habe mindestens vier Tage lang gefastet. Nach dem Rate des Wojwoden versäumte ich nicht, ihm fleißig einzuschenken, und das taten auch meine Freunde, die gekommen waren, uns Gesellschaft zu leisten, wie sie von seiner Ankunft gehört hatten. Wir hofften, sobald er seinen großen Hunger und Durst gestillt hätte, würde er uns einige seiner Lieder hören lassen. Aber unsre Erwartung wurde getäuscht. Er stand plötzlich von der Tafel auf, warf sich (es war im Dezember) auf einen Teppich neben dem Feuer und schlief nach kaum fünf Minuten so fest, daß es unmöglich war, ihn wieder aufzuwecken.

Ein andermal war ich glücklicher. Ich ließ ihn nicht mehr trinken als nötig, ihn munter zu machen, worauf er denn mehrere der in vorliegender Sammlung mitgeteilten Heldenlieder vortrug. Seine Stimme mag ehedem sehr schön gewesen sein; jetzt ist sie ein wenig abgenutzt. Sowie er zur Gußle sang, wurden seine Augen lebhaft, und sein Gesicht bekam einen Ausdruck von wilder Schönheit.

Er schied von mir auf sonderbare Weise. Fünf Tage hatte er bei mir gewohnt, als er eines Morgens fortging und ich ihn bis zum Abend vergebens erwartete. Ich hörte, er habe Zara verlassen und sei in seine Heimat zurückgekehrt. Zu gleicher Zeit bemerkte ich, daß mir ein Paar englische Pistolen fehlten, die kurz vor seinem plötzlichen Verschwinden noch in meinem Zimmer gehangen hatten. Zu seinem Lobe muß ich sagen, daß er auch meine Börse und eine goldene Uhr hätte mitnehmen können, die zehnmal mehr wert waren als die entwendeten Pistolen.

Im Jahre 1817 brachte ich zwei Tage in seinem Hause zu, wo er mich mit den Zeichen lebhaftester Freude empfing. Seine Frau und seine Kinder, bis auf die kleinsten, fielen mir um den Hals, und als ich wieder abreiste, diente mir sein ältester Sohn mehrere Tage lang als Wegweiser im Gebirge, ohne daß es mir gelungen wäre, ihn zur Annahme einer kleinen Erkenntlichkeit zu bewegen.

(Übersetzt von W. Gerhard)

Gussle

Der Weißdorn des Weliko Weißdorn: wohl im Wappen der Familie.

Leihet Euer Ohr dem Heldenliede
Von des Weliko Beg Iwan Weißdorn!
Hyazinth Maglanowitschu singt es,
Aus der Feste Swonigrad gebürtig,
Der geschickteste der Gußlespieler.

Iwan Weliko Beg Aleksewitsch
Hat sein Haus verlassen, seine Heimat;
Seine Feinde kamen her aus Osten,
Legten seinen weißen Hof in Asche
Und bemächtigten sich seines Landes.

Iwan Weliko Beg Aleksewitsch,
Aleksewitsch hatte zwölf der Söhne;
Fünfe fielen bei der Furt Obrawo,
Auf der Ebene Rebrowje fünfe.

Iwan Weliko Beg Aleksewitsch
Hatte einen Sohn, ihm lieb vor allen,
Und sie führten diesen Sohn nach Kremen,
Warfen ihn in einen dunklen Kerker
Und vermauerten des Kerkers Türe.

Iwan Weliko Beg Aleksewitsch
Fand den Tod nicht bei der Furt Obrawo
Oder auf der Ebne von Rebrowje,
Weil er für den Krieg zu alt geworden,
Viel zu alt und blind auf beiden Augen.

Und der zwölfte Sohn des Aleksewitsch
Fand den Tod nicht bei der Furt Obrawo
Oder auf der Ebne von Rebrowje,
Weil er für den Krieg zu jung an Jahren,
Viel zu jung und kaum der Brust entwöhnt war.

Iwan Weliko Beg Aleksewitsch
Ging mit diesem seinem letzten Sohne
Über den Mreswizafluß, den gelben,
Sprach zum Djuro Stewanitsch die Worte:
Breite deinen Mantel mir zum Schatten!
Breitet Djuro Stewanitsch den Mantel;
Brot und Salz auch ißt er mit dem Iwan,
Nennt nach ihm das eigne Söhnchen Iwan,
Das ihm seine Gattin damals schenkte.

Aber seht: der Nikola Dschanjewo,
Joseph Spalatin und Fedor Aslar
Sind zum Osterfest nach Kremen kommen,
Haben dort geschmauset und gezechet.
Und es spricht der Nikola Dschanjewo:
Ausgerottet ist der Stamm Welikos!
Und der Joseph Spalatin erwidert:
Iwan Weliko Beg Aleksewitsch,
Iwan unser Feind ist noch am Leben!
Fedor Aslar spricht: Djuro Stewanitsch
Hat gebreitet über ihn den Mantel;
Ruhig lebt er jenseits der Mreswiza
Mit Aleksa, seinem letzten Sprößling.

Alle riefen drauf einmütig also:
Iwan sterbe und sein Sohn Aleksa!
Gaben alle drei sich drauf die Hände,
Tranken Sliwowiz aus einer Flasche.

Und am Tag nach Pfingsten stieg Dschanjewo
Nieder in die Ebene Rebrowje,
Und ihm folgten zwanzig Raubgesellen,
Scharf bewehrt mit Säbeln und Musketen.

Stieg der Spalatin am gleichen Tage
Nieder auch mit vierzig der Hajduken Hajduk, d. h. Räuber.;
Fedor Aslar aber stieß zu ihnen
Noch mit vierzig kampfgewohnten Helden;
Alle schwarze Lämmermützen trugen.
Und sie gingen übern Majawada,
Übern Majawadasee, den schwarzen,
Dessen Wasser keine Fische tragen;
Wagten nicht die Rosse dort zu tränken,
Sondern tränkten sie an der Mreswiza.

Warum seid Ihr kommen, Begs von Osten?
Sprechet, was gedenkt Ihr zu beginnen
In des Djuro Stewanitsch Gebiete?
Gehet weiter Ihr vielleicht nach Senje,
Um den neuen Landvogt zu begrüßen?

Ihm erwidert Nikola Dschanjewo:
Stewanitsch, wir gehen nicht nach Senje,
Gehen nicht nach Senje, sondern suchen
Iwan Weliko mit seinem Sohne.
Wenn du ihn in unsre Hände lieferst,
Geben wir dir zwanzig Türkenrosse.
Nicht, bei Gott, um alle Türkenrosse
Liefr' ich aus den Iwan Aleksewitsch;
Denn er ist mein Gast und Freund geworden,
Und mein einziger Sohn trägt seinen Namen.

Drauf der Joseph Spalatin entgegnet:
Liefr' ihn aus, sonst gibt es Blutvergießen!
Denn wir kamen her auf Kriegesrossen,
Her von Osten mit geladnen Waffen.

Werd ihn nicht in deine Hände liefern!
Willst du Blut: auf jenem Berg da drüben
Hab ich hundertzwanzig tapfre Helden;
Und sie werden alle niedersteigen,
Laß ich meine Silberpfeife tönen.

Fedor Aslar, ohn' ein Wort zu sprechen,
Spaltet ihm das Haupt mit einem Streiche;
Kamen drauf zum Hofe des Stewanitsch,
Wo sein Weib, das alldem zugeschauet.

Und Therese Dschelin rief die Worte:
Aleksewitsch, Iwanowitsch, fliehet!
Meinen Gatten töteten die Begen,
Und sie kommen nun auch Euch zu töten!

Doch da sprach der alte Beg zur Dschelin:
Bin ich Greis doch schon zu alt zum Laufen;
Aber rette, rief er, den Aleksa!
Denn er ist der Letzte seines Namens.

Und Therese sprach: Ich will ihn retten!

Als die Begs aus Osten nun gekommen
Und den Iwan Weliko gesehen,
Riefen alle: Nieder mit dem Iwan!
Und auf einmal flogen alle Kugeln,
Und die scharfgeschliffnen Säbelklingen
Schnitten ihm das greise Haar vom Haupte.

Wem gehört das Kind, Therese Dschelin?
Ists Iwanowitsch? – Und sie entgegnet:
Wollet nicht unschuldig Blut vergießen!
Alle schrien: Das ist des Iwan Söhnchen!
Wollte Spalatin ihn mit sich führen;
Mit dem Jatagan durchbohrt ihn Aslar,
Meint, er töte Weliko Aleksa,
Doch es war das Söhnchen des Stewanitsch.

Als der Jahre zehne drauf verstrichen,
War Aleksa Weliko ein Jäger,
Ein gewandter starker Jäger worden.
Mutter, sprach er zur Therese Dschelin,
Woher an der Wand die blutgen Kleider?

Dieses Kleid gehörte deinem Vater,
Deinem Vater Weliko Beg Iwan,
Dem bis diese Stunde nicht gerächten.
Iwan Stewanitsch gehörte jenes,
Und auch er ist nicht gerächt bis heute,
Weil er keinen Sohn zurückgelassen.

Traurig ist der Jäger da geworden;
Keinen Sliwowiza trank er länger,
Sondern kaufte Pulver sich in Senje.
Geht und sammelt Helden und Hajduken,
Zieht nach Pfingsten über die Mreswiza,
Längs dem schwarzen See, der ohne Fische,
Überrascht da die drei Begs aus Osten,
Während zechend sie bei Tafel sitzen.
Hört ihr Herrn! Bewaffnete Hajduken,
Helden nahn auf schimmernd stolzen Pferden,
Sind die Furt der Mreswiza durchritten,
Und es ist der Weliko Aleksa!

Ha, du lügst, du alter Gußleschreier!
Tot ist längst der Weliko Aleksa,
Ich durchbohrt' ihn mit dem eignen Dolche.
Doch Aleksa trat ein mit dem Rufe:
Ja, ich bin Iwanowitsch Aleksa!

Eine Kugel tötete Dschanjewo,
Und den Josef Spalatin die andre;
Fedor Aslar hieb er ab die Rechte,
Hieb hierauf ihm auch das Haupt vom Rumpfe.

Nehmet weg die blutigen Gewänder!
Denn getötet sind die Begs von Osten;
Neu erblüht der Weißdorn des Weliko,
Und sein kräftger Stamm vergehet nimmer!

*

Gesicht Thomas des Zweiten Thomas I., König von Bosnien, war im Jahre 1460 durch seine Söhne Stephan und Radiwoj heimlich ermordet worden. Stephan wurde unter dem Namen Thomas II. gekrönt. Sein darob eifersüchtiger Bruder machte daraufhin die gemeinsame Schandtat bekannt und floh sodann zum Sultan Mahomet II. Der Bischof von Modrusa, Legat des Papstes in Bosnien, überredete Thomas, daß er den Türken den Krieg erkläre, indem er ihm kundtat, das sei die beste Sühne für den Vatermord. Der Krieg fiel unglücklich aus. Mahomet verwüstete Bosnien und belagerte den König in seiner Veste Klutsch in Kroatien, wohin er sich geflüchtet hatte. Als der Sultan sah, daß er mit Gewalt nicht so rasch zum Ziele kam, wie er wollte, bot er Thomas den Frieden an unter der Bedingung, daß er ihm den rückständigen Tribut zahle. Der Belagerte nahm die Bedingung an, weil er nahe dem Ende seines Widerstandes war, und begab sich in das türkische Lager. Man nahm ihn sofort gefangen. Der grausame Sieger ließ ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen und ihn sodann mit Pfeilen totschießen. Aus seiner Haut ward, der Sage nach, ein Sattel angefertigt. Bosnien wurde für immer türkische Provinz. Radiwoj, der Herr von Bosnien hatte werden wollen, ward vom Sultan beseitigt, damit von der Königsfamilie kein Sproß mehr übrig bleibe. (Mérimée.)

König Thomas geht mit großen Schritten,
Geht in seiner Kammer auf und nieder;
Unterdessen schlafen seine Krieger
Ausgestreckt auf ihren guten Waffen.
Nur der König selber kann nicht schlafen,
Denn Ungläubige liegen vor der Veste,
Und zur großen Hauptmoschee von Stambol
Dräuet Mahomet sein Haupt zu senden.
Und er beugt sich vielmals aus dem Fenster,
Lauschend, ob er ein Geräusch vernähme;
Doch es wehklagt unten nur die Eule,
Weil sie fühlt, daß bald sie wird gezwungen,
Andern Ort zu suchen für die Jungen.

's ist die Eule nicht, die also wehklagt,
Auch der Mond nicht ist es, der so helle
Durch die Klutscher Kirchenfenster leuchtet;
Aber in der Klutscher Kirche tönen,
Tönen schallend Trommeln und Trompeten,
Und die angebrannten Fackeln lodern,
Wandeln dunkle Nacht zum lichten Tage.

Um den großen König Thomas schlafen,
Schlafen ruhig seine treuen Diener,
Doch kein einzig Ohr noch außer seinem
Hat das schreckliche Geräusch vernommen.
Und er geht allein aus seiner Kammer,
Geht hinaus, den Säbel in der Rechten;
Denn er hat gesehen, daß der Himmel
Ihm ein Zeichen seiner Zukunft sendet;
Öffnet fester Hand die Kirchentüre.
Kaum bemerkt er jetzt, wer auf dem Chore,
Als sein Mut ihn zu verlassen drohet;
Da ergreift er schleunig mit der Linken
Noch ein Amulett erprobten Wertes,
Und beruhigter durch solchen Zauber,
Tritt er in die Klutscher große Kirche.

Wunderbares hat er dort gesehen:
Tote deckten rings der Kirche Pflaster,
Und das Blut floß wie zum Herbst die Bäche,
Die sich in die Proloktäler stürzen.
Tiefer in die Kirche zu gelangen,
Mußt er über manchen Leichnam schreiten
Und im Blute waten bis zum Knöchel.
Seiner treuen Diener Leichen waren's,
Und das Blut, es war das Blut der Christen.
Kalter Schweiß rann ihm hinab den Rücken;
Seine Zähne klapperten vor Grausen.
In des Chores Mitte sah er Türken,
Türken und bewaffnete Tataren,
Auch die Renegaten Bugu-Mili.

An dem arg entheiligten Altare
Stand der Mahomet mit bösem Blicke;
Bis zum Griff gerötet war sein Säbel.
Vor ihm beugte sich Thomas der Erste,
Reicht in tiefer Demut seine Krone,
Reichte sie dem Feind des Christentumes.

Kniet auch Radiwoje, der Verräter;
Einen Turban trug er auf dem Haupte,
In der einen Hand den Strang noch hielt er,
Womit er den Vater einst erdrosselt;
Mit der andern Hand ergriff der Schurke
Das Gewand von Satans Stellvertreter,
Nahte mit den Lippen es zu küssen,
Wie ein Sklav, der eben ward geprügelt.

Lächelnd nahm da Mahomet die Krone,
Und zerbrach sie unter seinen Füßen,
Also sprechend zu dem Radiwoje:
Radiwoj, ich schenke dir mein Bosnien,
Weil ich wünsche, daß du dorten herrschest,
Und die Hunde Beglerbeg dich nennen!
Tief verneigte sich der Radiwoje,
Küßte die mit Blut beschwemmte Erde.

Zum Wesire rief hierauf der Sultan:
Einen Kaftan gebt dem Radiwoje!
Teurer wird ihm sein ein solcher Kaftan
Als die Goldbrokate von Venedig;
Denn die Haut des abgeschundenen Thomas
Wird dem Bruder zur Bekleidung dienen.
Drauf entgegnet ihm der Wesir leise:
Mein Gebieter, hören heißt gehorchen!

Und der gute König Thomas fühlte,
Fühlte schon die Hände der Ungläubigen,
Wie sie seine Kleider ihm zerfetzten,
Ihre Messer seine Haut zerschnitten,
Und mit ihren Fingern sie und Zähnen
Zogen an der Haut, bis an die Nägel
Seiner Zehen ihm die Haut entrissen,
Und mit dieser Haut der Radiwoje
Sich zuletzt in Lust und Wonne schmückte.
Gott, du bist gerecht! so schrie der Thomas,
Du bestrafest einen Vatermörder;
Schalte mit dem Leibe nach Gefallen,
Aber schenke Mitleid meiner Seele,
Mitleid meiner Seele, Jesus Christus!
Bei dem Namen zitterte die Kirche,
Die Gespenster waren hingeschwunden,
Und im Nu verlöschten auch die Fackeln.

Saht Ihr je das Schimmern eines Sternes,
Der den Himmel raschen Flugs durcheilet
Und die Erde mahnt aus seiner Ferne?
In die Nacht versinkt die flüchtge Fackel,
Und noch schwärzer weitet sich das Dunkel;
Also schwand auch das Gesicht des Thomas.

Tappend kam er bis zur Kirchentüre,
Ihn umwehten wieder reine Lüfte,
Und der Mond vergoldete die Dächer.
Alles war so ruhig, daß der König
Hätte glauben können, es sei wieder Frieden,
Als, geschleudert aus ungläubigen Händen,
Ihm zu Füßen eine Bombe Bombe. Maglanowitsch wußte offenbar nicht, daß die Erfindung dieser Mordinstrumente einer späteren Zeit angehört. (Mérimée.) krachte
Und das Zeichen gab zum nahen Sturme.

*

Die Ambraschnur

Türken sind in unser Land gefallen
Und entführten Weiber uns und Kinder;
Kinder setzten vorn sie auf die Sättel,
Weiber hinten auf der Pferde Kruppen,
Einen Finger dieser Unglückseligen
Grausam zwischen ihren Zähnen haltend.

Herr Merkur hat aufgepflanzt die Fahne;
Alsbald haben sich um ihn versammelt
Seine dreizehn Vettern und drei Neffen.
Alle sind bedeckt mit blanken Waffen,
Tragen auf den Kleidern heilge Kreuze
Und zum Schutz für Unglück Amulette.

Als der Herr Merkur sein Roß bestiegen,
Sprach er zu der Gattin Eufemia,
Die den Zaum des Rosses hielt, die Worte:
Eufemia, nimm die Schnur von Ambra!
Bist du mir getreu, wird ganz sie bleiben,
Solltest aber ungetreu mir werden,
Reißt der Faden, und die Perlen fallen.

Dieses sprechend ist er fortgeritten.
Niemand hörte, was aus ihm geworden;
Daß er tot sei, fürchtet seine Gattin,
Oder daß Arnauten Arnauten, türkisch für Albaner. ihn gefangen,
Ihn gefangen in ihr Land geführet.
Doch zuletzt nach dreier Monden Tage
Kommt zurück Spiridion Petrowitsch,
Seine Kleider blutig und zerrissen;
Schlägt sich an die Brust und spricht die Worte:
Eufemia, tot ist, ach, mein Vetter!
Überfallen haben uns die Türken;
Deinem Gatten nahmen sie das Leben;
Sah, wie ein Arnaut den Kopf ihm abschnitt;
Nur mit Müh hab ich mich selbst gerettet.

Sieh, da schreit und jammert Eufemia,
Windet sich vor Schmerz auf schwarzer Erde
Und zerreißt in Wehmut ihre Kleider.
Zu ihr spricht Spiridion Petrowitsch:
Warum willst du dich so arg betrüben?
Gibts nicht reiche Männer noch im Lande?
Also tröstend hebt sie auf der Schurke.

Um den Herren heult der Hund, der treue,
Und des Helden Roß im Stalle wiehert;
Doch die Gattin trocknet ihre Tränen,
Trocknet sie und schläft noch selben Abend
Beim Verräter Spiridion Petrowitsch.

Wollen jetzt das falsche Weib verlassen
Und von ihrem wackern Gatten singen.

Also sprach der König zu dem Helden:
Geh, Merkur, nach meiner Burg in Klissa,
Geh und sag der Königin in Klissa,
Daß sie mich in meinem Feld besuche!
Ging der Herr Merkur, und ohne Weilen
Ritt er drei der Tag und drei der Nächte.

Als er zum Zetinjer See gekommen,
Hieß den Dienern er sein Zelt errichten;
Stieg hinunter an den See, zu trinken.
Und den See bedeckt ein dichter Nebel;
Durch den Nebel drangen wirre Stimmen,
Und das Wasser war bewegt und schäumte,
Schäumte wie der Wirbel der Jemiza,
Wenn sie sich in eine Tiefe bohret.
Doch sobald der Vollmond aufgegangen,
Da zerstreute sich der feuchte Nebel,
Und ein reitend Heer von kleinen Zwergen
Galoppierte hin die glatte Fläche,
Gleich als sei der See mit Eis bedecket.
Und je näher sie dem Ufer kamen,
Desto größer wurden Roß und Reiter,
Bis zuletzt zu Riesen sie gewachsen,
Wie die Bergbewohner von Duare.

Und so ritten sie in Reih und Gliede
Durch die Ebne hin in bester Ordnung,
Munter sprengend und die Rosse tummelnd.
Bald ergrauten sie wie jene Nebel,
Und man sah das Gras durch ihre Leiber;
Bald auch leuchteten der Reiter Waffen
Und erschienen ganz wie Glut und Feuer.

Plötzlich kam ein Held auf mutigem Rappen
Aus der andern Reihen vorgeritten.
Als dem Herrn Merkur er sich genähert,
Trieb im Kreis er seinen mutigen Rappen,
Zeigte, daß er mit ihm kämpfen wolle.
Machte drauf Merkur des Kreuzes Zeichen,
Und, sein gutes Roß zum Kampfe spornend,
Ritt er dem Gespenst, gesenkt die Lanze,
Mit verhängtem Zügel kühn entgegen.

Achtmal trafen rennend sie zusammen,
Und, wie Blätter einer Iris knicken,
Knickten auf dem Harnisch ihre Lanzen.
Doch das Roß Merkurs stürzt auf die Knie,
Brach bei jedem neuen Stoß zusammen,
Denn viel stärker war das Roß des Gegners.

Laß uns, sprach Merkur, vom Pferde steigen
Und zu Fuße miteinander fechten!
Sprang behende das Gespenst vom Rosse,
Lief dem tapfern Helden wild entgegen;
Aber dieser warf es gleich zu Boden,
Ob es wohl viel größer war und stärker.

Ha, Merkur, du hast mich überwunden!
Also sagte das Gespenst zum Sieger.
Nimm den guten Rat zum Lösegelde:
Kehre nicht zurück nach deinem Hofe,
Wirst den Tod in deinem Hofe finden!
Drauf verschleierte der Mond sich wieder,
Und der Kämpfer wie das Heer verschwanden.

Sprach Merkur die Worte zu sich selber:
Großer Tor ist, wer mit Teufeln streitet!
Einem Dämon hab ich obgesieget,
Und was ist mir nun zum Lohn geworden?
Lahmes Roß und böse Prophezeiung.
Doch nicht hindre mich die Prophezeiung,
Daß ich wiedersehe meine Heimat
Und mein liebes Weibchen Eufemia.

Und er kam noch in der Nacht bei Mondschein
Bis zum Kirchhof von Pogoschiami.
Priester sah er dort und Klageweiber
Mit dem Tschausch Tschausch. Türkisch: Zeremonienmeister. (Mérimée.) an einem frischen Grabe,
Einen toten Helden bei dem Grabe,
Der den Säbel an der Seite hatte,
Überm Antlitz einen schwarzen Schleier.

Dieses schauend hielt Merkur sein Roß an:
Wen, o Tschausch, wen wollt ihr hier begraben?
Und der Tschausch erwiderte dem Helden:
Unsern Herrn Merkur, der heut gestorben!
Lachte Herr Merkur ob dieser Antwort;
Doch der Mond verschleierte sich wieder,
Und im Nu war alles weggeschwunden.

Als er kam nach seinem weißen Hofe,
Küßt er seine Gattin Eufemia:
Eufemia, hole mir das Halsband,
Das ich dir vertraut vor meiner Reise!
Fester bau ich auf die Schnur von Ambra,
Fester als auf eines Weibes Schwüre.
Eufemia sprach: Ich will sie holen.

Jenes Zauberhalsband war gerissen,
Doch sie hatte schon ein andres fertig,
Das ihm völlig ähnlich und vergiftet.
Das ist, rief ihr Gatte, nicht mein Halsband!
Drauf entgegnet ihm die Eufemia:
Zähle, Wojno, nur genau die Perlen!
Weißt ja, daß es siebensiebzig waren.

Alsbald zählet Herr Merkur die Perlen,
Zählt die Ambraperlen mit den Fingern,
Oft mit seinem Speichel sie benetzend,
So daß ihm zuletzt das Gift, das feine,
Also zählend durch die Haut gedrungen;
Wie er bis zur sechssechzigsten Perle,
Seufzt er tief und sinkt entseelt zu Boden.

*

Die tapfern Hajduken

Drin im Höhlengrund auf Kieseln
Liegt der tapfre Räuber Kristitsch Mladen Mladen, serbischer Männername. Mladen Milowanowitsch war Freund, Verwandter und Liebling von Zerny Georg Petrowitsch (dem Schwarzen Fürsten, geboren 1760) und Anführer einer Räuberschar. (Gerhard.) Es heißt, Hyacinth Manglanowitsch sei selber Hajduk gewesen, wie er diese Ballade dichtete. (Mérimée.);
An des Räubers Kristitsch Mladen Seite
Seine Frau, die schöne Katharina;
Ihm zu Füßen beide wackre Söhne.
Schon drei Tage sind sie in der Höhle,
Haben schon drei Tage nichts gegessen;
Denn es hüten draußen ihre Feinde
Alle Pässe rings im Waldgebirge,
Und wenn sie das Haupt erheben möchten,
Sind auf sie gerichtet hundert Flinten.
Schwarz sind ihre Zungen und geschwollen
Von dem Durste, den sie leiden müssen,
Denn sie haben nichts als faules Wasser,
Das in einem Felsloch sich gesammelt.
Dennoch waget keiner eine Klage,
Fürchtend, Kristitsch Mladen zu mißfallen.

Als drei Tage hingeschwunden waren,
Rief voll Schmerz die schöne Katharina:
Eurer mag die Jungfrau sich erbarmen
Und Euch am verhaßten Feinde rächen!
Tief aufseufzend ist sie drauf verschieden.

Kristitsch Mladen schaute trocknen Auges,
Schaute trocknen Auges auf den Leichnam;
Doch die Söhne wischten sich die Tränen,
Wenn der Vater weg die Blicke wandte.

Ist nun auch der vierte Tag gekommen,
Und das faule Wasser auf den Steinen
Hat die Sonne vollends aufgetrocknet.
Kristitsch, ältrer Sohn des Kristitsch Mladen,
Ist hierauf in Raserei verfallen;
Aus der Scheide zieht er seine Handschar,
Schaut der Mutter Leichnam an mit Blicken
Wie der Wolf, wenn er ein Lamm betrachtet.

Grausen fühlte drob sein jüngrer Bruder,
Der Aleksa, und er zog die Handschar
Und durchschnitt den Arm sich mit dem Stahle:
Trink von meinem Blute Trink von meinem Blute … Dasselbe Motiv (nach einer bretonischen Sage) in der Ballade: Der Wahlspruch der Beaumanoirs von Börries v. Münchhausen (Balladen u. ritterliche Lieder, S. 31 f.): Bois ton sang, Beaumanoir!, Bruder Kristitsch,
Und begehe mir nicht solch Verbrechen!
Wenn wir erst den Hungertod erlitten,
Kehren wir, der Feinde Blut zu trinken.

Sprang der Mladen jetzt auf seine Füße:
Auf, ihr Kinder, besser eine Kugel
Als die Höllenangst des Hungertodes!

Alle Dreie sind herabgestiegen
Wie die Wölfe, die vor Hunger wüten.
Jeder hat der Feinde zehn erschlagen,
Zehn der Kugeln in die Brust empfangen.
Feinde hieben ihnen ab die Köpfe;
Aber wie sie im Triumph sie trugen,
Wagten sie sie kaum noch anzuschauen,
Also fürchteten sie Kristitsch Mladen
Und des Kristitsch Mladen wackre Söhne.

*

Der böse Blick Ein allgemeiner, in der Levante, vorzüglich in Dalmatien, verbreiteter Aberglaube ist, daß gewissen Personen die Kraft eigen sei, durch ihre Blicke zu bezaubern. Groß soll der Einfluß sein, den ein böser Blick auf ein Individuum äußert. Im Spiele verlieren oder sich unterwegs an einen Stein stoßen, sind Kleinigkeiten; oft aber wird der durch einen bösen Blick (mauvais oeil) Bezauberte ohnmächtig, verfällt in eine Krankheit, zehrt sich ab und stirbt nach kurzer Zeit. Zweimal war ich Augenzeuge, wie Personen Opfer des bösen Blickes wurden. Im Tale Knin wurde ein junges Mädchen durch einen Mann angeredet, der sie nach dem Wege fragte. Sie blickt ihn an, stößt einen Schrei aus und sinkt bewußtlos zu Boden. Der Fremde läuft davon. Ich war in der Nähe und eilte dem Mädchen mit meinem Führer zu Hilfe, weil ich glaubte, daß der Entflohene sie mörderisch angefallen hätte. Das arme Kind kam bald wieder zu sich und sagte uns, der Mann, der mit ihr geredet, habe den bösen Blick, und sie sei bezaubert. Sie bat uns, sie zu einem Priester zu begleiten. Dieser ließ sie gewisse Reliquien küssen und hing ihr ein mit Seide umwickeltes, mit bizarren Worten beschriebenes Papier um den Hals. Da bekam das Mädchen wieder Mut und war nach zwei Tagen vollkommen wiederhergestellt. Ein andermal sah ich im Dorfe Pogoschiami einen jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren plötzlich erblassen und zur Erde fallen, als ihn ein hochbetagter Hajduk anblickte. Der Hajduk war nicht schuld daran, denn sein böser Blick war ihm angeboren, und es tat ihm selber leid, diese furchtbare Zauberkraft zu besitzen. Ich wollte versuchen, welche Wirkung sein Blick auf mich haben möchte, und bat den Hajduken, mich eine Zeitlang anzuschauen; aber er weigerte sich dessen und schien so niedergeschlagen über mein Verlangen, daß ich zuletzt darauf verzichten mußte. Die Gestalt des Mannes war zurückstoßend, seine Augen waren groß und hervorspringend. Gewöhnlich senkte er sie zur Erde; aber wenn er sie, so erzählte man mir, aus Zerstreuung auf eine Person heftete, war es ihm unmöglich, sie früher wegzuwenden, als bis sein Opfer gefallen. Ich habe auch von Leuten sprechen hören, die in einem Auge zwei Augäpfel hatten, und deren Blicke sollen gerade am furchtbarsten wirken. Sich vor dem bösen Blick zu hüten, soll es verschiedene Mittel geben, die aber fast alle für unzureichend gehalten werden. Einige tragen Hörner von gewissen Tieren bei sich; andre Korallenstücke, die gegen die Person gerichtet werden müssen, die man im Verdacht des bösen Blickes hat. Man sagt auch, in dem Augenblick, wo man den bösen Blick wahrnimmt, müsse man Eisen berühren oder demjenigen Kaffee an den Kopf werfen, dessen böser Blick einen bezaubert. Bisweilen soll ein Pistolenschuß in die Luft den Zauber lösen. Oft wählen die Morlaken in diesem Falle ein sichereres Mittel, indem sie ihr Pistol auf den vermeinten Zauberer richten. Eine andre Weise, etwas zu behexen, besteht darin, daß man eine Person oder Sache sehr lobt. Aber auch nicht jedermann besitzt dieses gefährliche Vermögen, noch kann es willkürlich ausgeübt werden. Kaum wird jemand in Dalmatien und Bosnien gereist sein, dem nicht ein ähnlicher Fall vorgekommen wäre, als der war, in dem ich mich befand. In einem Dorfe an der Trebinjiza (den Namen habe ich vergessen) sah ich ein hübsches kleines Kind vor einem Hause im Grase spielen. Ich liebkoste das Kind und grüßte des Kindes Mutter, die mich ansah. Sie war offenbar über meine Höflichkeit wenig erfreut und bat mich ganz im Ernst, ihrem Kinde auf die Stirn zu speien. Ich wußte nicht, daß man dies für ein Mittel hielt, einen durch Worte bewirkten Zauber zu zerstören, und weigerte mich daher. Die Mutter des Kindes rief ihren Gatten, der mich mit der Pistole auf der Brust dazu zwingen sollte, als mein Führer, ein junger Hajduk, zu mir sprach: Ich kenne Euch als einen guten, redlich gesinnten Herrn; warum wollt Ihr den Zauber nicht wieder vertreiben, den Ihr, ich weiß es gewiß, nur unwillkürlich hervorgebracht habt? Jetzt erst begriff ich die Hartnäckigkeit der Frau und eilte, ihren Wunsch zu erfüllen. (Mérimée, übersetzt von Gerhard.) Seite 366, Zeile 8 von unten: Beg, türkisch: Fürst.

Maksim Duban! Zoë Jellawiza!
Mag die heilige Jungfrau, Gottes Mutter,
Mag sie Eure Liebe dort belohnen!
Möchtet Ihr doch glücklich sein im Himmel!

Als die Sonne sich ins Meer gesenket
Und der alte Wojwoda entschlummert,
Höret man der Gußle sanfte Töne
Unterm Fensterlein der schönen Zoë,
Des Jelawitsch erstgebornen Tochter.

Und sie springt auf ihre leichten Füße,
Öffnet eilig und behend ihr Fenster,
Und ein junger Mann von hohem Wuchse
Sitzet seufzend auf der schwarzen Erde,
Singet zu der Gußle seine Liebe.

Und er wählt die schwärzeste der Nächte;
Aber wenn der Vollmond aufgegangen,
Da verbirgt er rasch sich in die Schatten,
Und ihn kann allein das Auge Zoës
Unterm schwarzen Lämmerpelz entdecken.

Und wer ist denn – kann mirs niemand sagen? –
Jener Jüngling mit so schöner Stimme?
Aus der Ferne ist er hergekommen,
Doch er redet unsers Landes Sprache.
Niemand kennt ihn, niemand kann ihn nennen;
Zoë weiß allein des Jünglings Namen.

Aber niemand hat, auch nicht die Zoë,
Jemals noch gesehn des Jünglings Antlitz;
Denn, sobald die Morgenröte leuchtet,
Hängt er auf die Schulter seine Flinte
Und begibt sich in die dichten Wälder,
Eifrig dort dem Rotwild aufzulauern.
Immer aber bringt er Steinbockhörner
Zu der schönen Zoë, also sprechend:
Trag, o Zoë, diese Hörner bei dir!
Ach, und möchte doch die heilige Jungfrau
Vor dem bösen Blicke dich behüten!

Stets umwindet er mit einem Schale
Sich das Haupt gleich wie ein Albanese,
Und noch niemals hat ein irrer Wandrer,
Wenn er ihm im Walde drin begegnet,
Niemals noch erkannt des Jünglings Antlitz
Unter seinem golddurchwirkten Tuche.

Doch in einer Nacht, da sagte Zoë:
Komm, damit dich meine Hand berühre!
Drauf befühlte sie des Jünglings Antlitz,
Sie befühlt es mit der Hand, der weißen;
Aber wenn sie auch sich selbst befühlte,
Konnte sie nicht schönre Züge finden.
Und da sprach sie zu dem schönen Jüngling:
Viele Burschen suchen mich im Lande,
Aber jeder macht mir Langeweile;
Dich nur lieb ich. Kehre morgen mittags,
Morgen, wenn die Meinen in der Messe!

Hinter dir auf deines Pferdes Kruppe,
Führst du mich in deine ferne Heimat,
Daß ich deine treue Gattin werde;
O wie lange trug ich schon Opanken;
Will nun auch gestickte Schuhe haben!

Und der junge Gußlespieler seufzte,
Also sprechend: Zoë, was begehrst du?
Nimmer kann ich dich am Tage sehen,
Aber steig in dieser Nacht noch nieder!
Will ins schöne Tal von Knin dich führen,
Und da wollen wir uns trauen lassen.

Zoë doch erwidert drauf dem Helden:
Nein, erst morgen magst du mich entführen,
Denn ich wünsche meine schönen Kleider,
Meine schönen Kleider mitzunehmen,
Und mein Vater hat den Truhenschlüssel.
Werde morgen heimlich ihn entwenden,
Und erst dann vermag ich dir zu folgen.

Drauf, zum zweiten Male seufzend, spricht er:
So wie du es willst, so solls geschehen!

Er umarmt sie. Schon die Hähne krähten,
Rosig strahlte schon der Morgenhimmel;
Und der schöne Fremde schied von dannen.

Als herangerückt die Mittagsstunde,
Traf er ein am Tore des Wojwoden,
Saß auf einem Roß, das weiß wie Milch war;
Auf der Kruppe lag ein samtnes Kissen,
Sanft zu tragen seine holde Zoë.

Doch die Stirn des unbekannten Fremden
War bedeckt mit einem dichten Schleier;
Kaum noch sah den Mund man und den Schnurrbart;
Seine Kleider funkelten von Golde,
Und sein Gürtel war gestickt mit Perlen.

Zoë sprang auf ihre leichten Füße,
Schwang behend sich auf des Schimmels Kruppe;
Und da wieherte der Silberschimmel,
Stolz ob seiner Last, und galoppierte,
Wolken Staubes hinter seinen Eisen.

Sage mir, o meine schöne Zoë,
Nahmst du mit das Horn, das ich dir schenkte?
Nein! Was sollen mir die kleinen Dinge?
Meine goldnen Kleider, meinen Halsschmuck,
Meine Münzen hab ich mitgenommen.

Sage mir, o meine holde Zoë,
Hast du die Reliquie mitgenommen,
Die Reliquie, die ich dir geschenket?
Nein! Ich gab sie meinem jüngsten Bruder,
Hing sie an den Hals des kranken Kleinen,
Daß er von dem Übel bald genese.

Und der Fremde seufzte bang und traurig,
Doch die schöne Zoë sprach zum Fremden:
Sind nun weit hinweg von meinem Hofe,
Halt den Schimmel an, nimm weg den Schleier,
Laß mich dich umarmen, lieber Maksim!

Sprach der junge Held: In meinem Hofe
Haben wir es heute nacht bequemer.
Polster gibt es da vom schönsten Atlas;
Unter reich damastenen Gardinen
Werden wir die Nacht zusammen ruhen.

Ei, versetzte drauf die schöne Zoë,
Ist das, Maksim, alle deine Liebe?
Willst du nicht nach mir dein Antlitz wenden?
Was behandelst du mich so verächtlich?
Bin ich nicht die Schönste meines Landes?

Da entgegnet er: O schöne Zoë,
Jemand könnt uns hier am Wege sehen;
Deine Brüder könnten uns verfolgen
Und zurück zu deinem Vater bringen.
Und nachdem er dieses Wort gesprochen,
Trieb er seinen Renner mit der Peitsche.

Halt, o Maksim, rief die schöne Zoë,
Sehe wohl, daß du mich wenig liebest;
Willst du nicht nach mir zurück dich wenden,
Mich nicht anschaun, spring ich gleich vom Pferde,
Sollt im Sturz ich auch den Tod erleiden.

Hierauf hielt mit einer Hand der Fremde
Seinen Schimmel an, und mit der andern
Warf er auf die Erde seinen Schleier,
Wendete zurück sodann das Antlitz,
Um die schöne Zoë zu umarmen.
Heilge Mutter Gottes! Ach, er hatte
Zwei Pupillen in jedwedem Auge;
Tödlich, tödlich waren seine Blicke.

Eh des Jünglings Mund die Rosenlippen
Seiner Zoë noch berühret hatte,
Neigt ihr schönes Haupt sich auf die Schulter,
Und vom Pferde sinkt sie bleich und leblos.

Fluch dir, Vater, schrie der Maksim Duban,
Der du mir den bösen Blick gegeben!
Doch nicht länger will ich Unheil stiften.
Dieses rufend, greift er nach der Handschar,
Sticht sich aus die beiden Doppelaugen.

Drauf mit vielem traurigen Gepränge
Ließ er seine schöne Braut begraben,
Und er selber klopfte an ein Kloster.
Doch nicht lange ist er da geblieben,
Denn man öffnete gar bald aufs neue
Der geliebten Zoë Ruhestätte,
Neben ihr den Maksim zu bestatten.

*

Das wandelnde Flämmchen

Warum weilt denn nimmermehr der Janko,
Janko Marnawitsch in seiner Heimat?
Warum streift er nur im Waldgebirge,
In dem steilen Wergorazgebirge?
Warum schläft der Janko Marnawitschu
Eine Nacht nur unter einem Dache?
Ist der Held vielleicht verfolgt von Feinden?
Schwuren etwa seine grimmen Feinde,
Daß man nie das Blutgeld nehmen werde?

Nein, der edle Beg ist reich und mächtig.
Niemand wagt sich seinen Feind zu nennen;
Würden mehr doch als zweihundert Säbel
Auf sein Rufen aus der Scheide fliegen.
Trotzdem sucht der Janko öde Orte;
Ihm gefallen der Hajduken Höhlen,
Denn der Trauer ist sein Herz ergeben,
Seit der Perwan fiel, sein Bundesbruder.

Perwan starb in eines Festes Mitte;
Sliwowiza floß in vollen Strömen,
Und betrunken waren alle Helden.
Streit bekamen zwei berühmte Begen,
Und der eine, Janko Marnawitschu,
Schoß auf seinen Feind mit der Pistole;
Doch die Hand erzitterte vom Branntwein,
Und er traf den Bundesbruder Perwan.

In der Perrusitscher Kirche hatten
Beide sich gelobet, miteinander
Ungetrennt zu leben und zu sterben;
Aber kaum zwei Monde nach dem Schwure
Fiel ein Bruder durch die Hand des Bruders.
Seit dem Tage trinkt der Marnawitschu
Weder roten Wein noch klaren Branntwein,
Lebt von Wurzeln, rennet da- und dorthin
Wie der Stier, den eine Bremse peinigt.

Endlich kommt er wieder in die Heimat.
In die Perrusitscher Kirche tritt er,
Und, die Arme kreuzweis überschlagen,
Hingestrecket auf der Kirche Pflaster,
Betet er und weinet bittre Tränen.
Aber als die dunkle Nacht gekommen,
Kehrt in seinen weißen Hof der Janko,
Scheint beruhigt und verzehrt sein Nachtmahl,
Von der Frau bedient und seinen Kindern.

Als er nun zu Bette war gegangen,
Rief er seine Frau und sprach die Worte:

Kannst du, liebes Weib, von Pristegberge
Wohl die Perrusitscher Kirche sehen?
Aus dem Fenster schaute sie und sagte:
Nebeldunst bedeckt die Morpolaza;
Nichts vermag ich jenseits zu erkennen.
Und der Janko sprach zu seinem Weibe:
Gut! So komm und leg dich wieder zu mir!
Betete hierauf in seinem Bette
Für des Bundesbruders Perwan Seele.

Als er so gebetet, rief er wieder:
Mach das Fenster auf, o Praskowia;
Sieh doch nach der Perrusitscher Gegend!
Stand sogleich die Gattin auf und sagte:
Drüben überm Morpolazaflusse
Seh ich jetzt ein zitternd blasses Flämmchen
Mitten in dem Nebeldunste flackern.
Drauf erwidert ihr der Janko lächelnd:
Gut denn, gut! So lege dich zu Bette!
Griff hierauf nach seinem Rosenkranze,
Fing von neuem eifrig an zu beten.

Als er seinen Rosenkranz gebetet,
Rief er seine Frau und sprach die Worte:
Geh und öffne noch einmal das Fenster,
Ob du etwas siehst, o Praskowia!
Stand sie von dem Lager auf und sagte:
Herr, ich sehe mitten in dem Flusse
Jetzt ein strahlend Licht, das schnell und schneller
Diesseits seinen Weg auf uns zu wandelt …
Dieses sprechend hörte Praskowia
Einen tiefen Seufzer und ein Fallen;
Tot am Boden lag der edle Janko.

*

Die Vampyrenbraut In Illyrien, Polen, Ungarn, der Türkei und einigen deutschen Provinzen würde man für einen gelten, der weder Religion noch Moral besitzt, wenn man die Existenz der Vampire leugnete.
Vampir (illyrisch: Wudkodlak) nennt man einen Toten, der gewöhnlich nachts sein Grab verläßt, um die Lebendigen zu beunruhigen. Des öftern saugt er ihnen Blut aus einer Ader des Halses; bisweilen schnürt er ihnen die Kehle bis zum Ersticken zu. Die durch die Angriffe eines Vampirs sterben, werden selber zu Vampiren. Offenbar ist jede Spur von Gefühl aus der Brust eines Vampirs vertilgt; denn man hat bemerkt, daß sie Freunde und Anverwandte mehr quälen als Fremde. Einige glauben, Gott lasse einen Menschen zum Vampir werden, um ihn zu strafen; andere sind der Meinung, er werde durch eine Art Fatum zum Vampir.
Allgemein angenommener Volksglaube ist, daß ein Ketzer oder Exkommunizierter, wenn er in geweihter Erde begraben wird, keine Ruhe darin findet und sich für die Leiden, die er zu erdulden hat, an den Lebenden rächt. Merkmale des Vampirtums sind: die Erhaltung eines Leichnams über die Zeit, in der andre Körper gewöhnlich in Fäulnis übergehen; das Flüssigbleiben des Blutes; die Geschmeidigkeit der Gliedmaßen u. a. m. Auch sagt man, die Vampire lägen mit offenen Augen in ihren Gräbern; ihre Nägel und Haare wüchsen wie bei lebenden Personen. Einige machen sich durch ein Geräusch wie Kauen im Grabe kenntlich, indem sie alles benagen, was sie umgibt, sogar ihr eigenes Fleisch. Die Erscheinungen eines solchen Gespenstes hören auf, wenn man seinen Leichnam ausgräbt, ihm den Kopf abhaut und den Körper verbrennt. Das gewöhnliche Heilmittel nach dem ersten Angriff eines Vampirs ist, sich den ganzen Körper, vorzüglich aber den Teil, wo er gesaugt hat, mit Erde von seinem Grabe zu reiben, worunter Blut vom Leichnam des Vampirs gemischt wird. Die Kranken, die von einem Vampir gebissen sind, haben auf der verwundeten Stelle einen kleinen roten oder bläulichen Flecken, ähnlich der Narbe, die ein Blutegel zurückläßt.
Dom Calmet erzählt in seinem Traité sur les apparitions des esprits et sur les vampires, Band II, mehrere hierher gehörige Geschichten.
Im Jahre 1816, so heißt es in diesem Werke, unternahm ich eine Fußreise in das Wergorazgebirge und quartierte mich in dem Dörfchen Warboska ein. Mein Wirt war ein für die Gegend reicher Morlak, von sehr jovialem Temperament, ziemlich dem Trunk ergeben, namens Wuk Poljonowitsch. Seine Frau war noch jung und schön, und seine sechzehnjährige Tochter ganz allerliebst. Ich wollte einige Tage in seinem Hause bleiben, um Ruinen alter Burgen in der Umgegend abzuzeichnen, aber es war mir nicht möglich, ein Zimmer für Geld zu mieten; ich mußte mich an seine Gastfreundschaft halten. Dies nötigte mich zu einer ziemlich lästigen Dankbarkeit. Ich war nämlich gezwungen, mit meinem Freunde Poljonowitsch nun so lange bei Tafel zu sitzen, als es ihm beliebte. Wer einmal bei einem Morlaken gespeist hat, wird wissen, was das sagen will. Eines Abends hatten uns die Frauenzimmer seit etwa einem Stündchen verlassen, um dem Trinken auszuweichen. Ich sang meinem Wirt einige Lieder seines Landes vor, als wir auf einmal in der Schlafkammer ein fürchterliches Geschrei hörten. Gewöhnlich hat man in jedem Hause nur ein Schlafgemach, das für jedermann dient. Bewaffnet sprangen wir hinein und trafen auf ein grauenerregendes Schauspiel. Die Mutter, bleich und mit aufgelösten Haaren, unterstützte die noch blässere, ohnmächtig auf ein Strohbund niedergesunkene Tochter. Ein Vampir! schrie sie. Ein Vampir! Mein armes Töchterchen stirbt! Unsre gemeinschaftlichen Bemühungen brachten die arme Khawa wieder ins Leben. Sie hatte, sagte sie, gesehen, wie das Fenster sich auftat, und ein blasser, in ein Leichentuch gehüllter Mann hereinstieg, der sich über sie herwarf und sie beißend zu ersticken sich bemühte. Auf ihr Geschrei war das Gespenst entflohen. Doch glaubte das Mädchen in dem Vampir einen seit etwa vierzehn Tagen im Dorfe Verstorbenen namens Wjeschnjany erkannt zu haben. Sie hatte am Halse einen kleinen roten Flecken, wenn es nicht ein natürliches Mal war oder ein Insekt sie gestochen hatte, während sie der Alp drückte. Als ich diese Vermutung auszusprechen wagte, stieß der Vater mich unsanft zurück; das Mädchen rang weinend die Hände und schrie unaufhörlich: Ach, so jung sterben, und ehe ich verheiratet bin! Die Mutter schalt mich einen Ungläubigen und versicherte, sie habe den Vampir mit ihren eignen Augen gesehen und den Wjeschnjany wohl erkannt. Ich schwieg. Alle Amulette, die man im Hause und im Dorfe auftreiben konnte, wurden nun der Khawa um den Hals gehangen. Ihr Vater aber schwur, er werde den andern Morgen den Wjeschnjany ausgraben und in Gegenwart aller seiner Verwandten verbrennen. So verging die Nacht, ohne daß es möglich war, die Leute zu beruhigen.
Mit Tagesanbruch war das ganze Dorf in Alarm. Die Männer waren mit Flinten und Handscharen bewaffnet, die Weiber trugen glühende Eisen, die Kinder hatten Stöcke und Steine. Unter Geschrei und Verwünschungen des Toten begab man sich auf den Kirchhof. Um ein Plätzchen am Grabe zu haben, mußte ich mich mit Gewalt durch die wütende Menge drängen. Die Ausgrabung dauerte lange. Da jedermann teil daran haben wollte, hinderte man sich gegenseitig, und manches Unheil hätte vorfallen können, wenn nicht die Greise befahlen, daß nur zwei Männer den Leichnam ausgraben sollten. In dem Augenblick, als man das über den Körper des Toten gebreitete Leichentuch aufhob, tönte ein so furchtbar gellendes Geschrei, daß mir die Haare zu Berge standen. Es kam von einem Weibe neben mir. Es ist ein Vampir! schrie sie. Die Würmer haben ihn nicht gefressen! Und mit einem Male wurden die Worte von hundert Zungen wiederholt. Zu gleicher Zeit knallten zwanzig nach dem einen Ziele gerichtete Flinten, die den Kopf des Toten zertrümmerten. Der Vater und die Verwandten der Khawa hieben zu wiederholten Malen mit ihren langen Messern auf ihn ein. Weiber sammelten auf leinenen Tüchern die Flüssigkeit, die aus dem zerfleischten Körper drang, um den Hals der Kranken damit zu reiben.
Mittlerweile zogen junge Burschen den Toten aus der Grube, und so sehr er auch zerschossen und zerstochen war, brauchten sie noch die Vorsicht, ihn auf einen starken Fichtenstamm zu binden; dann schleppten sie ihn unter dem Gefolge der Kinder nach einem kleinen Obstgarten, der dem Garten des Poljonowitsch gegenüberlag. Hier waren schon tüchtige mit Stroh umwundene Reisigbündel in Bereitschaft. Man zündete sie an, warf den Leichnam in die Flammen und fing nun an um den Scheiterhaufen herumzutanzen, indem man ihn unter unaufhörlichem Geschrei immer wieder von neuem anschürte. Der Gestank, der sich umher verbreitete, zwang mich bald, den Ort zu verlassen und mich zu meinem Wirte zu begeben. Ich fand das Haus voller Menschen. Die Männer hatten die Pfeife im Munde; die Weiber, alle auf einmal sprechend, bestürmten die Kranke mit Fragen, die, blaß wie der Tod, ihnen kaum antworten konnte. Ihr Hals war mit jenen Lappen umwickelt, die man in der roten stinkenden Flüssigkeit getränkt hatte, die man für Blut gehalten, was sich gegen den Busen und die halb entblößten Schultern der armen Khawa fürchterlich abhob.
Als sich endlich nach und nach die Menge wieder verlaufen hatte, blieb ich allein als Fremder im Hause. Die Krankheit zog sich in die Länge. Khawa fürchtete sich vor der Nacht und wollte jemanden haben, der bei ihr wachen sollte. Da ihre Eltern, durch die Arbeiten des Tages ermüdet, sich nur mit Mühe munter erhalten konnten, erbot ich mich zum Krankenwärter, was dankbar angenommen ward. Ich wußte, daß bei den Morlaken in meinem Anerbieten nichts Unschickliches lag.
Niemals werde ich die Nächte vergessen, die ich bei dem unglücklichen Mädchen zubrachte. Wenn der Fußboden knackte, der Wind pfiff oder nur das geringste Geräusch gehört wurde, fuhr sie bebend auf. So oft sie ein wenig einschlummerte, bekam sie schreckliche Träume und erwachte bisweilen mit lautem Schrei. Ihre Einbildungskraft war durch einen Traum aufgeregt, und die Klatschbasen des Dorfes hatten sie vollends verrückt gemacht. Oft, wenn sie fühlte, daß sich ihre Augenlider schließen wollten, sagte sie zu mir: Schlaf nicht ein! Ich bitte dich! Nimm einen Rosenkranz in die eine Hand und deine Handschar in die andre und bewache mich wohl! – Bisweilen wollte sie nicht eher einschlafen, als bis ich ihr meinen Arm reichte, den sie mit beiden Händen umklammerte und so fest drückte, daß die Spur ihrer Finger noch lange darauf zu sehen war. Nichts vermochte ihr die unheimlichen Vorstellungen zu verscheuchen, die sie verfolgten. Sie hatte große Furcht vor dem Tode und hielt sich ohne Rettung verloren, so sehr wir auch uns bemühten, ihr Trostgründe aufzustellen. Ihre Lippen hatten sich völlig entfärbt, und ihre großen schwarzen Augen blitzten mehr als sonst, so daß sie einen furchterregenden Anblick gewährte.
Ich versuchte nun auf ihre Einbildungskraft einzuwirken, indem ich tat, als ginge ich auf ihre Ideen ein. Da ich mich aber unglücklicherweise anfänglich über ihre Leichtgläubigkeit lustig gemacht, konnte ich jetzt nicht mehr auf ihr Zutrauen rechnen. Ich sagte, ich hätte in meinem Lande die Zauberkunst erlernt und mir sei ein Mittel bekannt, wie man böse Geister kräftig beschwören könnte; auch würde ich, wenn sie wollte, den Zauber auf meine Gefahr und ohne Schaden für ihre Seele sprechen.
Aus natürlicher Gutmütigkeit fürchtete sie erst, mich mit dem Himmel in Zwiespalt zu bringen, aber bald siegte die Furcht vor dem Tode, und sie bat mich, die Beschwörung zu versuchen. Ich wußte einige Verse des Racine auswendig und rezitierte sie vor dem armen Mädchen, die die Sprache des Teufels zu hören glaubte. Nachdem ich ihr hierauf den Hals zu wiederholten Malen gerieben, tat ich, als zöge ich einen kleinen roten Achat daraus hervor, den ich zwischen den Fingern versteckt gehalten. Ernsthaft versicherte ich ihr, ich hätte ihn ihr aus dem Halse gezogen, und sie sei gerettet. Aber betrübt sah sie mich an und sprach: Du betrügst mich, du hattest den Stein in einem Schächtelchen; ich habe es wohl gesehen. Du bist kein Zauberer.
So tat meine List mehr Schaden als Nutzen. Denn von diesem Augenblicke an wuchs ihre Krankheit immer mehr.
Die Nacht vor ihrem Tode sagte sie zu mir: Ich bin selbst schuld daran, wenn ich sterbe. Der und der (sie nannte mir einen Burschen aus dem Dorfe) wollte mich entführen. Ich wollte nicht und verlangte, wenn ich ihm folgen sollte, erst eine silberne Kette zum Geschenk. Er reiste nach Morkaska, um eine zu kaufen, und unterdessen kam der Vampir. Übrigens, setzte sie hinzu, wäre ich nicht zu Hause gewesen, hätte er vielleicht meine Mutter töten können. Folglich ist es so besser. Den andern Morgen ließ sie ihren Vater zu sich kommen und nahm ihm das Versprechen ab, ihr den Hals und die Kniekehlen zu durchschneiden, damit sie nicht selbst zum Vampir würde, auch wollte sie nicht, daß dies ein andrer als ihr Vater tun sollte. Hierauf umarmte sie ihre Mutter und bat sie, zu dem nicht weit vom Dorfe gelegenen Grabe eines heiligen Mannes zu gehen, dort einen Rosenkranz zu weihen und ihr ihn sodann zu bringen. Ich bewunderte das Zartgefühl dieses Bauernmädchens, das solchen Vorwand erdachte, um ihrer Mutter den Schmerz zu ersparen, ihr in ihren letzten Augenblicken beizustehen.
Jetzt hieß sie mir ein Amulett von ihrem Halse losbinden. Behalte es! sagte sie; ich hoffe, es soll dir mehr nützen als mir. Hierauf empfing sie die heiligen Sakramente mit Andacht. Zwei oder drei Stunden nachher wurde ihr Atemholen stärker, ihr Blick starr. Auf einmal ergriff sie ihres Vaters Arm und machte eine Bewegung, als wolle sie sich ihm an die Brust werfen. Sie war verschieden. Ihre Krankheit hatte elf Tage gedauert.
Einige Stunden nachher verließ ich das Dorf, Gespenster, Vampire und jeden aufrichtig verfluchend, der Geschichten von ihnen erzählt.(Mérimée, deutsch von W. Gerhard.)

Lyrische Szene

Gestalten: Rizefor. Der Beg von Mojna. Ein Eremit. Der Hochzeitspate. Sofia. Chor der jungen Burschen. Chor der Swaten. Chor der jungen Mädchen

Die jungen Burschen

Junge Burschen von Wradschina,
Sattelt eure schwarzen Rosse!
Sattelt eure schwarzen Rosse,
Schmückt sie mit gestickten Decken!
Heute tragt die neuen Kleider;
Heute soll sich jeder schmücken!
Jatagans mit Silbergriffen,
Goldbeschlagene Pistolen
Sollen alle Burschen haben.
Ist der frohe Tag nicht heute,
Wo der reiche Beg von Mojna
Freit die reizende Sofia?

Rizefor

Meine Mutter, meine Mutter,
Ist mein schwarzes Roß gesattelt?
Meine Mutter, meine Mutter,
Meine schwarze Stute wiehert.
Gib die goldenen Pistolen,
Die erbeutet vom Bimbascha;
Meinen Jatagan auch gib mir,
Jenen mit dem Silbergriffe.
Höre, meine liebe Mutter!
Hier in dieser seidnen Börse
Bleiben mir noch zehn Zechinen.
An die Hochzeitsmusikanten
Will ich dieses Geld verschenken.
Mutter, ist der Tag nicht heute,
Wo der reiche Beg von Mojna
Freit die reizende Sofia?

Die Swaten

O Sofia, nimm den Schleier,
Nimm ihn um, den roten Schleier!
Denn der Zug der Reiter nahet.
Hörst du die Pistolenschüsse,
Die zu Ehren dir erschallen?
Auf, ihr muntern Sängerinnen,
Auf! Und singet die Geschichte
Von dem Jowan Walatjano
Und der schönen Braut Agathe.
Auf, auch ihr, o rüstige Greise!
Lasset eure Gußlen tönen!
Und nun nimm ein Sieb, Sofia!
Mit dem Siebe wirf die Nüsse!
Soviel Nüsse, soviel Knaben!
Hei, der reiche Beg von Mojna
Freit die bräutliche Sofia!

Sofia

Geh zu meiner Rechten, Mutter!
Geh zu meiner Linken, Schwester!
Ältrer Bruder, komm und halte,
Halte mir den Zaum des Pferdes!
Aber du, mein jüngrer Bruder,
Bleibe bei des Schweifes Riemen!

Wer ist jener schwarze Jüngling,
Der die schwarze Stute reitet?
Warum mischt er sich nicht fröhlich
In den Kreis der jungen Burschen?
Ha, ich kenn ihn. 's ist Rizefor.
Daß kein Unheil mir geschiehet!
Früher liebte mich Rizefor
Als der reiche Beg von Mojna.

Rizefor

Singt, ihr muntern Sängerinnen,
Singet, singet wie Zikaden!
Habe nur noch zehn Zechinen.
Fünf an euch, ihr Sängerinnen,
Und den Gußlespielern fünfe!
O du Beg, du Beg von Mojna,
Warum schaust du mich mit Furcht an?
Bist du nicht Sofias Freier?
Hast du nicht so viel Zechinen
Als du weiße Haar im Barte?
Dir nicht gelten die Pistolen.
Hu, hu, meine schwarze Stute,
Galoppier ins Tal der Gräber!
Diesen Abend, diesen Abend
Will dir Zaum und Sattel nehmen.
Diesen Abend, diesen Abend
Wirst du herrenlos und frei sein.

Die jungen Mädchen

Alle Heiligen, o Sofia,
Sollen dir den Segen geben!
Alle Heiligen, Beg von Mojna,
Sollen dir den Segen geben!
Zwölf der Söhne sollt ihr haben,
Alle schön, blond, kühn und mutig.
Sonne sinkt; es harrt der Bräutigam
Unterm filzgewebten Tschardak.
Darum spute dich, Sofia!
Sage Lebewohl der Mutter,
Folge deinem Hochzeitspaten!
Diesen Abend, diesen Abend
Wirst du ruhn auf seidnen Kissen.
Bist die Braut, die hochbeglückte,
Braut des reichen Beg von Mojna.

Der Eremit

Wer hat hier gewagt zu schießen
Neben meiner stillen Klause?
Wer gewagt das Wild zu töten,
Das der heilige Chrysostomos
Und sein Eremit beschützen?
Aber nicht ein Damhirsch war es,
Den die Kugel hat getroffen;
Einen Menschen traf sie tödlich,
Sieh, und seine schwarze Stute
Irret frei umher im Walde.
Gott sei deiner Seele gnädig!
Armer Wanderer, ich gehe,
Dort im Sande bei dem Flusse
Dir ein stilles Grab zu graben.

Sofia

Herr, wie kalt sind deine Hände!
Herr, wie feucht sind deine Haare!
Zittr ich doch in deinem Bette,
Unter deinen Perserdecken!
Wahrlich, wahrlich, mein Gebieter,
Eisig ist dein ganzer Körper.
Friere sehr, ich schaur und bebe;
Kalter Schweiß deckt mir die Glieder.
O du heilige Mutter Gottes,
Habe Mitleid mit mir Armen!
Ach, ich glaube, daß ich sterbe.

Der Beg von Mojna

Sprecht, wo ist sie? Sprecht, wo ist sie,
Meine schöne Braut Sofia?
Warum kommt die mir Verlobte
Nicht zum filzgewebten Zelte?
Sklaven, lauft, sie aufzusuchen,
Und befehlt den Sängerinnen,
Die Gesänge zu verdoppeln.
Morgen, morgen werd ich ihnen
Nüsse werfen und Zechinen.
Meine Mutter soll das Mädchen
Doch dem Hochzeitspaten geben;
Denn wie lange, ach, wie lange
Bin ich schon allein im Zelte!

Der Hochzeitspate

Edle Swaten, wackre Swaten,
Jeder fülle seinen Becher,
Jeder leere seinen Becher!
Nahm die junge Frau Zechinen,
Stahl sie unsre Silberketten;
Wollen wir dafür uns rächen,
Und nicht einen Krug voll Branntwein
Mehr in ihrem Hause lassen.
Unsre jungen Neuvermählten
Haben sich zurückgezogen,
Hab auch schon des Bräutigames
Seidnen Gürtel losgebunden.
Wollen uns der Freud ergeben!
Hei, die schöne Braut Sofia
Freit der reiche Beg von Mojna!

Sofia

Ach, was tat ich dir, Gebieter?
Warum drückst du so die Brust mir?
Ist es doch, als wenn ein Leichnam
Mir von Blei den Busen preßte.
O du heilge Mutter Gottes,
So geschnürt ist mir die Kehle,
Daß ich zu ersticken glaube.
Kommt mir, Freundinnen, zu Hilfe!
Mich erstickt der Beg von Mojna.
Meine Mutter, meine Mutter,
Eile, eile mir zu Hilfe!
Ach, er hat mich schon gebissen
In die Ader meines Halses,
Ach, und saugt von meinem Blute …

*

Die Bundesbrüder

Iwan Ljubowitsch, von Trau gebürtig,
Kam einmal ins Wergorazgebirge;
Freundlich hat ihn Zyrill Sborr empfangen
Und acht Tag an seinem Hof bewirtet.

Drauf ist Zyrill Sborr nach Trau gekommen,
Wohnt in Iwan Ljubowitschas Hofe;
Und acht Tage tranken sie zusammen
Wein und Branntwein aus demselben Becher.

Als Zyrill nun wieder heimbegehrte,
Hielt der Iwan ihn zurück am Ärmel,
Sagte: Laß uns zu dem Popen gehen,
Daß wir beide Bundesbrüder werden!

Und sie gingen drauf zu einem Popen.
Dieser las die heiligen Gebete;
Nahmen auch das Abendmahl zusammen.
Schwuren, Brüder bis zum Tod zu bleiben.

Einmal sitzt Iwan, die Pfeife schmauchend,
Mit gekreuzten Beinen vor dem Hofe,
Als ein Bursch, mit Staub bedeckt die Füße,
Vor ihn tritt und höflich ihn begrüßet:

Zu dir, Iwan Ljubowitschu, sendet,
Sendet mich der Zyrill Sborr, dein Bruder.
Bei dem Berge wohnt ein Hund von Türken,
Der feindselig gegen ihn gesinnt ist,
Und er bittet dich, ihm beizustehen
Und mit ihm den Türken zu besiegen.

Iwan holt aus seinem Haus die Flinte,
Steckt in seinen Sack ein Hammelviertel,
Wirft das Tor zu, trennt sich von der Heimat
Und gelangt ins Wergorazgebirge.

Und der beiden Bundesbrüder Kugeln
Trafen immer in das Herz der Feinde;
Keiner, noch so stark und so behende,
Keiner wagt es ihnen standzuhalten.

Und die Helden machten viele Beute,
Nahmen Ziegen, Zicklein, gute Waffen,
Stoffe, reich an Wert, gemünztes Silber;
Und auch noch ein schönes Türkenmädchen.

Von den Ziegen, Zicklein, Waffen, Stoffen,
Nahm der Iwan Ljubowitsch die Hälfte,
Und der Zyrill Sborr die andre Hälfte;
Doch die Schöne konnten sie nicht teilen.

Beide wollten sie nach Hause führen,
Denn sie liebten dieses Mädchen beide,
Liebten sie so heftig, daß im Leben
Sie zum ersten Male sich entzweiten.

Aber Iwan Ljubowitschu sagte:
Haben beide Branntwein heut getrunken;
Was er tut, weiß keiner von uns beiden.
Wollen morgen ruhig drüber sprechen. –
Lagerten sich nun auf eine Matte,
Schliefen so bis in den hellen Morgen.

Zyrill war der erste, der erwachte,
Stieß den Iwan an, ihn aufzuwecken:
Nun, Ljubowitsch, da du wieder nüchtern,
Willst du mir das Türkenmädchen lassen?
Keine Antwort gab der Ljubowitschu,
Sondern setzte sich, und helle Tränen
Brachen vor aus seinen schwarzen Augen.

Auch der Zyrill setzte sich und blickte
Bald auf seinen Freund, bald auf die Sklavin,
Und bisweilen blickt er auf die Handschar,
Auf die Handschar auch in seinem Gürtel.

Burschen, die mit in den Krieg gegangen,
Meinten bei sich: Was wird nun geschehen?
Werden Brüder wohl die Freundschaft brechen,
Die sie in der Kirche sich geschworen?

Haben lange Zeit noch so gesessen;
Stehen endlich auf mit einem Male.
Iwan faßt die Sklavin bei der Rechten,
Und Zyrill ergreift sie bei der Linken.

Tränen stürzen jetzt aus ihren Augen,
Groß wie Tropfen im Gewitterregen,
Und sie ziehn die Handschar, und vereinigt
Senken sie sie in der Sklavin Busen.

Eher soll ein Türkenmädchen sterben,
Als daß unsre Freundschaft unterginge!
Haben drauf die Hände sich gedrücket;
Sind einander ewig treu geblieben.

*

Die Franzosen in Montenegro

Sprach Napoleon: Wer sind die Männer,
Die mir wohl zu widerstehen wagen?
Ich befehle, daß sie zu mir kommen,
Ihre Flinten mir zu Füßen legen,
Ihre reichverzierten Jataganen.
Plötzlich sendet er in unsre Berge
Zwanzigtausend fränkische Soldaten,
Fußvolk, Reiter, Mörser und Kanonen.

Kommt nur her auf unsern Berg! Ihr findet
Hier fünfhundert brave Zernogorzen.
Haben für Kanonen tiefe Schlünde;
Für Dragoner Felsen, für das Fußvolk
Haben wir fünfhundert gute Flinten.

Ließ Napoleon sie nun marschieren;
Ihre Waffen blitzten in der Sonne.
Stiegen auf den Berg in guter Ordnung,
Unsre schönen Dörfer zu verbrennen;
Stiegen auf den Berg, um unsre Weiber,
Unsre Kinder in ihr Land zu führen.

Als sie an den grauen Felsen kamen,
Haben sie die Augen aufgerissen,
Denn sie sahen unsre roten Mützen.
Und da sprach ihr Hauptmann: Macht Euch fertig!
Jeder töte einen Zernogorzen!

Alsbald schossen sie mit einem Male
Und sie trafen unsre roten Mützen,
Die auf Pfählen hochgehoben hingen.
Aber wir, die wir indessen hinten,
Hinter ihnen auf dem Bauche lagen,
Sandten ihnen eine volle Ladung.

Höret Ihr das Echo unsrer Flinten?
Also sprach der Hauptmann zu den Truppen.
Aber eh er noch sich umgewendet,
Sank er um und mit ihm fünf und zwanzig.
Und die Flucht ergriffen jetzt die Andern;
Wagten's nie im Leben wieder,
Anzuschauen eine rote Mütze.

Der das Lied gemacht, war mit den Brüdern,
Mit den Brüdern bei dem grauen Felsen,
Und er nennt sich Gunzar Wossijeratsch.

*

Hyazinth Maglanowitsch

Improvisation

Fremder, was verlangst du von dem Greise,
Von dem hochbejahrten Gußlespieler,
Von Maglanowitsch, dem alten Sänger?
Siehst du nicht den silberweißen Schnurrbart?
Siehst du seine dürre Hand nicht zittern?
Wie vermöchte dieser schwache Greis noch
Töne seiner Gußle zu entlocken,
Die so alt an Jahren wie er selber?

Hyazinth Maglanowitsch, der Sänger,
Hatte früher einen schwarzen Schnurrbart;
Seine Hand verstand das Ziel zu treffen
Mit der allerschwersten der Pistolen.
Und die jungen Männer wie die Frauen,
Sie umringten ihn mit offnem Munde,
Ihn bewundernd, wann es ihm beliebte,
Platz zu nehmen bei vergnügtem Feste,
Anzustimmen die sonoren Klänge.

Soll ich nun noch singen, daß mit Lächeln
Junge Gußlespieler sagen möchten:
Tot ist Hyazinth Maglanowitschu;
Seine Gußle hat den Klang verloren,
Und der greise Sänger wird zum Schwätzer.
Andern, Bessern laß er nun die Ehre,
Dunkler Nächte Stunden zu verschönern
Und durch ihre Lieder sie zu kürzen.

Nun, die jungen Sänger mögen kommen,
Mögen ihre Verse hören lassen!
Hyazinth Maglanowitsch, der alte,
Nimmt es wohl noch auf mit ihnen allen.
Er besiegte oft im Streit des Sanges
Ihre Väter; wird auch sie besiegen.
Der Ruine einer alten Veste
Gleicht er; sind die neuen Häuser schöner?

Hyazinth Maglanowitschus Gußle
Ist so alt an Jahren als er selber;
Aber nimmer wird sie sich entehren,
Mittelmäßige Lieder zu begleiten.
Wer wird wagen, wenn der Sänger tot ist,
Wagen, seine Gußle ihm zu nehmen,
Um ihr neue Töne zu entlocken?
Nein! Wie man nicht ohne seinen Säbel
Einen Krieger in die Erde senket,
So wird Hyazinth Maglanowitschu,
Seine Gußle auf dem treuen Herzen,
In dem Schoß der schwarzen Erde schlummern.

*

Klaggesang der edlen Frau des Asan Aga, aus dem Morlakischen Morlak, serbisch: einer, dem das Meer seicht ist, das heißt ein geschickter Seemann. Morlaken werden gewöhnlich die Serben in Dalmatien genannt. (Gerhard.)
Triste Ballade de la noble épouse d'Asan-Aga. Mérimée sagt in einer Anmerkung: Bekanntlich hat der berühmte Abbate Forti diese (morlakische) Ballade in italienische Verse übertragen. Als sein Nachfahr maße ich mir nicht an, es ebenso gut gemacht zu haben; ich habe es nur anders gemacht. Meine Übersetzung ist wörtlich; das ist ihr Wert. Charles Nodier hat gleichfalls eine Übersetzung davon veröffentlicht, im Anhang seiner entzückenden Dichtung Smarra [oder die Dämonen der Nacht; 1821].
Goethe, dessen Fassung wir wiedergeben, da in ihr der Stoff in die deutsche Weltliteratur übergegangen ist, hat aus der nämlichen Quelle (einer deutschen Übersetzung von Fortis Reise nach Dalmatien) geschöpft. Er verstand das Serbische ebensowenig wie Mérimée.

Was ist Weißes dort am grünen Walde?
Ist es Schnee wohl oder sind es Schwäne?
Wär es Schnee, er wäre weggeschmolzen,
Wärens Schwäne, wären weggeflogen.

Ist kein Schnee nicht, es sind keine Schwäne,
's ist der Glanz der Zelten Asan Aga;
Niederliegt er drin an seiner Wunde.
Ihn besucht die Mutter und die Schwester;
Schamhaft säumt sein Weib zu ihm zu kommen.

Als nun seine Wunde linder wurde,
Ließ er seinem treuen Weibe sagen:
Harre mein nicht mehr an meinem Hofe,
Nicht am Hofe und nicht bei den Meinen!

Als die Frau dies harte Wort vernommen,
Stand die Treue starr und voller Schmerzen,
Hört der Pferde Stampfen vor der Türe,
Und es deucht ihr, Asan käm, ihr Gatte,
Springt zum Turme, sich herabzustürzen.

Ängstlich folgen ihr zwei liebe Töchter,
Rufen nach ihr, weinend bittre Tränen:
Sind nicht unsers Vaters Asan Rosse;
Ist dein Bruder Pintorowitsch kommen!

Und es kehret die Gemahlin Asans,
Schlingt die Arme jammernd um den Bruder:
Sieh die Schmach, o Bruder, deiner Schwester!
Mich verstoßen, Mutter dieser fünfe!

Schweigt der Bruder, ziehet aus der Tasche,
Eingehüllet in hochrote Seide,
Ausgefertiget den Brief der Scheidung,
Daß sie kehre zu der Mutter Wohnung,
Frei sich einem Andern zu ergeben.

Als die Frau den Trauerscheidbrief sahe,
Küßte sie der beiden Knaben Stirne,
Küßt die Wangen ihrer beiden Mädchen.
Aber ach, vom Säugling in der Wiege
Kann sie sich im bittern Schmerz nicht reißen.

Reißt sie los der ungestüme Bruder,
Hebt sie auf das muntre Roß behende;
Und so eilt er mit der bangen Frauen
Grad nach seines Vaters hoher Wohnung.

Kurze Zeit wars, noch nicht sieben Tage,
Kurze Zeit gnug; von viel großen Herren
Unsre Frau in ihrer Witwentrauer,
Unsre Frau zum Weib begehret wurde.

Und der größte war Imoskis Kadi,
Und die Frau bat weinend ihren Bruder:
Ich beschwöre dich bei deinem Leben,
Gib mich keinem Andern mehr zur Frauen,
Daß das Wiedersehen meiner lieben
Armen Kinder mir das Herz nicht breche!

Ihre Reden achtet nicht der Bruder,
Fest, Imoskis Kadi sie zu trauen.
Doch die Gute bittet ihn unendlich:
Schicke wenigstens ein Blatt, o Bruder,
Mit den Worten zu Imoskis Kadi:
Dich begrüßt die junge Wittib freundlich
Und läßt durch dies Blatt dich höchlich bitten,
Daß, wenn dich die Suaten herbegleiten,
Du mir einen langen Schleier bringest,
Daß ich mich vor Asans Haus verhülle,
Meine lieben Waisen nicht erblicke.

Kaum ersah der Kadi dieses Schreiben,
Als er seine Suaten alle sammelt
Und zum Wege nach der Braut sich rüstet,
Mit den Schleier, den sie heischte, tragend.

Glücklich kamen sie zur Fürstin Hause,
Glücklich sie mit ihr vom Hause wieder.
Aber als sie Asans Wohnung nahten,
Sahn die Kinder oben ab die Mutter,
Riefen: Komm zu deiner Halle wieder!
Iß das Abendbrot mit deinen Kindern!

Traurig hört es die Gemahlin Asans,
Kehrte sich zu der Suaten Fürsten:
Laß doch, laß die Suaten und die Pferde
Halten wenig vor der Lieben Türe,
Daß ich meine Kleinen noch beschenke.

Und sie hielten vor der Lieben Türe;
Und den armen Kindern gab sie Gaben,
Gab den Knaben goldgestickte Stiefel,
Gab den Mädchen lange reiche Kleider,
Und dem Säugling, hilflos in der Wiege,
Gab sie für die Zukunft auch ein Röckchen.

Das beiseit sah Vater Asan Aga,
Rief gar traurig seinen lieben Kindern:
Kehrt zu mir, ihr lieben armen Kleinen!
Eurer Mutter Brust ist Eisen worden,
Fest verschlossen, kann nicht Mitleid fühlen.

Wie das hörte die Gemahlin Asans,
Stürzt sie bleich den Boden schütternd nieder,
Und die Seel entfloh dem bangen Busen,
Als sie ihre Kinder vor sich fliehn sah.

*

 

Anmerkungen eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg

 


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