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Erster Abschnitt

Staat und Religion – bürgerliche und geistliche Verfassung – weltliches und kirchliches Ansehen – diese Stützen des gesellschaftlichen Lebens so gegeneinander zu stellen, daß sie sich die Wage halten, daß sie nicht vielmehr Lasten des gesellschaftlichen Lebens werden und den Grund desselben stärker drücken, als was sie tragen helfen – dieses ist in der Politik eine der schwersten Aufgaben, die man seit Jahrhunderten schon aufzulösen bemüht ist, und hier und da vielleicht glücklicher praktisch beigelegt, als theoretisch aufgelöst hat. Man hat für gut befunden, diese verschiedenen Verhältnisse des geselligen Menschen in moralische Wesen abzusondern, und jedem derselben ein eigenes Gebiet, besondere Rechte, Pflichten, Gewalt und Eigentum zuzuschreiben. Aber der Bezirk dieser verschiedenen Gebiete und die Grenzen, die sie trennen, sind noch bis jetzt nicht genau bestimmt. Man sieht bald die Kirche das Markmal weit in das Gebiet des Staats hinübertragen, bald den Staat sich Eingriffe erlauben, die den angenommenen Begriffen zufolge ebenso gewaltsam scheinen. Und unermeßlich sind die Übel, die aus der Mißhelligkeit dieser moralischen Wesen bisher entstanden sind, und noch zu entstehen drohen. Liegen sie gegeneinander zu Felde, so ist das menschliche Geschlecht das Opfer ihrer Zwietracht; und vertragen sie sich, so ist es getan, um das edelste Kleinod der menschlichen Glückseligkeit; denn sie vertragen sich selten anders, als um ein drittes moralisches Wesen, die Freiheit des Gewissens, die von ihrer Uneinigkeit einigen Vorteil zu ziehen weiß, aus ihrem Reiche zu verbannen.

Der Despotismus hat den Vorzug, daß er bündig ist. So lästig seine Forderungen auch dem gesunden Menschenverstande sind, so sind sie doch unter sich zusammenhängend und systematisch. Er hat auf jede Frage seine bestimmte Antwort. Ihr dürft euch weiter um die Grenzen nicht bekümmern; denn wer alles hat, fragt nicht weiter, wieviel? – So auch nach römisch-katholischen Grundsätzen die kirchliche Verfassung. Sie ist auf jeden Umstand ausführlich und gleichsam aus einem Stücke. Räumt ihr alle ihre Forderungen ein, so wißt ihr wenigstens, woran ihr euch zu halten habt. Euer Gebäude ist aufgeführt, und in allen Teilen desselben herrscht vollkommene Ruhe. Freilich nur jene fürchterliche Ruhe, wie Montesquieu sagt, die Abends in einer Festung ist, welche des Nachts mit Sturm übergehen soll. Wer aber Ruhe in Lehr und Leben für Glückseligkeit hält, findet sie dennoch nirgends gesicherter, als unter einem römisch-katholischen Despoten; oder weil auch hier die Macht noch zu sehr verteilt ist, unter der despotischen Herrschaft der Kirche selbst.

Sobald aber die Freiheit an diesem systematischen Gebäude etwas zu verrücken wagt, so droht Zerrüttung von allen Seiten, und man weiß am Ende nicht mehr, was davon stehenbleiben kann. Daher die außerordentliche Verwirrung, die bürgerlichen sowohl als kirchlichen Unruhen in den ersten Zeiten der Reformation und die auffallende Verlegenheit der Lehrer und Verbesserer selbst, sooft sie in dem Fall waren, in Absicht auf Gerechtsame, das wie weit? festzusetzen. Nicht nur praktisch war es schwer, den großen, seiner Fessel entbundenen Haufen innerhalb geziemender Schranken zu halten, sondern auch in der Theorie selbst findet man die Schriften jener Zeiten voller unbestimmter und schwankender Begriffe, so oft von Festsetzung der kirchlichen Gewalt die Rede ist. Der Despotismus der römischen Kirche war aufgehoben, aber – welche andere Form soll an ihrer Stelle eingeführt werden ? – Noch jetzt in unseren aufgeklärteren Zeiten haben die Lehrbücher des Kirchenrechts von dieser Unbestimmtheit nicht befreit werden können. Allen Anspruch auf Verfassung will oder kann die Geistlichkeit nicht aufgeben, und gleichwohl weiß niemand recht, worin solche bestehe? Man will Streitigkeiten in der Lehre entscheiden, ohne einen obersten Richter zu erkennen. Man beruft sich noch immer auf eine unabhängige Kirche, ohne zu wissen, wo sie anzutreffen sei. Man macht Anspruch auf Macht und Recht, und kann doch nicht angeben, wer sie handhaben soll?

Thomas Hobbes lebte zu einer Zeit, da der Fanatismus, mit einem unordentlichen Gefühle von Freiheit verbunden, keine Schranken mehr kannte und im Begriffe war, wie ihm auch am Ende gelang, die königliche Gewalt unter den Fuß zu bringen und die ganze Landesverfassung umzustürzen. Der bürgerlichen Unruhen überdrüssig, und von Natur zum stillen, spekulativen Leben geneigt, setzte er die höchste Glückseligkeit in Ruhe und Sicherheit, sie mochte kommen, woher sie wollte; und diese fand er nirgends, als in der Einheit und Unzertrennlichkeit der höchsten Gewalt im Staate. Der öffentlichen Wohlfahrt, glaubte er also, sei am besten geraten, wenn alles, sogar unser Urteil über Recht und Unrecht, der höchsten Gewalt der bürgerlichen Obrigkeit unterworfen würde. Um dieses desto füglicher tun zu können, setzte er zum voraus, der Mensch habe von Natur die Befugnis zu allem, wozu er von ihr das Vermögen erhalten hat. Stand der Natur sei Stand des allgemeinen Aufruhrs, des Krieges aller wider alle, in welchem jeder mag, was er kann; alles Recht ist, wozu man Macht hat. Dieser unglückselige Zustand habe so lange gedauert, bis die Menschen übereingekommen, ihrem Elend ein Ende zu machen, auf Recht und Macht, insoweit es die öffentliche Sicherheit betrifft, Verzicht zu tun, solche einer festgesetzten Obrigkeit in die Hände zu liefern, und nunmehr sei dasjenige recht, was diese Obrigkeit befiehlt.

Für bürgerliche Freiheit hatte er entweder keinen Sinn, oder wollte er sie lieber vernichtet, als so gemißbraucht sehen. Um sich aber die Freiheit zu denken auszusparen, davon er selbst mehr als irgend jemand Gebrauch machte, nahm er seine Zuflucht zu einer feinen Wendung. Alles Recht gründet sich, nach seinem System, auf Macht, und alle Verbindlichkeit auf Furcht; da nun Gott der Obrigkeit an Macht unendlich überlegen ist, so sei auch das Recht Gottes unendlich über das Recht der Obrigkeit erhaben, und die Furcht vor Gott verbinde uns zu Pflichten, die keiner Furcht vor der Obrigkeit weichen dürfen. Jedoch sei diese nur von der inneren Religion zu verstehen, um die allein es dem Weltweisen zu tun war. Den äußeren Gottesdienst unterwarf er völlig dem Befehle der bürgerlichen Obrigkeit, und jede Neuerung in kirchlichen Sachen, ohne derselben Autorität, sei nicht nur Hochverrat, sondern auch Lästerung. Die Kollisionen, die zwischen dem inneren und äußeren Gottesdienste entstehen müssen, sucht er durch die feinsten Unterscheidungen zu heben, und obgleich noch so manche Lücken zurückbleiben, die die Schwäche der Vereinigung sichtbar machen, so ist doch der Scharfsinn zu bewundern, mit welchem er sein System hat bündig zu machen gesucht.

Im Grunde liegt in allen Behauptungen des Hobbes viel Wahrheit, und die ungereimten Folgen, zu welchen sie führen, fließen bloß aus der Übertreibung, mit welcher er sie, aus Liebe zur Paradoxie, oder den Bedürfnissen seiner Zeiten gemäß, vorgetragen hat. Zum Teil waren auch die Begriffe des Naturrechts zu seiner Zeit noch nicht aufgeklärt genug, und Hobbes hat das Verdienst um die Moralphilosophie, das Spinoza um die Metaphysik hat. Sein scharfsinniger Irrtum hat Untersuchung veranlaßt. Man hat die Ideen von Recht und Pflicht, Macht und Verbindlichkeit besser entwickelt; man hat physisches Vermögen von sittlichem Vermögen, Gewalt von Befugnis richtiger unterscheiden gelernt, und diese Unterscheidungen so innigst mit der Sprache verbunden, daß nunmehr die Widerlegung des Hobbesschen Systems schon in dem gesunden Menschenverstande, und sozusagen in der Sprache zu liegen scheint. Dieses ist die Eigenschaft aller sittlichen Wahrheiten. Sobald sie ins Licht gesetzt sind, vereinigen sie sich so sehr mit der Sprache des Umgangs und verbinden sich mit den alltäglichen Begriffen der Menschen, daß sie dem gemeinen Menschenverstande einleuchten, und nunmehr wundern wir uns, wie man vormals auf einem so ebenen Wege habe straucheln können. Wir bedenken aber den Aufwand nicht, den es gekostet, diesen Steig durch die Wildnis so zu ebnen.

Hobbes selbst mußte die unstatthaften Folgen auf mehr als eine Weise empfinden, zu welchen seine übertriebenen Sätze unmittelbar führen. Sind die Menschen von Natur an keine Pflicht gebunden, so liegt ihnen auch nicht einmal die Pflicht ob, ihre Verträge zu halten. Findet im Stande der Natur keine andere Verbindlichkeit statt, als die sich auf Furcht und Ohnmacht gründet, so dauert die Gültigkeit der Verträge auch nur so lange, als sie von Furcht und Ohnmacht unterstützt wird; so haben die Menschen durch Verträge keinen Schritt näher zu ihrer Sicherheit getan, und befinden sich noch immer in ihrem primitiven Zustand des allgemeinen Krieges. Sollten aber Verträge gültig sein, so muß der Mensch von Natur, ohne Vertrag und Verabredung, an und für sich selbst nicht befugt sein, wider ein Paktum zu handeln, das er gutwillig eingegangen; das heißt, es muß ihm nicht erlaubt sein, wenn er auch kann: er muß das sittliche Vermögen nicht haben, wenn er auch das physische dazu hätte. Macht und Recht sind also verschiedene Dinge und waren auch im Stande der Natur heterogene Begriffe. – Ferner, der höchsten Gewalt im Staate schreibt Hobbes strenge Gesetze vor, nichts zu befehlen, das der Wohlfahrt ihrer Untertanen zuwider sei. Wenn sie auch keinem Menschen Rechenschaft zu geben schuldig seien, so haben sie diese doch vor dem allerhöchsten Richter abzulegen; wenn sie auch nach seinen Grundsätzen keine Furcht vor irgendeiner menschlichen Macht binde, so binde sie doch die Furcht vor der Allmacht, die ihren Willen hierüber hinlänglich zu erkennen gegeben. Hobbes ist hierüber sehr ausführlich, und hat im Grunde weit weniger Nachsicht für die Götter der Erde, als man seinem System zutrauen sollte. Allein eben diese Furcht vor der Allmacht, welche die Könige und Fürsten an gewisse Pflichten gegen ihre Untertanen binden soll, kann doch auch im Stande der Natur für jeden einzelnen Menschen eine Quelle der Obliegenheiten werden, und so hätten wir abermals ein solennes Recht der Natur, das Hobbes doch nicht zugeben will. – Auf solche Weise kann sich in unseren Tagen jeder Schüler des Naturrechts einen Triumph über Thomas Hobbes erwerben, den er im Grunde doch ihm zu verdanken hat.

Locke, der in denselben verwirrungsvollen Zeitläuften lebte, suchte die Gewissensfreiheit auf eine andere Weise zu schirmen. In seinen Briefen über die Toleranz legt er die Definition zugrunde: Ein Staat sei eine Gesellschaft von Menschen, die sich vereinigen, um ihre zeitliche Wohlfahrt gemeinschaftlich zu befördern. Hieraus folgt alsdann ganz natürlich, daß der Staat sich um die Gesinnungen der Bürger, ihre Glückseligkeit betreffend, gar nicht zu bekümmern, sondern jeden zu dulden habe, der sich bürgerlich gut aufführt, das heißt seinen Mitbürgern, in Absicht ihrer zeitlichen Glückseligkeit, nicht hinderlich ist. Der Staat, als Staat, hat auf keine Verschiedenheit der Religionen zu sehen; denn Religion hat an und für sich auf das Zeitliche keinen notwendigen Einfluß, und steht bloß durch die Willkür der Menschen mit demselben in Verbindung.

Sehr wohl! Ließe sich der Zwist durch eine Worterklärung entscheiden; so wüßte ich keine bequemere, und wenn sich die unruhigen Köpfe seiner Zeit hiermit hätten die Intoleranz ausreden lassen, so würde der gute Locke nicht nötig gehabt haben, sooft ins Elend zu wandern. Allein was hindert uns, fragen jene, daß wir nicht auch unsere ewige Wohlfahrt gemeinschaftlich zu befördern suchen sollten? Und in der Tat, was für Grund haben wir, die Absicht der Gesellschaft bloß auf das Zeitliche einzuschränken? Wenn die Menschen ihre ewige Seligkeit durch öffentliche Vorkehrungen befördern können; so ist es ja ihre natürliche Pflicht es zu tun; ihre vernunftmäßige Schuldigkeit, daß sie sich auch in dieser Absicht zusammentun, und in gesellschaftliche Verbindung treten. Ist aber dieses, und der Staat, als Staat, will sich bloß mit dem Zeitlichen abgeben, so entsteht die Frage: wem sollen wir die Sorge für das Ewige antrauen? – Der Kirche? Nun sind wir auf einmal wieder da, wo wir ausgegangen waren. Staat und Kirche. – Sorge für das Zeitliche und Sorge für das Ewige – bürgerliche und kirchliche Autorität. Jene verhält sich zu dieser, wie die Wichtigkeit des Zeitlichen zur Wichtigkeit des Ewigen. Der Staat ist also der Religion untergeordnet; muß weichen, wenn eine Kollision entsteht. Nun widerstehe, wer da kann, dem Kardinal Bellarmin, mit dem fürchterlichen Gefolge seiner Argumente, daß das Oberhaupt der Kirche, zum Behuf des Ewigen, über alles Zeitliche zu befehlen und also, wenigstens indirekt Bellarmin selbst ward beinahe von dem Papste Sixtus V. verketzert, weil er ihm bloß eine indirekte Macht über das Zeitliche der Könige und Fürsten zuschrieb. Sein Werk ward in das Verzeichnis der Inquisition gesetzt. ein Hoheitsrecht habe, über alle Güter und Gemüter der Welt; daß alle weltlichen Reiche indirekt unter der Botmäßigkeit des geistlichen Einzelherren stünden, und von ihm Befehle annehmen müßten, wenn sie ihre Regierungsform verändern, ihre Könige absetzen und andere an ihrer Stelle einsetzen müßten; weil sehr oft das ewige Heil des Staats auf keine andere Weise erhalten werden könne – und wie die Maximen seines Ordens alle heißen, die Bellarmin in seinem Werke de Romano Pontifice mit so vielem Scharfsinne festsetzt. Alles, was man den Trugschlüssen des Kardinals in sehr weitläufigen Werken entgegengesetzt hat, scheint nicht zum Ziel zu treffen, sobald der Staat die Sorge für die Ewigkeit aus den Händen gibt.

Von einer anderen Seite ist es im genausten Verstande weder der Wahrheit gemäß, noch dem Besten der Menschen zuträglich, daß man das Zeitliche von dem Ewigen so scharf abschneide. Dem Menschen wird im Grunde nie eine Ewigkeit zuteil werden: Sein Ewiges ist bloß ein unaufhörliches Zeitliches. Sein Zeitliches nimmt nie ein Ende, ist also ein wesentlicher Teil seiner Fortdauer, und mit derselben aus einem Stücke. Man verwirrt die Begriffe, wenn man seine zeitliche Wohlfahrt der ewigen Glückseligkeit entgegensetzt. Und diese Verwirrung der Begriffe bleibt nicht ohne praktische Folgen. Sie verrückt den Wirkungskreis der menschlichen Fähigkeiten und spannt seine Kräfte über das Ziel hinaus, das ihm von der Vorsehung mit so vieler Weisheit gesetzt worden. »Auf dem dunkeln Pfade,« man erlaube, daß ich meine eigenen Worte Siehe Anmerkung zu Abbts freundschaftlichen Korrespondenz. S. 28. hier anführe, »auf dem dunkeln Pfade, den der Mensch hier zu wandeln hat, ist ihm gerade so viel Licht beschieden, als zu den nächsten Schritten, die er zu tun hat, nötig ist. Ein Mehreres würde ihn nur blenden, und jedes Seitenlicht nur verwirren.« Es ist nötig, daß der Mensch unaufhörlich erinnert werde, mit diesem Leben sei nicht alles aus für ihn; es stehe ihm eine endlose Zukunft bevor, zu welcher sein Leben hienieden eine Vorbereitung sei, so wie in der ganzen Schöpfung jedes Gegenwärtige eine Vorbereitung aufs Künftige ist. Dieses Leben, sagen die Rabbinen, ist ein Vorgemach, in welchem man sich so anschicken muß, wie man im inneren Zimmer erscheinen will. Aber nun hütet euch auch, dieses Leben mit der Zukunft weiter in Gegensatz zu bringen, und die Menschen auf die Gedanken zu führen: ihre wahre Wohlfahrt in diesem Leben sei nicht einerlei mit ihrer ewigen Glückseligkeit in der Zukunft; ein anderes wäre es für ihr zeitliches, ein anderes für ihr ewiges Wohl sorgen, und es sei möglich, eines zu erhalten, und das andere zu vernachlässigen. Dem Blödsichtigen, der auf schmalem Steige wandeln soll, werden durch dergleichen Vorspiegelungen Standpunkt und Gesichtskreis verrückt, und er ist in Gefahr schwindlig zu werden, und auf ebenem Wege zu stolpern. So mancher getraut sich nicht die gegenwärtigen Wohltaten der Vorsehung zu genießen, aus Besorgnis ebensoviel von denselben dort zu verlieren, und mancher ist ein schlechter Bürger auf Erden geworden, in Hoffnung dadurch ein desto besserer im Himmel zu werden.

Ich habe mir die Begriffe von Staat und Religion, von ihren Grenzen und wechselweisem Einfluß aufeinander, sowohl, als auf die Glückseligkeit des bürgerlichen Lebens, durch folgende Betrachtungen deutlich zu machen gesucht. Sobald der Mensch zur Erkenntnis kommt, daß er, außerhalb der Gesellschaft, so wenig die Pflichten gegen sich selbst und gegen den Urheber seines Daseins, als die Pflichten gegen seinen Nächsten erfüllen, und also ohne Gefühl seines Elends nicht länger in seinem einsamen Zustande bleiben kann; so ist er verbunden, denselben zu verlassen, mit seinesgleichen in Gesellschaft zu treten, um durch gegenseitige Hilfe ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und durch gemeinsame Vorkehrungen ihr gemeinsames Beste zu befördern. Ihr gemeinsames Beste aber begreift das Gegenwärtige sowohl als das Zukünftige, das Geistliche sowohl als das Irdische, in sich. Eins ist von dem anderen unzertrennlich. Ohne Erfüllung unserer Obliegenheiten ist für uns weder hier noch da, weder auf Erden noch im Himmel, ein Glück zu erwarten. Nun gehört zur wahren Erfüllung unserer Pflichten zweierlei: Handlung und Gesinnung. Durch die Handlung geschieht das, was die Pflicht erfordert, und die Gesinnung macht, daß es aus der wahren Quelle komme, das ist aus echten Bewegungsgründen geschehe.

Also Handlungen und Gesinnungen gehören zur Vollkommenheit des Menschen, und die Gesellschaft hat, soviel als möglich, durch gemeinschaftliche Bemühungen für beides zu sorgen; das ist die Handlungen der Mitglieder zum gemeinschaftlichen Besten zu lenken und Gesinnungen zu veranlassen, die zu diesen Handlungen führen. Jenes ist die Regierung, dieses die Erziehung des geselligen Menschen. Zu beiden wird der Mensch durch Gründe geleitet, und zwar zu den Handlungen durch Bewegungsgründe, und zu den Gesinnungen durch Wahrheitsgründe. Die Gesellschaft hat also beide durch öffentliche Anstalten so einzurichten, daß sie zum allgemeinen Besten übereinstimmen.

Die Gründe, welche den Menschen zu vernünftigen Handlungen und Gesinnungen leiten, beruhen zum Teil auf Verhältnissen der Menschen gegeneinander, zum Teil auf Verhältnissen der Menschen gegen ihren Urheber und Erhalter. Jene gehören für den Staat, diese für die Religion. Insoweit die Handlungen und Gesinnungen der Menschen durch Gründe, die aus ihren Verhältnissen gegeneinander fließen, gemeinnützig gemacht werden können, sind sie ein Gegenstand der bürgerlichen Verfassung; insoweit aber die Verhältnisse der Menschen gegen Gott als Quelle derselben angenommen werden, gehören sie für die Kirche, Synagoge oder Moschee. Man liest in so manchen Lehrbüchern des sogenannten Kirchenrechts ernsthafte Untersuchungen: ob auch Juden, Ketzer und Irrgläubige eine Kirche haben können. Nach den unermeßlichen Vorrechten, die die sogenannte Kirche sich anzumaßen pflegt, ist die Frage so ungereimt nicht, als sie einem unbefangenen Leser scheinen muß. Mir kommt es aber, wie leicht zu erachten, auf diesen Unterschied der Benennung nicht an. Öffentliche Anstalten zur Bildung des Menschen, die sich auf Verhältnisse des Menschen zu Gott beziehen, nenne ich Kirche – zum Menschen, Staat. Unter Bildung des Menschen verstehe ich die Bemühung, beides, Gesinnungen und Handlungen, so einzurichten, daß sie zur Glückseligkeit übereinstimmen; die Menschen erziehen und regieren.

Heil dem Staat, dem es gelingt, das Volk durch die Erziehung selbst zu regieren; das heißt, ihm solche Sitten und Gesinnungen einzuflößen, die von selbst zu gemeinnützigen Handlungen führen, und nicht immer durch den Sporn der Gesetze angetrieben zu werden brauchen. – Der Mensch im gesellschaftlichen Leben muß auf manches von seinen Rechten zum allgemeinen Besten Verzicht tun, oder wie man es nennen kann, sehr oft seinen eigenen Nutzen dem Wohlwollen aufopfern. Nun ist er glücklich, wenn diese Aufopferung eigenes Triebes geschieht, und er jedesmal wahrnimmt, daß sie bloß zum Behuf des Wohlwollens von ihm geschehen sei. Wohlwollen macht im Grunde glücklicher als Eigennutz; aber wir müssen uns selbst und die Äußerung unserer Kräfte dabei empfinden. Nicht wie einige Sophisten es auslegen, weil alles am Menschen Eigenliebe ist, sondern weil Wohlwollen kein Wohlwollen mehr ist, weder Wert noch Verdienst mit sich führt, wenn es nicht aus freiem Triebe des Wohlwollenden fließt.

Hierdurch kann man vielleicht auf die bekannte Frage: Welche Regierungsform ist die beste? eine befriedigende Antwort geben. Eine Frage, auf welche bisher sich widersprechende Antworten, mit gleichem Scheine der Wahrheit, gegeben worden sind. Im Grunde ist sie zu unbestimmt, fast so wie jene medizinische Frage von gleicher Art: Welche Speise ist die gesundeste? Jede Komplexion, jedes Klima, jedes Alter, Geschlecht, Lebensart usw. erfordert eine andere Antwort. Ebenso verhält es sich mit unserem politisch-philosophischen Problem. Für jedes Volk, auf jeder Stufe der Kultur, auf welcher es steht, ist eine andere Regierungsform die beste. Manche despotisch regierte Nationen würden höchst elend sein, wenn man sie sich selbst überließe, so elend als manche freigesinnten Republikaner, wenn man sie einem Einzelherrn unterwerfen wollte. Ja –, manche Nation wird, sowie sich Kultur, Lebensart und Gesinnung abändert, auch mit der Regierungsform ändern und in einer Folge von Jahrhunderten den ganzen Zirkel der Regierungsformen, von Anarchie bis zum Despotismus, durch alle Schattierungen und Vermischungen, durchwandern und doch immer die Form gewählt haben, die in solchen Umständen für sie die beste war.

Unter allen Umständen und Bedingungen aber halte ich es für einen untrüglichen Maßstab von der Güte der Regierungsform, je mehr in derselben durch Sitten und Gesinnungen gewirkt, und also durch die Erziehung selbst regiert wird. Mit anderen Worten, je mehr dem Bürger Anlaß gegeben wird, anschauend zu erkennen, daß er auf einige seiner Rechte nur zum allgemeinen Besten Verzicht zu tun, von seinem Eigennutzen nur zum Behuf des Wohlwollens aufzuopfern hat, und also von der einen Seite durch Äußerung des Wohlwollens ebensoviel gewinnt, als er durch die Aufopferung verliert. Ja, daß er durch die Aufopferung selbst noch an innerer Glückseligkeit wuchere indem diese das Verdienst und die Würde der wohltätigen Handlung und also die wahre Vollkommenheit des Wohlwollenden vermehrt. Es ist zum Beispiel nicht ratsam, daß der Staat alle Pflichten der Menschenliebe, bis auf die Almosenpflege, übernehme, und in öffentliche Anstalten verwandele. Der Mensch fühlt seinen Wert, wenn er Mildtätigkeit ausübt; wenn er anschauend wahrnimmt, wie er durch seine Gabe die Not seines Nebenmenschen erleichtert; wenn er gibt, weil er will. Gibt er aber, weil er muß, so fühlt er nur seine Fesseln.

Eine Hauptbemühung des Staats muß es sein, die Menschen durch Sitten und Gesinnungen zu regieren. Nun gibt es kein Mittel, die Gesinnungen, und vermittels derselben die Sitten der Menschen zu verbessern, als Überzeugung. Gesetze verändern keine Gesinnung, willkürliche Strafen und Belohnung erzeugen keine Grundsätze, veredeln keine Sitten. Furcht und Hoffnung sind keine Kriterien der Wahrheit. Erkenntnis, Vernunftgründe, Überzeugung, diese allein bringen Grundsätze hervor, die, durch Ansehen und Beispiel, in Sitten übergehen können. Und hier ist es, wo die Religion dem Staat zu Hilfe kommen, und die Kirche eine Stütze der bürgerlichen Glückseligkeit werden soll. Ihr kommt es zu, das Volk auf die nachdrücklichste Weise von der Wahrheit edler Grundsätze und Gesinnungen zu überführen; ihnen zu zeigen, daß die Pflichten gegen Menschen auch Pflichten gegen Gott seien, die zu übertreten schon an und für sich höchstes Elend sei; daß dem Staate dienen ein wahrer Gottesdienst, Recht und Gerechtigkeit der Befehl Gottes, und Wohltun sein allerheiligster Wille sei, und daß wahre Erkenntnis des Schöpfers keinen Menschenhaß in der Seele zurücklassen könne. Dieses zu lehren ist Amt und Pflicht und Beruf der Religion; dieses zu predigen Amt und Pflicht ihrer Diener. Wie hat es den Menschen beikommen können, jene das Gegenteil lehren, diese das Gegenteil predigen zu lassen?

Wenn aber der Charakter der Nation, der Grad der Kultur, auf welchen sie gestiegen, die mit dem Wohlstande der Nation gewachsene Volksmenge, vervielfältigte Verhältnisse und Verbindungen, überhand genommene Üppigkeit und andere Ursachen es unmöglich machen, die Nation bloß durch Gesinnungen zu regieren, so nimmt der Staat seine Zuflucht zu öffentlichen Anstalten, Zwangsgesetzen, Bestrafungen des Verbrechens und Belohnung des Verdienstes. Wenn der Bürger nicht aus innerem Gefühl seiner Schuldigkeit das Vaterland verteidigen will, so werde er durch Belohnung gelockt oder durch Gewalt gezwungen. Haben die Menschen keinen Sinn mehr für den inneren Wert der Gerechtigkeit, erkennen sie nicht mehr, daß Redlichkeit in Handel und Wandel wahre Glückseligkeit sei, so werde die Ungerechtigkeit gezüchtigt, der Betrug bestraft. Freilich erhält der Staat auf diese Weise den Endzweck der Gesellschaft nur zur Hälfte. Äußere Bewegungsgründe machen den, auf welchen sie auch wirken, nicht glücklich. Wer aus Liebe zur Rechtschaffenheit den Betrug meidet, ist glücklicher, als der nur die willkürlichen Strafen fürchtet, die der Staat mit dem Betrug verbunden. Allein seinem Nebenmenschen kann es gleichviel gelten, aus welchen Bewegursachen das Unrecht unterbleibt, durch welche Mittel ihm sein Recht und Eigentum gesichert wird. Das Vaterland ist verteidigt; die Bürger mögen aus Liebe oder aus Furcht vor positiver Strafe für dasselbe fechten, obgleich die Verteidiger selbst in jenem Falle glücklich, in diesem aber unglücklich sind. Wenn innere Glückseligkeit der Gesellschaft nicht völlig zu erhalten steht, so werde wenigstens äußere Ruhe und Sicherheit allenfalls erzwungen.

Der Staat also begnügt sich allenfalls mit toten Handlungen, mit Werken ohne Geist, mit Übereinstimmung im Tun, ohne Übereinstimmung in Gedanken. Auch wer nicht an Gesetze glaubt, muß nach dem Gesetze tun, sobald es Sanktion erhalten hat. Er kann dem einzelnen Bürger das Recht lassen, über die Gesetze zu urteilen, aber nicht nach seinem Urteile zu handeln; denn hierauf hat er als Mitglied der Gesellschaft Verzicht tun müssen, weil ohne diesen Verzicht eine bürgerliche Gesellschaft ein Unding ist. – Nicht also die Religion! Diese kennt keine Handlung ohne Gesinnung, kein Werk ohne Geist, keine Übereinstimmung im Tun ohne Übereinstimmung im Sinne. Religiöse Handlungen ohne religiöse Gedanken sind leeres Puppenspiel, kein Gottesdienst. Diese müssen also an und für sich selbst aus dem Geiste kommen, und können weder durch Belohnung erkauft, noch durch Strafen erzwungen werden. Aber auch von bürgerlichen Handlungen zieht die Religion ihre Hand ab, insoweit sie nicht durch Gesinnung, sondern durch Macht hervorgebracht werden. Der Staat hat sich auch keine Hilfe mehr von der Religion zu versprechen, sobald er bloß durch Belohnung und Bestrafung wirken kann; denn insoweit dieses geschieht, kommen die Pflichten gegen Gott weiter in keine Betrachtung, sind die Verhältnisse zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer ohne Wirkung. Aller Beistand, den die Religion dem Staate leisten kann, ist belehren und trösten, durch ihre göttlichen Lehren dem Bürger gemeinnützige Gesinnungen beibringen, und durch ihre überirdische Trostgründe den Elenden aufrichten, der als ein Opfer für das gemeine Beste zum Tode verurteilt worden.

Hier zeigt sich schon ein wesentlicher Unterschied zwischen Staat und Religion. Der Staat gebietet und zwingt, die Religion belehrt und überredet, der Staat erteilt Gesetze, die Religion Gebote. Der Staat hat physische Gewalt und bedient sich derselben, wo es nötig ist; die Macht der Religion ist Liebe und Wohltun. Jener gibt den Ungehorsamen auf und stößt ihn aus; diese nimmt ihn in ihren Schoß und sucht ihn noch in dem letzten Augenblicke seines gegenwärtigen Lebens, nicht ganz ohne Nutzen, zu belehren oder doch wenigstens zu trösten. Mit einem Worte: die bürgerliche Gesellschaft kann, als moralische Person, Zwangsrechte haben, und hat diese auch durch den gesellschaftlichen Vertrag wirklich erhalten. Die religiöse Gesellschaft macht keinen Anspruch auf Zwangsrecht und kann durch alle Verträge in der Welt kein Zwangsrecht erhalten. Der Staat besitzt vollkommene, die Kirche bloß unvollkommene Rechte. Um dieses gehörig ins Licht zu setzen, erlaube man mir zu den ersten Begriffen hinaufzusteigen und den Ursprung der Zwangsrechte und Gültigkeit der Verträge unter den Menschen etwas genauer zu untersuchen. Ich bin in Gefahr, für manche Leser zu spekulativ zu werden. Allein hat doch jeder die Freiheit das zu überschlagen, was nicht nach seinem Geschmacke ist. Den Freunden des Naturrechts dürfte es nicht unangenehm sein, zu sehen, wie ich mir die ersten Grundsätze desselben zu erörtern gesucht habe. –

Die Befugnis (das sittliche Vermögen), sich eines Dinges als Mittels zu seiner Glückseligkeit zu bedienen, heißt ein Recht. Das Vermögen aber heißt sittlich, wenn es mit den Gesetzen der Weisheit und Güte bestehen kann, und die Dinge, die als Mittel zur Glückseligkeit dienen können, werden Güter genannt. Der Mensch hat also ein Recht auf gewisse Güter oder Mittel zur Glückseligkeit, insoweit solches den Gesetzen der Weisheit und Güte nicht widerspricht.

Was nach den Gesetzen der Weisheit und der Güte geschehen muß, oder dessen Gegenteil den Gesetzen der Weisheit oder der Güte widersprechen würde: heißt sittlich notwendig. Die sittliche Notwendigkeit (Schuldigkeit), etwas zu tun oder zu unterlassen, ist eine Pflicht.

Die Gesetze der Weisheit und Güte können sich nicht einander widersprechen. Wenn ich also ein Recht habe etwas zu tun, so kann mein Nebenmensch kein Recht haben, mich daran zu verhindern, sonst wäre eben dieselbe Handlung zu einerlei Zeit sittlich möglich und sittlich unmöglich. Einem jeden Rechte entspricht also eine Pflicht; dem Rechte zu tun entspricht die Pflicht zu leiden, dem Rechte zu fordern, die Pflicht zu leisten usw. Man macht den Einwurf: der Kriegsmann habe in währendem Kriege die Befugnis, den Feind umzubringen, ohne daß diesem die Pflicht obliege, solches zu leiden.

Allein der Kriegsmann hat diese Befugnis nicht als Mensch, sondern als Mitglied oder Söldner des kriegführenden Staats. Der Staat nämlich ist entweder wirklich beleidigt, oder gibt vor, beleidigt zu sein und seine Befriedigung nicht anders als durch die Gewalt erhalten zu können. Das Gefecht ist also eigentlich nicht zwischen Mensch und Mensch, sondern zwischen Staat und Staat; und unter den beiden kriegführenden Staaten hat doch offenbar nur einer das Recht auf seiner Seite. Dem Beleidiger liegt allerdings die Pflicht ob, den Beleidigten zu befriedigen und alles zu leiden, ohne welches jener nicht zu seinem gekränkten Rechte gelangen kann.
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Weisheit mit Güte verbunden heißt Gerechtigkeit. – Das Gesetz der Gerechtigkeit, auf welches ein Recht sich gründet, ist entweder von der Beschaffenheit, daß alle Bedingungen, unter welchen das Prädikat dem Subjekte zukommt, dem Rechthabenden gegeben sind oder nicht. In dem ersten Falle ist es ein vollkommenes, in dem anderen ein unvollkommenes Recht. Bei dem unvollkommenen Rechte nämlich hängt ein Teil der Bedingungen, unter welchen das Recht zukommt, von dem Wissen und Gewissen des Pflichtträgers ab. Dieser ist also auch in dem ersten Falle vollkommen, in dem anderen aber nur unvollkommen zu der Pflicht verbunden, die jenem Rechte entspricht. – Es gibt vollkommene und unvollkommene, sowohl Pflichten als Rechte. Jene heißen Zwangsrechte und Zwangspflichten; diese hingegen Ansprüche (Bitten) und Gewissenspflichten. Jene sind äußerlich, diese aber nur innerlich. Zwangsrechte dürfen mit Gewalt erpreßt, Bitten aber verweigert werden. Unterlassung der Zwangspflichten ist Beleidigung, Ungerechtigkeit, der Gewissenspflichten aber bloß Unbilligkeit.

Die Güter, auf welche der Mensch ein ausschließendes Recht hat, sind 1. seine eigenen Fähigkeiten; 2. was er durch dieselben hervorbringt oder dessen Fortkommen er befördert, was er anbaut, hegt, schützt usw. (Produkte seines Fleißes); 3. Güter der Natur, die er mit den Produkten seines Fleißes so verbunden, daß sie von denselben ohne Zerstörung nicht mehr getrennt werden können, die er sich also zu eigen gemacht. Hierin besteht also sein natürliches Eigentum, und diese Güter sind auch im Stande der Natur, bevor noch irgendein Vertrag unter den Menschen stattgefunden, von der ursprünglichen Gemeinschaft der Güter ausgeschlossen worden. Die Menschen besitzen nämlich ursprünglich nur diejenigen Güter gemeinschaftlich, die von der Natur, ohne eines Menschen Fleiß und Beförderung, hervorgebracht werden. – Nicht alles Eigentum ist bloß konventionell.

Der Mensch kann ohne Wohltun nicht glücklich sein, nicht ohne leidendes, aber ebensowenig ohne tätiges Wohltun. Er kann nicht anders, als durch gegenseitigen Beistand, durch Wechsel von Dienst und Gegendienst, durch tätige und leidende Verbindung mit seinem Nebenmenschen, vollkommen werden.

Wenn also der Mensch Güter besitzt oder Mittel zur Glückseligkeit in seinem Vermögen hat, die er entbehren kann, das ist die nicht notwendig zu seinem Dasein erforderlich sind und zu seinem Bessersein dienen, so ist er verpflichtet, solche zum Teil zum Besten seines Nebenmenschen, zum Wohlwollen anzuwenden; denn Bessersein ist von Wohlwollen unzertrennlich.

Er hat aber auch aus ähnlichen Ursachen ein Recht auf seines Nebenmenschen Wohlwollen. Er kann erwarten und Anspruch darauf machen, daß ihm andere mit ihren entbehrlichen Gütern beistehen und zu seiner Vollkommenheit beförderlich sein werden. Man erinnere sich nur immer, was wir unter dem Worte Güter verstehen. Alles innere und äußere Vermögen des Menschen, insoweit es ihm oder anderen ein Mittel zur Glückseligkeit werden kann. Was also der Mensch im Stande der Natur an Fleiß, Vermögen und Kräften besitzt, alles, was er sein nennen kann, ist teils zum Selbstgebrauch (eigenen Nutzen), teils zum Wohlwollen gewidmet.

Wie aber das Vermögen der Menschen eingeschränkt und also erschöpflich ist, so kann dasselbe Vermögen oder Gut zuweilen nicht mir und meinem Nebenmenschen zugleich dienen. So kann ich auch dasselbe Vermögen oder Gut nicht gegen alle meine Nebenmenschen, nicht zu allen Zeiten, auch nicht unter allen Umständen zum besten anwenden; und da ich schuldig bin, von meinen Kräften den bestmöglichsten Gebrauch zu machen, so kommt es auf die Auswahl und nähere Bestimmung an, wieviel von dem Meinigen ich zum Wohlwollen bestimmen soll? Gegen wen? Zu welcher Zeit, und unter welchen Umständen?

Wer soll dieses entscheiden? Wer die Kollisionsfälle schlichten? – Nicht mein Nächster, denn ihm sind nicht alle Gründe gegeben, aus welchen der Streit der Pflichten entschieden werden muß. Zu dem würde jeder andere eben das Recht haben, und wenn von meinen Nebenmenschen jeder zu seinem Vorteil entscheiden sollte, wie wahrscheinlicherweise geschehen dürfte, so wäre die Verlegenheit nicht gehoben.

Mir, und mir allein, kommt also im Stande der Natur das Entscheidungsrecht zu, ob und wieviel, wenn, wem und unter welchen Bedingungen ich zum Wohltun verbunden bin? Und ich kann im Stande der Natur durch keine Zwangsmittel, zu keinerlei Zeit, zum Wohltun angehalten werden. Meine Pflicht wohlzutun, ist bloß Gewissenspflicht, davon ich äußerlich niemand Rechenschaft zu geben habe, sowie mein Recht auf anderer Wohltun bloß ein Recht zu bitten ist, das abgewiesen werden kann. – Im Stande der Natur sind alle positiven Pflichten der Menschen gegeneinander bloß unvollkommene Pflichten, sowie ihre positiven Rechte aufeinander bloß unvollkommene Rechte, keine Pflichten, die erpreßt werden können, keine Rechte, die Zwang erlauben. – Bloß die Unterlassungspflichten und Rechte sind im Stande der Natur vollkommen. Ich bin vollkommen verpflichtet, niemand zu schaden, und vollkommen berechtigt, zu verhindern, daß niemand mir schade. Schaden aber heißt, wie bekannt, wider das vollkommene Recht eines anderen handeln.

Man könnte zwar glauben, die Pflicht zur Entschädigung sei eine positive Pflicht, zu der der Mensch auch im Stande der Natur verbunden ist. Wenn ich meinem Nächsten Schaden zugefügt habe, so bin ich, ohne allen Vertrag, bloß nach den Gesetzen der natürlichen Gerechtigkeit, auch äußerlich verpflichtet, ihm solchen zu ersetzen und kann von ihm mit Gewalt dazu angehalten werden.

Allein die Entschädigung ist zwar eine positive Handlung; die Verbindlichkeit aber zu derselben fließt im Grunde aus der Unterlassungspflicht; beleidige nicht! denn der Schaden, den ich meinem Nächsten zugefügt habe, ist, solange er seiner Wirkung nach nicht aufgehoben wird, als eine fortgesetzte Beleidigung anzusehen. Ich handele also eigentlich wider eine negative Pflicht, solange ich die Entschädigung unterlasse, denn ich fahre fort zu beleidigen. Die Entschädigungspflicht macht also keine Ausnahme von der Regel, daß der Mensch im Stande der Natur unabhängig, das ist niemand positiv verpflichtet sei. Niemand hat ein Zwangsrecht mir vorzuschreiben, wieviel ich von meinen Kräften zum Besten anderer anwenden und wem ich die Wohltat davon angedeihen lassen soll. Auf mein Gutdünken allein muß es ankommen, nach welcher Regel ich die Kollisionsfälle entscheiden will.

Auch das natürliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist diesem allgemeinen Naturgesetz nicht zuwider. Es ist leicht zu erachten, daß nur diejenigen Personen im Stande der Natur unabhängig sind, denen man eine vernunftmäßige Entscheidung der Kollisionsfälle zutrauen kann. Bevor also die Kinder zu den Jahren gelangen, in welchen man ihnen den Gebrauch der Vernunft zutrauen kann, haben sie keinen Anspruch auf Unabhängigkeit, müssen sie von anderen entscheiden lassen, wie und zu welchen Absichten sie ihre Kräfte und Fähigkeiten anwenden sollen. Die Eltern sind ihrerseits auch verbunden, ihre Kinder in der Kunst die Kollisionsfälle vernünftig zu entscheiden, nach und nach zu üben, und so wie ihre Vernunft zunimmt, ihnen auch allmählich den freien, unabhängigen Gebrauch ihrer Kräfte zu überlassen.

Nun sind die Eltern zwar auch im Stande der Natur gegen ihre Kinder zu gewissen Dingen äußerlich verpflichtet, und könnte man glauben, daß dieses eine positive Pflicht sei, die ohne allen Vertrag, nach den ewigen Gesetzen der Weisheit und Güte erzwungen werden könnte. Allein mich dünkt, das Zwangsrecht zur Erziehung der Kinder komme im Stande der Natur bloß den Eltern selbst, einem gegen den anderen, keinem dritten aber zu, der sich etwa der Kinder annehmen und die Erziehung von den Eltern erpressen wollte. Niemand ist im Stande der Natur befugt, die Eltern zur Erziehung ihrer Kinder mit Gewalt anzuhalten. Daß aber die Eltern selbst gegeneinander dieses Zwangsrecht haben, fließt aus der Verabredung, die sie, obschon nicht in Worten, doch durch die Handlung selbst, getroffen zu haben, vorausgesetzt wird.

Wer ein zur Glückseligkeit fähiges Wesen hervorbringen hilft, ist nach dem Gesetze der Natur verbunden, die Glückseligkeit desselben zu befördern, solange es selbst noch in dem Stande nicht ist, für sein Fortkommen zu sorgen. Dieses ist die natürliche Pflicht der Erziehung, die zwar an und für sich bloß eine Gewissenspflicht ist, durch die Handlung selbst aber haben die Eltern sich verstanden, einander hierin beizustehen, das ist dieser ihrer Gewissenspflicht gemeinschaftlich Genüge zu leisten. Mit einem Worte: die Eltern sind durch die Beiwohnung selbst in den Stand der Ehe getreten, haben einen stillschweigenden Vertrag gemacht, das zur Glückseligkeit bestimmte Wesen, das sie gemeinschaftlich hervorbringen, auch gemeinschaftlich der Glückseligkeit fähig zu machen, das ist zu erziehen.

Aus diesem Grundsatze fließen alle Pflichten und Rechte des Ehestandes ganz natürlich, und es ist nicht nötig, wie die Rechtslehrer zu tun pflegen, ein doppeltes Prinzipium anzunehmen, um alle Pflichten der Ehe und des Hausstandes aus demselben herzuleiten. Die Pflicht zur Erziehung folgt aus der Verabredung, Kinder zu erzeugen, und die Schuldigkeit in einen gemeinschaftlichen Hausstand zu treten, aus der gemeinschaftlichen Pflicht zur Erziehung. Die Ehe ist also im Grunde nichts anderes, als eine Verabredung zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, gemeinschaftlich Kinder zur Welt zu bringen; und hierauf beruht das ganze System ihrer gegenseitigen Pflichten und Rechte.


Fußnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re. für Gutenberg

Wenn Subjekte von verschiedenen Religionen in ein Ehebündnis treten, so wird beim Kontrakte verabredet, nach welchen Grundsätzen der Hausstand geführt und die Kinder erzogen werden sollen. Wie aber, wenn Mann oder Weib nach vollzogener Heirat Grundsätze ändern und zu einer anderen Religion übergehen? Gibt dieses der anderen Partei ein Recht, auf die Scheidung zu dringen? In einer kleinen Schrift Das Forschen nach Licht und Recht. Berlin, bei Friedrich Maurer. 1782., die zu Wien geschrieben sein will, und deren ich in dem zweiten Abschnitte mit mehrerem zu erwähnen Gelegenheit haben werde, wird gesagt, daß der Fall jetzt daselbst vorliege. Ein Jude, der zur christlichen Religion übergegangen, soll ausdrücklich begehren, seine bei der jüdischen Religion gebliebene Ehefrau zu behalten, und der Prozeß soll anhängig gemacht sein. Genannter Verfasser entscheidet nach dem System der Freiheit. »Man vermutet mit Recht,« spricht er, »daß die Verschiedenheit der Religion für keine gültige Ursache zur Ehescheidung erkannt werden werde. Nach den Grundsätzen des weisen Josephs dürfte wohl Unterschied in kirchlichen Meinungen nicht gesellschaftlichen Banden entgegenstehen dürfen.«

Sehr übereilt, wie mich dünkt. Ich hoffe, ein ebenso gerechter als weiser Imperator wird auch die Gegengründe anhören, und nicht zugeben, daß das System der Freiheit zur Bedrückung und Gewalttätigkeit mißbraucht werde. – Ist die Ehe bloß ein bürgerlicher Kontrakt, wie doch zwischen Jude und Jüdin, selbst nach katholischen Grundsätzen, die Ehe nichts anderes sein kann, so müssen die Worte und Bedingungen des Kontrakts nach dem Sinne der Kontrahenten ausgelegt und erklärt werden, nicht nach dem Sinne des Gesetzgebers oder Richters. Wenn nach den Grundsätzen der Kontrahenten mit Zuverlässigkeit behauptet werden kann, daß sie gewisse Worte so und nicht anders verstanden, und wenn sie gefragt worden wären, so und nichts anders erklärt haben würden, so muß diese moralisch gewisse Erklärung, als eine stillschweigende, vorausgesetzte Bedingung des Kontrakts angenommen, vor Gericht ebenso gültig sein, als wenn sie ausdrücklich verabredet worden wäre. Nun ist offenbar, daß das Ehepaar bei Schließung des Kontrakts, da sie beiderseits, wenigstens äußerlich, noch der jüdischen Religion zugetan gewesen, keinen anderen Sinn gehabt, als den gemeinschaftlichen Hausstand nach jüdischen Lebensregeln zu führen und die Kinder nach jüdischen Grundsätzen zu erziehen. Wenigstens hat die Partei, der es um die Religion ein Ernst war, nichts anderes voraussetzen können, und wäre damals eine Veränderung von dieser Art besorglich gewesen und die Bedingung zur Sprache gekommen, sie würde sich sicherlich nicht anders erklärt haben. Sie wußte und erwartete nichts anderes, als einen Hausstand nach väterlichen Lebensregeln anzutreten und Kinder zu erzeugen, die sie nach väterlichen Grundsätzen würde erziehen können. Wenn dieser Person der Unterschied wichtig ist, wenn es notorisch ist, daß ihr der Unterschied der Religion bei Schließung des Kontrakts hat wichtig sein müssen, so muß der Kontrakt nach ihren Begriffen und Gesinnungen erklärt werden. Gesetzt der ganze Staat habe hierin andere Gesinnungen, so hat dieses keinen Einfluß auf die Deutung des Vertrages. Der Mann verändert Grundsätze und nimmt eine andere Religion an. Soll die Frau gezwungen werden in einen Hausstand zu treten, dem ihr Gewissen zuwider ist, und ihre Kinder nach Grundsätzen zu erziehen, die nicht die ihrigen sind; mit einem Worte, Bedingungen des Ehekontrakts anzunehmen und sich aufdrängen zu lassen, zu welchen sie sich niemals verstanden hat so geschieht ihr offenbar Unrecht; so läßt man sich offenbar durch Vorspieglung der Gewissensfreiheit zum widersinnigsten Gewissenszwange verleiten. Die Bedingungen des Kontrakts können nun nicht mehr erfüllt werden. Der Mann, der Grundsätze verändert hat, ist, wo nicht in dolo, doch wenigstens in culpa, daß solche nicht mehr in Erfüllung gebracht werden können. Muß die Frau Gewissenszwang leiden, weil der Mann Gewissensfreiheit haben will? Wo hat sie sich hierzu verstanden oder verstehen können? Ist nicht auch von ihrer Seite das Gewissen ungebunden, und muß die Partei, welche die Veränderung verursacht hat, nicht auch für die Folgen dieser Veränderung stehen, den Gegenteil schadlos halten und, soviel es sich tun läßt, wieder in den vorigen Stand setzen? Mich dünkt, nichts sei einfacher, und die Sache rede für sich selber. Niemand kann gezwungen werden Bedingungen eines Kontrakts anzunehmen, zu welchen er sich, seinen Grundsätzen nach, nicht hat verstehen können.

An Erziehung der gemeinschaftlichen Kinder haben beide Teile gleiches Recht. Hätten wir unparteiische Erziehungsanstalten, so müßten in solchen streitigen Fällen die Kinder so lange unparteiisch erzogen werden, bis sie zur Vernunft kommen und selbst wählen. Solange aber dafür noch nicht gesorgt worden, solange noch unsere Erziehungsanstalten mit der positiven Religion in Verbindung stehen, hat derjenige Teil ein offenbares Vorrecht, der bei den vorigen Grundsätzen geblieben ist, und solche nicht verändert hat. Auch dieses folgt ganz natürlich aus obigen Grundsätzen, und es ist gewaltsame Anmaßung und Religionsdruck, wenn irgendwo das Gegenteil geschieht. Ein ebenso gerechter als weiser Joseph wird sicherlich diesen gewaltsamen Mißbrauch der Kirchenmacht in seinen Staaten nicht zulassen.


Daß aber die Menschen durch Verabredung den Stand der Natur verlassen, und in den Stand der Gesellschaft treten, wird in der Folge gezeigt werden. Mithin ist auch die Erziehungspflicht der Eltern, ob sie schon in gewisser Betrachtung eine Zwangspflicht zu nennen ist, keine Ausnahme von dem angeführten Naturgesetz, daß der Mensch im Stande der Natur unabhängig sei, und ihm allein das Recht zukomme, die Kollisionsfälle zwischen Selbstgebrauch und Wohlwollen zu entscheiden.

In diesem Rechte besteht die natürliche Freiheit des Menschen, die einen großen Teil seiner Glückseligkeit ausmacht. Die Unabhängigkeit gehört also zu seinen eigentümlichen Gütern, deren er sich als Mittel zu seiner Glückseligkeit zu bedienen befugt ist, und wer ihn in dem Gebrauch derselben stört, der beleidigt ihn und begeht eine äußerliche Ungerechtigkeit. Der Mensch im Stande der Natur ist Herr über das Seinige, über den freien Gebrauch seiner Kräfte und Fähigkeiten, über den freien Gebrauch alles dessen, so er durch dieselben hervorgebracht (das ist der Früchte seines Fleißes), oder mit den Früchten seines Fleißes auf eine unzertrennliche Weise verbunden hat, und es hängt von ihm ab, wieviel, wenn und zum Besten wessen von seinen Nebenmenschen er einiges von diesen Gütern, das ihm entbehrlich ist, ablassen will. Alle seine Nebenmenschen haben bloß auf seinen Überfluß ein unvollkommenes Recht, ein Recht zu bitten, und er, der unumschränkte Herr, trägt die Gewissenspflicht, einen Teil seiner Güter dem Wohlwollen zu widmen; ja bisweilen ist er verbunden, seinen Eigengebrauch sogar dem Wohlwollen aufzuopfern; insoweit die Ausübung des Wohlwollens glücklicher macht als Eigennutz. Nur muß diese Aufopferung eigenen Willens und aus freiem Triebe geschehen. Alles dieses scheint keinen Zweifel mehr zu leiden. Allein ich tue einen Schritt weiter.

Sobald dieser Unabhängige einmal ein Urteil gefällt hat, so muß es gültig sein. Habe ich im Stande der Natur den Fall entschieden, wem, wenn und wieviel ich von dem meinigen überlassen will; habe ich diesen meinen freien Entschluß hinlänglich zu erkennen gegeben, und mein Nächster, dem zum Besten der Ausspruch geschehen, hat das Gut in Empfang genommen, so muß die Handlung Kraft und Wirkung haben, wenn mein Entscheidungsrecht etwas bedeuten soll. Wenn mein Ausspruch unkräftig ist, und die Sachen so läßt, wie sie gewesen sind, wenn er nicht in Ansehung des Rechts diejenige Veränderung hervorbringt, die ich beschlossen, so enthält mein vermeintes Recht, den Ausspruch zu tun, einen offenbaren Widerspruch. Meine Entscheidung muß also wirken, muß den Zustand des Rechts verändern. Das Gut, wovon die Rede ist, muß aufhören das Meine zu sein und nunmehr wirklich meines Nächsten geworden sein. Das vorhin unvollkommen gewesene Recht meines Nächsten muß durch diese Handlung ein vollkommenes Recht geworden, sowie mein vollkommen gewesenes Recht in ein unvollkommenes übergegangen sein, sonst wäre meine Entscheidung null. Nach vollzogener Handlung also kann ich das abgetretene Gut, ohne Ungerechtigkeit, mir nicht mehr anmaßen; und wenn ich es tue, so beleidige ich, so handle ich wider das vollkommene Recht meines Nächsten.

Dieses gilt sowohl von körperlichen beweglichen Gütern, die von Hand in Hand gegeben und angenommen werden können, als von unbeweglichen oder auch geistigen Gütern, davon die Rechte bloß durch hinlängliche Willenserklärung abgetreten und angenommen werden können. Im Grunde kommt alles bloß auf diese Willenserklärung an, und die wirkliche Einhändigung beweglicher Güter selbst kann nur gültig sein, insoweit sie für ein Zeichen der hinlänglichen Willenserklärung genommen wird. Die bloße Einhändigung an und für sich betrachtet, gibt und nimmt kein Recht, sooft diese Absicht nicht damit verbunden ist. Was ich meinem Nächsten in die Hand gebe, habe ich ihm deswegen noch nicht eingehändigt, und was ich von ihm in die Hand nehme, habe ich damit noch nicht rechtskräftig angenommen, wenn ich nicht zu erkennen gegeben, daß die Handlung in dieser Absicht geschehen sei. Ist aber die Tradition selbst bloß als Zeichen gültig, so können bei solchen Gütern, wo die wirkliche Aushändigung nicht stattfindet, andere bedeutende Zeichen dafür genommen werden. Man kann also sein Recht auf unbewegliche oder auch unkörperliche Güter durch hinlänglich verständliche Zeichen anderen abtreten und überlassen.

Auf diese Weise kann das Eigentum von Person zu Person wandern. Was ich durch meinen Fleiß zu dem Meinigen gemacht, wird durch Abtreten das Gut eines anderen, das ich ihm nicht wieder nehmen kann, ohne eine Ungerechtigkeit zu begehen.

Und nun noch einen Schritt näher, so steht die Gültigkeit der Verträge auf sicheren Füßen. – Das Recht, die Kollisionsfälle zu entscheiden, selbst ist, wie oben gezeigt worden, ein unkörperliches Gut des unabhängigen Menschen, insoweit es ein Mittel zu seiner Glückseligkeit werden kann. Jeder Mensch hat im Stande der Natur auf den Genuß dieses Mittels zur Glückseligkeit ein vollkommenes, und sein Nebenmensch ein unvollkommenes Recht. Da aber der Genuß dieses Rechtes wenigstens in vielen Fällen zur Erhaltung nicht unumgänglich notwendig ist, so ist es ein entbehrliches Gut, das, vermöge des Erwiesenen, abgetreten, und vermittels einer hinlänglichen Willenserklärung, einem anderen überlassen werden kann. Eine Handlung, wodurch dieses geschieht, heißt ein Versprechen, und wenn von der anderen Seite die Annahme hinzukommt, das ist die Einwilligung in dieses Übertragen der Rechte hinlänglich zu erkennen gegeben wird, so entsteht ein Vertrag. Demnach ist ein Vertrag nichts anderes, als von der einen Seite die Überlassung, und von der anderen Seite die Annahme des Rechts, in Absicht auf gewisse, dem Versprecher entbehrliche Güter, die Kollisionsfälle zu entscheiden.

Ein solcher Vertrag muß, vermöge des vorhin Erwiesenen, gehalten werden. Das Entscheidungsrecht, welches vorhin einen Teil meiner Güter ausmachte, das ist das Meine war, ist durch diese Abtretung das Gut meines Nächsten, das Seine geworden, und ich kann es ihm ohne Beleidigung nicht wieder entziehen. Den Anspruch, den er auf den Gebrauch dieser meiner Unabhängigkeit, insoweit sie nicht zu meiner Erhaltung notwendig ist, sowie jeder andere machen konnte, ist durch diese Handlung in ein vollkommenes Recht übergegangen, das er sich mit Gewalt zu erzwingen befugt ist. Dieser Erfolg ist unstreitig, sobald mein Entscheidungsrecht Kraft und Wirkung haben soll – Auf diese sehr einleuchtende Auseinandersetzung der Begriffe bin ich von dem philosophischen Rechtsgelehrten, meinem sehr werten Freunde, dem Herrn Assistenzrat Klein, geführt worden, mit dem ich das Vergnügen gehabt, mich über diese Materie zu unterhalten. Mich dünkt, diese Theorie der Kontrakte sei einfach und fruchtbar. Fergouson in seiner Moralphilosophie und sein vortrefflicher Übersetzer finden die Notwendigkeit, das Versprechen zu halten, in der bei dem Nebenmenschen erregten Erwartung und Unsittlichkeit der Täuschung. Allein hieraus scheint bloß eine Gewissenspflicht zu folgen. Was ich vorhin im Gewissen verbunden gewesen, von meinen Gütern zum Besten meiner Nebenmenschen überhaupt hinzugeben, bin ich durch die bei diesem Subjekt insbesondere erregte Erwartung im Gewissen verbunden, ihm zukommen zu lassen. Wodurch aber ist diese Gewissenspflicht in eine Zwangspflicht übergegangen? Mich dünkt, hierzu gehören unumgänglich die allhier ausgeführten Grundsätze der Abtretung überhaupt und insbesondere der Entscheidungsrechte in Kollisionsfällen..

Ich verlasse meine spekulativen Betrachtungen, und komme in mein voriges Gleis zurück; muß aber vorher die Bedingungen festsetzen, unter welchen nach obigen Grundsätzen ein Vertrag gültig sei und gehalten werden müsse.

1. Cajus besitzt ein Gut (irgendein Mittel zur Glückseligkeit: den Gebrauch seiner natürlichen Fähigkeiten selbst, oder das Recht auf die Früchte seines Fleißes, und die damit verbundenen Güter der Natur, oder was sonst auf eine gerechte Weise ihm zu eigen geworden; es sei solches ein körperliches oder unkörperliches Ding, als nämlich Gerechtsame, Freiheiten und dergleichen).

2. Dieses Gut aber gehört nicht unumgänglich zu seinem Dasein, und kann also zum Besten des Wohlwollens, das ist zum Nutzen anderer angewendet werden.

3. Sempronius hat auf dieses Gut ein unvollkommenes Recht. Er kann, sowie jeder andere Mensch, verlangen, aber nicht zwingen, daß dieses Gut jetzt zu seinem Besten angewendet werde. Das Recht zu entscheiden gehört dem Cajus, ist das seine, und darf ihm mit Gewalt nicht entzogen werden.

4. Nunmehr bedient sich Cajus seines vollkommenen Rechts, entscheidet zum Vorteil des Sempronius, und gibt seine Entscheidung durch hinlängliche Zeichen zu erkennen, das ist Cajus verspricht.

5. Sempronius nimmt an und gibt seine Einwilligung gleichfalls auf eine bedeutende Weise zu verstehen.

So ist der Ausspruch des Cajus wirksam und von Kraft, das ist jenes Gut, das ein Eigentum des Cajus, das Seine gewesen ist, ist durch diese Handlung zum Gute des Sempronius geworden. Das vollkommene Recht des Cajus ist in ein unvollkommenes übergegangen; so wie das unvollkommene Recht des Sempronius in ein vollkommenes Zwangsrecht verwandelt worden ist.

Cajus muß sein rechtskräftiges Versprechen halten, und Sempronius kann ihn, im Verweigerungsfalle, mit Gewalt dazu zwingen.

Durch Verabredungen dieser Art verläßt der Mensch den Stand der Natur und tritt in den Stand der gesellschaftlichen Verbindung; und seine eigene Natur treibt ihn an, Verbindungen mancherlei Art einzugehen, um seine schwankenden Rechte und Pflichten in etwas Bestimmtes zu verwandeln. Nur der Wilde klebt, wie das Vieh, an dem Genusse des gegenwärtigen Augenblickes. Der gesittete Mensch lebt auch für die Zukunft, und will auch für den nächsten Augenblick worauf Rechnung machen können. Schon der Vermehrungstrieb, wenn er nicht bloß viehischer Instinkt sein soll, zwingt die Menschen, wie wir oben gesehen, zu einem gesellschaftlichen Vertrage, davon man sogar bei vielen Tieren etwas Analogisches findet.

Laßt uns von dieser Theorie der Rechte, Pflichten und Verträge die Anwendung auf den Unterschied zwischen Staat und Kirche machen, davon wir ausgegangen sind. Beide, Staat und Kirche, haben sowohl Handlungen, als Gesinnungen zu ihrem Gegenstande: jene insoweit sie sich auf Verhältnisse zwischen Mensch und Natur, diese insoweit sie sich auf Verhältnisse zwischen Natur und Gott gründen. Die Menschen bedürfen einander, hoffen und versprechen, erwarten und leisten einer dem anderen Dienst und Gegendienst. Die Vermischung von Überfluß und Mangel, Kraft und Bedürfnis, Eigensucht und Wohlwollen, die ihnen die Natur gegeben, treibt sie an, in gesellschaftliche Verbindung zu treten, um ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen weiteren Spielraum zu verschaffen. Jedes Individuum ist verbunden, einen Teil seiner Fähigkeiten und der dadurch erworbenen Rechte, zum Besten der verbundenen Gesellschaft anzuwenden; aber welchen? wenn? und zu welchem Endzwecke? – An und für sich sollte dieses nur der bestimmen, der leisten soll. Man kann aber auch für gut finden, auf dieses Recht der Unabhängigkeit durch einen gesellschaftlichen Vertrag Verzicht zu tun, und durch Positivgesetze diese unvollkommene Pflichten in vollkommene verwandeln, das ist man kann die näheren Bestimmungen verabreden und festsetzen, wieviel jedes Mitglied von seinen Rechten zum Nutzen der Gesellschaft zu verwenden, soll gezwungen werden können. Der Staat, oder die den Staat vorstellen, werden als eine moralische Person betrachtet, die über diese Rechte zu schalten hat. Der Staat hat also Rechte und Gerechtsame auf Güter und Handlungen der Menschen. Er kann nach dem Gesetze geben und nehmen, vorschreiben und verbieten, und weil es ihm auch um Handlung als Handlung zu tun ist, bestrafen und belohnen. Der Pflicht gegen meinen Nächsten geschieht äußerlich Genüge, wenn ich ihm leiste, was ich soll; meine Handlung mag erzwungen oder freiwillig sein. Kann nun der Staat nicht durch innere Triebfedern wirken, und dadurch für mich mit sorgen, so wirkt er wenigstens durch äußere, und verhilft meinem Nächsten zu dem Seinigen.

Nicht also die Kirche! Sie beruht auf dem Verhältnis zwischen Gott und Menschen. Gott ist kein Wesen, das unseres Wohlwollens bedarf, unseren Beistand fordert, auf irgendeines von unseren Rechten zu seinem Gebrauch Anspruch macht, oder dessen Rechte mit den unserigen je in Streit und Verwirrung geraten können. Auf diese irrigen Begriffe hat die in mancher Betrachtung unbequeme Einteilung der Pflichten gegen Gott und Pflichten gegen die Menschen, führen müssen. Man hat die Parallele zu weit gezogen. Gegen Gott – gegen Menschen – dachte man. So wie wir aus Pflicht gegen unseren Nächsten etwas von dem Unsrigen aufopfern und hingeben, so auch aus Pflicht gegen Gott. Die Menschen fordern Dienst, so auch Gott. Die Pflicht gegen mich selbst kann mit der Pflicht gegen meinen Nächsten in Streit und Gegenstoß geraten; eben also die Pflicht gegen mich selbst, mit der Pflicht gegen Gott. – Niemand wird sich ausdrücklich dazu verstehen, wenn ihm diese ungereimten Sätze in trockenen Worten vorgehalten werden, und gleichwohl hat jedermann mehr oder weniger davon gleichsam eingesogen, und seine inneren Säfte damit angesteckt. Aus dieser Quelle flossen alle ungerechten Anmaßungen, die sich sogenannte Diener der Religion, unter dem Namen der Kirche, von jeher erlaubt. Alle Gewalttätigkeit und Verfolgung, die sie ausgeübt, aller Zwist und Zwiespalt, Meuterei und Aufruhr, die sie angezettelt haben, und alle Übel, die von jeher unter dem Scheine der Religion, von ihren grimmigsten Feinden, von Heuchelei und Menschenfeindschaft, ausgeübt worden, sind einzig und allein Früchte dieser armseligen Sophisterei; eines vorgespiegelten Konfliktes zwischen Gott und Menschen, Rechten der Gottheit und Rechten des Menschen.

Im Grunde machen in dem System der menschlichen Pflichten die gegen Gott keine besondere Abteilung; sondern alle Pflichten des Menschen sind Obliegenheiten gegen Gott. Einige derselben gehen uns selbst, andere unsere Nebenmenschen an. Wir sollen, aus Liebe zu Gott, uns selbst vernünftig lieben, seine Geschöpfe lieben; so wie wir aus vernünftiger Liebe zu uns selbst verbunden sind, unsere Nebenmenschen zu lieben.

Das System unserer Pflichten hat ein doppeltes Prinzipium; das Verhältnis zwischen Menschen und Natur, und das Verhältnis zwischen Geschöpf und Schöpfer. Jenes ist Moralphilosophie, dieses Religion, und demjenigen, der von der Wahrheit überführt ist, daß die Naturverhältnisse nichts anderes sind, als Äußerungen des göttlichen Willens, dem fallen auch diese beiden Prinzipien ineinander, dem ist Sittenlehre der Vernunft heilig, wie Religion. Auch heischt die Religion, oder das Verhältnis zwischen Gott und Menschen keine anderen Pflichten; sondern gibt jenen Pflichten und Obliegenheiten nur erhabenere Sanktion. Gott bedarf unseres Beistandes nicht; verlangt keinen Dienst von uns Die Wörter Dienst, Ehre u. a. haben in Beziehung auf Gott eine ganz andere Bedeutung, als in Beziehung auf Menschen. Gottesdienst ist nicht Dienst, den ich Gott erzeige, Ehre Gottes nicht Ehre, die ich Gott antue. Man hat, um die Worte zu retten, ihre Bedeutung geändert. Der gemeine Mann aber klebt noch immer an der ihm gewöhnlichen Bedeutung, und hängt noch immer fest an seinem Sprachgebrauch, woraus in Religionssachen viele Verwirrungen entstanden sind., keine Aufopferung unserer Rechte zu seinem Besten, keinen Verzicht auf unsere Unabhängigkeit zu seinem Vorteil. Seine Rechte können mit den unserigen nie in Streit und Irrung kommen. Er will nur unser Bestes, eines jeden einzelnen Bestes, und dieses muß ja mit sich selbst bestehen, kann sich ja selbst nicht widersprechen. –

Alle diese Gemeinörter sind so trivial, daß der gesunde Menschenverstand sich wundert, wie man je hat anderer Meinung sein können; und gleichwohl haben die Menschen von jeher wider diese einleuchtenden Grundsätze gehandelt; und wohl ihnen! wenn sie im Jahre 2240 aufhören werden, dawider zu handeln.

Die nächste Folge aus diesen Maximen ist, wie mich dünkt, offenbar, daß die Kirche kein Recht habe auf Gut und Eigentum, keinen Anspruch auf Beitrag und Verzicht; daß ihre Gerechtsame mit den unserigen niemals in Irrung geraten, daß also zwischen Kirche und Bürger nie Kollisionsfälle vorkommen können. Ist aber dieses, so findet auch zwischen Kirche und Bürger kein Vertrag statt; denn alle Verträge setzen Kollisionsfälle voraus, die zu entscheiden sind. Wo keine unvollkommene Rechte statthaben, entstehen keine Kollisionen der Ansprüche, und wo nicht Ansprüche gegen Ansprüche entschieden werden sollen, da ist Vertrag ein Unding.

Alle menschliche Verträge haben also der Kirche kein Recht auf Gut und Eigentum beilegen können, da sie ihrem Wesen nach auf keins derselben Anspruch machen, oder ein unvollkommenes Recht haben kann. Ihr kann also niemals ein Zwangsrecht zukommen, und den Mitgliedern kann keine Zwangspflicht gegen dieselbe aufgelegt werden. Alle Rechte der Kirche sind Vermahnen, Belehren, Stärken und Trösten, und die Pflichten der Bürger gegen die Kirche sind ein geneigtes Ohr und ein williges Herz Der Psalmist singt:

Dir gefällt nicht Opfer, nicht Geschenk.
Ohren hast du mir gegraben!

(Ps. 40, 7.)
. So hat auch die Kirche kein Recht Handlungen zu belohnen oder zu bestrafen. Die bürgerlichen Handlungen gehören dem Staat, und die eigentlichen religiösen Handlungen leiden, ihrer Natur nach, weder Zwang noch Bestechung. Sie fließen entweder aus freiem Antriebe der Seele, oder sind ein leeres Spiel, und dem wahren Geiste der Religion zuwider.

Wenn aber die Kirche kein Eigentum hat, wer besoldet die Lehrer der Religion? Wer lohnet die Prediger der Gottesfurcht? – Religion und Sold – Lehren der Tugend und Bezahlung – Predigten der Gottesfurcht und Lohn. Die Begriffe scheinen sich einander zu fliehen. Was verspricht sich der Lehrer der Weisheit und Tugend für Wirkung, sobald er bezahlt wird, und den Meistbietenden feil ist? Was der Prediger der Gottesfurcht für Eindruck, wenn er nach Lohn ausgehet? – Siehe, ich lehre euch Gesetze und Rechte, so wie mich der Ewige mein Gott usw. (V. B. M. C. 4, 5.) So wie mich mein Gott; erklären die Rabbinen, wie er mich, ohne Entgelt; so ich euch, und so auch ihr die Eurigen. Bezahlen, Lohnen, ist für diese erhabene Beschäftigung so unnatürlich mit der Lebensart, welche diese Beschäftigung erfordert, so unvereinbar, daß die mindeste Anhänglichkeit an Gewinnen und Erwerben diesen Stand zu erniedrigen scheint. Das Verlangen nach Reichtum, das man jedem anderen Stande gern zugute hält, scheint uns bei diesem Geiz und Habsucht, oder artet bei Männern, die sich diesem edlen Geschäfte widmen, wirklich gar bald in Geiz und Habsucht aus, weil es ihrem Berufe so widernatürlich ist. Höchstens kann ihnen Entschädigung für Zeitversäumnis eingeräumt werden, und diese auszumitteln und zu erteilen, ist ein Geschäft des Staats, nicht der Kirche. Was hat die Kirche mit Dingen zu schaffen, die feil sind, bedungen und bezahlt werden? Die Zeit macht einen Teil von unserem Vermögen aus, und wer sie zum gemeinen Besten anwendet, darf hoffen, aus dem gemeinen Schatze dafür entschädigt zu werden. Die Kirche lohnt nicht, die Religion kauft nichts, bezahlt nichts, gibt keinen Sold.

Dieses sind, meinem Bedünken nach, die Grenzen zwischen Staat und Kirche, insoweit sie auf die Handlungen der Menschen Einfluß haben. In Absicht auf Gesinnungen treten sie schon etwas näher zusammen; denn hier hat der Staat keine anderen Wirkungsmittel, als die Kirche. Beide müssen unterrichten, belehren, aufmuntern, veranlassen; aber weder belohnen, noch bestrafen; weder zwingen noch bestechen; denn auch der Staat hat durch keinen Vertrag das mindeste Zwangsrecht über Gesinnungen erlangen können. Überhaupt kennen die Gesinnungen der Menschen kein Wohlwollen, leiden keinen Zwang. Ich kann auf keine meiner Gesinnungen, als Gesinnung betrachtet, aus Liebe zu meinem Nächsten Verzicht tun; kann ihm keinen Anteil an meiner Urteilskraft aus Wohlwollen überlassen und abtreten, und ebenso wenig ein Recht auf seine Gesinnungen mir anmaßen, oder auf irgendeine Weise erwerben. Das Recht auf unsere eigene Gesinnungen ist unveräußerlich, kann nicht von Person zu Person wandern; denn es gibt und nimmt keinen Anspruch auf Vermögen, Gut und Freiheit. Daher das mindeste Vorrecht, das ihr euern Religions- und Gesinnungsverwandten öffentlich einräumt, eine indirekte Bestechung; die mindeste Freiheit, die ihr den Dissidenten entzieht, eine indirekte Bestrafung zu nennen ist, und im Grunde dieselbe Wirkung hat, als eine direkte Belohnung des Einstimmens, und Bestrafung des Widerspruchs. Es ist armseliges Blendwerk, wenn in einigen Lehrbüchern des Kirchenrechts so sehr auf den Unterschied zwischen Belohnung und Vorrecht, Bestrafung und Einschränkung gedrungen wird. Den Sprachforschern kann diese Bemerkung nützlich sein; allein dem Elenden, der die Rechte der Menschheit entbehren muß, weil er nicht sagen kann: ich glaube, wo er nicht glaubt; nicht mit dem Munde Muselmann und im Herzen Christ sein will, dem bringt diese Distinktion nur leidigen Trost. Und welches sind die Grenzen der Vorrechte auf der einen, und der Einschränkung auf der anderen Seite? Mit einer mäßigen Gabe von Dialektik erweitert man diese Begriffe, und dehnt sie so lange aus, bis sie auf der einen Seite bürgerliche Glückseligkeit, auf der anderen Unterdrückung, Verbannung und Elend werden Ein Kollegium von gelehrten und angesehenen Männern, in einem übrigens ziemlich duldsamen Staate, ließ vor einiger Zeit gewisse Dissidenten für die Approbation doppelte Gebühren bezahlen, und als sie von der Obrigkeit deswegen zur Rede gestellt wurden, war die Entschuldigung, jene wären doch überall im bürgerlichen Leben deterioris Conditionis. Das Sonderbarste ist, daß es bis auf den heutigen Tag bei der Erhöhung der Gebühren geblieben sein soll.. Furcht und Hoffnung wirken auf den Begehrungstrieb der Menschen; Vernunftgründe auf sein Erkenntnisvermögen. Ihr ergreifet die unrechten Mittel, wenn ihr die Menschen durch Furcht und Hoffnung zur Annahme oder zur Verwerfung gewisser Lehrsätze führen wollt. Ja, wenn auch dieses geradezu eure Absicht nicht ist, so hindert ihr selbst doch eure besseren Absichten, wenn ihr Furcht und Hoffnung nicht so weit zu entfernen sucht, als nur immer möglich ist. Ihr bestechet und verführt euer eigenes Herz, oder euer Herz hat euch verführt, wenn ihr glaubt, Prüfung der Wahrheit könne bestehen, Freiheit der Untersuchung bleibe ungekränkt, wenn hier Stand und Würden, dort Verachtung und Dürftigkeit die Untersuchenden erwarten. Vorstellung des Guten und Bösen sind Werkzeug für den Willen; der Wahrheit und Unwahrheit für den Verstand. Wer auf den Verstand wirken will, lege jenes Werkzeug zuvörderst aus der Hand, sonst ist er in Gefahr, wider seinen eigenen Vorsatz, auszuglätten, wo er durchschneiden; zu befestigen, wo er einreißen soll.

Was wird also der Kirche für eine Regierungsform anzuraten sein? – keine! – Wer soll entscheiden, wenn in Religionssachen Streitigkeiten entstehen? – Wem Gott die Fähigkeit gegeben, zu überzeugen. Was soll Regierungsform, wo nichts zu regieren ist; Obrigkeit, wo niemand Untertan sein darf; Richteramt, wo keine Rechte und Ansprüche zu entscheiden vorkommen? Weder Staat noch Kirche sind in Religionssachen befugte Richter; denn die Glieder der Gesellschaft haben ihnen durch keinen Vertrag dieses Recht einräumen können. Der Staat hat zwar von ferne darauf zu sehen, daß keine Lehren ausgebreitet werden, mit denen der öffentliche Wohlstand nicht bestehen kann; die wie Atheisterei und Epikurismus den Grund untergraben, auf welchem die Glückseligkeit des gesellschaftlichen Lebens beruht. Plutarch und Bayle mögen immer untersuchen: ob ein Staat bei der Atheisterei nicht besser bestehen könne, als beim Aberglauben? mögen immer die Plagen berechnen und vergleichen, die dem menschlichen Geschlechte aus diesen verschiedenen Quellen des Elends bisher entstanden sind, und noch zu entstehen drohen. Im Grunde heißt dieses nichts anderes, als untersuchen: ob ein schleichendes oder ein hitziges Fieber tödlicher sei? Seinen Freunden wird man gleichwohl keines von beiden anwünschen. So wird eine jede bürgerliche Gesellschaft wohltun, wenn sie keines von beiden, weder Fanatismus noch Atheisterei Wurzel schlagen und sich ausbreiten, läßt. Der Staatskörper siecht und ist elend, er mag vom Krebsschaden aufgerieben, oder von Fieberhitze verzehrt werden.

Aber nur von ferne her muß der Staat hierauf Rücksicht nehmen, und selbst die Lehren nur mit weiser Mäßigung begünstigen, auf welchen seine wahre Glückseligkeit beruht, ohne sich unmittelbar in irgendeine Streitigkeit zu mischen, und durch Autorität entscheiden zu wollen; denn er handelt offenbar wider seinen eigenen Endzweck, wenn er geradezu Untersuchung verbietet, oder Streitigkeiten anders als durch Vernunftgründe entscheiden läßt. Auch hat er sich nicht um alle Grundsätze zu bekümmern, die eine herrschende oder beherrschte Dogmatik annimmt oder verwirft. Die Rede ist nur von jenen Hauptgrundsätzen, in welchen alle Religionen übereinkommen, und ohne welche die Glückseligkeit ein Traum, und die Tugend selbst keine Tugend mehr ist. Ohne Gott und Vorsehung und künftiges Leben ist Menschenliebe eine angeborene Schwachheit, und Wohlwollen wenig mehr als eine Geckerei, die wir uns einander einzuschwatzen suchen, damit der Tor sich placke, und der Kluge sich gütlich tun und auf jenes Unkosten sich lustig machen könne.

Kaum wird es nötig sein, noch die Frage zu berühren: ob es erlaubt sei, die Lehrer und Priester auf gewisse Glaubenslehren zu beeidigen? Auf welche sollte dies geschehen? Jene Grundartikel aller Religionen, davon vorhin gesprochen worden, können durch keine Eidschwüre bekräftigt werden. Ihr müßt dem Schwörenden auf sein Wort glauben, daß er sie annimmt; oder sein Eid ist ein leerer Schall; Worte, die er in die Luft stößt, ohne daß sie ihn mehr Überwindung kosten, als eine bloße Versicherung; denn alles Zutrauen zu Eidschwüren, und das ganze Ansehen derselben beruht ja bloß auf diesen Grundlehren der Sittlichkeit. Sind es aber besondere Artikel dieser oder jener Religion, die ich beschwören oder abschwören soll; sind es Grundsätze, ohne welche Tugend und Wohlstand unter den Menschen bestehen können, und wenn sie auch nach der Meinung des Staats oder der Personen, die den Staat vorstellen, zu meinem ewigen Heile noch so notwendig sind; so frage ich: was hat der Staat für Recht in das Innerste der Menschen so zu wühlen, und sie zu Geständnissen zu zwingen, die der Gesellschaft weder Trost noch Frommen bringen? Eingeräumt hat ihm dieses nicht werden können; denn hier fehlen alle Bedingnisse des Vertrags, die im vorhergehenden ausgeführt worden. Es betrifft keines von meinen entbehrlichen Gütern, das ich meinem Nächsten überlassen soll; es betrifft keinen Gegenstand des Wohlwollens; und Kollisionsfälle können dabei zur Entscheidung nicht vorkommen. Wie kann sich aber der Staat eine Befugnis anmaßen, die durch keinen Vertrag eingeräumt, durch keine Willenserklärung von Person zu Person wandern und übertragen werden kann? Laßt uns indessen zum Überflusse untersuchen: ob überall Beeidigung über Glauben und Nichtglauben ein reeller Begriff sei? Ob die Meinungen der Menschen überhaupt, ihr Beistimmen und Nichtbeistimmen in Absicht auf Vernunftsätze, ein Gegenstand sind, über welche sie beeidigt werden können?

Eidschwüre erzeugen keine neuen Pflichten. Die feierlichste Anrufung Gottes zum Zeugen der Wahrheit gibt und nimmt kein Recht, das nicht ohne dieselbe schon dagewesen; legt dem Anrufenden auch keine Verbindlichkeit auf, die ihm nicht auch ohne dieselbe obliegt. Sie dienen bloß, das Gewissen der Menschen, wenn es etwa eingeschläfert sein sollte, aufzuwecken; und auf das aufmerksam zu machen, was der Wille des Weltrichters schon so von ihm fordert. Die Eidschwüre sind also eigentlich weder für den gewissenhaften Mann, noch für den entschlossenen Taugenichts. Jener muß ohnehin wissen, muß ohne Eid und Fluch von der Wahrheit innigst durchdrungen sein, daß Gott Zeuge sei, nicht nur aller Worte und Aussagen, sondern aller Gedanken und geheimsten Regungen des Menschen, und daß er die Übertretung seines allerheiligsten Willens nicht ungeahndet lasse; – und der entschlossene, gewissenlose Bösewicht?

Der fürchtet keine Götter,
Der keines Menschen schont.

Also bloß für den gemeinen Mittelschlag von Menschen, oder im Grunde für jeden von uns, insoweit wir alle, soviel unserer sind, in so manchen Fällen zu dieser Klasse zu zählen sind; für die schwachen, unschlüssigen und schwankenden Menschen, die Grundsätze haben, und sie nicht immer befolgen; die träge und lässig sind zum Guten, das sie erkennen und einsehen; die ihrer Laune nachgeben, einer Schwachheit zu gefallen, aufschieben, bemänteln, Entschuldigung suchen, und mehrenteils zu finden glauben. Sie wollen und haben die Festigkeit nicht, ihrem Willen treu zu bleiben. Diesen muß der Wille gestählt, das Gewissen rege gemacht werden. Der jetzt vor Gericht leugnet, besitzt vielleicht fremdes Gut, ohne die entschlossene Bosheit, ungerecht sein zu wollen. Er kann solches verzehrt, oder haben von Händen kommen lassen, und will vor jetzt durch das Ableugnen nur Zeit gewinnen; und so wird vielleicht der gute Geist, der für die Gerechtigkeit in ihm kämpft, von Tag zu Tag abgewiesen, bis er ermüdet und unterliegt. Man muß ihm also zu Hilfe eilen, und erstlich den Fall, der Aufschub leidet, in eine Handlung verwandeln, die jetzt geschieht, wo der Augenblick entscheidend ist, und alle Entschuldigung wegfällt; sodann aber auch alle Feierlichkeit aufbieten, alle die Kraft und den Nachdruck zusammennehmen, mit welchen die Erinnerung an Gott, den allgerechten Rächer und Vergelter, auf das Gemüt wirken kann.

Dieses ist die Bestimmung des Eides, und hieraus, dünkt mich, sei offenbar, daß man die Menschen nur über Dinge beschwören müsse, die in die äußeren Sinne fallen; davon sie mit der Überzeugung, welche die Evidenz der äußeren Sinne mit sich führt, die Wahrheit behaupten und aussagen können: ich habe gehört, gesehen, gesprochen, empfangen, gegeben, oder nicht gehört usw. Man bringt aber ihr Gewissen auf eine grausame Folter, wenn man sie über Dinge befragt, die bloß für den inneren Sinn gehören. Glaubst du? Bist du überführt? überredet? dünkt es dir? Ist irgend in einem Winkel deines Geistes oder deines Herzens noch einiger Zweifel zurück, so zeige an, oder Gott wird den Mißbrauch seines Namens rächen. – Um des Himmels willen, schonet der zarten, gewissenhaften Unschuld! Und wenn sie einen Satz aus dem ersten Buche des Euklides zu behaupten hätte, so müßte sie in diesem Augenblicke zagen, und unaussprechliche Marter leiden.

Die Wahrnehmungen des inneren Sinnes sind an und für sich selbst selten so handgreiflich, daß der Geist sie mit Sicherheit festhalten, und so oft es verlangt wird, von sich geben könne. Sie entschlüpfen ihm zuweilen, indem er sie zu fassen glaubt. Wovon ich jetzt versichert zu sein glaube, darüber schleicht oder stiehlt sich in dem nächsten Augenblicke ein kleiner Zweifel ein, und lauert in einer Falte meiner Seele, ohne daß ich ihn gewahr worden. Viele Behauptungen, über die ich heute zum Märtyrer werden möchte, können mir morgen vielleicht problematisch vorkommen. Soll ich diese inneren Wahrnehmungen gar durch Worte und Zeichen von mir geben, oder auf Worte und Zeichen schwören, die andere Menschen mir vorlegen; so ist die Unsicherheit noch weit größer. Ich und mein Nächster, wir können unmöglich mit eben denselben Worten eben dieselben inneren Empfindungen verbinden; denn wir können diese nicht anders gegeneinanderhalten, miteinander vergleichen und berichtigen, als wiederum durch Worte. Wir können die Worte nicht durch Sachen erläutern, sondern müssen wiederum zu Zeichen und Worten unsere Zuflucht nehmen, und am Ende zu Metaphern, weil wir, durch Hilfe dieses Kunstgriffs, die Begriffe des inneren Sinnes auf äußere sinnliche Wahrnehmungen gleichsam zurückführen. Was für Verwirrung und Undeutlichkeit muß aber nicht auf solche Weise in der Bedeutung der Worte zurückbleiben, und wie sehr müssen die Ideen verschieden sein, die verschiedene Menschen, in verschiedenen Zeiten und Jahrhunderten, mit denselben äußerlichen Zeichen und Worten verbinden?

Wer du auch seiest, lieber Leser! so beschuldige mich hier nicht der Zweifelsucht oder der bösen List, dich zum Skeptizisten machen zu wollen. Ich bin vielleicht einer von denjenigen, die am weitesten von dieser Krankheit der Seele entfernt sind, und sie an allen ihren Nebenmenschen kurieren zu können, am sehnlichsten wünschen. Aber eben deswegen, weil ich diese Kur so oft an mir selbst verrichtet, und an anderen versucht habe, bin ich gewahr geworden, wie schwer sie sei, und wie wenig man den Erfolg in Händen habe. Mit meinem besten Freunde, mit dem ich noch so einhellig zu denken glaubte, konnte ich mich sehr oft über Wahrheiten der Philosophie und Religion nicht vereinigen. Nach langem Streit und Wortwechsel ergab sich zuweilen, daß wir mit denselben Worten jeder andere Begriffe verbunden hatten. Nicht selten dachten wir einerlei, und drückten uns nur verschiedentlich aus; aber ebenso oft glaubten wir übereinzustimmen, und waren in Gedanken noch weit voneinander entfernt. Gleichwohl waren wir beiderseits im Denken nicht ungeübt, gewohnt, mit abgesonderten Begriffen umzugehen, und beiden schien es um die Wahrheit im Ernst, mehr um sie, als ums Rechthaben zu tun zu sein. Dem ungeachtet mußten sich unsere Begriffe lange Zeit aneinanderreiben, bevor sie ineinander sich wollten fügen lassen; bevor wir mit einiger Zuverlässigkeit sagen konnten: hierin kommen wir überein! O! wer diese Erfahrung in seinem Leben gehabt hat, und noch intolerant sein, noch seinen Nächsten hassen kann, weil dieser in Religionssachen nicht denkt, oder sich nicht so ausdrückt wie er, den möchte ich nie zum Freunde haben; denn er hat alle Menschheit ausgezogen.

Und ihr, Mitmenschen! Ihr nehmt einen Mann, mit dem ihr euch vielleicht niemals über dergleichen Dinge besprochen habt, ihr legt ihm die subtilsten Sätze der Metaphysik und Religion, wie sie vor Jahrhunderten in Worte eingekleidet worden sind, in sogenannten Symbolen vor; ihr laßt ihm bei jenem allerheiligsten Namen beteuern, daß er bei diesen Worten ebenso denkt, wie ihr, und beide ebenso, wie jener, der sie vor Jahrhunderten niedergeschrieben hat; beteuern, daß er diese Sätze von ganzem Herzen annehme, und an keinem derselben Zweifel hege; mit dieser beschworenen Übereinstimmung verbindet ihr Amt und Würden, Macht und Einfluß, deren Reizung gar wohl fähig ist, so manchen Widerspruch zu heben, so manchen Zweifel zu unterdrücken, und wenn sich denn am Ende hervortut, daß es so nicht ist mit des Mannes Überzeugung, wie er vorgegeben; so beschuldigt ihr ihn des gräßlichsten aller Verbrechen, ihr klagt ihn des Meineides an und lasset erfolgen, was auf diese Untat erfolgen soll. Ist hier die Schuld nicht, am gelindesten davon zu urteilen, auf beiden Seiten gleich?

»Ja!« sprechen die Billigsten unter euch, »wir beeidigen nicht auf den Glauben. Wir lassen dem Gewissen seine Freiheit, und beschwören den Mitbürger nur, den wir mit einem Amte bekleiden, daß er dieses Amt, welches ihm, unter der Bedingung der Übereinstimmung anvertraut wird, nicht ohne Übereinstimmung annehme. Dieses ist ein Vertrag, den wir mit ihm eingehen. Finden sich nachher Zweifel, die diese Übereinstimmung aufheben, so steht es ja bei ihm, seinem Gewissen treu zu sein, und das Amt niederzulegen. Welche Gewissensfreiheit, welche Rechte der Menschheit erlauben, wider einen Vertrag zu handeln?«

Nun wohl! Ich will diesem Schein von Gerechtigkeit nicht alle die Gründe entgegensetzen, die nach oben ausgeführten augenscheinlichen Grundsätzen, entgegengesetzt werden können. Wozu unnötige Wiederholungen? Aber um der Menschheit willen! Bedenket den Erfolg, den diese Einrichtung bisher unter den gesittesten Menschenkindern gehabt hat. Zählt die Männer alle, die eure Lehrstühle und eure Kanzeln besteigen, und so manchen Satz, den sie bei der Übernehmung ihres Amts beschworen, in Zweifel ziehen; die Bischöfe alle, die im Oberhause sitzen; die wahrhaftig großen Männer alle, die in England Amt und Würden begleiten, und jene 39 Artikel, die sie beschworen, nicht mehr so unbedingt annehmen, als sie ihnen vorgelegt worden. Zählet sie, und sagt alsdann noch, man könne meiner unterdrückten Nation keine bürgerliche Freiheit einräumen, weil so viele unter ihnen die Eide gering achteten! – Ach! Gott bewahre mein Herz vor menschenfeindlichen Gedanken! Sie könnten bei dieser traurigen Betrachtung gar leicht überhandnehmen.

Nein! Aus Achtung für die Menschheit bin ich vielmehr überredet, alle diese Männer erkennen das nicht für Meineid, was man ihnen unter diesem Namen Schuld gibt. Die gesunde Vernunft sagt ihnen vielleicht, daß niemand, weder Staat noch Kirche, ein Recht gehabt, sie über Glaubenssachen zu beeidigen; weder Staat noch Kirche ein Recht gehabt, mit dem Glauben und Schwören auf gewisse Sätze, Amt, Ehre und Würden zu verbinden, oder den Glauben an gewisse Sätze zur Bedingung zu machen, unter welchen diese verliehen werden. Eine solche Bedingung, glauben sie vielleicht, sei an und für sich null, weil sie niemanden zum besten gereicht; weil keines Menschen Recht und Eigentum darunter leidet, wenn sie gebrochen wird Eine Bedingung nämlich ist gültig und bindet den Vertrag, wenn eine Möglichkeit zu erdenken, unter welcher sie in Bestimmung der Kollisionsfälle hat Einfluß haben können. Meinungen aber können nicht anders als durch ein irriges Gewissen mit äußerlichen Vorteilen in Verbindung gebracht werden, und ich zweifle, ob sie je eine rechtskräftige Bedingung machen können.. Wenn also, wie sie nicht in Abrede sein können. Böses getan worden; so sei es damals geschehen, als ihnen die versprochenen Vorteile einen so unzulässigen Eid abgelockt haben. Diesem Übel sei aber nunmehr nicht abzuhelfen; am wenigsten durch das Niederlegen ihres auf diese Weise erlangten Amts abzuhelfen. Damals habe man, um erlaubte irdische Vorteile zu erhalten, freilich auf eine vor Gott unverantwortliche Weise, sich seines allerheiligsten Namens bedient; allein dieses Geschehene wird dadurch nicht ungeschehen, wenn sie jetzt auf die Früchte Verzicht tun, die sie davon genießen; ja die Unordnung, das Ärgernis und andere böse Folgen, die das Aufgeben ihres Amts, verbunden mit einem öffentlichen Bekenntnis ihrer Abweichung, nach sich ziehen dürfte, könnte das Übel nur vermehren. Es sei also allen ihren Mitmenschen, sowohl als ihnen selbst und den Ihrigen besser geraten, wenn sie es dabei bewenden lassen, und fortfahren, den Staaten und der Kirche die Dienste zu leisten, zu welchen ihnen die Vorsehung Trieb und Fähigkeit verliehen. Hierin liege ihr Beruf zur öffentlichen Bedienung, nicht in ihrer Gesinnung in Absicht auf ewige Wahrheiten und Vernunftsätze, die im Grunde nur sie selbst und keinen ihrer Nebenmenschen angeht. – Wenngleich mancher zu gewissenhaft ist, sein Glück solchen überfeinen Entschuldigungsgründen zu verdanken zu haben, so sind doch auch diejenigen nicht völlig zu verdammen, die schwach genug sind, ihnen nachzugeben; wenigstens ist es nicht Meineid, sondern menschliche Schwachheit, die ich Männern von ihrem Werte möchte zuschulden kommen lassen.

Zum Beschlusse dieses Abschnitts will ich das Resultat wiederholen, auf das mich meine Betrachtungen geführt haben.

Staat und Kirche haben zur Absicht, die menschliche Glückseligkeit in diesem und jenem Leben, durch öffentliche Vorkehrungen, zu befördern. Beide wirken auf Gesinnung und Handlung der Menschen, auf Grundsätze und Anwendung: der Staat, vermittels solcher Gründe, die auf Verhältnissen zwischen Mensch und Mensch, oder Mensch und Natur, und die Kirche, die Religion des Staats, vermittels solcher Gründe, die auf Verhältnissen zwischen Mensch und Gott beruhen. Der Staat behandelt den Menschen als unsterblichen Sohn der Erde; die Religion, als Ebenbild seines Schöpfers.

Grundsätze sind frei. Gesinnungen leiden ihrer Natur nach keinen Zwang, keine Bestechung. Sie gehören für das Erkenntnisvermögen des Menschen, und müssen nach dem Richtmaß von Wahrheit und Unwahrheit entschieden werden. Gutes und Böses wirkt auf seine Billigungs- und Mißbilligungsvermögen. Furcht und Hoffnung lenken seine Triebe. Belohnung und Strafe richten seinen Willen, spornen seine Tatkraft, ermuntern, locken, schrecken ab.

Aber wenn Grundsätze glückselig machen sollen, so müssen sie weder eingeschreckt, noch eingeschmeichelt, so muß bloß das Urteil der Verstandeskräfte für gültig angenommen werden. Ideen vom Guten und Bösen mit einmischen, heißt die Sachen von einem unbefugten Richter entscheiden lassen.

Weder Kirche noch Staat haben also ein Recht, die Grundsätze und Gesinnungen der Menschen irgendeinem Zwange zu unterwerfen. Weder Kirche noch Staat sind berechtigt, mit Grundsätzen und Gesinnungen Vorzüge, Rechte und Ansprüche auf Personen und Dinge zu verbinden, und den Einfluß, den die Wahrheitskraft auf das Erkenntnisvermögen hat, durch fremde Einmischung zu schwächen.

Selbst der gesellschaftliche Vertrag hat weder dem Staate noch der Kirche ein solches Recht einräumen können. Denn ein Vertrag über Dinge, die ihrer Natur nach unveräußerlich sind, ist an und für sich ungültig, hebt sich von selbst auf.

Auch die heiligsten Eidschwüre können hier die Natur der Sachen nicht verändern. Eidschwüre erzeugen keine neuen Pflichten, sind bloß feierliche Bekräftigungen desjenigen, wozu wir ohnehin, von Natur oder durch Vertrag, verpflichtet sind. Ohne Pflicht ist der Eidschwur eine leere Anrufung Gottes, die lästerlich sein kann, aber an und für sich zu nichts verbindet.

Zudem können die Menschen nur dasjenige beeidigen, was die Evidenz der äußeren Sinne hat, was sie gesehen, gehört, betastet haben. Wahrnehmungen des inneren Sinnes sind keine Gegenstände der Eidesbekräftigung.

Alles Beschwören und Abschwören in Absicht auf Grundsätze und Lehrmeinungen sind diesem nach unzulässig, und wenn sie geleistet worden, so verbinden sie zu nichts, als zur Reue, über den sträflich begangenen Leichtsinn. Wenn ich jetzt eine Meinung beschwöre, so bin ich Augenblicks darauf nichtsdestoweniger frei, sie zu verwerfen. Die Untat eines vergeblichen Eides ist begangen, wenn ich sie auch beibehalte; und Meineid ist nicht geschehen, wenn ich sie verwerfe.

Man vergesse nicht, daß nach meinen Grundsätzen der Staat nicht befugt sei, mit gewissen bestimmten Lehrmeinungen, Besoldung, Ehrenamt und Vorzug zu verbinden. Was das Lehramt betrifft, so ist es seine Pflicht, Lehrer zu bestellen, die Fähigkeit haben, Weisheit und Tugend zu lehren, und solche nützliche Wahrheiten zu verbreiten, auf denen die Glückseligkeit der menschlichen Gesellschaft unmittelbar beruht. Alle nähere Bestimmungen müssen ihrem besten Wissen und Gewissen überlassen werden, wo nicht unendliche Verwirrungen und Kollisionen der Pflichten entstehen sollen, die am Ende den Tugendhaften selbst oft zur Heuchelei oder Gewissenlosigkeit führen. Jede Vergehung wider die Vorschrift der Vernunft bleibt nicht ungerochen.

Wie aber? Wenn das Übel nun einmal geschehen ist: der Staat bestellt und besoldet einen Lehrer auf gewisse bestimmte Lehrmeinungen. Der Mann findet nachher diese Lehrmeinungen ohne Grund; was hat er zu tun? Wie sich zu verhalten, um den Fuß aus der Schlinge herauszuwinden, in welche ihn ein irriges Gewissen verwickelt hat?

Drei verschiedene Wege stehen hier vor ihm offen. Er verschließt die Wahrheit in seinem Herzen, und fährt fort, wider sein besseres Wissen, die Unwahrheit zu lehren; oder er legt sein Amt nieder, ohne die Ursachen anzugeben, warum dies geschehe; oder endlich gibt er der Wahrheit ein lautes Zeugnis, und läßt es auf den Staat ankommen, was mit seinem Amte und mit der ihm ausgesetzten Besoldung werden, oder was er sonst für seine unüberwindliche Wahrheitsliebe leiden soll.

Mich dünkt, keiner von diesen Wegen sei unter allen Umständen schlechterdings zu verwerfen. Ich kann mir eine Verfassung denken, in welcher es vor dem Richterstuhle des allgerechten Richters zu entschuldigen ist, wenn man fortfährt, seinem sonst heilsamen Vortrage gemeinnütziger Wahrheiten, eine Unwahrheit mit einzumischen, die der Staat, vielleicht aus irrigem Gewissen geheiligt hat. Wenigstens würde ich mich hüten, einen übrigens rechtschaffenen Lehrer dieserhalb der Heuchelei oder des Jesuitismus zu beschuldigen, wenn mir nicht die Umstände und die Verfassung des Mannes sehr genau bekannt sind; so genau, als vielleicht die Verfassung eines Menschen niemals seinem Nächsten bekannt sein kann. Wer sich rühmt, nie in solchen Dingen anders gesprochen, als gedacht zu haben, hat entweder überall nie gedacht, oder findet vielleicht für gut, in diesem Augenblicke selbst, mit einer Unwahrheit zu prahlen, der sein Herz widerspricht.

Also in Absicht auf Gesinnungen und Grundsätze kommen Religion und Staat überein, müssen beide allen Schein des Zwanges und der Bestechung vermeiden, und sich auf Lehren, Vermahnen, Bereden und Zurechtweisen einschränken. Nicht also in Absicht auf Handlung. Die Verhältnisse von Mensch zu Menschen erfordern Handlung, als Handlung; die Verhältnisse zwischen Gott und Menschen, bloß insoweit sie zu Gesinnungen führen. Eine gemeinnützige Handlung hört nicht auf, gemeinnützig zu sein, wenn sie auch erzwungen wird; eine religiöse Handlung hingegen ist nur in dem Maße religiös, in welcher sie aus freier Willkür und in gehöriger Absicht geschieht.

Daher kann der Staat zu gemeinnützigen Handlungen zwingen; belohnen, bestrafen; Amt und Ehren, Schande und Verweisung austeilen, um die Menschen zu Handlungen zu bewegen, deren innere Güte nicht kräftig genug auf ihre Gemüter wirken will. Daher hat dem Staate, durch den gesellschaftlichen Vertrag, auch das vollkommenste Recht und das Vermögen, dieses zu tun, eingeräumt werden können und müssen. Daher ist der Staat eine moralische Person, die ihre eigenen Güter und Gerechtsame hat, und damit nach Gutfinden schalten kann.

Fern von allem diesen ist die göttliche Religion. Sie verhält sich gegen Handlung nicht anders, als gegen Gesinnung; weil sie Handlung bloß als Zeichen der Gesinnung befiehlt. Sie ist eine moralische Person; aber – ihre Rechte kennen keinen Zwang. Sie treibt nicht mit eisernem Stabe, sondern leitet am Seile der Liebe. Sie zückt kein Racheschwert, spendet kein zeitliches Gut aus; maßt sich auf kein irdisches Gut ein Recht, auf kein Gemüt äußerliche Gewalt an. Ihre Waffen sind Gründe und Überführung; ihre Macht die göttliche Kraft der Wahrheit; die Strafen, die sie androht, sind so wie die Belohnungen, Wirkungen der Liebe; heilsam und wohltätig für die Person selbst, die sie leidet. An diesen Merkmalen erkenne ich dich, Tochter der Gottheit! Religion! die du in Wahrheit allein die seligmachende bist, auf der Erde, sowie im Himmel.

Bann und Verweisungsrecht, das sich der Staat zuweilen erlauben darf, sind dem Geiste der Religion schnurstracks zuwider. Verbannen, ausschließen, den Bruder abweisen, der an meiner Erbauung teilnehmen, und sein Herz in wohltätiger Mitteilung, mit dem meinigen zugleich zu Gott erheben will! – Wenn sich die Religion keine willkürlichen Strafen erlaubt, am wenigsten diese Seelenqual, die ach! nur dem empfindlich ist, der wirklich Religion hat. Geht die Unglücklichen alle durch, die von jeher durch Bann und Verdammnis haben gebessert werden sollen; Leser! welcher äußerlichen Kirche, Synagoge oder Moschee du auch anhängst! untersuche, ob du nicht in dem Haufen der Verbannten mehr wahre Religion antreffen wirst, als in dem ungleich größeren Haufen ihrer Verbanner? – Nun hat die Verbannung entweder bürgerliche Folgen, oder sie hat keine. Zieht sie bürgerliches Elend nach sich, so fällt sie nur dem Edelmütigen zur Last, der dieses Opfer der göttlichen Wahrheit schuldig zu sein glaubt. Wer keine Religion hat, ist ein Wahnwitziger, wenn er sich einer vermeinten Wahrheit zu gefallen, der mindesten Gefahr aussetzt. Soll sie aber, wie man sich bereden will, bloß geistige Folgen haben, so drücken sie abermals nur denjenigen, der für diese Art von Empfindnis noch Gefühl hat. Der Irreligiöse lacht ihrer und bleibt verstockt.

Und wo ist die Möglichkeit, sie von allen bürgerlichen Folgen zu trennen? Kirchenzucht einführen, habe ich an einem anderen Orte, wie mich dünkt, mit Recht gesagt, Kirchenzucht einführen, und die bürgerliche Glückseligkeit ungekränkt erhalten, gleicht dem Bescheide des allerhöchsten Richters an den Ankläger: Er sei in deiner Hand, doch schone seines Lebens! Zerbrich das Faß, wie die Ausleger hinzusetzen; doch laß den Wein nicht auslaufen! Welche kirchliche Ausschließung, welcher Bann ist ohne alle bürgerliche Folgen, ohne allen Einfluß auf die bürgerliche Achtung wenigstens, auf den guten Leumund des Ausgestoßenen und auf das Zutrauen bei seinen Mitbürgern, ohne welches doch niemand seines Berufes warten, und seinen Mitmenschen nützlich, das ist, bürgerlich glückselig sein kann?

Man beruft sich immer noch auf das Naturgesetz. Jede Gesellschaft, spricht man, hat das Recht auszuschließen: Warum nicht auch die religiöse?

Allein ich erwidere: gerade hier macht die religiöse Gesellschaft eine Ausnahme; vermöge eines höheren Gesetzes kann keine Gesellschaft ein Recht ausüben, das der ersten Absicht der Gesellschaft selbst schnurstracks entgegengesetzt ist. Einen Dissidenten ausschließen, sagt ein würdiger Geistlicher aus dieser Stadt, einen Dissidenten aus der Kirche verweisen, heißt einem Kranken die Apotheke verbieten. In der Tat, die wesentlichste Absicht religiöser Gesellschaften ist gemeinschaftliche Erbauung. Man will durch die Zauberkraft der Sympathie die Wahrheit aus dem Geiste in das Herz übertragen, die zuweilen tote Vernunfterkenntnis durch Teilnehmung zu hohen Empfindnissen beleben. Wenn das Herz allzusehr an sinnlichen Lüsten klebt, um der Vernunft Gehör zu geben; wenn es auf dem Punkte ist, die Vernunft selbst mit ins Garn zu locken; so werde es hier vom Schauer der Gottseligkeit ergriffen, vom Feuer der Andacht entflammt, und lerne Freuden höherer Art kennen, die auch hienieden schon den sinnlichen Freuden die Wage halten. Und ihr wollt den Kranken vor der Tür abweisen, der dieser Arzenei am meisten bedarf; destomehr bedarf, je weniger er dieses Bedürfnis empfindet, und in seinem Irrsinne, sich gesund zu sein einbildet? Muß nicht vielmehr eure erste Bemühung sein, ihm diese Empfindung wiederzugeben, und den gleichsam vom kalten Brande bedrohten Teil seiner Seele ins Leben zurückzurufen? Statt dessen verweigert ihr ihm alle Hilfe, und laßt den Ohnmächtigen den moralischen Tod dahinsterben, dem ihr ihn vielleicht würdet entrissen haben.

Weit edler und dem Zwecke seiner Schule gemäßer handelte jener Weltweise zu Athen. Ein Epikurer kam von seinem Gelage, die Sinne von nächtlicher Wollust benebelt, und das Haupt von Rosen umwunden. Er trat in den Hörsaal der Stoiker, um sich in der Frühstunde noch das letzte Vergnügen entnervter Wollüstlinge zu verschaffen, das Vergnügen zu spotten. Der Weltweise läßt ihn ungehindert, verdoppelt das Feuer seiner Beredsamkeit wider die Verführung der Wollust, und schildert die Seligkeit der Tugend mit unwiderstehlicher Gewalt. Der Schüler Epikurs hört, wird aufmerksam, schlägt die Augen nieder, reißt die Kränze von seinem Haupte, und wird selbst ein Anhänger der Stoa.


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