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Die Lessing-Legende in ihrer dritten Gestalt hat zwei typische Werke aufzuweisen: Scherers »Geschichte der deutschen Literatur« und Erich Schmidts Lessing-Biographie.
Alle sonstigen Erzeugnisse der seit 1870 in tropischer Fülle aufgewucherten Lessing-Literatur können hier übergangen werden. Es wäre unbillig, den Bearbeitern der Hempel-Ausgabe einzelne loyale Kopfsprünge aufzumutzen; sie haben sich durch philologischen Kärrnerfleiß um Lessings Werke verdient gemacht und damit das sicherste Gegengift gegen die dauernde Verseuchung von Lessings Wirksamkeit geschaffen. Die beiden englischen Lessing-Biographien (von Sime und Zimmern) besitzen keinen selbständigen Wert; eine ganz traurige Zusammenstoppelung ist Lessings Leben von Düntzer. Der Verfasser teilt an der Spitze seiner Vorrede mit, daß Herr C. R. Lessing »hochverdient« um seine Arbeit sei, und jede Seite der geschmacklosen Kompilation bestätigt diese Mitarbeiterschaft. Herr C. R. Lessing, der gegenwärtige Besitzer der »Vossischen Zeitung«, ist ein Kapitalist von gewöhnlichem Schlage, aber von ungewöhnlichem Reichtum, der heute eine Protzenausgabe des Nathan veranstaltet und morgen einen Tintenkuli wegen jüdischer Abstammung aufs Pflaster wirft, bei der einen wie bei der anderen Huldigung an den berühmten Großohm umtost von dem rauschenden Beifalle der kapitalistischen Lessing-Korybanten. Es lohnt so wenig, dies abstoßende Bild näher auszumalen, wie mit den Liliputern des Lessing-Humbugs anzubinden, den Gelehrten der »Vossischen Zeitung«, der »National-Zeitung«, des »Berliner Tageblattes« und anderer Kapitalistenblätter. Bei Scherer und Erich Schmidt steht wenigstens eine alexandrinische Gelehrsamkeit hinter der byzantinischen Gesinnung, und ihre Mißhandlung Lessings wie unserer klassischen Literatur überhaupt beansprucht deshalb eine gewisse kulturgeschichtliche Bedeutung, weil Scherer bis zu seinem vor einigen Jahren erfolgten Tode Professor der Literaturgeschichte an der Berliner Hochschule war und Erich Schmidt sein Nachfolger geworden ist.
Scherer ist von Lessing schon vorausgeahnt worden, und zwar, als Lessing schrieb: »Gott weiß, ob die guten schwäbischen Kaiser um die damalige deutsche Poesie im geringsten mehr Verdienst haben als der itzige König von Preußen um die gegenwärtige. Gleichwohl will ich nicht darauf schwören, daß nicht einmal ein Schmeichler kommen sollte, welcher die gegenwärtige Epoche der deutschen Literatur die Epoche Friedrichs des Großen zu nennen für gut findet.« Dieser »Schmeichler« ist Scherer. Auf etwa 130 Seiten seines Werkes behandelt er das »Zeitalter Friedrichs des Großen«, von Gottsched und Gellert bis auf Herder und Goethe, Lessing mitten darunter mit etwa 50 Seiten. Scherer, Geschichte der deutschen Literatur, 394 ff., fünfte Auflage. Zwar kennt Scherer die »Warnungstafel« Lessings, aber sie »schreckt ihn gar nicht«. Natürlich nicht; wie sollte Scherer auch nicht die übermenschliche Courage besitzen, dem toten Lessing eine blutige Beleidigung zuzufügen, die sich der lebende Lessing schon so derbe verbeten hatte? Es ist wahr: Scherer bringt auch eine Art von Begründung für seine Auffassung bei, sogar unter ausdrücklichem Verzicht auf Goethes »berühmte Stelle«; er meint, die Tatsachen selbst redeten eine so deutliche Sprache, der literarische Aufschwung hinge mit dem politischen zusammen. Grundsätzlich schimmert hier eine richtige Ansicht durch. Wenn man die Literaturgeschichte eines Zeitalters erzählen will, ohne die ökonomische und politische Geschichte desselben Zeitalters zu kennen, so verfällt man günstigenfalles in eine ästhetisch-philologische Kannegießerei. Unzählige Literaturgeschichten bezeugen es und ganz besonders auch die Literaturgeschichte Scherers. Denn jener scheinbare Anflug von besserer Einsicht ist bei ihm nichts als eine höfische Redewendung, um den König Friedrich als die geistig bahnbrechende Größe in unsere klassische Literatur einzuschmuggeln. Er vernachlässigt sonst in der unglaublichsten Weise den Zusammenhang zwischen Literatur und Politik. Er bekommt es sogar fertig, über Luther und Hutten zu orakeln, ohne die Stellung dieser Männer zu den politischen und sozialen Fragen ihrer Zeit auch nur anzudeuten. »Die Reformation war zunächst Luther. Sein Wille, seine geistige Richtung entschied.« Luther hatte »aus inneren Kämpfen die Kraft gezogen, sich dem Papste und der alten Kirche entgegenzuwerfen und die Nation mit sich fortzureißen«. Welch tiefsinnige Auffassung der Reformationsgeschichte! Selbst ein bürgerlicher Gelehrter wie Roscher fordert: Um zu erkennen, wes Geistes die einzelnen Männer des deutschen Reformationszeitalters gewesen seien, müsse man ihre Stellung zum Bauernkriege prüfen. Und was sagt Scherer über Luthers Verhalten zu den Bauern? Man höre: »Der hochgestiegene Bauernsohn gab den Bauern die göttlichen Wahrheiten hin.« Wie gnädig, wie herablassend, wie idyllisch! Von Luthers Verrat an den Bauern, der wie die politische und soziale so auch die literarische Wirksamkeit des Reformators in entscheidender Weise beeinflußte, weiß Scherer nichts oder will er nichts wissen.
So wenig begreift er von dem inneren Zusammenhange zwischen den literarischen und den ökonomisch-politischen Zuständen, aber sowie der brandenburgisch-preußische Staat in Sicht kommt – hilf Himmel! da muß schon eine Phrase herhalten, gleichsam ein Stückchen Seife, mit dem der byzantinische Schaum geschlagen werden kann. »Alle preußischen Regenten seit dem großen Kurfürsten hatten ein Verhältnis zur deutschen Bildung; alle haben sie irgendwie direkt oder indirekt gefördert.« Wirklich? Beispielsweise auch jener Friedrich Wilhelm I., der die Einkünfte der Berliner Akademie zu Besoldungen für seine Hofnarren bestimmte, der die Universitätsprofessoren zu Frankfurt a. O. in der schnödesten Weise verhöhnte, der einen Lehrer, welcher dem Kronprinzen Friedrich die Goldene Bulle erklärte, mit den Worten durchprügelte: »Warte, Schurke, ich werde Ihn beauream bullam«, der, wie selbst Treitschke zugibt, für alles ideale Schaffen nur den Spott des Barbaren hatte? Auch dieser; Scherer »läßt die Tatsachen selbst so deutlich reden«. Friedrich Wilhelm I. haßte, wie alle Bildung, so auch die französische Bildung. Dies ist die »Tatsache«, und sie »redet«: »Die Hauptmächte der deutschen Erziehung seit der Reformation und Renaissance, das biblische Christentum und die antike Literatur, konnten daher auf die jungen Preußen mehr unmittelbar einwirken als auf die übrigen Deutschen«, und »es war daher kein Zufall, daß an der Universität Halle die poetische Richtung zuerst hervortrat, welche nachher der Preuße Klopstock auf ihren Gipfel brachte, daß Winckelmann aus Preußen stammte und daß Lessing in Berlin den entscheidenden Anstoß erhielt.« So wird Literaturgeschichte im neuen Deutschen Reiche geschrieben!
Verweilen wir indessen einen Augenblick bei dem byzantinischen Geschwafel! Die Universität Halle bekam das väterliche Zepter Friedrich Wilhelms I. fühlbar zu schmecken, als der König ihrem damals berühmtesten Lehrer, dem Philosophen Wolff, bei Strafe des Stranges befahl, binnen achtundvierzig Stunden die sämtlichen königlichen Lande zu räumen. Es geschah, weil einige professorale Neidhämmel, namentlich der Theologe Lange, dem Könige hatten einblasen lassen, Wolff predige den Fatalismus; wenn nach Wolffs Lehre ein langer Grenadier aus Potsdam desertiere, so habe das Fatum es so haben wollen, und der Deserteur dürfe nicht bestraft werden, weil er dem Fatum nicht habe widerstehen können. Diese landesväterliche Aufmunterung der Wissenschaften »redete so deutlich«, daß sie die Hallische Dichterschule erzeugte. »Es war daher kein Zufall«, weder daß der einzige Unsterbliche dieser Schule ein Sohn jenes Denunzianten Lange war, noch daß seine Unsterblichkeit aus der antiken Literatur entsprang, welcher Friedrich Wilhelm I. die »mehr unmittelbare« Einwirkung auf die »jungen Preußen« gesichert hatte. Siehe Lessings Vademecum für Herrn Samuel Gotthold Lange, Pastor in Laublingen, wodurch dieser Übersetzer des Horaz unsterblich wurde wie das Insekt im Bernstein.
An dem von Apollo geschundenen Marsyas entzündete sich – nach Scherer – der »Preuße« Klopstock. Der »Preuße«, wahrhaftig! Klopstock war in Quedlinburg geboren, und Quedlinburg war von 937 bis 1803 ein reichsunmittelbares Frauenstift. Seine Bildung und Erziehung erhielt Klopstock auf der sächsischen Gelehrtenschule Pforta und der sächsischen Universität Leipzig; der König von Dänemark gewährte diesem deutschen Dichter dann die nötige. Muße zur Vollendung des Messias; Klopstock lebte zumeist in Kopenhagen und Hamburg, zeitweise auch in Zürich und Karlsruhe, wo ihm der Markgraf von Baden ein wohlwollender Beschützer war. Klopstocks Beziehungen zu Preußen beschränkten sich darauf, daß er die Ausländerei Friedrichs II., des, wie er sagte, »Fremdlings im Heimischen« bitter verspottete und daß er sich von den Habsburgern noch weit eher eine Förderung der deutschen Literatur versprach als von den Hohenzollern. Aber Scherer sagt doch, daß Klopstock ein »Preuße« war, und Scherer ist ein ehrenwerter Mann. Nun, die Sache hängt so zusammen, daß Preußen die Schirmvogtei über das Frauenstift Quedlinburg, einige zwanzig Jahre vor Klopstocks Geburt und unter heftigem Widerstreben der Quedlinburger, von Sachsen für 300 000 Taler kaufte und daß Quedlinburg dann im Todesjahre Klopstocks, als der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 die große Heimramschung der geistlichen Gebiete vollzog, an den preußischen Staat fiel. Als Säugling und Klippschüler hat Klopstock wohl einmal die Söldner Friedrich Wilhelms I. in Quedlinburg exerzieren oder auch Spießruten laufen sehen, und so kam er ganz unvermerkt in das »biblische Christentum« und die »antike Literatur« hinein, wodurch wir Deutsche dann wieder – welch unerforschliche, aber von Scherer durch und durch erforschte Fügung des Himmels! – zu einer klassischen Literatur kamen, wir wußten nicht wie. Schade, ewig schade, daß der unglückliche Klopstock selbst nie erfahren hat, welche segensreichen Mächte über seinem ahnungslosen Haupte walteten! Als er längst ein berühmter Dichter war, durfte er sich in seinem Vaterhause nur heimlich aufhalten, weil die preußischen Werber ihm nachstellten, und mit Mühe entging sein väterliches Erbe der Beschlagnahme durch den preußischen Militärfiskus.
Aber Winckelmann »stammte aus Preußen«, wie Scherer behauptet. Und das stimmt. Winckelmann war ein Schusterssohn aus Stendal, wo ihm sogar im Schatten einer gotischen Kirche eine Bildsäule errichtet worden ist, beiläufig ein so geschmackloses Denkmal, wie es der kultivierte Europäer höchstens seinem Todfeinde wünschen mag. Aber ach! für Scherer ist es wieder schade, daß Winckelmann, der es am Ende doch auch wissen mußte, seine preußische Abstammung nicht bloß nicht für »keinen Zufall«, sondern gerade im Gegenteil für den ärgerlichsten und unbegreiflichsten Zufall von der Welt hielt. Als er den märkischen Staub von den Pantoffeln schütteln durfte, schrieb er: »Ich habe viel leiden müssen und werde stets einen Widerwillen gegen mein Vaterland behalten.« Und ferner: »Mein Vaterland vergesse ich gern ... Mein Vaterland ist Sachsen; ich erkenne kein anderes und ist kein Tropfen preußischen Blutes in mir.« Statt Preußen schreibt er oft kurzweg »Das despotische Land«, und zwar »drückt auf ihm der größte Despotismus, der je gedacht ist. Ich gedenke mit Schaudern an dieses Land.« Wenn Winckelmann befürchtet, daß ein alter Freund von ihm nicht mehr am Leben sei, so fügt er hinzu: »Es wäre sein Bestes für ihn und alle diejenigen, welche in diesem unglücklichen Lande eine schwere und erstickende Luft schöpfen.« Er meint, ein freier Schweizer müsse dies Land ärger als Sibirien verwünschen. »Es schaudert mich«, ruft er in einem Briefe an Usteri vom 15. Januar 1763, »die Haut vom Wirbel bis zur Zehe, wenn ich an den preußischen Despotismus und den Schinder der Völker denke, welcher das von der Natur selbst vermaledeite und mit lybischem Sande bedeckte Land zum Abscheu der Menschen machen und mit ewigem Fluche belegen wird. Lieber ein beschnittener Türke als ein Preuße.« Und so ins Endlose. Justi, Winckelmann, 1, 188 ff. Justi steht, »im allgemeinen angesehen«, auch auf dem bürgerlich-preußischen Standpunkt, und er meint, für die Zeit Winckelmanns sei der friderizianische Despotismus das beste für Preußen gewesen, indessen nach dieser Verwahrung fügt er den zornigen Ausbrüchen Winckelmanns doch hinzu: »Aber wir lieben die, welche den Despotismus unter jeder Gestalt hassen, auch den notwendigen, auch den heilsamen und aufgeklärten Despotismus. Wir ziehen sie sogar denen vor, welche auf den beschränkten und parteiischen Zorn des achtzehnten Jahrhunderts in ihrer überlegenen historischen Einsicht lächelnd herabsehen, welche geschichtlichen Sinn und sympathischen Respekt haben für alle glücklichen Verbrecher, für alle Scheiterhaufen und Staatsstreiche der Vergangenheit, und welche nur die ewigen Ideen des Rechts, der Aufklärung und der Humanität für Phrase halten und nur für das Verlangen der Völker nach politischer Freiheit keinen Verstand haben.« Das ist die Sprache einer achtbaren bürgerlichen Ideologie. Vergleicht man den Justi der sechziger und siebziger Jahre mit dem Scherer der achtziger und dem Erich Schmidt der neunziger Jahre, so greift man den geistigen Verfall der deutschen Bourgeoisie mit Händen.
Soviel zur Kritik dessen, was Scherer über Friedrich Wilhelm I. als geistigen Ahnherrn unserer klassischen Literatur beibringt; auf den »entscheidenden Anstoß«, den Lessing in Berlin erhalten haben soll, müssen wir in anderem Zusammenhange zurückkommen. Dagegen ist schon durch unsere bisherige Darstellung im wesentlichen erledigt worden, was Scherer als die Ruhmestitel Friedrichs II. in Sachen der deutschen Bildung anführt: seinen kirchlichen Liberalismus, seine patriotischen Kriegstaten, seine lebendige Teilnahme an literarischer Kultur und sein ruhmvolles Beispiel, das ihm unter den deutschen Fürsten Schüler und Anhänger wie Karl August von Weimar erweckt habe. Auch sind diese vier Punkte bereits von Xanthippus-Sandvoß in ausgezeichneter Weise beleuchtet worden. Nur über den »kirchlichen Liberalismus« noch ein kurzes Wort! Für die Person des Königs war dieser »kirchliche Liberalismus«, wie Herr Sandvoß treffend hervorhebt, einfach der Atheismus; für seine Politik aber war er ein durch feudal-militärische Bedürfnisse geregelter Konfessionalismus, der da, wo er frei ausgreifen konnte, mit dem extremsten Ultramontanismus um die Palme der Unduldsamkeit rang. Man entsinnt sich noch des fürchterlichen Lärms, der sich jüngst über den Vorschlag eines ultramontanen Blattes erhob, wonach die Universitätsprofessoren auf die Glaubensbekenntnisse ihrer entsprechenden Konfessionen verpflichtet werden sollten; nun, dieser Vorschlag war noch recht »liberal«, verglichen mit der Tatsache, daß zu Friedrichs Zeit die evangelische Konfession in dem Professoreid von allen vier Fakultäten beschworen werden mußte. Gewiß ein famoser »kirchlicher Liberalismus«, aus dem – so will es Scherer – unsere klassische Literatur erwachsen ist!
Am unerträglichsten werden Scherer und sein würdiger Nachfolger Erich Schmidt, wenn sie aus Lessing einen Karriereschnaufer des heutigen Schlages machen wollen. Über die flüchtige Berührung, in die Lessing persönlich mit Voltaire gekommen ist oder gekommen sein soll, schreibt Scherer: »Ungeheurer Vorteil für den jungen Anfänger! Tischgenosse des ersten Schriftstellers im damaligen Europa; Gast des Freundes des Königs von Preußen: Welche Aussichten auf Belehrung und Förderung, auf Protektion und Empfehlung!« Jawohl, und welche Dreistigkeit, in die Seele eines Lessing »Aussichten auf Protektion und Empfehlung« hineinlesen zu wollen! Herr Erich Schmidt aber orakelt bei demselben Anlasse: »Kein Zweifel, daß manchmal eine kühne Hoffnung, im Gefolge Voltaires die Aufmerksamkeit des Monarchen auf sich zu lenken, der Seele Lessings nicht fernblieb, denn von Friedrich beachtet zu werden, war die Sehnsucht aller deutschen Schriftsteller, auch derer, die sich scheinbar so stolz in ihre christlich-germanische Tugend hüllten.« Nun, das ist doch noch eine Unverschämtheit, die sich gewaschen hat. Wir können erst in dem zweiten Teile dieser Darstellung die urkundlichen Beweise für die herbe Verachtung beibringen, womit Lessing in der nationalen Gesinnung, die ihm als einem Vorkämpfer der bürgerlichen Klassen eignete, auf die französische Bildung des Königs herabsah, aber hier ist schon der Ort, festzustellen, daß Herr Erich Schmidt für die Behauptung, die er »keinem Zweifel« unterworfen sein läßt, auch nicht den Schatten eines Buchstabens als Beweis beibringen kann. Nicht den Schatten eines Buchstabens! Aber damit noch nicht zufrieden, fährt Herr Erich Schmidt fort: »Und Lessings Vertrauen mochte sicherer scheinen als die Bemühungen der Hallenser um die Fürsprache des dichtenden Generals Stille.« So kommt Samuel Gotthold Lange, Pastor in Laublingen, doch noch zu den Ehren, um die ihn Lessings Vademecum schnöderweise gebracht hat; der brave Patriot bemühte sich doch nur um die Gunst eines preußischen Generals, während Lessing einem französischen Schöngeiste nachlief, weil es ihm »sicherer scheinen mochte«. Dieser Lessing, aber nun ist er auch erkannt! Herr Erich Schmidt schreibt weiter: »Ebensowenig wird es ein Irrtum sein, Lessings Anlauf zu einem französischen Lustspiele, dem Palaion, für eine leise Frage an Voltaire und den König zu erklären.« Ebensowenig! Zu einer Zeit, wo der junge Lessing viel mit einem französischen Sprachlehrer verkehrte, um sich in der französischen Sprache auszubilden, hat er einige Szenen in französischer Sprache geschrieben, genau sechs kleine Druckseiten, die dann über ein Menschenalter später in seinem Nachlasse gefunden worden sind. Und darum Kriecher und Streber! An einer anderen Stelle sagt Herr Erich Schmidt, Lessing habe sich in Berlin nach »hohen Gönnern umgeschaut«. Oho – doch wir haben schon einen starken Ausdruck über Herrn Erich Schmidt gebraucht, und an dem mag es genug sein. Erich Schmidt, Lessing, 1, 188, 203. Man glaube übrigens nicht, daß derartige Byzantinismen in der bürgerlichen Literargeschichte vereinzelt dastehen. So feiert Herr Otto Brahm, Heinrich v. Kleist, 351, irgendein beiläufiges Prinzeßchen, »die Prinzessin Wilhelm, eine geborene Prinzessin von Hessen-Homburg«, wie er preislich sagt, als »hohe Gönnerin«, weil der verzweifelnde Dichter des »Prinzen von Homburg«, der einzigen, wirklich dichterischen, aber ebendeshalb unverstandenen Verherrlichung des Hohenzollernhauses, wenigstens von dieser Dame ein Wort der Zustimmung – etwa erhielt? O, Gott bewahre! sondern – zu erhalten hoffte, aber nicht erhielt. Mit dieser alleruntertänigsten Gesinnung steht es nicht im Widerspruche, sondern gerade im Einklange, wenn Herr Otto Brahm seine Kleist-Biographie dem Herrn Erich Schmidt mit den donnernden Worten widmet: »Frisch auf also! Hier haben Sie meinen Kleist; geben Sie uns den Ihren!« Lakaienstolz ist immer der groteskeste.
Was nun aber die »christlich-germanische Tugend« anbelangt, so sollte Herr Erich Schmidt doch lieber in seinen eigenen Busen greifen. Indem er Lessings Rettungen des Horaz bespricht, sagt er: »Die Freunde der Dichter mögen hoffen, daß nach Archilochos, Alkaios, Horatius auch der Freischärler Herwegh, auf dem noch immer der Mythus von dem bergenden Spritzleder lastet, seinen Retter finde.« Was soll das nun wohl heißen? Der »Mythus von dem bergenden Spritzleder« ist mindestens ein halb Dutzend Mal so bündig widerlegt worden, wie eine niederträchtige, rein aus der Luft gegriffene Tendenzlüge nur immer widerlegt werden kann. Und das scheint auch Herr Erich Schmidt zu wissen, denn er spricht von einem »Mythus«. Aber wo kann denn noch eine elende Lüge »lasten«, wenn sie soundso oft widerlegt ist? Etwa auf »hohen Gönnern«? Und deshalb schleift wohl Herrn Erich Schmidts »christlich-germanische Tugend« den traurigen Schwindel bei den Haaren in eine Lessing-Biographie? Er macht zwar aus Lessing einen frommen Knecht Fridolin, aber es ist so verteufelt schwer, diesen Mohren weißzuwaschen, und so erklärt der Lessing-Biograph zu aller Sicherheit mit dem gegen Herwegh gezielten Fußtritte:
»So wisset denn, daß ich Hans Schnock, der Schreiner, bin,
Kein böser Low' fürwahr, noch eines Löwen Weib.«
Werfen wir aber noch einen Blick in den zweiten Band des Herrn Erich Schmidt! Hier dichtet er das ergreifende Martyrium Lessings in Wolfenbüttel zu einer Nörgelei des beschränkten Untertanenverstandes gegen einen großartigen und wohlwollenden Herrscher um. Im Anfang des Jahres 1773 versprach der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig aus freien Stücken, Lessings bis dahin kümmerlich besoldete Stellung aufzubessern, wenn Lessing sich dauernd »in braunschweigischen Diensten fixieren« wolle. Lessing, der sich inzwischen mit Eva König verlobt hatte und die Verbindung mit der geliebten Frau nicht schnell genug beeilen konnte, übernahm die Verpflichtung, und nun – tat der edle Erbprinz, als wüßte er von gar nichts. Er schwieg Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr. Man muß in Lessings Briefen nachlesen, wie ihm diese fürstliche Tücke das Leben in dem einsamen Wolfenbüttel vergällte; nichts erschütternder als die wilden Schmerzensschreie, die sich trotz aller männlichen Selbstbeherrschung immer wieder aus seinem stolzen Herzen rangen. Und dann höre man Herrn Erich Schmidt von oben herab tadeln, daß Lessing »aller kaltblütigen Überlegung beraubt wurde«. »Alles verzerrte sich ihm.« »So wühlte er sich in die blinde Wut gegen einen Fürsten hinein, dessen Verbrechen darin bestand, daß er zu früh gesprochen und nun weder die freie Hand noch die Aufrichtigkeit hatte, um Lessings fieberhafte Ungeduld durch ein Ja oder ein Nein zu befriedigen.« »Fieberhafte Ungeduld« ist gut als wohlmeinender Tadel für die Gefühle eines starken Mannes, der, durch eine große Liebe an einen öden Felsen gekettet, drei oder vier Jahre lang Tag für Tag den Geier an seinem Herzen fressen fühlt. Und was war der Grund davon, daß der »Fürst« »weder die freie Hand noch die Aufrichtigkeit« hatte? Herr Erich Schmidt enthüllt als diesen Grund »die stolze Zurückhaltung des nur mit der Finanzreform beschäftigten Erbprinzen«. Oder, wie er an einer anderen Stelle sagte: »Lessing kämpfte mit Schulden; auch der Erbprinz stemmte sich gegen die Lawine der Geldnot.«
Der Vater des Erbprinzen, Herzog Karl, hatte die braunschweigischen Finanzen gänzlich zerrüttet. Er war »ohne ängstliche Sparsamkeit«, wie Herr Erich Schmidt sagt; »Herzog Karl mit seinem leichten sinnlichen Naturell freute sich, auf dem Thron all die pedantischen Fesseln einer engherzigen Jugendbildung abzustreifen und seinem Impresario Niccolini übermäßige Mittel zur Verfügung zu stellen.« Ein anderer bürgerlicher Geschichtsschreiber, der übrigens mit dem ideologischen Poltern seines wohlfeilen Radikalismus sonst gar nicht unser Mann ist, nämlich J. Scherr, schreibt über den gleichen Fall: »Herzog Karl von Braunschweig verstand ganz vortrefflich die Alchimie, das Blut seiner Untertanen in Gold zu verwandeln. Er hatte es auch sehr nötig, falls er, obgleich nur Herr über 60 Quadratmeilen und 150 000 Untertanen, auf dem Fuße eines Sultans von Babylon leben wollte. Und er wollte und tat so. Seinem Theaterdirektor und Oberkuppler, dem italischen Gauner Niccolini, gab er einen jährlichen Gehalt von 30 000 Talern, dem Gotthold Ephraim Lessing, Bibliothekar in Wolfenbüttel, gab er 600 Taler jährlich.« Scherr, Blücher, 1, 24. Am Rande des Bankerotts mußte der Herzog im Jahre 1773 die Regierung dem Erbprinzen überlassen, der sich, wie Herr Erich Schmidt rühmt, nunmehr in »stolzer Zurückhaltung« »nur« mit der »Finanzreform« beschäftigte.
»Nur« – in der Tat! »Ohne eine Phrase zu verlieren« – so stürmt Herr Erich Schmidt in die Saiten –, »übte der Erbprinz für seine Person eine ihm unnatürliche Ökonomie«, und also enthielt er auch, selbst ein Büßer, dem Bibliothekar in Wolfenbüttel die 200 Taler Gehaltsaufbesserung vor, denn um eines solchen Bettels willen wurde Lessing von dem ausgezeichneten Fürsten jahrelang auf die Folter gespannt. Aber wenn nicht für seine Person, für wen unterhielt dann der Erbprinz den Harem, in dem die Gräfin Branconi und das Fräulein v. Hertefeld als Favoritsultaninnen glänzten? Beiläufig – die Dame Hertefeld stammte aus einem clevischen Adelsgeschlechte, das in die Mark Brandenburg übergesiedelt war und hier die große Herrschaft Liebenberg besaß. Ihr Bruder, Friedrich Leopold v. Hertefeld, der Besitzer von Liebenberg, gehörte zu den wütendsten Gegnern der Lichtenau – aus purer sittlicher Entrüstung natürlich. In einem Briefe vom 18. März 1797 – siehe Fontane, Fünf Schlösser, 280 – berichtet er mit schmunzelndem Behagen über die Verwüstungen, die adeliger Pöbel in der Wohnung der Lichtenau angerichtet hatte, als sie zur Hochzeit ihrer Tochter abwesend war. Derselbe Hertefeld schreibt dann über seine Schwester, die Lichtenau des Herzogs von Braunschweig: »Sie war eine gutmütige, vernünftige Person, und es war ihr Unglück, daß sie die Tollheiten unserer Zeit schmerzlicher empfand als andere.« Dame Hertefeld hatte es nämlich mit der bebenden Angst bekommen, als das Messer des Meisters Sanson den Kopf der Dubarry abschor. Seitdem hielt sie im Schlosse von Braunschweig ihre Koffer gepackt und als ersten Notgroschen für die Flucht in einer Kassette 5000 Taler bar bereit. Aber sie hatte mehr Glück als die Dubarry: Sie starb als Stiftsdame von Stedernburg ruhig in ihrem Bette, gerade recht zum Torschlüsse, wenige Monate vor der Sintflut von Jena. Ihr Bruder gehörte darnach aber noch zu den giftigsten Gegnern der Scharnhorst und Stein – aus purer sittlicher Entrüstung natürlich. Er schimpfte mörderlich auf diese »Schurken«, weil er eine ablehnende Antwort auf das patriotische Gesuch erhalten hatte, im Jahre 1813 seinen adeligen Leibeserben aus dem Heeresdienst zu entlassen. Später gründete die Familie Hertefeld dann die »Berliner Revue«, ein ultrafeudales Organ, dazu bestimmt, die »Tollheiten unserer Zeit« kritisch zu vernichten, dagegen die Herrlichkeiten jener Zeit romantisch zu beleuchten, wo adelige Fürstendirnen fromme Lichtgestalten, bürgerliche Fürstendirnen aber nichtswürdige Scheusale waren. Auch aus diesem Schmutze sproßt die Loyalität des Herrn Erich Schmidt wie eine reine Lilie hervor; er schreibt: Der Erbprinz »hielt sich Mätressen, die seine Sinne, nie seinen Kopf und sein Herz beherrschten«. Und zwanzig Zeilen weiter: »Er legte mit ungeheurer Selbstbeherrschung seine Leidenschaften wie Hunde an die Kette.« Herr Erich Schmidt meint damit, daß der einundsiebzigjährige Greis noch 1806 als preußischer Oberfeldherr eine französische Buhldirne mit auf das Schlachtfeld von Jena schleppte. Patriotische preußische Offiziere waren damals allgemein der Überzeugung, daß diese Beischläferin die Pläne und Entschließungen des Herzogs ihren anrückenden Landsleuten verraten habe. Graf Henckel von Donnersmarck, Erinnerungen aus meinem Leben, 46. Aber offenbar haben sie sich dabei von ihrem nur zu berechtigten Zorne zuweit reißen lassen. Denn die Schelmin hätte mehr geben müssen, als sie kriegen konnte, wenn sie bei Jena »Pläne und Entschließungen« ihres Liebhabers hätte verraten wollen. Und nun gar Herrn Erich Schmidts Enthüllungen aus den braunschweigischen Haremsgeheimnissen entlasten den Herzog und seine Dirne vollständig.
Wo bleibt denn nun aber die »Finanzreform«, die den damaligen Erbprinzen »nur« beschäftigte, so daß Lessing darüber sterben und verderben konnte? Sie war ein ganz einfaches Handelsgeschäft; der Erbprinz war nächst dem Landgrafen von Hessen unter den deutschen Kleinfürsten der betriebsamste Händler in Menschenfleisch. Er verschacherte an England und Holland viele Tausende von Landeskindern um schweres Geld. War diese Tatsache Herrn Erich Schmidt bekannt? Als ob sie es einem so sorgfältigen »Philologen« nicht wäre! Und gleichwohl –? Spaß für einen neu-reichsdeutschen Byzantiner! Der Erbprinz »beugte seinen Stolz zur Vermietung braunschweigischer Truppen« und noch dazu, »ohne eine Phrase zu verlieren«. Dieser Haß gegen die »Phrase« ist etwas auffallend bei einem Schriftsteller, der einen so gedunsenen und geschwollenen, so überladenen und vor lauter Phrasenhaftigkeit manchmal gar nicht verständlichen Stil besitzt wie Herr Erich Schmidt, aber man bedenke auch, wie viele »Phrasen« über den Menschenschacher der deutschen Kleinfürsten gemacht worden sind. König Friedrich erklärte, von solchen verkauften Truppen, die sein Gebiet berührten, würde er Viehzölle erheben lassen, denn hier seien vernünftige Menschen als Tiere verschachert; ja, als einmal wirklich ein von seinen Ansbacher Verwandten verhandelter Transport über die preußischen Grenzen kam, ließ er Kanonen gegen die Menschenhändler auffahren, so daß sie einen Umweg nehmen mußten. Schiller aber läßt die verkauften Landeskinder am Stadttore rufen: »Es leb' unser Landesvater. Am Jüngsten Gerichte sind wir wieder da!« So »wühlten sich« König Friedrich und Schiller mit ihren »Phrasen« »in die blinde Wut gegen einen Fürsten, dessen Verbrechen« nunmehr glücklich von dem besonnenen Reichspatrioten Erich Schmidt aus der Welt erklärt worden ist. Ein Glück bei alledem, daß unsereinem die göttliche Grobheit eines Lassalle nicht erlaubt ist, denn gegen diesen Erich war jener Julian noch ein Held an Charakter und Geist. Erich Schmidt, Lessing, 2, 238 ff.
Selbstverständlich soll den Scherer und Erich Schmidt damit nicht mehr getan werden, als sie verdienen. Ihre alexandrinische Gelehrsamkeit bleibt ihnen unangefochten. Haben sie wirklich den ganzen Praß von Büchern gelesen, den sie in ihren »Anmerkungen« anführen, so könnte man sogar mit Lessing auf die Besorgnis verfallen, daß sie für ihren gesunden Verstand schon viel zuviel gelesen haben. Nichts dankenswerter als die philologische Arbeit an den Werken unserer klassischen Literatur, solange sie sich in ihren Schranken hält oder doch nur gelegentlich einmal darüber hinausschweift! Aber von einem Biographen Lessings oder einem Geschichtsschreiber der deutschen Literatur ist etwas anderes und auch wohl etwas Besseres zu verlangen, als daß sie zehnmal schon umgekehrte Stäubchen noch zum elften Male umzukehren verstehen. Über diesen tausend und aber tausend Quisquilien verlieren sie jeden Blick für das Ganze der Erscheinung, und wenn sie über Lessing absprechen wollen, so sollten sie doch wirklich erst beherzigt haben, was Lessing über die »selbstdenkenden Köpfe« und die »siebenmal sieben Stäubchen aus der Literaturgeschichte« sagt. Allein, das wäre noch das wenigste. Weit schlimmer ist es, daß sie ohne jede Kenntnis der gleichzeitigen ökonomischen und politischen Zustände schreiben. Damit reißen sie die Pflanzen aus ihrem mütterlichen Boden und legen sie zwischen die löschpapiernen Seiten ihrer Herbarien. Mögen sie nun noch so sorgsam die einzelnen Blätter bis auf die letzte Zacke beschreiben: Duft und Farbe sind unwiederbringlich dahin. Der ärgste Frevel solcher Literarhistoriker aber ist es, wenn sie, sei es in einem dumpfen Gefühle ihrer verhängnisvollen Einseitigkeit, sei es aus anderen, aber wahrhaftig nicht achtbareren Gründen, die Gegenstände ihrer Darstellung in ein politisch-soziales Licht rücken wollen und sie deshalb mit den politischen und sozialen Vorurteilen aufschminken, die ihnen selbst geläufig sind und die »hohen Gönnern« angenehm in die Ohren klingen. Dann entsteht ein wahrer Greuel der Verwüstung.
Nunmehr wird sich auch leicht erklären, weshalb wir mit der Lessing-Legende in ihrer dritten und letzten Gestalt schnell fertig zu werden versprachen. Es hatte einen Zweck, die sachlichen Irrtümer über Lessing, denen Goethe und Gervinus und Lassalle verfallen sind, ausführlich zu erörtern, denn dabei konnte das sachliche Verständnis gefördert werden. Es hat aber gar keinen Zweck, aus den tendenziösen Darstellungen von Scherer und Erich Schmidt noch mehr Proben zu geben, als wir schon gegeben haben. Das Ergebnis bliebe immer dasselbe: Lessing wird in dem Prokrustesbette der heute für die bürgerliche Welt »maßgehenden« Tendenzen bald so, bald so gereckt. Wer sich überhaupt überzeugen lassen will, ist durch die bisherigen Proben wohl überzeugt worden, wer sich nicht überzeugen lassen will, wird durch zehnmal zahlreichere Proben auch nicht überzeugt werden. In keinem Falle spränge dabei etwas für die sachliche Förderung des Lessing-Problems heraus. So schließen wir denn den ersten Teil unserer Arbeit, der eine kritische Geschichte der Lessing-Legende geben und zugleich den allgemeinen historischen Hintergrund zeichnen sollte, von dem sich das Bild Lessings abhebt. In dem zweiten Teile wird unsere Aufgabe sein, dies Bild selbst von den Entstellungen und Verunzierungen der Legende zu befreien und es soweit möglich in seiner wirklichen Gestalt wiederherzustellen. Es mag sein, daß wir bisher schon diesen oder jenen spezielleren Punkt berührt haben, wie wir auch nicht dafür stehen können, daß wir nicht fortan noch diese oder jene allgemeinere Frage berühren müssen. Aber der Leser wird, wie wir hoffen, nachsichtig urteilen, wenn sich ein seit bald hundert Jahren so verfitztes Knäuel, wie die Lessing-Legende ist, nicht immer an einem ganz glatten Faden aufwickeln läßt.