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Zehntes Capitel. Herzenskrämpfe

Die in Wien so wohlbekannte Equipage des Grafen Senftenberg rollte, von zwei prachtvollen Goldfüchsen gezogen, über den Kolowrat-Ring am Stadtpark vorüber, durch den Stubenring über die Aspernbrücke, bog dann links in die untere Donaustraße und lenkte rechts in die große Mohrengasse ein, wo sie vor einem sehr ansehnlichen Hause hielt, welchem es anzusehen war, daß es nur von feinen, wohlsituirten Leuten bewohnt werde.

In dem Wagen saßen drei junge Herren, welche sich während der Fahrt in einer mehr als lebhaften Unterhaltung befunden hatten. Obgleich es noch nicht die Zeit des Diners war, schienen sie sich doch bereits in eine sehr animirte Stimmung getrunken zu haben. Sie lachten überlaut und machten sich ganz und gar nichts aus dem Lächeln, mit welchem die Passanten ihnen nachblickten.

Nur der Eine von ihnen, der Graf selbst, verrieth die glückliche Gabe, trotz des kleinen Rausches, den er besaß, die Würde seines Standes leidlich zu bewahren. Die beiden Anderen aber waren so ausgelassen, daß er sie öfters durch ein wohlgemeintes »Na, na, pst, pst« in engere Schranken verweisen mußte.

Sie kamen aus einem jener Frühstückslocale, in denen die gut situirte Jugend ihre Guldennoten anlegt, um dafür im Alter ein mehr oder weniger ausgiebiges Podagra einzuheimsen. Dort hatten sie einige Dutzend Austern verzehrt, mehrere Flaschen Sect dazu ausgestochen, dann ein kleines Spielchen gemacht, zu welchem natürlich nur ein schwerer aber ›süffiger‹ Burgunder getrunken werden konnte, und dann hatte es sich herausgestellt, daß Champagner und Burgunder eigentlich nicht gut harmoniren. Die beiden so verschiedenen Gaben des Bachus waren in den Köpfen der Zecher mit einander in Conflict gerathen und darüber war den Letzteren der sowohl jungen als auch alten Leuten so wohlstehende Ernst verloren gegangen.

Jetzt nun hielt die Equipage vor jenem Hause der Mohrengasse. Der Diener sprang von dem hinteren Tritte herab und öffnete den Wagenschlag. Er ließ dabei jenes ergeben pfiffige Gesicht sehen, welches vertraute Domestiken zu zeigen pflegen, wenn sie die Ehre haben, Zeugen einer kleinen, liebenswürdigen Schwachheit ihrer Herren zu sein.

»Hier scheiden wir also, meine Herren,« sagte der Graf. »Steigen Sie mit aus, Baron, oder fahre ich Sie auch nach Ihrer Wohnung?«

Derjenige der beiden Anderen, an welchen die Frage gerichtet war, trug einen sehr eleganten, ja ›feschen‹ Wiener Anzug nach dem allerneuesten Schnitt und Muster. Die Linke war behandschuht, die Rechte nicht. An den Fingern dieser Letzteren glänzten mehrere Ringe, deren Steine nur ein ganz besonderer Kenner für werthlose Nachbildungen hätte erklären können. Er war, das sah man auf den ersten Blick, ein ausgesprochener Dandy und hatte, wenn auch jetzt, doch gewöhnlich die nachlässige, gelangweilte Haltung jener Flaneurs, welche sich in ihren müssigen Stunden – und jede Stunde ist bei ihnen müssig – auf den eleganteren Straßen herumtreiben und dem Leben keinen besonderen Reiz mehr abgewinnen können, weil sie die liebenswürdigen Seiten desselben bereits im Uebermaße kennen gelernt und genossen haben.

Sein Gesicht war glatt rasirt und stark gepudert, vielleicht um gewisse Spuren, welche eine ausverkaufte Jugend zurückzulassen pflegt, weniger bemerkbar zu machen. Seine Brauen und Wimpern waren schwarz gefärbt, um dem Blicke des matten Auges mehr Intensivität zu ertheilen. Die perlenweißen Zähne waren viel zu schön, als daß man sie für echt hätte halten können, und der Mund schien durch Anwendung einer Lippenpomade künstlich aufgefrischt worden zu sein. Dies Alles gab dem Gesicht etwas Unechtes, Wachsfiguren-Aehnliches und verdeckte trotzdem nicht den Ausdruck scheuer Unsicherheit, welcher über diesem Gesichte ausgebreitet lag und sich in dem ganzen Wesen und Gebahren des jungen Mannes aussprach. Wenn man überhaupt die Erlaubniß hat, einen Menschen mit irgend einem Thiere zu vergleichen, so glich der Baron einer schön gezeichneten und wohlgenährten Katze, welche jeden Augenblick bereit ist, irgend einem ihr feindseligen Wesen zu entwischen.

»Danke, Graf,« antwortete er. »Ich werde mir die Ehre geben, unseren Künstler zunächst in sein Heim zu geleiten, denn –«

Ein bezeichnender Blick sagte das, was auszusprechen er unterlassen hatte. Der dritte der jungen Herren, von kräftiger Gestalt, dessen kühn geschnittenes Gesicht etwas verlebt aussah, hatte sich jedenfalls den bedeutendsten Rausch angetrunken. Seine Lider waren müd auf die Augen gesenkt; dennoch bemerkte er den Blick des Barons und sagte lachend:

»Lieber Freund, denke nicht, daß Du das nöthig hast. Ich erreiche meine Bude auch ohne fremde Hilfe.«

»Darüber giebt es ja gar keinen Zweifel, mein Bester. Du wohnst ja im Parterre, aber ohne ein kleines Straucheln wird es nicht abgehen. Darum ist es besser, ich begleite Dich. Komm!«

Der Künstler stieg mit Hilfe des Dieners aus dem Wagen. Seine Bewegungen waren schwer und unsicher. Der Baron nickte dem Diener vertraulich zu, ergriff den Künstler beim Arme und wendete sich zum Grafen:

»Sehen wir uns heut Abend wieder?«

»Schwerlich. Ich bin engagirt.«

»Ah! In interessanter Weise?«

»Nicht so, wie Sie denken, mein lieber Baron. Ich bin zum Commerzienrath Hamberger geladen.«

»Puh! Und da gehen Sie?«

»Warum nicht?«

»Zu einem Juden und Parvenu!«

»Pah! Man sieht dort feine Leute; ihretwegen gehe ich hin, nicht seinetwegen.«

»Dann viel Vergnügen! Und morgen natürlich wieder zum Frühstück?«

»Werde eintreffen! Vorwärts, Jean!«

Der Diener war wieder hinten aufgestiegen und die Equipage rollte auf dem hart gefrorenen Boden weiter.

Der Baron geleitete den Künstler die Stufen zum Parterre empor. Ein Livréediener, der Beide hatte kommen sehen, öffnete eine Thüre, an welcher schwarz auf weißem Porzellan zu lesen war: »Guiseppe Criquolini«. Die Beiden traten ein und begaben sich durch das Vorzimmer nach einem kleinen, sehr hübsch ausgestatteten Herrensalon.

Dort fiel der Besitzer des Logis auf die Ottomane, streckte sich lang auf dieselbe aus, die Stiefel ungenirt auf das seidene Sophakissen legend, und sagte:

»Habe doch des Guten zu viel gethan! Der Burgunder war vom Teufel gekeltert.«

»Und der Sect vom Erzengel Michael. Darum wirbelt Einem nun Höllisches und Himmlisches im Kopfe herum und es ist kein Wunder, wenn der schwache Mensch in diesem Kampfe unterliegen muß. Auch mir geht es so ziemlich wie Dir. Soll ich vielleicht nach einem Selters klingeln?«

»Thue es! Aber ich mag jetzt vom Wasser nichts wissen. Ersäufe Dich also allein darin. Ich werde, wenn Du fort bist, ein Schläfchen machen.«

»Vielleicht thue ich das zu Hause auch.«

Er drückte an der silbernen Glocke, welche auf dem Tische stand. Der Livréediener erschien und erhielt den Befehl, eine Flasche Selters zu bringen. Er trat, die Thür gleich offen lassen, in das Vorzimmer zurück und brachte das Verlangte herein. Dabei lächelte er auf eine Weise, als ob er sagen wollte:

»Habe sie bereit gehalten, denn ich ahnte, was den Herren dienlich sein werde.«

Als er hinaus war, lachte der Baron:

»Hast einen vortrefflichen dienstbaren Geist. Er scheint ein guter Gedankenleser zu sein.«

»Ist kein Wunder! Die drei Wochen, seit denen er bei mir ist, bin ich täglich frühstücken gegangen und ebenso täglich so heiter nach Hause gekommen. Da hat er gelernt, das Selters- oder Sodawasser bereit zu halten. Ich muß offen gestehen, daß man hier in Wien zu leben versteht.«

»Besonders wenn man sich an Cavaliere, wie Graf Senftenberg ist, anschließen darf.«

»Ja. Ein vortrefflicher Kerl! Nicht?«

»Ausgezeichnet! Ich kenne keinen Zweiten.«

»Er muß ungeheuer reich sein!«

»Das hört man allgemein. Er soll bedeutende Besitzungen in Ungarn und Siebenbürgen haben und außerdem auch noch in Preußen und Bayern begütert sein. Er fährt mit den besten Pferden, führt ein brillantes Haus, obgleich er unverheirathet ist, hat die besten Weine und verzieht keine Miene, wenn er einen Tausendguldenschein im Spiele verliert.«

»Wie heut wieder! Mensch, Du bist ein Glückskind! Gestern gewonnen, heute gewonnen, alle Tage gewonnen! Du hast mir seit einer Woche sicher dreitausend Gulden abgenommen.«

»Das Spiel ist wetterwendisch. Du wirst wohl bald Revanche nehmen.«

»Pah! Ich gehe nicht darauf aus. Ich will mich amusiren. Wird dieser Wunsch mir erfüllt, so zähle ich den Mammon nicht.«

»Hasts auch nicht nöthig. Deine Kehle bringt Dir genug ein. Heut zu Tage fragt ein Sänger Deiner Distinction nicht nach einer Hand voll Goldstücken.«

»Ja, die Zeiten haben sich geändert. Während Mozart für seine ganze Don Juan-Oper lumpige dreißig Ducaten bekam, verlange ich, um in dieser Oper einmal aufzutreten, das Dreifache. Meine Reise durch die Vereinigten Staaten hat mir ein schönes Sümmchen eingebracht.«

»Das glaube ich! Wenn Du so fortfährst, wirst Du bald Millionen zählen.«

»So schnell geht das freilich nicht. Mit unserem Grafen Senftenberg werde ich mich in dieser Beziehung niemals messen können. Uebrigens, unter uns gesagt, giebt es bei all seiner Liebenswürdigkeit doch Einiges, was mir nicht von ihm gefällt.«

»Ist er Dir unsympathisch?«

»Das nicht, o nein. Aber er ist und bleibt doch stets Aristokrat.«

»Ja, er ist Vollblut!«

»Ich hätte gar nichts dagegen, wenn er das besser zu maskiren verstände.«

»Ich habe noch nicht die Erfahrung gemacht, daß er es uns merken läßt. Oder Du vielleicht?«

»Hm. Er ist freundlich, zuvorkommend und liebenswürdig, wie man es gar nicht besser verlangen kann; aber doch giebt es zuweilen ein Wort, eine Bewegung, kurz, ein undefinirbares Etwas, durch welches er absichtlich oder unabsichtlich auf die Schranke deutet, über welche wir nicht zu ihm kommen können.«

»Wir?«

Der Baron betonte dieses Wort in eigenartiger Weise und warf dabei dem Sänger einen schnellen, lauernden Blick zu.

»Pardon!« antwortete dieser. »Du bist Baron, also auch vom Adel, also mag das Dir nicht so gelten wie mir. Aber hast Du denn noch nicht bemerkt, daß er trotzdem gegen Dich zurückhaltender ist als gegen mich?«

»Nein, niemals.«

»So sei einmal aufmerksamer! Es giebt Momente, in denen er Dich, ohne daß Du es siehst, scharf betrachtet. Erst vorhin, als fünfhundert Gulden auf einer einzigen Karte standen, sah er Dir so scharf auf die Finger, als ob er den colossalen Gedanken hegte, daß Du ein Falschspieler seist.«

»Donnerwetter!« brauste der Baron auf. »Das will ich mir verbitten!«

»Ich nehme an, daß Du mir diese freundschaftliche Bemerkung nicht übel nimmst. Oder doch?«

»Nein, obgleich ich sie auch verstehen würde, wenn es Dir beliebte, sie in weniger beleidigte Ausdrücke zu kleiden.«

»Unsinn! Ich bin aufrichtig und nenne das Ding beim richtigen Namen. Gestern Abend kam im Casino die Rede auf Dich. Du warst nicht da. Dein Name Stubbenau sollte, nach der Meinung einiger Herren, nicht im Adelskalender zu finden sein –«

»O bitte!« fiel der Baron eifrig ein. »Die Herren von der Stubbenau bilden ein sehr altes Geschlecht. Unsere Ahnen stammen aus Liefland. Später gingen sie nach Rußland, und zwar bereits vor Peter dem Großen. Darum wird unser Name nicht im Gothaer Adelskalender zu finden sein, wohl aber in den Cavalierregistern Rußlands. In diese mögen die Herren blicken, welche es wagen, an der Aechtheit meines Adelsbriefes zu zweifeln. Uebrigens bin ich in jedem Augenblicke bereit, ihnen meinen Stammbaum mit dem Degen ins Gesicht zu zeichnen. Wer waren denn die Betreffenden?«

Der Sänger hatte die Auslassung des Barons ruhig angehört, indem er dabei mechanisch einen seiner Ringe am Finger auf und ab drehte. Er antwortete gleichmüthig:

»Das habe ich mir freilich nicht gemerkt. Weißt Du, das Gespräch war ein sehr lebhaftes. Da kann man nicht im Gedächtnisse behalten, wer der Autor gewisser, bestimmter Worte ist.«

»Aber Du sprachst ja vom Grafen!«

»Den habe ich nicht gemeint.«

»Er verhielt sich still?«

»Ja. Nur als die Rede auf Deine Güter kam, da machte er eine kleine Bemerkung.«

»Welche?»

»Kann mich auch nicht genau besinnen.«

»Das thut mir leid. Es wäre mir wirklich sehr lieb, wenn Du Dich genau erinnern könntest.«

»So! Hm! Wie war es doch nur? Ich glaube, daß er meinte, daß – ah, mein Ring!«

Der Ring, mit welchem er gespielt hatte, war seiner Hand entfallen und herunter auf den Boden gerollt. Der Baron stand dienstfertig von seinem Stuhle auf. Er sah den Ring liegen, that aber so, als ob er ihn vergeblich suche.

Der Sänger blieb ruhig auf der Ottomane liegen. Der Wein hatte ihn schwerfällig gemacht.

»Laß ihn!« sagte er. »Er muß sich ja finden.«

»Ist er kostbar?«

»Ja. Ein Diamant von fünfzehn Karat.«

»So darf man nicht so sorglos sein.«

»Pah! Er liegt in meiner Stube. Er kann also nicht verschwinden.«

»Dennoch wollen wir nachsehen, ob er vielleicht unter den Divan gerollt ist.«

Er bückte sich, um unter das erwähnte Möbel zu blicken, und legte dabei seine Hand genau auf die Stelle, an welcher der Ring lag. Er ergriff ihn, ohne daß der Sänger es bemerkte, hielt ihn zwischen den Fingern fest, erhob sich nach kurzer Zeit wieder und sagte:

»Ich sehe ihn wirklich nicht.«

»So laß doch nur! Mein Diener muß ihn ja finden. Du bist doch nicht etwa da, um ihm Handlangerdienste zu leisten.«

Der Baron begab sich auf seinen Stuhl zurück und ließ dann gelegentlich den Ring heimlich in seiner Tasche verschwinden.

»Nun also, besinnst Du Dich?« fragte er, das unterbrochene Gespräch wieder aufnehmend.

»Will sehen. Wenn ich es mir recht überlege, so war die Rede davon, daß Du behauptet hast, bedeutende Güter in der Ukraine zu besitzen.«

»Hat man etwa daran gezweifelt?«

»Hm! Man schien allerdings Zweifel zu hegen.«

»Donnerwetter! Man mag das mich ja nicht etwa hören lassen!«

Er that sehr zornig, doch hätte der Sänger, wenn er aufmerksamer gewesen wäre, bemerken müssen, daß dieser Zorn mit einem guten Theile von Verlegenheit gemischt war.

»Nun, mir ist es ja ganz gleich, wo Deine Güter liegen. Aber Graf Senftenberg bemerkte, daß in der Ukraine der Name Stubbenau vollständig, unbekannt sei.«

»Wie kann er das wissen?«

»Weil er auch dort ebenso wie in der Krim begütert ist.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Aber ich weiß es genau.«

»Kann er nicht ebenso gut flunkern, wie ich geflunkert haben soll?«

»O nein. Ich war bei ihm, als er eben mit einem der dortigen Inspectoren verhandelte, und habe Alles mit angehört. Er muß wirklich steinreich sein.«

»So mag er sich um seine Liegenschaften bekümmern, aber ja nicht um die meinigen!«

»Wenn seine Bemerkung Dich beleidigt, so will ich ihm sagen, daß Du wünschest, er solle sie zurücknehmen.«

»Wie meinst Du das?«

»Nun, Du hast ja vorhin von Deinem Degen gesprochen, wenn ich mich recht erinnere.«

»Du sprichst, wie es scheint, von einem Duell?«

»Natürlich!«

»Fällt mir nicht ein!«

»So! Dann hast Du kälteres Blut als ich. Wenn ich gesagt hätte, daß ich Besitzungen in der Ukraine hätte, und irgend einer behauptete, daß mein Name dort nicht bekannt sei, den wollte ich coramiren!«

»Ich bin ein Edelmann, aber kein Raufbold. Uebrigens bin ich kein Anhänger der Lehre von der absoluten Nothwendigkeit des Zweikampfes. Ich kann beleidigt worden sein und dann sogar auch noch in dem Duell den Kürzeren ziehen. Ich bin also doppelt bestraft, muß mich auch noch zu längerer Festungshaft verurtheilen lasten und – was habe ich davon?«

»Du denkst sehr praktisch!«

»Ja. Uebrigens will ich annehmen, daß der Graf seine Worte nicht so scharf gemeint hat, wie es den Anschein hat haben können. Er ist ein famoser Gesellschafter, und ich will mich nicht mit ihm verfeinden.«

Daß er sich nicht mit ihm verfeinden wolle, um die Gelegenheit, ihm im Spiele auch fernerhin durch falsche Karten das Geld abzunehmen, das verschwieg natürlich.

»Ganz wie Du willst,« nickte der Sänger.

»Uebrigens habe ich auch auf Dich Rücksicht zu nehmen, lieber Criquolini!«

»Auf mich? Nicht das ich wüßte.«

»Ist es Dir so gleichgiltig, ob der Graf es erfährt oder nicht, daß Du mir seine Aeußerung mitgetheilt hast?«

»Das ist mir wirklich sehr egal.«

»So liegt Dir an seiner Freundschaft nichts?«

»O doch! Aber ich denke, daß er vertreten soll, was er sagt; darum halte ich es keineswegs für eine Indiscretion, daß ich Dir gesagt habe, was er geäußert hat. Uebrigens ist er wohl nicht der Mann, welcher aus Feigheit einem Duelle aus dem Wege gehen würde.«

»Lassen wir das! Ich weiß nun, woran ich bin, und im übrigen ist mir die ganze Geschichte lächerlich! Wie weit bist Du mit Deiner Tänzerin?«

»Mit Valeska?«

»Ja. Oder interessirst Du Dich für mehrere Tänzerinnen? Es wäre Dir zuzutrauen.«

»Da irrst Du. Ich kenne nur diese Eine.«

»Allerdings auch die Interessanteste!«

»Das ist sie. Sie ist ein Engel.«

»Das sagt ein Jeder von seiner Angebeteten.«

»Sapperment! Bist Du anderer Meinung?«

Der Sänger setzte sich aufrecht. Er hatte seine Frage in einem beinahe drohenden Tone ausgesprochen und blickte dem Andern herausfordernd entgegen.

»Bringe mich nicht gleich um!« lachte dieser. »Ich glaube, Du könntest für dieses Mädchen irgend eine große Dummheit begehen!«

»Welche meinst Du?«

»Dich mit mir verfeinden.«

»Das könnte ich allerdings. Ich könnte mich ihretwegen sogar sofort mit aller Welt verfeinden. Ich liebe sie! Hörst Du es, ich liebe sie!«

Der Baron ließ ein kurzes Lachen hören und antwortete, leicht mit dem Kopfe nickend:

»Gut! Ich glaube es Dir! Man liebt. Das heißt, man liebt die Eine, nachdem man die Vorige geliebt hat und wird, wenn man ihrer überdrüssig ist, die Nächste lieben.«

»Da täuschest Du Dich in mir. Ich liebe sie wirklich. Ich werde sie heirathen!«

»Criquolini!«

»Was? Hast Du Etwas dagegen?«

»Mensch, blitze mich nicht mit solchen Augen an! Ich habe es ja gar nicht bös gemeint. Ich bin aber nur der Ueberzeugung, daß man recht herzhaft lieben kann, ohne grad an das Heirathen zu denken. Es ist nicht nothwendig, daß aus jedem Liebhaber schleunigst ein Ehemann und Familienvater wird.«

»Das habe ich auch gar nicht behaupten wollen. Auch ich habe das Leben genossen und wohl Manche kennen gelernt, welche mir gefiel. Wenn aber dann die richtige Liebe eintritt, dann, dann – nun dann heirathet man eben.«

»Eine Tänzerin?«

»Warum nicht? Ist eine Tänzerin ein verächtliches Geschöpf? Muß sie etwa weniger werth sein als jede Andere?«

»Das behaupte ich nicht. Aber sie gehört einem Stande, sagen wir, einem Handwerke an, dessen Genossen nicht in dem frömmsten Rufe stehen.

»Das mag sein. Aber es giebt Ausnahmen, und meine Valeska ist eine solche!«

»Ich wünsche, daß Du Dich nicht irrest.«

»Ich weiß es gewiß und bin bereit, eine jede Wette mit einzugehen.«

»Nun, bei mir findest Du keine Gelegenheit, diese Wette anzubringen. Ich will es Dir gern gönnen, wenn Du glücklich mit ihr wirst.«

»Das hoffe ich. Uebrigens gehöre ich nicht zu den Dummköpfen, welche sich in ein hübsches Gesicht vergaffen und sich dann mit aller Gewalt ins Elend stürzen. Ich prüfe.«

»Und sie hat die Prüfung bestanden?«

»Bisher, ja!«

»Aber weiter?«

»Die Hauptprüfung soll noch erfolgen.«

Da legte der Baron die Beine bequem über einander, nahm jene Haltung an, in welcher man eine interessante Mittheilung gern entgegenzunehmen pflegt, und sagte:

»Da bin ich doch begierig, zu erfahren, worin diese Hauptprüfung bestehen soll.«

»Dir gegenüber brauche ich wohl kein Geheimniß daraus zu machen.«

»Gewiß nicht. Meiner Discretion kannst Du auf alle Fälle versichert sein.«

»Das setz' ich voraus. Du kennst zwar meine Angebetete nicht, aber – – –«

Der Baron machte bei diesen Worten des Sängers, ein Gesicht, welches dem Letzteren so auffiel, daß er, sich unterbrechend, fragte:

»Oder solltest Du sie doch kennen?«

»Natürlich!« antwortete der Gefragte, sein Gesicht schnell in bessere Beherrschung nehmend.

»Genau?«

»Ich habe sie im Theater tanzen sehen.«

»Ach so! Also eine nähere Bekanntschaft ist es nicht?«

»Nein!«

»Ich glaubte, aus Deiner Miene entnehmen zu sollen, daß – – na, gut! Also die Damen vom Balette sind Titeln und Geschenken zugänglich. Valeska soll einen Grafen kennen lernen, welcher sie mit Geschenken reich bedenkt. Zieht sie mich trotzdem ihm vor, nun, so hat sie die Probe bestanden.«

»Gar nicht übel, falls sich nämlich so ein Graf bereit finden läßt, die Probe vorzunehmen.«

»Habe schon einen.«

»Ach! Doch nicht Senftenberg?«

»Was fällt Dir ein! Diesem würde es nie einfallen, sich zu so einer Komödie herzugeben. Schon der blose Antrag, den ich ihm da machte, würde ihn so beleidigen, daß er blutige Genugthuung forderte.«

»Also einen andern!«

»Ja.«

»Der sich nicht beleidigt fühlt von Deinem Wunsche, daß er Dir hier dienen möge.«

»Freundchen,« lachte der Sänger, »verstehe mich wohl! Ein wirklicher Graf würde sich nicht dazu hergeben.«

»Ach! Also ein falscher?«

»Ja, ein Talmigraf. Ich kenne einen Schauspieler, einen sehr hübschen und gewandten Kerl, der mit ihr anknüpfen soll.«

»Und ihr große Geschenke machen?«

»Was hast Du?«

»Ein Schauspieler, der sich zu so einer Maskarade hergiebt, hat sicherlich nicht die Mittel, solche Geschenke zu machen.«

»Ist gar nicht nöthig, denn ich habe sie ja.«

»Ach, jetzt verstehe ich Dich!«

»Ich bezahle ihn.«

»So wird der Handel für Dich nicht sehr vortheilhaft sein!«

»Wieso?«

»Aus einem sehr einfachen Grunde. Giebt er sich wirklich Mühe, sie Dir abspenstig zu machen, und es gelingt ihm, so hat er von Dir kein großes Honorar zu erwarten. Darum wird er sich nicht allzusehr anstrengen, und sie wird Dir treu bleiben können. Eine solche Probe hat keinen Werth!«

»Du kennst mich schlecht, ich habe mit ihm ausgemacht, daß er gar nichts bekommt, wenn sie mir treu bleibt. Gelingt es ihm aber, sie binnen einer Woche zu erobern, so erhält er fünfzehnhundert Gulden. Für mich ist diese Summe eine Kleinigkeit, für ihn aber ein Kapital.«

»Wann wird er beginnen?«

»Vielleicht bereits heut.«

»Darf ich erfahren, wie dieser unternehmende Mann heißt?«

»Ich habe ihm versprechen müssen, das zu verschweigen.«

»Auch welchen Grafennamen er tragen wird?«

»Auch das. Uebrigens geht mich das gar nichts an. Er mag einen Namen wählen, welchen er will. Ich bin aber überzeugt, daß ich gezwungen sein werde, ihm die Fünfzehnhundert auszuzahlen.«

»So sicher bist Du also der Baletteuse! Ihr habt Euch also, sozusagen, bereits heimlich verlobt?«

»O nein. Es ist bis jetzt noch nicht einmal zu einem perfecten Liebesgeständniß gekommen; aber wir stehen in einem stillen aber so festem Einverständnisse daß ich gar keine Sorge zu haben brauche.«

»Männchen, Du scheinst Dich für einen sehr guten Menschenkenner zu halten!«

»Was die Frauen anbelangt, ja. Ich habe zwar erst seit zwei Jahren mir da eine Abwechslung gegönnt; diese ist aber eine so reichhaltige gewesen, daß ich mir wohl schmeicheln darf, ein Kenner zu sein.«

»Jedenfalls hast Du auf Deiner amerikanischen Tournee interessante Bekanntschaften gemacht?«

»Natürlich! Vorher wäre ich beinahe in das Netz einer Sirene gerathen, welche alle neunundneunzig Teufel im Leibe hatte. Ich befand mich so fest in ihrer Angel, daß sie mich hinziehen konnte, wohin es ihr beliebte. Es hat Mühe gekostet, wieder frei zu werden. Sie war eine wirkliche Liebeskünstlerin!«

»Also wohl eine Schauspielerin?«

»Nein, sondern ganz im Gegentheile eine Dame der Aristokratie. Hast Du nicht einmal den Namen Asta, Baronesse von Zella gehört?«

»Ach! Meinst Du die junge, außerordentlich interessante Dame, welche damals so viel im Hause des Barons von Alberg verkehrte?«

»Ganz dieselbe.«

»Die habe ich sogar genau gekannt, vielleicht genauer, als Du ahnen wirst!«

»Ach! Ists möglich? War sie eine Liaison von Dir?«

»Beinahe wäre ich in ihre Netze gegangen.«

»Wirklich nur beinahe?«

»Ja, in Wahrheit. Ich interessire mich allerdings außerordentlich für sie, denn sie war wirklich begehrenswerth, wenn man sie nicht näher kannte. Als ich aber die Bemerkung machte, daß sie sich nicht schwer erobern ließ, erkundigte ich mich nach ihr und erfuhr, daß sie sich der Herrenwelt gegenüber sehr entgegenkommend zeige. Da ließ ich sie natürlich fallen.«

»Ganz so wie ich. Auch ich machte die Erfahrung, daß ich nicht der Einzige war, der sie liebte.«

»Man hat nichts mehr von ihr gehört. Sie soll mit dem Baron von Alberg nach Amerika gegangen sein.«

»Wirklich? Ich entsinne mich nicht genau. Sagte man nicht, daß er aus gewissen Gründen zu dieser Reise gezwungen worden sei?«

»Ja. Seine eigene Tochter, die Schloßherrin auf Steinegg, soll ihn gezwungen haben. Drüben ist er bald gestorben. Sein Todtenschein wurde herübergeschickt. Baronesse Asta ist seitdem verschollen.«

Da trat der Diener herein und brachte auf einem Teller einen Brief, welcher soeben vom Briefträger abgegeben worden war.

»Gieb ihn dem Herrn Baron,« befahl der Sänger. Er mag ihn öffnen!«

Der Diener that dies und entfernte sich dann wieder. Der Baron hatte den Brief genommen, drehte ihn in den Händen hin und her und fragte verwundert:

»Wie kommt es, daß Du mir das Amt Deines Privatsekretärs übergiebst?«

»Aus dem sehr einfachen Grunde, daß ich jetzt nicht lesen kann. Dieser verteufelte Burgunder treibt mir das Blut so nach dem Kopfe, daß es mir vor den Augen in allen Farben schillert. Die Buchstaben würden vor meinem Blicke tanzen. Ich kann nicht lesen. Bitte, unterziehe Dich der kleinen Mühe!«

»Es könnte aber etwas Discretes sein.«

»Vor Dir habe ich kein Geheimniß.«

»Vielleicht eine Rechnung?«

»Die dürftest Du erst recht lesen. Aber ich bin ja erst drei Wochen hier, in Wien habe ich nichts dergleichen zu erwarten. Wie ist die Adresse?«

»Herrn Guiseppe Criquolini, Sänger. Auch die Straße und Hausnummer ist ganz richtig angegeben.«

»So! Und die Handschrift?«

»Eine sehr geübte Männerhand.«

»Dann bin ich wirklich neugierig – ah, welch ein Poststempel?«

»Salzburg.«

»Wüßte wirklich nicht, wer mir von dort her zu schreiben hätte! Brich aus und sei so gut, ihn mir vorzulesen!«

Der Baron folgte dieser Aufforderung. Er nahm den Bogen aus dem Couvert und las, ohne die Zeilen vorher zu überfliegen:

»Elsbethen, den 20. März 18 ..

Lieber Sohn! – – –«

»Halt!« rief da der Sänger. »Ich glaube gar, der Brief ist – ist – ist – –«

Er sprach den Satz nicht aus, und erst als der Baron ihn fragend anblickte, fuhr er fort:

»Von meinen Eltern.«

»Du hast Deine Eltern noch?«

»Ja.«

»Aber davon hast Du mir ja noch gar nichts gesagt!«

Der Sänger wurde verlegen. Er antwortete:

»Weil wir zufälliger Weise noch nicht von meinen Familienverhältnissen gesprochen haben.«

»So! Nun, wenn der Brief von Deinen Eltern ist, was sich allerdings aus der Anrede als ganz gewiß ergiebt, so mußt Du ihn selbst lesen. Hier ist er.«

Er reichte ihm den Brief hin. Der Sänger streckte bereits die Hand nach dem Schreiben aus, zog sie aber wieder zurück und sagte:

»Lies immerhin! Was die alten Leute mir zu schreiben haben, das sind ganz gewiß keine Staatsgeheimnisse.«

»Ganz wie Du willst!«

Er begann abermals:

»Lieber Sohn!

»Weil wir nicht schreiben können, haben wir den Herrn Pfarrer gebeten, diesen Brief an Dich zu verfassen. Wir haben gehört, daß Du in Amerika gewesen bist und da viel Geld verdient hast. Indessen ist es uns traurig ergangen. Du warst fort, und wir waren zum Arbeiten zu alt. Da hat uns die Gemeinde ernähren müssen.

»Dann kam einmal die Muhren-Leni zu uns, die eine Sängerin geworden ist. Sie sah unsere Noth und hat viel mit uns geweint. Von dieser Zeit an haben wir alle Wochen fünfzehn Mark von ihr erhalten, wovon wir leben und uns sogar noch Etwas sparen können. Gestern erfuhren wir, daß Du wieder aus Amerika zurück bist und in Wien auf der Mohrengasse wohnst. Da haben wir es für unsere Pflicht gehalten, Dir zu schreiben.

»Der Vater ist immer krank gewesen, und der Mutter geht es nicht gut mit ihren Augen. Sie kann beinahe gar nichts mehr sehen. Wenn es so bleibt, wie es jetzt ist, so wird sie Dich wohl nicht mehr erblicken. Denn wenn es die Kunst einmal erlauben wird, an uns alte Leute zu denken, und zu uns zu kommen, dann wird sie entweder blind sein oder auch bereits lange nicht mehr leben.

»Der liebe Herrgott mag Dir Glück und Segen geben. Wir sind zufrieden, wenn er uns bald ein ruhiges und seliges Ende bescheert.

Deine

alten, alten Eltern.«

Als der Baron den Brief vorgelesen hatte, legte er ihn aus der Hand und blickte Criquolini fragend und erwartungsvoll an.

»Verdammte Geschichte!« brummte dieser. »Hm! Es ist eben so gekommen.«

»Was?«

»Daß ich mich nicht habe um meine Eltern kümmern können. Ich habe sie ganz vergessen!«

»Wie ist das möglich?«

»Nimm es mir nicht übel! Aber diese Frage ist fast überflüssig. Wenn Du meine früheren Verhältnisse – – pah! Schweigen wir lieber! Es kommt nichts heraus dabei.«

»Ganz wie Du willst. Aber hast Du Ihnen denn nicht einmal Etwas geschickt?«

»Nein. Ich sagte Dir ja bereits, daß ich mich auf sie ganz vergessen hatte!«

»Nach dem, was ich gelesen habe, müssen sie sehr arm sein?«

»Freilich sind sie das. Aber zu hungern haben sie doch nicht gebraucht. Du hast es ja gelesen, daß die Gemeinde sich ihrer angenommen hat. Und nun werden sie von der Muhren-Leni unterstützt. Sie leiden also keine Noth.«

»Wer ist dieses Frauenzimmer, welches eine Sängerin geworden ist und Deinen Eltern wöchentlich fünfzehn Mark giebt?«

»Das ist – das ist – meine erste Geliebte.«

»Deine erste Geliebte? Mann, welch ein Glück hast Du!«

»Wieso?«

»Eine Geliebte, die Du also verlassen hast und die trotzdem Deine Eltern ernährt! Sapperment! Das ist aller Ehren werth! So wohl wird es nicht gleich einem Andern!«

»Grad ein Glück ists nicht für mich. Wenn ich daran gedacht hätte, hätte ich meinen Alten selbst was schicken können. Sie hat sich eigentlich gar nicht in unsere Angelegenheit zu mengen. Sie mag für sich selbst sorgen. Sie will mich damit nur ärgern. Was gehen sie meine Eltern an? Nichts, gar nichts. Ich bekümmere mich doch auch nicht um ihre Angelegenheiten!«

»Aber, lieber Freund, wenn Deine Eltern sich in Verhältnissen befunden haben, welche die Unterstützung seitens der Armenbehörde nothwendig machten, so müssen sie doch sehr arm gewesen sein.«

»Nun freilich, Millionen hatten sie nicht besessen.«

»Was ist denn Dein Vater?«

Der Sänger blickte eine Weile still vor sich hin. Seine Brauen zogen sich zusammen. Seine Mienen drückten den Widerwillen, sich über dieses Thema zu äußern, deutlich aus, er antwortete:

»Du kannst Dir denken, daß ich über diese Verhältnisse nicht gern spreche.«

»Warum nicht? Nach Deinem Auftreten muß man denken, daß Du aus einem guten Hause stammst. Du hast Dir in Amerika ein Vermögen ersungen Du bist also ein Kavalier, und es kränkt Dich nicht, ansehnliche Summen im Spiele zu verlieren. Deine Tänzerin kostet Dich viel Geld. Du hast als Künstler Zutritt in ausgewählte Kreise erlangt, und doch sind Deine Eltern auf die Unterstützung ihrer Gemeinde angewiesen. Ich begreife das nicht!«

Es war keineswegs die sittliche Entrüstung, welche dem Baron diese Worte dictirte. Er sprach so, weil er sich rächen wollte. Er hatte anhören müssen, daß man an seinem Adel, an seinen Besitzthümern zweifele, daß man sogar ihn für einen Falschspieler halte. Das Alles hatte der Sänger ihm mit der größten Gemüthlichkeit in das Gesicht gesagt. Nun fand er Gelegenheit, ihm den Hieb zurückzugeben. Es fiel ihm gar nicht ein, das zu versäumen. Es war ihm natürlich ganz und gar egal, ob die Eltern seines Freundes ein gutes Auskommen hatten oder ob sie hungern und darben mußten, aber er fühlte sich davon befriedigt, eine Art gelinder, moralischer Entrüstung zeigen zu können. Er hatte seine Worte in freundlich ernstem, eindringlichem Tone gesprochen, so wie ein verständiger, älterer zu seinem leichtsinnigen, jüngeren Bruder sprechen würde.

»Ist es Dir vielleicht unlieb, zu erfahren, daß ich weder dem Geburts- noch dem Geldadel entstamme?« fragte der Sänger.

»Nein. So Etwas kommt mir nicht bei. Du bist Künstler; das berechtigt Dich, Dich als uns ebenbürtig zu betrachten. Die Verhältnisse Deiner Eltern kommen dabei natürlich nicht in Betracht. Es ist sogar, streng genommen, eine Ehre für Dich, Dich aus dürftigen Verhältnissen so emporgearbeitet zu haben.«

»Das denke ich auch. Es ist mir nicht etwa leicht geworden, den Schmutz der Vergangenheit abzuschütteln, und Du wirst es sehr begreiflich finden, daß ich mich so viel wie möglich dem Gedanken an die Heimath zu entziehen suche. Der Brief, welchen Du mir da vorgelesen hast, ist nichts weiter als ein Bettelbrief. Ich werde den alten Leuten einige Gulden schicken. Dann haben sie ihren Zweck erreicht und sollen mich nicht weiter belästigen. Ich werde dies ihnen sehr scharf empfehlen.«

»Hm! Wenn ich mir die Fassung des Briefes vergegenwärtige, so kann er mich rühren.«

»Mich nicht!«

»Sie machen Dir nicht den geringsten Vorwurf, daß Du nicht an Sie denkst und ein üppiges Leben führst, während sie nicht das Nothwendigste haben. Sie wünschen Dir Glück und Segen und hoffen auf ein baldiges seliges Ende. Das ist wirklich rührend.«

»Redensarten! Meine Eltern haben keine Bedürfnisse. Sie sind bei trockenem Brode glücklich gewesen und können mit Wenigem zufrieden sein. Sie haben gar keine Veranlassung, jetzt auf einmal höhere Ansprüche zu erheben.«

»Aber das thun sie ja auch nicht!«

»Nun, so mögen sie mich überhaupt in Ruhe lassen! Ich habe Anderes zu thun, als mich mit den dortigen Verhältnissen zu beschäftigen. Mein Sinn steht nach Glanz, Ruhm und Ehre. Ich mag keinerlei Berührung mit dem Schmutze meiner Heimath haben. Die Eltern haben alle Zeit ihre Steuern und Abgaben entrichten müssen; sie haben jederzeit gegen den Staat und die Gemeinde ihre Schuldigkeit gethan, und darum haben Staat und Gemeinde nun auch die Verpflichtung, für sie zu sorgen.

»Das ist sehr kalt gesprochen; aber mich geht es gar nichts an. Ich bin Dein Beichtvater nicht und habe nicht die Pflicht, Dir eine erbauliche Rede zu halten. Es war mir nur interessant, zu erfahren, daß die Wurzel Deines Glücksbaumes in so armem Boden ruht. Nun begreife ich freilich, welche Anstrengungen es Dich gekostet haben muß, Dich emporzuarbeiten. Dein Vater ist jedenfalls ein armer Handwerker gewesen?«

Der Ton, welchen der Baron jetzt anschlug, machte den Sänger williger zur Antwort.

»Noch weniger! Er war Handarbeiter. Ein Stück Brod und ein Schluck Ziegenmilch dazu, das ist fast der ganze Inhalt unserer Speisekarte gewesen. Natürlich wurde ich zu ganz demselben Berufe erzogen.«

Er lachte dabei höhnisch auf.

»So bist Du also ›entdeckt‹ worden?«

»Ja. Ein hiesiger Professor der Musik hörte zufällig meine Stimme und nahm mich mit sich. Er bildete mich aus, soweit seine Kräfte reichten. Dann ging ich für einige Monate nach Paris, wo ich wieder ›entdeckt‹ wurde, nämlich von dem amerikanischen Unternehmer, mit welchem ich dann unter Begleitung anderer Künstler durch die Vereinigten Staaten zog, von woher ich vor drei Wochen hier angekommen bin. Diese amerikanische Reise hat meinen Ruf begründet. Ich singe jetzt nur noch für goldenes Honorar und denke dabei natürlich nicht gern an die Zeiten zurück, in denen ich als Tabuletkrämer den Staub der Landstraßen aufwirbelte.«

»Tabuletkrämer? Donnerwetter, das ist famos; das ist romantisch!«

»O, es giebt noch viel romantischere Punkte in meiner Vergangenheit. Was würdest Du zum Beispiel dazu sagen, daß ich einer der gefürchtetsten Wildschützen gewesen bin?«

»Du? Zuzutrauen wäre es Dir!«

»Ich war es in Wirklichkeit. Keine Gemse verstieg sich zu hoch für mich, und kein Abgrund war mir zu gefährlich. In der Dunkelheit der Nacht und auf Wegen, bei denen mir jeder Fehltritt den Tod bringen mußte, stieg ich auf, und manch ein Mal bin ich, die schwere Beute auf dem Rücken, an Wänden abgestiegen, an denen kaum eine Fliege Halt finden konnte. Wenn ich daran denke, so möcht ich gleich nach dem Stutzen greifen und hinauf in die Berge, denn

Aan Gamsl an der Wand
Und aan Punkt in der Scheiben,
Und ann Schatzerl an der Hand
Das ist mein Thun und mein Treiben.
Halloi droi droi dri!«

Er war von dem Divan aufgesprungen, stützte sich mit der Hand auf den Tisch und sang den Jodler mit einer Stimme und einer Verve, welche ihm das Lob des anspruchsvollsten Gesangskenners eingebracht hätte.

Aber der Burgunder wirkte noch immer, so daß der Sänger wankte und sich wieder niedersetzen mußte.

»Verdammt!« zürnte er. »Der Wein hat mich bei den Nerven gepackt. Das hätte mir früher nicht geschehen können. Damals hatte ich Eisendrähte anstatt der Nerven im Leibe. Dem Krickelanton that es Keiner gleich, kein Einziger in allen Alpen.«

»Krickelanton? So hießest Du?«

»So wurde ich gerufen. Wer ein Gemskrickel haben wollte, konnte es von mir bekommen, wenn kein Anderer die Schneid hatte, es ihm zu schaffen. Darum wurde ich nur der Krickelanton genannt und darum habe ich diesen Rufnamen in den Künstlernamen Criquolini umgewandelt. Eigentlich heiße ich Anton Warschauer.«

»Es ist mir, als ob ich früher öfters etwas von dem Krickelanton hätte erzählen hören. Es hieß, die Polizei verfolge ihn auf Schritt und Tritt, sie könne aber seiner nicht habhaft werden.«

»Das ist wahr. Sie war mir stets hinter den Fersen, hat mich aber nicht bekommen, selbst damals nicht, als ich bei der Leni erwischt wurde. Ah, dieser Fluchtweg des Nachts über den Felsengrat! Das war ein kolossales Wagniß, und ich glaube nicht, daß ich es heut wieder unternehmen würde. Man hielt mich für todt und hat lange, lange Zeit im Abgrunde nach mir gesucht.«

»Du machst mich wirklich begierig, dieses Abenteuer zu erfahren.«

»Wenn es Dir Spaß macht, will ich es Dir erzählen. Ich befinde mich in der richtigen Stimmung dazu.«

»So thue es, bitte!«

»Nimm Dir erst eine Cigarre dort, und bringe mir auch eine! Meine Beine sind obstinat geworden; sie haben mir den Gehorsam gekündigt, und ich muß nachher wirklich ein Schläfchen machen, um mich wieder in Ordnung zu bringen.«

Die Cigarren wurden angesteckt, und dann begann der Krickelanton zu erzählen.

Aber er erzählte nicht nur von jener Nacht, in welcher er rettende Zuflucht in der Wohnung der dicken Dichterin gefunden hatte, sondern er berichtete auch das Weitere, sein Verhältniß zur Muhrenleni und seinen Bruch mit ihr, als sie gegen seinen Willen Sängerin geworden war.

Der Baron unterhielt sich sehr gut dabei, denn er erhielt dadurch den Stoff zur Ausführung gewisser Absichten, von denen er freilich nicht reden konnte. Was er hörte, diente leider nicht dazu, seine Achtung für den Sänger zu erhöhen.

Der Krickelanton war ein Anderer geworden, und doch war der eigentlichste Kern seines Wesens, seiner Individualität ganz derselbe geblieben. Kühnheit, Ausdauer, Rücksichtslosigkeit, Selbstsucht, das waren seine Grundeigenschaften gewesen. Die Leni hätte aus ihm einen braven Mann machen können, und sie war auf dem besten Wege dazu gewesen, als er sich gewaltsam wieder von ihr losgerissen hatte. Das Glück war ihm freundlich entgegengetreten und hatte ihm äußerliche Erfolge gebracht, innerlich aber hatte er Schaden genommen. Sein Herz hatte sich verhärtet und sein Gefühl für das Bessere sich abgestumpft. Nur sich und sein eigenes Wohl im Auge behaltend, hatte er nicht nur die Geliebte, sondern sogar seine Eltern vergessen. Die gewaltigen Eindrücke seiner amerikanischen Reise, die dort errungenen Erfolge hatten ihm den Sinn für die schlichten Verhältnisse des Lebens getödtet. Er hatte kein Verständniß mehr für die Heiligkeit natürlicher und moralischer Verpflichtungen und war nur noch Einflüssen zugänglich, welche mit ungewöhnlicher Stärke auf ihn wirkten.

Darum war die Liebe zu der braven Leni längst in seinem Herzen erstorben, und an deren Stelle loderte nun eine wilde Leidenschaft für die Tänzerin, deren gleißende Erscheinung die glühendsten Wünsche in ihm erweckt hatte. Das ›Glück‹ hatte seine besseren Eigenschaften erstickt und die schlechteren zur vollen Entwickelung gebracht. Dabei aber ist unter Glück nur der äußere Erfolg gemeint, denn das wahre Glück ist etwas ganz Anderes, tief Innerliches.

»So!« sagte er zuletzt. »Jetzt kennst Du die interessanteste Episode meines Lebens, und damit mag diese Vergangenheit für mich abgeschlossen sein. Der Teufel soll mich holen, wenn ich wieder an diese Dummheiten denke. Die Zukunft gehört mir. Ich will leben und genießen; ich habe den Willen, die Kraft und auch – – das Geld dazu.«

Er legte sich auf den Divan zurück, als ob er von der ganzen Angelegenheit nichts mehr wissen wolle.

»Du könntest wirklich der Hauptheld eines Romanes sein,« sagte der Baron. »Schade nur, daß Du mit der Heldin desselben zerfallen bist.«

»Es gehört ihr nicht mehr!«

»War diese Leni denn wirklich hübsch?«

Nach meiner damaligen Ansicht, ja. Sie hatte eine prächtige Taille, einen vollen Busen, starke Waden, blitzende Zähne, kleine Hände, also mehr, als ein Wilddieb von seinem Mädchen vernünftiger Weise verlangen konnte; jetzt aber besitze ich freilich einen ganz anderen, einen geläuterten Geschmack. Ein Weibsbild, welches nach Heu, Käse und Kühen duftet, würde mir jetzt Krampfanfälle zuziehen. Unter ›schön‹ verstehe ich jetzt etwas ganz Anderes, als damals.

»Sie interessirt mich dennoch. Wo mag sie sich befinden?«

»Ich weiß es nicht. Sie wird verschollen sein.«

»Schwerlich!«

»O doch. Sie nannte sich als Sängerin Mureni. Weißt Du jetzt Etwas von einer Sängerin dieses Namens?«

»Freilich nicht.«

»Also! Meine Vorhersagung wird eingetroffen sein. Sie ist an ihrem Trotzkopfe zu Grunde gegangen. Ich möchte darauf schwören, daß ihre vollen Formen ihr Unglück geworden sind. Ihre Stimme war nicht übel; aber ihre geistigen Anlagen reichten zwar aus für eine Sennerin, keineswegs jedoch für die schwierige Ausbildung zur Künstlerin.«

»Die Deinigen haben aber ausgereicht, obgleich Du nicht mehr Bildung besaßest als diese Leni.«

Diese Frage wurde in freundschaftlichem Tone gesprochen, hatten aber trotzdem den Zweck, dem Krickelanton einen Stich zu versetzen. Er fühlte denselben auch, denn er fragte schnell:

»Willst Du mich beleidigen!«

»Fällt mir nicht ein! Ich weiß ja, daß es ein Mann unter den ganz gleichen Vorbedingungen bedeutend weiter bringt als ein Weib. Es mag also sein, daß sie auf der untersten Stufe der Gesangeskunst sitzen geblieben ist.«

»Und moralisch ist sie jedenfalls tiefer und tiefer gesunken. Als ich sie in jenem Concerte zum ersten Male mit offenem Busen und nackten Armen sah, wußte ich sofort, daß sie damit den ersten Schritt zur Schande gethan hatte. Von jenem Abende an war sie unrettbar, verloren.«

»Hm!« fragte der Baron lächelnd. »Du konntest also eine solche Entblößung nicht ersehen?«

»Nein. Auch heut noch nicht. Ein Weib, welches ihre intimsten Reize in dieser Weise freigiebt und veröffentlicht,, flößt mir gradezu Ekel ein.«

»Und – Valeska, Deine Tänzerin?«

Der Sänger erröthete. Er suchte nach einer Antwort, fand aber keine passende.

»Ich möchte annehmen, daß die Leni sich dem Publikum bei Weitem nicht so gezeigt hat, wie die Tänzerin es thut!«

»Das ist etwas ganz Anderes,« antwortete Criquolini. »Der Tanz hat den Zweck, durch charakteristische, harmonische Bewegungen irgend einen Gedanken aus dem Reiche des Schönen zur Anschauung zu bringen. Da ist es ganz selbstverständlich, daß die Formen der Tänzerin mit herbeigezogen werden müssen. Die Entblößung der betreffenden Körpertheile hat also ihre völlige Berechtigung. Nicht so liegt es aber bei einer Sängerin. Die drallen Wade und fetten Arme eines Weibes haben mit der Kunst und dem Zwecke des Gesanges gar nichts zu thun. Oder sage mir, ob zum Beispiel das Lied mit dem bekannten Schlußrefrain ›Ihm hat ein goldner Stern gestrahlt‹ an Schönheit gewinnt, wenn die vortragende Sängerin dabei eine Taille trägt, welche bis zur Frechheit tief ausgeschnitten ist!«

»Das Lied bleibt freilich ganz dasselbe; aber wenn Du offen sein willst, so wirst Du es mir gestehen, daß Du lieber eine Sängerin hörst, welche zeigt, daß sie nebenbei auch reizend ist, als eine, welche sich wie eine frierende Nonne verhüllt.«

»Ganz richtig! Aber bei meiner Geliebten muß ich mir das verbitten. Wenn dagegen die Tänzerin Tricots anlegt, so kann ich als Künstler nichts dagegen haben, folglich als Mann auch nicht. Mögen Andre sehen, wie schön sie ist, wenn nur diese Schönheit mein alleiniges Eigenthum bleibt.«

»Du magst ja Recht haben, obgleich ich der Ansicht bin, daß Du gegen die Tänzerin weit nachsichtiger bist als gegen diese Leni. Nach Allem, was Du mir von der Letzteren erzählt hast, interessire ich mich für dieselbe so sehr, daß ich wissen möchte, was aus ihr geworden ist und wo sie sich befindet.«

»Willst Du sie aufsuchen?« fragte der Krickelanton lachend. »Dann gut Glück dazu!«

»Vom Aufsuchen ist keine Rede. Ich habe anderes zu thun als mich um eine untergeordnete Sängerin zu bekümmern; aber wenn ich sie zufällig träfe und ihr meine Theilnahme merken ließe, so fragt es sich, ob ich nicht doch Deine Eifersucht erregen würde.«

»Eifersucht? Papperlapapp!«

»Oho! Alte Liebe rostet nicht!«

»Diese ist aber gerostet. Und wenn die Leni mir als eine der bedeutendsten Künstlerinnen begegnete, so würde ich ihr doch nur zeigen, wie sehr ich sie verachte. Von einem Aufflammen der alten Liebe oder gar von Eifersucht könnte gar keine Rede sein.«

»Weißt Du denn wirklich, daß sie verschollen ist?«

»Ja, ganz genau. Im vorjährigen Album ist ihr Name noch zu finden. ›Signora Mureni, München,‹ ist da zu lesen. Im gegenwärtigen Jahrgange steht sie nicht mehr. Ich habe mich gleich nach meiner Ankunft in Wien an ihre Münchener Adresse gewendet, um – – –«

»Also doch – –!« lachte der Baron.

»Pah! Nicht aus Herzensinteressen, sondern nur, um überhaupt zu wissen, woran ich bin. Ich habe die Antwort erhalten, daß sie von dort spurlos verschwunden sei und Niemand wisse, wohin; kein Mensch habe seitdem wieder Etwas von ihr gehört.«

»Aber dennoch muß sie existiren, und zwar nicht unter ganz schlechten Verhältnissen.«

»Woraus vermuthest Du das?«

»Haben Dir nicht Deine Eltern soeben geschrieben, daß sie wöchentlich fünfzehn Mark von ihr erhalten?«

»Ah, daran dachte ich nicht. Sie lebt also noch, aber unter welchen Verhältnissen? Als Sängerin existirt sie ganz gewiß nicht mehr; wahrscheinlich verdient sie sich das Geld durch ihre Schönheit, welche nun wohl einem abgegriffenen Prachtbande gleichen wird. Da ist es eigentlich eine großartige Beleidigung für mich, daß sie das auf diese Weise verdiente Geld meinen Eltern schickt. Das thut sie aus Rache. Ich werde mich also doch wohl nach dem Orte erkundigen, von welchem aus diese Unterstützung den Meinen zufließt. Sie dürfen es nicht annehmen!«

»Willst Du sie ihnen nehmen? Dann müßtest Du sie natürlich entschädigen, lieber Freund.«

»Das ginge dann aus meinem Beutel? Hm! Ich werde mir die Sache denn doch überlegen müssen.«

Der Sohn, welcher hier in Wien wie ein Graf lebte, wollte es sich überlegen, ob er seinen armen, alten, halbblinden Eltern eine für ihre mehr als einfachen Bedürfnisse hinreichende Unterstützung senden solle! So weit war es mit dem Herzen dieses Mannes gekommen! Sogar der Baron, welcher keineswegs ein großer, moralischer Held, sondern vielleicht ein sittlicher Lump war, schüttelte den Kopf und sagte:

»Eigentlich ist das Deine Pflicht. Nicht?«

»Möglich. Aber der Mensch besitzt eben glücklicher Weise die Freiheit, zu wählen, ob er seine Pflicht erfüllen will oder nicht. Es giebt Pflichten, die Einem höchst lästig werden können. Uebrigens bin ich jetzt gar nicht disponirt, über so unangenehme Sachen nachzudenken. Mir brummt der Kopf, und ich muß schlafen, um später wieder bei guter Laune zu sein.«

»Das ist natürlich für mich ein Fingerzeig, Dich gütigst allein zu lassen. Nicht wahr?«

»Nimm es so.«

»Nun gut! Natürlich sehen wir uns heut wieder?«

»Ich hoffe es – Was giebt es denn wieder?«

Diese Frage war an den Diener gerichtet, welcher abermals einen Brief hereinbrachte:

»Entschuldigung!« sagte derselbe. »Ist soeben von einem Lakaien für Sie abgegeben worden.«

»Nimm Du ihn!« bat der Sänger den Baron, sich ärgerlich auf den Divan ausstreckend.

Dieser Letztere nahm dem Diener, welcher sich dann entfernte, den Brief ab und betrachtete das Couvert.

»Ein adeliges Wappen!« sagte er.

»Ah! Welches?«

»Das sollte ich kennen. Wenn ich mich nicht irre, so ist es dasjenige des Commerzienrathes von Hamberger.«

»Kenne ihn nicht. Wüßte nicht, was er mir zu schreiben hätte. Es ist doch derjenige, zu welchem Graf Senftenberg heut Abend geladen ist?«

»Ja.«

»Bitte, öffne ihn, und lies ihn mir vor!«

Der Baron öffnete und las:

»Sehr geehrter Herr.

Würden Sie sich, falls dieser Brief Sie persönlich antrifft, sich sofort nach dem Empfange desselben zu mir bemühen? Ich habe eine Frage an Sie zu stellen.

Ergebenst
Hesekiel von Hamberger.«

»Sonderbar!« brummte der Sänger unwillig. Er hat zu mir ebenso weit wie ich zu ihm.«

»Willst Du etwa seiner Einladung nicht Folge leisten?«

»Ich habe wirklich keine Lust dazu. Was kann der Mann von mir wollen?«

»Wer weiß es? Es ist jedenfalls anzunehmen, daß er Dich nicht eines Nichts wegen zu sich entbietet.«

»Zu sich entbietet! Das ist der richtige Ausdruck. Er befiehlt mich ja förmlich zu sich, wie ein Vorgesetzter seinen Untergebenen.«

»Das mußt Du ihm zu Gute halten. Diese Herren haben sich an den kurzen Ton des Comptoirs gewöhnt.«

»Aber ich bin nicht sein Comptoirist. Er fragt mich, ob ich mich sofort, hörst Du, sofort nach Empfang dieser Zeilen zu ihm begeben will. Kann er diese Frage nicht in die Form einer höflichen Einladung, ich will nicht sagen einer Bitte kleiden? Muß er mich denn persönlich incommodiren? Kann er mir das, was er mich fragen will, nicht gleich mitschreiben und es sodann mir überlassen, ob ich ihm die Antwort persönlich oder schriftlich geben will. Wer und was ist dieser Mann denn eigentlich?«

»Ein Millionär.«

»Trotzdem kann er ein großer Dummkopf sein.«

»Sehr verdient um die Industrie des Landes.«

»Ist mir gleich. Ich bin weder Eisenarbeiter noch Cigarrenmacher. Mich geht das nichts an.«

»Er sieht feine Gesellschaften bei sich.«

»Das ist eher Etwas.«

»Verwendet viel Geld an die Kunst.«

»Das söhnt mich beinahe mit seinem Briefe aus.«

»Sodann mußt Du beherzigen, daß Graf Senftenberg bei ihm verkehrt. Vielleicht hat dieser Dich ihm empfohlen, und Du würdest ihn blamiren, wenn Du nicht gingst.«

»Hm! Aber ich bin jetzt keineswegs in der Verfassung, mich so einem Herrn vorzustellen.«

»Trinke ein Selters!«

»Höre, Du wirst mir langweilig. Du hast für jeden meiner Einwände eine Entgegnung.«

»Das sollte Dich überzeugen, daß es nur gut ist, der an Dich ergangenen Einladung zu folgen.«

»Wenn Du in dieser Weise den Fürsprecher machst, so werde ich am Ende doch gehen.«

»Thue es! Ich begleite Dich eine Strecke.«

»Gut. Das macht mich williger.«

Er stand auf und begann, seine auf dem Divan Etwas in Unordnung gerathene Toilette zu restauriren. Der Lakai mußte wirklich ein Selters bringen. Bei dieser Gelegenheit befahl er diesem, nach dem heruntergefallenen Ring zu suchen.

Der Diener gab sich alle Mühe, fand ihn aber natürlich nicht.

»So laß es jetzt,« sagte sein Herr. »Such, wenn wir fort sind, weiter!«

Der Lakai zog sich in das Vorzimmer zurück, und bald war der Sänger zum Gehen bereit. Das Selters schien ihm wohlgethan zu haben. Er wankte nicht mehr, und sein Körper erhielt nach und nach die verlorene Spannkraft zurück.

Er betrachtete sich noch einmal wohlgefällig im Spiegel und erklärte sich dann zum Gehen bereit. Schon wendete sich der Baron nach der Thür; da aber drehte er sich noch einmal zu dem Sänger, welcher ihm folgen wollte, zurück und sagte:

»Da fällt mir ein: Könntest Du mir nicht einen kleinen Dienst erweisen?«

»Gern, wenn es mir möglich ist.«

»Es ist eine Geldangelegenheit.«

Der Baron beobachtete dabei die Miene seines Freundes mit gespanntem Blicke. Dieser verbarg seine Ueberraschung nicht, sondern sprach:

»Aber, mein Bester, Du hast doch in letzter Zeit ganz bedeutende Summen von uns gewonnen!«

»Das ist sehr richtig.«

»Du mußt also doch bei Kasse sein. Du lebst zu splendid. Du mußt Dich mehr einschränken. Meine Gelder kann ich nicht angreifen. Vielleicht hilft Dir der Graf aus der Verlegenheit.«

Ueber das lauernde Gesicht des Barons ging ein höhnisches und doch auch befriedigtes Lächeln, welches er aber schnell wieder unterdrückte.

»Wer sagt Dir denn, daß ich mich in einer Verlegenheit befinde?«

»Nun, Du!«

»Ich? Ich weiß kein Wort davon.«

»Du sprachst doch von einer Geldangelegenheit!«

»Das ist richtig; aber meinst Du vielleicht, daß Angelegenheit mit Verlegenheit gleichbedeutend sei?«

»Ah! So hast Du es anders gemeint? Das ist mir sehr lieb. Ich dachte, Du wolltest borgen.«

»Und Du hättest mir nichts geliehen?«

»Gern, wenn ich könnte; aber ich sagte Dir bereits, daß ich über meine Gelder verfügt habe.«

»Nun, so beruhige Dich. Ich stehe mich nicht so, daß ich meine Freunde in Anspruch nehmen müßte. Meine Güter bringen mir so viel ein, daß ich glänzend leben kann.«

»Trotzdem kann man einmal in augenblickliche Verlegenheit gerathen.«

»Das wäre für mich sehr schlimm, da ich soeben die Erfahrung mache, daß sogar mein bester Freund mir in diesem Falle seine Hilfe versagt.«

»Pardon! Es giebt Zeiten, in denen man nicht kann, wie man will. Aber was hast Du denn eigentlich mit dieser Geldangelegenheit gemeint?«

»Ich will tausend Gulden fortschicken, nicht per Postmandat, sondern per Couvert. Ich brauche dazu Papiergeld und habe augenblicklich nur Gold. Darum wollte ich Dich fragen, ob ich nicht bei Dir das Geld in Papier umwechseln könnte.«

»Wenn es weiter nichts ist! Das können wir schon thun.«

Der Baron nahm seine Börse heraus und zählte die Goldstücke auf den Tisch. Dabei aber beobachtete er die Bewegungen des Sängers genau. Dieser zog ein kleines Schubfach, welches im Sockel der Stutzuhr angebracht war, auf und nahm einen darin befindlichen, kleinen Schlüssel heraus. Mit diesem öffnete er ein Fach des Schreibtisches, welches ganz mit Geld angefüllt zu sein schien, und zwar mit Staatsanweisungen. Er nahm eine Note zu tausend Gulden heraus, legte sie dem Barone hin, nahm das Gold dafür, schloß dieses zu dem Papiergelde ein und hob dann den Schlüssel wieder in dem Uhrenkästchen auf.

Das Alles hatte der Baron gesehen, und sein Gesicht leuchtete vor Befriedigung. Seine Absicht, zu erfahren, wie zu dem Gelde des Sängers zu gelangen sei, war befriedigt worden.

Nun gingen sie.

Als sie in den Hausflur traten, kam ein junges, schönes Mädchen die Treppe herab. Sie war ihrem Anzuge nach ein besseres Dienst-, vielleicht ein Stuben- oder Zimmermädchen. Der Sänger sah sie und blieb stehen. Wenn sie das Haus verlassen wollte, mußte sie an ihm vorüber. Sie zauderte, weiter zu gehen, war dann aber entschlossen, ihren Weg fortzusetzen.

»Martha,« sagte er, indem er sich ihr in den Weg stellte. »Haben Sie sich das, was ich Ihnen sagte, überlegt?«

Ihr Auge flammte zornig auf. Sie wollte sich an ihm vorüberdrängen und antwortete dabei:

»Lassen Sie mich! Ich habe mit Ihnen nichts zu schaffen!«

Er aber ergriff sie beim Arme, hielt sie fest und rief lachend:

»Liebes Kind, ein Dienstmädchen darf nicht so zurückweisend sein. Es giebt ja Leute, welche einen Händedruck mit einem Gulden bezahlen.«

»Behalten Sie Ihre Gulden, und lassen Sie mich los, sonst rufe ich Hilfe herbei.«

»Das wirst Du nicht thun. Komm, ich muß Dich küssen!«

Er wollte sie an sich ziehen und umarmen; da aber schlug sie ihm mit der geballten Hand in das Gesicht, daß er zurückprallte.

»Donnerwetter!« fluchte er, ihren Arm noch immer festhaltend. »Du bist giftig. Nun aber wirst Du erst recht geküßt.«

Er riß sie jetzt mit aller Kraft an sich, um seine Drohung wahr zu machen. Sie war nicht schwach gebaut; aber ein Mann ist stets stärker als eine weibliche Person. Ihre Kraft reichte nicht aus, sich von ihm zu befreien.

»Hilfe, Hilfe!« rief sie laut.

Er ließ sie trotzdem nicht los, und sie rangen mit einander. Der Baron stand dabei, ohne ein Wort zu sagen oder eine Hand zum Schutze des Mädchens zu rühren. Die Letztere wiederholte ihren Hilferuf.

Der Diener des Sängers trat eiligst heraus, fuhr aber schnell wieder zurück, als er sah, daß sein Herr es war, gegen welchen um Hilfe gerufen wurde.

Aus der Wohnung, welche auf der anderen Seite des Parterres lag, kam Niemand. Es schien Niemand zu Hause zu sein. Aber oben auf dem Vorplatz zur ersten Etage ging eine Thür auf. Zwei weibliche Gestalten zeigten sich oberhalb der Treppe, eine ältere und eine jüngere. Diese Letztere zog, als sie die unter ihr liegende Scene überschaute, das Taschentuch hervor und hielt es so vor das Gesicht, daß es nicht zu erkennen war. Die Aeltere eilte die Treppe herab, faßte den Sänger von hinten und rief zornig:

»Was ist das für eine Unverschämtheit! Wollen Sie gleich mein Mädchen gehen lassen! Sofort, sofort, sonst rufe ich die Polizei herbei.«

Jetzt ließ er los. Das Mädchen entfloh; er aber wendete sich an die Dame:

»Was haben Sie hier darein zu reden! Sie haben hier unten gar nichts zu sagen!«

Die Dame, deren behäbiges Aussehen auf gute Verhältnisse und einen liebenswürdigen Charakter schließen ließ, antwortete zornig:

»Das sagen Sie mir? Der Wirthin dieses Hauses und der Herrin des Mädchens? Ich will Ihnen darauf nur die Antwort geben, daß ich in meinem Hause Flegelhaftigkeiten nicht dulde. Sie ziehen aus! Sehen Sie sich schleunigst nach einer anderen Wohnung um!«

»Oho! Flegelhaftigkeiten?«

»Ja, das ist es. Ihr Betragen ist rüd und zuchtlos. Seit Sie bei mir wohnen, haben Sie uns nur bemerken lassen, wie ein junger, anständiger Herr nicht leben soll. Ich kann Sie nicht länger bei mir dulden. Ich wiederhole also meine Aufforderung, sich heut noch nach einem anderen Logis umzusehen!«

»Das ist brillant!« lachte er. »So eine alte Schachtel, welche froh sein sollte, einen gutzahlenden Miether zu haben, will mich fortjagen! Meinen Sie, daß dies so schnell geht? Sie haben mir zu kündigen. Verstanden!«

Die Dame wollte noch zorniger auffahren: sie beherrschte sich aber und entgegnete in ruhigerem, reservirtem Tone:

»Ich bedarf keiner Belehrung. Ob ich die Kündigung einhalte, kommt ganz auf die Verhältnisse an. Ich will nicht von den Orgien sprechen, welche Sie bis tief in die Nacht hinein in Ihrer Wohnung feiern, auch nicht von den zweifelhaften Frauenzimmern, die sich daran betheiligen; aber Sie haben nun bereits mit jedem hier im Hause engagirten Dienstmädchen angebunden, und heut vergreifen Sie sich sogar thätlich an dem meinigen. Das beweist, daß Sie ein gemeingefährlicher Mensch sind, welchen ich keinen Augenblick länger zu dulden brauche. Auf mein wohlberechtigtes Einschreiten hin beleidigen Sie mich mit schamlosen Schimpfworten. Ich könnte sofort zur Polizei senden, aber ich will jetzt noch darauf verzichten und Ihnen eine Frist stellen. Wenn Sie bis morgen Abend sechs Uhr meine Wohnung noch nicht verlassen haben, lasse ich Sie polizeilich entfernen und auch noch wegen des beschimpfenden Ausdruckes bestrafen, dessen Sie sich bedient haben. Richten Sie sich darnach!«

Sie wendete sich um und stieg wieder die Treppe empor. Er sah die andre Dame oben stehen und fühlte sich riesig blamirt. Das brachte ihn aber keineswegs zur besseren Einsicht, sondern es erregte nur seinen Zorn:

»Ein Glück für Sie, daß Sie sich fort machen,« rief er der Dame nach. »Wenn Sie sich nicht augenblicklich getrollt hätten, wären Sie mit den wohlverdienten Ohrfeigen bedacht worden!«

»Ah, Ohrfeigen?« antwortete sie, stehen bleibend. »Das ist mir noch nie gesagt worden! Dieser Mensch ist noch viel gemeiner, als ich gedacht habe.«

Er sprang auf die Treppe zu und drohte:

»Nun aber schnell verschwinden, sonst – –! Morgen ziehe ich aus. Mit so einer alten Xantippe mag ich nicht zusammen wohnen!«

Der Baron mochte befürchten, daß diese Scene sich noch mehr verschärfen könne. Darum trat er herbei, faßte ihn am Arme und bat:

»Komm! Erniedrige Dich nicht! So ein Weib darf für Unsereinen gar nicht existiren.«

»Hast Recht! Aber sagen muß ich es ihr.«

Sie gingen. Ihr Weg führte sie, da des Commerzienrathes Palais auf der Asperngasse stand, an dem Eingange der Praterstraße vorüber nach der Ferdinandsstraße, in welche die Erstere mündet.

Der Sänger war voller Aerger, nicht sowohl über den Zank mit der Wirthin als vielmehr deshalb, daß ihm sein Angriff auf das schöne Mädchen nicht so gelungen war, wie er es beabsichtigt hatte.

»Verdammte alte Hexe!« brummte er. »Wenn sie nicht dazugekommen wäre, hätte ich mir ein Paar Küsse geholt.«

»Was hättest Du davon gehabt?«

»Das fragst Du mich!«

»Natürlich. Für solche Küsse danke ich! Wenn ich sie nicht freiwillig und aus Liebe erhalte, so verzichte ich lieber darauf.«

»Aber hast Du Dir denn das Mädchen gar nicht angesehen?«

»Sogar sehr genau.«

»Nun? Was sagst Du zu ihr?«

»Sie ist allerdings verdammt hübsch.«

»Nicht nur hübsch, sondern sie ist eine Schönheit, keine Mondschönheit, weißt Du, sondern eine mit strotzenden Formen. Man möchte gleich hineinbeißen in diese süße, schwellende Frucht. Aber sie ist ein fester Charakter. Ich habe ihr alle möglichen Vorschläge gemacht, doch vergebens.«

»Ich kann Dich nicht begreifen!«

»So! Bist etwa Du ein Heiliger?«

»Gar nicht. Aber vorsichtig bin ich.«

»Pah, Vorsicht! Genuß, Genuß, das ist die Hauptsache!«

»Hast Du nicht Deine Tänzerin?«

»Ja, aber ein richtiger Jäger nimmt, wenn er Hochwild erlegt hat, auch noch einen Hasen mit, wenn er ihm in den Weg kommt.«

»Und die Blamage rechnest Du nicht?«

»Nein. So ein Weib kann mich gar nicht blamiren. Sie soll sich einen andern Miether suchen.«

»Wie? Du willst wirklich ausziehen?«

Das Gesicht des Barons nahm bei dieser Erkundigung den Ausdruck der Enttäuschung an.

»Ja, ich ziehe aus.«

»Das ist dumm!« entfuhr es ihm.

»Warum?«

»Weil – – weil das Logis nicht übel ist.«

»Es giebt tausend ähnliche und noch bessere. Ich wohne möblirt, kann also jeden Augenblick fort. Ich bin übrigens überzeugt, daß der alte, grimmige Drache wirklich seine Drohung erfüllt, wenn ich nicht bis morgen ausgezogen bin.«

»Ich an Deiner Stelle würde das abwarten.«

»Fällt mir nicht ein! Wer Ehrgefühl besitzt, mag mit solchen Personen nichts zu thun haben. Sprechen wir von etwas Anderem! Du verkehrst also nicht bei dem Commerzienrath?«

Als der Sänger von seinem Ehrgefühle sprach, glitt ein mitleidiges Lächeln über das Gesicht des Barons, welcher jetzt antwortete:

»Nein. Ich bin ihm noch nicht vorgestellt.«

»Willst Du seine Bekanntschaft machen, so werde ich Dich bei ihm einführen.«

»Die Bekanntschaft eines solchen Mannes ist immerhin erwünscht. Aber wie willst Du mich bei ihm einführen? Du verkehrst ja selbst noch nicht bei ihm.«

»Werde aber Hausfreund werden; an meinen jetzigen Besuch wird sich natürlich ein intimerer Verkehr knüpfen. Es wäre mir sehr lieb, wenn Du mir einen Wink in Beziehung auf den Charakter dieses Krösus geben könntest.«

In diesem Augenblicke kam eine Equipage heran gerollt. Eine einzelne Dame saß darin.

»Schau!« meinte der Baron, »da hast Du gleich die Commerzienräthin, seine Frau.«

Der Sänger sah sich die Dame an und sagte dann, als sie vorüber war, im Weitergehen:

»Nicht übel! Zwar etwas aufgedonnert, hat aber das Aussehen eines liebenswürdigen Characters.«

»Den hat sie auch. Man erzählt sich sehr viel von ihren Wohlthaten. Sie ist Jüdin.«

»Das sieht man ihrem orientalischen Gesichtsschnitte an. Er ist natürlich auch Israelit, wie sein Name Hesekiel beweist?«

»Ja. Man sagt sich, daß er früher mit alten Kleidern gehandelt habe. Eine Geistesgröße ist er nicht, sondern ein Geldprotz.«

»So harmonire ich nicht mit ihm.«

»Er wird sich nicht darüber grämen.«

»Ich glaube, daß ich mich nicht viel bei ihm einstellen werde. Bei solchen Menschen ist es ja nicht möglich, sich zu amüsiren.«

»O, was das betrifft, so sind grad die Salons dieses Commerzienrathes sehr beliebt. Er zieht wirklich nur feine Leute herbei und ist auch in eigener Person ein Gegenstand der Unterhaltung; nur darf man sich das nicht merken lassen, wenn man ihm willkommen sein will.«

»Wieso?«

»Nun, er hat weder Bildung noch Kenntnisse, hält sich aber für ungeheuer klug und belesen. Bei einem Gespräche über Kunst und Wissenschaft fühlt er sich in seinem Elemente und schießt dabei solche Böcke, daß man platzen möchte, da man ihm natürlich nicht in das Gesicht hinein lachen darf, sondern nicht nur ernsthaft bleiben, sondern ihm sogar Recht geben muß. Das vergrößert natürlich sein Selbstbewußtsein, und so kommt es, daß er sich für einen Mann hält, dessen Urtheil gewichtig in die Wagschale fällt. Du wirst es gleich jetzt erfahren, wenn Du zum ersten Male bei ihm bist. Laß Dich durch seine Reden nicht verblüffen, und lache ihn um aller Welt willen nicht aus, sonst läßt er Dich hinauswerfen.«

»Kommt man denn bei ihm in gar so große Gefahr, in ein Gelächter auszubrechen?«

»Zuweilen, ja. Da ist die Asperngasse. Wir trennen uns. Wollen wir uns heut wiedersehen, so weißt Du mich zu finden.«

»Vielleicht komme ich. Leb wohl!«

Sie reichten einander die Hand. Der Sänger ging in die erwähnte Gasse; der Baron aber schlenderte zurück, nach der Ferdinandsbrücke zu.

Er machte keineswegs ein vergnügtes Gesicht.

»Verdammt!« brummte er für sich hin. »Ich hatte es so schlau angefangen, zu erfahren, wie man zu seinem Gelde kommen kann. Es ist so leicht, es sich zu holen, und nun muß der Einfaltspinsel die Dummheit mit dem Mädchen begehen, so daß er nun gezwungen ist, sich ein anderes Logis zu suchen. Wer weiß, ob es in demselben ebenso klappt wie hier!«

Er warf den Stummel seiner Cigarre ärgerlich fort, blickte sich vorsichtig um, ob er beobachtet werde, und fuhr fort:

»Heut ist der letzte Tag, welchen er bleiben kann. Eigentlich sollte ich diesen zum Einbruch benützen; aber es paßt nicht; ich muß also warten. Einstweilen habe ich den Ring. Er ist ächt. Ich werde ihn gut verkaufen. Man sieht mir bereits auf die Finger. Man glaubt nicht, daß ich adelig bin und große Besitzungen habe. Ich werde also bald verschwinden, vorher aber noch einen tüchtigen Treffer machen. Valeska, die Tänzerin, muß mir dabei helfen.«

Der Gedanke an sie schien seinen Mißmuth zu verscheuchen, denn er lachte lustig auf.

»Das ist eigentlich brillant! Sie ist meine Koncubine, und er ahnt es nicht. Er will sie sogar heirathen! Meinetwegen! Er mag es thun. Ich wünsche Beiden Glück dazu, denn ich werde meine Rechnung dabei machen.«

Er zog den Ring aus der Tasche, steckte ihn an und ließ im Weitergehen den Stein in der Sonne funkeln.

Als der Graf vorhin die beiden Herren aus seiner Equipage entlassen hatte, war er durch einige der Nebenstraßen einen Bogen gefahren, um über die Aspernbrücke zurückzukehren. Seine Wohnung lag am Kärnthnerring. Dabei kam er auch durch die Asperngasse und an dem Palais des Commerzienrathes vorüber. Er blickte nach den Fenstern empor, um zu grüßen, falls er dort Jemand sehen sollte. Er sah die Dame des Hauses, welche auf dem Balkon stand, und zog den Hut. Sie erkannte ihn und winkte. Er ließ halten und stieg aus, um sich zu ihr zu begeben. Sie kam ihm bis zum Vorsaale entgegen.

»Wie gut, daß Sie vorüberfahren, mein Verehrtester,« sagte sie. »Ich freute mich, als ich Sie sah, denn ich möchte Ihre Hilfe in Anspruch nehmen.«

Er küßte ihr galant die Hand und versicherte:

»Es gewährt mir ein großes Vergnügen, Ihnen meine Dienste widmen zu können.«

»Kommen Sie herein. Mein Mann sitzt beim zweiten Frühstücke. Wir sprechen über einen Gegenstand, in Beziehung dessen ich Sie um Ihren Rath ersuchen möchte.«

Als sie in das Balkonzimmer kamen, saß der Commerzienrath an einem Seitentische. Er hatte eine Serviette unter die Kehle gebunden, eine zweite auf dem Schooße liegen; eine dritte lag ihm zur Hand auf dem Tische. Er schien ein Freund der Sauberkeit zu sein.

Der Tisch war mit all denjenigen Feinheiten bedeckt, welche ein Gourmand auf seiner Tafel zu lieben pflegt. Eben schob der Commerzienrath ein großes Stück geräucherten Lachs in den mit großen, gelben Zähnen bewaffneten Mund, als seine Frau den Grafen brachte. Ohne sich zu erheben, sagte er kauend:

»Ah! Sie, bester Graf! Willkommen! Setzen Sie sich her, und nehmen Sie theil!«

»Danke! Habe bereits gefrühstückt.«

»Thut nichts. Wein getrunken?«

»Ja. Burgunder und Champagner.«

»Das macht Kopfweh. Setzen Sie sich nur, und essen Sie wenigstens einen Rollmops. Der stellt das Gleichgewicht wieder her.«

Er nahm die Serviette von der Kehle, wischte seine vom Lachs gefetteten Finger daran und hielt sie dann dem Grafen hin.

»Danke wirklich!« lächelte dieser. »Die Gnädige hatte die Güte, mich zu rufen. Es handelt sich, wie ich höre, um eine Angelegenheit, in welcher ich mir Verdienste erwerben kann.«

Der Bankier schob ein Stück Chesterkäse in den Mund und nickte:

»Ja, schön! Vortrefflich, daß Sie kommen. Setzen Sie sich! Sie haben doch unsere Einladung erhalten?«

»Ja, bereits gestern.«

»Und werden kommen?«

»Natürlich!«

»Schön! Es soll nicht etwa ein brillanter Gesellschaftsabend sein, nein gar nicht, sondern nur ein Vergnügen unter uns, das heißt unter den Nobelsten unserer Bekanntschaft. Da sind Sie natürlich der Erste, an den die Einladung ergangen ist – – –«

Der Graf, welcher sich gesetzt hatte, verbeugte sich unter einem verbindlichen Lächeln. Der Bankier fuhr fort:

»Sie wissen, ich bin Kunst- besonders Musikfreund, sogar einer der bedeutendsten Kenner dieses Faches. Ich spiele zwar nicht Clavier, weil meine Finger zu dick dazu sind. Ich habe das Unglück, daß jeder derselben gleich drei Tasten zugleich niederdrückt. Ich würde also nicht einmal einen guten Triller fertig bringen; aber wenn ich auch nicht selbst spiele oder blase, so höre ich es doch sehr gern, und so darf auch heut die Musik nicht fehlen. Ich habe auch bereits eine kleine Kapelle engagirt; da erfahre ich, daß seit einiger Zeit ein Sänger hier wohnt, welcher keine üble Stimme haben soll. Die Wiener Sänger haben alle bereits bei mir gesungen; nun möchte ich meinen Gästen auch diesen Fremden vorführen. Was meinen Sie dazu?«

»Brillante Idee!«

»Nicht wahr! Wollen Sie nicht wenigstens eine Caviarsemmel nehmen?«

Er spießte die Semmel mit der Gabel an und hielt sie dem Grafen hin.

»Danke! Ich hatte heut schon Caviar.«

»Schade! Ich habe mir sagen lassen, daß der Caviar ein sehr gutes Präservativ gegen den Schnupfen und die Reizung sämmtlicher Schleimhäute sein soll. Leiden Sie oft an Schnupfen?«

»Selten!« antwortete der Graf sehr ernsthaft.

»Sie Glücklicher! Ich brauche alle Wochen zwei Dutzend Taschentücher. Also Sie meinen, daß ich den Sänger engagiren soll?«

»Ja.«

»Leider weiß ich nicht, wo er wohnt; aber ich erfuhr, daß Sie ihn kennen.«

»Wie heißt er?«

»Criquolini.«

»Ja, den kenne ich. Soeben erst habe ich ihn an seiner Wohnung abgesetzt.«

»Leistet er Etwas?«

»Hoffentlich.«

»Wie? Haben Sie ihn noch nicht gehört?«

»Ich war dabei, als er irgend ein Liedchen trällerte. Andere Leistungen vernahm ich noch nicht von ihm. Aber er soll in Amerika gute Erfolge gehabt haben.«

»So! Na, ich werde ihn benachrichtigen.«

»Thun Sie das bald, da Sie ihn bereits für heut Abend wünschen; er könnte sich sonst anderweit versagen.«

»Schön, schön! Dort liegt Papier und alles Nöthige. Ich bin noch nicht fertig mit dem Frühstücke und habe fettige Hände. Wollen Sie dem Manne nicht einige Zeilen in meinem Namen schreiben?«

»Gern!«

Der Graf setzte sich an den Schreibtisch und verfaßte jene wenigen Zeilen, welche der Sänger dann erhielt. Er lächelte still vor sich hin. Er kannte den Commerzienrath, und er kannte Criquolini. Er gedachte, ihnen einen kleinen Streich zu spielen. Beide hatten harte Köpfe und besaßen sehr viel Eigenliebe. Einer wie der Andere war für Beleidigungen sehr empfindlich. Indem der Graf dem Bankier verheimlichte, daß Criquolini ein Sänger von Ruf sei, und indem er die Zeilen, welche er schrieb, so abfaßte, daß ihre Kürze den Sänger fast beleidigen mußte, sorgte er dafür, daß es zu einer kleinen Scene zwischen den Beiden kommen mußte.

Ein Sänger von dem Rufe des einstigen Wildschützen durfte natürlich nicht engagirt und wie ein gewöhnlicher Musiker bezahlt werden. Man mußte ihn laden und mit den andern Gästen gleichstellen.

Der Graf war Criquolini keineswegs sehr zugethan. Er war überzeugt, daß dieser ein innerlich verwahrloster Mensch, ein fast gemeiner Character sei. Da aber der Sänger im Club eingeführt worden war, verkehrte der Graf um der anderen Mitglieder willen gelegentlich mit ihm. Er hatte ihn heute nach Hause gebracht, nicht etwa aus besonderer Zuneigung, sondern aus Rücksicht darauf, daß er selbst mit ihm gefrühstückt hatte. Mußte der zu drei Viertheilen betrunkene Tonkünstler seine Wohnung zu Fuße aufsuchen, so konnte er bei seinem Character unterwegs sehr leicht mit der Polizei in Conflict gerathen. Das hatte der Graf vermeiden wollen.

Auch den Baron hatte er längst durchschaut und als einen Schwindler erkannt. Er verachtete ihn und zeigte ihm nur äußerlich diejenige Freundlichkeit, welche ein Gebot der guten Sitte ist.

Als er die Zeilen vollendet und die Adresse geschrieben hatte, gab er Beides dem Banquier zu lesen.

»Vortrefflich!« nickte dieser. »Ein Diener mag das Billet sofort besorgen.«

Der gefällige Graf klingelte und gab den Brief ab. Er glaubte die Angelegenheit nun erledigt; aber der Jude sagte, immer kauend:

»Nun noch Eins, lieber Freund; die Hauptsache. Ist Ihnen der Name Ubertinka bekannt?«

»Allerdings. So heißt ja jene Sängerin, welche in Mailand, Venedig, Rom und Neapel ein so großes Aufsehen erregte.«

»Die meine ich. Halten Sie diese für gut?«

»Wozu?«

»Bei mir zu singen.«

»Ah! Etwa heut Abend?«

»Gewiß.«

»So müßte sie ja hier sein.«

»Bitte, bemühen Sie sich nochmals an den Schreibtisch. Dort liegt die Liste der bei der Polizei neu angemeldeten Fremden. Suchen Sie da nach dem Hotel de l'Europe, Asperngasse Nummer zwei, also gar nicht weit von mir.«

Der Graf fand die bezeichnete Stelle. ›Signora Ubertinka, Sängerin‹ war da zu lesen.

Der Graf war ein großer Freund des Theaters, besonders der Oper, des Gesanges. Er interessirte sich sehr für alles neu auf diesem Gebiete Erscheinende. Eine neue Erscheinung am Himmel der Kunst konnte ihn in Extase versetzen.

Aber er war nicht einer jener Theaterhabitués, welche die Kunst lieben nur der Künstlerinnen wegen. Er besaß einen wahrhaft edlen Character und eine Geistes- und Herzensbildung, deren Höhe der Höhe seines Standes und seiner gesellschaftlichen Stellung gleichkam. Als er den berühmten Namen las, rötheten sich seine Wangen.

»Was!« fragte er. »Die Ubertinka ist hier, ist in Wien? Gestern angekommen? Das ist freilich geradezu ein Ereigniß.«

»Wirklich?« fragte der Banquier.

»Mein Gott, da fragen Sie auch noch! Diese Sängerin ist ja eine phänomenale Erscheinung!«

»Also schön?«

»Bitte, das meine ich nicht. Ich spreche von ihren künstlerischen Leistungen, von denen Sie doch wohl gehört haben?«

»Ja; aber ich gestehe offen, ich entsinne mich, von ihr gelesen zu haben, habe aber das Nähere längst wieder vergessen. Sie wissen ja, Unsereiner, der eine Autorität ist, wird so allgemein in Anspruch genommen, daß man sich das Besondere, das Einzelne gar nicht merken kann. Darum eben ist es mir lieb, daß meine Frau Sie citirt hat. Ich pflege täglich die Fremdenliste durchzugehen, der Geschäftsleute wegen, welche ankommen. Da fand ich vorhin den Namen Ubertinka. Ich sann und sann, bis mir einfiel, daß vor einiger Zeit in sehr vielen Journalen von ihr geschrieben wurde. Sie ist also wirklich berühmt?«

»Hm! Der Ausdruck berühmt ist hier wohl nicht anzuwenden.«

»So! Also taugt sie doch nicht viel?«

»Bitte, bitte! So ists nicht gemeint –«

»Nach meiner Meinung kann eine Sängerin, welche nicht berühmt ist, nicht viel taugen.«

»O doch! Ist zum Beispiel die Venus berühmt?«

»Die Venus? Ja. Sie ist die Göttin der Liebe. Sie war die Gemahlin des buckeligen Vulkan und ist diesem untreu geworden, weil ihr der Kriegsgott Mars viel besser gefiel, von dem sie drei Kinder bekommen hat. So habe ich gelesen.«

Die Commerzienräthin machte eine Handbewegung der Abwehr.

»Aber, Hesekiel!«

»Was?« fragte er verwundert. »Ah, ich soll nicht von solchen Ehebruchsgeschichten reden? Warum denn nicht, liebes Kind? Das ist täglich vorgekommen und kommt noch heut täglich vor, früher unter Göttern und jetzt unter Menschen. Diese Letzteren scheinen es von den Ersteren gelernt zu haben. Du brauchst Dich gar nicht darüber zu entsetzen, denn ich bin kein Mars und bleibe Dir treu.«

Der Graf ließ ein kurzes, lustiges Lachen hören und bemerkte:

»Lieber Baron, als ich von der Venus sprach, meinte ich nicht die Göttin der Liebe, welche allerdings ein leichtes Leben geführt zu haben scheint, sondern den Planet, welcher diesen Namen führt.«

»Ach so! Kenne ich, kenne ich auch! Venus, Erde, Mars, Jupiter, Uranus, Saturn, kenne sie alle, alle! Treibe des Nachts zuweilen Astronomie. Was ist also mit diesem Planeten Venus?«

»Ich frug Sie, ob er berühmt sei.«

»Berühmt? Nein. Nicht daß ich wüßte! Was ists denn weiter, ein Planet zu sein? Gar nichts, gar nichts! Man läuft einfach rund um die Sonne herum und leuchtet ein Bischen während der Nacht.«

»Sehr richtig! Aber setzen wir den Fall, es trete plötzlich ein Komet auf, ein Komet, den kein Astronom vorher berechnet hat. Er kommt ungeahnt, ist da und überfluthet den ganzen Himmel mit Glorienschein. Wie steht es da mit der Berühmtheit?«

»Die ist da, sicherlich da! Ein Komet macht viel eher Carrière als ein Planet. Von ihm erzählt man sich noch nach Jahrhunderten.«

»Da haben Sie nun den Vergleich, welchen ich bringen wollte. Die glänzenden Sterne unserer Opernwelt sind Planeten, welche ihren ruhigen, vorgeschriebenen Lauf gehen und weder rechts noch links abweichen. Tritt aber an diesem Himmel ein Komet auf, so hat ihn vorher kein Mensch gekannt; er ist also nicht berühmt, überstrahlt aber dennoch die Planeten alle.«

»Sapperment, lieber Graf, meinen Sie etwa, daß diese Uebertinka ein solcher Komet sei?«

»Ja, das ist sie. Sie leistet Unglaubliches, ohne berühmt zu sein, wird es aber in Kurzem werden.«

»Wissen Sie Näheres von ihr?«

»Nur das, was man hier und da zu lesen bekam.«

»Hier in Wien hat sie noch nicht gesungen?«

»Nein.«

Da warf der Banquier auch noch die andere Serviette fort, sprang auf, rieb sich vergnügt die Hände, lief im Zimmer auf und ab und rief:

»Herrlich! Prächtig! Köstlich! Ah! O! Auf so einen Gedanken kann nur eben ich kommen, ich, der Herr Baron Hesekiel von Hamberger!«

Seine Frau war solche Auslassungen gewöhnt. Ihr fielen sie nicht mehr auf. Der Graf war rücksichtsvoll genug, ein Lächeln zu unterdrücken.

Der Banquier blieb endlich vor ihm stehen und fragte:

»Was meinen Sie, bester Graf, würde es nicht Aufsehen erregen, wenn ich, ich, ich –« er deutete dabei mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf seine fette, breite Brust, »wenn ich diesen Kometen in die Wiener aristokratische Welt einführte?«

»Ungeheures Aufsehen!«

»Würde ich mir nicht große Verdienste um die Kunst erwerben, bedeutende Verdienste?«

»Unbedingt!«

»Und welch eine Genugthuung für mich, wenn ich allen Anderen zuvorkomme, allen Fürstlichkeiten und hohen Herrschaften!«

»Ja, das wäre ein Erfolg, um den Sie Jedermann beneiden würde.«

»Sie wohl auch?«

»O nein. Ich lebe einsam nur meinen Studien und der complicirten Verwaltung meiner Besitzungen und sehe keine Gesellschaften bei mir. Wie also sollte ich Sie beneiden? Im Gegentheile würde es mich, als den Gast Ihres Hauses, freuen, wenn Sie das Glück hätten, diese Künstlerin für heute Abend zu gewinnen.«

»Das Glück? Warum sollte ich es nicht haben?«

Der Graf wiegte, ohne eine Antwort zu geben, den Kopf bedenklich hin und her.

»Nun, so antworten Sie doch! Sprechen Sie! Warum sollte sie nicht kommen wollen, zu mir, dem reichen Banquier und Baron Hesekiel.«

»Weil sie nicht so ist wie Andere.«

»So! Wie ist sie denn?«

»Sie scheint nur ihrer Kunst zu leben. Vom öffentlichen Leben aber zieht sie sich zurück.«

»Das wissen Sie?«

»Es wurde darüber geschrieben. In den vorhin genannten Städten haben die reichsten und angesehensten Familien sich Mühe gegeben, sie anzuziehen, vergeblich. Sie hat stets abgelehnt. Sie hat als Grund angegeben, daß sie lernen müsse und keine Zeit für Anderes übrig habe.«

»Dann ist sie allerdings eine große Ausnahme. Aber dennoch werde ich mein Glück bei ihr versuchen. Ich werde Alles thun, was ich kann. Ich werde zu ihr fahren in meinem besten Wagen und ihr bieten hundert Gulden, fünfhundert Gulden und auch noch mehr, wenn sie kommen will, um ein Lied zu singen.«

»Um Gotteswillen, das nicht!«

»Kein Lied?«

»Nein, kein Geld, meine ich. So eine Dame fühlt sich natürlich hoch beleidigt, wenn man ihr eine Bezahlung anbietet.«

»Aber ich kann und will doch nicht verlangen, daß sie es umsonst macht. Ich will nobel sein!«

»Das können Sie auch ohne Bezahlung.«

»Aber wie denn?«

»Indem Sie ihr zum Beispiel am nächsten Morgen ein feines Bouquet senden, welches von einer goldenen Kette oder einem Braçelet zusammengehalten wird.«

»Schön! Dieser Gedanke ist prachtvoll. Die Kette und das Braçelet werden das Bouquet zusammenhalten. Ich werde ihr gleich einige Zeilen in das Hotel senden.«

»Da kommt sie nicht.«

»Nicht? Warum?«

»Sie ist eben keine Lohnsängerin. Man muß sie persönlich einladen.«

»So fahre ich gleich zu ihr!«

»Auch davon möchte ich abrathen. Es handelt sich hier nicht um einen Sänger, sondern eine Sängerin, darum würde ich rathen, daß Frau von Hamberger sich zu ihr bemühe. Einer Dame wird es durch liebenswürdiges Benehmen am Besten gelingen, die Sängerin zur Zusage zu bewegen.«

Der Banquier wendete sich schnell an seine Frau:

»Judith, lauf, eile, fahre sogleich! Sei liebenswürdig, höchst liebenswürdig! Mache Dich angenehm! Lächle freundlich und streichle ihr die Wangen. Das haben die jungen Damen gern; das weiß ich ganz genau, denn ich habe –«

Er hielt erschrocken inne und verbesserte sich:

»Das weiß ich ganz genau, denn ich habe es oft gehört, obgleich ich niemals solche Wangen streichle. Judith, es ist die Zeit, in welcher Du auszufahren pflegst. Fahre nach dem Hotel, gleich, gleich. Ich bitte Dich!«

Am Liebsten hätte er die Sängerin gleich jetzt schon hier gehabt, um ihrer sicher zu sein. Der Gedanke, in Wien der Erste zu sein, bei dem sie sich hören ließ, machte ihn fast betrunken.

Der Graf erhob sich von seinem Sitze und fragte:

»Haben Sie sonst noch eine Frage, mit deren Beantwortung ich Ihnen dienen kann?«

»Für jetzt nicht mehr,« antwortete die Frau des Hauses. »Wir dürfen Sie ja nicht noch mehr belästigen, als es bereits geschehen ist.«

»O, ich stehe Ihnen stets und gern mit allen meinen Kräften zur Verfügung. Wenn Sie es genehmigen, so möchte ich Ihnen gern noch einen Rath ertheilen.«

»Seien Sie überzeugt, daß er uns sehr willkommen sein wird.«

»Sprechen Sie, wenn Sie zu der Sängerin kommen, nicht davon, daß sie singen soll. Das würde doch wie ein Engagement klingen. Laden Sie sie einfach ein; sie wird Sie verstehen und Ihnen für diese Zartheit dankbar sein. Singt sie dann heute nicht, nun, so wird sie ein anderes Mal singen. Sie haben dann wenigstens die Genugthuung, die erste Dame zu sein, bei welcher die Künstlerin eingeführt worden ist.«

Das leuchtete dem Banquier ein. Er war gar so gern nobel und zart; aber er hatte kein Geschick dazu. Kam es dann einmal vor, so wie jetzt, daß er durch Andere in die Möglichkeit gesetzt wurde, zart zu sein, so trieb er die Zartheit dann allerdings auch bis auf die äußerste Grenze.

»Hörst Du es, Judith!« rief er. »Sei zart! Du kannst es ja, denn das ist uns Beiden angeboren. Wir sind von zartester Constitution und sind auch so unendlich zart verheirathet worden. Sage ihr nicht, daß sie singen soll. Verbiete es ihr! Sage ihr, daß ich es nicht dulde, auf keinen Fall dulde. Sie soll nur essen und trinken. Sie braucht kein Wort zu singen oder zu sprechen. Also, sei zart, Judithchen! Fasse sie leise und lieblich an mit den Fingerspitzen, so wie man eine Spinne ergreift, wenn man sie zum Fenster hinauswerfen will.«

Der Graf gab sich Mühe, bei diesem ›zarten‹ Vergleiche ernst zu bleiben. Er verabschiedete sich in verbindlichster Weise und ganz kurze Zeit später fuhr die Baronin nach dem Hotel.

Dort erfuhr sie zu ihrem anfänglichen Leidwesen, daß die Sängerin das Hotel bereits verlassen und sich eine Privatwohnung gemiethet habe. Dann, als sie erfuhr, wo diese Wohnung sich befand, freute sie sich doppelt darüber, denn die Frau Salzmann, zu welcher die Sängerin gezogen war, war ja eine liebe Freundin von ihr. Sie war die sehr wohlhabende Wittwe eines Regierungsbeamten und besaß in der Asperngasse ein Haus, dessen möblirte Wohnungen sie an anständige Personen vermiethete. Dabei hatte sie die Gewohnheit, sich als Mutter ihrer Abmiether zu betrachten und ihnen in jeder Beziehung mit Rath und That zur Seite zu stehen.

Zu ihr fuhr die Baronin, welche ihres Erfolges nun ganz sicher zu sein glaubte, da Frau Salzmann voraussichtlich ihre Bitte unterstützen würde. Die Letztere war ja auch bereits für heute Abend geladen.

Unterwegs begegneten der Baron und Criquolini ihrem Wagen, ohne daß sie den beiden Männern die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Sie hatte den Sänger einmal flüchtig in dem Flur des Salzmann'schen Hauses gesehen und dann von der Wirthin gehört, daß er ein wüster Patron sei, den in ihr Haus genommen zu haben, sie lebhaft bedauere. Den Namen hatte sie sich nicht gemerkt, und so ahnte sie nicht, daß der Sänger, an welchen ihr Mann durch die Hand des Grafen geschrieben hatte, dieser ›wüste Patron‹ sei. –

Frau Salzmann saß am Morgen in der Küche und war mit ihren beiden Dienstmädchen mit der Vorbereitung des zum Mittagsmahle nothwendigen Gemüses beschäftigt. Sie war auch diesen Mädchen wie eine Mutter. Sie griff selbst mit zu, nahm Theil an Allem, was sie betraf, und behandelte sie mehr als Kinder denn als Gesindepersonen.

Da klingelte es. Die hübscher Gekleidete von den beiden Mädchen ging, um nachzusehen. Sie ließ dabei die Küchenthür halb offen und so hörte Frau Salzmann eine wohlklingende, sonore Frauenstimme fragen:

»Entschuldigen Sie, würde Frau Salzmann für einen Augenblick zu sprechen sein?«

»Wen darf ich melden?«

»Hier meine Karte.«

Das Zimmermädchen führte die Fremde in den Salon und brachte dann die Karte in die Küche. Frau Salzmann las auf derselben den Namen Lena Ubertinka.«

»Sonderbarer Name!« sagte sie. »Vielleicht ist sie eine Ausländerin. Wie sah sie aus, liebe Martha?«

»Einfach, aber sehr anständig.«

»Was mag sie wollen? Na, ich will sehen.«

Sie strich die glänzend weiße Küchenschürze glatt und begab sich hinüber nach dem Salon.

Die Fremde stand, sie erwartend, da. Sie war in ein einfaches Reisegrau gekleidet und trug nicht den mindesten Schmuck an sich. Der Hut war ein einfacher Strohhut mit grauseidenem Bande. Die Gestalt war hoch und voll, das Gesicht bleich, aber nicht kränklich blaß. Die großen, schwarzen, ernst blickenden Augen konnten es Einem anthun. Sie war eine Schönheit, aber eine jener ernsten Schönheiten, denen man nur in lauterer Absicht zu nahen wagen darf.

Frau Salzmann war eine Menschenkennerin. Sie sagte sich sogleich im Stillen:

»Das ist eine Brave, der kann man vertrauen; die könntest Du recht lieb haben.«

Laut aber bat sie:

»Warum haben Sie sich nicht gesetzt? Bitte, nehmen Sie Platz!«

»Dann vielleicht, wenn Sie meine Frage vernommen haben. Ich brauche eine Wohnung. Da ich hier gänzlich unbekannt bin und den Annoncen kein Vertrauen entgegenbringen kann, wendete ich mich an die Wirthin des Hotels de l'Europe, wo ich logirte. Sie hat mir Ihren Namen genannt und mir versichert, daß Sie eine Wohnung frei hätten und daß ich mich getrost unter Ihren Schutz begeben könnte.«

Die Wirthin fühlte sich von der Stimme und den Worten der Fremden angenehm berührt. Sie antwortete:

»Aus ganz dem Grunde, welchen Sie nennen, annoncire ich nie. Daß die Wirthin Sie an mich gewiesen hat, ist eine Empfehlung für Sie an mich. Ja, ich habe eine Wohnung frei; aber ich fürchte, daß sie Ihnen zu groß sein wird. Bis vor Kurzem gehörte sie einer Wittwe, welche mit zwei Töchtern den Tod ihres Mannes betrauerte. Es ist die halbe erste Etage, vier Zimmer groß also für eine einzelne Person zu viel.«

»Für mich nicht. Gerade diese Räume habe ich mir gewünscht.«

Die Wirthin ließ einen freundlich-prüfenden Blick über die Gestalt der Fremden gleiten.

»Bedenken Sie auch, wie theuer eine solche fein möblirte Wohnung hier in Wien ist?«

Eine leise Röthe verschönte das Gesicht der Fremden. Sie antwortete lächelnd:

»Ich besitze die Mittel dazu und bin keine säumige Zahlerin.«

»Dann werde ich Sie ersuchen, die Räume sich einmal anzusehen.«

Sie wollte sich zum Gehen wenden, aber die Fremde legte ihr, sie zurückhaltend, das kleine Händchen leise auf den Arm.

»Bitte, ehe ich Sie bemühe, möchte ich erst gewiß sein, ob Sie mir das Logis auch überlassen würden, wenn es mir gefällt.«

»Was sollte mich daran hindern?«

»Mein – Stand.«

»So! Nun, welchem Stande gehören Sie an?«

»Ich bin Sängerin.«

Die Wirthin fuhr unwillkürlich um einen Schritt zurück und rief ganz absichtslos ein halblautes:

»O wehe!«

»Sehen Sie!« sagte die Fremde. »Sie erschrecken.«

Das gute Herz machte der Wirthin Vorwürfe. Sie antwortete schnell:

»Verzeihung! Das ist mir nur so entwischt. Ihr Stand besitzt allerdings Angehörige, denen man am Liebsten fern bleibt.«

»Leider weiß ich das!«

»Aber das sollte keineswegs Ihnen gelten. Sie sehen mir nicht wie eine Wiener Sängerin aus, die keine Note kennt und Gott weiß wovon lebt.«

»Nein, das bin ich nicht. Ich habe die Ueberzeugung, daß Sie sich niemals über mich beklagen würden.«

»Das traue ich Ihnen gern zu. Sie heißen Lena Uebertinka. Sind Sie eine Ausländerin?«

»Nein. Ich habe meinem deutschen Namen einen fremdländischen Klang gegeben.«

»Kindchen, das liebe ich nicht.«

»Auch ich bin eigentlich gegen solche Pseudonymen; aber ich habe eine persönliche Veranlassung, mich so zu nennen. Ich bin eine Bayerin, heiße eigentlich Magdalena Berghuber und wurde, weil ich in der Nähe einer sogenannten Muhre erzogen wurde, nur stets die Muhren-Leni genannt. Ich war eine Sennerin, ein dummes, stilles Ding. Da kam der gute König von Bayern, hörte mich jodeln und nahm mich von der Alpe weg. Ich mußte Sängerin werden; er hat Alles bezahlt und bezahlt auch jetzt noch Alles.«

»Der König von Bayern? Ah, das ist ja etwas ganz Anderes! Aber warum sind Sie nach Wien gekommen?«

»Es giebt hier einen gar berühmten Gesangslehrer, bei dem ich noch für einen oder zwei Monate Unterricht nehmen möchte.«

»Das läßt sich hören. Haben Sie vielleicht Familie?«

»Nein, ich bin ein Waisendirndl.«

»Aber anderen Anhang? Einen – Schatz?«

»Auch nicht. Ich wünsche weiter nichts, als bei Ihnen wohnen und auch essen zu dürfen. Ich gehe täglich auf eine Stunde zum Professor in den Unterricht und die übrige Zeit möcht ich so gern, daß Sie sich meiner mit annehmen, da ich so gar Niemanden hier in der großen Stadt hab.«

Das klang so rührend, daß Frau Salzmann das Herz überlief.

»Kind,« sagte sie fast zärtlich, »wenn Ihnen mein Logis gefällt, sollen Sie es haben, und ich will für Sie sorgen, als ob ich Ihre Mutter wäre. Sie dürfen mir meine Bedenken, welche ich vorhin äußerte, nicht übel nehmen. Ich habe die Unvorsichtigkeit begangen, das halbe Parterre an einen Sänger zu vermiethen, an welchem ich leider sehr schlimme Erfahrungen mache.«

»Ist er ein hiesiger?«

»Nein. Er stammt aus Bayern.«

»Und wie heißt er?«

»Criquolini. Er nennt sich so, obgleich er jedenfalls einen guten bayrischen Namen hat. Der ist ein richtiger Lüdrian. Lassen Sie sich ja nicht, falls er Sie kennen lernt, von ihm vertraulich als Collegin behandeln! Das wäre keine Ehre, sondern eine Schande für Sie.«

Leni fuhr sich mit der Hand nach dem Herzen. Sie fühlte einen tiefen, schmerzlichen Stich in demselben. Also so weit war es mit dem Krikelanton gekommen. Die Kunst wurde ihm ebenso verhängnißvoll wie früher der Jagdstutzen. Um ihre Betrübniß nicht merken zu lassen, bat sie:

»Bitte, dürfte ich vielleicht nun die Zimmer ansehen?«

»Ja, kommen Sie!«

Die Halbetage war wirklich höchst wohnlich eingerichtet. Indem sie aus einem Raum in den anderen gingen, hörten sie, daß ein Wagen unten hielt. Die Wirthin trat an das Fenster und blickte hinab.

»Da, kommen Sie her, liebes Kind,« sagte sie. »Sehen Sie diese Equipage. Sie gehört dem Grafen von Senftenberg, einem sehr reichen und feinen Cavalier. Der Eine, welcher bei ihm sitzt, nennt sich Baron Egon von Stubbenau und behauptet, große Güter zu besitzen. Der Andere ist der Sänger, von welchem ich sprach, der Criquolini. Sehen Sie sich ihn einmal an. Ist er nicht bereits am Vormittage betrunken?«

Leni schaute hinab. Es wurde ihr, als sie den einstigen Geliebten erblickte, unendlich weh zu Muthe. Sie liebte ihn ja noch immer, obgleich sie. es sich selbst nicht eingestand. Um nur Etwas zu sagen, fragte sie:

»Ist denn der Baron ein braver Mann?«

»Ich bin von dem Gegentheile überzeugt. Wenigstens glaubt ihm Keiner, was er sagt.«

»Aber warum verkehrt da der Graf, da Sie ihn einen so feinen Cavalier nennen, mit diesen Beiden?«

Dabei war ihr Auge forschend auf die männlich schönen, vornehmen Züge des Grafen gerichtet.

»Das fragen Sie, weil Sie die Sitten und Gewohnheiten der höheren Kreise nicht kennen. Dort giebt es oft Rücksicht zu nehmen, wenn man lieber dreinschlagen möchte. Der Sänger wird, weil man ihn zu den Künstlern zählt, mit zugelassen. Ihm sieht man Vieles nach, denn Künstler sind leichtlebige Leute, welche man entschuldigt, während man Andere verdammen würde. Der Baron ist eben so lange Baron, bis man ihm beweisen kann, daß er es nicht ist. Er ist dem Grafen vorgestellt worden und muß freundlich mit ihm sein, um nicht Den zu beleidigen, welcher ihm den Baron vorgestellt hat. Sie sehen ja auch seiner Miene an, daß er nur von oben auf die Anderen schaut, obgleich er freundlich mit ihnen ist. Er hat den Sänger in den Wagen genommen, weil derselbe vor Betrunkenheit nicht laufen kann. Im Herzen verachtet er ihn. Bitte, gehen wir weiter.«

Als sie alle Räume betrachtet hatten, erklärte Leni, dieselben miethen zu wollen, und bezahlte den Preis pränumerando. Die beiden Damen unterhielten sich noch eine Weile in herzlichster Weise, und dann sagte Leni, daß sie nun nach dem Hotel gehen wolle, um ihre Effecten herbeischaffen zu lassen.

»Nein, Kind,« antwortete die Wirthin. »Sie brauchen sich gar nicht zu bemühen. Haben Sie dort zu zahlen?«

»Ja. Die Rechnung ist noch unberichtigt.«

»Trotzdem ist Ihre Gegenwart nicht nöthig. Ich werde meine Martha senden. Die Wirthin kennt mich und nimmt es Ihnen nicht übel, wenn Sie nicht selbst kommen. Sie sind doch ganz allein hier?«

»Ich habe Niemand bei mir.«

»Sie wollen mir verzeihen. Ich dachte daran, daß alleinstehende Künstlerinnen gewöhnlich eine sogenannte Duenna, eine Ehrendame, bei sich haben.«

»Auch ich habe eine, eine sehr liebe Frau. Sie ist bei mir gewesen, seit der König mich ihr anvertraut hat. Aber sie ist so stark geworden, daß sie nicht mehr laufen kann. Dennoch wollte sie bei mir bleiben. Sie sagte, sie gräme sich zu Tode, wenn ich eine Andere engagire. Da bin ich, um sie nicht zu betrüben, allein nach Wien gegangen, und habe sie, trotzdem die Saison noch nicht da ist, nach Karlsbad in die Kur geschickt.«

Das war die dicke Gesangslehrerin Madame Qualeche, welche damals den Bewohnern der Thalmühle so viel zu schaffen gemacht hatte.

Nachdem sie sich noch eine geraume Weile unterhalten hatte, erhielt das Stubenmädchen den Auftrag, nach dem Hotel zu gehen. Sie war kaum zur Vorsaalthür hinaus, so hörte man sie um Hilfe rufen. Die Wirthin eilte hinaus. Leni mit ihr.

Beide sahen die Gruppe unten im Hausflur. Martha rang mit dem Sänger. Die Wirthin eilte ihr zu Hilfe. Leni aber versteckte ihr Gesicht hinter dem Taschentuche, damit er, wenn er heraufblickte, sie nicht erkennen solle. Ihr Herz bebte; ihr Busen arbeitete heftig.

»O Gott!« stöhnte sie leise. »So Einer ist er geworden. Nun ist Alles, Alles aus.«

Sie ging still hinein in ihre Wohnung und setzte sich auf das Sopha. Es war ihr so unendlich traurig im Herzen, daß sie hätte laut aufschreien mögen. Aber sie bezwang sich. Sie durfte der Wirthin nicht gleich im ersten Augenblicke Thränen zeigen.

Nach einiger Zeit klopfte es draußen an. Frau Salzmann trat ein und brachte die Baronin von Hamberger mit.

»Fräulein, Verzeihen Sie,« sagte sie. »Hier ist meine Freundin, die Frau Baronin von Hamberger. Sie hat mich heut zu sich geladen, und da ich ihr von Ihnen erzählte und ihr sagte, daß Sie so ganz allein sind, bat sie mich, Sie für den Abend mitzubringen. Jetzt möchte sie Ihnen selbst diese Bitte wiederholen.«

Leni hatte sich erhoben. Das Auge der jüdischen Baronin ruhte forschend auf ihr. Die Dame hatte sich diese Sängerin ganz anders gedacht. Diese zwar schöne, ja herrliche Figur, nur in ein so unscheinbares Gewand gekleidet, sollte ein Komet sein.

»Sie, Sie sind die Sängerin Ubertinka?« fragte sie.

Leni verneigte sich bejahend. Keine Fürstin hätte eine elegantere Verbeugung zeigen können.

»Bitte, nehmen gnädige Frau Platz!«

Sie schob Beiden Fauteuils hin, blieb aber selbst stehen. Jetzt hatte sie ganz die Haltung einer vornehmen Dame, welche zwei Bittende vor sich sieht. Die Baronin begann in verbindlichem Tone:

»Meine liebe Frau Salzmann hat Ihnen gesagt, welche Bitte mich zu Ihnen führt. Darf ich auf die Erfüllung derselben zählen?«

Leni richtete einen durchdringenden Blick auf das Gesicht der Sprecherin und fragte:

»Wußten Sie, bevor Sie mit Frau Salzmann sprachen, daß ich hier zu finden sei?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Die Besitzerin des Hotel de l'Europe sagte es mir.«

»So haben Sie mich dort gesucht?«

»Ja.«

»Woher wußten Sie, daß ich dort logire?«

»Ihr Name stand in der Fremdenliste.«

Leni's Blick übte eine solche Macht auf die Baronin aus, daß sie offen sagte, was sie hatte verschweigen wollen.

»Ich verstehe,« lächelte die Sängerin. »Ihre heutige Soiree ist eine musikalische?«

»Es werden einige Künstler sich hören lassen.«

»Und ich soll auch singen?«

»Nein, wirklich nicht, Fräulein. Das muthen wir Ihnen nicht zu. Graf Senftenberg hat Sie einen glänzenden Kometen genannt. Wir halten es für eine große Ehre, wenn Sie nur kommen. Singen sollen Sie nicht.«

Es glitt ein feines Lächeln über Lenis Gesicht.

»So sagt man uns allemal, im Stillen aber erwartet man natürlich, daß wir singen. Ich habe nie darnach gestrebt, Gesellschaften zu sehen, und ich habe auch jetzt keine Veranlassung, meine Grundsätze zu ändern. Ich muß Sie also bitten, es mir zu verzeihen, wenn ich, besonders da ich noch von der Reise ermüdet bin, auf die Ehre, heut bei Ihnen sein zu dürfen, verzichte.«

Die Baronin erschrak. Sie bat:

»Nehmen Sie dieses Wort zurück, Fräulein. Sie finden bei mir eine Gesellschaft, welche allen Ansprüchen genügen wird. Ich darf wirklich ohne Ihre Zusage nicht nach Hause kommen. Bitte, liebe Freundin, stehen Sie mir doch bei!«

Diese Bitte war an Frau Salzmann gerichtet, welche sich nun so eifrig für ihre Freundin verwendete, daß Leni endlich sagte:

»Nun, um nicht gleich in der ersten Stunde meines Hierseins unhöflich zu sein, werde ich – kommen und Ihnen auch ein Liedchen singen. Haben Sie eine gute Kraft zur Begleitung?«

»Nach dieser Ehre wird der Graf von Senftenberg eifrig trachten.«

»Sie haben diesen Namen nun zum zweiten Male genannt –«

»Er gehört zu den geehrtesten und willkommensten unserer Hausfreunde. Also ich darf meinen Mann mit Ihrer gewissen Zusage beglücken, Fräulein?«

»Ja. Ich. werde zwei Nummern singen und die Noten für die Begleitung dazu mitbringen, aber das thue ich außerhalb des Programmes. Ich komme nicht als Sängerin zu Ihnen.«

»Nein, sondern als eine junge Freundin, welche mir von jetzt an zu jeder Zeit und Stunde willkommen sein wird.«

Sie reichte ihr die Hand und entfernte sich mit der Wirthin. Bevor sie sich von der Letzteren verabschiedete, fragte diese:

»Nun, was sagen Sie von meiner neuen Mietherin, liebe Frau Baronin?«

»Ein Prachtkind!«

»Meinen Sie das wirklich?«

»Ja. Beim ersten Anblick machte sie auf mich gar keinen Eindruck. Dann aber hat sie mir geradezu imponirt. Diese Augen, deren Blick man unmöglich zu widerstehen vermag. Diese Sicherheit des Ausdruckes und der Haltung. Diese Eleganz der Bewegungen. Sie hat mich ja gradezu ins Examen genommen!«

»Ja, ich glaube, daß wir uns ihrer nicht zu schämen brauchen.«

»Welche Erscheinung, wenn sie erst Salontoilette angelegt hat. Die Herren werden sofort für sie schwärmen.«

»Sie aber hat mir gar nicht das Wesen, als ob sie sich gern anbeten lasse. Ich habe sie bereits jetzt herzlich lieb und wünsche sehr, daß wir Alle gegenseitig von einander befriedigt werden.« –

Unterdessen hatte sich der einstige Gemswilderer bei dem Banquier melden lassen. Dieser saß, als der Sänger bei ihm eintrat, eine Cigarre rauchend am Fenster und las in der Zeitung. Anton grüßte und verbeugte sich. Der Banquier las weiter, ohne ihn zu beachten. Erst als Anton sich ärgerlich räusperte, legte er die Zeitung bei Seite, stand auf, schob den Klemmer fest auf die Nase, betrachtete Anton vom Kopfe bis zu den Füßen herab und fragte:

»Signor Criquolini?«

»Wie Sie auf meiner Karte ersehen!«

»Sänger? Bin Kenner, Autorität, Kunstgröße. Was singen Sie?«

Er nahm die Haltung, die Miene und den Ton eines Mannes an, der im nächsten Augenblick über Leben und Tod zu entscheiden hat.

»Alles!« antwortete Anton, welcher auf so eine dumme Frage allerdings keine gescheidtere Antwort geben konnte.

»Schön! Ist mir lieb. Habe heut Soiree. Wollen Sie da singen?«

»Wer ist geladen?«

»Grafen, Barone, Freiherren und so weiter.«

»Welche Künstler sind geladen?«

»Die Bedeutendsten. Hoffe sogar, daß die Ubertinka kommen wird.«

»Die Ubertinka! Ist die denn in Wien?«

»Ja. Meine Frau ist soeben zu ihr, um sie einzuladen.«

»Dann sage ich unbedingt zu. Die Ubertinka muß ich hören.«

»Kennen Sie sie?«

» Par renommée. Sie ist ein Phänomen, natürlich eine Polin, wie der Name errathen läßt. Man sagt von ihr, sie soll die Vorzüge der Henriette Sonntag, Schröder-Devrient, Nielson und Patti in sich vereinigen. Was soll ich singen?«

»Was Ihnen beliebt. Für einen tüchtigen Begleiter werde ich sorgen. Am Liebsten hört man natürlich Liebeslieder.«

»Diesem Geschmacke werde ich Rechnung tragen.«

»Gut, und Ihre Rechnung zahle ich dann sofort.«

Der Sänger blickte den Banquier erstaunt an. Dieser sah das und fragte:

»Was gucken Sie? Richten Sie sich so ein, daß Sie punkt acht Uhr hier sind – Frack, Weste, Schlips und Handschuhe weiß – Lackstiefeletten. Bis dahin adieu, empfehle mich!«

Er drehte sich um und verließ das Zimmer. Anton blickte ganz erstaunt nach der Thür, hinter welcher der Mann verschwunden war. Was sollte er von ihm denken? Sollte er lachen oder sich ärgern? Sollte er auf heut Abend verzichten oder doch kommen?

»Pah!« meinte er zu sich. »Ich komme doch. Der Kerl ist ein Parvenue und weiß sich nicht zu benehmen. Jedenfalls aber ist die Tafel sein – exquisite Weine und vor allen Dingen die Ubertinka. Sie ist ein Räthsel für Alle; ich werde es lösen. Ob sie wohl schön ist? Jedenfalls nicht so schön wie die Tänzerin. Pah, werden sehen!«

Er ging, um sofort den Baron aufzusuchen und ihm mitzutheilen, daß die berühmte Sängerin in Wien sei und heut Abend mit ihm singen werde.

Die Beiden speisten nach ungarischer Karte bei Tökes in der Habsburger Gasse und beschlossen sodann, zur besseren Verdauung einen Spaziergang zu machen. Sie wendeten sich nach Norden, dem Augarten zu, ahnungslos, wer und was ihnen dort begegnen werde. –

Martha, das Stubenmädchen, hatte ihren Auftrag besorgt und stellte sich, als die Gepäckträger die Effecten Leni's gebracht hatten, dieser beim Auspacken zur Verfügung.

Was thut ein weibliches Wesen wohl lieber, als aus- und einpacken. Diese Arbeit regt sowohl die Phantasie als auch die Sprachwerkzeuge trefflich an. Darum war es kein Wunder, daß Leni und Martha sich während dieser Beschäftigung so viel zu sagen, zu fragen und mitzutheilen hatten, daß sie bald ein lebhaftes Interesse für einander empfanden. Jede hatte sich im Stillen gesagt, daß die Andere ein heimliches Herzeleid, vielleicht eine unglückliche Liebe haben müsse. Das erweckt die Theilnahme eines jeden Frauengemüthes.

Als eine Pause eingetreten war, benutzte Leni dieselbe zu der Bemerkung:

»Martha, ich höre, daß Sie nicht den Wiener sondern den bayrischen Dialect sprechen. Ich bin eine Bayerin. Sollten wir vielleicht Landsmänninnen sein?«

»Aane Bayrische sinds? Wirklich? O, wie mich das gefreut. Gar Aane aus dem lieben, schönen Bayernland, die nun allhier bei uns wohnen wird. Da bitt ich halt gar schön, daß wir mit nander so reden wie daheim, wann es Ihnen recht ist. Nicht wahr?«

»O, mir ists halt nicht nur recht, sondern sogar lieb. Ich hab meine Heimathssprach so lang nicht vernommen, denn in dem Italien hab ich immer italienisch reden mußt, und wenn man mal einen Deutschen treffen that, nachhero mußt man mit ihm stets nur Hochdeutsch plauschen. Das ist freilich auch gar schön, aberst so, wie man im Bayern spricht, das ist noch viel schöner. Gebens mir halt Ihre Hand. Wir wollen als Landsmänninnen recht gut zusammenhalten.«

Martha zögerte, dieser freundlichen Aufforderung nachzukommen.

»Nun, warum schlagens nicht eini?« fragte Leni.

»Das darf ich halt doch nicht wagen.«

»So? Warum denn nicht?«

»Weil ich eine arme, geringe Dienstboten bin, während Sie eine so berühmte Künstlerin sind.«

»Ach was, Künstlerin. Da könnens mich fast bös machen. In dera Fremd freut man sich allemalen, wann man Jemand aus dera Heimathen trifft. Und eine so große Künstlerin bin ich gar nicht, und berühmt auch nicht. Gebens also nur Ihre kleine Patschen her!«

»Na, wanns das so extra verlangen, so muß ich es halt schon thun. Grad daraus kann ich ersehen, daß Sie eine echte Bayerin sind, weils keinen Stolz und Hochmuthen besitzen.«

Sie legten die Hände in einander.

»Ich möcht wissen,« sagte Leni dabei, »woher bei mir dera Stolz kommen sollt und auf was ich hochmüthig sein könnt. Ich weiß nix davon!«

»Schauns nur andera Künstlerinnen an!«

»Gehens mit denen! Das wären mir die Richtigen. Wanns einen Triller machen können und zwei Arien singen, nachhero denkens, daß sie Künstlerinnen sind. O, zu einer solchen gehört gar sehr viel. Ich weiß das. Was hab ich mir für Mühe geben müssen über zwei Jahren lang, und noch immer bin ich lange nicht fertig. Ich bin ja eben hier, um beim Professoren noch in die Schul zu gehen. Also auf meine Kunst kann ich nicht stolz sein, und auf was Anderes auch nicht.«

»O freilich doch!«

»So? Worauf denn?«

»Darauf daß – daß – daß Sie eine gar so Hübsche sind.«

Dabei glitt ihr Auge mit einem bewundernden, neidlosen Blick an Leni's Gestalt herab.

»Meinens das wirklich?« lächelte diese.

»Ja, Sie sind wohl gar eine große Schönheiten.«

»Nun, was das betrifft, so kann ich mir daraufi gar nix einbilden. Das Gesichterl und die Gestalt hat mir dera Herrgott geben. Ich selbst hab gar nix dazu than; wie sollt ich also stolz sein? Und wissens, daß die Schönheit gar manches Mal ein Unglück ist? Das hab ich auch bereits erfahren. Eine Sängerin, wann sie hübsch ist, muß sich doppelt in Acht nehmen, überhaupt jedes Dirndl, wanns schön ist. Und da brauchens mich halt nicht zu beneiden, denn Sie sind wenigstens ebenso hübsch wie ich.«

»Das sagens nur aus Freundlichkeiten!«

»O nein, daß auch Sie sich auf diese Gottesgab nix einbilden, das seh ich wohl. Sie haben so eine stille Wehmuth im Gesicht, als obs schon viel Trübes erlebt hätten.«

»Da habens gar richtig gerathen. Und auch Sie schauen gar nicht so aus, als obs das Leben sehr gut mit Ihnen gemeint hätt.«

»Mach ich so ein Gesicht? Nun, es hat halt ein Jeder und eine Jede die Last zu tragen, die der Herrgott sendet, damit Keiner übermüthig werden soll. Ich hab gar viel derlebt, Gutes und auch Böses, und das Letztere ist halt schuld, daß nicht immer heller Sonnenschein auf meinem Gesicht zu sehen ist. Wissens, was ich früher gewest bin? Rathens mal!«

»Ich denk mir halt, daß Ihre Eltern gar vornehme Leutln gewest sein müssen.«

»Warum?«

»Weil Sie so was an sich haben, so was Appartes, wegen dem man sich nicht leicht an Sie wagen mag.«

»Das ist nicht eine Folge der Geburt, sondern eine Folge der bösen Erfahrungen. Ich hab halt keine Eltern mehr. Ich war eine ganz arme Sennderin, bevor man entdeckte, daß ich eine gute Stimme habe.«

»Was? Eine Sennderin, also eine gewöhnliche Dienstbotin wärens gewest.«

»Ja, weiter nix.«

»Wo denn?«

»Gar nicht weit von dera Grenz, über welche man in das Salzburgische kommt. Ach, Herrgottle, damals war ich ein gar glückliches Dingerl. Wann ich mein Käs und Brod hatt, so wars gut. Weiter hab ich nix braucht, und alle Tagen waren Sonnenschein. Ich denk oft, daß es viel besser wär, wann ich auf meiner Alm hätt bleiben konnt. Aberst da schwatz ich nur allein von mir und denk gar nicht an Sie. Wo sind denn Sie daheim?«

»In einem kleinen Dörfle droben in denen Bergen, nicht allzuweit von Böhmen herein.«

»Wie heißt es denn mit Namen?«

»Hohenwald.«

»Was Hohenwald! Ists möglich!«

»Kennens den Ort?«

»Dort gewest bin ich freilich nicht, aberst hört hab ich gar viel davon. Also von dorther sinds? Da habens wohl auch den Silberbauern kannt?«

»Ja,« antwortete Martha, indem ihr Gesicht noch bleicher wurde.

»Und das, was mit ihm geschehen ist, das wissens wohl auch?«

»Alles weiß ich, Alles!«

»So sinds wohl damals noch dort gewest?«

»Grad mitten in denjenigen Ereignissen bin ich fort von Hohenwald. Ich habs dort nicht länger mehr anschauen konnt.«

»Ja, es soll schrecklich hergangen sein. Dera Silberbauer ist grad ganz und gar ein Bösewicht gewest und sein Sohn ebenso. Jetzund habens ihren Lohn. Der Alte ist doch noch an seinen Wunden und an dem Fieber storben, nachdem er vorhero Alles einstanden hat. Und dera Junge sitzt noch heut im Spinnhaus. Beiden ist gar recht geschehen! Nachhero die Tochter, die ist eine gar Stolze und Barsche gewest. Sie hat einen Hochmuthen im Kopf gehabt, so groß wie ein Kirchthurm. Die ist, als Alles zusammenbrechen that, vom Dorfe fort. Man hat sie lange suchen müssen, bevor man sie fand, denn sie hat doch auch verhört werden mußt vom Gericht. Da hats sichs aberst herausgestellt, daß sie ganz unschuldig ist, und darum hat sie wieder gehen konnt. Sie soll ganz anderst ausschaut haben, die Stolze. Man hat sie nur die Silbermartha nannt, weil ihr Name Martha gewest ist und – –«

Sie hatte das Alles in ihrem Eifer schnell erzählt, ohne auf die so unerwartet gefundene Landsmännin zu achten. Diese war in kleinen, langsamen Schritten von ihr zurückgewichen, sank dann auf einen Stuhl nieder, schlug die Hände vor das Gesicht und brach in ein herzerschüttertes Weinen aus.

Leni erschrak natürlich. Sie hielt inne, trat näher und fragte:

»Sie weinen? Warum denn? Sinds vielleicht bei dera Geschichten auch mit betheiligt gewest?«

»Leider ja,« nickte Martha.

»Wie denn? Mein Herrgottle! Welch eine Unvorsichtigkeiten, daß ich davon sprochen hab. Sagens schnell, warum Sie weinen?«

Unter strömenden Thränen antwortete das Stubenmädchen:

»Wissens denn meinen Namen nicht? Habens nicht hört, wie Frau Salzmann mich ruft?«

»O ja. Martha werdens von ihr genannt.«

»Und soeben habens doch von dera Silbermartha sprochen!«

Da schlug die Leni die Hände zusammen, sank nun ihrerseits in einen Stuhl und rief:

»Mein grundgütiger Himmel, was bin ich doch für ein talketes Dirndl gewest! Was hab ich da gesprochen und geredet, ohne zu wissen, zu wem ich es sag. So eine unselige Dummheiten hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht begangen. Das könnens mir ja nimmermehr verzeihen.«

»Warum nicht? Sie haben ja die volle, richtige Wahrheit sagt. Ich kann Ihnen darüber gar nicht bös sein.«

»O doch, o doch! Ich könnt mir selberst gleich die Ohrfeigen geben, die ich verdient hab. Ich bin halt gar nicht Diejenige, die ohne Gedanken in den hellen Tag hinein schwatzen thut. Ich bin im Gegentheil mehr als vorsichtig in Allem, was ich thu und was ich sprech. Und grad heut, grad jetzt, wo ich vor Freud darüber, daß ich eine Landsmännin funden hab, dem Zungerl mal freies Spiel lassen thu, da muß so ein Unglück geschehen. Also die Silbermartha sinds, die Silbermartha selber?«

»Ja, ich bin es,« antwortete die Gefragte schluchzend.

»O Jegerl, wie müssens sich da über mich kränken! Das kann ich mir halt nicht verzeihen. Wie sollen da Sie es mir vergeben können! Daran ist ja gar nicht zu denken!«

»Ich habe Ihnen nichts zu vergeben. Machen Sie sich ja keine Vorwürfe. Hier, nehmen Sie meine Hand als Beweis, daß ich Ihnen wirklich nicht zürne. Aber wann Sie wüßten, was ich seit jener Zeit mich gehärmt und grämt hab, so würdens mir glauben, daß ich nicht mehr das hochmüthige Ding bin, das ich früher war.«

»Das sehe ich, das sehe ich ja. Ich will Ihre Hand nehmen. Verzeihen Sie mir. Wir wollen nicht nur Landsmänninnen sondern Freundinnen sein. Machens mit? Ich bitt gar schön und herzlich darum!«

Sie trat zu Martha, legte ihr den Arm um den Nacken und sah ihr bittend in das Gesicht. Die Weinende trocknete sich die Thränen ab und antwortete:

»Mit dera Silbermartha wollens Freundin sein? Das ist wirklich Ihr Ernst?«

»Freilich ists mein Ernst. Ich hab vorhin nicht ausreden konnt. Wanns nicht geweint sondern mir Zeit gelassen hätten, weiter zu sprechen, so hättens hören konnt, daß ich viel besser von Ihnen denk, als es den Anschein hat.«

»Wie ist das möglich? Ein Jeder, der mich kannt hat, muß mich verurtheilen.«

»Das dürfens nicht sagen!«

»O doch. Wann ich anders gewest wär, so hätt vielleicht Manches nicht geschehen können.«

»Nein. Da habens Unrecht; da klagens sich selbst falsch an. Ihr Vater war ein Mann, der nicht auf Ihre Warnung hört hätt, und Ihr Bruder auch. Beide waren gewaltthätige, rücksichtslose Leute, welche kein Mensch hätt ändern und bessern konnt. Darauf könnens sich verlassen. Sie dürfens mir nicht übel nehmen, daß ich in dieser Weis von denen Ihrigen sprechen thu. Ich muß es aber, um den Vorwurf, den Sie sich selberst machen, von Ihnen zu nehmen. Und freisprechen muß ich Sie noch viel weiter. Sie haben gar nicht anderst sein können als wie Sie gewest sind. Sie haben ja keine Muttern gehabt und sind stets nur dem Einflusse dieses Vaters ausgesetzt gewest. Da wars natürlich ganz richtig, daß Sie keine heilige Veronica sein konnten.«

»Auch ich habe mir zuweilen ganz dasselbe gesagt; aber es giebt trotzdem noch Punkte, über welche ich mir selbst nicht hinweghelfen kann.«

»So nennens mir diese Punkte. Ich werd Ihnen gleich hinüberhelfen.«

»Das können Sie nicht.«

»O, ich kann es, ich kann es!«

»Sie müßten meine früheren Verhältnisse sehr genau kennen.«

»Das ist ja auch der Fall.«

»Und doch stammen Sie aus einer Gegend, welche so entfernt von meiner Heimath ist.«

»Das thut nix. Ich hab einen guten Bekannten, der mir Alles verzählt hat. Es sollte mich wundern, wann Sie ihn auch nicht kennen thäten.«

»Wer ist es?«

»Dera Wurzelsepp. Kennen Sie ihn?«

»Ob ich ihn kenne, den Wurzelsepp! O, nur zu gut! Ich hab ihn kannt, als ich noch ein kleins Dirndl war. Er ist oft bei uns einikehrt, und zuletzt, da ist ers ja gewest, der meinen Vater vor das Gericht bracht hat, er und – und ein Anderer noch!«

Das Letztere sagte sie leise und stockend. Sie senkte den Kopf und blickte trostlos vor sich nieder. Leni schlang die Arme um sie, zog sie von dem Stuhle fort auf das Sopha, setzte sich neben sie und sagte:

»Jetzt kommens mal her zu mir! Ich sehe, was für ein großes Unglück und Herzeleiden Sie zu tragen haben. Da muß ich schon den Doctoren machen und Ihnen Hilfe bringen.«

»Hilfe? Dafür giebts keine Hilfe!« antwortete Martha, den Kopf schüttelnd.

»Es wird schon eine geben, wann sie auch nicht sogleich vom Himmel herabfällt. Dera Wurzelsepp hat mir Alles, Alles verzählt, so daß ich die Sach grad so genau weiß, als ob ich damals mit in Hohenwald gewohnt hätt. Dera alte Sepp hat immer nur gut von Ihnen sprochen, und daßt siehst, daß ich auch gut von Dir denk, so will ich Dich bitten, Du zu mir zu sagen. Willst, Martha?«

Sie zog sie freundlich an sich. Martha sah mit einem unbeschreiblichen Blick zu ihr auf. Schmerz, Hoffnung, Dankbarkeit sprachen sich zugleich in demselben aus.

»Wolltest Das wirklich wagen?« fragte sie. »Ich bin doch die Tochter eines Mörders und die Schwester eines Zuchthäuslers!«

»Was geht mich das an?«

»So sagen Andre nicht!«

»Was Andre denken und sagen, das nehm ich mir nicht zur Richtschnur. Du bist brav, und Du bist an Allem unschuldig gewest. Als Du ahnt hast, daß der Deinige Vater ein schlechter Kerlen sei, da bist auf- und davongangen und hast nix mit ihm zu thun haben wollen. Das ist Deine Rechtfertigung. Mehr kann man nicht von Dir verlangen. Und wie hast leiden und dulden müssen in dera Fremd! Hast keine Menschenseel', der Du Dich anvertrauen kannst, keine einzige wohl, nicht wahr?«

»Ja,« antwortete Martha, indem sie wieder in Thränen ausbrach. »Ich kann ja mit Niemand darüber reden. Ich darf nicht mal sagen, daß ich so eine reiche Bauerstochter gewest bin, sonst würd ich sogleich gefragt, wie es kommen ist, daß ich nun die Dienstbotin machen muß. Und weil ich nicht von Alledem reden darf, so kann ich auch nix aus dera Heimath derfahren. Und doch möcht ich so gern wissen, was später noch geschehen ist und wie sich die Bekannten befinden.«

»Ich denk daß ich Dir da die richtige Auskunft ertheilen kann.«

»Du? Du bist ja jetzt in Italien gewest!«

»Dennoch hab ich Alles derfahren. Ja, ich hab sogar mit Personen sprochen, welche aus Hohenwald nach Italien kommen sind.«

»Da könnte ich mir Keinen denken. Was hat ein Dortiger in Italien zu suchen?«

»Das wirst schon noch glauben, wann ichs Dir sag. Also frag mich nur nach Allem, wast gern wissen willst. Ich werd Dir antworten.«

»So sag mir zunächst, wer auf dem Silberhof wohnen thut.«

»Dera Feuerbalzer. Dein Vater hat ihm sein Gut wegbrannt, und so hat dera Balzer entschädigt werden müssen. Seine Frauen ist wieder gesund, und seine Muttern kann wieder eine seidene Schürzen vorbinden, wanns in die Kirchen geht!«

»Das gönn ich ihnen. Sie habens verdient, daß es ihnen jetzund wohl geht. Was ist denn mit dem Finkenheiner worden?«

»Der wohnt bei Scheibenbad in dera Thalmühlen. Weißt, dera Thalmüller war doch der Verbündete von Deinem Vatern. Er sitzt fürs Leben lang im Zuchthaus, und dera Finkenheiner ist Müller worden. Seine Tochter aber hat den Müllerhelm heirathet.«

»Und wo ist sein Sohn, dens nur den Elephantenhans nannt haben, weil er gern die fremden Thiere zeichnen that?«

»Du, der wird ein gar großer Künstler. Den hab ich in Rom sehen.«

»Wast sagst! Dera Elephantenhans in Rom! Wie ist das möglich?«

»Das weißt nicht?«

»Gar nix weiß ich davon.«

»Dera König hat ihm das Geld geben, daß er nach dem Süden gehen kann, um gesund zu werden. Er ist nach Egypten, nach dera Hauptstadt Kairo, wo eine so gute Luft sein soll, daß Jedermann, der auf dera Brust leidet, schnell gesund werden kann. Unterwegs blieb er einige Tag in Rom. Da hab ich mit ihm sprochen und auch mit Dem, den dera König ihm zum Schutz mitgeben hat.«

»Wer ist das?«

»Max Walther, der frühere Schulmeistern von Hohenwald.«

Eine tiefe Röthe glitt über Marthas bleiche Wangen. Sie fragte schnell:

»Auch der ist mit nach Egypten? Was soll er denn dort?«

»Er soll für sich Studien machen und dabei den Elephantenhans beaufsichtigen und unterrichten. Dera Herr Walther wird mal ein berühmter Dichter werden.«

»Das hab ich ahnt.«

Die Leni beobachtete verstohlen die Freundin. Sie wollte derselben Trost geben.

»Ahnt hasts?« fragte sie. »Hast denn wußt, daß er dichten thut?«

»Ja.«

»Von wem denn? Er hat es doch immer so geheim gehalten.«

»Ich hab es ganz zufällig derfahren.«

»So! Ich hab beinahe denkt, daß er Dirs selbst sagt hat. Aberst Du bist ja gar nicht mit ihm bekannt gewest.«

»Wir haben einige Male mit nander sprochen. Das ist Alles.«

Sie sagte das mit gepreßter Stimme. Sie wollte es sich nicht merken lassen, wie sehr sie sich grad für diesen Gesprächsgegenstand interessirte.

»So weißt wohl auch nix von Dem, was weiter mit ihm schehen ist?«

»Nein.«

»Daß er dera Sohn eines Barones ist?«

»Davon hab ich keine Ahnung habt.«

»Ja, ein Baron ist sein Vater. Aber er mag den Namen desselben nicht annehmen. Er will Walther heißen, so wie er bisher gehießen hat. Nun war er in Egypten und hat dort zwei Bücher schrieben, welche druckt worden sind. Man sagt, daß er ein berühmter Mann sein wird.«

»Das ist ihm zu gönnen. Er war ein gar braver junger Mann.«

»Wie? So sagst Du? Hältst ihn wirklich für einen Braven?«

»Freilich!«

»Und grad er ists doch gewest, der Alles von Deinen Vatern ans Licht bracht hat!«

»Das kann ich ihm nicht verdenken. Ein jeder Andre hätt das ebenso than. Und mein Vater und mein Bruder hatten ihn beleidigt. Er mußt sich gegen sie wehren. Wann ich ihn verurtheilen wollt, so müßt ich die Verbrechen des Vaters gutheißen, und das kann ich doch nicht.«

»Wann er das wüßt! Er hat denkt, daßt ihm grausam bös sein wirst.«

»Zu wem hat er das sagt?«

»Zu mir. Ich hab in Rom natürlich auch mit ihm sprochen.«

»So hat er von mir redet?«

»Ja.«

»Aber schlecht!«

»O nein. Was Schlechtes soll er von Dir sagen?«

»Gar viel. Du weißts nur nicht.«

Da ergriff Leni ihre Hand und sagte:

»Martha, ich weiß es; ich weiß Alles!«

»Nein, nein! Nix kannst wissen!« antwortete Martha beinahe erschrocken.

»O doch! Alles, Alles! Dera Wurzelsepp hat es mir erzählt.«

»Was denn? Was kann er erzählt haben?«

»Daßt Herrn Walther in Regensburg kennen lernt hast und daß er um Deinetwillen die dortige gute Stell gegen die schlechte in Hohenwald umitauscht hat. Ist das wahr oder nicht?«

Martha legte sich in das Sophakissen zurück, verhüllte ihr Gesicht mit den Händen und antwortete:

»Ja, es ist wahr.«

»Und nachhero hast ihn zurückstoßen?«

»Auch das ist richtig.«

»Kind, warum hast das than? Er hat Dich gar so sehr lieb habt.«

»Ich bin hart und stolz gewest, und er hat seinen Wohlgefallen an meiner Gestalt funden; aberst eine wahre und innige Liebe hat er gegen mich nicht fühlen könnt.«

»Du irrst. Er hat Dich wirklich geliebt.«

»Nein. Ich hab ihn auf die Probe stellt, und er hat sie nicht bestanden.«

Ihr Busen wogte heftig auf und nieder. Der so lange Zeit niedergehaltene Schmerz bäumte sich in ihr auf.

»Und ich sage Dir abermals, Du irrst, Martha,« sprach Leni in mildem Tone. »Du hast ihn falsch behandelt.«

»Ja, das ist wahr; aber dennoch weiß ich ganz genau, daß er mich nicht wirklich lieb gehabt hat. Er wär sonst nicht so von mir gegangen und hätt mich in meinem Gram und Schmerz allein gelassen.«

»Hast Du ihm denn zeigt, daß Du Gram und Kummer fühltest?«

»Nein. Dazu war ich zu stolz.«

»Also hat er gar nicht wußt, daßt Dich so kränkst. Er hat zu keinem Menschen was sagt; aber aus Allem, was ich hört hab, hat er Dich für herz- und gefühllos halten müssen. Du hast ihn nach Hohenwald gelockt, und als er deshalb seine gute Anstellung aufgab, hast ihm sagt, daßt niemals einen Schulmeister nehmen würdest. Was hat er da denken müssen? Dazu ist die Feindschaft Deines Vaters und Bruders kommen. Du hast nix than, um seine Achtung zu erwerben, hast Dich auf Dein Geld und Deine Schönheit verlassen. Da willst Dich nun wundern, daß er sich zornig von Dir abgewendet hat? Er hat ganz richtig gehandelt. Wann er das nicht than hätt, so wär er ja gezwungen gewesen, sich selbst zu verachten. Nimm es mir nicht übel, Martha, wann ich so zu Dir sprech. Meine Worte klingen hart, aber sie sind es nicht. Das Weib soll stets sanft und mild sein, lieb und versöhnlich, freundlich und nachgebend. Dera Mann aber muß stolz und fest sein, selbst wann er ein Wenig hart ist, so vergiebt man ihm das, wann man ihn nur achten kann. Aber Du hast wollt, daß es grad umikehrt sein soll. Du hast ihn beherrschen wollen, und da hat er freilich nicht mitgemacht.«

»Ja, ich weiß, daß ich darinnen gefehlt habe. Aber ihm ist das Scheiden so leicht worden, daß er mich unmöglich recht geliebt haben kann.«

»Weißts gewiß, daß es ihm so leicht worden ist?«

»Ja. Ich hab es ja gesehen.«

»So! Bist wohl wirklich Eine von denen, welche denen Menschen in das Herz schauen können?«

Martha schwieg.

»Schau, wast Dir einbildet hast, das hast für allein richtig halten. Du hast gar nicht denkt, daßt Dich da irren kannst. Wer weiß, wie finster es ihm im Herzen worden ist, als er hat von Dir gehen müssen. Und wer weiß, ob es in seinem Herzen jemals wiederum licht werden kann.«

»O, darum hab ich mich nicht zu sorgen.«

»Warum?«

»Selbst wann ich mich damals im Irrthum befunden hätt, wann seine Liebe wahr gewesen wär, so wär doch nun Alles aus. Er ist nicht mehr der arme Lehrer, sondern er wird, wie Du selber sagst, ein berühmter Mann. Was aber bin ich? Ich hab ja niemals diejenige Bildung und Kenntnisse besessen, welche so ein Mann von seiner Frau verlangen kann. Nun bin ich auch nicht mehr reich, sondern nur ein armes Dienstmädchen, welches froh sein muß, wann die Herrin mit ihm zufrieden ist. Eine Zukunft hab ich nimmermehr. Die Schand ruht auf mir und meinem Namen – – ich hab nix mehr zu hoffen.«

»So! Da hab ich mich freilich in Dir sehr geirrt. Ich hab glaubt, Du seist ein Mädchen, welches es mit dera ganzen Welt aufnimmt. Und nun sinkst zusammen wie ein Luftballon, bei welchem das Gas auskommen ist. Das thut mir leid um Dich.«

»Kann ich anders?«

»Ja. Kein Mensch darf auf die Hoffnung einer bessern Zukunft verzichten.«

»Meine Zukunft ist trüb und traurig!«

»Da könnt ich mich beinahe mit Dir zanken. Wannst den Lehrer wirklich lieb gehabt hättest, würdest nicht so reden.«

»Ich hab ihn so lieb gehabt, so sehr lieb. Ich hab es selber nicht wußt, wie sehr meine Seele an ihm hängt. Erst später hab ich es an mir merkt, daß es ohne ihn kein Glück für mich giebt. Da aber war es zu spät. Er ist fort, in ein fernes, weites Land. Dort scheint die Sonn heller als bei uns. Er wird den kleinen Gram, den ich ihm bereitet hab, schnell vergessen haben, und sein Herz gehört nun längst einer Anderen.«

»Das glaub ich nicht. Er hat gar nicht so ausschaut wie Einer, der so schnell vergessen kann.«

»Hast Dir ihn darauf hin angesehen?«

»Ja. Er war so ernst, so – – –«

»Das war er stets.«

»Aber auch so trüb. Man hat, sobald man nur fünf Minuten mit ihm sprochen hat, sogleich merken müssen, daß er ein stilles Leiden mit sich trägt. Und ich hab ja auch die Rede auf die Lieb und auf das Heirathen bracht. Da hat er den Kopf schüttelt und dabei sagt, daß er wohl einsam seinen Weg durchs Leben gehen werde.«

»Das war wohl nur Redensart.«

»Nein, denn er hat, als mal die Gelegenheit dazu war, es als seine Ueberzeugung ausgesprochen, daß man nur ein einziges Mal lieben könne. Und was Der sagt, das hat ein Gewicht. Er ist Keiner, der viel überflüssige Worte macht.«

Martha wollte antworten; aber draußen hatte es geklingelt. Man hörte die Wirthin sprechen, und eine männliche Stimme antwortete. Dann klopfte die Erstere an, gab eine Karte ab und fragte, ob der Herr eintreten dürfe.

Leni las den Namen »Hugo Goldmann«. Eine Bezeichnung stand nicht dabei. Eigentlich befand sie sich nicht in der Stimmung, den Besuch eines Fremden anzunehmen, zumal sie noch mit dem Auspacken ihrer Effecten beschäftigt war. Aber grad daß ein ihr völlig Unbekannter sie so kurz nach ihrer Ankunft in Wien zu finden wußte, das interessirte sie. Darum bestimmte sie, daß er eintreten solle. Martha zog sich natürlich mit der Wirthin zurück.

Der Eintretende war ein wohlbeleibter älterer Herr, nach der neuesten Mode gekleidet, einen goldenen Klemmer auf der Nase und die Uhrketten voller Perloquen hängend. Er machte den Eindruck eines Lebemannes, der aber auch ein Geschäft richtig zu poussiren weiß.

Als er die Leni erblickte, zog er die Augenwinkel ein Wenig zusammen, als ob er sich enttäuscht fühle. Er blickte im Zimmer umher, als ob er erwarte, noch eine zweite Person zu finden, welche der Vorstellung, die er sich von der Sängerin gemacht hatte, entsprechender sei. Dann sagte er, indem er sich nicht zu tief verbeugte:

»Ich hoffte, Signora Ubertincka zu sehen.«

»Dieser Wunsch ist Ihnen erfüllt,« antwortete Leni lächelnd.

Er schob den Klemmer fester auf die Nase und fragte verwundert:

»Wirklich! Sie selbst sind die Signora?«

»Ja.«

»Ah so! Dann Verzeihung, daß ich mich mit meiner Hochachtung etwas verspäte!«

Er trat auf sie zu, um ihre Hand zu ergreifen und einen Kuß auf dieselbe zu drücken. Leni aber wich zurück, so daß er die erwähnte Hochachtung nur durch eine tiefe Verneigung bezeugen konnte.

»Nehmen Sie Platz!«

Diese Worte waren in einem fast befehlenden Tone ausgesprochen. Er schien das nicht gewohnt zu sein und nicht erwartet zu haben, denn er warf ihr einen fragenden Blick zu, bevor er ihrer Aufforderung nachkam. Als er dann saß, sagte er, auf einen zweiten Sessel deutend:

»Bitte, meine Gnädige, wollen Sie nicht auch Platz nehmen?«

»Danke. Ich spreche am Liebsten im Stehen und habe auch keine Veranlassung, zu glauben, daß unsere Unterredung eine ermüdend lange sein werde.«

»Je nachdem; sie kann kurz oder lang werden, ganz wie Sie wollen. Ich komme mit einem Wunsche und werde nicht eher gehen, als bis Sie mir denselben erfüllt haben. Je schneller Sie ihn erfüllen, desto eher werde ich gehen.«

Er sagte das in einem Tone, als ob es ganz selbstverständlich sei, daß sie, wenn auch gleich oder später, auf diesen Wunsch eingehen werde.

Leni lehnte sich ihm gegenüber leicht an ein Möbel. Sie antwortete nicht und sah ihm nur lächelnd in das Gesicht. Das schien ihn gar nicht irre zu machen.

»Kennen Sie meinen Namen?« fragte er.

»Nein. Das heißt, den Namen Goldmann habe ich oft gehört; Herrn Goldmann aber, welcher sich gegenwärtig bei mir befindet, kenne ich nicht.«

»Ich bin Theateragent.«

»Ah! Hm!« nickte sie. »Da sind Sie mir allerdings per Renommee bekannt.«

»Freut mich. Und welcher Art ist dieses Renommee, wenn ich fragen darf?«

»Ein sehr gutes.«

»Freut mich, freut mich! Ich darf da hoffen, daß Sie mir nicht viel Mühe machen werden.«

»Auch ich glaube, daß wir uns unsere Ansichten in möglichster Kürze mittheilen können.«

Sie lächelte ihm immer noch in einer Weise entgegen, welche er erst jetzt zu beachten begann. Er wußte nicht, welche Deutung er diesem Lächeln geben solle. Es war so höflich, so freundlich, aber auch so selbstbewußt und dabei wohl auch ein klein Wenig niederträchtig.

Leni gab sein sichres Auftreten Spaß. Er gab sich als einen Mann, dessen Absicht unbedingt in Erfüllung gehen müsse. Das bestimmte sie, ihm nun erst recht nicht zu Diensten zu sein.

»Haben Sie Engagement?« fragte er.

»Nein.«

»Also sind Sie contractfrei?«

»Ja.«

»Nun wohl! Ich werde Sie engagiren.«

Er war allerdings einer der bedeutendsten Agenten. Hunderte von Künstlern wären ganz glücklich gewesen, von ihm die Worte »Ich werde Sie engagiren« zu hören. Das wußte er. Darum war es ein lächelnder, siegessicherer Blick, den er auf sie warf. Sie aber zuckte nur die Achsel, ohne direct zu antworten.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte er.

»Ist das die Absicht Ihres Besuches, mich zu engagiren?«

»Ja.«

»So werden Sie dieselbe nicht erreichen.«

»Ah! Unmöglich!«

»Ganz gewiß.«

»Aber, Signora, warum denn nicht!«

»Aus verschiedenen Gründen, welche Ihnen mitzutheilen, ich mich nicht berufen fühle.«

»Ich ersuche Sie aber grad recht dringend, mir diese Gründe zu wissen zu thun!«

»Das könnte an meinem Entschlusse doch nichts ändern.«

»Ich wüßte dann aber, woran ich bin.«

»Gut! So sollen Sie meine Gründe hören. Einige sind sachlicher, der allererste aber ist persönlicher Natur. Sie kamen in der festen Ueberzeugung zu mir, daß ich auf ein Engagement mit Ihnen eingehen würde?«

»Allerdings.«

»Weil es, so zu sagen, eine Ehre ist, von Ihnen mit einer Offerte bedacht zu werden.«

»Hm! Ich will nicht unbescheiden sein.«

»Und ich will offen sein. Ihre Sicherheit vermag nicht, mir zu imponiren; sie beleidigt mich vielmehr doppelt, nämlich sowohl als Dame als auch als Künstlerin. Ein Agent, welcher glaubt, mir einen großen Dienst oder gar eine Gnade zu erweisen, indem er mir seinen Besuch macht, wird niemals einen Gulden an mir verdienen.«

»Ah!«

Er fuhr halb von seinem Stuhle empor.

»Ja, mein Herr. Die Quintessenz Ihrer Absicht ist doch, sich Prozente zu verdienen. Also ists der Egoismus, welcher Sie zu mir führt, nicht die Rücksicht auf mein eigenes Wohl.«

»Das könnte ich bestreiten, unterlasse es aber lieber. Doch bitte ich, gütigst zu bedenken, daß es einer Künstlerin gerathen ist, sich das Wohlwollen wenigstens der bedeutenderen unter den Agenten zu erwerben. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, brauchen Sie uns unbedingt.«

»Nein.«

»O doch!«

»Ich habe nicht die Absicht, ein Engagement einzugehen. Und selbst wenn dies meine Absicht wäre, würde ich mich ohne die Hilfe eines Agenten zu plaziren wissen.«

»Entschuldigung, gnädiges Fräulein! Ich bin nie gern unhöflich. Darum will ich nicht Ihnen eine Unkenntniß der Verhältnisse vorwerfen; aber die Bemerkung muß ich machen, daß Sie in Zukunft doch wohl noch Erfahrungen zu machen haben.«

»Das bestreite ich nicht.«

»Rein geschäftliche, trockene Erfahrungen, deren Kenntniß eine Dame eben am Besten ihrem Agenten überläßt.«

»Um ihn bezahlen zu dürfen! Ich werde irgendwelche Engagements nur direct eingehen. Meinetwegen braucht kein Agent zu existiren. Darum berührt es mich nicht angenehm, daß Sie eine so große Siegesgewißheit zeigen. Das war, wie bereits erwähnt, der eine Grund. Die anderen Gründe sind mehr sachlicher Natur.«

»Darf ich sie kennen lernen?«

»Gern. Ich habe noch keine Lust, mich an irgend eine Bühne zu binden.«

»Keine Lust? Sie müssen doch leben!«

»Ich lebe auch ohnedies. Ferner sind meine Studien noch nicht beendet.«

»Soll ich das glauben?«

»Ich bitte darum!«

»Dann hätte Ihr Ruf zu viel gesagt!«

»Jedenfalls. Ich habe sogar noch rein technische Schwierigkeiten zu überwinden. Ich kann unmöglich ein Engagement eingehen.«

»Aber, Signora, Sie können sich doch ausbilden, trotzdem Sie feste Stellung haben!«

»Ich sehe davon ab. Wer mich engagirt, soll keine Mängel an mir finden.«

»Sapperment! Da stehen Sie allerdings mit solchen ehrenwerthen Ansichten einzig unter den Künstlerinnen da!« –

»Ich kenne meine Pflicht und werde sie jederzeit erfüllen. Sie sehen also, daß Ihr heutiger Besuch kein erfolgreicher ist.«

»O, ich verzweifle dennoch nicht.«

Er hatte sich erhoben und sagte das lächelnd, indem er, ihre Gestalt mit wohlgefälligem Blicke musternd, hinzufügte:

»Man ist es ja gewohnt, nicht sofort Beifall zu finden; aber die Damen sind gewöhnlich so liebenswürdig, ihren Widerstand bald aufzugeben.«

»Von Widerstand ist bei mir keine Rede. Ihre Offerte ist doch keine Attaque, welche ich abzuschlagen hätte.«

»Vielleicht doch!«

»Nun, so würde ich die Abwehr wohl anderen Personen überlassen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich würde das Zimmer verlassen und Ihnen das Dienstmädchen schicken.«

»Signora!« fuhr er auf.

»Herr Goldmann!«

»So Etwas ist mir noch nicht gesagt worden!«

»Und in solcher Weise hat mir noch kein Mensch ein Engagement angetragen!«

Er war wirklich erzürnt. Doch konnte ihm als erfahrenen Agenten es nicht entgehen, welch eine Acquisition dieses wunderschöne Mädchen für ihn sei. Wenn ihr Ruf, in Beziehung ihrer Gesangsleistungen, nicht allzusehr übertrieben hatte, so war diese Ubertinka allerdings eine Person, an und mit welcher ganz bedeutende Summen verdient werden konnten. Diese Betrachtungen söhnten ihn mit ihrem schroffen Auftreten aus. Er zuckte lächelnd die Achsel und meinte:

»Regen wir uns nicht auf! Jeder Mensch hat seine Eigenheiten. Verzeihen Sie mir die meinigen. Wenn Sie mich auch mit meiner Offerte abweisen, so lassen Sie mich doch einmal Ihre Stimme hören. Bitte, kommen Sie!«

Er trat zum Pianino, öffnete es und setzte sich an dasselbe.

»Bitte, singen Sie mir einmal das Stabat mater! Ich möchte es grad von Ihnen einmal hören.«

Er war es gewöhnt, daß Sänger und Sängerinnen sofort auf solche Wünsche eingingen. Er war auch jetzt überzeugt, daß Leni seiner Aufforderung nachkommen werde. Darum machte er es sich auf dem Musikstuhle bequem, griff in die Tasten und begann das Vorspiel. Als dann nach zwei Takten die Singstimme einzufallen hatte, drehte er sich zu Leni um und sagte:

»Nun bitte, jetzt – – –!«

Er sprach nicht weiter und hörte auch mit Spielen auf. Leni war, mit dem Rücken nach ihm gewendet, sich vor ihrem offenen Koffer niederkniet und kramte in dem Inhalte desselben herum. Sie that gar nicht, als ob er vorhanden sei.

Er schritt auf sie zu.

»Aber, Signora, was thun Sie da?«

»Sie sehen es ja! Ich packe aus.«

»Ich denke, Sie wollen singen!«

»Wer hat das gesagt? Etwa ich?«

Sie blieb knieen und blickte zu ihm auf.

»Hm! Sie allerdings nicht. Aber da ich Sie bat, so verstand es sich doch ganz von selbst, daß Sie – – –«

Da aber fuhr sie, ihn unterbrechend, aus ihrer knieenden Stellung empor und fiel blitzenden Auges ein:

»Was verstand sich ganz von selbst? Daß ich singen mußte? Weshalb? Weil Sie es wünschten? Wer sind Sie? Ein Fremder, den ich nicht gerufen habe. Daß Sie nebenbei Agent sind, ist mir gleichgiltig. Ich bedarf keines Agenten. Wollte ich jedem Fremden, der zu mir kommt, das Stabat mater, die Gnadenarie oder sonst was vorsingen, so könnte ich mich am Liebsten gleich in dem Würstlprater hören lassen. Sie haben nicht das mindeste Recht, zu erwarten, daß ich Ihnen eher als Anderen Etwas vortrage. Das merken Sie sich!«

So Etwas war ihm noch nicht gesagt worden, und in diesem Tone erst recht nicht. Er war vor ihr zurückgewichen, Schritt um Schritt, und sie ihm aber ebenso Schritt um Schritt nachgefolgt. Jetzt antwortete er erschrocken:

»Signorina! Bitte, bitte! Sie machen mich ja zum Fürchten!«

»Gut! So fürchten Sie sich!«

»So war es ja nicht gemeint!«

»Meinen Sie es, wie Sie wollen; ich aber nehme es, wie ich es will!«

»Wenn Sie wüßten, wegen welchen Engagements ich zu Ihnen komme, würden Sie freundlicher sein.«

»Ich brauche keins!«

»Sie sollen ja gar nicht an ein Theater!«

»Wohin denn? Etwa an eine Windmühle oder an ein Caroussel?«

»Mein Gott, besänftigen Sie Ihren Zorn! Es handelt sich um eine Musteraufführung – – –«

»Zu welcher ein Musteragent die Engagements trifft! Ich danke!«

»Jetzt beleidigen Sie mich persönlich. Es ist eine neue Oper, welche aufgeführt werden soll.«

»So führen Sie dieselbe doch in Gottes Namen auf! Meinetwegen ganz allein!«

»Das geht nicht. Das Werk ist betitelt »Götterliebe«. Ein herrlicher Titel!«

»Meinetwegen Affenliebe!«

»Gnädiges Fräulein! Hören Sie doch! Der Text stammt aus Egypten!«

»Ich hätte auch nicht das Mindeste dagegen, wenn er aus China stammte!«

»Der Komponist ist ein Baron!«

»Das schadet ihm nichts.«

»Kaum zwanzig Jahre alt!«

»Später wird er älter sein.«

»Sie sollen die Rolle der Juno singen.«

»So! Wer die anderen?«

»Die Venus wird eine junge, unbekannte Collegin übernehmen. Sie heißt Mureni.«

»Ah! Wo befindet sie sich?«

»Das weiß ich nicht. Der Componist hat es übernommen, sie zu engagiren.«

Leni machte jetzt plötzlich ein ganz anderes Gesicht. Die Mureni war ja sie selbst. Das war der Künstlername, den sie früher getragen und dann abgelegt hatte, um nicht von den Nachforschungen des Krikelantons belästigt zu werden. Der Componist wollte sie suchen? Er mußte also wissen, wo sie sich befand!

»Wie heißt er denn?« fragte sie.

»Curty von Gulijan.«

»Ein fremder Name, den ich noch niemals gehört habe.«

»Er ist ein sehr interessanter, junger Herr.«

»So wünsche ich ihm, daß seine junge Oper ebenso interessant sein möge!«

»Er ist steinreich und hat bedeutende Besitzungen an der unteren Donau.«

»Ich gönne sie ihm, habe aber mit ihm und seiner Oper nichts zu schaffen.«

Sie wußte freilich nicht, daß dieser Curty von Gulijan ihr Freund, der einstige Fex, war, sonst hätte sie sich jedenfalls ganz anders verhalten.

»So wollen Sie mir wirklich eine Absage ertheilen?«

»Ja.«

»Ich gestehe aufrichtig, daß ich mit großen Hoffnungen zu Ihnen gekommen bin!«

»Es ist eine Eigenschaft der Hoffnungen, daß sie unerfüllt bleiben können.«

»Erlauben Sie mir wenigstens, nochmals bei Ihnen vorzusprechen?«

»Zu welchem Zweck?«

»Um anzufragen, ob Sie Ihren Entschluß denn doch nicht vielleicht geändert haben.«

»Das wäre nutzlos. Ich pflege meine Entschlüsse nicht zu ändern.«

»So darf ich also nicht kommen?«

»Nein.«

»Dann will ich Ihnen wenigstens meine Karte da lassen, damit Sie wissen, wo ich wohne, wenn Sie vielleicht einmal Veranlassung finden sollten, mich aufzusuchen.«

»Diese Veranlassung wird wohl vergeblich aus sich warten lassen. Doch habe ich nichts dagegen, Ihre Karte zu behalten.«

Er gab sie ab und ging, von ihr nicht einmal bis zur Thür begleitet. Er wollte sich darüber ärgern, brachte dies aber nicht fertig. Die Sängerin hatte auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht. Das war keine jener eingebildeten, hochnäsigen Damen, welche trotz ihres Hochmuthes an jedem Augenblicke bereit sind, einen geschäftlichen Vortheil durch Verleihung persönlicher Liebenswürdigkeiten und Begünstigungen zu erkaufen.

Das Küchenmädchen öffnete ihm die Vorsaalthür und schritt, da sie einen Weg zu gehen hatte, hinter ihm die Treppe hinab. Er bemerkte dies und benutzte diesen Umstand, vielleicht noch Etwas über die hochinteressante Sängerin zu erfahren. Er zog ein größeres Silberstück aus der Tasche, schenkte es ihr und fragte:

»Nicht wahr, Signora Ubertinka wohnt erst seit Kurzem hier?«

»Seit einer Stunde, gnädiger Herr.«

»Ich erfuhr es im Hotel. Auf wie lange Zeit hat sie eingemiethet?«

»Auf unbestimmt.«

»Hat sie bereits Besuche gemacht oder empfangen?«

»Einen empfangen.«

»Ah, schon! Wer war das?«

»Frau Commerzienrath von Hamburger, bei welcher die Signora heut zur Soirée sein wird.«

»Wird sie singen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Hm! Vielleicht sehen wir uns wieder, mein hübsches Kind. Ich interessire mich für die Sängerin. Darum würde ich Ihnen jede Auskunft, die Sie mir über dieselbe geben könnten, gut belohnen. Aber lassen Sie ihr nichts wissen.«

Er ging, aber nicht in der Richtung, in welcher seine Wohnung lag, sondern er wendete sich nach der Asperngasse, wo der Commerzienrath wohnte. Er war mit diesem so leidlich bekannt, wollte ihm einen Besuch machen und dabei wo möglich eine Einladung für den heutigen Abend zu erhalten suchen. –

Jetzt fand sich Martha wieder bei Leni ein, um ihr beim Auspacken zu helfen. Dann kam die Zeit des Mittagsessens, und später äußerte die Sängerin den Wunsch, einen Spaziergang zu machen. Frau Salzmann erklärte, daß sie sie recht gern begleiten würde, aber durch einen zu erwartenden Besuch abgehalten werde; da sie aber sehe, daß sie mit Martha Landsmannschaft geschlossen habe, so könne diese mit ihr ausgehen.

Das war der Leni sehr willkommen und der Martha nicht minder. Die Erstere zog, um von der Letzteren nicht abzustoßen, ihr einfachstes Kleid an. Dann spazirten Beide nach dem Augarten hinaus, welcher von ihrer Wohnung aus in kurzer Zeit zu erreichen war.

Natürlich gab es zwischen den Beiden außerordentlich viel zu erzählen. Die Zeit verging ihnen wie im Fluge.

Da, eben als sie an einer Kreuzung des Weges angekommen waren, traten ihnen um die Ecke eines Gebüsches zwei Herren entgegen. Leni erblickte sie zuerst und zog schnell ihren schwarzen Doppelschleier herab, so daß ihre Gesichtszüge nicht deutlich zu erkennen waren.

Die beiden waren nämlich der Krickelanton und der sogenannte Baron von Stubbenau.

Jetzt sah auch Martha, wen sie vor sich hatte.

»Um Gott!« sagte sie erschrocken. »Da sind die Beiden schon wieder! Laß uns fliehen.«

Sie waren Arm in Arm gegangen. Martha wollte den ihrigen aus demjenigen der Sängerin ziehen. Die Letztere aber hielt sie fest und antwortete:

»Keine Flucht! Wir würden uns nur blamiren, ohne daß sie uns Etwas hilfe. Wollen diese Beiden die Scene von heut Vormittag fortsetzen, so würden sie uns doch nacheilen. Sie haben uns bereits gesehen und Dich erkannt, wie es scheint.«

»Aber wir sind wehrlos!«

»Nicht ganz.«

»Kein Mensch ist in der Nähe. Nur ganz da draußen sind zwei Reiter zu erblicken. Ehe diese herankommen – – –«

Sie konnte ihre Rede nicht vollenden, denn die beiden Herren waren jetzt herangekommen und blieben stehen. Sie zogen ihre Hüte, und der Sänger rief, die volle Gestalt Marthas mit lüsternem Blicke überfliegend:

»Ah, welch ein Glück! Fräulein Martha! Sind Sie gekommen, mir hier den Kuß zu geben, den Sie mir heut verweigerten? Das ist ja außerordentlich liebenswürdig von Ihnen und wird dankbar anerkannt werden. Bitte, geben Sie mir ihren Arm!«

Er ergriff ihren Arm.

»Unverschämter!« rief sie, ihn zurückstoßend. »Gehen Sie!«

»Nein, Liebchen, ich gehe nicht. Ich habe es auf Dich abgesehen, und da ich Dich so scheu gefunden habe, bin ich nicht so dumm, diese prächtige Gelegenheit vorübergehen zu lassen. Also, Ihren Arm!«

»Lassen Sie mich! Ich rufe um Hilfe.«

»Wen denn? Es ist kein Mensch da. Baron, nimm Du die Andere!«

Er hielt wirklich Marthas Arm so fest, daß sie sich ihm nicht zu entwinden vermochte. Der Baron hatte die Sängerin gemustert. Ihre Züge konnte er nicht deutlich erkennen, aber ihre Gestalt war voll und verführerisch.

»Hast Recht,« sagte er auf Antons Aufforderung. »Also bitte, Fräulein, Ihren Arm!«

Er griff nach Leni.

»Was wollen Sie?« fragte diese sehr ruhig. »Den Arm oder die Hand.«

»Beides, Beides natürlich!«

»Schön! Sehen Sie, wie das thut!«

Sie stieß, ehe er sich dessen versah, ihm die geballte Faust mit aller Kraft so unter die Nase, daß sein Kopf nach hinten kippte und der Hut herabfiel und eine Strecke im Staube fortrollte.

»Donnerwetter!« schrie er, sich mit beiden Händen nach der Nase greifend. »Verfluchte Hexe! Du haust ja!«

»Ja, die scheint Gift zu haben,« lachte Anton, noch immer mit Martha ringend, welche ihm ihren Arm entziehen wollte.

»Das Gift werde ich ihr bald nehmen!« antwortete der Baron.

Er holte seinen Hut, setzte ihn, um keine Zeit zu versäumen, schmutzig auf und griff wieder nach Lenis Arm.

»Lassen Sie die Hand von mir!« rief diese, ihre Stimme so verstellend, daß sie nicht von Anton erkannt werden konnte.

»Nein, das thue ich nicht. So ein wildes Geschöpf muß man zahm machen.«

Er schlang die Arme um ihren Leib, und Leni hütete sich wohl, dagegen zu wehren. Sie war klug genug, den geeigneten Augenblick abzupassen. Sah sie doch, daß sich zwei Reiter schnell näherten.

»Einen Kuß!« rief der Baron, durch ihr passives Verhalten irre gemacht.

Er bog den Kopf zu ihr nieder. Da aber ballte sie die beiden Fäuste und stieß sie ihm mit aller Macht blitzschnell unter das Kinn.

Er ließ sie fahren, stieß einen unartikulirten Schrei aus und stürzte auf den staubigen obgleich hart gefrorenen Boden nieder.

»Kerl!« lachte der Krickelanton. »Was fällt Dir ein! Dich von einem Weibsbilde werfen zu lassen! Da, schau her, wie ich die meinige küsse.«

Er wollte diesen Worten die That folgen lassen; aber Martha war durch Lenis tapferes Verhalten ermuthigt worden. Sie wehrte sich nach Kräften und rief laut um Hilfe.

Der Baron war wieder aufgesprungen und gab sich nun alle Mühe, Leni wieder an sich zu ziehen; diese aber wehrte sich mit dem Muthe und der Kraft eines Mannes.

Die beiden Reiter mußten jetzt erkennen, daß es sich hier um einen Angriff auf die Damen handele. Sie spornten ihre Pferde und kamen schnell herbeigeflogen, der Herr voran, der Bediente in Livree hinter ihm.

Es war der Graf von Senftenberg mit seinem Reitknechte.

»Hollah, was ist hier los!« rief er, indem er sein Pferd zügelte.

»Alle Wetter, der Graf!« lachte Anton. »Den haben wir freilich nicht zu fürchten. Ein Abenteuerchen, ein interessantes Abenteuerchen, weiter nichts!«

Er rang weiter mit Martha.

Leni rief, indem sie durch kräftige Stöße den Baron von sich abzuhalten suchte:

»Herr Graf, wir sind überfallen worden, wir sind nur arme Dienstboten, aber Sie sind ein Ehrenmann und werden uns in Ihren Schutz nehmen.«

»Natürlich, natürlich!« antwortete er. »Bitte, Baron, bitte, Signor Criquolini, geben Sie die Damen frei!«

»Unsinn!« rief der Sänger.

»Ich verlange es!«

»Pah!«

»Gut, so befehle ich es!«

Das rief er mit erhobener Stimme.

»Befehlen?« entgegnete Anton, Martha noch immer festhaltend.

»Ja, ich befehle es!«

»Das fehlt noch! Wer hat uns zu befehlen, wer?« fragte der Baron höhnisch.

»Diese hier, nämlich die Peitsche!«

Bei diesen Worten spornte der Graf, daß sein Pferd einen Satz that bis hart an den Baron heran, holte aus und gab diesem einen Peitschenhieb quer über das Gesicht herüber.

Der Getroffene brüllte auf vor Schmerz und schlug beide Hände vor das Gesicht.

»Nun, Criquolini, wollen auch Sie geschlagen sein?«

Indem der Graf diese Frage aussprach, wendete er sein Pferd gegen den Sänger.

»Wagen Sie es!« drohte dieser.

Mit der Linken Martha festhaltend, hielt er dem Grafen die geballte Rechte entgegen.

»Kerl, drohst Du meinem Herrn!« rief der Reitknecht. »Da ist der Lohn!«

Er schlug mit dem Stiele der Reitpeitsche so kräftig auf den erhobenen Arm, daß der Sänger denselben sofort sinken ließ. Der Getroffene brüllte weniger vor Schmerz als vielmehr vor Wuth laut auf. Seine Aelplernatur erwachte. Er that einen Sprung auf den Reitknecht zu. Dieser aber, ein altgedienter, gewandter Kavallerist, nahm sein Pferd vorn hoch, daß es mit den Hufen ausschlug und Anton schnell zurückweichen mußte.

»Graf Senftenberg,« knirrschte er. »Das werde ich Ihnen gedenken!«

»Immerhin!« antwortete dieser ruhig. »Nur weiß ich nicht, wie Sie das anfangen wollen.«

»Sie werden mir Genugthuung geben!«

»Ja, Genugthuung!« brüllte der Baron, mit der einen Hand die Schwiele bedeckend, welche sich quer über sein Gesicht zu ziehen begann. »Wir werden Sie fordern und Ihnen unsere Zeugen schicken!«

»Mich fordern? Was fällt Ihnen ein! Ein Graf Senftenberg schlägt sich mit Falschspielern und Menschen, welche brave Mädchen auf der Straße überfallen, nicht. Solche Strolche sind nicht satisfactionsfähig. Man haut sie nur mit der Peitsche durch!«

Der Baron war feige. Er hatte für diese verächtlichen Worte keine Entgegnung. Der Krickelanton aber ballte beide Fäuste, zog die Ellbogen an sich, duckte sich wie zum Sprunge nieder und rief:

»Nehmen Sie diese Worte augenblicklich zurück oder –?«

»Nein!«

»So sollen Sie sogleich erfahren, daß – –«

Er holte bereits zum Sprunge aus. Er war der Mann, dem man es zutrauen konnte, daß er sich zu dem Grafen auf das Pferd schwingen werde. Da aber trat Leni schnell vor ihn hin.

»Halt, Landstreicher!« rief sie ihm zu. »Willst Dich an einem Ehrenmann vergreifen! Dazu bist dera Kerl noch lange nicht. Schäm Dich in Deine Seele hinein, daßt so ein Lodrian worden bist. Deine Eltern werden sich vor Herzeleid ins Grab legen wollen, wanns hören, wie weit es bereits mit Dir kommen ist. Troll Dich von dannen und laß brave Leut in Ruh!«

Er starrte sie an, ohne sich zu rühren.

»Was – –!« fragte er. »Wie – wo – wer bist, daßts wagen kannst, mir solche Worte ins Gesicht zu schleudern?«

»Wer ich bin? Da schau her! Ich kann Dir mein Gesicht zeigen, ohne mich schämen zu müssen.«

Sie nahm den Schleier weg. Er trat um einen Schritt zurück und rief erstaunt:

»Die Leni, die Muhrenleni! Ah, Du bists. Du machst mir die Predigt! Und dabei gehst mit Dienstboten auf den Raub aus, um Männer zu fangen! Schau, was aus Dir geworden ist! Da ist wohl auch Dein Wurzelsepp bei Dir und macht den Kassirer? Komm, Baron, da sind wir schön angeflogen! Wann ich wußt hätt, daß es zwei solche Vögel sind, so hätt ich mir doch lieber die Hand abhaut als daß es mir einifallen wär, sie anzugreifen. Komm! Wir wollen sie dem Grafen lassen. Der hats verdient, daß wir sie ihm schenken.«

Er ergriff den Baron beim Arme und verschwand mit ihm hinter der Buschecke, hinter welcher sie vorher hervorgetreten waren.

Bei seinen frechen Worten war Leni glühend roth geworden. Wie in instinctiver Abwehr wendete sie sich an den Grafen:

»Glaubens das dem Menschen nicht, gnädiger Herr! Wir sind Beide arme Dirndln, aberst was Böses nachsagen, das kann uns kein Mensch als nur dieser Lodrian.

»Ich glaube Ihnen das sehr gern,« antwortete der Graf freundlich, indem er vom Pferde stieg. »Gesichtszüge, wie Sie haben, können nicht lügen. Daß Sie brav sind, das brauchen Sie gar nicht erst zu versichern. Bitte, wo wohnen Sie?«

»Auf dera Mohrengasse.«

»Werden Sie mir gestatten, Sie wenigstens so weit zu begleiten, bis Sie in eine belebtere Gegend kommen?«

»Ja, bitt schön, kommens mit! Denn wir müssen halt gewärtig sein, daß sonst die beiden Strauchritter uns abermals belästigen.«

Der Graf warf seinem Reitknechte den Zügel zu und schloß sich den beiden Mädchen an.

Er in der Mitte, gingen die Drei den Weg zurück, den die Ersteren gekommen waren, zunächst ohne zu sprechen. Der Graf betrachtete sich dabei verstohlen Lenis Gesichtszüge.

Das waren nicht die Züge eines Dienstmädchens; ihnen hatte die geistige Arbeit ihren Stempel, ihr Gepräge aufgedrückt. Dieses Gesicht war von einer eigenartigen, ausgesprochenen Schönheit, mild und doch kräftig, zart und doch frisch trotz der Blässe der Wangen. Diese dunklen Augen besaßen die Gewalt des Blitzes, und doch schauten sie jetzt so mild in den kalten Nachwinterstag hinein. Welch einen seltenen Wohllaut hatte ihre Stimme! Er konnte fast den Blick nicht von diesem Mädchen wenden.

Und nun ihr Verhalten gegen ihn selbst! Er konnte darüber gar nicht klar werden. Tausend Andere hätten, als er seine Begleitung anbot, dieselbe mit fulminanten Danksagungen zurückgewiesen; sie aber hatte sie als ganz selbstverständlich angenommen. War das der Mangel an Bildung, der bei einem Dienstmädchen freilich nicht auffallen konnte? Oder war es etwas Anderes – Räthselhaftes, zu dessen Lösung ihm leider die Zeit fehlte.

Er stand vor ihr wie vor einem Geheimnisse, von welchem man weiß, daß sich, wenn der Vorhang hinweggezogen wird, etwas wahrhaft Schönes zeigen muß – – aber eben ist dieser Vorhang leider unberührbar.

Ganz wider alles Erwarten war Martha die Erste, welche das Wort ergriff. Sie wendete sich an den Grafen:

»Nun werdens gar viel Aerger und wohl auch noch Schlimmeres haben dafür, daß Sie sich unserer so gut angenommen haben. Es thut mir so leid, daß wir Ihnen halt nur danken können.«

Sie bediente sich des bayrischen Dialectes, weil Leni vorher dasselbe gethan hatte.

»Bitte, haben Sie keine Sorge um mich,« antwortete der Graf. »Diese Herren sind nicht im Stande, mir den geringsten Schaden zuzufügen.«

»Aber sie haben doch gar vom Duell sprochen!«

»Gesprochen, ja. Aber kein anständiger Mann wird sich mit solchen Leuten schlagen. Sie scheinen alte Bekannte zu sein?«

Diese letztere Frage war an Leni gerichtet. Sie blickte ihm voll und offen in das männlich schöne Gesicht und antwortete:

»Ja, wir haben uns kannt. Er ist mein Bräutigam gewest. Seit er aber ein so berühmter Sängern worden ist, hat er mich vergessen habt.«

Es war ein Blick unendlichen Erstaunens, welchen der Graf auf die Sprecherin warf.

»Ihr Bräutigam! Wunderbar! Wer von Beiden hat denn das Verhältnis gelöst?«

»Er. Ich bin ihm treu blieben bis heut, ohne ihn jahrelang zu derblicken. Nun ich aberst sehen hab, auf was für eine Stufen er herunterstiegen ist, so ists schad um jeden guten Gedank, den ich noch für ihn haben könnt.«

»Hatten Sie sich mit Absicht hier getroffen?«

»Das hätt mir nicht einfallen konnt. Wir haben keine Ahnung habt, daß er uns begegnen wird. Schön aber ists, daß er eine so gute Lehr erhalten hat. Und dera Baron noch besser. Erst hab ich ihm die Nasen überstülpt hier mit meinen Fäusten, und nachhero habens ihm, gnädiger Herr, mit dera Peitschen einen Gedankenstrich übers Gesichten macht, an dem er gar lange Zeiten zu kuriren haben wird. Grad so und nicht anders muß es solchen Leutla ergehen!«

Sie lachte befriedigt auf, so glockenhell und rein. Dabei betrachtete sie ihre beiden »Fäusten«, mit denen sie sich so kräftig gewehrt hatte.

Der Graf schüttelte leise den Kopf. Was sollte er denken? Was war das Richtige? So wie sie jetzt, konnte nur eine gewöhnliche Aelplerin sprechen. Und doch lag grad in ihrer Ausdrucksweise, ihrem Tone, ihrem Blicke, ihrem Mienenspiele ein Etwas, was es ihm ganz unmöglich machte, sie für ein gewöhnliches Mädchen zu halten.

»Ja,« sagte er. »Gewehrt haben Sie sich auf das Tapferste. Ich glaube sogar, Sie wären mit den Beiden auch ohne meiner Hilfe fertig geworden.«

Er hatte vielleicht erwartet, daß sie verneinend antworten und seine That mit großem Lobe hervorheben werde; sie aber sagte ganz im Gegentheile:

»Natürlich! Ich hätt dem Criquolini nur mein Gesichten zu zeigen braucht, so wär er fortgelaufen. Das wollt ich aber doch nicht gern. Darum hab ich halt wartet, daß Sie herankommen möchten.

»Und ich bildete mir ein, daß Sie sich in großer Bedrängniß befänden!« lachte er ein Wenig pikirt.

»Damit war es nix. Aberst gut ists doch gewest, daß Sie grad zugegen waren, und darum danken wir Ihnen auch gar schön. Und daß Sie nachher gar vom Pferde stiegen sind, um bis hierher mit uns zu gehen, das ist so brav und ritterlich von Ihnen, daß ich Ihnen gar gleich eine Hand dafür geb. Hier ist sie!«

Er, der Aristokrat, welcher mit den höchsten Herrschaften zu verkehren verstand und niemals in eine Verlegenheit zu bringen gewesen war, er fühlte sich von ihren Worten und ihrem Verhalten beinahe verblüfft.

Sie, das Dienstmädchen, wagte es, ihm die Hand zu bieten! Sie nannte sein Benehmen brav und ritterlich! Sie sagte: »um bis hierher mit uns zu gehen,« und deutete ihm damit an, daß er wieder umkehren möge! Was sollte er da denken? Er fand nicht sofort eine Antwort, und darum war es gut, daß Martha beistimmte:

»Ja, dera gnädige Herr ist schon allzuweit mit uns gangen. Wir dürfen seine Güt nicht länger mißbrauchen.«

»Wie Sie wollen,« antwortete er. »Aber darf ich, bevor wir scheiden, erfahren, bei wem Sie in der Mohrengasse dienen?«

Diese Frage war ihm halb unabsichtlich entfahren. Es war eigentlich gar nicht »gentlemanlik« von ihm als Grafen, sich nach der Hausnummer von zwei Dienstmädchen zu erkundigen; aber es trieb ihn, zu wissen, wo Leni wohne.

»In demselbigen Hause, wo dera Criquolini im Parterre wohnt,« antwortete Martha. »Er muß bis morgen ausziehen. Wir wohnen in dera ersten Etagen.«

Die Drei waren mit einander stehen geblieben. Der Graf erhob spaßhaft drohend den Finger und sagte zu Leni:

»Also in demselben Hause! Ei, ei! Und da haben Sie nicht gewußt, daß er nach dem Augarten spazieren gegangen ist!«

»Nein,« antwortete sie ohne alle Verlegenheit. »Ich bin erst gestern in Wien ankommen und hab mit keinem Wörtle ahnt, daß er grad in demselbigen Hause wohnt. Aber, was thuts auch, obs glaubt wird oder nicht. Wir sagen schönen Dank, Herr Graf, und nun Adieu!«

Sie reichte ihm abermals die Hand hin. Er ergriff dieselbe und fragte:

»Werden wir uns vielleicht im Leben noch einmal begegnen?«

Diese Frage eines Grafen an ein Dienstmädchen! Wie kam es nur, daß sie ihm entfahren war?

»Ganz gewiß,« antwortete Leni.

»So! Sie thun, als wüßten Sie das so ganz genau?«

»Das ist gar kein Wunder.«

»Wieso?«

»Wien ist doch nicht so groß, daß zwei Menschenkinder, wie wir Beid sind, so ganz und gar für nander verschwinden müßten. Ich denk, daß wir nander sogar recht bald begegnen werden.«

»Wenn Sie so gut wahrzusagen verstehen, so wissen Sie vielleicht auch wann und wo?«

»Ja, das weiß ich freilich genau.«

»Nun, wann?«

»Wohl gar schon heute noch.«

»Ah! Und wo?«

»Beim Abendregen.«

»Wo ist das?«

»Das ist ein Ort und eine Zeit, die ich jetzund noch nicht sagen kann. Wissens, eine jede Weissagung hat auch ihre Dunkelheiten, wohinter man sich verstecken kann. Aberst das sag ich, daß Alles ganz genau zutrifft, wann ich einmal die Zukunft vorhersagt hab. Und nun nochmals großen Dank, gnädiger Herr! Großen Dank und – auf Wiedersehen!«

Sie machte einen Knix, so wie eine Aelpnerin ihn vor einem vornehmen Herrn zu machen pflegt, und zog die Martha mit sich fort.

Er blieb stehen und blickte ihnen nach, fast wieder so verblüfft wie vorher. »Großen Dank und – auf Wiedersehen,« hatte sie ihm gesagt. Wußte sie denn wirklich, daß er sie wiedersehen werde? Was hatte das Wort »Abendregen« zu bedeuten?

Er rieb sich vergeblich die Stirn. Er sah ihren elastisch-kräftigen Gang. Die kleinen Füße wurden zuweilen unter dem Saume des Kleides sichtbar. Er hatte ihre Hand in der seinigen gehabt; sie war so klein, so weich, so rundlich gewesen – eine schöne Damenhand!

Und doch sprach sie diesen Bauerdialect! Doch bewegte sie sich in der ganz vulgären Ausdrucksweise! Und dennoch, dennoch hatte es zuweilen ein Wort gegeben, welches errathen ließ, daß sie scharf zu denken und fein zu fühlen verstehe!

Ja, dieses Dienstmädchen war eine ganz ungewöhnliche Erscheinung, ein gradezu fascinirendes Wesen. Nach den Reden des Sängers hätte man sie zu den verlorenen Dirnen zu zählen gehabt. Sollte das möglich sein? Es sprach Manches dafür – ihre Anwesenheit in der Wohnung des einstigen Geliebten, ihr einsamer Spaziergang hier und Anderes. Aber der Graf wies diesen Gedanken mit ebenso stiller wie energischer Entrüstung zurück.

Er wäre wohl noch eine ganze Weile tief in Gedanken versunken, hier stehen geblieben, wenn ihn nicht der Hufschlag seiner Pferde darauf aufmerksam gemacht hätte, daß sein Reitknecht, welcher den Dreien langsam nachgeritten war, bei ihm angekommen sei.

Er stieg wieder in den Sattel und ritt, ganz von dem Eindrucke dieses kleinen Abenteuers erfüllt, nach Hause. Und dort angekommen, gab er sich nicht seinen gewöhnlichen Beschäftigungen hin. Er konnte das lieblich-ernste Gesicht der schönen Aelpnerin nicht los werden und ging, in den Gedanken an sie versunken, ruhelos in seinem Zimmer auf und ab.

Endlich strich er sich mit der Hand über die Stirn, lachte leise und verwundert auf und sagte zu sich selbst:

»Graf Horst von Senftenberg, was ist mit Dir! Denke doch an Deinen Stammbaum, an die lange Reihe Deiner Ahnen, an Deine hohen Verbindungen und gesellschaftlichen Verpflichtungen, nicht aber an dieses Bauermädchen, welches ja gar nicht für Dich existiren darf!«

Er setzte sich an den Schreibtisch und begann zu rechnen. Er hatte von den Verwaltern verschiedener seiner Güter Rechenschaftsberichte vorliegen, welche zu prüfen waren; aber er kam nicht vorwärts. Zwischen den trockenen Zahlenreihen blickte ihm immer und immer wieder das Gesichtchen mit den tiefen, unergründlich tiefen Augen entgegen. Er machte Fehler auf Fehler und warf endlich mißmuthig die Feder weg.

»Es geht nicht!« gestand er. »Dieses Mädchen hat es mir angethan, mir, den noch keine einzige Dame ein tieferes Interesse einzuflößen vermochte. Das ist so schnell gegangen. Ich habe sie nur dieses eine Mal gesehen und kenne ihre Züge und den Tonfall ihrer Stimme bereits so gut, als ob ich sie Jahre lang studirt hätte. Ich halte es hier nicht länger aus; ich gehe! Aber wohin?«

Er blickte nach der Uhr.

»Es ist noch nicht Zeit, beim Commerzienrath vorzufahren. Ich werde nach dem Kaffee gehen und ein Glas Wein trinken. Dort giebt es Zeitungen und zahlreiche Gesichter, bei deren Betrachtung andere Gedanken kommen werden.«

Er kleidete sich, da er nicht zurückzukommen beabsichtigte, zur Soirée an und begab sich dann nach einer der berühmten Wein- und Kaffeestuben, welche in der Nähe lag.

Dort angekommen, bemerkte er zu seinem Leidwesen, daß das Lokal gefüllt war. An denjenigen Tischen, an welchen noch ein Platz zu finden war, saßen Personen, die ihm nicht behagten. Er suchte ein kleines, ihm bekanntes Cabinet auf, in welchem nur ein einziges Tischchen mit vier Stühlen stand. Dieser Raum pflegte stets für exclusive Stammgäste reservirt zu sein. Dort war er gewiß, nur anständige Leute zu finden. Selbst wenn die vier Stühle besetzt waren, konnte er sich einen fünften herbeibringen lassen.

Dieses Cabinet war durch eine Portière von dem Hauptraume getrennt. Wenn man dieselbe aus einander zog, konnte man alle draußen Befindlichen beobachten, ohne von ihnen gesehen zu werden.

Dort hatte der Graf oft gesessen und sich im Stillen dadurch unterhalten, daß er an den so verschiedenartigen Gesichtern der Gäste psychologische Studien machte.

Als er jetzt hinter die Portière trat, war nur ein einziger Stuhl besetzt, und Derjenige, welcher ihn inne hatte, war ein ihm vollständig Fremder.

Dieser Mann war schon hoch bei Jahren und hatte sehr scharf und kühn gezeichnete aber angenehme und Vertrauen erweckende Züge. Sein Gesicht war außerordentlich sonnenbraun. Von dieser tiefen Färbung stachen die dichten, grauen Haare und der gewaltige, schneeweiße Schnurrbart effektvoll ab. Sein Anzug war elegant, aus feinstem, graubraunen Winterstoff nach dem neuesten Schnitte gefertigt. Am Nagel hing ein Gehpelz, mit theurem Biberrücken gefüttert. An den Händen trug er einen einzigen Ring, dessen schmaler, einfacher Reif aber einen so werthvollen Diamanten trug, daß man den Besitzer für einen sehr wohlhabenden Mann halten mußte. Dieser Letztere hielt eine der bedeutenderen Zeitungen, in welcher er gelesen hatte, in der Rechten.

Das Alles hatte der Graf mit einem Blicke übersehen. Er war überzeugt, bei diesem Herrn Platz nehmen zu können, ohne die Würde seines Standes zu beleidigen. Darum verbeugte er sich, höflich grüßend.

»Würden Sie mir einen Platz erlauben, mein Herr?«

Der Fremde erhob sich, erwiderte die Verbeugung in militärischer Haltung und antwortete:

»Gern. Nehmen Sie ungenirt Platz!«

Ein herbeigekommener Kellner nahm dem Grafen Hut und Ueberrock ab und erhielt die erwarteten Befehle. Dann zog der Letztere seine Karte hervor und überreichte sie, indem er sich niederließ, dem Gaste.

»Horst Arnim Graf von Senftenberg« stand unter der Grafenkrone.

Der Andre stellte sich dann durch die seinige vor, auf welcher zu lesen war »Josef von Brendel, Königl. Bayr. Hauptmann a. D.«

So Etwas hatte der Graf erwartet. Der Unbekannte war nach seinem ganzen Habitus ein alter Offizier.

Die Unterhaltung, welche nun zwischen Beiden geführt wurde, befriedigte den Grafen außerordentlich. Das Auftreten des Hauptmannes war beinahe originell. Er bewegte sich in kräftigen, scharf bezeichnenden Ausdrücken, ohne aber im Geringsten gegen die Umgangsformen der feineren Gesellschaft zu verstoßen. Er zeigte gesunde Lebensansichten, entwickelte reiche Erfahrungen und schien in allen Schichten der Bevölkerung eingehende Studien gemacht zu haben.

Der Graf hatte die angenehme Empfindung, daß er diesen Mann recht bald lieb gewinnen könne. Derselbe war jedenfalls ein Character, an welchem kein Falsch zu finden war.

Zwar zeigte er sich zurückhaltend, wenn der Graf eine inhaltsvolle künstlerische oder wissenschaftliche Bemerkung machte, zu deren weiterer Ausführung tiefe Fachkenntnisse gehörten, aber von so einem alten, wackern Haudegen war doch unmöglich zu verlangen, daß er sich auch mit eingehenden philosophischen und ästhetischen Studien befaßt habe.

So folgte eine Minute nach der andern wie im Fluge, und der Graf fand keine Zeit, an die schöne Aelpnerin zu denken. Da wurde die Portière abermals geöffnet, und in derselben erschien – der Commerzienrath.

»Ah, Graf Senftenberg!« rief er erfreut. »Das ist eine angenehme Ueberraschung.«

»Sie, Herr Baron?« erwiderte der Graf. »Sie konnte ich am allerwenigsten hier erwarten. Ich mußte natürlich glauben, daß Sie mit den Vorbereitungen zu Ihrer Soirée beschäftigt seien. Bitte, Platz zu nehmen!«

»Was giebt es da vorzubereiten? Nichts. Ich hatte einem Geschäftsfreunde eine eilige Angelegenheit vorzutragen und war meine Kehle während des vielen Sprechens so trocken geworden, daß ich den Schritt hierher lenkte, um der Stimme ihre frühere Elasticität wieder zu geben. Ich sehe, daß Sie sich bereits im Gesellschaftshabitus befinden, also können wir nachher gleich zusammen zu mir gehen.«

»Sehr gern! Gestatten die Herren, sie einander vorzustellen! Herr Commerzienrath Baron von Hamberger – Herr Hauptmann von Brendel, Bayern.«

Die beiden Genannten verbeugten sich gegeneinander. Dabei war dem Commerzienrathe anzusehen, daß der Name des Fremden ihn frappirte.

»Hauptmann von Brendel?« fragte er. »Ihr Vorname ist Josef, Herr Hauptmann?«

»Ja.«

»Sie kommen aus München?«

»Allerdings, Herr Commerzienrath.«

»Hatten Sie nicht die Absicht, hier in Wien unter Anderen auch mich mit Ihrem Besuche zu beehren?«

»Gewiß. Ich hatte mir vorgenommen, mich am morgenden Vormittage bei Ihnen vorzustellen.«

»So freue ich mich, Sie bereits heut zu sehen. Ihre Ankunft ist mir von dem befreundeten Münchener Bankhause gemeldet worden.«

»Dann verstößt es wohl nicht gegen die geschäftliche Höflichkeit, Ihnen bereits heut Einsicht in diese wenigen Zeilen zu geben. Der Herr Graf werden das wohl freundlichst entschuldigen.«

Er zog einen fünffach versiegelten Brief aus einem eleganten Portefeuille und reichte ihn dem Commerzienrath hin.

Dieser prüfte nach geschäftsmännischer Gewohnheit genau die Aufschrift, welche seine eigene Adresse enthielt und die Siegel, welche zweifellos diejenigen des betreffenden Bankhauses waren. Dann öffnete er und las:

»Herrn Commerzienrath
Baron Hesekiel von Hamberger
Wien.

Sie wollen dem Vorzeiger dieses, den Königlich Bayrischen Hauptmann a. D. Herrn Josef von Brendel auf unsere Rechnung und Gefahr einen so hohen Credit, als wir selbst bei Ihnen genießen, unbeschränkt eröffnen und uns die von ihm bei Ihnen erhobenen Summen zu monatlicher Sicht auf Wechsel stellen.«

Unterzeichnet war diese seltene Anweisung von einer der bedeutendsten Bankfirmen der Hauptstadt Bayerns.

Beim Lesen derselben stiegen die Brauen des Commerzienrathes höher und immer höher. Seine Augen prüften dann mit doppelt scharfem Blicke die Unterschrift auf ihre Aechtheit, und als er erkennen mußte, daß an derselben gar nicht zu zweifeln sei, nahm sein Gesicht den Ausdruck einer unendlichen Hochachtung an. Seine Schultern zogen sich demüthig nach vorn, und seine Unterlippe senkte sich herab. Er erhob sich, machte eine tiefe, respectvolle, ceremonielle Verbeugung und sagte:

»Herr Hauptmann, ich bin Ihr allerunterthänigster Diener und stelle mich mit meinem ganzen Vermögen und Credite Ihnen zur geneigten Verfügung.«

Der Alte erwiederte die Verbeugung mit einem einfachen Nicken und antwortete lächelnd:

»Danke! Was ich brauche, ist gar nicht der Rede werth, vielleicht einige hundert Gulden, wahrscheinlich aber gar nichts.«

Da machte der Baron ein hocherstauntes Gesicht.

»Aber, mein Herr, wissen Sie denn nicht, wie viel Sie bei mir entnehmen können?«

»O doch! So viel, wie ich brauche.«

»Aber das kann eine Million sein, noch mehr, mehrere Millionen. Ich gebe sie Ihnen!«

»Danke! Ich bin ein sparsamer Mann, habe bereits einiges Geld zu mir gesteckt, so viel ich nämlich voraussichtlich brauchen werde, und versah mich nur deshalb mit dieser Anweisung an Sie, weil man doch einmal sein Portemonnaie vergessen oder verlieren kann. Ich bin auch bereits einmal in die Verlegenheit gekommen, eine Zeche von sechzehn Groschen nicht bezahlen zu können. Habe dem Kellner meine Uhr als Pfand zurücklassen müssen.«

»Sie! Sie? Für sechzehn Groschen! Ein Mann, dem ich Millionen geben würde!«

»Der Mann kannte mich ja nicht. Hier in Wien bin ich noch weniger bekannt. Wenn sich so ein Fall hier ergeben würde, so kann ich den Kellner an Sie weisen.«

Der Commerzienrath fand vor Erstaunen gar keine Worte. Endlich fragte er:

»Bei der Eröffnung eines solchen Credites muß ich selbstverständlich annehmen, daß Sie voraussichtlich hier ganz bedeutende Ausgaben zu machen beabsichtigen.«

»Gar nicht. Ich will Wien kennen lernen und mich einige Tage amusiren. Dann reise ich weiter.«

»Bitte, wohin?«

»Nach Triest vielleicht.«

»Besitzen Sie bereits Creditbriefe an dortige Bankhäuser? Wo nicht, so stelle ich mich gern zur Verfügung.«

»Danke! Bin auch für dort versehen.«

Der Bankier begann fast zu schwitzen. Es wurde ihm beinahe unheimlich vor lauter Hochachtung. Für Wien so ein ungeheurer Credit, und für Triest, für weitere Orte wohl auch noch! Der alte Hauptmann mußte doch ein ungeheuer reicher Kerl sein.

Natürlich hatte der Bankier gerade so wie jeder Besitzer einer Bank die Gepflogenheit, jedem Interessenten, welcher mit einer oder vielmehr über eine gewisse Summe bei ihm accredirt wurde, sein Haus zu öffnen und ihn zu sich einzuladen. Darauf besann er sich. Mit diesem bayrischen Hauptmanne konnte ja geradezu Staat gemacht werden.

Jeder Andere wurde nur zur Tafel geladen, in diesem ganz außerordentlichen Falle aber konnte nur von Vortheil sein, eine noch bedeutendere Gastfreundschaft zu entwickeln. Darum erkundigte sich der Bankier:

»Darf ich fragen, Herr Hauptmann, wo Sie abgestiegen sind?«

»Im ›Kronprinzen von Oesterreich‹, Asperngasse.«

»Aber dort werden Sie doch nicht wohnen bleiben?«

»Warum nicht?«

»Bei den Ansprüchen, welche Sie machen können!«

»Ich könnte, ja, aber ich mache keine. Je einfacher man lebt, desto freier ist man.«

»Das ist zwar sehr richtig, aber man verzichtet doch selbst in der Fremde nicht gern auf Gewohntes, Bequemes. Ich offerire Ihnen eine Wohnung in meinem Hause und würde mich sehr geehrt fühlen, wenn Sie die Güte hätten, mir die Erfüllung dieses Wunsches zu gewähren.«

»Danke, Herr Baron! Sie sagen selbst, daß man auf Gewohntes nicht verzichten solle, und meine Gewohnheit ist es eben, auf Reisen Niemanden zu incommodiren und zugleich meine Selbstständigkeit dadurch zu wahren, daß ich nur in Hotels wohne. Darum hoffe ich, Sie werden verzeihen, wenn ich auch hier nach dieser Regel handle.«

»Nur ungern! Aber Ihr Wunsch ist mir natürlich Befehl. Doch hoffe ich, daß Sie mir dann eine andere, ebenso dringende Bitte gewähren.«

»Welche?«

»Haben Sie die Güte, mich in den Stand zu setzen, Sie noch heute Abend meiner Gemahlin und unseren Gästen vorzustellen. Der Herr Graf von Senftenberg erwähnten bereits die heutige Soirée. Ich weiß nicht, ob Sie ein Musikfreund sind, aber ich denke – –«

»O, ein großer Musikfreund sogar!«

»Nun, dann schmeichle ich mir, daß Sie sich bei mir gut unterhalten würden. Sie hören ganz hervorragende künstlerische Kräfte. Die Vortragenden sind sowohl in Beziehung der Instrumental-, als auch in der Vocalmusik Namen ersten Ranges. Der Herr Graf werden vielleicht die Güte haben, meine an Sie gerichtete Bitte zu unterstützen.«

Der Genannte hatte an dem Gespräche der Beiden nicht mit theilgenommen. Auch er war einigermaßen erstaunt über die Gleichgiltigkeit, mit welcher der Hauptmann die außerordentliche Creditangelegenheit behandelte. Jetzt nun ging er auf die Aufforderung des Bankiers ein, indem er sich an den alten Offizier wendete:

»Ich kann Ihnen allerdings den Salon des Herrn Barons warm empfehlen. Sie werden sich da nur in guter Gesellschaft befinden.«

»Davon bin ich fest überzeugt, da auch Sie dort anwesend sein werden,« antwortete der Hauptmann höflich.

»Sie werden zum Beispiel einen sehr namhaften Sänger hören,« fiel der Baron ein. »Vielleicht haben Sie bereits von ihm gehört. Er heißt Criquolini.«

»Ach! Criquolini singt bei Ihnen? Den möchte ich freilich einmal hören. Ich kenne ihn sehr genau, genauer als Sie denken.«

»Wohl gar persönlich?«

»Ja.«

»Das ist mir höchst interessant.«

»Leider muß ich sagen, daß seine Anwesenheit eigentlich für mich keine Veranlassung sein kann, Ihrer Einladung Folge zu leisten. Criquolini mag ein guter Sänger sein, ein guter Mensch aber ist er nicht.«

»Das ist bedauerlich. Aber wir werden es ja nicht mit dem Menschen, sondern mit dem Sänger zu thun haben.«

»Ganz richtig; aber wenn ich mich ja noch entschließen sollte, Theil zu nehmen, so bitte ich, ihn mir ja nicht vorzustellen.«

»Ganz gewiß nicht. Es wird ja dazu gar keine Gelegenheit geben. Er wird sich nicht unter den Gästen, sondern bei den Musici befinden, denen ein apartes Nebenzimmer angewiesen ist.«

»Das ist mir lieb. Ich habe nicht Lust, mit ihm persönlich in Berührung zu kommen. Er ist ein schlechter Character. Ich kenne zufällig seine ganze Vergangenheit und also auch seine Familienverhältnisse. Seine Eltern sind blutarme, brave Leute, welche kaum das trockene Brod zu essen haben, und er giebt ihnen keinen Pfennig, obgleich ich genau weiß, daß er von seiner amerikanischen Tournee ein Vermögen mitgebracht hat. Er ist ein rüder Mensch geworden, den man nicht achten kann. Betrachten, wir ihn also als für uns abgethan! Wen werden wir noch hören?«

»Eine der berühmtesten Sängerinnen, die Ubertinka nämlich.«

»Also sie hat zugesagt? Sie hat sich doch erbitten lassen?« fragte der Graf erfreut.

»Ja, allerdings nur auf ganz besonderes Zureden ihrer Wirthin.«

»Sie meinen die Hotelwirthin?«

»Nein. Die Sängerin war im Hotel bereits nicht mehr zu finden. Sie hatte sich bei Frau Salzmann einlogirt, gar nicht weit von hier, in der Mohrenstraße.«

»Ah! Ist das nicht ganz dieselbe Dame, bei welcher auch Criquolini wohnt?«

»Ja.«

»Sonderbar.«

Er machte ein sehr nachdenkliches Gesicht, kam aber natürlich nicht auf die Vermuthung, daß die berühmte Sängerin und seine schöne Aelplerin eine und dieselbe Person sei.

Als der Name derselben genannt worden war, hatte es sich wie heller Sonnenschein auf das Gesicht des alten Hauptmannes gelegt. Er fragte jetzt erstaunt:

»Die Ubertinka ist hier in Wien? Davon weiß ich ja gar nichts. Das muß ganz plötzlich gekommen sein, sonst hätte sie mich benachrichtigt. Vielleicht hat mich ihr Brief noch nicht treffen können, weil sie nicht vermocht hat, eine genaue Adresse anzugeben.

Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an den beiden Andern. Der Graf fragte schnell:

»Wie, Herr Hauptmann? Sie kennen diese berühmte und geheimnisvolle Sängerin? Sie haben sogar das Glück, Briefe von ihr zu erhalten?«

»Ja,« antwortete der Gefragte. »Ich habe von dem Prachtmädchen sogar noch andere Dinge erhalten als nur allein Briefe. Sie hat mir zum Beispiel so manchen kräftigen Kuß gegeben.«

Dabei strich er sich, behaglich schmunzelnd, seinen martialischen Schnurrwichs.

»Sie scherzen!« rief der Graf.

»O nein. Warum soll sie mich nicht küssen? Ich bin ja ihr Pathe und Pflegevater.«

»Wirklich? Wirklich? Das ist ja im höchsten Grade interessant!. Das ist eine freudige Ueberraschung für uns und jedenfalls auch für die Sängerin. Sie weiß, wie es scheint, gar nicht, daß auch Sie sich hier in Wien befinden?«

»Sie hat gar keine Ahnung. Ich freu mich königlich auf das Gesicht, welches Sie machen wird, wenn sie mich erblickt. Herr Baron, jetzt können Sie ganz sicher sein, daß ich mit Ihnen gehe. Das wird ein Abend werd –«

Er wurde unterbrochen. Die Portière öffnete sich abermals, und unter derselben erschien der Baron von Stubbenau. Auch dieser kannte dieses behagliche, kleine Cabinet. Als er den Grafen erblickte, mit dem er das unliebsame Rencontre gehabt hatte, vergaß er zu grüßen, starrte ihn einige Secunden lang verlegen an und drehte sich dann um, die Portière wieder zufallen lassend.

Sein Erscheinen hatte auf die drei Anwesenden einen dreifach verschiedenen Eindruck gemacht. Der Graf hatte sich verächtlich zur Seite gewendet. Der Banquier machte ein ganz verwundertes Gesicht, denn der Baron hatte einen langen Streifen hautfarbiges Heftpflaster quer über das Gesicht kleben. Der Hauptmann aber hatte sich langsam von seinem Sitze erhoben und das Gesicht des Barons mit einem überrascht forschenden Blicke gemustert. Dann war er an die Portière getreten und hatte die beiden Theile derselben ein wenig auseinander gezogen, um sehen zu können, wohin der neue Gast sich draußen setzen werde.

»Was ist mit dem geschehen?« fragte der Banquier. »Ob er sich mit Jemand geschlagen hat?«

»Nein. Er ist geschlagen worden,« antwortete der Graf, indem er das letzte Wort stark betonte.

»Geschlagen worden? Von wem?«

»Von mir, und zwar mit der Reitpeitsche. Ich traf ihn am Nachmittage im Augarten, wo er mit Criquolini zwei Mädchen anfiel, um sich Zärtlichkeiten zu erzwingen. Meine Reitpeitsche ist dabei mit seinem Gesichte in nahe Berührung gekommen, während diejenige meines Reitknechtes sich für den Sänger interessirte. Beide wollten mich fordern, doch sind sie ja nicht Personen, denen man Genugthuung zu geben hat.«

Als der Hauptmann das hörte, wendete er sich rasch von der Portière zurück und fragte:

»Sie kennen diesen Herrn? Wer ist er?«

»Er nennt sich Baron Egon von Stubbenau und behauptet, irgendwo große Güter zu besitzen.«

»Wie lebt er hier?«

»Auf gutem Fuße; doch sind die Quellen seiner Mittel jedenfalls nicht lauter. Ich halte ihn für einen Schwindler, der sich durch falsches Spiel und andere Gaunereien ernährt.«

»Und mit diesem Manne verkehrt Criquolini! Hm, hm!«

Der Alte machte ein so ganz eigenthümliches Gesicht, daß der Graf sich erkundigte:

»Kennen Sie diesen sogenannten Baron?«

»Nein; aber ich interessire mich für sein Gesicht. Ich muß es bereits irgendwo gesehen haben.«

Er entfernte sich auf eine kurze Zeit. Draußen im Hofe zog er seine Brieftasche hervor und entnahm derselben eine Photographie, welche er genau betrachtete. Sie war genau das Bild des Barons von Stubbenau, nur daß die Photographie Haar und Bart blond erscheinen ließ, während Beides bei ihm tiefdunkel war.

»Er ists, ja er ists,« murmelte der Hauptmann. »Hab mirs gar nicht denken konnt, daß ich den Hallunken so schnell finden thu. Wart, Bursch! Ich hab ein Wörtle mit Dir zu reden, welches Dir wohl gar nicht sehr gefallen wird. Aberst fein sauber muß ich diese Sach angreifen. Auf dera That muß ich ihn ertappen. Die Gelegenheit dazu muß sich finden, wann auch nicht hier, so doch nachhero in Triest.«

Er hatte das in bayrischer Mundart gesagt. Als er durch das Gastzimmer nach dem Cabinet zurückkehrte, warf er einen scharfen Blick auf den Baron. Er überzeugte sich, daß der Letztere wirklich das Original der Photographie sei.

Nun wurde aufgebrochen, denn die Zeit, in welcher der Salon des Commerzienrathes zu öffnen pflegte, war da. Er kam gerade noch zur rechten Zeit, um seine Gemahlin aus der Verlegenheit, die geladenen Gäste allein empfangen zu müssen, zu befreien, und stellte ihr den Hauptmann in einer Weise vor, aus welcher sie erkannte, daß der alte Herr eine geschäftlich bedeutende Persönlichkeit sein müsse. Darum hieß sie ihn in auszeichnender Weise willkommen.

Nach und nach stellten sich die erwarteten Herren und Damen ein, und der Hauptmann erkannte da allerdings, daß diese Gesellschaft eine wirklich vornehme sei.

Man war allgemein auf das Erscheinen der Sängerin gespannt. Jeder hatte Etwas von ihr gehört, ohne aber etwas Bestimmtes über sie erfahren zu haben. Der Banquier theilte den einzelnen Personen heimlich mit, daß der Hauptmann von Brendel der Pathe und Pflegevater der Ubertinka sei und daß derselbe ein horrendes Vermögen besitzen müsse, da er Veranlassung erhalten habe, ihm einen unbeschränkten Credit zu eröffnen, ein Fall, der ihm in seiner langen Geschäftspraxis noch nie vorgekommen sei.

Durch diese vertrauliche Mittheilung wurde der Alte mit einem Male der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit; er bemerkte das sehr wohl, that aber, als ob er es gar nicht beachte.

Es war zu Ende der Wintersaison, in welcher Gesellschaften, Bälle und Maskeraden an der Regel sind. Bei solchen Gelegenheiten entfaltet die Wiener Welt eine außerordentliche Toilettenpracht. Auch die anwesenden Damen zeichneten sich sämmtlich durch einen ungemeinen Reichthum der äußeren Erscheinung aus. Sammet und Seide, Diamanten und Perlen rauschten und flimmerten um die Wette, und die Freiheit des Kleiderschnittes, welche die Wienerin so sehr liebt, ließ die Schönheit der Formen und die sonst so sorgsam behüteten Reize zur vollen, offenen Geltung kommen.

Auch der Agent Goldmann war da. Er hatte zu seiner Genugthuung seinen Zweck, eine Einladung zu erhalten, erreicht. Kaum vernahm er, in welch intimen Verhältnissen der Hauptmann zu der Sängerin stehe, so ließ er sich ihm vorstellen. Er gab sich alle Mühe, einen vortheilhaften Eindruck auf ihn zu machen und etwas Näheres über die hochinteressante Dame zu erfahren, war jedoch nicht glücklich dabei, denn der alte Herr ließ sich nicht ausfragen.

Der einstige Krickelanton kam noch eher als seine vormalige Geliebte. Er war ganz in der Meinung, zu den Geladenen zu gehören. Er gab in der Garderobe seinen Hut und Ueberrock ab, betrachtete sich noch einmal im Spiegel, ob seine Frisur in Ordnung sei und schritt dann dem weit offenen Eingange des Saales zu. Dort stand ein Diener, um jeden Eintretenden zu melden. Er kannte den Sänger nicht.

»Bitte, Ihren Namen!« sagte er darum.

»Criquolini, Signor Criquolini.«

»Ach so! Bitte, treten Sie hier herein!«

Er schritt ihm längs des Corridores voran und öffnete dort eine Thür. Der Sänger schaute hinein. Da saßen drei Violinisten, ein Vierter mit einem Cello und noch zwei weitere Personen mit Flöte und Clarinette. Abseits von diesen standen zwei Herren, deren ganzer Habitus verrieth, daß sie Künstler seien. Der Eine war Pianist- und der Andere Violinvirtuos. Sein Instrument lag in einem eleganten Kasten in seiner Nähe.

»Was ist das? Hier herein soll ich?« fragte der Sänger.

»Ja, bitte!« antwortete der Lakai. »Meine Herren, hier ist Signor Criquolini, welchen Sie erwartet haben.«

Die Anwesenden verbeugten sich, er aber erwiderte diesen Gruß nicht sofort, sondern sagte in zornigem Tone zum Lakaien:

»Das ist doch wohl nicht der Salon?«

»O nein, Signor.«

»Nun, ich gehöre doch wohl in den Salon?«

»Verzeihung! Der Herr Baron haben mir befohlen, Sie hierher zu führen. Hier pflegen die Herren Musici sich aufzuhalten.«

»Donnerwetter! Bin ich ein Musikus?«

»Ich glaube, daß der Gesang auch Musik ist.«

»Aber ein Sänger ist kein Bierfiedler!«

»O, diese Herren sind auch keine Bierfiedler.«

»Mensch, werden Sie nicht impertinent! Ich habe gehört, daß Signora Ubertinka auch geladen ist?«

»Ja, sie ist geladen.«

»Bringen Sie diese Dame auch hierher?«

»Nein, denn sie ist, wie eben erwähnt, geladen; Sie aber sind engagirt. Hier auf dieser Tafel ist Ihr Souper aufgetragen. Wein ist da. Wenn Sie einen Wunsch haben, so brauchen Sie nur die Glocke zu ziehen. Und dort die Thür führt nach dem Musiksalon. Wenn man Sie dort braucht, wird man es Ihnen sagen.«

Er ging.

Criquolini stand noch an der Thür, unentschlossen, ob er bleiben oder lieber gleich wieder gehen solle. Sein Künstlerstolz war auf das Gröbste beleidigt worden. Er sah das Lächeln, mit welchem die Anwesenden auf ihn blickten. Das erhöhte seinen Zorn.

»Meine Herren,« sagte er, »lassen Sie sich denn so Etwas gefallen.«

Der Violinvirtuos zuckte die Achseln und antwortete:

»Was sollen wir anders thun? Man bezahlt uns ja; darum rechnet man uns nicht zu den Gästen.«

»Ach! Man bezahlt uns! Ich habe geglaubt, mich gratis hören lassen zu sollen. Nun erst verstehe ich diesen baronisirten Juden. Man bezahlt uns also! Gut, so soll man auch sehr brav zahlen. Sind Sie gegen ein bestimmtes Honorar engagirt?«

»Ja. Wir sind während der Saison sehr oft hier und wissen, was wir für den Abend erhalten.«

»So hat der famose Herr Commerzienrath die Dummheit begangen, mich nicht nach der Höhe des Honorars zu fragen. Da er uns zu den »Musikanten« zählt, werde ich ein echt amerikanisches Honorar verlangen.«

»Wieviel?«

»Das ist noch unbestimmt. Ich kam in der Absicht, eine ganze Reihe von Liedern vorzutragen; nun aber werde ich nur zwei singen. Wer hat mich zu begleiten?«

»Ich,« antwortete der Pianist.

»So werde ich Ihnen die Noten holen, welche in meinem Ueberrocke stecken. Es ist ein Trinklied, gedichtet von Emil Ritterhaus, und was ich dann noch für eins wählen werde, weiß ich noch nicht.«

Er kehrte zur Herrengarderobe zurück. Wäre er nur einige Augenblicke früher gekommen, so hätte er die Ubertinka an der Seite der Frau Salzmann in den Salon treten sehen.

Hatten die Anwesenden erwartet, die Sängerin in großer Gesellschaftstoilette zu sehen, so waren sie im Irrthum gewesen. Sie trug ein einfaches, schwarzseidenes Kleid, und eine rothe Rose in dem prachtvollen, dunklen Haar war ihr einziger Schmuck. Während alle anwesenden Damen tief ausgeschnitten gingen und auch die Arme ganz entblößt trugen, schloß ihr Kleid sich eng um den Hals und die Aermel desselben reichten bis über den Ellbogen. Der Vorderarm stak in Handschuhen.

So stach sie außerordentlich gegen die strahlende Umgebung ab. Aber Jeder und Jede sagte sich sofort beim ersten Blicke, daß dieses Mädchen eine seltene, ausgezeichnete Schönheit sei.

Die Commerzienräthin eilte ihr entgegen und stellte sie den Anwesenden vor. Binnen wenigen Augenblicken hatte sich ein Kreis um die reizende Künstlerin gebildet. Vieler Augen suchten nach dem Hauptmanne, um sich an seiner Ueberraschung, sie hier unerwartet zu sehen, zu weiden. Er war nicht im Salon, sondern er befand sich mit dem Grafen von Senftenberg im Rauchzimmer.

Der Commerzienrath suchte sie auf, um sie zu benachrichtigen. Beide kamen herbei, voran der Hauptmann, der Graf hinter ihm.

»Signora,« sagte die Commerzienräthin zu Leni, »ich habe Ihnen noch zwei Herren vorzustellen, die bisher nicht anwesend waren. Bitte!«

Der Kreis öffnete sich. Leni's Auge fiel auf den Hauptmann. Eine außerordentliche Ueberraschung malte sich in ihren Zügen. Sie war für einige Augenblicke bewegungslos.

»Ists möglich! Ists wahr?« rief sie, ganz vergessend, daß sie nicht allein war. »Ists dera Sepp oder ist ers nicht.«

»Ja freilich bin ichs,« antwortete er. »Oder willst mich nicht mehr kennen, Dirndl?«

»Ja, ja, das ist er! Sepp, mein alter, lieber, guter Sepp! Was ist das für eine Freuden, Dich hier zu sehen! Komm her, ich muß Dir gleich ein Busserl geben!«

Sie flog auf ihn zu, schlang die Arme um ihn und küßte ihn herzhaft auf den Mund. Er drückte sie in tiefer Rührung an sich und flüsterte ihr dabei zu:

»Dirndl, mach kein dumm Geschwätz! Ich bin hier dera Hauptmann Josef von Brendel aus Bayern. Verstanden?«

»Warum?« fragte sie verwundert.

»Darum! Mehr brauchst nicht zu wissen. Jetzt schau Dir auch meinen jungen Freund an, den ich kennen lernt hab, den Grafen Senftenberg. Da ist er.«

Der Graf war, als er Leni erblickte, vor Erstaunen unter der Thür stehen geblieben. Das war ja die schöne Aelplerin! Sie und die berühmte Sängerin eine Person! Welch eine Ueberraschung! Da war ja mit einem Male das Räthsel gelöst!

Jetzt brachte der Hauptmann sie ihm zugeführt. Sie lächelte ihm neckisch entgegen, reichte ihm die Hand und sagte:

»Ersparen wir uns die Verbeugungen, gnädiger Herr! Meinem Beschützer muß ich die Hand geben. Sie haben es verdient.«

Er zog die Hand an seine Lippen und antwortete, indem seine Augen glücklich strahlten:

»Darum also! Darum sprachen Sie davon, daß wir uns bereits heute sehen würden. Wußten Sie, daß ich geladen war?«

»Die Frau Commerzienräthin hatte es mir mitgetheilt.«

»Und dann das Andere? Was war mit dem Abendregen gemeint?«

»Das hier. Ich hörte, daß Sie das Piano lieben. Würden Sie mich zu zwei Liedern begleiten, gnädiger Herr?«

Sie zog zwei kleine, zusammengefaltete Notenblätter aus der Tasche.

»Mit Stolz und Vergnügen,« antwortete er, ganz beseligt durch diese Bevorzugung.

Er schlug die Blätter auseinander und fuhr fort, Noten und Text betrachtend:

»Zwei Gedichte von Gerock, »Behüt Dich Gott« und »Abendregen«. Jetzt begreife ich auch das Andere. Also dies ist der Abendregen, bei welchem wir uns wieder sehen. Ich sollte Ihnen eigentlich über Ihr Incognito zürnen. Denken Sie sich, lieber Hauptmann, die Signora gab sich für ein Dienstmädchen aus!«

»So? Das sieht ihr ähnlich. Aber ich bin ganz erstaunt, zu erfahren, daß Sie sich kennen.«

»Wir sahen uns heut. Die Signora war eine der beiden Damen, denen ich im Augarten den erwähnten kleinen Dienst leisten durfte.«

»Was? Leni, Du warst es, die der Criquolini angefallen hat? Hat er Dich erkannt?«

»Nein, denn ich war verschleiert; dann aber habe ich ihm freilich gezeigt, wer ich bin.«

»Da ist er erschrocken? Nicht?«

»Nein, gar nicht. Er hat vielmehr – aber schweigen wir lieber davon!«

»Ganz recht,« stimmte der Graf bei. »Fort mit dieser unangenehmen Erinnerung. Ich sehe, daß mir die Herrschaften zürnen, daß ich Sie ihnen entziehe. Wir dürfen uns nicht isoliren. Kommen Sie!«

Er nahm ihren Arm und führte sie in den Kreis zurück, welcher sich sofort um sie schloß.

Ihr Verhalten zu dem alten Hauptmanne hatte allgemein sympathisch berührt. Zwar war es aufgefallen, daß sie ihn Sepp genannt hatte, doch war dies durch die derbe, kernbayrische Art leicht zu erklären. Sie bildete bereits in Kurzem den Mittelpunkt der Gesellschaft. Selbst die jüngeren, sonst auf ihre Vorzüge so eifersüchtigen Damen erkannten ihre Schönheit neidlos an. Ihr einfaches, bescheidenes und doch so sicheres Wesen ließ keine Mißgunst aufkommen.

Der Graf stand allein am Fenster und beobachtete sie. Er konnte den Blick fast nicht von ihr wenden. Jetzt, hier, sah er erst, wie schön sie war. Und sie war keine Sängerin, sondern Jungfrau – so rein, keusch und züchtig. Dem Zahn der Sünde war es nicht gelungen, dieses Mädchen zu verwunden. Das sah man ihr an.

Zuweilen schien es, als ob ihr Auge ihn suche. Das erfüllte ihn mit einem Gefühle süßer Befriedigung, wie er es noch niemals empfunden hatte.

Dann öffnete sich die Thür zum Musiksalon, und die kleine Capelle trug eine Introduction vor. Alle wendeten sich dieser Richtung zu. Das benutzte der Graf. Er eilte zu Leni, nahm ihren Arm in den seinen und bat:

»Lassen Sie mich Ihr Führer sein, Fräulein. Ich sah, daß Sie eine Tanzkarte erhielten. Haben Sie bereits über alle Tänze verfügt?«

»Noch über keinen,« antwortete sie lächelnd.

»Ah! Wie kommt das? Da ist es mir ganz unmöglich, die Herren zu begreifen, welche sich die Gelegenheit entgehen lassen, der Königin dieses Abends ihre Huldigung darzubringen.«

»O bitte, ich kann mich nicht über Mangel an Aufmerksamkeit in dieser Beziehung beklagen. Es ständen auf meiner Karte wohl die Namen aller Herren bereits verzeichnet, wenn ich nicht erklärt hätte, daß ich nicht tanze.«

»Wie? Ists möglich! Sie tanzen nicht?«

»Nein. Grundsätzlich nicht.«

»Warum?«

»Meine Ansichten über dieses Vergnügen sind vielleicht zu streng, aber ich möchte sie doch nicht ändern.«

Sein Blick leuchtete auf.

»Eine Sängerin, die zugleich den Tanz verwirft. Wahrlich, das ist eine Seltenheit, ja, das ist vielleicht noch gar nicht vorgekommen. Hegten Sie auch früher diese strengen Ansichten?«

»Hätte ich sie gehegt, sie wären doch nicht zur Geltung und Anwendung gekommen. Ich habe nur ein einziges Mal getanzt. Ich war eine arme Sennerin, befand mich die größte Zeit des Jahres auf einsamer Alm und habe auch während der übrigen Zeit das Leben nur von der ernsten Seite betrachtet.«

Er drückte unwillkürlich ihren Arm fester an sich.

»So wird also auch mein Verlangen nach einem Tanze ein unerfülltes sein.«

»Leider. Ich bitte um Verzeihung!«

»Da ist nichts zu verzeihen. Vielmehr habe ich Ihre Nachsicht in Anspruch zu nehmen, wenn ich Sie dringend ersuche, Sie nachher zur Tafel führen zu dürfen.«

»Sollte nicht bereits unsere Wirthin bereits andere Verfügungen getroffen haben?«

»Möglich, denn von den anwesenden Herren wird wohl ein Jeder wünschen, an Ihrer Seite zu sitzen; aber wenn Sie es mir gestatten, so werde ich der Frau Commerzienräthin einen Wink ertheilen.«

Sie antwortete nicht sogleich. Das Verhalten des Grafen berührte sie in einer Weise, über welche sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte. Es war nicht sein Stand, wegen dessen es sie mit großer Genugthuung erfüllte, daß er sich ihr in so auffälliger Weise widmete. Seine Persönlichkeit war es, seine Persönlichkeit ganz allein. Er trat so einfach, so bescheiden auf. Sein Wesen zeigte eine Offenheit, eine Wahrheit, welche man an dergleichen Cavalieren nicht zu beobachten pflegt. Leni fühlte, daß er kein gewöhnlicher Salonmensch sei und ihr nicht Höflichkeiten sagte, weil er es gewöhnt war, Damen zu schmeicheln. Was er sagte, kam ihm wirklich aus dem Herzen.

Sie waren in den Musiksalon getreten. Der Graf wollte sie nach einem Stuhle führen, sie aber bedankte sich und ging zu dem alten Hauptmanne, welcher abseits von der Gesellschaft stand, um sich ein Gemälde zu betrachten.

»Sepp, jetzund mußt mir mal Red und Antwort stehen,« sagte sie. »Willst es thun?«

»Wann ich kann, ja!«

»Was willst eigentlich hier in Wien?«

»Marinerirte Heringe fangen in dera Donauen. So, jetzt weißts.«

»Geh! Bist doch stets ein Grundböser. Kannst denn niemalen aufrichtig sein?«

»Bin ich jemals verschlossen gegen Dich gewest?«

»Oft!«

»Dann hab ichs halt nöthig gehabt. Und so ists auch grad jetzt. Was ich hier such, das darf ich Dir halt nicht sagen.«

»Warum aber spielst den vornehmen Herrn?«

»Weils für das, was ich will, wichtig ist.«

»So! Ich hätt gar niemals glaubt, daßt so gut einen Offizieren machen kannst.«

»Du, da hast Dich täuscht. Dera Wurzelsepp ist halt Einer, der Alles kann, was er will. Das magst Du Dir nur merken.«

»Ja, ich glaub es fast. Und wie sich das so schön ereignet hat, daß wir uns gleich treffen müssen. Auch den Anton haben wir gleich auf dera Stell gefunden.«

»Du, daran liegt mir nix.«

»Warum?«

»Weil er mich nicht sehen darf. Er könnts sonst verrathen, daß ich nicht ein Offizier bin, sondern dera Wurzelsepp.«

»So mußt halt hinaus gehen, wann er singen thut.«

»Ja. Und Du? Soll er Dich sehen?«

»Hm! Er hat keine Ahnung, daß ich die Ubertinka bin, obgleich er, wenn er gescheidt wäre, es errathen könnte, daß dieser Name eigentlich von der zweiten Hälfte meines Geburtsnamens Berghuber herkommt. Wann ich es vermeiden kann, so soll er mich nicht erblicken.«

»So wollen wir uns erkundigen, wann er auftreten wird.«

Die Capelle hatte indessen einen Walzer gespielt, und nun traten der Pianist und der Violinvirtuos herein, um sich Beide hören zu lassen. Nach ihnen sollte Criquolini auftreten.

Bevor er erschien, traten der Sepp und die Leni wieder zusammen und gingen, wie in ein angelegentliches Gespräch vertieft, hinaus in den Empfangssalon, was keinem der Anwesenden auffiel.

Sie konnten von dort aus den Krikelanton beobachten, ohne von ihm bemerkt zu werden. Er schritt in stolzer, selbstbewußter Haltung nach dem Piano. Dort verbeugte er sich, aber so leicht und kurz, als sei er ein Fürst, der auf eine ihm erwiesene Ovation gnädig danke. Dann durchflog sein Blick den Saal.

Er suchte die Ubertinka. Welche von den anwesenden Damen mochte die Sängerin sein? Es gab kein Anzeichen, mit dessen Hilfe er sich diese Frage hätte beantworten können.

Der Pianist verkündete laut, daß Signor Criquolini ein Trinklied vortragen werde. Der Sänger lehnte sich nachlässig mit dem Arme auf das Piano, wartete, bis das Vorspiel zu Ende war und begann dann die »Rheingauer Glocken« von Emil Ritterhaus:

»Wo's guten Wein im Rheingau giebt,
Läßt man den Mund nicht trocken.
Drum, wer ein schönes Tröpfchen liebt,
Beacht den Klang der Glocken!
Merk, ob Du hörst den vollen Baß
Ob dünn und schwach der Ton summ'.
Wo edle Sorten ruhn im Faß,
Da klingt es: Vinum bonum!
Vinum bonum, vinum bonum!«

Er hatte halblaut begonnen, sichtlich nachlässig, als ob ihm an dem Beifalle der Anwesenden ganz und gar nichts liege. Von Wort zu Wort aber färbte sich die Stimme energischer. Er richtete sich höher auf. Sein prachtvoller, kräftiger Tenor begann, den Saal zu füllen, und als er dann »vinum bonum«, den Klang der Glocken nachahmte, da klang es wirklich wie Glockengeläut, so metallisch, so tief und brausend, als ob es vom hohen Thurme hin über den Rheingau schalle.

Dann kam die zweite Strophe:

»Doch wo die Rebe schlecht gedeiht,
Muß man die Aepfel pressen;
Da wird gar klein die Seligkeit
Dem Zecher zugemessen.
Der Trank ist matt, das Geld ist rar;
Man spart an Glock und Klöppel –
Und von dem Thurm hört immerdar
Man Eins nur: Aeppelpäppel!
Aeppelpäppel, Aeppelpäppel!«

Man hätte meinen sollen, daß bei diesen humoristischen Zeilen sich die Pracht seiner Stimme nicht documentiren könne, aber grad das Geläute »Aeppelpäppel wurde in einer solchen Tonhöhe vorgetragen und klang doch so glockenrein aus tiefster Brust, es war eine so prachtvolle Nachahmung, daß man glaubte, in Wirklichkeit drei kleine Glöcklein eines armen Dorfes läuten zu hören. Als er diese Strophe geendet hatte, wurde er mit einem rauschenden Beifalle belohnt. Er zuckte, anstatt sich dankend zu verbeugen, leicht die Achsel, als ob er sagen wolle: Hört nur erst weiter, bevor Ihr applaudirt. Dann trat er einen Schritt vor und fuhr fort:

»Mein Sohn, wo Du den Ton vernimmst.
Da kann Dein Herz nicht lachen,
Da rath ich, daß Du weiter schwimmst
In dem bekränzten Nachen.
Doch wo das Baßgeläut erscholl,
Da kehre nicht, mein Sohn, um,
Da labe Dich, der Andacht voll,
Und singe: Vinum, bonum,
Vinum, bonum, vinum, bonum!«

Die Aufgabe, welche dieses Lied an den Sänger stellte, war die Nachahmung des Glockengeläutes. Jetzt ließ Anton ein tiefes, melodisches Läuten erschallen, daß man meinte, die Glocken schwingen sehen zu müssen. Die Nachahmung war eine wirklich meisterhafte, und es wurde ihm dafür ein ungeheurer Applaus zu theil. Man rief in stürmischer Weise Dacapo. Der Pianist begann auch bereits die Einleitung, da er glaubte, daß der Sänger diesen Beifall doch sicher belohnen werde. Anton aber gab ihm mit der Hand ein verneinendes, unwilliges Zeichen, nickte den Zuhörern leicht zu und schritt zum Saale hinaus. Der Pianist brach natürlich ab und folgte ihm verlegen.

Dieses hochmüthige Verhalten ließ sofort die noch anhaltenden Zeichen des Beifalles verstummen. Draußen im Musikantenzimmer fragte der Pianist den Sänger, warum er nicht noch eine Strophe gesungen habe.

»Weil das Lied nur diese drei hat,« antwortete Anton kurz.

»In diesem Falle pflegt man die letzte zu wiederholen.«

»Was Andere thun und pflegen, geht mich nichts an. Ich singe ein jedes Lied zu Ende; über das Ende hinaus giebts nichts.«

»Aber, Herr, dieser Beifall!«

»Den habe ich verdient; darum brauch ich ihn nicht extra zu belohnen. Kein Mensch wird etwas Wohlverdientes auch noch extra bezahlen. Kennen Sie die Ubertinka?«

»Nein.«

»Sie muß sich doch drin im Saal befinden?«

»Selbstverständlich.«

»Hm! Welche mag es sein. Haben Sie bereits Noten von ihr erhalten?«

»Noch nicht. Sie wird jedenfalls der richtigen Ansicht sein, daß ich die Begleitung vom Blatte zu spielen vermag.«

Jetzt folgte ein Mozartsches Quartett, von der kleinen Capelle executirt, und dann kam der Diener, um den Herren »Künstlern« zu melden, daß jetzt die Signora singen werde.

»Da muß ich doch hinaus, sie zu begleiten!« sagte der Pianist.

»Ist nicht nöthig. Graf Senftenberg hat die Begleitung übernommen.«

»Ah, vornehm, sehr vornehm!« knirschte Anton. »Auch ich sollte dem Herrn Grafen meine Noten schicken. Wenigstens bekommen wir jetzt endlich diese »größte« Künstlerin zu hören und hoffentlich auch zu sehen.«

Er trat an die Thür, welche in den Musiksalon führte. Er wollte dieselbe um eine kleine Lücke öffnen, fand aber zu seiner Ueberraschung, daß man von innen – den Schlüssel umgedreht hatte.

»Donnerwetter, es ist verschlossen!« fluchte er. »Das ist doch toll, das ist unverschämt! Ich werde mir das nicht wieder gefallen lassen.«

Er warf sich in einen Sessel, aber er blieb nicht lange sitzen, denn drinnen im Saale erklang jetzt eine Stimme, eine so wunderbare Stimme, daß es ihn vom Sessel emporriß.

Leni hatte, ohne dazu aufgefordert zu sein, dem Grafen gesagt, daß sie jetzt bereit sei, das erste der beiden Lieder vorzutragen, und er hatte die Wirthin darüber verständigt.

Als diese Letztere es weiter meldete, ging eine Bewegung durch den Saal. Jeder und Jede suchte den verlassenen Platz wieder auf und machte es sich auf demselben so bequem, wie möglich, um ja dann während des Vortrages kein Geräusch zu verursachen.

Der Sepp schlängelte sich langsam an der Wand hin bis zu der Thür, welche in die Musikantenstube führte. Er ahnte, daß man von dorther neugierig sein werde, und drehte, ohne daß es von Jemand bemerkt wurde, den Schlüssel um.

Darum konnte Anton dann nicht öffnen.

Nun nahm der Graf Leni's Arm und führte sie nach dem Piano. Dort verkündete er den Vortrag des Liedes »Behüt Dich Gott«, Abschied der Mutter von ihrem scheidenden Kinde.

Als er sich dann selbst an das Instrument setzte, vernahm man jenes leise Rauschen und Wehen, welches durch eine Versammlung geht, wenn sich vor den Augen derselben etwas Ungewöhnliches ereignet.

Daß der Graf die Sängerin begleitete, war eine Auszeichnung, welche diese Beiden einander ertheilten. Man wußte, daß der Graf es bei einer Anderen nicht gethan haben würde; man war aber auch von Leni überzeugt, daß sie nicht einem Jeden diese Erlaubnis gegeben hätte. Und als es sich nun blitzschnell herumflüsterte, daß Graf Senftenberg heut am Nachmittage die Künstlerin gegen eine Frechheit Criquolini's in Schutz genommen habe, war das sympathische Verhalten der Beiden gegen einander erklärt, und man hielt es für ganz begründet, daß ein Mensch wie Criquolini nicht geladen worden sei, sondern ganz einfach als Musikus behandelt werde.

Es waren leise, lieblich melodirte As-dur-Klänge, welche unter den Fingern des Grafen entstanden; ebenso leise und mildtönig begann Leni:

»Behüt Dich Gott, geliebtes Kind,
In Deinen Locken spielt der Wind;
Das Hündlein wedelt, springt und bellt,
Dein Muth ist frisch und schön die Welt.
        Behüt Dich Gott!«

Die Stimme der Sängerin hatte sich erhoben. Sie hatte einen Klang, einen Klang, der gar nicht zu beschreiben war. Bereits diese wenigen Takte rissen das Publikum hin: doch wagte man es nicht, einen Laut, ein Geräusch hören zu lassen. Nur Blicke flogen von Aug zu Aug, als das »Behüt Dich Gott« verklungen war, und diese Blicke waren für die Sängerin eine wenigstens ebenso große Ehre, wie ein lauter Beifall es gewesen sein würde.

Das schöne Lied Carl Geroks klang weiter:

»Behüt Dich Gott, mein Herz ist schwer.
Ich kann Dich hüten nimmermehr.
Doch send ich Dir als Engelswach
Geflügelte Gebete nach:
        Behüt Dich Gott!

Behüt Dich Gott an Leib und Seel
Vor Sünd und Schand, vor Fall und Fehl,
Dein kindlich Herz, vom Argen rein,
O hüt es wohl wie Edelstein;
        Behüt Dich Gott!«

War das wirklich Gesang, den man hörte? Ja, ein herrlicher, herrlicher Gesang! Und doch war es keiner, sondern es war die Sprache eines von Liebe und Sorge überfließenden Mutterherzens zu dem scheidenden Kinde. Da gab es keine gekünstelte Melodie, mit Cadenzen, Läufern und Trillern; ja, das schien gar keine Melodie zu sein. Es waren Seelenworte, nicht gesungen, sondern gesprochen, obgleich Text, Begleitung und Stimme eine einzige, ergreifende Harmonie bildeten.

Dann kam der Trost für jeden Scheidenden:

»Behüt Dich Gott, ein starker Hort,
Sein Scepter reicht von Ort zu Ort;
Sein Arm gebeut, sein Auge schaut
So weit der liebe Himmel blaut.
        Behüt Dich Gott!

Behüt Dich Gott – und nun zum Schluß
Von Mund zu Mund den letzten Kuß,
Von Herz zu Herz das letzte Wort:
Auf Wiedersehn hier oder dort!
        Behüt Dich Gott!«

Leni hatte geendet. Kein einziger Laut des Beifalles erscholl; keine leise Bewegung ließ sich hören, nicht das Rauschen einer Falte oder das Geräusch einer Fußspitze. Eine wirkliche Grabesstille herrschte für einige Augenblicke. Dann aber erhoben sich sämmtliche Personen wie auf ein Commando von ihren Stühlen und eilten auf die Sängerin zu.

Jeder genirte sich, die gewöhnlichen Beifallsworte wie »herrlich, prächtig, o wie schön u.s.w.« hören zu lassen. In den Gesichtern strahlte der Applaus in glänzenden Zügen; an den Wimpern hing er in schweren Tropfen. Zehn, zwanzig, noch mehr Hände streckten sich Leni entgegen, und der Graf, welcher sich langsam vom Musiksessel erhoben hatte, stand dabei wie ein Träumender. Sein Blick hing wie gebannt an dem schönen, tiefernsten Angesichte der Sängerin. Er fuhr sich mit der Hand über die hohe, weiße Stirn und erinnerte sich fast zu spät daran, daß er sie ja wieder vom Piano zurückzuführen habe.

Als er ihr den Arm dazu bot, war es noch still im Saale. Man flüsterte nur leise, da Alle noch unter dem Eindrucke des herrlichen Liedes, der unbeschreiblichen Stimme und des meisterhaften Vortrages standen.

»Signora,« fragte er mit leiser Stimme, welche hörbar vibrirte, »bitte, sagen Sie mir, ob ich richtig gespielt habe!«

»Gewiß. Sie haben mich sogar unübertrefflich begleitet.«

»Das ist ja gar nicht möglich!«

»In wiefern? Sie spielen ja meisterhaft.«

»Aber ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich wirklich nicht weiß, was ich gespielt habe. Ich habe nicht auf die Noten gesehen. Mein Auge hat nur Sie erblickt und mein Ohr nur Ihre Stimme gehört. Ich möchte mich wirklich fragen, ob ich überhaupt zu Ihrem Gesange gespielt habe.«

Sie antwortete nicht. Sie senkte den Blick und über ihr Gesicht glitt ein Lächeln, ein unbeschreiblich glückliches Lächeln. Konnte es eine herrlichere Anerkennung geben, als Diejenige, welche in seinen Worten lag? Gewiß nicht.

»Sie lächeln?« flüsterte er. »Ja, ich mag Ihnen ganz gewiß recht lächerlich vorkommen; aber ich sage Ihnen, daß ich jetzt nicht mehr ich bin. Ich kenne mich gar nicht mehr. Sie sind eine Zauberin, aber nicht eine böse, sondern eine gottbegnadete Fee, welche nur Glück und Heil bringen kann.«

Er hatte sie zu ihrem Platze geführt und zog sich zurück. Er konnte das, was er empfand, unmöglich durch eine gewöhnliche Unterhaltung entweihen.

Der Sepp hatte heimlich den Schlüssel jetzt wieder umgedreht. Dann entfernte er sich von der Thür, so daß die Capelle, welche jetzt wieder zum Vortrage kam, den Eingang für sich offen fand.

Dann spielte der Pianovirtuos ein Stück. Ihm folgte der Violinist, und sodann war ein Lied von Criquolini angekündigt. Der Sepp zog sich mit Leni abermals unbemerkt zurück.

Criquolini zeigte jetzt womöglich eine noch stolzere Haltung als vorher. Es war nicht eine Verbeugung, welche er dem Publikum machte, sondern eine herablassende Verneigung, ganz so, als ob er hoch über den Anwesenden stehe. Er sang eines der bekannten Fannylieder:

»Ich liebe die trauten Wellen,
Ich liebe das wilde Meer.
Wie Liebesgedanken schwellen
Die Wasser dahin, daher.

Wie Blicke der Liebe steigen
Glühfünkleln in die Höh;
Wie Grüße der Liebe neigen
Die Lilien sich im See.

Wie Worte der Liebe klingen
Seltsame Töne hervor.
Die Seejungfräulein singen
Und tauchen lustig empor.

Ich liebe die trauten Wellen.
Ich liebe das wilde Meer
Wie Liebesgedanken schwellen
Die Wasser dahin, daher.«

Hatte er dieses Lied des Textes oder der eigenartigen, in wallenden Triolen sich bewegenden Composition wegen gewählt? Mochte es sein, wie es wollte, die Wahl war eine vortreffliche.

Dieses Lied war wie für ihn gedichtet und componirt. Auch er »liebte die trauten Wellen, und er liebte das wilde Meer«. Er war ein zu Leidenschaftlichkeiten geneigter Charakter, unberechenbar wie die Fluth, welche jetzt im Sonnenglanze lacht und im nächsten Augenblicke ihre brüllenden, todesdunklen Wogen erhebt. Auch ihm hatten »Meerfräulein« zugewinkt, und er war ihnen in die blinkenden, verführerischen aber kalten Arme gesunken. Er hatte zwischen den feilen, bleichen »Seeblumen« moralischen Schiffbruch erlitten.

Kein Lied hätte besser für ihn gepaßt, und er sang es allerdings auch mit einer wahrhaft berauschenden Meisterschaft.

Die Triolen, welche bald wie glitzernde, gold- und silberschimmernde Wellen, bald aber wie dunkle, gischtspritzende und schaumspeiende Wogen hier leicht und bethörend, dort schwer und zähe auf- und niederstiegen, bildeten ein Tongewoge, welches von seiner außerordentlichen Technik vollständig beherrscht wurde. Es versagte ihm nicht eine einzige Note, und selbst da, wo der Componist das Auftauchen der Seejungfern durch ungeheuer schwierige Sertolen, welche abwechselnd in der Quinte und der kleinen None gipfelten, beschrieb, kam dieses gradezu halsbrecherische Tongemälde zu einem gradezu diabolisch fehlerfreien Vortrag, daß es den Hörern hätte schwindeln mögen.

Und dazu seine Stimme! Sie stieg voll bis ins große C herab und schwang sich klar und verwegen bis zum letzten Ton der zweigestrichenen Octave hinauf. Das waren keine Töne, das waren Tropfen, Schaumflecken und Perlen, welche aus der Tiefe des Sees emporstiegen und über den Wassern funkelten und schillerten, um dann auf die schimmernden Leiber der Seejungfern niederzuträufeln.

Der Sänger war den Zuschauern unsympathisch geworden, theils durch sein hochmüthiges Benehmen, theils weil man gehört hatte, was heut zwischen ihm und Leni vorgekommen war. Als Mensch verdiente er keine Achtung, und mancher der Anwesenden hatte sich vielleicht im Stillen vorgenommen, zu seinem Vortrage sich völlig gleichgiltig zu verhalten. Aber dieser staunenerregenden Leistung gegenüber verloren solche Vorsätze alle ihre Kraft. Der Beifall, welcher losbrach, glich einem Sturme, welcher sich nicht legen zu können schien.

»Was sagst zu ihm, Leni?« fragte der alte Sepp draußen im Empfangssalon seine Pathin.

»Dazu möcht ich wohl gar nix sagen,« antwortete sie.

»Warum?«

»Weil ich nicht reden möcht, sondern lieber laut aufweinen. Es ist traurig, o so sehr traurig, lieber Sepp!«

»Hast Recht. Wer so eine Stimm hat, der sollt dem Herrgott auf den Knieen danken, und sich alle Müh geben, ein guter Mensch zu sein.«

»O, es ist nicht nur die Stimm allein; es ist auch die unvergleichliche Begabung für die Technik des Gesanges. Tausend Andere, wanns auch diese Stimm hätten, würden es im ganzen Leben nicht so weit bringen, dieses Fannylied richtig zu singen. Unser Herrgott hat dem Anton Alles in den Schooß worfen, was er zum Meister braucht. Ich kann Dir aufrichtig sagen, daß meine Stimm wohl noch schöner ist als die seinige, so weit man einen Sopranen mit einem Tenoren vergleichen darf; aberst das Andre besitz ich nicht in solchem Grade. Er braucht nur zu wollen, so kommts bei ihm geflogen; das hört man ihm an. Ich aberst hab manchen Tag und manche Nacht über einer einzigen, schweren Stelle üben müssen. Und darum hat auch das, was ich erreich, einen so großen Werth für mich. Er hats umsonst; darum wirft ers weg. Ich muß es mit theurer Müh bezahlen; darum halt ichs fest und heilig. Das ist dera Unterschied zwischen mir und ihm. Sein Talent macht ihn hochmüthig; mich aber macht das meinige streng gegen mich selbst. Wollen sehen, wer glücklicher sein wird, er oder ich.«

»Du, mein gutes, braves Herzerl, Du!« sagte der Sepp gerührt, indem er sie mit väterlicher Zärtlichkeit an sich drückte.

Diese beiden, braven Menschen verstanden sich so gut, weil sie ohne Falsch und ohne Flecken waren. Ihre Blicke leuchteten sich so warm und innig entgegen, daß – – – daß der Graf hätte eifersüchtig werden können. Er hatte sich nach Leni umsehen wollen und stand nun unter der Thür. Da war er absichtslos Zeuge der Umarmung.

Es gab ihm einen Stich durch das Herz. Dieses herrliche Mädchen lag so vertrauensvoll in den Armen des Alten. Aber, wunderbar! Dieser Stich verursachte ihm keine Schmerzen. Er gönnte dem Hauptmanne dieses Glück, denn er hatte ihn lieb gewonnen. Aber doch stieg es in seinem Herzen wie eine Art von Eifersucht auf, und es trat ihm plötzlich hell und klar die Gewißheit vor seine Seele, daß die Sängerin das einzige, das allereinzige Wesen sei, welches er mit seinen Armen, seinem ganzen Herzen und Leben umschlingen könne.

Da erblickte ihn Leni. Sie wand sich erglühend aus Sepps Armen. Dieser aber trat auf den Grafen zu, reichte ihm die Hand und sagte:

»Verzeihen Sie, daß wir hier in der Fremde uns vielleicht allzusehr an unsere heimathlichen Verhältnisse erinnern. Wenn dieselben Ihnen bekannt wären, so würden sie es begreifen, daß wir Beide so gern und fest zusammenhalten.«

Der Graf drückte die ihm dargebotene Hand.

»Bitte, es bedarf keiner Entschuldigung. Sie hatten sich lange Zeit nicht gesehen; Sie trafen sich hier unerwartet; die Rechte der Herzen sind heilig. Ich klage mich schwer an, Sie gestört zu haben.«

Sie kehrten nach dem Musiksaale zurück, welchen Anton längst wieder verlassen hatte. Die Kapelle begann eben einen neuen Vortrag. Die Angehörigen derselben wußten auch nicht, welche der anwesenden Damen eigentlich die Ubertinka sei, denn sie hatten sich auch nach jedem Vortrage wiederum das Musikantenzimmer zurückzuziehen.

Nach ihnen traten, da die bisherige Reihenfolge beigehalten wurde, der Pianist und Violinist wieder auf, und sodann richteten sich die Blicke erwartungsvoll verstohlen wieder auf Leni.

»Man scheint zu wünschen – –« wollte der Graf sagen, welcher bei ihr stand.

»Ich bin an der Reihe,« lächelte sie »und darf keine Unordnung aufkommen lassen.«

»Also wollen Sie?«

»Freilich.«

»Den Abendregen?«

Er sagte das Wort mit besonderer Betonung, als Nachklang ihrer Unterhaltung draußen im Augarten. Sie nickte zustimmend, und er geleitete sie an das Instrument.

Schon der Einleitung war anzuhören, daß man jetzt ein ganz eigenartiges Musikstück zu hören bekommen werde. Die Töne perlten leise, leise und heimlich, wie Regentropfen, welche an das Fenster klingen und eigenthümlich melodisch auf die Schiefer und Ziegeln des Daches schlagen.

Ebenso heimlich, melodiös tröpfelnd erklangen die Töne von Leni's Lippen:

»Horch, was klopft aus Busch und Baum?
Fenster auf, zu lauschen!
Hör ich durch den Gartenraum
Engelsflügel rauschen?
Nein, aus dunkler Wolke fließt
Leiser, linder Segen;
Sieh, wie sanft es niedergießt!
Sei uns tausendmal gegrüßt,
Süßer Abendregen!«

Es war für den Componisten eine sehr schwierige Aufgabe gewesen, dieses herrliche Lied Geroks in Musik zu setzen. Die Begleitung hatte den niedertröpfelnden, leisen Abendregen zu malen. Aber die Lösung war ihm auf das Beste gelungen. Die innig mit einander verbundenen Töne glichen harmonischen Tropfen, welche vom Himmel thauen, wenn nach einem heißen, sengenden Tage die Sonne hinter Wolken verglüht ist und dann der gütige Abend der Erde das erquickende Naß spendet, welches der verbrannten Flur das Leben wiedergiebt.

Dann tritt der fromme Landmann an das Fenster, lauscht der linden Melodie des tropfenden Segens und faltet die Hände, um aus dankerfülltem Herzen ein Gebet emporzusenden.

So fromm und gut klangen auch die weichen, herzlichen Töne der Sängerin:

»Linde legt sich schon der Staub,
Balsamduft umwittert;
Stille hält das durstge Laub,
Das vor Wonne zittert.
Trunken schlägt die Nachtigall
In Jasmingehegen,
Und vermischt mit Flötenhall
Deiner Tropfen leisen Fall.
Linder Abendregen!

O, wie wehn so feucht und weich
Die verkühlten Lüfte!
O, wie wogen würzereich
Nachtviolendüfte!
Was der Dürre sich verschloß,
Oeffnet sich dem Segen;
Mach aus meines Herzens Schooß
Auch des Dankes Düfte los,
Holder Abendregen!«

Jetzt modulirte die Begleitung in ein sanftes, klagendes Moll über, denn es giebt auch im Seelenleben des Menschen Tage der Dürre, wo nur ein Thränenregen die Qual lösen, den Schmerz besiegen und das Herz wieder mit Hoffnung erfüllen kann:

»Sag, was kommt so mildiglich
Gleich wie Du geflossen?
Thränen sind es, die in sich
Lang ein Mensch verschlossen.
Aber endlich fühlt sein Herz
Inniges Bewegen;
Thränen fließen niederwärts.
Lösen den verjährten Schmerz
Wie ein Abendregen.

Rausche, rausche immerfort
In der Abendstille;
Bricht auch schon ein Sternlein dort
Aus der Wolkenhülle,
Und indeß wir uns zur Ruh
Leichten Herzens legen,
Säußle vor dem Fenster Du.
Sing ein Schlummerlied uns zu,
Milder Abendregen!«

Diese letzte Strophe war in belebterem Tempo gehalten. Es glänzten ja hier und da wieder Sterne am bisher verhüllten Firmament, und der Abendregen hatte, nachdem die lechzende Erde erquickt war, nur noch die beruhigten Müden in Schlaf zu singen. Die runden, perlenden, zauberhaften Töne der Sängerin schwebten auf den Klängen des Piano wie schwimmende Sterne durch den Raum und verklangen nach und nach so lieb, so mild wie goldene Himmelsaugen, welche sich leise zum Horizonte senken, um hinter demselben zur Ruhe zu gehen.

Das war ein Lied gewesen, wie man noch keines gehört hatte. Es lag etwas so Geheimnißvolles, Räthselhaftes, Unirdisches in dieser Composition, und grad so unbegreiflich hatte auch Leni's Stimme geklungen, gar nicht, als ob sie aus einer Menschenbrust komme, sondern einem unsichtbaren Wesen entstamme, welches himmlische Melodien athmet.

Die Zuhörer waren weder zu Thränen gerührt noch zu lautem Frohlocken begeistert: nein, der Eindruck dieses Gesanges war ein ganz, ganz anderer, ein unendlich tieferer. Es war, als sei eine himmlische Daseinsform herabgeschwebt, dem Auge nicht erkennbar und mit keinem Sinne als nur mit dem Gehöre zu begreifen. Wenn es wahr ist, was die Gelehrten sagen, daß es eine Musik der Sphären giebt, so mußte das, was man jetzt gehört hatte, jenen unendlichen Räumen entstammen, in denen Sonnen ertönen und Sterne singen.

Es waren Worte, welche gesungen worden waren, aber man hatte nicht auf diese Worte gehört, sondern auf den unendlich süßen, in ein stilles Entzücken versetzenden Klang der Stimme, für welchen es in der Sprache keine treffende Bezeichnung gab. Es war den Anwesenden, als ob sie im Traume Engelsstimmen vernommen hatten. Sie nahten sich in stiller, wortloser Bewunderung der Sängerin. Man drückte und küßte ihr die Hände und bereitete ihr einen Triumph, welcher zwar wortlos aber aufrichtig und ergreifend war.

Auch der Graf sagte nichts. Er sah das herrliche Mädchen umringt von den Anderen und schritt vom Piano fort auf den alten Sepp zu, welcher an der erwähnten Thür stand und mit derselben das bereits beschriebene Experiment vorgenommen hatte. Er ergriff dessen Hand und schüttelte sie herzlich.

»Sie Glücklicher!« sagte er zu ihm. »Wie sind Sie zu beneiden!«

»Ich? Weshalb, Graf?«

»Daß Sie eine solche Pflegetochter besitzen.«

»Ach, deshalb! Ja, sie ist stets meine größte Freude gewesen und hat mich niemals betrübt.«

»Wie ist sie denn aus der verborgenen Sennerin eine solche Sängerin geworden?«

»Der König Ludwig hat sie entdeckt und dann auf seine Kosten ausbilden lassen.«

»Er selbst! Ich könnte diesem Monarchen herzlich zürnen, daß nicht ich an seiner Stelle gewesen bin. Ich befinde mich in einer gradezu unbegreiflichen Stimmung. Nicht sie, sondern ihre Seele hat gesungen. Und diese Seele muß so fromm und so rein sein, wie die Klänge dieses Liedes waren. Sie erscheint mir wie ein Engel, dessen lichte, fleckenlose Gewandung niemals mit dem Schmutze des Irdischen in Berührung gekommen ist oder kommen kann.«

»Da haben Sie freilich Recht!« stimmte der Sepp mit einem frohen Seufzer bei. »Wenn sie auch kein Engel ist, so darf ich doch sagen, daß ich noch niemals ein Mädchen gefunden habe, welches meiner braven Leni gleicht.«

»Leni, also Leni ist ihr Taufname,« flüsterte der Graf, indem sein Auge wonnig erglänzte. »Glücklich Derjenige, welcher das Recht besitzt, sie mit diesem Worte zu nennen!«

Da ging hinter ihnen die Thür auf, und der Lakai, welcher die Musici zu bedienen hatte, trat ein. Er ging zu dem Commerzienrath und meldete ihm, daß der Sänger Criquolini mit ihm sprechen wolle.

»Der? Was hätte er mir mitzutheilen?« fragte der Hausherr.

»Er hat gegen mich nichts geäußert. Er schien über irgend Etwas erzürnt zu sein.«

»Hast vielleicht Du es an Aufmerksamkeit gegen ihn fehlen lassen?«

»O nein. Die Herren haben Alles, was ihr Herz begehrt, und ich habe alle ihre Wünsche erfüllt.«

»Hm! Will sehen!«

Er begab sich nach dem Musikantenzimmer. Der Sepp ahnte, was sich dort ereignen werde. Er ging zur Leni und suchte sich mit ihr so zu placiren, daß der Krickelanton, wenn er ja durch die Thür hineinschauen sollte, die Beiden nicht erblicken konnte.

Als der Commerzienrath eintrat, schritt der Sänger zornig im Zimmer auf und ab. Die Augen der Anderen waren gespannt auf ihn gerichtet.

»Sie haben mich zu sprechen gewünscht?« fragte der Commerzienrath.

Anton wendete sich mit einem raschen Rucke ihm zu, fixirte ihn mit einem beinahe verächtlichen Blick und antwortete:

»Ja, Herr Baron. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie wissen, was Kunst ist!«

»Ich glaube allerdings das zu wissen,« antwortete der Commerzienrath, erstaunt über diese Frage.

»Und welche großartige Bedeutung die Kunst für das Menschengeschlecht und dessen Entwickelung hat?«

»Auch das weiß ich.«

»Nun, so werden Sie auch wissen, welches Quantum von Ehre man dem Künstler zu erweisen hat!«

»Ich hoffe es.«

»Schön, Herr Baron. Halten Sie uns, die wir hier vor Ihnen stehen, für Künstler oder für Stümper und Dilettanten?«

»Welche Frage, Signor!«

»Bitte, antworten Sie! Und berücksichtigen Sie bei Ihrer Antwort ganz besonders mich!«

»Ich weiß zwar nicht, weshalb Sie meine Meinung von mir fordern, aber ich will Ihnen mittheilen, daß ich Sie allerdings für einen Künstler halte.«

»Warum behandeln Sie mich nicht als solchen?«

»Hätte ich das unterlassen? Es ist mir nichts bewußt davon.«

»So! Ich bin stets der Ueberzeugung gewesen, daß die Kunst ihren Jünger adelt und daß der Letztere berechtigt ist, als Kavalier betrachtet zu werden!«

»Gewiß!«

»Nun, warum pferchen Sie uns hier ein wie in einen Stall? Warum bedenken Sie uns nicht ebenso mit einer Einladung wie die Signora Ubertinka, welche doch nichts Anderes ist, als wir sind?«

»Einpferchen? Mein Herr, Sie bedienen sich da ganz eigenthümlicher Ausdrücke!«

»Ich bin sehr berechtigt dazu, denn wir sind sogar, während Keiner von uns sich zu produciren hatte, hier eingeschlossen worden.«

»Unmöglich! Davon weiß ich nichts.«

»So ist das ohne Ihren Befehl geschehen, ändert aber nichts an der Sache selbst. Wir haben die Sängerin sehen wollen, aber während ihres zweimaligen Auftretens diese Thür von innen verschlossen gefunden.«

»Das muß ein Irrthum sein!«

»Es ist keiner. Diese Herren können es mir bezeugen. Sollte es wirklich wahr sein, daß Sie nichts davon wissen, was ich allerdings noch bezweifeln möchte, so – – –«

Er sprach in erhobenem Tone, ganz so, als ob er der Vorgesetzte des Barons sei. Dieser hatte ihm bisher ruhig und höflich geantwortet, jetzt aber brauste er auf, ihn unterbrechend:

»Halt! Wollen Sie erklären, daß ich ein Lügner sei? Das verbitte ich mir!«

»Pah! Sie sind verantwortlich für die Angelegenheiten, welche in Ihrem Hause geschehen, mögen Sie nun Etwas davon wissen oder nicht!«

»Herr, Sie werden frech! Mag die Thür verschlossen worden sein von Diesem oder Jenem, mir ist das gleich. Sie haben sich darüber nicht zu beschweren. Daß Sie die Sängerin sehen wollen, geht mich nichts an; ich habe dieselbe für mich eingeladen, nicht aber für Sie. Das gebe ich Ihnen zu bedenken!«

»Dagegen kann ich nichts haben. Aber warum bin ich nicht auch geladen worden?«

»Sie sind nicht geladen, sondern nur engagirt. Dazu habe ich meine Gründe.«

»Besitzen Sie denn da auch den Muth, mir dieselben mitzutheilen?« fragte er höhnisch.

»Allerdings! Es gehört kein Muth dazu. Oder Meinen Sie etwa, daß ich mich vor Ihnen zu fürchten habe?«

»Pah! Für einen großen Helden halte ich Sie nicht. Also bitte, die Gründe!«

»Der Grund ist, daß ich Sie für das halte, was ich Ihnen nicht zu sein scheine, nämlich für einen Helden.«

»Ah! Wie meinen Sie das?«

»Sie sind ein Held, aber von einer sehr zweifelhaften Sorte. Sie fallen im Augarten brave Mädchen an und werden dafür von Reitknechten gepeitscht. Und da verlangen Sie, daß ich Ihnen eine Einladung ertheile? Ich bin ein aufrichtiger Bewunderer der Kunst und ein Freund der Künstler; aber ich weiß sehr wohl, den Künstler vom Menschen zu unterscheiden. Als Künstler haben Sie für Ihre beiden Lieder unsern Beifall erhalten; als Mensch aber verdienen Sie nicht Applaus, sondern – –«

Er sprach nicht weiter.

»Fahren Sie fort!« gebot Anton, einen Schritt näher tretend. Was verdiene ich als Mensch? Ich will es wissen!«

»Unsere – Verachtung. Da haben Sie es!«

Der Sänger fuhr zusammen, richtete sich dann hoch auf, ballte die Faust und rief:

»Was? Wie war das? Bitte, sagen Sie mir das gefälligst noch einmal!«

Er ballte drohend die Hand. Der Baron aber antwortete furchtlos:

»Unsere Verachtung! Nun werden Sie es sich wohl merken können, da ich es Ihnen wiederholt habe.«

»Mensch – – – Kerl – –! Diese Frech – – –!«

»Schweigen Sie!« donnerte ihn der Baron an. »Noch ein einziges, beleidigendes Wort, so lasse ich Sie hinauswerfen. Machen Sie sich davon! Ich dulde ein Subject, wie Sie sind, keinen Augenblick länger in meinem Hause!«

Der Sänger machte Miene, ihn anzufassen, konnte diese Absicht aber nicht ausführen. Die Unterredung war so laut geführt worden, daß man die zornigen Stimmen der Beiden auch in den Salons und dem Corridore hörte. Mehrere Diener waren herbei geeilt und drängten Anton von ihrem Herrn ab.

»Hinauswerfen wollen Sie mich!« knirschte der Sänger. »Ah, das soll ganz Wien erfahren. Ich werde dafür sorgen, daß Sie bei sämmtlichen Künstlern der Hauptstadt in Verruf gerathen. Kein Einziger derselben soll mehr Ihre Schwelle überschreiten!«

»Darüber würde ich mich gar nicht wundern, da Sie hier gewesen sind. Man kann von achtbaren Künstlern freilich nicht verlangen, daß sie da verkehren, wo sich ein rüder Mädchenjäger aufgehalten hat. Uebrigens kann es mir nur zur Ehre gereichen, von Ihnen in Verruf erklärt zu werden. Und nun sind wir mit einander fertig. Gehen Sie!«

Anton lachte laut auf.

»Ja, ich gehe,« antwortete er, »sonst muß ich gewärtig sein, von Ihnen engagirt und nachher wegen Hausfriedensbruch angeklagt zu werden. Aber bevor ich mich entferne, haben wir noch etwas Nöthiges abzumachen.«

»Ich wüßte nicht, was das sein könnte!«

»Etwas rein Geschäftliches allerdings, nämlich meine kleine Rechnung.«

»Ah, schön!« sagte der Baron verächtlich.

»Sie sind ja Miethling und müssen natürlich bezahlt werden. Also bitte, wie hoch beläuft sich Ihr Honorar?«

»Sie zahlen natürlich den mir geläufigen Preis, fünfhundert Gulden pro Lied; das macht also tausend Gulden.«

»Tau – send – Gul – den?« fragte der Baron, dem der Mund offen stehen bleiben wollte. »Sind Sie toll, mein Herr!«

»Nein, gar nicht. Dieses Honorar ist sogar sehr civil bemessen, da Sie ja eingestandenermaßen genau wissen, was ein Künstler zu bedeuten hat.«

»So meinen Sie wirklich, daß Ihre beiden Vorträge diese Summe werth sind?«

»Gewiß! Ich kann Ihnen nachweisen, daß ich in Amerika ganz so bezahlt worden bin. Und heut am Vormittage haben Sie mir gesagt, daß meine Rechnung beglichen werden soll. Hätten Sie mich geladen und nicht ›gemiethet‹, wie Sie sich auszudrücken beliebten so hätte ich gratis gesungen, und Ihnen wären tausend Gulden erspart geblieben. Oder wünschen Sie, daß ich diese Honorarforderung einklage?«

Er sagte das in wahrhaft giftiger Weise. Der Commerzienrath antwortete sogleich:

»Nein. Ein Baron von Hamberger läßt sich von einem Criquolini nicht verklagen. Verfügen Sie sich morgen früh in mein Geschäfts-Comptoir. Ich werde meinen Kassirer beauftragen, Ihnen diese Summe auszuzahlen. In welcher Geldsorte wünschen Sie dieselbe?«

»In derjenigen, die Ihnen beliebt.«

»Schön, Signor. Hoffen wir, daß nicht Ihnen selbst die Summe zu bedeutend wird.«

Er verbeugte sich ironisch und der Sänger entfernte sich.

Der Baron aber schrieb einige Worte auf eine Visitenkarte und befahl dem Lakai, dieselbe sofort nach der Wohnung des Hauptcassierers zu tragen. Sie enthielt den Befehl:

»Wo möglich noch heute Abend für tausend Gulden Kupfermünzen besorgen. Morgen früh Criquolini aushändigen.«

Darauf kehrte er in den Salon zurück und erzählte halb zornig, halb belustigt, über welchen Gegenstand er sich mit dem Sänger habe unterhalten müssen.

Dieses Vorkommniß vermochte nicht, eine Störung herbeizuführen, besonders da nach kurzer Zeit die Tafel eröffnet wurde und jeder Herr seine Dame zu Tische führte.

Der Graf hatte erreicht, daß er Leni neben sich bekam. Er bediente sie mit einer Aufmerksamkeit, als ob sie eine regierende Fürstin sei.

Natürlich war das Tischgespräch meist auf Musik gerichtet. Leni lobte mit einigen anerkennenden Worten die Fertigkeit, welche der Graf auf dem Clavier gezeigt hatte, und fragte ihn, ob er auch singe.

»Nur unter zwei Augen,« antwortete er.

»Das ist sehr wahr,« bestätigte die Commerzienräthin, welche seine Worte gehört hatte. »So oft ich Gäste bei mir gesehen habe, ist nach den Künstlervorträgen dann von uns noch privatim ein Wenig musicirt und gesungen worden. Der Graf hat sich da nie geweigert, zu spielen; alle unsere Bitten aber, ein Gesangsstück vorzutragen, sind vergeblich gewesen. Wir sind darüber sogar zuweilen in wirklichen Zorn gerathen!«

»Wüßte ich nicht,« antwortete der Graf, »daß Sie nur scherzen, so würde mich Ihr Zorn auf das Tiefste betrüben, gnädige Frau. Ich habe mich zu singen geweigert, weil ich verhüten wollte, eben diesen Ihren Zorn zu erwecken. Ich befinde mich nämlich in dem unglücklichen Besitze einer Stimme, welche ich unmöglich hören lassen kann.«

»Wer glaubt Ihnen das? Niemand! Man hat mir sogar im Vertrauen mitgetheilt, daß Sie einen prachtvollen Bariton haben sollen. Wollen Sie das leugnen?«

»Einen Bariton habe ich, aber was für einen! Wollte ich mich bei Ihnen hören lasten, so würden Ihre gerühmten Salons vollständig in Mißcredit gerathen.«

»Darauf möchte ich es ankommen lassen. Haben Sie Muth, Graf?«

»Nein. Als Sänger bin ich entsetzlich schüchtern.«

»Man wird Sie so gut begleiten, daß Sie nicht umschütten können.«

»O, in dieser Beziehung habe ich gar keine Sorge, meine Gnädige. Aber meine Stimme klingt gerade so – hm, womit soll ich sie vergleichen? – gerade so, wie ein ungeöltes Wagenrad.«

»Das wäre höchst interessant. Graf Senftenberg, welcher nur lauter Vorzüge und gar keine Schwächen besitzt, hat eine Stimme, welche er nicht hören lassen kann! Aber nun wollen wir sie gerade hören! Und wenn Sie nicht wollen, so wird man Sie zu zwingen wissen!«

Sie sagte das in komisch drohendem Tone.

»Kennen Sie ein solches Zwangsmittel?« fragte er belustigt.

»Ja, gewiß.«

»Warum haben Sie es da nicht bereits schon in Anwendung gebracht?«

»Weil ich erst heut Abend in den Besitz desselben gekommen bin. Es heißt – Signora Ubertinka. Bitte, Signora, unterstützen Sie meine Aufforderung. Er wird ganz gewiß nicht den Muth besitzen, Sie zu erzürnen, indem er Ihre Befürwortung nicht beachtet.«

Aller Augen richteten sich natürlich auf Leni. Sie erröthete verlegen: und antwortete:

»Ich muß die Ehre der Fürsprecherin ablehnen, denn ich habe keine Berechtigung, anzunehmen, daß ich die Entschließungen des Herrn Grafen auch nur im Geringsten beeinflussen könne.«

Dabei blieb sie trotz mehrfacher Aufforderungen von auch anderer Seite, ein Verhalten, von welchem der Graf sich sehr befriedigt fühlte, denn er ersah daraus, welch einen feinen Tact, welch Zartgefühl und welche Bescheidenheit Leni besaß.

Nachdem das Souper eingenommen worden war, wurde allerdings zwischen den einzelnen Tänzen privatim musicirt. Einige Damen und auch Herren ließen sich hören. Die Stimmung wurde so animirt, daß sogar der Sepp Leni fragte, ob sie nicht Lust habe, mit ihm einen echten, bayrischen Jodler zu singen.

»Willsts wirklich wagen?« fragte sie ihn unter einem pfiffigen Lächeln.

»Warum nicht?«

»Als Sepp hast jodeln durft; obsts aber auch als Hauptmann darfst, das ist ungewiß.«

»O, ich thät jodeln, auch wann ich ein Feldmarschalllieutenanten wär. Meine Stimm ist noch gar nicht schlecht, und ich denk, daß wir nicht auslacht werden.«

»Gut, so wollen wirs versuchen.«

»Aberst mir fehlt die Zithern, und ein Pianoforten kann ich nicht spielen.«

»So werd ich selbst begleiten. So viel Clavier hab ich halt im München lernt.«

Es erregte allgemeine Sensation, als bekannt wurde, daß die Beiden einen Jodler vortragen wollten. Der alte Sepp machte seine Sache recht gut und reicher Beifall war der Erfolg.

Dadurch aber wurde die Person des Hauptmannes für die Anwesenden noch mysteriöser, als sie bereits schon war. Ein Officier, welchem Millionen zur Verfügung standen, der trotz seiner hohen Jahre wie ein echter Gebirgsbub jodelte, das war doch eigentlich etwas Ungewöhnliches.

Und auch Leni zeigte sich in einem ganz anderen Lichte, als sie die frohen, heimischen Weisen erschallen ließ. Das waren nicht die früheren Himmelstöne, sondern das war das heitere, jubelvolle Trillern der Lerche, welches die Zuhörer hinriß.

Der Graf war ganz begeistert von dieser neuen Leistung.

»So froh, so heiter können Sie sein?« sagte er. »Da wird mir das Herz wieder leicht.«

»Ists Ihnen schwer gewesen?« fragte sie.

»Ja. Die Bewunderung, welche bisher mein Herz erfüllte, drückte mich beinahe nieder. Es war mir, als ob ich aus der Tiefe zu Ihnen aufschauen müsse, als ob Sie in einer unerreichbaren Höhe über mir thronten. Nun aber sehe ich, daß Sie doch neben mir stehen, daß ich Sie mit meinen Augen, mit meinen Händen erreichen kann. Das nimmt die Beängstigung von mir und macht mich froh.«

Sie erglühte. In seinen Worten lag ja ein Geständniß, welches sie nicht verstehen durfte. Darum entgegnete sie:

»Ich bin ganz im Gegentheile überzeugt, daß Sie hoch über mir stehen. Ich bin die kleine Lerche, welche trillern darf, so oft sie das Schnäbelchen aufthun will. Sie aber sind – sind –«

Sie zögerte, fortzufahren.

»Bitte, was bin ich?« drängte er sie, sich zu ihr niederneigend.

»Sie sind – – der vornehme, stolze Graf, welcher nicht – nicht singen will.«

»Stolz? Nein, diese Eigenschaft kenne ich nicht an mir. Und daß ich nicht singe, ist keine Ueberhebung.«

»Haben Sie denn wirklich so eine häßliche Stimme?«

»O nein. Ihnen will ich gestehen, daß mein Bariton sich recht wohl hören lassen kann.«

»Nun, warum lassen Sie sich da so vergeblich bitten?«

»Es ist wirklich nichts als eine gewisse Schüchternheit.«

»So fassen Sie Muth!«

»Heißt das, daß ich singen soll?«

»Ja.«

»Aber, warum befürworteten Sie vorhin nicht die Bitte der Commerzienräthin?«

»Weil – bitte, erlassen Sie mir diese Antwort!«

»Und doch möchte ich sie so gern hören. Bitte, bitte, Signora!«

Er hatte das Gesicht so zu ihr niedergesenkt, daß sie seinen Athem fühlte. Seine Stimme klang so mild, so innig. Es durchzitterte sie ein unendlich seliges Gefühl.

»Sie hätten mir zürnen müssen,« antwortete sie leise.

»Warum zürnen?«

»Weil Niemand ein Recht hat, am allerwenigsten aber ich, sich eine Gewalt über Sie anzumaßen.«

»Was das betrifft so giebt es freilich eine Person, aber auch nur eine einzige, für deren Wunsch ich kein Widerstreben hätte. War es Ihr Wunsch, mich singen zu hören?«

Sie blickte ihm ernst, fast vorwurfsvoll in die Augen, antwortete aber heiter, als ob sie den Sinn seiner Worte nicht verstanden habe:

»Ich hätte es gern gehabt, um der anderen Herrschaften willen, denen dadurch gewiß eine Freude bereitet würde.«

»Gut, so will ich singen, aber nur unter einer kleinen Bedingung. Werden Sie mir dieselbe erfüllen?«

»Ja, wenn ich kann.«

»Sie können es. Es kostet Sie gar nichts, gar nichts. Ihr Wunsch soll erfüllt werden, wenn Sie mir gestatten, Sie nur einmal, nur ein allereinziges Mal bei Ihrem Vornamen zu nennen.«

Jetzt war das Roth, welches ihre Wangen überflog, von intensivster Tiefe.

»Signora, antworten Sie mir! Darf ich?« flüsterte er fragend.

Sie nickte.

»Ich danke herzlich, herzlich!« klang es aus der Tiefe seiner Brust. »Sie dürfen freilich nicht eine großartige Kunstpiece von mir erwarten. Ein Lied, ein einfaches Lied nur ists, was ich singen kann. Bitte, wählen Sie, welches!«

Es lag eine solche Herzinnigkeit in seinem Tone und aus seinen ernsten Augen strahlte so wahr und aufrichtig das Gefühl, welches seine ganze Seele erfüllte, daß Leni, was ihr wohl noch nie passirt war, sich wirklich tief verlegen fühlte. Sie antwortete mit leise vibrirender Stimme:

»Ich weiß ja nicht, welche Sie singen.«

»Nun, die bekannten Compositionen unserer beliebten Liedercomponisten, Schubert, Mendelssohn, Kücken, Abt und Andere.«

»Haben Sie darunter ein Lieblingslied?«

»Warum fragen Sie so?«

»Weil ich dieses hören möchte.«

»Leider giebt es kein besonderes, welches ich bevorzuge. Aber – ich kenne eins, welches ich am Liebsten wählen würde, weil – weil – weil ich es heut, jetzt, so recht aus vollem Herzen singen könnte.«

»So wählen Sie es, bitte.«

»Wohl, ich werde es wählen. Aber ich singe es nicht um der Anderen willen, sondern ich singe es nur für Sie, für Sie allein. Ihnen gelten die Worte, und Sie sollen mir dann sagen, ob Sie meinen einfachen Vortrag mit einem milden Urtheile belegen werden.«

Gerade jetzt war ein Tanz zu Ende gegangen. Der Graf begab sich zu dem Pianisten, nannte ihm das Lied und erfuhr von ihm, daß er es ohne Noten begleiten könne. Als dann Beide an das Instrument traten, ging ein allgemeines »Ah!« des Erstaunens durch den Saal.

»Der Graf will singen, der Graf!« hieß es. »Er hat sich soeben längere Zeit mit der Signora unterhalten. Sie hat ihn also doch so weit gebracht. Die Glückliche!«

Man nahm erwartungsvoll Platz. Leni blieb stehen, wo sie sich befand. Ihr Herz klopfte heftig. Er wollte nur für sie singen! Ihr sollten die Worte des Liedes gelten! Welches würde es sein?

Sie griff unwillkürlich mit beiden Händen nach ihrer Brust, als er am Schlusse des Vorspieles begann:

»Ich sah Dich nur ein einzig Mal,
Da war's um mich geschehen.
Ich fühlte Deines Auges Strahl
Durch meine Seele gehen.
Ich fühlte Deiner Stimme Laut
Mich wunderbar durchdringen.
Dein Blick so süß. Dein Wort so traut
Erweckten neu mein Singen.«

Der Graf hatte leise begonnen. Seine Stimme zitterte ein Wenig, man hörte es. Er hatte noch nie in solcher Gesellschaft gesungen und war in Wirklichkeit schüchtern. Aber nach und nach wurde seine Stimme fester und sicherer. Sie erhob sich zu ihrer vollen Stärke, und nun hörte man allerdings, daß er einen prächtigen, auch recht gut geschulten Bariton besaß. Das klang so voll und frisch und dabei doch so zart und schmelzend, und in tiefster Innigkeit ertönte die zweite Strophe:

»Mit dem Gebet: ›O wärst Du mein
Mir, wie ich Dir, ergeben!‹
Senkt ich in Deines Auges Schein
Mein ganzes Sein und Leben.
Ich lauschte Deines Wortes Klang,
Und die mich floh'n, die Lieder,
Sie kehrten, wie mit holdem Sang
Im Lenz die Lerchen, wieder.«

Ja, so war es! Die Liebe zu Leni hatte ihn zum Singen gebracht, diese Liebe ganz allein. Sie fühlte, daß dieses Geständnis an sie gerichtet war. Sie hatte bemerkt, daß es von seinen Augen gesehen worden war, als sie mit den Händen nach dem Herzen griff. Sie wurde bald blaß und bald roth. Ihn aber erfüllte es mit Jubel und laut erklang die letzte Strophe:

»Dein Blick so süß, Dein Wort so traut
Erweckten neu mein Singen.
Ich fühlte Deiner Stimme Laut
Mich wunderbar durchdringen.
Ich fühlte Deines Auges Strahl
Durch meine Seele gehen;
Ich sah Dich nur ein einzig Mal,
Da war's um mich geschehen!«

Man hatte gewußt, daß der Graf singen könne, aber er hatte alle Erwartungen weit übertroffen. Man überschüttete ihn mit Glückwünschungen über das Gelingen seines Debuts. Er nahm das ziemlich gleichgiltig hin. Von den Herren und Damen umringt, suchte er mit sehnendem Blicke die Sängerin. Sie befand sich nicht mehr im Saale.

Sie war in den Empfangssalon geschlüpft und stand dort hinter den Gardinen am Fenster. Ihr Busen wogte, ihr Herz klopfte so stürmisch. Was war mit ihr geschehen?

Hatte sie nicht bisher den Krikelanton geliebt? Hatte sie sich nicht elend gefühlt, da er für sie verloren war? Und heute hatte sie erkennen müssen, daß er ihrer Liebe nicht werth sei und daß ihre Lebenswege sich in Zukunft niemals wieder berühren könnten?

Hätte sie durch diese Erkenntniß nicht eigentlich niedergeschmettert werden müssen? Hätte sie nicht darüber weinen müssen, weinen immerfort? Gewiß!

Und nun? Weinte sie? Nein. Fühlte sie sich unglücklich? Abermals nein. Es war im Gegentheile in ihr die Empfindung erwacht, als ob sie neugeboren sei, als ob sie erst heute zu leben beginne. Die ganze schwere, trübe Vergangenheit war versunken und vor ihr flammte eine Helle auf, in welche sie nicht zu blicken wagte. Sie fürchtete, geblendet zu werden.

Sie wußte, daß der Graf jetzt kommen werde, um sein Urtheil zu empfangen. Sie zitterte bei diesem Gedanken. Aller Augen mußten es bemerken, wie auffällig er sie bevorzuge. Wenn er doch nicht käme! Und doch sehnte sie sich, ihn zu sehen, ihn zu hören und ihm zu sagen, daß –

Was denn? Was wollte sie ihm sagen? Sie wußte es und wußte es doch nicht.

»Herrgott, führe es zum guten Ende!« flüsterte sie. »Gieb mir die Kraft, mich dagegen zu wehren! Wie darf ich so Etwas nur denken!«

Drin im Saal begann die Tanzmusik wieder. Die Gäste waren also mit sich selbst beschäftigt, und das benutzte der Graf jedenfalls, Leni unauffällig aufzusuchen. Es bemächtigte sich ihrer ein Gefühl, welches sie Angst hätte nennen mögen. Und da war er auch schon. Sie hörte seinen Schritt. Er suchte sie. Er sah sie und trat zum Fenster.

»Signora!«

Sie that, als ob sie es nicht gehört habe. Sie glich dem Strauße, welcher vergebens seinen Kopf versteckt, um sich zu retten. Er wird ja doch vom Jäger gesehen und – erlegt.

»Signora! So gedankenvoll?«

Jetzt konnte sie nicht anders. Sie mußte sich ihm zudrehen. Ihr Gesicht war leichenblaß und ihre dunklen Augen schauten fast angstvoll auf ihn. Er sah es und trat einen Schritt zurück.

»Sie zürnen mir?« fragte er.

Sie antwortete nicht. Sie hätte jetzt keinen Laut hören lassen können.

»Bitte, sagen Sie mir aufrichtig, daß Sie mir zürnen. Soll ich gehen? Soll ich Sie verlassen?«

Sie konnte nicht reden. Sie wollte Ja sagen, und da sie nicht einmal dieses Wörtchen hervorbrachte, wollte sie nicken, daß er gehen solle. Aber – wie kam es doch nur, daß sie nicht nickte, sondern schüttelte?

»Ich darf bleiben? Gott sei Dank!« sagte er, tief und erleichtert aufathmend. »Sie haben mein Lied gehört und verstanden?«

Jetzt nickte sie.

»Und verurtheilen mich nicht, daß ich gerade dieses und kein anderes gewählt habe?«

»Nein,« hauchte sie.

»Dann will ich auch meine Bedingung erfüllt haben. Ich wage es.«

Er ergriff ihre Hand, zog dieselbe an seine Lippen und flüsterte dann, seinen Blick tief in ihre Augen senkend:

»Leni, Leni, ich habe nicht geahnt, welcher Seligkeiten das Menschenherz fähig ist. Ich sah Dich nur ein einzig Mal, da wars um mich geschehen. Weiter kann, will und darf ich heute nichts sagen. Der Allgütige möge es nach seinem Wohlgefallen lenken!«

Da trat der Sepp herein. Als er die Beiden Hand in Hand dastehen sah, zuckte es vergnügt über sein altes, gutes Gesicht, doch that er, als ob er nichts gesehen hätte. Der Graf trat schnell von Leni zurück.

»Ich muß doch auch kommen, um mich bei Ihnen zu bedanken,« sagte der Sepp zu ihm. »Sie haben mir mit dem Liede eine sehr große Freude bereitet. Wie sind Sie denn gerade auf dieses gekommen?«

»Es ist – mein Lieblingslied,« antwortete der Graf, einen lächelnden Blick auf Leni werfend.

»So! Das ist sehr schön, denn gerade dieses Lied habe ich mir gar wohl gemerkt und werde es auch niemals vergessen.«

»Ist es einmal für Sie von Bedeutung gewesen?«

»Allerdings. Es ist das erste Lied gewesen, welche da meine Leni öffentlich gesungen hat, und der König war dabei.«

»Ach, Signora, so war es Ihnen also bekannt?«

»Ja,« antwortete sie. »Ich werde jenes Abends stets gedenken. Er hat über meine Zukunft entschieden.«

»Wirklich? Für immer?«

»Für immer,« nickte sie.

Ein Schatten flog über sein Gesicht und seine Stimme klang bittend und ernst:

»Man glaubt zuweilen, daß ein Ereigniß bestimmend für das ganze Leben sei, das ist wahr; aber es treten dann später noch andere Ereignisse ein, durch welche diese erstere Wirkung aufgehoben wird. Kann das nicht auch bei Ihnen der Fall sein?«

»Ich glaube nicht. Jener Abend hat entschieden, daß ich Sängerin sein werde. Mein König hat es gewünscht und ich habe ihm gehorcht, obgleich ich damals lieber noch die Frau eines armen Wildschützen geworden wäre, den ich zu lieben glaubte. Ich werde dem Könige mein Wort halten.«

Diese Antwort fiel wie kaltes Wasser in die Gluth seines Herzens. Aber die Worte ›den ich zu lieben glaubte‹ berührten ihn wunderbar freudig. Er, der Graf, ein Nachfolger eines Wildschützen bei einer früheren Sennerin! Dieser Gedanke hätte eigentlich erkältend wirken sollen, aber der Graf kam gar nicht dazu, sich mit demselben zu beschäftigen. Er bezwang sich, eine gleichgiltige und höfliche Miene zu zeigen und warf einige allgemeine Bemerkungen hin, an welche sich schnell ein kurzes Gespräch knüpfte; dann war der Tanz zu Ende und Andere kamen herbei.

Sepp aber ließ jetzt seine Leni nicht los. Er blieb bei ihr, bis er wieder allein mit ihr war, strich ihr zärtlich mit der Hand über das volle, weiche Haar und sagte:

»Dirndl, denkst halt noch daran?«

»Woran denn, Sepp?«

»Damals, am Morgen, nachdem dera Krikelanton entflohen war! Da bist zum König gangen, der beim Pfarrer gewest ist, und ich hab mich gar sehr mit Dir stritten, so, daß wir fast zornig aus nander gangen sind. Weißt noch, was ich damals sagt hab?«

»Vielleicht hab ichs vergessen.«

Sie hatte es aber nicht vergessen. Sie wußte es gar wohl.

»Da hast an dem Wildschützen festhalten wollt und ich hab sagt, daßt Dein Glück machen und einen Baron oder gar einen Grafen heirathen könntest. Dann fahr ich in dera Ekkipaschen aus und est Flaustern und Kavuar dazu. Kannst Dich nicht besinnen?«

»Doch. Jetzt fallt mirs eini.«

»Recht so! Und nun, was denkst? Hat dera Sepp nicht immer Recht?«

»Zuweilen.«

»O nein, nicht zuweilen, sondern immer, und so auch heut. Oder ist nicht Alles ganz so eingetroffen?«

»Wieso denn?«

»Nun, dera Graf ist da.«

»Sepp!«

»Was willst?«

»Mach keinen dummen Scherz!«

»Ein Scherz ists nicht, und ein dummer vollends gar nicht. Du mußts doch mit allen Augen schauen, daß er Dich lieb hat!«

»Schweig, Sepp! Ich mag das nicht hören!«

»Bist wieder mal die Zuwiderwurzen?«

»Nein. Wie könnt er mich lieb haben! Ein Graf! Wo denkst hin!«

»Donnerwettern! Mach mich nicht wild! Ist meine Leni etwan nicht werth, daß ein Graf sie heirathet? Antwort mal!«

»Ich heirath gar nicht!«

»Das wollen wir schon sehen! Heirathen mußt! Und wannst keinen Anderen nimmst, so wirst zwungen, mich zu nehmen. Dich werd ich da gar nicht fragen! So ein Dirndl wie Du; grad und wohl gewachsen, mit Augen, wie eine Kohle und den Mund wie eine Kirschen, mit einer Stimm, wie ein Engel und einem Herzen wie, wie, wie, Sappermenten, wie was denn gleich? Und nicht heirathen willst? Da soll doch gleich dera Teuxel dreinspringen. Der Graf hat Dich lieb, von ganzer Seele lieb, und seine Frau wirst, sonst kannst nur gleich zusammenpacken und davon laufen. Ich mag nix mehr von Dir wissen, gar nix!«

Er that, als ob er zornig geworden sei. Sie wußte gar wohl, daß er nicht so meine; darum lachte sie zu seiner Drohung:

»Thu nicht so grausig, Sepp! Ich glaubs Dir doch nicht. Und heirathen thät ich grad Dich lieber als jeden Andern, denn bei Dir wüßt ich doch, was für Einen ich bekommen thät.«

»So! Was denn für Einen?«

»Einen recht Stürmischen und Krakehler, der aber im Herzen so weich ist wie ein Pflaumenmus. Und wie kannst nur denken, daß dera Graf mich lieb hat! Er hat mich ja heut zum ersten Male sehen!«

»Schweig, Gelbschnabel! Was kannst Du von dera Lieb verstehen! So ein Alter, wie ich bin, weiß ganz anders davon zu sprechen!«

»Du? Oho!«

Sie lachte ihn aus.

»Lach nur. Du Sakrifiz! Ich weiß dennoch, was ich weiß. Die Lieb ist schnell da, ganz plötzlich und unerwartet, wie ein junger Sperling, welcher noch nicht ganz flügge ist. Dir aus dem Nest herab auf die Nasen fällt. Dann krabbelt und zappelt er unten herum, piept und ziepst vor lauter Angst, und Du brauchst nur zuzugreifen, so hast ihn fest. Verstanden?«

»Ja, aberst ein Graf fallt Einem nicht so gleich auf die Nasen?«

»Wer denn sonst? Willst wohl gar einen König oder Kaiser haben? Es ist schon dafür gesorgt, daß die Bäum nicht in den Himmel wachsen. Einen Grafen bekommst, keinen Andern, und wannst mit ihm nicht zufrieden bist, so kauf Dir auf dem Jahrmarkt einen Zappelhanswursten. Ich aber schau Dich dann nimmer an! Jetzt nun kommst wieder herein! Da stehst am Fenster, schaust hinausi und zählst die Straßenlaternen. Marsch fort! Hier hab ich zu befehlen, und was dera Path sagt, das gilt! Ab! Pasta! Sela!«

Er nahm ihren Arm in den seinigen und schritt mit ihr stolz nach dem Saale. Jetzt war er ganz wieder der alte Hauptmann. Kein Mensch hätte ihm angesehen, daß er da draußen im Salon nur der alte Wurzelsepp gewesen war.

Die Soirée währte gerade bis Mitternacht; dann begann man, sich zu verabschieden. Der Graf kam zu Leni.

»Signora,« sagte er, »meine Equipage steht unten, um mich abzuholen. Geben Sie mir die Erlaubniß, Sie nach Ihrer Wohnung fahren zu lassen!«

»Sehr gern, wenn ich nicht meinem Pathen bereits versprochen hätte, mich von ihm begleiten zu lassen.«

»Er wird vielleicht verzichten, wenn ich ihn darum bitte.«

»Das möchte ich doch nicht gern. Wir haben uns so lange Zeit nicht gesehen und müssen uns so viel erzählen.«

»Das begreife ich; aber wäre dazu nicht auch morgen Zeit?«

»Er hat mich so lieb; ich mag ihn nicht betrüben.«

Da neigte er sich ihr zu und sagte leise, aber mit Betonung:

»Signora, fürchten Sie mich nicht! Ich steige nicht mit ein. Sie sollen allein fahren.«

Da schaute sie ihm groß und offen in sein ernstes Gesicht, auf welchem jetzt ein trübes Lächeln lag, und antwortete:

»Das ist es nicht, was mich abhält, Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich fürchte mich gar nicht vor Ihnen; ich würde mich Ihnen im Gegentheile zu jeder Zeit gern anvertrauen. Aber bitte, lassen Sie mich dennoch mit dem Hauptmanne gehen!«

»Wenn Sie das so herzlich wünschen, muß ich freilich verzichten. Aber ich darf wohl annehmen, daß Sie mir nicht zürnen?«

»Mit keinem Gedanken.«

»Und darf ich Ihnen vielleicht morgen die schuldige Aufwartung machen?«

Es that ihr wirklich leid, auch hier gegen seinen Wunsch antworten zu müssen:

»Ich möchte mich nicht in diese Fesseln der Déhors schlagen lassen und habe auch die Gewohnheit, niemals Herrenbesuch zu sehen.«

»Das muß ich achten. Aber wenn wir uns am anderen Orte begegnen, so darf ich Sie begrüßen?«

»Gern. Es soll mich freuen, Sie wiederzusehen. Und heute nehme ich eine angenehme Erinnerung mit nach Hause.«

»Ist das wahr? Darf ich das glauben?«

»Glauben Sie es!«

»Und wem gilt diese Erinnerung?«

»Einem Liede, welches wir nicht zu hören bekommen hätten, wenn, wenn – –«

Sie hielt doch inne. Er aber vervollständigte sie schnell, indem er herzlich sagte:

»Wenn es nicht mein heißer Wunsch gewesen wäre, Sie einmal »Leni« zu nennen. Gute Nacht, Le – – Signora!«

Er küßte ihr die Hand und verabschiedete sich dann auch von dem alten Sepp.

Dieser sowohl wie auch Leni wurden von dem Commerzienrathe und dessen Frau auf das Dringendste aufgefordert, so bald wie möglich, und zwar ganz zur beliebigen Zeit, wieder zu kommen. Dann gingen sie.

Der alte Wurzelhändler spielte den Cavalier ausgezeichnet. Er schritt hoch aufgerichtet, die Sängerin am Arme, deren Wohnung zu.

»Könntest eigentlich bei uns wohnen,« sagte Leni. »Ich glaub, Frau Salzmann hätt auch für Dich ein Logis.«

Die Wirthin war nämlich eher nach Hause gegangen, da sie auf Leni nicht zu warten brauchte, weil der Pathe diese begleiten wollte.

»Das kann ich nicht,« antwortete er. »Weißt, ich hab hier was zu thun, wobei ich am Liebsten im Gasthof bleib. Da schaut Niemand auf mich, und ich kann kommen und gehen, ganz wie es mir beliebt.«

»Das könntest bei uns auch.«

»Nein, das ist – –«

Er hielt inne und blieb stehen.

Auf der andern Seite der Straße lag ein bekanntes Tanz-Etablissement. Alle Fenster desselben waren erleuchtet; das Thor stand weit offen, und die costumirten Gestalten, welche den Flur belebten, ließen errathen, daß hier eine Maskerade, vielleicht ein Volksmaskenball abgehalten werde.

»Siehst die Beiden?« fragte der Sepp.

»Ja, dera Krickelankon und dera Baron von Stubbenau. Sie sind eben hinein.«

»Das trifft sich gut. Denen muß ich nach?«

»Warum?«

»Wegen dem Baron bin ich auch mit hier. Ich muß wissen, was er thut.«

»So willst da hinein?«

»Ja. Darfsts mir nicht übel nehmen, wannst jetzt nun allein heim mußt.«

»Das thu ich nicht. Ich bleib bei Dir.«

»Dirndl! Was fallt Dir ein!«

»Nix. Ich will schauen, was dera Anton thut.«

»Geht Der Dich denn noch was an?«

»Nein. Aberst ich will es ihm ins Gesicht sagen können, was für ein Kerl er ist.«

»So komm!«

»Wart noch! Wir sind doch noch ganz ohne Maskerade und Anzug.«

»Vielleichten kann man das drin erhalten.«

Der Sepp sah die beiden Genannten auf der Treppe verschwinden. Er trat mit Leni in den Flur und wendete sich an einen müssig dastehenden Herrn in Civil, dem es ziemlich leicht anzusehen war, daß er sich in amtlicher Eigenschaft hier befand.

»Herr, sind Sie vielleicht ein Sicherheitswachmann?«

»Ja. Warum?« antwortete der Gefragte.

Sepp zog eine Medaille aus der Tasche, zeigte sie ihm und erkundigte sich:

»Haben Sie die beiden Herren bemerkt, welche zuletzt hier eintraten?«

»Ja. Interessiren Sie sich für dieselben?«

»Ja. Ist Maskengarderobe hier zu bekommen?«

»In der ersten Etage. Auch die beiden Herren, nach denen Sie fragen, werden sich welche da nehmen.«

»Bitte, gehen Sie hinauf und melden Sie mir, was für Anzüge sie tragen, damit ich sie dann erkenne. Ich warte auf der Straße.«

Der Wachmann begab sich hinauf, und Sepp ging mit seiner Begleiterin wieder hinaus. Nach ungefähr zehn Minuten kam der Polizist und meldete daß die Beiden Türkenanzüge angelegt hätten. Er beschrieb die Letzteren so genau, daß eine Verwechselung gar nicht möglich war.

»Befinden sie sich noch in der Garderobe?«

»Nein. Soeben begaben sie sich in den Saal.«

»So kommen auch wir hinauf, ohne von ihnen bemerkt zu werden.«

Es war ein ganz bedeutender Vorrath von Maskenanzügen vorhanden. Sepp sowohl wie auch Leni nahmen Domino's. Die Letztere band eine Halbmaske vor das Gesicht. Der Alte aber mußte wegen seines großen, charakteristischen Schnurrbartes, um von Anton nicht erkannt zu werden, eine vollständige Larve vorlegen.

Dann begaben sie sich in den Saal.

Sie erblickten die beiden Türken sofort. Diese standen noch in der Nähe der Thür und schienen Jemand zu suchen. Anton war von dem Baron durch seine kräftigere Gestalt leicht zu unterscheiden. Er drehte sich zufällig nach der Thür um und erblickte Leni. Ihr frischer, üppiger Mund und die volle Gestalt, deren Formen selbst unter dem Domino zu erkennen waren, reizten ihn. Er trat herbei und fragte, auf die lange Gestalt des Sepp deutend:

»Schöne Maske, ist das Dein Geliebter?«

»Nein,« antwortete sie mit der bei Maskeraden gebräuchlichen Fistelstimme, so daß er sie nicht erkennen konnte.

»So geht er Dich nichts an?«

»Gar nichts.«

»Dann biete ich Dir meinen Schutz an.«

»Taugt der Etwas?«

»Das will ich meinen!«

»Ich traue den Türken nicht.«

»Ich auch sonst nicht. Heut aber sind sie ganz brave Kerls. Gieb mir Deinen Arm! Komm!«

Er legte ihren Arm in den seinigen und zog sie fort. Sie folgte ihm willig, und als Sepp das sah, unterließ er es natürlich, Einsprache zu erheben.

Der sogenannte Baron folgte seinem Freunde nicht. Er blieb stehen und musterte den Sepp.

»Armer Teufel!« lachte er. »Jetzt bist Du Wittwer. Die Hexe hat doch gelogen. Sie kam mit Dir und gehört also zu Dir. Den Eintritt hast Du bezahlt; weiter wollte sie nichts. Nun läßt sie Dich sitzen oder vielmehr stehen. Ists nicht so?«

»Donnerwetter, ja!« antwortete Sepp mit natürlicher Stimme, welche der Baron ja nicht kannte. »Bezahlt hab ich, und nun ist sie futsch. Der Teufel hole sie!«

»Warum hast Du sie so ruhig fortgelassen?«

»Weil es Andre giebt.«

»Brav so! Auch ich will mir Eine holen. Wollen wir miteinander suchen?«

»Wenn Du mir die Schönste lässest, ja.«

»Sehr gern. Der Geschmack ist ja verschieden. Komm also mit und trink vorher Eins mit mir!«

Er zog ihn nach dem Büffet. Der alte Sepp hatte seinen Zweck leichter erreicht, als er erwarten konnte. Sie stachen eine Flasche Wein aus und trollten dann durch den Saal, in lustiger Weise mit jeder Maske anbindend.

Da blieb der Baron vor einer stehen, einem Blumenmädchen, welche auch nur Halbmaske trug, so daß der untere Theil ihres Gesichtes von der Nase an zu sehen war.

Sie war üppig gebaut. Das kurze, rothe Röckchen reichte ihr kaum zwei Zoll über das Knie, und das schwarzsammetne Mieder war auf das Tiefste ausgeschnitten. Sie trug alle ihre Reize zur Schau, schien aber bisher keinerlei Vertraulichkeit geduldet zu haben.

»Schöne Maske, ich kenne Dich,« sagte er.

»Häßlicher Kerl, Du irrst Dich,« antwortete sie.

»Komm her, und laß Dich küssen; so wird Dir mein Mund gleich bekannt vorkommen.«

Er wollte sie umarmen und an sich ziehen; sie aber stieß ihn kräftig von sich und rief:

»Zurück, Muselmann! Küß Deine Haremsnegerin, aber mich nicht! Du riechst nach Moschus und Bosporus!«

»Alle Teufel, bist Du giftig! Du bist doch sonst nicht so gegen mich, schöne Balletkönigin.«

Sofort wurde sie freundlicher.

»Du kennst mich wirklich?«

»Natürlich! Wer Dich einmal küßte, der kann Deinen Mund nicht vergessen.«

»Oho! Hättest Du mich geküßt?«

»Tausendmal!«

»Beweise es!«

»Ich brauche Dir nur meinen Namen zu sagen – Egon.«

»Ah – endlich seid Ihr da. Ich hoffe doch, daß der – der Andre auch mit gekommen ist!«

»Natürlich. Wie hätte ich ohne ihn vor Dir Gnade finden können,« lachte er.

»Wo befindet er sich?«

»An der Angel.«

»Das sollte ihm übel bekommen!«

»Sei gnädig mit ihm! Er ist nur ein kleines Intermezzo. Siehst Du den Türken mit dem Domino drüben am zweiten Pfeiler?«

»Ja. Ist er es?«

»Es ist Dein zukünftiger Herr und Gebieter. Sobald er Dich erkennt, wird er den Domino zum Teufel jagen. Geh zu ihm!«

»Noch nicht. Ich will erst beobachten, ob er dort vielleicht Feuer fängt. In diesem Falle würde ich dann löschen. Verrathe mich ihm nicht?«

Sie entfernte sich, um ihre Schritte langsam nach dem erwähnten Pfeiler zu lenken.

Dort gab sich Anton alle Mühe, von Leni heraus zu bekommen, wer und was sie sei. Er wollte sich die bekannten Maskenfreiheiten erlauben; sie oder duldete nicht die geringste Vertraulichkeit.

»Mädchen,« sagte er endlich unwillig, »Du bist ja das reine Eis! Hast Du denn gar kein Blut im Herzen?«

»Nur für treue Liebe.«

»Ich bin treu.«

»Beweise es!«

»Wie soll ich es beweisen?«

»Indem Du bei mir bleibst und mit keiner andern Maske sprichst.«

»Alle Teufel! Du verlangst viel! Ja, Du forderst das Unmögliche!«

»So trolle Dich fort!«

»So schnell nicht. Erst sollst Du mit mir eine Flasche Sect ausstechen! Willst Du?«

»Ja. Komm also ans Büffet!«

»Danke! Dort trinkt man keinen Champagner mit einer schönen Maske. Dazu sind andere Orte da. Schau, die Logen da oben! Für lumpige zwei Gulden bekommt man eine. Man schließt sich darin ein und ist ungestört. Dort werden wir uns demaskiren und können trinken und küssen, so viel uns beliebt. Komm!«

»Danke für die Loge! Ich stimme weder für das Küssen, noch für das Demaskiren.«

»Auch später nicht?«

»Nein.«

»So bist Du eine Nonne!«

»Und Du ein Faun. Wir passen nicht zusammen. Lauf fort, so weit es Dir beliebt!«

Aber er ging nicht. Gerade ihr Widerstand reizte ihn. Er legte den Arm um sie, wurde aber von ihr zurückgestoßen. Das sah das Blumenmädchen, welches indessen herangekommen war.

»Ist sie spröde, schöner Türke?« höhnte sie.

Er betrachtete sie scharf und antwortete dann:

»Mag sie spröde sein und zum Teufe! gehen. Ich hänge mich an Dich!«

Dabei ergriff er ihren Ann.

»Oho! Ob ich will!« rief sie, ihn zum Scheine von sich abwehrend.

»Du willst gern! Oder sollte ich Dich vergebens gesucht haben?«

»Mich gesucht? Türke, Du irrst.«

»Fällt mir nicht ein. Anton erkennt seine Valeska auf den ersten Blick.«

Das Blumenmädchen war die Ballettänzerin Valeska, seine Geliebte.

»Wahrhaftig, auch er erkennt mich sofort!« sagte die Letztere. »Aber woran?«

»Woran erkennt man den Diamant? Kannst Du es sagen? Man erkennt ihn, und damit ist es gut. Komm, Liebchen, Loge Nummer fünf. Ich habe bereits den Schlüssel.«

Sie entfernten sich, gar nicht mehr auf Leni achtend, welche Wort für Wort diese Unterhaltung angehört hatte und ihnen unbemerkt nachfolgte.

In einer Ecke des Saales führte eine schmale Treppe hinauf nach den Logen, in denen lüsterne Herren mit käuflichen Dirnen ungestört sich aufhalten konnten. Nachdem der Türke mit seinem Blumenmädchen einige Zeit verschwunden war, stieg auch Leni diese Treppe empor.

Oben gab es einen schmalen Gang, auf welchem die Thüren der kleinen Logen führten. Ueber diesen Thüren waren die Nummern angebracht. An einem kleinen Tischchen saß die Schließerin.

Um sicher zu gehen, fragte Leni dieselbe:

»Ist Nummer fünf noch frei?«

»Nein. Nummer vier ist noch zu haben. Zwei Gulden. Trinkgeld nach Belieben. Wollen Sie?«

»Ja. Hier sind drei Gulden. Der dritte für Sie. Sind die Logenwände dünn oder dick?«

»Dünne Bretter. Du mußt Dich also in Acht nehmen, meine schöne Maske, wenn nachher Dein Anbeter kommt. Wenn man nicht ganz leise spricht, wird jedes Wort nebenan gehört, sobald nämlich die Musik schweigt. Hier ist der Schlüssel.«

Leni nahm den Schlüssel und begab sich nach der Thür ihrer Nummer. Da soeben ein rauschender Galopp getanzt wurde, so waren ihre Schritte nicht zu hören, und auch das Oeffnen ihrer Thür verklang unter den Accorden der Blechmusik.

Die Loge war klein, für zwei Personen eingerichtet. Ein Sopha, ein Tischchen, zwei Stühle und ein Spiegel, das war das Möblement. Am Fenster, welches zum Saale schaute, waren Gardinen angebracht, welche geschlossen werden konnten. Leni zog die ihrigen sofort zu.

Dann untersuchte sie die Seitenwand nach der Nummer Fünf hin. Die Bretter waren mit Tapeten überklebt, und es gab keine Lücke oder Ritze, durch welche man hätte hinüberschauen können.

Sie hoffte aber, da nichts zu sehen war, wenigstens Etwas zu hören. Darum zog sie den einen Stuhl hart an die Seitenwand und setzte sich darauf.

Als der Galopp verklungen war, zeigte es sich, daß ihre Erwartung nicht getäuscht werden sollte. Wenn sich das Ohr einmal an das allgemeine Stimmengewirr des Saales gewöhnt hatte, konnte man ganz leicht hören, was nebenan gesprochen wurde. Soeben jetzt erklang die Stimme des Blumenmädchens:

»Es wird doch Niemand nebenan sein!«

»Nein. Ich fragte ja die Schließerin. Kommt später Jemand, so hören wir es. In Nummer Sechs sitzen Zwei; das ist aber auf der andern Seite; die hören es.«

»Pah! Und wenn sie uns auch hörten! Wir thun ja nichts Anderes als sie. Komm, Schatz, küsse mich!«

Küsse schallten; dann hörte Leni Anton fragen:

»Valeska, willst Du einmal wirklich und ganz aufrichtig sein?«

»Das bin ich doch stets mit Dir,« antwortete sie mit Sirenenton.

»Ich hoffe es. Bin ich wirklich der Einzige, den Du liebst?«

»Zweifelst Du etwa?«

»Ich kann mir gar nicht denken, daß eine solche Schönheit wie Du keine Anbeter haben soll.«

»Keine haben soll? Wer hat das gesagt? Es sind ihrer genug vorhanden; aber was mache ich mir aus ihnen? Ich will nur Dich, Dich, Dich! Hörst Du?«

»Schwöre mir das!«

»Schwören? Du nimmst das sehr dramatisch, mein Lieber!«

»Weil ich weiß, daß ich ohne Dich nicht leben kann!«

Sie lachte lustig auf.

»Wie viele Andere giebt es noch, ohne die Du auch nicht leben kannst?«

»Keine!«

»Lügner!«

»Wirklich keine!«

»Standest Du denn vorhin nicht im Begriff, dem schönen Domino zu sagen, daß Du ohne sie nicht existiren könntest?«

»Unsinn! Ich unterhielt mich aus reiner Langeweile mit diesem blödsinnigen Frauenzimmer. Willst Du mir das übel nehmen?«

»Nein; es ist ja Maskenball. Aber wie steht es mit früheren Zeiten? Du sprachst einmal von einer Sennerin, die beinahe Deine Braut geworden wäre. Lebt die noch?«

»Das weiß ich nicht.«

»Man scheint Personen, die man hat heirathen wollen, gewöhnlich nicht so leicht wie Du aus den Augen zu verlieren.«

»Ich habe mich nicht mehr um sie bekümmert. Sie hatte sich meiner Liebe unwerth gemacht.«

»Wieso?«

»Sie bestahl mich.«

»Was! Ein Mädchen bestiehlt den Geliebten? Das ist unbegreiflich!«

»Ich habe es begreifen müssen. Sogar bei den Besuchen, welche sie meinen Eltern machte, hat sie dieselben bestohlen.«

»Die hätte ich angezeigt!«

»Ich wollte es nicht thun; aber als ich sie einstmals mit einem Andern zusammentraf, und zwar in der innigsten Umarmung, die man sich denken kann, da riß mir die Geduld. Ich zeigte sie an und brachte die Beweise. Sie kam in das Gefängniß, und dann habe ich mich natürlich nicht weiter um sie gekümmert. Später einmal habe ich erfahren, daß die Muhrenleni das Stehlen doch nicht hat lassen können. Sie ist wiederholt bestraft worden und wird jetzt wahrscheinlich im Zuchthause stecken.«

»Da wäre ihr ganz recht geschehen. War sie denn hübsch?«

»Das kannst Du Dir denken. Oder meinst Du, daß ich mich in eine Häßliche verlieben könnte? Dazu bin ich viel zu sehr Künstler. Auch liebenswürdig war sie. Du bist ja ebenso wie sie, und darum kann ich Dir sagen, daß ich mit ihr bereits wie Mann und Frau zusammengelebt habe. Darum – – was ist das?«

Es wurde still drüben.

»Hast Du nichts da nebenan gehört,« fragte dann Anton.

»Nein.«

»Es war mir, als ob man da einen Stuhl gerückt habe. Ich muß mich getäuscht haben, denn die Loge ist ja leer.«

Er hatte sich aber nicht getäuscht. Leni fühlte sich außer Stande, das Weitere mit anzuhören. Sie war aufgestanden und hatte dabei den Stuhl zur Seite geschoben.

Jetzt begann die Musik eine Polonaise. Da konnte Leni sich ungehört entfernen. Sie ging und übergab der Schließerin den Schlüssel mit der Bemerkung, daß sie die Loge weiter vergeben könne. Die Frau war ganz glücklich darüber, auf diese Weise drei Gulden erhalten zu haben.


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