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Die Andern, welche bei dem Müller gewesen waren, hatten ihren Weg nach der Stadt genommen, den Wurzelsepp ausgenommen. Dieser hatte sich von ihnen weggeschlichen und war nach dem Grabesfelsen gegangen. Bei demselben angekommen, blieb er stehen. Aus dem Innern drang eine Fülle von Tönen, die selbst er dem Fex nicht zugetraut hatte.
»Ja,« brummte er, »der hat diese Gabe vom lieben Herrgottle empfangen und laßt sie nicht brach liegen. Der bringts schon mal zu was!«
Er suchte nach dem verborgenen Eingange. Die Steine waren fortgeräumt und das Bret lag da. Er hob es auf und kroch in den Gang hinein, den Eingang über sich wieder mit dem Brete zudeckend. Je tiefer er stieg, desto stärker und voller wurden die Töne. Als er unten ankam, stand der Fex mit hochrothem Gesicht vor dem Tisch, auf welchem die Noten lagen, die Geige des Concertmeisters in der Hand und war in seine Lection so vertieft, daß er das Kommen des Alten nicht eher bemerkte, als bis dieser ihn anrief.
»Heda! Hörst wohl gar nimmer? Da könnt Dein ganzes Geheimniß wohl verrathen sein, und Du würdest dann erst weiter fiedeln.«
Der Fex legte die Geige fort, zog den Alten in seine Arme und rief in freudiger Erregung:
»Sepp, lieber Sepp, sie gehen alle.«
»Wer?«
»Die Musikstucken alle.«
»So? Du bringst sie also fertig?«
»Nicht blos geigen kann ich sie, sondern sogar auswendig geigen.«
»Nicht möglich!«
»Willsts hören?«
»Ja, fang an.«
Da schlug der Fex die Noten zu, setzte die Geige an und begann. Es dauerte über eine volle Stunde, daß er unermüdet geigte, ohne nur eine einzige Note auszulassen oder eine falsche zu spielen. Als er dann fertig war, streckte ihm der Sepp die Hand entgegen und sagte einfach, ohne alle Lobhudelei:
»Fex, bist wirklich ein ganzer Kerl!«
»Meinst?«
»Ja. Hast dem Concertmeistern alle seine Stücken abgestohlen, alle mit nander.«
»Und es ist kein Fehlern vorkommen, ich weiß es.«
»So meinst, daß es gehen wird?«
»Unbedingt.«
»Und willsts wirklich wagen?«
»Ja, ich will spielen und all mein Geld auf diese eine Karte setzen. Der König ist da und der Wagner. So prächtig paßts im ganzen Leben gar nimmer wieder.«
»Aber wie willsts anfangen?«
Bei dieser Frage zog er sich eine der Cigarren hinter dem Steine hervor und brannte sie an.
»Das weiß ich freilich noch nicht. Ich muß mich da ganz auf Dich verlassen, mein lieber Sepp!«
»Ja, der Sepp! Wann Keiner was fertig bringt, so soll allemal stets der Sepp dann helfen.«
»Nein, so war das nicht gemeint. Du selbst hast mir gesagt, daßt einen guten Gedanken hättst.«
»Freilich wohl.«
»Nun, darum hab ich mir also keine Müh geben und auch gar nicht drüber nachdacht. Also bist nur selberst schuld, wenn ich Dir jetzund zur Last fall.«
»Zur Last? Fallt keinem Menschen ein.«
»Also willst?«
»Ganz gern.«
»Und wie ist Dein Gedanke?«
»Schau, das möcht ich Dir lieber noch gar nicht sagen.«
»Du meinst, ich könnt es verderben?«
»Ja. Die Hauptsach ist, daßt überhaupt das Concerten mit anhören kannst. Ich werd mit der Leni reden. Vielleicht erhältst die Erlaubniß, Dich hinter die Coulissen zu stellen. Nachhero, wann Dir das gelingt, so ists gewonnen, vorausgesetzt, daßt dann auch Deine Sachen machst.«
»Du brauchst gar keine Bangigkeit zu haben.«
»Nun gut. Jetzt aber bin ich neugierig, zu erfahren, wast in dem Stuhl funden hast.«
»Das hier.«
Der Fex zog die Brieftasche hervor, öffnete sie und zeigte ihm das Bild.
»Himmelsakra!« schrie der Sepp auf, als er kaum einen halben Blick darauf geworfen hatte. »Zeig her; zeig her! Die muß ich mir anschaun.«
Er griff mit wahrer Begierde nach dem Bilde; es schien, als ob er es mit seinen Augen verschlingen wolle. Der Fex bemerkte dies mit Erstaunen.
»Was ist mit Dir, Sepp?« fragte er.
Der Alte zog den Schnurrbart zwischen die Zähne, hustete vor sich hin und meinte dann in möglichst gleichgiltigem Tone:
»Was sollte mit mir sein?«
»Kennst etwan dieses Bild?«
»Wie sollt ich es kennen? Ich habs doch noch niemals in der Hand gehabt.«
»Oder die Frau?«
»Auch nicht.«
»Es schien aber ganz so.«
»Warum?«
»Weilst so schnell zugriffst.«
»Warum sollt ich nicht? Ich war neugierig drauf.«
»Hör, Du verbirgst mir was.«
»Fallt mir nicht ein.«
»Und doch, gewiß. Dein Schnurrbart zittert und Deine Augen sind ganz anders, als sonst.«
Er hatte ganz Recht; der Alte nahm sich zusammen und antwortete in gleichgiltigem Tone:
»Was so ein Guckindiewelt doch nicht Alles wissen will! Mein Schnurrbarten zittert! Na freilich zittert er, wenn ich mit dem Maul wackle; er ist ja dran festgewachsen. Und meine Augen sind natürlich anders, wann ich sie zusammenkneifen muß, um bei dieser Lampen das Bild genau zu erkennen. Weitern aber ists gar nix nicht. Und nun sag auch, ob noch was in der Brieftaschen steckt hat.«
»Das noch.«
Er gab ihm die Papiere hin. Der Sepp griff mit wahrer Begierde nach ihnen. Er öffnete sie und betrachtete sie, ohne ein Wort zu sagen. Als er sie dann auch ebenso wortlos zurückgab, fragte der Fex:
»Nun, was sagst dazu?«
»Nix.«
»Das ist wenig.«
»Mehr weiß ich nicht.«
»So kennst diese Schrift hier nicht?«
»Du weißt ja, daß ich gar nicht lesen kann. Aber solche Schrift hab ich bereits auch schon gesehen.«
»Ah! Wo?«
»In meinen jungen Jahren bin ich auch was in deren Welt herumilaufen. Da hab ich unten an der Donauen solche Schrift erblickt. Ich glaub, die Serben schreiben damit und die Wallachen und Rumänen. Es sind russische Buchstaben, wenn ich mich nicht irr.«
»Ists wahr?«
»Waram sollt ich Dich belügen!«
»Gott sei Dank! So weiß ich doch nun Etwas!«
»Was?«
»Wohin ich mich zu wenden hab, um mir die Schriften vorlesen zu lassen.«
»Willst etwan nach Rußland laufen?«
»Nein.«
»Auch nicht. Ich werd hinein ins München gehen und mir einen Gelehrten erfragen, der es lesen kann.«
»Ach so! Das aber hättst auch thun könnt, wanntst nicht wußt hättst, was für eine Sprachen es ist. Na, ich wünsch Dir Glück dazu. Wer aber mag die Frau wohl sein, deren Bild das ist?«
»Meine Muttern.«
»Unmöglich!« fuhr der Sepp auf.
»Freilich! Was begehrst denn so?«
»Ich? Ich bin ja ganz ruhig!«
»Na, wann das ruhig ist, so weiß ich nimmer, was unruhig ist!«
»Woher weißt denn, daß es Deine Muttern ist?«
»Weil ich sie kenne; weil ich dies Gesicht nie in meinem Leben vergessen werd. Und wannsts mit dem meinigen vergleichst, so wirst die Ähnlichkeit zwischen ihr und mir sogleich herausfinden.«
»Wie hat sie denn geheißen?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Du mußt sie doch genannt haben!«
»Mama hab ich sie gerufen. Das hab ich ganz vergessen gehabt, aber als ich hier das Bild sah, ist mirs allsogleich wiedern eingefallen. Und beim Namen ruft doch ein Kind die seinige Muttern niemals.«
»Ja, das ist wahr. Also weiter weißt nix von ihr?«
»Gar nix.«
»Das ist jammerschade. Jetzt hast das Bild von Deiner Muttern und kannst Dich aberst grad auf die Hauptsachen nicht besinnen, auf die es hier ankommt.«
»Vielleicht stehts hier in denen Papieren.«
»Wollen es hoffen. Ich werd mich auch mit umischaun nach Einem, der sie zu lesen vermag. Nun aberst schaff die Violinen fort und die Noten, denn in kurzer Zeit wirds Tag werden und dann bringsts nicht hinein in dem Capellmeistern seine Stuben.«
»Regnets noch?«
»Nein, Du brauchsts nicht einzuwickeln; es wird nix naß werden davon. Komm, ich geh mit.«
Sie verließen die ›Kapelle‹; und begaben sich nach der Villa, um die Violine sammt den Noten heimlich abzuliefern. Der Tag graute wirklich schon im Osten und das Wetter hatte sich vollständig verändert, so daß ein prachtvoller Morgen zu erwarten war.
Es war für den Fex die höchste Zeit gewesen, die erwähnten Gegenstände zurückzubringen, denn als er sich von der Säule der Veranda hatte herniedergleiten lassen, ergriff er den Arm des Alten, zog ihn schnell mit sich fort und sagte:
»Komm rasch! Beinahe wär ich derwischt worden.«
»Hat der Concertmeistern Dich gehört?«
»Nein, aberst gesehen hätt er mich beinahe.«
»Himmelsakra!«
»Ja. Er war bereits aufistanden und lief in seiner Schlafstuben umher, im Hemden, mit der Zipfelhauben auf dem Kopf und Panteufeln an denen Füßen. Die Thür stand aufi und ich mußts sehr klug abjustiren, nicht bemerkt zu werden.«
»Na, dann ists ein großes Glücken, daß es noch mal gelungen ist. Diese Schand, wann er Dich gesehen hätt!«
»Gar keine Schand! Ich hätt schon gewußt, was ich sagen mußt, um nicht für einen Spitzbuben gehalten zu werden. Aberst ihn hättst anschauen sollen!«
»Warum?«
»Na, das ist ein ganz besonderbarer Kerlen! So alt, wie der ist, das schaut man ihm gar nicht an, wann er sich angemalt hat.«
»Malt er sich an?«
»Freilich! Ich habs ja sehen. Er strich sich mit einem Dingen im Gesicht herum, das war wie ein Pinsel, aber Federn anstatt der Haaren. Hernach schmierte er eines Lappen ins Gesicht, da wurden die Backen roth. Hernach schnitt er sich mit einer kleinen Scheeren die Haaren aus denen Nasenlöchern, und auf dem Kopf, da hat er gar keine gehabt, sondern er trägt eine Perrucken. Und zuletzt nahm er seine Zähnen aus einer Schüssel und steckt sie ins Maul. Er hat nicht einen einzigen. Das Maul war ihm eingefallen wie einer alten Frau; als er aberst das Kauwerk hineinsteckt hatt, da hatt er um zwanzig Jahre jünger ausgeschaut. Nachhero bin ich fort. Ich hab allen Respectum vor seiner Geigen und seiner Geschicklichkeiten mit dem Violinbogen, aber der alte Haxen, wann er sich in die Leni verliebt und sie gar durch das Perspectivenfernrohr anschaun will, so sollt man ihm gleich Zwanzig aufzählen, aber fortissimo!«
»Ja, solche alten Kerls sind gar die Allerschlimmsten. Jetzt nun gehst wieder hinab in die Kapellen und schläfst noch ein Stündchen herab.«
»Das geht nicht.«
»Warum?«
»Weil Jemand kommen kann zur Ueberfahrt.«
»Da laß mich sorgen. Du hast in denen letzten Nächten gar nicht geschlafen, sondern gegichen und geübt, ohne ein einzig Aug zuzuthun. Das ist nix. Du bedarfst auch der Ruhen. Leg Dich nur hin. Ich werd mich hinauf ans Grab setzen, wo man Alles überblicken kann, und Dir ein Zeichen geben, wann ja ein Jemand kommen sollt.«
»Aber Du hast auch nicht geschlafen.«
»Das geht Dich nix an. So ein alter Kerlen braucht wenig Schlaf und ich hab ja am ganzen Tag nix zu thun. Ich kann mich schon spätern mal hinlegen. Du aber mußt die Augen immer aufihaben.«
Es ging nach seinem Willen. Der Fex stieg in sein geheimes Cabinet hinab und er ging hinauf auf den Felsen und setzte sich am Grabe nieder, um für den jungen Freund zu wachen. Dort stemmte er das Gesicht in die beiden Hände und blickte höchst nachdenklich vor sich hin. Was sein Inneres bewegte, verriethen die halblauten Worte, welche er wiederholt vor sich hinsprach:
»Ja, es ist ihr Bild, ganz gewiß ihr Bild! Ich werd nachforschen. O, Fex, wannt wüßtest, wert eigentlich bist, was thätst da machen vor Freuden!«
Es wurde heller und sodann flutheten die ersten Sonnenstrahlen von Osten her in das Thal herein. In der Mühle begann es, sich zu regen, und auch die Thür der Villa wurde geöffnet. Der Italiener trat heraus. Der Sepp murmelte, als er ihn erblickte:
»Da ist er. Auf ihn wart ich ja. Er soll mir auch nicht entgehen, wann er auch nicht grad hierher kommt.«
Aber der Concertmeister kam doch nach dem Fluß herüber und lenkte nach dem Felsen ein. Seinem vorsichtigen Gebahren dabei war es anzumerken, daß er von der Mühle aus nicht gesehen werden wollte. Er stieg herauf. Der Sepp aber zog sich rasch hinter die Sträucher zurück. Grad dorthin, wo er soeben gesessen hatte, setzte sich der Italiener. Er konnte von der Mühle aus nicht gesehen werden, diese aber zwischen dem Busch hindurch beobachten. Er hatte sein Fernrohr abermals mit und hielt es an das Auge.
Wohl eine Viertelstunde lang beobachtete er die Fenster, hinter denen er Leni wußte. Da hielt es der Sepp nicht länger aus. Er schlich sich leise von hinten heran und legte ihm die Hand auf die Achsel.
»Grüß Gott, Herr Concertmeistern!«
Der Kleine fuhr auf's Aeußerste erschrocken empor.
» Oh Dio – ach Gott! Wer sein da?«
»Ich bins. Brauchst nicht zu derschrecken!«
»Du! Ah Du!«
Sein Gesicht nahm einen beruhigten Ausdruck an und erheiterte sich sogar.
»Ja, ich bins. Glaubsts wohl nicht?«
»O, ich es ßehr klaupen, ßehr, ßehr!«
»Schön, aber was machst denn da?«
»Ich betrachten der Mühlen.«
»So! Hast wohl schlechte Augen?«
»Warum?«
»Weilst durch das Blasrohr schaust, wannt die Mühlen sehen willst, die so nahe liegt.«
»Blaßenrohr, cerbottana? Das dok nicht ßein ein Blaßenrohr!«
»Was denn?«
»Einen Fernrohr.«
»Ach so! Darf ich auch mal hindurchschaun?«
»Ja.«
»So zeig her!«
Er setzte das Rohr an und richtete es auf die Mühle. Obgleich er gar nichts sah, sagte er doch:
»Sapperment, welch ein fein Sperpectiven das ist! Da schaut man ja Alls ganz genau. Grad jetzund seh ich die Leni am Fenstern.«
»Leni? Die Ssängerin?«
»Zeigen her! Rasch! Schnell!«
Er riß ihm das Fernrohr aus der Hand und blickte hindurch. Nach einer Weile meinte er enttäuscht:
»Ich ßehen ßie nicht!«
»So ist sie vom Fenstern hinweggegangen.«
»Wird kommen wieder?«
»Wie kann ich das wissen? Willst sie wohl gern sehen?«
»Ja, ßehr, ßehr!«
»So geh doch hin und besuch sie mal!«
»Nicht ßo, nicht ßo!«
»Nicht ßßßßo! Wie denn?«
»Ich mein – ah, ich kann Dir nicht sagen!«
»So halt den Schnabel, wannsts nicht herausbringen kannst! Aber ich wundre mich nur, daßt sie sehen willst. Du warst doch ganz bös über ihre Jodler!«
»Böß? O ja – o nein, nein, nein! Ich mich haben getäuschen in ßie! Ssie ßein eine großen Sängrin!«
»So? Woher weißt das?«
»Ich ßie haben hören ßingen.«
»Ach so! Nun, ich sagt es Dir ja gleich, daß sie es kann. Also hab ich Recht gehabt?«
»Ssehr Reckt, ßehr! Ihr Ssingen ßein ßehr kut, ßehr auskeßeichnet; aber ihre Perßon nock schöner!«
»Also gefallt sie Dir?«
»Wie ßehr kut, wie ßehr! Sfie ßein ein Enkel, angelo.«
»So red doch deutsch! Ich kann Deinetwegen nicht alle Sprachen der Erden auswendig lernen!«
»Kut! Ich werde ßprecken deutschen.«
»Ja, das bitt ich mir aus! Also für einen Engel hältst meine Leni? Das gefreut mich sehr, denn wann ein Dirndl Einem gefällt, so muß sich ihr Path doch drüber freun.«
»Ja, Du ßein Path! Ich erst jetzt wieder daran denk! Das ßein ßehr kut, ßehr kut!«
Er hatte bis jetzt unausgesetzt durch das Fernrohr geblickt; jetzt aber ließ er dieses sinken, zeigte neben sich auf den Sitz und fuhr fort, freundlich nickend:
»Du ßollen Dich niederßetzen!«
»Hier neben Dich?«
»Ja.«
»Nein; das thu ich schon nicht.«
»Das laßt mir der Respecten nicht zu, denn Du bist ein großer Künstler und ein vornehmer Herr.«
»Ich ßein bei Dir keinen Kunstler und auk keinen Herrn! Ich ßein Dein Freunden.«
»Ach? Das laß ich mir freilich lieber gefallen.«
»Also Dich ßetzen!«
»Schön!«
Der Alte setzte sich eng neben ihn hin, schlug ihm vertraulich auf das Knie und sagte:
»Daßt nicht so stolz bist und mich neben Dich setzen läßt, das gefreut mich sehr von Dir. Ich bin Dir gleich vom ersten Male her gut gewesen. Sag einmal, kann ich Dir vielleicht einen Gefallen thun?«
»Kefallen? Ja, ja!« nickte der Italiener.
»Dann heraus damit! Sag mir es doch!«
»Du erßt ßagen mir, ob die Leni haben ein Anbeter.«
»Anbeter? Wer soll sie denn anbeten? Sie ist doch nicht etwan ein Götzenbild.«
»Nein, nein! Ich nicht ßo meinen. Ich ßagen wollen, ein Liebhaber, Keliebter, Schatzen!«
»Ach so! Ob sie einen Schatz hat!«
»Ja, ja!«
»Nein, sie hat keinen!«
»Schön! Aber ßie ßein wohl ßehr ßpröde?«
»Ja, sehr.«
»O wehe!«
»Warum o wehe?«
»Weil – weil – weil ich ßie lieben!«
»Du? Was? Du liebst sie?«
»Unaußenßprecklick!«
»Da könnt mir auch Einer einen Storch braten!«
»Ja, Stork! Erst Liebe und dann Stork!«
»So! Willst sie wohl heirathen?«
»Ssehr kern, ßehr kern!«
»Obs auch wahr ist!«
»Ssehr, ßehr!«
»Hm! Das kann mich gefreun, wann meine Mündel eine Frau Concertmeisterin wird!«
»Ja, das ßein eine große Ehren!«
»Freilich, freilich!«
»Aber ehe ßie heirathen, ich ßie vorher wollen ßehen.«
»So geh zu ihr und schau sie Dir an.«
»Ich anders meinen.«
»Wie denn?«
»Ich ßie ßehen will, ßo – ßo wie Venus.«
»Venus? Hm! Was ist das für ein Thier?«
»Thier! Oh, oh! Venus ßein Köttin der Lieben.«
»Göttin der Liebe? Schau mal an!«
»Ja, und ßie hat nicht an vielen Kleidungen.«
»Donnerwettern! Und so willst auch die Leni sehen?«
»Ja, ja!«
»Du, das ist wohl bei der Venussen Mode, aber hier bei uns nicht. Verstanden, alter Freund?«
»Ich haben verßtanden. Aber wenn ich heirathen, ßo müssen ich dock wissen, ob Frau auck ißt schön!«
»Hin! Da hast nicht ganz Unrecht. Ich thät auch keine Katz im Sack bezahlen. Ich verstehe Dich ganz gut. Freilich möcht ichs gern haben, daß die Leni eine so vornehme Damen wird. Drum hab ich gar nix dagegen, daßt sie erst richtig anschaun willst. Aber wie willst das wohl anfangen?«
»Mit dießem Fernrohren.«
»Unsinn! Was kannst da schauen! Da weiß ich etwas viel Besseres und Intressanteres.«
»Du wissen Besseres? Wirklick?«
»Ja.«
»Wie? Wo? Es schnellen ßaken!«
»Nur sachte, sachte! Ich weiß, wo Du sie Dir ganz genau anschauen könntest.«
»Wo?«
»Hm! Du kannst leider gar nicht hin.«
»Ssaken dock wo, wo, wo?«
Der lüsterne Italiener war ganz Feuer und Flamme.
»Im Theater,« meinte der Sepp.
»Ssehr schön, ßehr! Ich auck ßein im Theater.«
»So? Das nützt Dir doch nix.«
»Warum?«
»Als Zuhörer kannst sie nur sehen, wann sie singt.«
»Ich ßein nicht Zuhören, ßondern Mitspielen!«
»Ach so! Höre, das ist fein! Da läßt sichs machen.«
»Wie? Wie?«
»Wann Du durch das Garderobenfenstern schaust.«
»Karderobe! Ah! Oh! Herrlick, präcktick!«
Der Kleine klatschte vor Freude in die Hände. Der Alte aber blickte sich scheu um, als ob er einen Lauscher fürchte, und theilte ihm dann mit leiser Stimme seinen Plan mit. Der Concertmeister hörte schweigend zu, brach aber sodann in laute Lobeserhebungen aus.
»Du ßein ßehr kluk, ßehr kescheidt! Hier, ich Dir geben ein Keschenken!«
Er zog ein Silberstück hervor und gab es dem Sepp. Dieser steckte es schmunzelnd ein und fragte:
»Ja, ja, allemalen!«
»Gut! Aber kannst denn auch klettern?«
»Kletter, ripire, arrampicarsi? Nein. Ich ßein nock nie ßteigen auf Baum.«
»O weh! So mußt Du verzichten.«
»Warum verzickten?«
»Weil Du nicht auf den Baum kannst.«
»Es ßein vielleickten da einen Leitern, ridolo?«
»Eine Leiter? Ach ja, daran hab ich ja gar nicht dacht! Ich werd Dir eine verschaffen.«
»Woher?«
»Vom Hausmann im Theater. Weißt, der ist ein guter Bekannter von mir. Er stammt aus meiner Gegend, und ich besuch ihn auch zuweilen. Darum kenn ich eben den Garten hinter dem Theater, den Baum und auch das Fenster, vor dem er steht. Ich werde Dir eine Leitern besorgen. Auf derselbigen steigst hinauf auf den Baum und kannst da grad in die Garderobe blicken, die nur für die Künstlerinnen da ist, die als Gast spielen thun. Da wirst sie sehen, wann sie das feine Kleid anlegt.«
»Schön, ßehr schön, ßehr! Du ßein ein herrlicker Kerl, ein präckticker Kerl! Du gefallen mir!«
»O, noch viel besser wirds Dir auf dem Baum gefallen! Nun aberst mach, daßt jetzt fortkommst von hier!«
»Warum?«
»Es darf Niemand sehen, daßt die Leni beobachten willst mit dem Fernrohren. Auch ists hier an diesem Grab nicht ganz geheuer. Hast noch nix gehört davon?«
»Kehört und kesehen!«
»Was? Sogar gesehen hasts?«
»Ja, o ja!«
»Was denn?«
»Zweien Geßpenstern, am Abend. Ich gehen hierher nur bloßen am hellen Tak.«
»Ja, das machst recht. Was hast aber denn gesehen, als Du die Gespenster erblickt hast?«
»Ich ßein auskerissen, ßehr, ßehr!«
»Das ist freilich das Allernbeste, was man thun kann. Also geh jetzt. Beim Concert sehn wir uns wieder.«
»Schön! Addio!«
»Adjoh, Herrn Concertmeistern!«
Der Kleine ging, und der Alte blickte ihm sehr vergnügt nach. Es war ihm gelungen, die Angel auszuwerfen, und der Fisch hatte angebissen. Jetzt blieb er sitzen, um den Fex zu wecken, wenn Jemand zur Fähre kommen sollte. Aber es kam Niemand. In der Mühle wurde spät aufgestanden, weil die Bewohner wegen der nächtlichen Ruhestörung spät ausgeschlafen hatten.
Ungefähr kurz nach acht Uhr kam der Fingerlfranz vom Dorfe her. Er hatte dem Müller versprochen, zu kommen, um diesem zu melden, ob er die Sau auch wirklich erhalten habe oder ob sie nicht auch noch nachträglich in allerlei Gethier verwandelt worden sei. Eben als er in die Thür treten wollte, kam die Leni heraus. Sie hatte noch ihren Alpenanzug an.
»Das bist Du!« sagte er. »Was machst hier?«
»Besseres als Du!«
Sie wollte an ihm vorüber, er aber vertrat ihr den Weg und meinte in drohendem Tone:
»Halt! So schnell kannst nicht vorbei! Ich will wissen, wast hier machst. Und Du sollst auch die Strafen empfangen für Deine Schlechtigkeiten gegen mich!«
»Willst sie etwan wieder küssen?« erklang es von der Treppe her, wo Paula stand, ohne von ihm bemerkt worden zu sein.
»Das fallt mir freilich nicht ein,« antwortete er.
»Hasts aber doch thun wollen und gar erzwingen!«
»Wer hat das gesagt?«
»Die Leni.«
»Das hat sie gelogen.«
»So! Dann hat sie Dir wohl auch keine Ohrfeigen geben und Mehl in die Augen, daßt nix mehr sehen konntst?«
»Das sind lauter Lügen. Die, wann mir eine Ohrfeigen gäb, die sollt sehen, was ihr geschehen thät!«
»So, was sollt mir denn geschehn?« fragte die Leni.
»Ich that Dich dermurxen!«
»So versuchs! Da!«
Ehe er es sich versah, holte sie aus und schlug ihn mit ihrer kleinen aber kräftigen Faust an die Nase, daß diese sofort wieder blutete. Er fuhr mit beiden Händen nach der verletzten Stelle, und das benutzte sie, ihn zur Seite zu stoßen. Rasch an ihm vorübergleitend, eilte sie fort. Als er sich umdrehte, um sie zu fassen, war sie bereits hinter der Ecke des Vorgartens verschwunden.
Sie wollte so früh wie möglich ihr der Paula gegebenes Versprechen erfüllen. Darum ging sie jetzt nach der Villa, um von Weitem nachzusehen, ob sie es bereits wagen könne, zum Könige zu gehen. Sie sah, daß Wagner am offenen Fenster stand. Auch er erblickte sie, und da er an ihrem Gebahren merkte, daß sie irgend eine Absicht habe, so winkte er ihr. Sie eilte zu ihm hin, und er fragte:
»Suchtest Du Etwas?«
»Nein, sondern ich wollt schaun, ob ich den König nicht stören thät, wann ich ihm was sagen wollt.«
»Ists nothwendig?«
»Ja. Ich hab eine Bitten, nicht für mich, sondern für meine Freundin, die Paula.«
»Die Müllerstochter? Die ist bereits Deine Freundin? Ja, Damen werden sehr schnell bekannt.«
»O, die Männern oft noch schneller. Wann sie mit nander ein Bier trunken haben, so ist die Freundschaft allsogleich bereits dudeldick.«
»So! Na, wir wollen einander Recht geben. Ist die Bitte groß, welche Du aussprechen willst?«
»Nein. Der König soll nur mal dem Müllern den Kopf waschen, und das tüchtig, verstehst!«
»Warum?«
»Das werd ich ihm schon selber sagen. Wann er Dir nachhero erlaubt, zuzuhören, so hab ich nix dagegen.«
Da ertönte hinter Wagnern ein kurzes, fröhliches Lachen und darauf die Stimme des Königs:
»So komm herein!«
Im Nu war sie im Eingang verschwunden.
Ungefähr fünf Minuten später kam eine andere Person auf die Villa zu – der Hochzeitsbitter. Er war ganz so gekleidet, wie bereits beschrieben, hatte aber noch mehr bunte Bänder und Schleifen angehängt. In höchst würdevoller Haltung trat er in das Haus und klopfte an. Wagner öffnete die Thür ein Wenig, um nachzusehen, wer Einlaß begehre. Als er die fremdartige Gestalt erblickte, ließ er die Thür unwillkürlich aus der Hand. Dies benutzte der Bitter, rasch vollends zu öffnen und einzutreten. Er grüßte gar nicht, ging in die Ecke, um seinen Schirm in dieselbe zu lehnen, nahm den Hut ab und das karrirte Taschentuch heraus, schwenkte Beides hin und her, machte eine tiefe, tiefe Verbeugung und sagte dann, sich an den König wendend:
»Bist Du der Wagnern oder der Ludewigen?«
Die beiden Genannten wußten nicht, was sie von dieser Erscheinung denken sollten. Ihre Stirnen legten sich in Falten.
»Ich heiße Wagner,« sagte derselbe.
Der Leichenbitter schlenkerte ihm die Hand hin und meinte in verweisendem Tone:
»Dich hab ich nicht gefragt. Aber weilst einmal den Mund hineinhängt hast, so weiß ich nun, daß hier der Andre der Ludewigen ist. Ich hab mit Euch Beiden zu reden.«
»So machen Sie schnell!«
»Sie? Ich bin ein Du und kein Sie! Das will ich mir ausbitten. Verleidigen laß ich mir nicht, auch von keinem Künstlern nicht, denn ich bin auch einer und hab also mein Recht auf Ebenbürtigkeiten und Frühgeburt und Nachgeburten!«
Jetzt erkannten sie, daß es sich nicht um eine sträfliche Mystifikation, sondern um einen geistig nicht satisfactionsfähigen Menschen handle. Darum fragte Wagner in milderem Tone:
»Nun, was sollen wir denn eigentlich erfahren?«
»Wirsts gleich hören.«
Er verbeugte sich abermals, schwenkte den Hut, strich sich mit dem Tuch über die Stirn und begann:
»Damals, als der Vätern Abraham mit seiner Frauin Judith in Paris zusammentreffen ist – – –«
»Halt, halt!« rief Wagner. »Was ist das für ein Unsinn? Was haben Sie uns zu sagen?«
Da setzte der Redner den Hut auf und sagte in drohendem Tone:
»Was? Unsinn? Hör, wannst mich noch einmal Sie nennst, so geh ich augenblicklich fort, und nachhero erfährst grad gar nix von der ganzen Sachen, und ich werd Euern Kiviar fressen mit Schokoladen und auch die Flaustern mit Syrupen!«
»Nun also, was willst Du?«
»Das kannst nur ganz ruhig abwarten. Meine Reden ist nicht für Dich da, sondern Du stehst um ihretwillen da! Verstanden! Ich muß es um zehn Pfennige machen, und wann Ihr mir nicht ein gut Trinkgelden gebt, so kann ich halt gar nicht wieder zu meinen Auslagen kommen. Man hat die Menschen einzuladen zu Vielerlei, zu Hochzeiten, Kindtaufen, Begräbnissen und Schweineschlachten. Da giebts allerlei Lust und Leid, Braut und Bräutigam, Särge und Gevattern, Leichenblumen und Bratwürsten, und wer da nicht einen guten Magen hat, der kann nimmer Leichenbittern werden. Darum – – –«
»Ach, Du bist der Hochzeitsbittern?« fragte die Leni, der ein Licht aufzugehen begann.
»Ja, freilich!«
»Und kommst mit einer Einladung?«
»Ja.«
»Wohl in die Mühlen zur Verlobung?«
»Woher weißt das Alles?«
»Am Sonntag Abend um acht Uhren.«
»Alle Tausend! Sogar auch des weißt!«
»Da sollen diese beiden Herren sich einstellen, um dabei zu sein, wannt Paula mit dem Fingerlfranz zusammen versprochen wird?«
Der Mann machte eine Geberde des größten Erstaunens, aber auch des Aergers, und sagte:
»Wannt Alles bereits weißt, so kannst aber doch den Schnabeln halten! Mußt denn da grad zwischen hinein piepen wie eine Sperlingin? Wozu bin ich dann da? Ich habs zu verkünden, und nicht Du! Hast mich da um meine schöne Reden gebracht, und nun wirst sehen, was ich dabei verlieren thu! Einen Thalern Trinkgeldl hätt ich ganz sicher bekommen von denen vornehmen Leutln; nun aber, da ich nicht hab so lange sprechen können, wirds kaum ein Viergroschenstücken absetzen. Und davon soll ich leben bei dera Zeiten und denen Preisen, wo ich doch bereits homöpatschen Kaffee trinken thun, das Pfundt für zwölf Pfennige und Möhrensaft hinan anstatt den Zuckern. Und nachhero – – –«
»Pst, pst!« unterbrach ihn Wagner. »Bemühe Dich nicht weiter. Deinen Thaler sollst Du haben, auch wenn Du die Rede nicht hast halten können. Hier hast Du ihn.«
Der Mann nahm das Geldstück in die Hand, sah es nachdenklich an und fragte dann:
»Ists etwan für Einen oder für alle Beid?«
»Ach so!« lachte der Componist. »Hier hast Du noch einen. Bist Du nun zufrieden?«
»Ja, und Du bist der Noble von Euch Beiden. Der Ludewigen kann mir gar nicht gefallen. Man muß leben und leben lassen, und wann – –«
»Schon gut! Geh jetzt fort. Wir wissen ja nun, was Du uns hast sagen wollen.«
»Wie? Was? Hinausschupsen willst mich? Nun, das ist gut, sehr gut! Ihr seid mir die Rechten, Höflichen und Gebilderten! Die Thalern will ich nehmen und meinen Regenschirmen dazu, aber wiederkommen ins Haus, das werd ich Euch nicht gleich. Adjeh, lebt wohl, und gesunde Feiertagen!«
Er holte seinen Schirm und ging fort, die gewöhnlichen Verbeugungen und Complimente unterlassend. Glücklicherweise hatte Leni bereits von Paula Einiges über den sonderbaren Mann gehört. Ihre Erklärungen befriedigten die beiden Herren, und nun konnte das unterbrochene Gespräch fortgesetzt werden. Bevor der Hochzeitsbitter eingetreten war, hatte der König im Begriff gestanden, die Leni zu tadeln, daß sie sein Incognito verrathen habe; er that es jetzt, war aber doch bereit, den Wunsch des braven Mädchens zu erfüllen, wenn auch nicht persönlich. Es war ihm natürlich unmöglich, sich den Grobheiten des Müllers auszusetzen, und so erhielt Wagner den Auftrag, sich zu demselben zu begeben. Dieser war bereit, dies sogleich zu thun und ging mit Leni fort.
Unterwegs begegnete ihnen der Fingerlfranz, welcher aus der Mühle kam. Im Vorübergehen erhob er, Leni drohend, die Faust.
»Wer war das?« fragte Wagner.
»Der Bräutigam.«
»Und er drohte Dir!«
Sie erklärte ihm aufrichtig den Grund. Inzwischen kamen sie an die Mühle, an deren Thür Paula in banger Erwartung stand.
»Und die ist die Braut,« sagte die Leni.
»So passen diese beiden Leutchen allerdings gar nicht gut zusammen. Wartet hier. Ich gehe hinein. Vielleicht wird Paula gerufen.«
Als die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, hörten die beiden Mädchen die Stimmen der Männer, erst ruhig, dann schärfer und lauter, zuletzt diejenige des Müllers gar zornig schreiend.
»Gott,« klagte Paula, »er wird nix ausrichten.«
»Das kann ich mir nicht denken.«
»Ja, hörst, wie der Vatern mit der Peitschen klatscht! Da stehts schlimm. Und wann es ihm gar einfallen sollt, nach dem Herrn zu schlagen, so – –«
»Das wird er nicht wagen!«
»Ihm ists dennoch zuzutrauen. Schau, da kommt der Fex herbei. Wann er es wüßt!«
Der Fährmann hatte doch nicht schlafen können. Der Gedanke an sein musikalisches Vorhaben ließ ihm keine Ruhe, und so war er wieder aus der »Kapelle« emporgestiegen. Er brauchte einige Nägel, um einen kleinen Schaden an der Fähre zu repariren, und kam jetzt nach der Mühle, sich dieselben zu holen. Er hörte die Stimme des Müllers schon von Weitem und fragte die beiden Mädchen, was es drinnen bei demselben gebe. Paula erklärte es ihm unter Thränen. Er zuckte gleichmüthig die Achseln und sagte:
»Den bringt kein König und kein Kaiser auf den andern Gedanken.«
»So zieh ich fort, Fex!«
»Nein, Du wirst bleiben.«
»So soll ich den Franz heirathen?«
»Wo denkst hin! Lieber thät ich sterben, als dies Unglücken mit anschaun. Ich werd mit dem Müllern reden.«
»Du?« rief sie, mehr erschrocken als verwundert.
»Ja.«
»Dich wird er gleich mit der Peitschen hinaushauen!«
»Hab keine Sorg um mich. Wann ich bisher still wesen bin, so hatt ich meinen guten Grund dazu. Von jetzt an aberst werd ich nicht mehr ihm gehorchen, sondern er mir. Ich werds Dir bald beweisen.«
Da öffnete Wagner von innen die Thür.
»Paula soll hereinkommen!«
Sie ging zitternd hinein; die Thür schloß sich wieder; aber der Fex lehnte das Ohr an dieselbe, um zu lauschen. Er verstand jedes Wort.
»Hör, Paula,« sagte der Müller, »da kommt dieser Mann herein und sagt mir, daß ich ihn zur Verlobung einladen hab und daß er aberst nicht kommen könnt, weil Du den Franz nicht haben willst und er also nicht der Zeuge von so einer Zwingerei sein mag. Jetzt nun sollst ihm sagen, daß er sich geirrt hat und daßt den Franz ganz gern magst. Jetzt red und zögre nicht!«
Er warf ihr einen gebieterisch drohenden Blick zu und schwang leise die Peitsche. Sie antwortete dennoch:
»Der Herr Wagnern hat Recht. Du willst mich mit Gewalt zwingen, und ich hab Dir bereits sagt, daß ich lieber in die weite Welt geh als den Franz nehmen will.«
So einen Widerstand hatte er nicht erwartet. Er blieb einen Augenblick lang stumm, um dann desto kräftiger loszubrechen. Das benutzte Wagner zu der schnellen und eindringlichen Erklärung:
»Da hören Sie es! Ich hoffe, Sie werden darnach handeln, und mache Sie darauf aufmerksam, daß es strenge Gesetze giebt, welche ein Kind gegen die ungerechtfertigte Tyrannei des Vaters schützen. Jetzt wissen Sie, woran Sie sind. Ich werde erfahren, was Sie thun, und mich darnach verhalten. Ihre Tochter steht unter meinem Schutze. Adieu!«
Er ging schnell fort, um nicht den Zornesausbruch des Müllers anhören zu müssen. Der Fex hatte kaum Zeit, von der schnell sich öffnenden Thür zurück zu weichen. Dann aber, als Wagner kaum verschwunden war, ertönte ein fürchterliches Brüllen des Müllers und zugleich klatschender Peitschenschlag.
Der Fex riß die Thür auf und sprang hinein, Leni hinter ihm her. Der Vater schlug die Tochter mit der Peitsche. Leni eilte auf Paula zu und schloß sie schützend in ihre Arme; der Fex aber entriß dem Alten die Peitsche und schleuderte sie in den Winkel. So eine That, so einen Widerstand hatte der Müller vom Fex noch nie erlebt. Das war ihm schier unbegreiflich. Er hielt mit Schreien inne und starrte ihn an.
»Fex – der Fex – – er wagts!« knirrschte er.
»Ja, ich wags!« sagte der junge Mann ruhig. »Es ist nun endlich mal aus mit Deiner Tyranneien. Jetzt komm ich auch mal an die Reihe!«
»Du – – Du – –?«
»Ja, ich! Jetzt wirst mir Gehorsam leisten, sonst weißt, was gleich geschehen wird.«
»Was – was wird geschehen?« stammelte der Müller, noch immer ganz fassungslos.
»Du sagst jetzund der Paula, daß sie den Fingerlfranzen nicht zu heirathen braucht!«
»Das – das soll ich sagen!«
»Ja, sogleich!«
»Bist verrückt? Hat Dich ein toller Hund bissen?«
»Nein, ich bin ganz bei Sinnen, besser als Du!«
»Und weißt doch nicht, daß ich Dich sogleich derschlagen werd!«
»Das wirst bleiben lassen!«
»Oho, mein Bursch!«
Er hatte sich von seinem maßlosen Erstaunen wieder erholt und wollte wieder losdonnern; aber der Fex ließ ihn gar nicht dazukommen. Er sagte:
»Schweig! Jetzt hab ich zu reden!«
»Du! Du! Was willst reden?«
»Von der Südana.«
»Von der – – –«
Er sprach nicht weiter, er brachte das Wort nicht heraus. Er war vor Schreck bleich geworden.
»Ja, von der Südana. Weißt, da drüben, als es geschah! Du hast geglaubt, allein zu sein, aberst ich war dabei, ich hab hinter dem Busch gelegen und Alles mit angesehen.«
»Lü – lü – lügner!« stieß der Alte lallend hervor.
»Ja. Und nun erscheint sie Dir bei Nacht, und Du mußt ihr Alles bekennen und ihr das Bild meiner Muttern zeigen!«
Die Augen des Müllers wollten aus den Höhlen treten; seine Lippen zitterten und er lallte unverstehbare Worte.
»Schau, warum bist nun still!«
»Weil – weil – weil –«
Er konnte nicht weiter. Der Fex fuhr fort:
»Also sag ich Dir jetzund noch im Guten: Wannt die Paula zwingst, so verzähl ich Alles und trag das Bild und die Papiere, welche bei demselbiger in der Brieftaschen liegen, auf das Gericht.«
Die Hände des Müllers fuhren unwillkürlich herab nach dem Kasten.
»Ja, such nur da unten! Du wirst nix finden. Da ist sie, die Du haben willst!«
Er zog die Brieftasche hervor und hielt sie empor. Der Müller wollte Etwas sagen, ließ aber den Kopf nach hinten sinken und schloß die Augen.
»Herrgott, der Vatern, der Vatern!« rief Paula und sprang auf ihn zu.
Er aber raffte seine verschwindende Kraft zusammen, richtete den Oberleib nochmals gerade in die Höhe und schrie sie an:
»Fort, fort mit Dir! Sogleich!«
Der Fex nahm sie bei der Hand und sagte:
»Komm! Den mußt allein lassen. Er kann Dich jetzt nicht gebrauchen. Dich nicht und Niemand nicht!«
Er zog sie und Leni zur Thür hinaus.
Der Müller blieb eine ganze Weile regungslos liegen, dann langte er mit der Hand langsam in die Tasche und zog den Schlüssel hervor, welchen in letzter Nacht der Fingerlfranz gesucht und gefunden hatte. Er war nicht auf den Gedanken gekommen, nachzusehen, ob der Kasten geöffnet worden sei. Jetzt holte er diese Versäumnis nach. Er machte den Kasten auf und wühlte vergeblich mit den zitternden Händen drin herum.
»Fort, fort ist sie!« stöhnte er. »Der Fex hat sie sich geholt! Er – er! Er ist nicht so dumm, wie er sich gestellt hat! Jetzt bin ich in seiner Hand. Er oder ich – Einer muß weichen. Aber ich werds nicht sein. Er muß sterben, weil er mich damals belauscht hat, und die Brieftaschen muß ich wieder haben. Nachhero hab ich Ruhe. Bis dahin aber muß ich klein zugeben. Wann ich nur wüßt, wie er herein in die Stuben kommen ist! Ich werd nimmer ruhen, bis ich das erfahr, und dann wehe ihm!« –
Sowohl die stehenden, als auch die vorübergehenden Bewohner der Badestadt befanden sich in einer ungewöhnlichen Aufregung – des für heute anberaumten Concertes wegen. Am Vormittage war die Hauptprobe abgehalten worden, mit außerordentlich günstigem Erfolge, wie man leise zu hören bekam. Dann war der Altmeister Liszt angekommen und im feinsten Hotel abgestiegen. Er hatte nur eine einzige Nummer vorzutragen und dennoch sich einen besonderen Flügel mitgebracht. Das imponirte gewaltig. Die Menge hatte von vor bis nach der Probe das Theatergebäude belagert, um die Sängerin zu sehen – vergebens. Kein Mensch hatte von dem schlichten Mädchen in Gebirgstracht, welches auch eine halbe Stunde lang wie wartend dagestanden hatte unter den Neugieriger und dann unbeachtet durch eine kleine Seitenpforte verschwunden war, geglaubt, daß es die Mureni sei.
Alle Plätze waren ausverkauft, kein einziger mehr zu haben. Man wußte, daß nur wenige durch Freibillets belegt worden waren. Welche Summe mußte da eingekommen sein! Diese Billets aber waren nicht etwa nur hier in der Stadt verkauft worden, nein, von weit her aus allen Richtungen waren telegraphische Bestellungen eingegangen, und nun kamen mit jedem Zuge die Vertreter und Verehrer der musikalischen Kunst, mit vor Freude und Spannung leuchtenden Angesichtern in Erwartung des bevorstehenden Hochgenusses. Alle Hotels und Gasthöfe waren gefüllt, Privatwohnungen bereits seit Tagen bestellt worden.
Selbst Diejenigen, welche kein Verständniß oder kein Geld für die heutige Aufführung besaßen, suchten heute die Straßen und Gassen auf; es war ein ungemein reges Treiben, hin und her und überall. Daß Liszt, der berühmte Abbe, sich nach jahrelanger Pause wieder hören lassen wollte, war ein musikalisches Ereigniß; auch Antonio Rialti, der Concertmeister, war in den betreffenden Kreisen berühmt, auf Beide war man hoch gespannt. Daß aber neben diesen Meistern eine Anfängerin auftreten, eine arme Sennerin zum ersten Male vor einem so anspruchsvollen Publikum singen sollte, das war noch mehr als ein bloses Ereignis, das war geradezu ein Wunder.
Die Stimmen waren getheilt. Die Einen behaupteten, daß man dies ein großes Wagniß nennen müsse, und die Anderen sagten, daß es für eine Anfängerin nichts Vortheilhafteres gebe, als ihr Debüt vor einem Auditorium abzulegen, welches durch die Leistungen von Meistern der Kunst in Ekstase versetzt und also willig und bereit zu einem milden Urtheile sei.
Woher es entstanden sei, das wußte Niemand, aber es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß sogar der König anwesend sei und Richard Wagner mit ihm, um sich an dem Triumphe der Sennerin zu erfreuen.
Man fragte, man erkundigte sich auf das Angelegentlichste – vergebens. Niemand konnte erfahren, wo die beiden genannten Herren ihr Absteigequartier genommen hatten.
Die Stadt hatte natürlich einen bedeutenden Vortheil von diesem Ereignisse. Die Gärtnereien, welche jetzt im Mai nicht mit sommerlichen Kindern Floras versehen waren, waren ausverkauft. Jede Dame wollte beim Concerte geschmückt erscheinen und Einige hatten während ihrer Einkäufe die leise Depesche aufgefangen, daß bereits seit gestern an riesigen Lorbeerkränzen gearbeitet worden sei.
Würde die Sennerin sich wohl auch einen solchen erringen? Viele, wohl die Meisten, zweifelten daran.
So verging der Nachmittag und der Abend brach herein. Der Haupteingang zum Theater wurde geöffnet, aber es war Polizei requirirt worden, um dem ungeheuren Andrang Ordnung zu halten.
Ein halblautes Summen schwebte über der Menge, welche das Gebäude umstand. Man gedachte, den König aussteigen zu sehen, denn natürlich kam er, der bekanntlich Prachtliebende, jedenfalls in seiner Equipage vorgefahren.
Die Meisten drängten sich zum Eingange, welchen die Künstler zu passiren pflegten. Dort mußte man doch unbedingt Liszt, Rialti und die Mureni ankommen sehen.
Die Zeit verging – nur noch zwei Minuten bis zum Beginn, und doch hatte man von den Genannten noch keine Spur bemerkt.
Das hatte seinen Grund.
Kein Mensch hatte auf den alten Gebirgler gemerkt, welcher mit seinem Mädchen sich durch den Haupteingang gedrängt hatte. Nur einer der Polizisten hatte zu ihm gesagt:
»Wurzelsepp? Du willst auch hinein? Das ist doch wohl ein Irrthum! Das Haus ist ausverkauft und heute giebts überhaupt kein Billet für fünfzig Pfennige!«
»Weiß gar wohl. Hab ein besseres.«
»Zeig her, sonst kann ich Dich nicht hineinlassen.«
»Da sinds alle zwei.«
Zum größten Erstaunen des Beamten befand sich der Alte im Besitz der zwei besten Plätze in der Orchesterloge.
»Wo hast die her?« frug er.
»Der Storch hats mir bracht?« lachte der Alte und zog seine Leni mit sich fort.
Liszt war im einfachen Ueberrock, den breiten Kragen hoch ausgeschlagen, damit man ihn nicht an seiner langen, grauen Haarmähne erkennen möge, durch die Menge geschlüpft. Ganz ebenso hatten es auch der König und Wagner gemacht, welche sich keiner Equipage, sondern der Stiefeln bedient hatten. Sie saßen in der Mittelloge des ersten Ranges, welche bei feierlichen Gelegenheiten für die höchsten Beamten reservirt zu sein pflegte. Die Vorgardine derselben war geschlossen, so daß man vom Zuschauerraume nicht in das Innere zu blicken vermochte.
Nur eine Minute vor Beginn schob sich ein kleines, hageres, unansehnliches Männchen, welches einen Violinkasten trug, durch die eng gedrängte Menschheit nach der Außenthür des Orchesters – Antonio Rialti.
»Der fünfte Violinist!« lachte Einer.
»Pah! Paganini! Man siehts ihm ja gleich an!« höhnte ein Anderer.
Der Concertmeister verschwand, und so hatte kein Mensch die Ueberzeugung, einen der so sehnsüchtig Erwarteten gesehen zu haben.
Im Zuschauerräume war das Gas halb eingedreht. Die Flammen brannten klein und trübe und die Reihen der Plätze lagen im Halbdunkel. Jetzt ertönte der silberne Klang eines Glöckchens; der Capellmeister erhob den Taktstock und der Haupthahn der Gasleitung wurde geöffnet. Sofort überfluthete ein Lichtmeer den weiten Raum und Jeder ließ seinen Blick umherschweifen, um zunächst eine Uebersicht der Anwesenden zu nehmen.
Natürlich aber richteten sich die Blicke Aller zunächst nach der beschriebenen Mittelloge. In demselben Augenblicke wurde die Gardine weggezogen und Alle sahen den geliebten König in voller Beleuchtung auf seinem Platze, Wagner um einen leeren Platz neben ihm zur Linken. Wie auf ein gegebenes Zeichen erhoben sich die Hunderte der Anwesenden von ihren Plätzen, der Tactstock des Kapellmeisters fiel nieder und das reichbesetzte Orchester schmetterte einen jubelnden Tusch, in welchen das laute, schallende Hoch des Publikums dreimal einstimmte.
Der König erhob und verneigte sich und gab dann mit der Rechten das Zeichen, die Plätze wieder einzunehmen. Dieser Vorgang war ganz außerordentlich geeignet, das Publikum in eine begeisterte Spannung zu versetzen.
Die erste Nummer des Programms war eine Jubelouverture, welche die Kapelle mit allem Glanz executirte. Sie war aber den Meisten bereits bekannt, und so hatte man mehr Augen für die Umgebung, als Ohren für den Vortrag.
Es war wirklich ein glänzendes Auditorium versammelt, so elegant und glänzend wie hier noch niemals. Offiziere und Civilisten mit ihren Ordensdecorationen, geistreiche und bedeutende Gesichter überall, ein Damenflor, wie die Götter des Olympes ihn sich nur hätten wünschen können. Augen blitzten, Lippen lächelten, Rosen dufteten und bewegte Fächer wehten ein leise bewegtes, parfümirtes Luftmeer durch den brillant erleuchteten Raum.
Da war es wohl leicht erklärlich, daß die Blicke sehr verwundert auf das sonderbare Paar fielen, welches dort in der Orchesterloge saß, der Alte mit seinem Mädchen. Das waren arme Leute aus einem Gebirgsdorfe. Wie kamen diese in den glänzenden Tempel der Kunst?
Der Alte – – nun ja, sein Gesicht schien wohl sauber gewaschen zu sein und den Bart hatte er sich auch gekämmt, wohl zum ersten Male in seinem Leben, einen weißen Halskragen hatte er umgethan, aber das Halstuch, welches unter demselben über der Brust herabhing, und die alte Lodenjoppe, aus deren kurzen Aermeln die neuen, weißen Manchetten hervorsahen, wie junge, saubere Kätzchen aus einem alten Lumpen, und die struppigen, grauen Haare, die sich dem ungewohnten Strich des Kammes nicht gefügt hatten, die großen, braunen, knochigen Hände und das wetterharte, scharf gezeichnete Gesicht – das Alles paßte doch gar nicht in den lichtflimmernden Raum und zu der hoch distinguirten Umgebung.
Und das Mädchen an seiner Seite – nun ja, es hatte ein allerliebstes Gesicht und die Blicke manches der vornehmen Herren blieben an dem vollen, plastisch aus dem Mieder hervortretenden Busen und den schneeweißen, üppigen, nackten Armen haften; aber das Gewand gehörte doch höchstens auf die Gasse eines Dorfes. Wenn eine vornehme Dame in großer Toilette ihren Busen und ihre Arme entblößt sehen läßt, das hat Berechtigung und Chic, aber so eine Bauerndirne mit nackten Armen, das ist doch gemein – pfui! Die Augen der hohen Damen kniffen sich beleidigt zusammen und wendeten sich von dieser Person weg. Die Theaterdirection hätte doch unbedingt dafür sorgen sollen, daß an so ordinäres Volk keine Billets abgegeben werden – noch dazu gar für die Orchesterloge!
Zwei Augen aber wollten und konnten nicht von ihr weichen – diejenigen des Krikelantons. Er saß mit dem Wiener Musikprofessor und dessen Frau auf erstem Rangplatze, der Leni gerade gegenüber. Er hatte einen Anzug des Professors angelegt und stach also gar nicht im Geringsten von seiner Umgebung ab. Das war wohl der Grund, daß Leni ihn nicht bemerkte. Freilich ließ sie ihre Augen auch gar nicht neugierig umherschweifen, sondern sie unterhielt sich mit dem Wurzelsepp und that dabei, als ob gar Niemand weiter vorhanden sei, sonst wäre, wenn sie emporgeblickt hätte, ihr Auge sicher an dem einstigen Geliebten haften geblieben, denn sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht mit den kräftigen, männlich schönen Zügen stand doch in immerhin einem Contrast zu der städtischen Kleidung, welche er trug.
Einer aber hatte ihn doch bemerkt, nämlich der Sepp, doch hütete dieser sich, die Leni auf ihn aufmerksam zu machen; aber er wartete einen Augenblick ab, an welchem der Anton zu ihm herniederblickte, und setzte den Daumen der weit ausgespreizten Hand an die Nase, so wie es streitende Jungens machen, wenn sie sich gegenseitig eine Nase machen.
Diese unästhetische Pantomime wurde von mehreren Anwesenden bemerkt und natürlich mit genug Empörung weiter erzählt, so daß der gute Sepp zu seinem innigsten Vergnügen bemerke, mit welcher Indignation und Verachtung die Blicke so Vieler sich auf ihn richteten.
Jetzt war die Ouverture beendet. Sie erntete den Beifalls welcher der ersten Nummer eines Concertes, wenn sie bereits bekannt ist, zu werden pflegt – einen kühlen Achtungserfolg.
Als Nummer Zwei war im Catalog oder vielmehr Programm angeführt »Variation über ein Thema von Spohr – vorgetragen von Herrn Concertmeister Antonio Rialti.«
Ein Theaterdiener brachte den Geigenkasten auf die offene Bühne und legte ihn auf einen seitwärts stehenden Tisch. Das Glockenzeichen wurde gegeben. Ein leises Rauschen ging durch den Zuschauerraum, Jeder rückte sich in eine bequeme Stellung zurecht, um den zu erwartenden Kunstgenuß recht auf sich einwirken zu lassen.
Rialti trat vor und verbeugte sich.
Er war schwarz gekleidet, wie gewöhnlich. Die Schöße seines Frackes waren für die gegenwärtig herrschende Mode ein Wenig zu breit und zu lang; das fiel auf. Vielleicht glaubte er, daß seine kleine, hagere Gestalt dadurch Etwas höher erscheine, doch brachte es gerade die entgegengesetzte Wirkung hervor. Als er die weißen Glacehandschuhe auszog und den Violinkasten öffnete, sah man mehrere kostbare Brillanten an seinen Händen blitzen. Auf seiner schmalen Brust glänzten einige Orden, welche er sich ergeigt hatte.
Seine Gestalt, sein Aeußeres machten keineswegs einen sympathischen Eindruck. Das peinlich glatt rasirte Gesicht hatte einen ausgesprochen faunischen, roh sinnlichen Ausdruck. Wer das hervortretende, spitze Kinn, die dagegen sehr zurückweichende Stirn, die scharf gebogene Nase mit den aufgeblähten Flügeln und den breiten, geradegeschnittenen, lippenlosen Mund sah, den überkam augenblicklich das Gefühl, daß dieser Mann ein großer Liebhaber jener Vergnügungen sei, über welche man gern den Schleier des Geheimnisses fallen läßt.
Er verbeugte sich mit Eleganz, wobei sein Auge einen Halbkreis von links nach rechts beschrieb. Da, plötzlich stutzte er und verbeugte sich nochmals in eine ganz bestimmte Richtung hin, kurz zwar nur, aber doch so, daß es bemerkt wurde.
Wem galt dieser Gruß? Aller Augen blickten nach der betreffenden Richtung. Dort saß auf dem Vorderplatze einer Parquetloge die dicke Frau Directorin Qualéche, höchst eng eingezwängt von den beiden Armlehnen. Sie schwitzte bereits jetzt schon dicke Tropfen und wehte sich mit dem Fächer Kühlung zu, während sie in der anderen Hand das Taschentuch hielt, um sich den rinnenden Schweiß aus dem Gesicht zu trocknen. Neben ihr saß Paula, die Müllerstochter, heute in städtischer Kleidung. Ihr lieblich-schönes, reizendes Gesichtchen blickte wunderbar erquickend unter der leichten, seidenen Hülle hervor, welche sie um das Köpfchen drapirt hatte. Welche von diesen Beiden war es, der die Verbeugung des Concertmeisters gegolten hatte? Wohl dem jungen Mädchen? Bei diesem Gedanken mußte es Einem überkommen, als ob der Fuchs einem Rebhühnchen freundlich guten Tag gesagt habe, um es dann mit allem Appetit zu verspeisen.
Er hatte die Violine aus dem Kasten genommen und ließ den Finger leise über die Saiten gleiten, um sich zu überzeugen, ob sie noch gut in der Stimmung ständen. Dann legte er sie an. Ein kräftiger Bogenstrich riß den gebrochenen G-dur Accord von der untersten Saite bis hinauf in das Flageolet- H und daran schloß sich nun das einfache, melodiöse Thema von Spohr, welches er in ausgezeichneter Weise virtuos variirte.
Man mußte gestehen, daß er ein Meister seines Instrumentes sei und die Technik desselben völlig inne hatte; aber Eins fehlte ihm – seinem Spiele fehlte die Seele. Es lag nicht das mindeste Gefühl in seinem Vortrage, und darum war der Beifall, welchen er erntete, auch kein allgemeiner. Er wurde ihm nur von Denen gespendet, welche sich durch eine ungewöhnliche Fertigkeit imponiren lassen.
Als er mit einer Verbeugung abgetreten war und nicht wieder hervorgerufen wurde, fiel die Innengardine vor der Bühne nieder und die Capelle spielte als dritte Nummer eine brillante Gavotte, welche noch Niemand kannte.
Unterdessen gab es einige interessante Scenen hinter der Bühne und am Eingange des Theaters.
Dort war nämlich der Fex erschienen, ganz in demselben Anzüge, den er gewöhnlich trug. Er hatte ja noch keinen andern. Er wollte ganz gemächlich nach dem Gange einbiegen, welcher nach dem Aufstiege zu den hinter der Bühne liegenden Räumen führte; da aber trat ihm der hier stationirte Polizist entgegen.
Der Fährmann war allgemein bekannt, und es war auch gar nicht zu verwundern, daß sein Erscheinen hier Befremden erregte. Sein Aeußeres war ja gar nicht den Ansprüchen entsprechend, welche man an einem solchen Orte zu machen berechtigt ist.
»Fex, Du hier?« meinte der Polizist. »Du willst Dir doch nicht etwa das Concert mit anhören?«
»Ja, das will ich freilich,« antwortete der junge Mann offen und unbefangen.
»Das wirst Du wohl bleiben lassen!«
»Nein, das werd ich wohl nimmer bleiben lassen; ich komm ja grad nur von wegen dem Concert hierher.«
»In dieser Kleidung?«
»Ja. Oder meinst etwan, daß man auf einem Concertl gar kein Gewandl anzuhaben braucht?«
»O nein, denn Schwimmstunden werden hier nicht gegeben. Ich darf Dich in diesem Aufzuge nicht passiren lassen.«
Der Fex blickte lächelnd an sich hernieder, bis auf seine nackten Füße herab.
»So gefall ich Dir nicht?« fragte er.
»Nein.«
»Nun, kommts hier so auf das Deinige Wohlgefallen an?«
»Auf den allgemeinen Anstand kommts an, verstanden!« meinte der Polizist in einem etwas strengeren Tone.
»Nun, in grad demselbigen Anzug geh ich doch auch in der Stadt und auf der Straßen herum!«
»Da mag es freilich passiren.«
»Aber dort muß doch grad der allgemeine Anstand erst recht vorhanden sein. Oder giebts vielleicht hier einen noch allgemeineren?«
»Nein, einen besonderen. Und da paßt Du nicht herein.«
»Ob ich hereinpaß oder nicht, das wird wohl am Meisten hierauf ankommen. Da, schau einmal!«
Er zog eine Karte aus der Tasche und hielt sie ihm hin. Der Polizist nahm sie und las:
Sogar das Siegel der Direction war darunter gesetzt und darum erklärte der Beamte, indem er ihm die Karte zurückgab:
»Wenn das so ist, so muß ich Dich freilich passiren lassen.«
»Nicht wahr? Ja, wannt auch so eine Karten hättst, so könnst Dir das Concertl auch mit anschaun und mit anhören. Gelt?«
»Gehst wohl auf den ersten Rang?«
»Noch höher!«
»Ah! Wohin wäre das?«
»Auf die Bühn hinauf. Ich spiele selber mit.«
»Was denn? Sechsundsechzig oder schwarzen Peter?«
»Keins von den Beiden. Wannst recht hübsch lauschst und das Ohr an eine Thüren legst, kannsts hören.«
Er ging. Leni hatte ihm den Weg ganz genau beschrieben, so daß er sich nicht irren konnte.
Zwischen ihm und ihr hatte es überhaupt eine heimliche Vereinbarung gegeben, welche von dem Wurzelsepp eingeleitet worden war.
Nämlich heut früh, nach der Scene mit dem Thalmüller, war der Sepp zur Leni gekommen und hatte sie gebeten, einmal hinüber nach der Fähre zum Fex zu gehen. Als sie zu diesem gekommen war, hatte er sie um die Erlaubniß gebeten, das Concert mit anhören zu dürfen. Nachdem ihm die Erklärung geworden war, daß sie ihm gern die Erlaubniß auswirken wolle, hinter der Scene zuzuhören, hatte er sie gefragt:
»Hast denn auch was Schönes, wast singst?«
»O freilich.«
»So! Ich hätt aberst auch was für Dich.«
»Du? Ja, der Sepp hat mir freilich anvertraut, daßt auch Musik machst. Aber singen thust doch nicht.«
»Nein, aberst compernirn.«
»Du? Ein Componist?« lachte sie.
»Freilich.«
»So hast Harmonie studirt und Generalbaß?«
»Der Sepp hat mir ein paar Büchern versorgt, schon seit langer Zeit, wo's von deren Harmonie drinnen steht und von dem Generalen seinem Baß!«
»Das wird auch ein schöner Bassen gewesen sein!«
»Der richtige ists wesen. Und als ich nun vom Sepp hört hab, daßt eine arme Sennerin wesen bist, und der König hat sich Deiner angenommen, so daßt nun so eine gar berühmten Künstlerinnen werden sollst, da hab ich eine große Freuden gehabt und Dir ein Liedl compernirt, wast heut mit singen könntst.«
»Heut mit singen?«
»Ja, weißt, weil der König selber mit dabei ist.«
»So! Weißt denn nicht, daß bei so einem Concert blos Meisterstücken sungen werden dürfen?«
»Wohl weiß ich das. Aber so ein kleines Liedl wirst wohl noch mit einschleichen lassen können.«
»Vom Fex, als Componisten!«
»Ja. Ich glaub nicht, daß man Dich deshalben aufhangen wird. Es klingt gar nimmer sehr übel.«
»So!« sagte sie in dem Tone, in welchem man mit naiven Kindern zu reden pflegt. »Ists ein Lied ohne Worte?«
»Nein; es ist ein Text auch dabei.«
»Wer ist der Dichter desselben?«
»Der Fexen.«
»Ja.«
»So bist nicht nur ein Komponist, sondern auch gar ein berühmter Dichtern allbereits? Das hätt ich nicht gedacht.«
»Leni, ich will Dir mal was sagen. Du bist ein bravs Dirndl, und ich halt gar große Stucken auf Dich. Es kränkt mich also, wannt mich auch grab so beurtheilst wie Andre. Ich hab dran denkt, wie der König zu Dir kommen ist und wie der Krikelanton nun nix mehr von Dir wissen will deswegen. Das hat mich gerührt und im Herzen ergriffen. Und wie's da im Herzen drin steckt hat, so hab ichs herauskommen lassen und auf Papier schrieben und die Noten dazu auch. Ein Meisterstucken kanns freilich nimmer sein, aberst passen thäts wohl prächtig für die erste Proben, die Du heut ablegst, und auch grad, weil der König dabei ist. Wannts nur wenigstens mal probiren wolltst!«
Um ihn nicht weiter zu kränken, sagte sie:
»Nun, das könnt ich alleweil schon mal versuchen. Aber wie willst ein Gedichten machen können, wunnt nicht mal richtig hochdeutsch reden kannst, und gar schreiben!«
Er machte ein höchst pfiffiges Gesicht.
»Meinst?«
»Ja, das hör ich doch.«
»So! Nun, hat Dir der Sepp nimmer sagt, daß ich mich zuweilen verstellen thu, so ein kleins Bisserl?«
»Das hat er freilich sagt.«
»Schau, so ists auch mit dera Sprachen.«
»So kannst hochdeutsch?«
»Wie geleckt.«
»Nun, so laß mal das Gedichten sehen! Weißt, es will gar mancher gelehrte Doctorn und Professern ein Gedichtl machen und bringts doch nicht fertig. Da möcht ich doch gern sehn, wie das Deinige ausschaun thut.«
»Arg genug, wirst denken! Aberst es kommt da nimmer drauf an, ob man ein Professorn ist oder ein Steinklopfer. Wann das richtige Dichten drinnen steckt, so kommts auch richtig heraus, und ich will Dir wohl gestehn, daß ich allbereits schon viele tausend von Reimen macht hab, aberst ausschrieben noch keinen. Ich hab auch eine kleine Biblotheken, wo nicht mal der Sepp und kein Anderer auch was davon weiß. Da hab ich lesen und studirt viele Nächten lang. Ich denk, daß es nicht so ganz umsonsten gewest ist. Wannt also meinst, daß ich vielleicht so weit bin oder so weit zuruck wie ein Schulbuben; so taxirst mich falsch. Und nun, willst das Gedicht hören?«
»Ja. Zeigs her!«
»Nein, ich werds Dir selber vorlesen. Thu mir den Gefalln, lehn Dich da an denen Baum und mach die Augen zu. Dann werd ich beginnen.«
Sie that ihm den Gefallen. Er zog ein Papier aus der Tasche und las die Zeilen vor, die es enthielt.
Ja, das war eine andere Stimme, eine andere Sprache, ein ganz anderer Ausdruck! Bereits nach den ersten Worten öffnete sie die Augen. Das Papier in der Linken, begleitete er seinen Vortrag mit den Gestikulationen der Rechten. Seine Wangen rötheten sich, und seine Augen leuchteten. Auch die ihrigen begannen, sich höher zu beleben. Erst überrascht, dann erstaunt und später mit Verwunderung blickte sie ihn an. Ihr Blick las die Worte von seinen Lippen, und endlich, als er die letzten mehr vordeklamirte, als er sie vorlas und sie in derselben ihr eigenes Geschick beschrieben fand, da zog es sie vom Baume hinweg, langsam aber stetig zu ihm hin. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, und als er geendet hatte, sagte sie unter lautem Schluchzen aber im Tone wirklichster, echtester Begeisterung:
»Ich steh in meines Königs Schatten,
Mein König hat an mich gedacht!«
Herrlich, herrlich! Und das hast selber gedichtet, Fex?«
»Ja.« antwortete er unter einem demüthigen Niederschlag der Augen.
»Das sollte man nicht glauben!«
»Meinst, daß es nicht ganz schlecht klingt?«
»Schlecht, schlecht! Wo denkst hin! Ich will Dir sagen, Fex, daß ich viel Unterricht und viele Lehrern hab. Ich hab in kurzer Zeit viel lernen müssen und manches Gedicht kennen lernt, weil ichs ja singen mußt, von Heine, von Gehrock, von berühmten Andern, aber keins hat mir so sehr gefallen, und keins ist so ergreifend wie dieses. Wie lautet die Ueberschriften?«
»Die alte Bettlerin. Weißt, die ist verloren und verlassen gewest von der ganzen Menschheit; da hat sie mal den König troffen hier, als er einen Tag hier gewest und spazieren gangen ist. Da hat sie ihm ihr Herzeleid erzählt, und er hat ihr ein Jahrgeld geben, von dem sie ihre letzten Tag ohne Sorg und Roth hat leben könnt. Und als sie vor zwei Jahren hier starben ist, da hat sie noch vor dem Tod den lieben, guten König tausendmal segnet und ihn dem Herrgott empfohlen. Schau, daran hab ich denkt und »die alte Bettlerin« dichtet mit den Schlußworten allemal an jeder Stroph:
Ich stand in meines Königs Schatten,
Mein König hat an mich gedacht!
Und sodann, als ich hört hab, daß er auch zu Dir so gnädig wesen ist und hat Dich armes Wurm von der Alm weggenommen und für Dich zahlt, daßt eine Künstlerinnen werden magst, da hab ich an dies Gedicht noch einen Vers macht mit denselbigen Endworten und auch eine Melodieen dazu, daßt sie heut singen kannst, wann er mit im Theatern sitzt und Alles hört.«
»So ists, so!« sagte sie, tief aufathmend. »Das hätt ich Dir im Leben nicht zutraut, daßt so ein gescheidtiger Kerlen bist und so ein Gedichten fertig bringst. Aber die Musiken dazu, wie stehts mit der?«
»Willst sie auch sehen?«
»Natürlich!«
»Ja, damit freilich kann ich am End nicht viel Ehren einlegen. Ich hab nur eine Geigen, aberst kein Pianoforten, um den Zusammenhang hören zu können. Bei einem Orchestern bin ich auch nie wesen, und so hab ich nur nach denen Regeln setzen könnt, die ich im Buch funden hab. Ich weiß nicht, ob das genügt. Aberst das kann ich sagen, daß mir auch die Melodei grad so aus dem Herzen rausgeflossen ist wie das Gedicht, und wanns darnach geht, so wirds freilich fein klingen. Hier ists!«
Er zog ein zweites Papier hervor, welches mit Noten beschrieben war. Sie nahm es und las es aufmerksam durch. Dann begann sie leise zu summen, nachher lauter und lauter, und endlich brach sie in die Frage aus:
»Fex, lieber Fex, sind die Noten wirklich von Dir?«
»Ja freilich.«
»Wirklich? Sags aufrichtig!«
»Meinst, daß ich Dich belügen werd!«
»So komm her. Du herzguter Bub!«
Sie ergriff ihn beim Kopfe und gab ihm einen kräftigen, schallenden Kuß auf den Mund.
»So, da hast! Dieses Busserl kommt auch von Herzen und ist gut und brav verdient.«
»Herrgott!!« rief er erschrocken.
»Was jammerst denn?«
»Du hast mich küßt. Du, Du!«
Er war blutroth geworden.
»Freilich, ich! Ja, da erschrickst sogar. Ich weiß aber schon: Ein Busserl von der Paula wär Dir lieber.«
»Leni!« rief er aus.
»Was? Hab ich nicht Recht?«
»Was fallt Dir ein!«
»Die Wahrheit.«
»Aberst wanns Jemand hört!«
»Nun, es ist ja Niemand da!«
»Jedoch Du hast schreit, daß mans zehn Meilen weit hören kann. Mußt doch denken: die Paula, die reiche Müllerstochter, die schöne, und ich, der arme Fex!«
»Arm? O, Du Hascherl! Reich bist, sehr reich!«
»So? Davon weiß ich freilich nix.«
»Na, wer so dichten kann und dazu eine solche Musiken setzen, der bringts sicherlich mal in deren Welt zu was!«
»So hats Dir gefallt?«
»Und wie!«
»Dann sag, obsts singen kannst!«
»Kannst? Natürlich. Solche Noten sing ich gleich ganz glatt und gleich vom Blatt herunter.«
»Obsts aberst auch singen willst!«
»Meinst heut schon, zum Concerten?«
»Ja.«
Sie sann einen Augenblick nach und antwortete dann:
»Weißt, ich will Dir aufrichtig sagen: Dieses Lied, wann ichs singen dürft, war das allerbeste Stücken, was heut auf dem Programmen ständ; aber eben ist das Programmen bereits fertig, und hier steht nur die Partituren; da müßten noch die Stimmen außischrieben werden, und vielleicht hätt der Kapellmeistern auch noch was zu ändern; denn wannst auch componiren kannst, aber die Instrumenten richtig anzuwenden, das hast doch nicht gelernt.«
»Da hast freilich Recht. Jetzt ists nun alleweil nix mit dem Liedl, und ich hatt mich so drauf gefreut, es zu hören.«
»So! Hattst Dich wirklich? Nun weißt, ich werd noch ganz vor der Proben zum Capellmeistern gehn und ihm gleich Alles vorzählen.«
»Alles?«
»Ja.«
»Du, eine!«
»Warum nicht?«
»Weil er nicht wissen soll, daß – daß –«
»Nun, was soll er nicht wissen?«
»Wies mit mir steht, und daß ich nicht der dumme Fex bin, für den man mich hier immer halten hat.«
»Willst etwan dieser dumme Fexen immer bleiben?«
»Nein, wohl nicht.«
»Nun also! Wanns die Leutln einmal erfahren sollen, warum sollens nicht gleich heut und jetztund erfahren?«
»Hm! Recht hast vielleicht.«
»Also gut. Ich werd ihm Alles verzählen, und nachhero wird sichs zeigen, was geschehen thut. Freilich muß ich da das Liedl mitnehmen, wannst mir erlaubst.«
»Immer, immer nimms mit!«
»So gut! Und nun will ich auch gleich gehen. Hier hast meine Hand, lieber Fex. Wir wollen gut Freund sein und bleiben. Vielleicht wird mal ein großer und berühmter Künstlern aus Dir, und wannt nachhero mal ein großes Concerten giebst, so läßt michs wissen, daß ich auch komm und eine Nummern mitsingen kann. Das wär doch ein Gaudi, wann mir mal so mitsammen concertiren könnten, wir zwei Beid!«
Er schüttelte ihr die Hand und antwortete:
»Wannt das wünschen thust, so kann Dein Wunsch wohl bald in Erfüllung gehen.«
»Meinst?«
»Wohl ehern noch, alst denkst und ahnst.«
»Doch nicht etwan heut schon bereits?« scherzte sie.
»Na, mach keinen Spaßen; es könnt doch noch gar ein Ernsten draus werden.«
»Das sollt mich sehr gefreun!« lachte sie lustig. »Aberst es ist schon dafür gesorgt, daß dera Ziegen der Schwanz nicht gar zu lang wachsen thut. Ehst ein Concerten mitgeben kannst, wirst noch gar viel üben müssen!«
»Wollen sehen!« lachte er mit.
»Also behut Gott! Gleich nach der Proben bring ich Dir den Bescheid hierher. Ich will gern wünschen, daß er gut ausfallen mag.«
»Und ich werd kaum Athem finden, um zu erwarten, wie er lauten mag. Lauf schnell, Leni!«
»Wie ein Gamsen! Da, paß mal auf!«
Sie lief so eilig fort, daß er über ihre Sprünge lachen mußte. Dann ging er an das Wasser und setzte sich auf den Sitz seiner Fähre.
Wer ihn hier beobachtet hätte, wie er so in sich versunken und mit halb stupidem Gesichtsausdruck da saß, der hätte sicherlich nicht angenommen, daß er der Verfasser eines solchen Gedichtes sein könne. Noch viel weniger aber konnte man ihm ansehen, daß ihn eine außerordentliche Unruhe beherrsche. Er konnte die Rückkehr Leni's kaum erwarten.
Später kam der Sepp und setzte sich zu ihm. Beide besprachen leise ihre den heutigen Abend betreffenden Pläne. Der Fex erzählte natürlich auch, daß er der Leni das Lied mitgegeben habe.
»So bin ich begierig, was der Kapellmeistern dazu sagen wird,« meinte der Sepp. »Vielleicht feierst heut sogar einen doppelten Triumpfen anstatt nur einen einfachen.«
Endlich, endlich kehrte die Sängerin aus der Stadt zurück. Sie ging nicht nach der Mühle, sondern gradewegs zur Fähre. Als sie ihren Pathen erblickte, fragte sie:
»Sepp, kannst auch rudern?«
»Na freilich!«
»Daßt die Leutln nicht ins Wassern schüttest, die Du hier überfahren mußt?«
»Würd mich sehr wohl hüten, denn da fiel ich doch auch mit hinein. Aber soll ich denn überfahren?«
»Freilich!«
»Warum?«
»Weil der Fex sogleich in die Stadt muß.«
»Was soll er da?«
»Er soll gleich zu dem Capellmeistern kommen.«
»Himmelsakra!« rief der Fex. »Soll ich zu ihm kommen? Das ist ja ein sehr gut Zeichen!«
»Ja, Dein Liedl wird mit aufs Programmen kommen, wann er mit Dir selberst vorher reden kann. Er muß einige Stimmen ändern und will Dich da erst um Deine Erlaubnissen fragen.«
»O, die soll er gar gern bekommen.«
»Und die Programmen, die bereits fertig sind, die werden weggelegt und dafür in aller Geschwindigkeiten neue gedruckt. Mußt aber gleich zu ihm.«
»Ich lauf schon bereits. Sepp, fahr übern, wann Jemand kommen sollt. Ich lauf; ich lauf schon!«
Er rannte fort, in, größter Eile, nicht etwa auf dem Weg, sondern gleich am Flußufer hin, durch dick und dünn.
»Weißt auch, wo er wohnt?« rief ihm die Leni nach.
»Ja,« schrie er zurück. »Ich lauf, ich lauf!«
Und nach einigen Augenblicken fiel ihr noch Etwas ein.
»Fex! Fex!«
Er blieb stehen.
»Was hast nun auch noch wieder?«
»Sag ihm nix davon, daßt heut Abend auch mit kommst!«
»Nein, nein!«
Er wollte eiligst weiter.
»So wart doch noch, Du Sakrifix!«
»So red und mach schnell! Ich hab keine Zeiten übrig.«
»Ich hab bereits ein Billeten für Dich, von deren Direction. Du brauchst also Niemanden wissen zu lassen, dem Capellmeistern aber erst recht gar nicht!«
»Schön! Bist nun fertig?«
»Alleweil ja!«
»Gott sei Dank! Nun endlich kann ich laufen!«
Und er lief, und wie! Erst als er die ersten Häuser der Stadt erreichte, hemmte er seine Schritte, um nicht gar zu auffällig zu erscheinen. Er befand sich in einer so glücklichen Aufregung, wie er sie noch nie gefühlt hatte.
Der Capellmeister spazierte oft nach der Thalmühle und fuhr da auch zuweilen über. Darum kannte er den Fex sehr gut. Aus diesem Grunde war es ihm als ganz und gar unglaublich erschienen, daß dieser für stumpfsinnig gehaltene Mensch der Dichter und Componist dieses herrlichen Liedes sein sollte.
Es war dem musikalischen Satze zwar anzuhören, daß der Verfasser kein geübter Musiker sei; es kamen mehrere Härten und kleine Mängel vor; aber das konnte mit einigen Federstrichen geändert werden, und dann war das Lied nicht nur salon- und concertfähig, sondern es ließ sich sogar vorausbestimmen, daß es bedeutenden Effect machen werde.
Als der Fex die ersten Fragen des Capellmeisters beantwortet hatte, sagte der Letztere erstaunt:
»Aber Fex, Du bist heut ja ein ganz anderer Kerl, als sonst! Du hast ein ganz anderes Gesicht aufgesetzt!«
»Ja,« lachte der glückliche Jüngling, »ein Componist muß auch ein ganz ander Gesicht machen als ein Fährmann.«
»Und es ist wahr, daß Du der Verfasser sowohl des Gedichtes als auch der Composition bist?«
»Da kannst Dich drauf verlassen!«
Der Musiker legte sich in seinen Stuhl zurück, sah ihn kopfschüttelnd und forschend ins Gesicht und meinte:
»Mensch, Du giebst Einem wirklich zu rathen auf!«
»Das Rathen ist nicht schwer.«
»Nein. Die richtige Lösung ist freilich die, daß Du ein großes Talent besitzen mußt. Aber woher hast Du denn die Kenntnisse, welche dazu gehören?«
»Heimlich, Herr Kapellmeistern, heimlich!« blinzelte der Fex vergnügt.
»So, so! Also ein Autodidakt und Schlauberger!«
»Beides!«
»Wer irgend ein Instrument mußt Du doch wohl spielen können, wann auch nur schülerhaft?«
»Ich hab ein Bischen auf dera Geigen rumgekratzt.«
»So! Da will ich doch gleich mal hören, wie weit Du es gebracht hast. Hast Du denn Dein Lied schon einmal gehört?«
»Die Melodie hab ich mir auf meiner Vigolinen so mal zusammengestoppelt. Weitern nix.«
»So will ich es Dir jetzt einmal vorspielen. Geändert hab ich bereits einige kleine Versehen; nun aber kann es ein jedes Examen bestehen, sogar das strengste.«
Er setzte sich an das Piano und spielte. Der Fex stand von ferne, faltete die Hände und hörte zu. Sein Gesicht verklärte sich. Die Strahlen, welche dasselbe erleuchteten, kamen aus der tiefsten Tiefe seiner Seele heraus. Es war zum ersten Male, daß er das Lied spielen hörte. Er hätte vor Seligkeit vergehen mögen.
Als der Kapellmeister fertig war und sich umdrehte und dieses Gesicht erblickte, fuhr er empor und sagte:
»Fex, welch ein Gesicht! Jetzt kenne ich Dich; jetzt glaube ich an Dich, und jetzt schwöre ich auf Dich. So ein Gesicht kann nur ein Gottbegnadeter zeigen, dem der Herrgott den geistigen Adel verliehen hat. Ich kenne das; ich habs oft erfahren. Also, Du erlaubst, daß die Leni Dein Lied heut Abend singt?«
Dem guten Buben traten dicke Thränen in die Augen.
»Ob ichs erlaub! O Du lieber Himmel! Auf den Knien möcht ich dafür danken, daß es gesungen wird!«
»Und Du sollst es hören. Ich werde Dir ein Billet für einen Platz besorgen, an welchem Du Zuschauer und Zuhörer sein kannst, ohne gesehen zu werden.«
Er warf dabei einen Blick auf die mehr oder vielmehr noch viel weniger als unscheinbare Kleidung des Fex.
»Ja,« sagte dieser, »wannst so gut sein willst, so ist es mir freilich lieb.«
»Komm vor dem Concert hierher, und laß es Dir geben. Du wirst es bekommen, selbst wenn ich nicht zu Hause bin. Und noch Eins: Willst Du das Lied nicht herausgeben?«
»Herausgeben? Was meinst damit?«
»Drucken lassen.«
»Sapristi! Machst etwan gar einen Spaßen mit mir?«
»Nein, es ist mein völliger Ernst. Das Lied muß gedruckt und vervielfältigt werden, damit Dein Name bekannt wird und Du – nun ja, das wird Dir wohl auch ein Vergnügen machen – Du wirst Honorar dafür bekommen, Geld.«
»Das wird freilich eine Freuden sein! Hurrjeh!«
»So! Das ist abgemacht. Wir werden uns von jetzt an sehr oft sehen und über diese Angelegenheit verhandeln. Jetzt aber sollst Du mir auf der Violine Etwas vorspielen. Dort liegt sie. Versuchs einmal!«
Der Fex öffnete den Kasten und zog das Instrument hervor. Es war ein sehr gutes, von einem berühmten Geigenmacher gefertigtes. Als er es gestimmt hatte und mit dem Bogen leise über die Seiten gestrichen war, leuchtete sein Auge auf.
»Das ist auch kein Zigeunerkasten nicht,« lachte er.
»Das hörst Du bereits?«
»Dazu hat man ja die Ohren. Aber was soll ich Dir vorspielen? Sags mir lieber selberst.«
»Was kannst Du denn?«
»Ein paar Liedln.«
»Welche?«
»Wann i komm, wann i komm, wann i wiederum komm.«
»So! Was noch?«
»Wer will unter die Soldaten.«
»Und?«
»Was frag ich viel nach Geld und Gut.«
»Das sind nun freilich keine Meisterstücke. Kannst Du nicht auch Deine eigene Melodie hier spielen?«
»Ja freilich.«
»So versuche es.«
»Ja, darfst mich aberst nicht auslachen, sonst werd ich irr und schütt um und kann nimmer weitern!«
»Ich werde gar nichts sagen und mich ganz ruhig verhalten, bis Du fertig bist.«
Er legte sich mit der Miene eines Kenners, welcher die ohrzerreißende Production eines Anfängers zu hören erwartet, in den Sessel zurück, und der Fex begann.
Er spielte sein Lied erst auf das Allereinfachste, nur ganz allein die Noten nach ihrem Werthe und ihrer Höhe wiedergebend. Bei der Wiederholung aber kam Seele in diese einfache und darum um so ergreifendere Weise. Er spielte auch jetzt noch ohne alle Kunst, aber sein Zuhörer hob doch bereits den Kopf und warf einen erstaunten Blick auf den Spieler.
Als dieser zum dritten Male begann, ließ er erst eine zweite Stimme leise, ganz leise mitklingen. Sie wurde volltönender und eine dritte gesellte sich dazu. So spielte er das Lied einfach, aber in herzinnigem Vortrage und dreistimmig zu Ende. Der Capellmeister hatte den Oberkörper gerade aufgerichtet, stemmte die Hände auf die Kniee und machte ein Gesicht, als ob er seinen Ohren nicht traue.
Jetzt aber, beim letzten Accord, reckte sich die schmächtige und doch so kraftvolle Gestalt empor und der Bogen flog in einem brillanten, chromatischen Läufer über die Saiten bis hinauf zum höchst möglichen Flageolettone. Und dann, ja dann begann er seine Melodie zu variiren, in einer Weise, welche den Capellmeister vom Stuhle emporriß.
»Fex!« rief er.
Der Spieler schien es gar nicht zu hören.
»Fex! Um Gotteswillen, ist das wahr? Bist Du es denn wirklich? Das ist Zauberei!«
Der Fex aber verzog keine Miene, sondern er spielte weiter, so daß dem Kapellmeister vor lauter Verwunderung die Haare zu Berge steigen wollten, wohl eine ganze Viertelstunde lang, meisterhaft, wahrhaft meisterhaft, ja virtuos. Sodann riß er plötzlich mit einer rapid niederstürzenden Cadenz ab, legte die Geige hin und sagte lächelnd:
»So, da! So kratzt der Fex die Vigolinen. Behüt Dich Gott, Herr Capellmeistern!«
Und schnell war er zur Thür hinaus. Der Capellmeister riß natürlich die Thür wieder auf und schrie:
»Fex! Halt! Halt!«
Keine Antwort.
»Fex! So warte doch!»
Stille bliebs. Nicht einmal die Schritte des barfüßigen Künstlers waren zu hören. Der Dirigent der Theatercapelle sprang eiligst ans Fenster, riß es auf schaute hinab. Eben kam der Fliehende unten zur Hausthür heraus.
»Fex, so warte doch nur!«
Der Gerufene sah zum Fenster empor und fragte:
»Was hast nun noch?«
»Willst Du bei mir eintreten?«
»In Deine Stuben? Da war ich doch jetzt schon!«
»Nein in meine Capelle.«
»Ich hab auch eine!«
»Als erster Geiger!«
»Da hast Du schon einen!«
»Ich jag ihn fort!«
»Das sollt mir leid thun!«
»Freie Station –«
»Die Station hab ich stets frei, wann ich zum Bahnhof geh und schau sie mir an. Weißt!«
»Und tausend Mark Gehalt!«
»Das glaub ich nicht.«
»Verteufelt! Da rennt der Kerl doch fort! Fex!«
Der Gerufene schritt weiter, ohne sich umzudrehen.
»Fex – lieber Fex – Herr – Herr Fex!«
Nicht einmal auf diesen höflichen Titel, den man ihm noch niemals gegeben hatte, hörte er.
Da bog der Capellmeister seinen Leib so weit wie möglich zum Fenster hinaus und schrie mit einer Stimme, die nur für den bereits weit entfernten Fex bestimmt war, aber auch von allen Anderen weithin gehört wurde:
»Fex, Fex! Ich geb fünfzehnhundert Mark!«
Aber husch war der so sehnsüchtig Begehrte hinter der nächsten Ecke verschwunden.
Der Capellmeister zog seinen Körper langsam wieder in die Stube zurück, machte das Fenster zu, fuhr sich mit den Händen in das Haar und sagte:
»Mir ists grad noch so, als ob ich träume! Dieser verachtete Kerl ist wahrhaftig bereits ein Virtuos! Wo hat ers her! Wer ist sein Meister, sein Lehrer! Keiner und Niemand! Das ist eine Gottesgabe ohne Gleichen. Aber ich habe ihn entdeckt und ich angle ihn für mich. Ich werd fürchterliche Furore mit ihm machen und – mir ein wahres Heidengeld mit ihm verdienen!«
Also das war heute vor und nach der Probe geschehen. Natürlich fiel es dem Fex nicht ein, sich das verheißene Billet vom Capellmeister zu holen. Es ärgerte ihn zwar nicht, aber er hatte doch den Blick, welchen derselbe auf die nackten Füße geworfen hatte, gesehen und dann die Bemerkung hören müssen, daß das Billet für einen Platz sei, an welchem er nicht bemerkt werden könne. Diese Worte und diesen Blick hätte der Mann lieber weglassen können.
Nun erhielt der Fex von der Leni das Kärtchen, welches ihn berechtigte, sich hinter die Bühne zu verfügen. Gerade als er den engen Gang hinabschritt, trat die Genannte mit ihrem Sepp durch eine Tapetenthür heraus. Sie hatten unbemerkt ihre Orchesterloge verlassen. Als sie den Fex bemerkten, sagte die Leni:
»Da bist ja! Das trifft sich gut. Komm! Ich will Dir Deinen Platz gleich zeigen. Da hasts so bequem, wiests nur zu haben wünschen kannst.«
Sie nahm ihn bei der Hand und brachte ihn bis dahin, wo hinter den linkseitigen Coulissen ein Sopha stand, bestimmt, bei vorkommendem Bedürfnisse auf die Scene gestellt zu werden.
»Hier,« sagte die Leni, »hast ein feins Plüschcanapee; das ist Deine Theaterlogen. Die wird Dir kein Mensch streitig machen. Und da hast auch ein Programmen, daßt nicht irre wirst und eine Symphonieen für einen Walzern hältst, oder gar eine Bratwürsten für eine Picoloflöten.«
Sie gab ihm den Zettel.
Es war eben der Augenblick, an welchem der Italiener seinen Vortrag beendet hatte und die Gardine niederging. Da kam der Direktor mit dem Altmeister Liszt von der anderen Seite auf die Scene und stellte die beiden Herren einander vor. Die Worte, mit denen sie sich begrüßten, bestanden in den bei solchen Gelegenheiten gebräuchlichen Redensarten und Höflichkeiten. Sodann hörte man Liszt fragen:
»Und wo haben Sie das neue Lumen, die Mureni?«
»Noch sehe ich sie nicht. Ich hörte, daß sie sich in ihrer Orchesterloge befinde.«
»Rechtfertigt diese Dame denn das Arrangement, welches man ihretwegen getroffen hat?«
Diese Worte hießen, ins Aufrichtige übersetzt:
»Ist diese Sennerin denn wirklich ein solches Licht, daß sie an einem Concerte mitwirken darf, in welchem ich mich hören lasse?«
Und der berühmte Meister hatte ja ein unbestreitbares Recht zu dieser Frage. Der Director antwortete:
»Ganz gewiß, wie ich zu meiner Genugthuung sagen darf.«
»So bin ich wirklich wißbegierig auf sie.«
»Wann das so ist, so könnens mich halt anschaun!«
Diese Worte erklangen hinter ihm, denn die Leni war hinter der sie verbergenden Coulisse hervorgetreten. Liszt drehte sich um. Sein tiefer, forschender Blick ruhte eine ganze Weile auf ihr. Dann machte er eine höfliche Verbeugung und sagte:
»Wenn Ihre Stimme das hält, was Ihr Gesicht und Ihr Auge versprechen, so werden Sie Ihren Weg machen. Wir sehen uns ja wohl heute Abend wieder. Jetzt bitte, weiter, Herr Director!«
Dieser führte ihn hinaus auf den Gang, welcher um die Logenreihen des ersten Platzes führte.
»Bin ich angemeldet?« fragte Liszt.
»Ja, bitte!«
Der Director öffnete die Thür und Liszt trat ein. Er befand sich in der Loge des Königs. Wagner erhob sich sofort, und als der König, den Kopf leicht wendend, den Eintretenden gewahrte, begrüßte er ihn mit einem freundlichen Verneigen des Kopfes und winkte ihn mit der Hand an seine rechte Seite.
Aller Augen waren natürlich an diesem Augenblicke auf diese Loge gerichtet. Eine solche Gruppe war eine Seltenheit: Wagner links, Liszt rechts und zwischen diesen beiden Koryphäen ein König, ein Beschützer und Gönner der Künstler, wie kein Zweiter.
Der Fex hatte von seinem verborgenen und unbeachteten Platze aus Liszt mit leuchtenden Augen beobachtet. Erst als dieser verschwunden war, warf er einen Blick auf das Programm. Fast erschrak er, als er an vorletzter Stelle las:
»Die alte Bettlerin. Gedichtet und componirt vom ›Fex‹;, gesungen von Signora Mureni.«
Das Wort Fex war fett gedruckt. Die Buchstaben begannen vor seinen Augen zu schwimmen. Er spürte die Wirkung jenes süßen Rausches, den ein Jeder fühlt, der seinen Namen zum ersten Male gedruckt liest, und mußte sich alle Mühe geben, das Klopfen seines Herzens zu beherrschen.
Jetzt wurden die Vorbereitungen zur Nummer Vier getroffen, während vom Orchester die Cavotte vorgetragen wurde. Die Scene wurde in eine Alpenlandschaft verändert und stellte eine steile Alpenwiese vor, auf welcher eine Sennhütte stand. Die Thür derselben war offen. Neben derselben stand eine Bank, über welcher ein Vogelkäfig hing. Durch die geöffnete Thür erblickte man den von der Decke herabhängenden Kessel.
»Jetzt nun komm herbei,« sagte die Leni zum Sepp, indem sie ihn bei der Hand ergriff. »Da, setz Dich auf die Bank! Und wie ist Dirs denn so um den Magen herum? Hast vielleicht eine Angst?«
»Angst?« lachte er. »Vor wen?«
»Vor den vielen Herrschaften da draußen.«
»Weißt, diese Herrschafterln gehn mich halt gar nix an. Ich sing mit Dir, wie ich so oft mit Dir sungen hab und weilts so gar expreß wollt hast.«
»Ja, ich hab meine künstlerische Laufbahn anfangen wollen an Deiner Seiten, mit Deiner Zithern, mit Deiner alten, trauten Stimmen und mit unserm Lieblingslied. Obs Denen da draußen gefallt, das ist mir für dieses Mal gleichgiltig.
»Ja, Du bist und bleibst mein bravs Lehnerl!«
Er drückte ihr mit väterlicher Zärtlichkeit die Hand und setzte sich auf die Bank. Ein Theaterdiener brachte den alten Hut, den Bergstock und die Zither herbei. Die Letztere nahm der Alte auf die Kniee, den Stock aber, auf den er den Hut stülpte, lehnte er unter den Käfig an die Wand. Als nun die Leni an den einen Thürpfosten trat, bildeten sie ganz genau dieselbe Gruppe wie im vorigen September droben auf der Alm, wo sie auch mit einander sangen, ehe der König bei Leni erschien. Siehe das Bild zum ersten Hefte dieses Romanes.
Jetzt waren die letzten Töne der Cavotte verklungen und der Regisseur erschien. Er warf einen prüfenden Blick auf die Scene, erklärte sich zufriedengestellt und sagte, aber unter einem leichten Achselzucken:
»Sie haben es partout so gewollt, Signora. Wir haben Ihren Wunsch als Befehl genommen und tragen also keine Verantwortung, wenn Ihr Debut einen ganz andern Erfolg findet, als Sie erwarten.«
»Den Erfolg weiß ich sehr genau,« antwortete die Leni. »Die Herrschaften erwarten natürlich eine brillante Kunstleistung. Statt dieser hören sie ein einfaches Alpenlied, gesungen von einem alten Kerl und einer dummen Dirn. Erst wird man erschrecken, dann sich wundern, nachhero gar sich ärgern und endlich schweigen oder gar zischen, anstatt uns Beifall zu klatschen.«
»Nun, ein Zischen hören wir heute bei einem so distinguirten Auditorium wohl nicht.«
»So desto besser! Also hast keine Angst, Sepp?«
»Fallt mir nicht ein. Was steht denn jetzt auf dem Programmen, Leni?«
»Auf der Alm, da giebts ka Sünd, Volkslied, vorgetragen von Signora Mureni und Joseph Brendel.«
»Sappernlot! Das klingt nobel. Auf so einem Programmen bin ich schon gar der Sepp nicht mehr. Na, ich bin begierig, was noch aus mir werden mag!«
Jetzt wurde das Glockenzeichen gegeben und die Gardine stieg empor. Natürlich waren Aller Augen nach der Scene gerichtet. Da das Orchester nicht zu begleiten hatte, so hatten auch die Mitglieder der Capelle genug Zeit, sich die neu aufgetauchte Künstlerin zu betrachten.
Welch eine Enttäuschung! Das war ja der alte Mensch, welcher da unten in der Orchesterloge gesessen und die unanständige, gemeine Nase hinauf noch dem ersten Rang gezogen hatte! Und das Mädchen neben ihm? Das soll die Mureni sein? O weh!
Es ging jenes leise Geräusch durch den Raum, welches dem geübten Künstler schon im Voraus sagt, daß er zu kämpfen haben werde und sich ja auf keinen Beifall spitzen möge.
Aber nun erklangen die Töne der Zither durch den Raum, bei dessen Weite und Höhe sie auf den entfernten Plätzen an Stärke außerordentlich verlieren mußten.
»Also, nicht zu stark vorerst, Sepp!« flüsterte Leni.
Und dann, als das Vorspiel beendet war, begann sie mit dem Pathen
»Von der Alm, da ragt ein Haus
Niedlich übers Thal hinaus;
Drinnen wohnt mit frohem Sinn
Eine schöne Sennerin.
Senn'rin singt so manches Lied.
Das durch Thal und Nebel zieht.
Horch, es klingt durch Luft und Wind:
Auf der Alm, da giebts ka Sünd!«
Leni hatte gesungen ganz wie früher. Ihrer Stimme war nicht eine Spur der Schulung anzuhören, welche sie seit jener Zeit genossen hatte. Und auch den Jodler »Hol di ei i di«, welcher auf die letzte Zeile folgte, sang sie ganz in derselben einfachen Weise wie vormals.
Als derselbe verklungen war und der Sepp das Vorspiel für die zweite Strophe begann, flüsterte er:
»Jetzt schau mal hinaus zu denen Herrschafterln, was sie halt für Gesichtern schneiden!«
»Sehr schlimme!«
»Du singst aberst auch schlimm!«
»Dann wirds besser.«
Jetzt war das Vorspiel zu Ende und es folgte die Fortsetzung.
»Als ich jüngst auf schroffem Pfad
Ihrem Paradies genaht,
Trat sie flink zu mir heraus.
Bot zur Herberg mir ihr Haus.
Fragt nicht lang: Was thust allhier? Sondern setzte sich zu mir,
Sang ein Lied, so weich, so lind:
Auf der Alm, da giebts ka Sünd!
Hol di ei i di!«
Für den Unbeteiligten wäre es wirklich ein Genuß gewesen, den Ausdruck dieser weit über tausend Gesichter zu beobachten. Jedes war anders, aber auf allen zeigte sich die eine Miene der größten, allergrößten Enttäuschung. Man wandte die Köpfe hin und her, blickte sich groß an, versteckte die Nase hinter Fächer oder Taschentuch – und wohl nur die Anwesenheit des Königs hielt Viele ab, der Indignation einen lauten Ausdruck zu geben.
Und nun kam die dritte Strophe:
»Und als ich dann von ihr schied,
Klang von fern mir noch ihr Lied,
Und zugleich mit Schmerz und Lust
Trug ichs fort in meiner Brust,
Und seitdem, wo ich auch bin,
Schwebt mir vor die Sennerin,
Hör sie rufen: Komm geschwind,
Auf der Alm, da giebts ka Sünd!
Hol di ei i di!«
Der erfahrene Theaterdirector hatte natürlich geahnt, welchen Mißerfolg dieser Vortrag haben werde, und da ihm am Meisten vor dem Unwillen des Königs bangte, so war er nach dessen Loge gegangen und da eingetreten, um in respektvoller Entfernung einen etwaigen Wink zu erwarten.
Er hatte sich nicht getäuscht. Als der letzte Ton verklungen war, verbeugten sich die Leni und der Sepp und traten ab. Keine Spur von Beifall – aber auch nicht das leiseste Geräusch, welches als Entrüstungsausdruck zu deuten gewesen wäre. Eine schwere, bleierne Laut- und Geräuschlosigkeit lag auf dem Hause. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Da sah man, daß der König den Kopf wendete und den Director herbei winkte. Er sprach nicht laut, nur mit ziemlich gedämpfter Stimme, als ob Niemand es hören solle, aber bei der beängstigenden Stille klangen die Worte doch mehr oder weniger deutlich, je nach der verschiedenen Entfernung in die Ohren aller Anwesenden.
»Was war das? Warum dieses Lied!«
»Majestät, sie hat es nicht anders haben wollen.«
»Warum?«
»Joseph Brendel ist ihr Pathe, der einzige Mensch, den sie im Leben gehabt hat.«
»Ach so!«
»Und da hat sie den ersten Schritt mit ihm, dem lieben, alten Almler, thun wollen, an seiner treuen Seite und mit grad dem Liede, welches sie so oft mit ihm gesungen hat.«
Auch die Stimme des Direktors drang bis in die entfernteste Ecke. Da nickte der König:
»Das ist brav! Das ist Gemüth! Das verdient unsern Beifall!«
Er klatschte, obgleich der Vorhang bereits gefallen war. Und nun konnte man sehen, was der Beifall und das Beispiel eines Königs vermag.
»Brav – Gemüth – Beifall – alter Pathe – hat nur ihn gehabt im Leben –« so flüsterte es von Platz zu Platz, und alle Hände, keine einzige ausgenommen, begannen zu arbeiten, als ob die Mara, die Sonntag oder die Schröder-Devrient eine ihrer Bravour-Leistungen losgelassen gehabt hätten.
Der König hatte seine Hände höchstens drei- oder viermal sich berühren lassen, dann blickte er mit lächelnder Miene nach rechts und links. Ein leises, freundliches Neigen seines Kopfes und die Kräfte verdoppelten sich.
Da ging die Gardine wieder empor und der »alte Aelpler« brachte die Sennerin hereingeführt. Er verbeugte sich so gut, wie er es mit seinem steifen Rücken fertig brachte, und sie mit ihm. Sein Gesicht strahlte vor Entzücken. Er schwenkte mit der einen Hand den Hut und figurirte mit der andern in der Lust herum, als ob er Schwalben fangen wollte. Das Klatschen wollte kein Ende nehmen. Da trat er ein Stück weiter vor und gab mit der Hand ein Zeichen, daß man still sein solle. Und als da schnell Ruhe eintrat, sagte er laut, daß es bis in die entfernteste Ecke schallte:
»Schauts, Leuteln, ich hab halt gar nicht glaubt, daßt Ihr so brave und liebe Herrschafterln seid. Wir habens schlecht macht, das weiß ich gar wohl, aberst die Leni, das sakrische Malefizdirndl, die hats grad so gewollt. Ihr sollt halt nicht sogleich wissen, wie sies eigentlich kann. Jetzt abern wolln wir den dritten Vers nochmal singen, ohne Zithern und ohne Alls. Da mag sie nun mal den Deuxi loslassen, und ich werd den Baß dazu orgeln, daß Ihr Eure Freuden dran haben sollt!«
Er nickte dem Publikum brüderlich zu, als ob er sich in einer Schänke bei Seinesgleichen befinde, und trat zurück. Seine Rede machte einen gewaltigen Eindruck. Man erkannte, daß es hier nichts Gemachtes, Unwahres, Falsches gab, daß man es mit einem ehrlichen, wenn auch nicht blank polirten Biedermann zu thun hatte, und das regte an.
»Bravo, Wurzelsepp!« erklang eine Stimme.
Wessen Stimme das eigentlich war, das konnte Niemand sagen, außer wohl die nächsten Nachbarn, aber der kräftig klingende, viel bekannte Name war nicht umsonst ausgesprochen worden. Ein einstimmiges Lachen folgte; dieses wurde mehr- und endlich gar vielstimmig. »Bravo! Bravo!« erklang es von allen Seiten und wollte kein Ende nehmen, bis der Sepp abermals ein Zeichen gab und laut rief:
»Wollt Ihr endlich nun mal Ruhen geben, Ihr Himmelsakra! Man kann doch seine eigne Red nimmer hören! Wann sollen wir denn anfangen zu beginnen, wann das so fortgeht!«
Und dabei sah man es dem Alten ganz deutlich an, daß es ihm mit diesem heiligen Zorn vollständig Ernst sei. Das erhöhte natürlich die Teilnahme für diesen urwüchsigen Character, und der Beifall [unleserlich] em.
Da warf er zornig seinen alten Hut auf den Boden, setzte sich auf die Bank, legte die Beine über einander und drehte sich vom Publikum ab, als hätte er sagen wollen:
»Da, macht meinswegen fort! Ich kanns abwarten!«
Dadurch wurde die Stimme des Publikums eine noch viel animirtere und der Regisseur flüsterte dem Director, welcher inzwischen wieder hinter der Scene erschienen war, froh zu:
»Wer hätte das gedacht! Wir können wieder Athem holen!«
»Ja, so ein Debut ist einzig, ist noch nie dagewesen. Diese Mureni ist genial. Sie hat mit ihrem alten Pathen einen Griff gethan, der ganz unvergleichlich und unbezahlbar ist. Ihr Weg ist gemacht. Sie hat an das Herz, an das Gemüth des Publikums appellirt und ihre Rechnung gefunden.«
Endlich legte sich der Beifall, und nun ergriff die Leni ihren Sepp bei der Hand und zog ihn auf.
»Schön!« sagte er. »Aberst nun mal laut!«
Und nun begannen sie den dritten Vers abermals: ›Und als ich dann von ihr schied.‹;
Gleich bei den ersten Tönen ging eine auf den Gesichtern bemerkbare Ueberraschung durch den Zuhörerkreis. Leni sang das Lied aus A-dur. Sie setzte mit dem e wie mit Orgelton ein und das tiefe cis klang voll, stark und sonor, wie es nur von einem ausgesprochenen Mezzo-Sopran hervorgebracht werden kann. Ihre Stimme hatte ein ganz eigenartiges, männliches Timbro, und doch, als die Melodie dann emporstieg, klang es, wie wenn im Organist die Vox Humana mit der Flauto amabile und dem Posaunenbasse registrirt. Das hatte Niemand erwartet. Diese Stimme füllte den weiten Raum, das Wort »füllte« als Kunstausdruck, als Terminus technicus gebraucht. Ein Jeder begann zu ahnen, was diese Stimme vermochte, wenn die Sängerin wirklich wollte.
Und der alte Sepp ließ seinen Baß so ungenirt hören, wie oftmals in der Kirche, wenn seine Nachbarn aus der Melodie geriethen und er sie wieder in die richtigen Töne hineinposaunte.
Und zuletzt der Jodler. Da stieg die Stimme der Sängerin, die man vorher für einen Mezzo-Sopran halten mußte, mächtig voll und jubilirend, mit einer Leichtigkeit bis in das dreigestrichene cis hinauf, daß man hörte, sie könne auch noch mehrere Töne weiter empor.
Es war nur ein leichtes Volkslied mit fließendem Jodler, aber als der Letztere geendet hatte, hatte jeder Zuhörer die feste Ueberzeugung, eine solche Stimme noch nie gehört zu haben.
Der Beifall brach von Neuem los, und zwar brausend, wie ein wirklicher Sturm. Wieder und immer wieder mußten Beide erscheinen, mußte der alte, glückliche Sepp die Leni aus der Coulisse hervorziehen. Er weinte vor Freude, und als zwischen dem Applaudiren eine kleine Pause eintrat, wie es zuweilen vorzukommen pflegt, da faßte er seine Pathe bei den Hüften, hob sie trotz seines Alters hoch empor und rief schluchzend:
»Leni, Du bist halt meine einzige Freud und mein Glück! Das weiß der liebe Gott!«
Natürlich brach der Sturm von Neuem los; doch wurde der Vorhang nicht wieder emporgenommen.
Hinter demselben trat der Direktor auf die Sängerin zu, reichte ihr die Hand und rief, ganz entzückt über einen so ungeahnten Erfolg:
»Signora, meine herzlichsten Glückwünsche! Es ist gar nicht möglich, daß einer Ihrer noch folgenden Vorträge einen ähnlichen Beifall haben kann!«
»Meinen Sie?« lächelte sie ihn zuversichtlich an.
»Ja. Ich kann Ihnen jetzt mein Wort geben, daß Ihre Zukunft gesichert ist, wenn Sie nun noch zeigen, daß Sie auch in höherer Weise Gutes leisten.«
Auch der Italiener kam, Concertmeister Antonio Rialti, um sie zu beglückwünschen. Sie nahm seine Gratulation höflich aber kühl auf und ließ ihn dann stehen, um hin zu dem Sopha zu gehen.
»Nun, mein lieber Fex, was sagst dazu?« fragte sie ihn.
»Daß ich Dirs gönn, von Herzen gönn!« antwortete er einfach – aber die Thränen, welche in seinen treuen Augen standen, waren der beste Beweis, wie aufrichtig und herzlich er es meinte.
Und noch Einer nahm an dieser Freude theil – der Krikelanton. Freilich wußte er nicht, ob er sich nicht lieber darüber ärgern solle. Je freundlicher die Leni vom Publikum aufgenommen wurde, desto schwerer war sie ja von der Bühne wegzubringen.
»Nun, Anton, wie gefällt sie Dir?« fragte der Professor Weinhold.
»Gut und schlecht.«
»Das ist Wahnsinn! Ich sage Dir, daß ich Kenner bin; aber eine Stimme wie diese, ist mir noch niemals vorgekommen.«
»Besser wärs, sie hält gar keine!«
»Du bist ein Barbar!«
»Meinswegen! Wer dann war sie auf der Alm blieben und ich hätt sie jetzt als meine Frau.«
»Aber der Kunst wäre eine ihrer größten Priesterinnen verloren gegangen!«
»Was geht mich die Kunst an!«
»Leider hast Du gar kein Verständniß für sie!«
»Ich wüßt auch gar nimmer, was ich damit thun sollt.«
»Und ebenso wie mir diese Stimme imponirt, entzückt mich das gute Gemüth dieses Mädchens. Welch ein Gedanke, an diesem Orte und vor einem solchen Publikum mit dem Sepp und mit diesem Liede hinzutreten! Und doch hat sie es gewagt!«
»Ja, brav ist das gewesen, das geb ich schon zu; aberst noch braver hätt ichs genannt, wanns niemals vor ein Publikum treten wär. Freun thut michs nur, daß sie ihr Gewanderl anhat und nicht so eins, was oben kurz ist und dafür unten viel zu lang!«
Der Professor konnte sich die größte Mühe geben, ihn zu einer anderen Ansicht zu bringen – vergebens. In seinem riesigen Egoismus erkannte er nun einmal nicht, welch ein ungeheures Opfer er von der Geliebten verlangte und selbst jetzt noch forderte.
Die nächste Nummer war wieder ein Orchesterwerk, und dann trat der Italiener nochmals auf.
Er hatte vier Nummern übernommen, die jetzige war seine zweite. Er gab sie wie die erste, mit erstaunlicher Technik, aber ohne Seele und Leben. Dennoch war der Beifall, welchen er jetzt fand, für ihn befriedigender als vorhin, und das hatte er der Leni und dem Sepp zu verdanken, welche Beide das Auditorium in eine nachsichtigere, freundlichere Stimmung versetzt hatten.
Als er abgetreten war, kam der alte Sepp zu ihm gegangen.
»Nun, wie stehts? Willst noch?« fragte er.
»Ich wollen ßehr, ßehr!« antwortete Rialti.
»So ists jetzt Zeit.«
»Ssein fertik allen Vorbereitunken?«
»Alles.«
»Auck die Leiter?«
»Natürlich.«
»Und wo ßein Leni, Signora Mureni?«
»Die ist eben jetzt nach der Garderobe gegangen, sich umzuziehen. Also mußt jetzt eilen.«
»Ssein auck das Fenßter das rickticke?«
»Ja, ja! Hab keine Sorge, und komm nur mit!«
Er gab dem Fex einen Wink und zog den Concertmeister mit sich fort, nach einer hinteren Thür, welche angebracht war, um Pferde oder Wagen hinter die Scene zu bringen. Dort wurde dann, wenn das Letztere der Fall war, eine breite, starke Holzbrücke vom Garten herauf angelegt. Seit längerer Zeit war das nicht vorgekommen, und so war diese Brücke einstweilen entfernt worden, Da es dort keine eigentliche Passage gab, war die Thür für gewöhnlich verriegelt.
Sie lag in einer dunklen, unerleuchteten Stelle. Der schlaue Sepp hatte seinen Landsmann und guten Bekannten, den Hausmann des Theaters, dazu gebracht, ihm den Schlüssel zu dieser Thür zu geben. In der Nähe derselben hatte der Hausmann eine Leiter lang an der Mauer hingelegt. Diese wurde heut nicht, sonst aber sehr oft gebraucht, um schnell und ohne zu stören hinauf zum Schnürboden zu gelangen.
»Hier ists,« sagte der Sepp, auf die Thür deutend.
»Hab Du den Schlüssel?«
»Ich hab ihn. Und hier liegt die Leiter. Aber Du mußt mit helfen.«
»Aber wenn man uns ßehen!«
»Kein Mensch kommt hierher.«
Er schloß auf, und sodann ließen die Beiden die Leiter von der Thür hinab in den Garten. Der Sepp mußte von oben halten, und der Italiener stieg zuerst auf der Leiter hinab.
Der Sepp hustete laut, und sofort kam der Fex herbei, welcher hinter der nächsten Ecke bereits darauf gewartet hatte.
»Also laß Dich ja nicht sehen,« flüsterte ihm der Alte zu. »Und nachhero wartst hier, bis ich wiederkomm. Ich wills doch auch anschaun, wannt zum ersten Mal ein Conzertl giebst.«
Jetzt stieg auch er hinab. Er nahm den Concertmeister beim Arm, zog ihn fort und sagte:
»Komm! Wir müssen um die Ecke dort. Aber Du mußt ganz still und heimlich sein, ja nicht nießen oder husten, weil so ein sakrischer Hustrich oder Nießrich gleich Alles verrathen kann.«
»Ich ßein kanz ßtill, ßehr, ßehr ßtill!«
Sie bogen um die angegebene Ecke. Dort stand in der Nähe eines matt erleuchteten Fensters ein Baum. Sepp deutete hinauf zum Fenster und sagte:
»Das ists, was Du suchst.«
»Die Karderobe?«
»Ja, die Gardroben.«
»Wo Leni ßein drin?«
»Ja.«
»Ssie ßein ßicker drin? Ssicker und kewiß?«
»Ganz sicher. Steig nur nun hinauf!«
»Du auk mit ßteichen?«
»Ja.«
»Aber ich nicht kann kletter!«
»Ach so! Da muß ich die Leiter holen.«
Er hätte sie gleich mitnehmen können, hatte sie aber natürlich einstweilen anlehnen lassen, damit inzwischen der Fex auch herabsteigen könne. Als er zu ihm zurückkehrte, lachte er:
»Der Hallodri geht wirklich in die Falle!«
»Sollt man ihm so eine Dummheiten zutraun!«
»Warum nicht? So ein alter Kerl, wann er in ein hübsch Dirndl verschossen ist, der ist zu noch ganz andern Dingen fähig.«
»Eigentlich dauert er mich!«
»Was denkst! Er will meine Leni belauschen, wann sie sich aus- und anzieht. Das ist eine Sünd und Schand und muß bestraft werden.«
»Aber wann sie uns derwischen!«
»Das ist nicht möglich. Nur der Hausmann weiß es, und der verräth mich nimmer; er käm ja gleich selber in Strafen, daß er mir diesen Gefalln that. Also komm noch bis an die Eck. Und wann wir oben sind, nimmst die Leitern weg.«
Er nahm die Leiter und trug sie fort. Bei dem Baum angekommen, lehnte er sie an.
»So steig voran!« gebot er dem Concertmeister.
»Du halten feßt, ßehr feßt!«
»Ja freilich.«
»Damit ich nicht ßtürzen vom Baum.«
»Steig nur. Ich kraxel gleich hinter Dir her!«
Der Baum war eine Linde, welche erst in ganz beträchtlicher Höhe die Aeste spaltete. Der Italiener war sein Lebelang noch auf keinen Baum gekommen. Er stieg empor, als ob es gälte, dann auf dem hohen Thurmseile zu tanzen, so zaghaft und angstvoll. Droben angekommen, krallte er sich voller Angst an den Stamm an, mit den Beinen auf dem untersten Ast fußend.
Der Sepp stellte sich auf die andere Seite des Stammes. Nun kam der Fex herbeigeschlichen, nahm die Leiter leise weg und trug sie fort.
»Mich mit feßthalten!« bat der Italiener.
»Ich ßittern, ßehr ßittern, ßehr!«
»Ach was! Wer wird zittern! Jetzt giebts Anderes zu thun. Da schau ins Fenster hinein; da wird die Leni jetzt – – Sapperloten! Was für ein Fenstern ist das eigentlich?«
» Vergogna! Oimè – pfui! O weh!« antwortete der betrogene Italiener.
»Na, das ist auch eine Affenschand! Jetzt nun hat mir dera Hausmann das falsche Fenstern beschrieben. Dort das zweit ists richtige.«
Das Fenster, in welches sie blicken konnten, gehörte nämlich zu einem jener heimlichen Gemächer, welche zwar in jedem Hause sehr nothwendig sind, ihm aber keineswegs zur öffentlichen Zierde gereichen und darum meist an einen Punkt angebracht werden, wo sie am Wenigsten in die Augen fallen. Noch dazu war es mit weiß gefirnißten Scheiben versehen, so daß man nicht einmal hineinblicken konnte, ein Umstand, den der gute Signor Antonio Rialti von unten gar nicht bemerkt hatte. Er sagte jetzt:
»Schnell hin! Das ßweite es ßein.«
»Ja. Steigen wir rasch wieder hinab.«
»Vorwärts! Ich haben nicht viel von Zeit.«
»Ich auch nicht. Was! Tausendelement!«
Er sagte das im Tone der größten Ueberraschung. Dies fiel dem Italiener auf, welcher fragte:
»Was ßein? Warum Du fluchen?«
»Die Leiter ist weg.«
»Das ßein unmöcklick!«
»Da schau her!«
Aber der Kleine wagte es nicht, sich nieder zu beugen, weil er Angst hatte, in diesem Falle das Gleichgewicht zu verlieren und vom Baume zu stürzen.
»Ssie ßein wircklick weg?« fragte er.
»Ja.«
»Aber wohin ßie ßein.«
»Das weiß der Teuxel!«
»Bewahre! Das hätten wir ja gehört.«
»Waß ßonsten?«
»Es muß Jemand heimlich hier gewesen sein.«
» E egli possibile! Ssein es möklick!«
»Ich habe keinen Schritt gehört. Aber diese Schauspielern sind Halunken. Nun müssen wir hinabklettern. Komm, Bruderherz! Versuch es mit!«
»Kletter! Nein, nein! Ich brecken die Hals!«
»Das geht nicht so rasch.«
»O, ich brecken nicht bloßen die Hals, ßondern auck nock daßu die Kenick!«
»Ich halt Dich mit; ich helf Dir. Komm!«
Er faßte ihn an; aber der Kleine wurde da vor Angst viel lauter als bei der gebotenen Vorsicht jetzt rathsam war.
»Nein, nein!« quikte er. »Ich bleiben! Du allein hinuntergehen und Leiter holen!«
»Sapristi! Hinuntergehen?«
»Ja, ßehr, ßehr!«
»Nun, da versuchs doch mal, und geh so ßßehr hinunter. Glaubst etwan, man spaziert so hübsch leicht den Baum hinauf und hinab wie draußen auf denen Promenadern? Hier muß man klettern gelernt haben.«
»Alßo Du hinabklettern!«
»Hm! Ich mit meinen alten Gliedmaßen.«
»Es kehen schon!«
»Ja, es geht schon! Du hast Angst, aber ich kann den Hals brechen. Danke schön, sehr schön!«
»Nur hinab Du, und Leiter holen! Ich haben keinen Sseit mehr; ich müssen fort; ich müssen ßpielen!«
»Ja freilich, bist bald wiedern an der Reihen!«
»Alßo schnell, schnell! Ssehr, ßehr!«
»Na, ich werde Dir den Gefallen thun! Ich will es wenigstens mal versuchen. Stürze ich hinab, so kannst kommen und mich aufheben.«
Er war ein ausgezeichneter Kletterer, selbst noch jetzt in seinen alten Tagen. Er kam ohne alle Anstrengung und Beschwerde hinab.
»So! Da bin ich im Parterr!« sagte er.
»Du ßehen die Leitern?«
»Nein.«
»Sfie holen! Rasch, schnell!«
»Ja, wohin hat sie denn der Urian gesteckt?«
»Du ßuchen, ßehr suchen, ßehr!«
»Na, meinswegen.«
»Aber kommen kleik wieder!«
»Sobald ich sie hab, ja.«
»Ich bereits ßittern. Ich stürzen!«
»Wann Du jetzt schon zitterst, so wirds bald noch schlimmer. Setz Dich lieber nieder auf den Ast. Da ists gemüthlich, und da kannsts aushalten, bis die Gans geschlachtet wird.«
»Sso lange nicht, nein, nicht ßo lange!«
»Gut, so schlachten wir sie eher. Also jetzt will ich nach dera Leitern suchen gehn. Verhalt Dich nur sein ruhig, sonst blamirst Dich in alle Ewigkeit!«
Er ging, natürlich dahin, wo der Fex die Leiter wieder angelegt hatte und auf ihn wartete.
»Ist er noch oben?« fragte dieser.
»Ja. Wo soll er sonst sein?«
»Herabklettert.«
»Der und klettern! Der bleibt oben, bis man ihn vom Baume abschöpft wie eine Milchhauten. Jetzt aber mach, daß wir in unsere Ordnung kommen!«
Sie stiegen die Leiter empor und zur Thür hinein, zogen die Leiter hinauf und legten sie wieder an ihren Platz. Nachdem der Sepp dann die Thür verschlossen hatte, begaben Beide sich wieder nach vorn. Es gelang ihnen, das Sopha unbemerkt zu erreichen, auf welches sie Beide sich niedersetzten.
Das Alles war ziemlich schnell geschehen, so daß während dieser Zeit nur eine Nummer gegeben worden war. Die nächste hatte Leni zu singen. Eben kam sie aus der Garderobe. Als der Sepp sie bemerkte, fuhr er vom Sopha auf.
»Verdimmi, verdammi!« sagte er. »Jetzund möcht ich grad so fluchen wie's damals dera Nachtwächtern droben bei uns in der Moden gehabt hat. Wer ist das? Ists die Leni oder nicht? Ich werd ganz irr!«
Und er hatte Recht. Man konnte wohl glauben, daß man sich täusche, daß es eine Andere sei. Sie war jetzt in großer Toilette. Sie trug ein rosaseiden Kleid mit schwerer Schleppe; grüne Weinlaubguirlanden hoben sich prächtig von dem zartduftigen Stoffe ab. Die Taille war ausgeschnitten und der Schnitt mit eben demselben Laub garnirt; dazu eine blinkende, volle Traube am Achselschluß und Weinbeeren und Schneeglocken im Haar – eine seltsame Zusammenstellung, welche aber äußerst effectvoll wirkte.
Sonst war kein Schmuck an ihr zu sehen. Aber sie selbst war, das sah man nun jetzt erst, von einer so eigenartigen, bezaubernden Schönheit, daß dieselbe durch ein Schmuckstück nur beeinträchtigt worden wäre. Diese volle, runde und doch dabei nicht gar üppige Schönheit mußte wirken; das war vorauszusehen.
Der Director mochte denselben Gedanken haben, denn er verbeugte sich tief vor ihr und sagte:
»Was soll ich sagen, Signora! Habe ich Sie vorhin beglückwünscht, so darf ich es doch jetzt nicht abermals, und doch ist jetzt Ihre bloße Erscheinung so entzückend wie vorhin Ihr Lied. Gestatten Sie mir, Ihnen ein Bouquet zu überreichen.«
Er hatte es bereits durch einen Wink an den Diener herbei befohlen und hielt es ihr hin.
»Danke! Nicht unverdient!« wehrte sie ab, freundlich aber ernst.
Der Sepp strahlte förmlich vor Glück. Hatte er sich sein Lehnerl als Sängerin schön gedacht, so gar sehr schön aber doch nicht.
»Das Hallodridirndl wachst mir im Handumdrehn gleich über den Kopf hinweg!« meinte er zum Fex. »Was meinst? Der, wer die mal zur Frauen bekommt! Der macht ein Glück!«
Als nächste Nummer stand im Programm:
»Ich sah Dich nur ein einzig Mal. Lied von Eduard Kauffer. Componirt von Gumbert.«
Die Glocke erscholl; der Vorhang stieg empor. Leni rauschte hinaus. Ihre Haltung war diejenige einer Dame, welche gar keine andere Toilette gewohnt gewesen ist. Die schwere Schleppe genirte sie nicht im Mindesten.
Es ging wie ein lautes Wehen durch den Raum.
Ein lang gezogenes »Ah!« wurde hörbar, leise, leise zwar, aber es kam doch von Aller Lippen. Nur von da links herüber ließ sich etwas wie »Verteux – –« vernehmen. Es kam aus dem Munde des Krikelanton. Er sah die Geliebte so, wie er sie nicht sehen wollte – ausgeschnitten und mit bis oben herauf entblößten Armen. Der Wiener Professor hatte alle Mühe anzuwenden, ihn ruhig zu erhalten.
Da begann die Kapelle die Einleitung, getragen und zart, nach und nach anschwellend, bis die Sängerin dann voll und kräftig einsetzte:
»Ich sah Dich nur ein einzig Mal,
Da war's um mich geschehen:
Ich fühlte Deines Auges Strahl
Durch meine Seele gehen.
Ich fühlte Deiner Stimme Laut
Mich wunderbar durchdringen;
Dein Blick so süß. Dein Wort so traut.
Erweckten neu mein Singen.«
Es war, als ob sie nicht mit dem Munde singe, sondern als ob die süßen, herzinnigen, verlockenden Zaubertöne aus ihrer tiefsten Seele emporklängen. Man hörte, wie bereits vorhin, daß diese Stimme aller Register, der zartesten und auch der stärksten fähig sei, aber Das, was man jetzt hörte, war weder zart noch stark, oder vielmehr, man hörte gar nicht auf die verschiedenen Stärkegrade. Das Forte und Piano, das An- und Abschwellen, es konnte ja gar keine Beachtung finden vor dem himmlischen Wohllaute dieser Töne. Es war Liebe, Liebe, Liebe und abermals nichts als Liebe, was man hörte, nicht in Worten, denn die verschwanden, sondern in Tönen. Es war als ob eine hingebende Seele sich auflöse und nun dahinschwinde in Klängen, welche man wohl hören, nicht aber begreifen konnte. Wenn man sagt, daß an dem Augenblicke, an welchem Jüngling und Jungfrau einander ihre Liebe gestehen, Beide in ganz andern Stimmen und Tönen reden als sonst, so war hier ein Augenblick, an welchem die Liebe sich selbst das Lieben gestand und nun aus schönem Munde hinausfluthete in den lichtstrahlenden Raum und in alle Herzen hinein.
»Mit dem Gebet: ›,O wärst Du mein,
Mir, wie ich Dir, ergeben!‹;
Senkt ich in Deines Augen Schein
Mein ganzes Sein und Leben.
Ich lauschte Deines Wortes Klang,
Und die mich floh'n, die Lieder,
Sie kehrten, wie mit holdem Sang
Im Lenz die Lerchen, wieder.«
So sang sie weiter. Dieses mächtig bittende, gewaltig flehende »O wärst Du mein!« mußte man hören. Und doch war es kein Fortissimo, nicht einmal ein Forte, wie sie es sang. Das Mächtige, das Gewaltige lag nicht in der Fülle, welche sie ihrer Stimme ertheilte, sondern in der wundersamen Eindringlichkeit, in dem mild Sieghaften, mit welchem sie diese Bitte, dieses Gebet hauchte. Der sinnberückende Aufschlag ihrer Augen, die liebeverlangende Gesticulation ihrer herrlichen Arme, das sehnsuchtsvolle Wogen ihres vollen Busens, das Alles samt sprach, bat und flehte mit. Sie war nicht nur Sängerin, sondern auch Mimin oder Mimikerin, nach der kurzen Zeit weniger Monate von einer Vollendung, welche Andere in ihrem ganzen Leben nicht erreichen. Und das war dasselbe Mädchen, welches noch vor wenigen Stunden da unten am Wasser im Gebet gekniet hatte, so rein und züchtig, so demüthig und ergeben. Ja, sie war rein und unberührt wie selten Eine, und was sie sang und wie sie sang und spielte, das that sie unbewußt und unberechnet; das war die echte, wahre Kunst, welche nur das Schöne und das Wahre will, und darum schön, rein und wahr bleibt immer und allezeit.
Und nun die dritte, letzte Strophe:
»Dein Blick so süß. Dein Wort so traut.
Erweckten neu mein Singen ...
Ich fühlte Deiner Stimme Laut
Mich wunderbar durchdringen.
Ich fühlte Deines Auges Strahl
Durch meine Seele gehen;
Ich sah Dich nur ein einzig Mal,
Da wars um mich geschehen.«
Dies, eine Wiederholung des Vorhergehenden, war trotzdem keine Wiederholung; es war neu, noch nicht gehört, ein Unbekanntes, Ungeahntes und Unbegreifliches. Und das letzte »Da wars um mich geschehen«, klang so vergehend, so unsäglich klagend und dabei doch wie ein tief unterdrücktes Jubeln – eine Liebe, die zur Entsagung verurtheilt ist und doch und dennoch und trotzdem das größte Glück ist auf der weiten Erdenrunde.
Sie verbeugte sich nicht. Die Gewalt der Gefühle schienen ihren Gesang zum Hinsterben gezwungen zu haben; sie blieb mit leise gesenktem Haupte stehen, die Hand am Herzen, wie einen Richterspruch erwartend, der über ihr Glück, über ihr Leben zu entscheiden habe, und so – so ließ sie den brausenden Applaus über sich ergehen und nur langsam und mählich und mählig hob sie den Kopf und nach und nach leuchteten ihre Augen heller auf und rötheten sich ihre frischen, vom Puder noch nie berührten Wangen. Es war ein Bild, wie es raffinierter von der größten Künstlerin nicht gegeben werden kann, und doch war es nicht Raffineri, sondern die reine Wahrheit – hatten ihre Töne etwa nur Dem gegolten, welcher da drüben saß auf der linken Seite des ersten Ranges und sie mit glühendem Blicke verschlang, die Zähne auf einander knirschend und Wuth, unendliche Wuth im Herzen? In seiner Seele lebte jetzt nur die eine, einzige Ueberzeugung: Sie ist schön, unendlich schön, wie ich es nie gedacht und geträumt habe, aber sie ist verloren, für mich und auch überhaupt – sie zeigt ihren Busen und ihre Arme. Hol sie der Teufel!
Er war der Einzige, der so finstere Gedanken hegte, denn die anderen Alle ohne Ausnahme fühlten sich hingerissen von der Macht und Gewalt eines solchen Vortrages. Ihr Applaus belebte sich immer von Neuem, bis der Vorhang sich doch nicht mehr erheben wollte.
Die Beglückwünschungen begannen von Neuem. Sie aber machte sich schleunigst los, um ihren Sepp aufzusuchen. Er empfing sie mit der Klage:
»Lehnerl, ich weiß halt nimmer, was ich von Dir denken soll. Du wirst mir zu gewaltig. Ich kann nun kaum mehr emporschaun bis zu Dir.«
»So will ich mich niederbücken zu Dir.«
Sie faßte ihn, der auf dem Sopha saß, bei seinem grimmigen Schnurrbarte, zauste ihn bei demselben und fuhr, herzlich lachend fort:
»Weißt, über Dich kann ich ja gar nicht hinauswachsen. Du bist ja der Path, dem ich Gehorsam zu leisten hab!«
»Ja, das, wanns so ist, so ists mein einziger Trost.«
Jetzt sollte ein Vortrag des Italieners kommen. Der Tisch wurde wieder herbei getragen und die Violine darauf gelegt. Die Mitglieder der Capelle, welche ihn zu begleiten hatten, nahmen die betreffenden Noten vor.
» Pas de hache von Paganini, vorgetragen von Herrn Concertmeister Antonio Rialti.«
Ein Pas de Hache ist ein wilder Tanz. Auf diese Nummer war man außerordentlich gespannt, da ihr Vortrag eine seltene Beherrschung des Instrumentes erfordert.
Jetzt hörte man hinter der Scene eine ungewöhnliche Bewegung.
»Sucht ihn, schnell!« ertönte die unterdrückte Stimme des Directors.
»Du,« meinte der Sepp zum Fex, »jetzt kommst nun an die Reihe. Oder hast Angst und Lampenfiebern und willst lieber verzichten?«
»Angst! Woher sollt sie kommen?«
»Siehst aber nicht gut aus.«
»Wie denn?«
»Als hättst Sorg um was.«
»Die hab ich auch.«
»Um was?«
»Um den Concertmeistern. Wann er vom Baum fallt!«
»Der hängt gut da droben.«
»Oder wanns herauskommt, was wir than haben!«
»So werd ich mich zu vertheidigen wissen. Du aberst kommst ja gar nicht in Betracht dabei.«
»Ein Unrecht aber ists doch!«
»Ists etwan ein Recht, daß er meiner Leni nachtrachtet! Himmel! Der, wann er jetzund die Leni sehen hätt, er wär vor Lieb verruckt worden!«
Nach und nach verstärkte sich die erwähnte Unruhe. Es wurde überall gesucht, im Foyer und an allen anderen Orten, wo man den Italiener vermuthen konnte – vergebens. Er war nicht zu finden. Und doch war die Zeit bereits verstrichen und man konnte weder länger warten, noch eine Aenderung im Programm eintreten lassen. In seiner Verlegenheit gab der Director selbst das Glockenzeichen und trat, als der Vorhang aufgezogen war, hervor. Leider aber hatte er in seiner großen Verlegenheit ganz vergessen, dem Kapellmeister Nachricht von seinem Vorhaben zu geben. Dieser Letztere glaubte, als das Zeichen ertönte, Rialti werde auf der Scene stehen, und gab mit dem Tactstocke das Zeichen, die Einleitung zu beginnen. Das Orchester fiel in dem Augenblicke ein, an welchem sich der Vorhang erhob.
Jetzt hätte man den Director sehen sollen! In Allerhöchster Gegenwart so ein Affront! Es war zum Rasendwerden! Er winkte auf offener Scene und gestikulirte mit solchem Nachdrucke, bis der Dirigent das Zeichen zum Aufhören gab.
Jetzt, als die Instrumente verstummt waren, erklärte der Bühnenleiter, daß Signer Rialti leider plötzlich unwohl geworden sei und nicht spielen könne. Es sei jedoch zu hoffen, daß er sich bei seiner nächsten Nummer wieder erholt haben werde.
Da geschah Etwas, was Keiner ahnen konnte. Der Fex trat vor, zum Director hin, und sagte mit lauter, überall vernehmlicher Stimme:
»Wanns weitern nix ist, daß der Signor krank worden ist, so kann schon geholfen werden. Wann er das Dingerl nicht spielen kann, so werd ichs halt geigen. Die Herrschaften dürfen doch nicht etwan' drumkommen. Also bitt gar schön um die Erlaubnissen dazu, Herr Directorn!«
Der Genannte stand ganz starr, wie zur Bildsäule geworden. Er konnte kein einziges Wort hervorbringen. Der Fex aber benutzte das, nahm schnell die Violine aus dem Kasten, den Bogen dazu und winkte ins Orchester hinab:
»Herr Kapellmeistern, bitt, anfangen wieder!«
Das gab dem Director die Sprache zurück.
»Halt!« rief er. »Wahnsinniger! Fort von hier!«
Er faßte ihn am Arme und wollte ihm die Geige nehmen. Der Fex aber meinte, ihn ganz lieb und vertrauensvoll anlächelnd:
»So! Wann ich Dich aus dera Verlegenheiten reißen will, so wirfst mich zum Dank zur Thüren naus? Ich glaub nicht, daß die Herrschaften das dulden werden. Meinst nicht auch?«
Alle disponiblen Theaterdiener erschienen auf der Bühne, um den Fex von derselben fortzubringen.
»Hört,« sagte er in strengem Tone, »greift mich nicht an. Es könnt sehr fehl schlagen.«
Da erschallte von der Parquetloge herauf die angstvolle Stimme der Paula.
»Fex, lieber Fex, mach keinen Scandal! Geh doch hinab von der Bühne.«
»Hast auch Ängsten um mich? Das hast aber nun gar nimmer nöthig. Es steht schon ein Stucken vom Fex auf dem Programmen. Das ist doch der Beweis, daß ich kein Verruckter bin. Und wann der Herrn Directorn ein Einsehen hat, so will ich – na, Kerl, geh fort, sonst werf ich Dich ganz da hinauf, wo die für fündig Pfennge gewöhnlich sitzen. Verstehst!«
Er schob den Diener, welcher ihn fassen wollte, von sich, sprang auf die Seite, setzte schnell die Geige an und – ja, da fuhren Alle von ihm zurück. Das war ein Läufer, hinauf und hinab, ein rasendes Wogen von Accorden und Tönen, ein Haschen und Jagen, eine schreckliche, halsbrecherische Aufeinanderfolge drei- und vierstimmiger Accorde, und das mit einer Leichtigkeit, wie Wasser aus dem Brunnen läuft.
»Aufpassen!« rief er laut. »Nach acht Tacten, dann beginnt das Stuck. Zwei – vier – sechs – acht – Schrumm, einfallen! So ists recht!«
War es, weil der Capellmeister heute bereits eine so außerordentliche Probe von der Fertigkeit des Fex gehört und nun Vertrauen zu ihm hatte, oder waren es die wilden Töne, welche er gegeigt, mit denen er fast zwingend in das Stück übergeleitet hatte, kurz und gut, der Dirigent hatte das Zeichen gegeben, und das Orchester war eingefallen.
Wer Beine hatte im Zuschauerräume, der war aufgestanden – Alle also. Der Director, der Regisseur, die Diener, Alle, Alle blieben, wie festgewurzelt, auch stehen. Welch ein Ereigniß!
Da stand der barfuße Kerl, im schlechten Wamms, mit nackter Brust und spielte seinen Pas de hache herab mit einer Accuratesse und Flüssigkeit, wie ein guter Oberbayer seine Maß Bier hinunterlaufen läßt, ohne daß ihm ein Tropfen davon am Schnurrbart hängen bleibt! Und welch ein schwieriges Stück war es, dieser wilde Tanz! Ein Hexensabbath aller möglichen Schwierigkeiten. Hätte der Italiener das Stück so gespielt?
Ein wild gebrochener Accord wurde bis in die höchste Höhe hinauf- und dann bis in die Tiefe wieder hinabgerollt – das war das Ende. Mit einem Lächeln, welches seine prachtvollen Zähne zeigte, blickte der Fex hinaus in den gefüllten Raum, nickte, als ob er sagen wollte: »Seht, so kann ich es!« machte dann eine Verbeugung und trat zwischen die Coulissen zurück.
Da gab der König das Zeichen zum Applaus und von ganzem Herzen gern stimmten Alle ein. Der Fex mußte drei – vier – fünfmal noch vortreten.
Als nun der Vorhang fiel, erhob sich ein lautes Summen im Zuhörerraum. Ein Jeder wollte wissen, wer dieser unbegreifliche Mensch sei. In Zeit von zwei Minuten war die Wißbegierde gestillt. Es sprach sich außerordentlich schnell herum.«
Der Director wußte nicht, ob er den Fex ausschelten oder sich bei ihm bedanken sollte. Er sollte bald aus dieser Verlegenheit gerissen werden, denn der Logenschließer kam mit dem Befehle, daß der Director mit dem Fex augenblicklich in der königlichen Loge zu erscheinen hatten.
Was dort verhandelt wurde, hörte Niemand, obgleich alle Ohren gespannt lauschten. Man sprach nur leise. Das Gesicht des Fex war hochroth gefärbt, und seine Augen strahlten vor Entzücken. Man sah, daß der König ihm zuletzt die Hand auf den Kopf legte und gnädig zunickte.
Als er zurückkehrte, kam er natürlich sofort zum Sepp geeilt.
»Du,« sagte er, »wann der Rialti nicht wiedern gesund wird, soll ich auch die andern Stucken spielen.«
»So hat der König nicht erfahren, daß er nicht krank ist, sondern gar verschwunden?«
»Nein, der Directorn hat sich wohl nicht getraut, es ihm zu sagen.«
»Und was hat der König sonst noch gemeint?«
»Viel, sehr viel. Ich werd Dirs später sagen. Jetzt aberst ist mirs Herzen so voll, daß ich gar keine Worten nicht finden kann. Der Directorn soll nur sogleich ein Paar Schuhen besorgen, damit ich nicht wieder barbs geigen thu. Ist das nicht lustig?«
Daß die Herrschaften meinten, ihre Billets nicht zu theuer bezahlt zu haben, versteht sich ganz von selbst. Erst die neue, brillante Sängerin, und nun ein Lumpazi, in welchem ein Geigenvirtuos entdeckt wird, das kommt nicht alle Tage vor. Doppelt gespannt war man nun auf die folgenden Nummern.
Nachdem abermals ein kurzes Orchesterstück vorüber war, kam:
»Die Gewitternacht, von R. W., gesungen von Signora Mureni.«
Leise ging die Frage rundum: Wer ist dieser R. W., dieser Pseudonym? Etwa Richardt Wagner? Aller Blicke richteten sich auf ihn, doch war in seinem unbewegten Gesicht weder ein Ja, noch ein Nein zu lesen.
Als der Vorhang aufrollte, stellte die Scene einen freien Platz im Walde vor. Der Mond war im Niedergehen und stand im Begriff, zwischen sich aufbäumenden Wolken zu verschwinden.
Leise, fast flüsternd begann das Orchester die Introduction. Da trat die Leni auf die Scene. Sie war vollständig in Schwarz gekleidet, lang und wallend, ohne Schmuck und ohne Blume. Das einzig Weiße, was man an ihr bemerkte, war das Gesicht und waren die Hände. Sie begann.
Es klangen die Töne wie Windesrauschen. Sie sang von Müdigkeit und Ruhessehnsucht, so süß, so klagend. Sie wollte schlafen, vergessen die Sorgen des Tages und des Lebens; aber immer lauter wurde das Rauschen, es wetterleuchtete und in der Ferne grollte ein leiser Donner.
Er kam näher und näher. Der Mond war verschwunden; der Himmel war gewitterschwarz, Blitze zuckten und der Regen begann herabzuströmen. Im Schutze eines Baumes stehend, gab sie den Tönen der Natur beredte Worte:
»Nun zucken Blitze durch die Nacht,
Die Erde bebt, die Fluren weinen.
Und wilde Geister sind erwacht,
Die Alles zu vernichten scheinen –«
Die anwesenden Kenner hörten und fühlten es leicht heraus, daß dieses Stück gerade nur für diese Sängerin componirt sei, und so befestigte sich bald die Ueberzeugung, daß es Richardt Wagnern zum Komponisten habe. Der Dichter war unbekannt. Wagners Dichtkunst aber war es nicht.
Diese nächtig mächtig prächtige Composition gab Leni vollauf Gelegenheit, zu zeigen, daß sie nicht nur eine Stimme und eine Seele besitze, sondern auch die gehörige Technik des Gesanges. Sie hatte ja noch zu üben und zu lernen, aber was sie bot, das war fertig und vollendet. Diese Gewitternacht bot der musikalischen Schönheiten außerordentlich viele, und die Sängerin verstand es, dieselben zur Geltung zu bringen. Wie mächtig gellte ihr Weheruf durch das Haus, als die Blitze den Baum umzuckten, und wie ergreifend zitterte ihre Stimme durch den Raum, als sie knieend um den Schutz Gottes bat! Und sie fand denselben. Das Gewitter entfernte sich; die Nacht war mit ihm vergangen und der Morgen tagte. Die Sonne ging auf und alles Schreckliche nahm in ihrem Lichte eine andere Gestalt und Farbe an.
»Nun wieder strahlt das Licht der Sonnen
Warm lächelnd nieder auf die Flur.
Es athmet Glück und athmet Wonnen
Noch unter Thränen die Natur.
So ists, wenn Stürme Dich umtoben,
Wenn Dich umgeben Nacht und Graun:
Es bricht ein goldner Strahl von oben
Und bringt Dir neues Gottvertraun.«
So endete diese Nummer. Sie war von langer Dauer gewesen und die Leni hatte gezeigt, daß sie nicht nur Sängerin, sondern auch Schauspielerin sei. Sie wurde abermals mehrfach hervorgerufen und der Director bot ihr abermals das Riesenbouquet, welches sie jetzt auch annahm.
Sie trug es dann dem Sepp hin.
»Hier, Sepp, hast die ersten Rosen, die ich mir ersungen hab! Wer wird die letzten bekommen!«
»Ich nicht. Dann leb ich schon lang nimmer mehr. Du wirst sie schon selber bekommen, Lehnerl; aber so eine davon kannst mir nachhero auf mein Grab legen, so zum Andenken an diese Stund, in welcher Du mir die ersten schenkt hast.«
Er beugte sein altes, ehrliches Gesicht auf die Blumen nieder; er wollte seine Rührung verbergen.
Jetzt sollte der Fex wieder auftreten, da der Concertmeister sich noch immer nicht gefunden hatte.
»Am Waldesrand, Nocturno von Valery,« so stand im Programm zu lesen.
Der Fex war in die Garderobe beschieden worden, und als er aus derselben zurückkehrte, bot er einen ganz anderen Anblick dar. Man hatte ihm einen hübschen Gebirgsanzug gegeben, wie sie ja in jeder Theatergarderobe vorhanden sind, und nun sah er blitzblank und nett aus wie irgend Einer.
»Sepp, wie gefall ich Dir?« fragte er, sich lächelnd vor ihn hinstellend:
»Gar nicht.«
»Was? Warum?«
»Schaust mir viel zu vornehm aus.«
»Dürftst mich aber am Tag nicht anschaun. Dieses Zeug ist nur für Abend und für die Lampen gemacht.«
»Die Künstlern vielleicht auch. Wann ich jetzt Dich und die Leni anso möcht mir fast angst und bange werden. Ich möcht denken, daß ich nimmer mehr lang haben werd. Ihr werdet berühmte Leutln und ich der dumme Sepp.«
»Dumm? Na, wer Dich für dumm kauft, der kann geschoren werden. [unleserlich] nden? Hasts ja bewiesen, Alter!«
»Laß gut sein! Hast mehr zu thun. Kannst denn Dein jetzig Stuck gut auswendig?«
»Es wird gehen.«
»So paß auf. Es klingerlt.«
Als sich der Vorhang erhob, trat der Fex hervor. Er wurde mit Applaus empfangen und verneigte sich mit einer Eleganz, die man ihm wohl nicht zugemuthet hätte. Er ließ die Begleitung bis zu seinem Einsatz kommen und begann dann mit der bekannten Melodie:
»Ich stand auf Bergeshalde,
Als Sonn hinunterging,
Und sah, wie überm Walde
Des Abends Goldnetz hing.«
Das war eine lieblich-innige Weise, und er trug sie einfach, mild und getragen vor, mit lieblicher Innigkeit. Sie wurde variirt, doch ohne die Absicht, dem Vortragenden Gelegenheit zu allerhand Kunst- und Bravourstücken zu geben; dann hörte man fernes Glockengeläute, wie das Einläuten eines hohen kirchlichen Feiertages, eine nicht leichte Aufgabe, welche aber der Fex mit Leichtigkeit löste – ein einsames Ave-Maria-Glöcklein ertönte; Heerden kehrten heim, die Schellen an ihren Riemen erklangen und dort am Waldesrande begann eine Nachtigall zu schlagen. Ein Rothkehlchen, zeitig eingeschlafen, träumte von der Allerliebsten und flüsterte leise leise Weisen; der Bach murmelte durch die Sträucher, drüben auf der Straße marschirten junge Burschen und sangen ein munteres Wanderlied. Dann wurde es dunkler und dunkler, der Mond ging auf – guter Mond, Du gehst so stille, hinter Abendwolken hin, und endlich tritt die stille Nacht herein. Der Müde geht zur Ruhe und die Welt liegt unter Gottes Schutz: Nun ruhen alle Wälder!
Den letzteren Choral hatte er vierstimmig zu geigen. Er that es mit wirklicher Virtuosität.
Diese Nummer war, ganz entgegengesetzt der wilden vorigen, ganz geeignet, ihm Gelegenheit zu geben, die Tiefe seines Gefühles zu erschließen und sein Verständniß für das Lyrische zu zeigen. Er endete unter ebenso lebhaftem Applaus wie vorhin. –
Indessen hatte sich eine Scene hinter der Scene abgespielt.
Man kann sich denken, in welcher Lage sich der Concertmeister während der ganzen Zeit befunden hatte. Er wußte ganz genau, daß die Reihe bereits wieder an ihm sei, und – er saß auf dem Baume. Was sollte er thun! Der Sepp kehrte nicht zurück. War ihm Etwas passirt? Je länger, desto größer wurde die Angst des Italieners. Es war ganz unmöglich, auf dem Baume zu bleiben.
Sollte er laut werden? Hilfe herbei rufen? Auf keinen Fall! Er hätte sich dadurch ganz unsterblich blamirt. Er beschloß also, sein Leben zu wagen und herabzuklettern.
Zitternd umfaßte er mit den Armen den Stamm und ließ erst das eine und nachher das andere Bein vom Aste weg. Beide dann auch um den Stamm legend, wie er es wohl bei kletternden Knaben gesehen hatte, begann er die für ihn so gefährliche Fahrt.
Er bekam eine Angst, wie noch nie in seinem ganzen Leben. Seine Reise ging gerade so weit, daß er den niedrigsten Ast mit beiden Händen gefaßt und den Stamm mit beiden Beinen umschlungen hielt.
Tiefer herab? O weh! Wenn er den Ast fahren ließ, traute er es sich nicht zu, sich mit den Armen am Stamme erhalten zu können. Wieder hinauf? Auch um keinen Preis. So blieb er also kleben, wie der Laubfrosch an der Leiter seines Wasserglases. Aber der gute Mann bedachte nicht, daß er dabei seine Kräfte ganz unnütz verschwendete. Er blickte angstvoll empor, wo er nicht hin konnte, und hinab, wo er sich nicht hin getraute. Er zitterte am ganzen Körper.
Da hörte er Schritte, drüben im Nachbargarten. Es kam Einer, der vielleicht dachte, er könne vom Zaune aus Etwas vom Concert hören.
»Holla! Wer ist da oben auf dem Baume?« rief es da drüben.
Er hütete sich natürlich, einen Laut hören zu lassen.
»Antwort!«
Gleiches Schweigen.
»Denkst wohl, ich sehe Dich nicht! Du hängst mir grad maulrecht gegen das Fensterlicht. Also gieb Antwort, wer Du bist, sonst –«
Er vollendete seine Drohung nicht, aber der Herr Concertmeister zog es auch jetzt noch vor, sein Heil im Schweigen zu suchen.
»Nun gut, so hetz ich den Hund hinüber! Phylax, Phylax! Wo bist Du denn?«
Ein fernes Bellen antwortete.
Jetzt war es um die Besinnung des Italieners geschehen. Er mußte hinab, mochte er unten ankommen so oder anders, mit ganzem oder mit zerbrochenem Halse. Er nahm also eine Hand nach der anderen vom Aste weg und legte sie um den Stamm. So hing er oben, mit allen Vieren den Stamm fest umklammernd. Fest? Ja, freilich, aber nur für einen Augenblick, denn seine Kraft ließ nach. Zwar hütete er sich sehr, loszulassen, aber festhalten konnte er nicht mehr, und so rutschte oder vielmehr fuhr er, gewichtig wie ein Dampfhammer, herab und schlug unten auf dem Boden auf, natürlich mit demjenigen Körpertheile, welcher bei ihm am wenigsten spitz war. So kam es, daß er kein Loch in den Boden schlug; aber fest saß er doch, denn er hatte mit solcher Gewalt unten aufgetroffen, daß ihm Hören und Sehen vergangen war. Er sagte sich, daß er jetzt unbedingt ohnmächtig und vollständig bewußtlos sei.
»Phylax!« rief der Kerl da drüben.
Da war es freilich mit der Ohnmacht vorüber. Rialti sprang auf und eilte davon, erst nach rechts und dann nach links. Dort war ein Gebäude und hier auch wieder eins. Hinter ihm stand der Kerl am Zaune, und da vorn, ja da war eine Mauer. Sie war nicht sehr hoch, und ein Weinspalier war an ihr errichtet. Er rüttelte an den Latten desselben. Sie waren fest, wenigstens fest genug für seine hagere, kleine, leichte Gestalt. Er »kraxelte« sich, wie der Sepp gesagt haben würde, mühsam an denselben empor. Aber oben angekommen, bemerkte er zu seinem Schrecke, daß da noch eiserne Spitzen angebracht waren, um das Uebersteigen Unberufener zu erschweren. Wie nun da hinüberkommen?
Draußen ging die Straße vorüber. Er paßte einen Moment ab, an welchem es gerade keinen Passanten gab, und turnte sich auf die Mauer. Vorsichtig über die Spitzen steigend, setzte er sich auf der jenseitigen Kante fest und blickte hinab auf die Straße, um mit dem Auge abzumessen, ob er den Sprung auch riskiren könne.
Da hörte er Jemand kommen. Sollte er sich hier erblicken lassen? Um keinen Preis! Er sprang hinab – oder vielmehr nicht, denn er kam gar nicht hinab. Er hatte nicht an die Schöße seines Frackes gedacht. Während er mit der Hose auf der Mauerkante gesessen hatte, waren diese »Schwalbenschwänze« zurückgeblieben. Sie lagen hinter ihm auf den Eisenspitzen und hingen jenseits noch ein Stück hinab. Jetzt nun, als er den Sprung that, spießten sich die Schöße an den Eisenspitzen fest, und er hing zwei Ellen hoch über der Erde an der Mauer, mit dem Rücken leider gegen dieselbe, so daß er sich gar nicht behelfen und sich aus seiner fatalen Situation befreien konnte.
Mittlerweile war der Mann, dessen Schritte er gehört hatte, herbei gekommen. Dieser Mann war einer der Polizisten, welche nach dem Theater gesandt worden waren, um dort die Ordnung mit zu überwachen. Er hatte bis zum Ende des Concertes dort zu bleiben, war aber, da er jetzt nicht gebraucht wurde, auf den Gedanken gekommen, für einige Augenblicke die freie Luft zu genießen. Da ganz in der Nähe eine Laterne brannte, sah er den unglücklichen Springer an der Mauer hängen und eilte herbei.
»Was Teufel!« meinte er. »Was für ein Vogel hat sich denn da gefangen?«
»Hilfe, Hilfe! Sfie mich loßmacken, ßehr, ßehr!« antwortete der Concertmeister.
»So sehr werde ich das nicht machen, mein Lieber. Sie hängen da sehr gut, um mir Antwort geben zu können. Wie kommen Sie denn in diese Falle?«
»Ich ßein keweßen im Karten.«
»Ah, im Theatergarten? Was haben Sie denn da eigentlich vorgehabt, he?«
»Ich – – ich ßein keweßen ßpaßier.«
»Ach so! Und wenn man in einem Garten spazieren geht, so spaziert man zugleich über die Mauer?«
»Ich hab wollen auf – auf Straßen.«
»Schön! Aber dazu haben Sie die Thüren nicht benutzt. Lieber Freund, das ist verdächtig. Ich arretire Sie. Sie werden mir nach der Polizeiwache folgen.«
»Ich arretiren? Oh, oh, oh! Ich kann nicht mit macken arretir!«
»So? Warum denn nicht?«
»Ich müssen ßpielen Violin bei Concert.«
»Sie? Mit spielen? Wer sind Sie denn da eigentlich, um diese Hauptsache nicht zu vergessen?«
»Ich ßein Signoro Antonio Rialti.«
»Alle Teufel! Der Concertmeister?«
»Ja.«
»Können Sie das beweisen?«
»Ssehr kut, ßehr!«
»So! Dann begreife ich mir nicht, wie Sie in die Lage kommen können, sich während des Concertes, bei welchem Sie mitwirken müssen, hier an diese Mauer aufzuhängen. Ich werde Sie jetzt befreien, und sodann haben Sie die Güte, mir zum Herrn Director des Theaters zu folgen, der Sie legitimiren mag. Ich werde Sie emporheben, und versuchen, Ihre Arme aus den Aermeln Ihres Frackes zu ziehen. Also jetzt. Hopp, hoch!«
Er faßte ihn an und hob ihn hoch. Der Italiener wurde frei, doch nicht in der Weise, wie Beide es sich gedacht hatten. Nämlich er schnellte mit Armen und Beinen, um die Ersteren aus dem Fracke zu ziehen; dadurch stieß er den Polizisten in das Gesicht, so daß dieser ihn loslassen mußte. Dadurch verlor der Kleine natürlich den Halt, plumpste abermals nieder und – die Frackschöße zerrissen; er stürzte zu Boden.
»Oh Unklück, oh Schmerz!« rief er aus. »Da ich lieken im Dreck!«
»Ja, da liegen Sie im Dreck; da haben Sie Recht. Doch hoffe ich, daß Sie nicht ewig hier liegen bleiben. Ich habe Eile mit Ihnen.«
»Ich auck. Ich werd auferßtehn. Aber nun der Frack! Der ßein noch oben.«
»Na, den werden wir gleich herunterbekommen, nämlich, so viel noch davon oben hängt – ein halber Schößel.«
Der Italiener stand auf. Er untersuchte die anderthalb Schwalbenschwänze, welche noch an ihm hingen, und blickte dann hinauf, wo die fehlende Hälfte hing.
»Schlimm, ßehr schlimm!« sagte er.
»Ja, für den dort oben. Wollen Sie ihn wirklich noch herab haben? Er kann Ihnen nichts nutzen.«
»Nein. Ich kleik mir lassen geben ein ander Frack aus Karderoben vom Theater.«
»Das ist das Klügste. Aber wie sehen Sie denn hier vorn aus? Sind Sie auch auf dem Bauche spazieren gegangen und nicht blos auf der Mauer?«
Es war ihm nämlich bei seinem Rutsch vom Baume die vordere Seite der Hose und Weste höchst unglücklich beschädigt worden. Der Kleine blickte an sich hernieder und jammerte:
» A poveretto me – ich Unklücklicker!«
»Ja, und hier!«
Er hob die anderthalb Schwalbenschwänze empor, unter denen auch die Hose einen bedeutenden Riß aufzuweisen hatte. Der Concertmeister fühlte nach hinten, betastete den Defect und rief:
»Auk da! Oh weh, oh weh!«
»Freilich! Sie sind überall und auf allen Seiten in schweren Verlust gerathen. Wenn wir in das Theater gehen, werden wir uns sehr in Acht nehmen müssen, daß Sie nicht von unberufenen Augen begutachtet werden. Kommen Sie! Ich hoffe, daß Sie mir nicht während der wenigen Schritte ausreißen!«
»Außenreißen! Ich! Wie können ich außenreißen bei dießer Toilette!«
»Schön! Also vorwärts!«
Er führte ihn fort. Als sie in das Portal traten, hielt sich der Polizist stets so, daß der Schatten auf den Kleinen fiel. So brachte er ihn mit vieler Mühe und Vorsicht bis nach der hinteren Treppe. Da erklangen die Violintöne des Fex. Der Kapellmeister blieb, wie vom Schlage gerührt, einen Augenblick lang stehen.
»Verrath, Verrath!« rief er dann plötzlich. »Man ßpielen mein Sstück, mein Sstück!«
Er rannte fort, so schnell er konnte, der Polizist natürlich hinter ihm her, der Gedanke sehr nahe lag, daß der Flüchtling einen falschen Namen angegeben und sich nach dem Theater hatte bringen lasten, um dort, wo es mehrere Thüren gab, eine gute Gelegenheit zur Flucht zu benutzen.
So ging der Dauerlauf die Treppe empor, durch mehrere Gänge bis an das erste Garderobezimmer, aus dessen Thür der im Theatergebäude stationirte Feuerwehrmann trat, welcher drin zu thun gehabt hatte. Er sah die Beiden gerannt kommen, den Polizisten hinterher. Natürlich nahm er an, daß der Vorauseilende ein flüchtiger Erdenbewohner sei, nach dem die Polizei sich sehne, und fing ihn in seinen starken Armen auf.
»Halt, halt!« sagte der Kleine. »Ich müssen fort, fort, ßokleick weiter!«
»Nein, Sie bleiben!« antwortete der Feuerwehrmann. »Und übrigens haben Sie hier ganz still zu sein, um nicht zu stören, sonst gebe ich Ihnen Eins auf den Schnabel!«
Er holte mit dem Arme aus, um seiner Verheißung Nachdruck zu geben. Das imponirte dem Signor, und er wagte nun nur noch die Bitte, ihn zum Director zu bringen.
Dies geschah natürlich. Als der Leiter des Kunsttempels den Arrestanten erblickte, kam er ihm schnell entgegen.
»Um Gotteswillen! Wo haben Sie gesteckt?«
Der Gefragte antwortete nicht. Er hörte sein eigenes Stück, und zwar viel besser und genialer vortragen, als er es vermocht hätte. Das benahm ihm den Athem.
»An der Mauer hat er gehangen, hier mit dem Frack. Da, sehen Sie, Herr Director.«
Bei diesen Worten faßte der Polizist den Signor; der Feuerwehrmann griff auch mit zu, und so wirbelten sie ihn mehrere Male um sich selbst herum, so daß alle seine Lecke, welche er beim heutigen Schiffbruche davongetragen hatte, in eminentester Weise zum Vorschein kamen.
»An der Mauer? Der Herr Concertmeister?« fragte der Director. »Das ist ja gar nicht möglich!«
»Sie müssen es doch seiner Kleidung ansehen?«
»Ja, die steht freilich schrecklich aus, schrecklich!«
»Also dieser Herr ist in Wahrheit Signor Rialti?«
»Ja.«
»Sie recognosciren ihn als denselben?«
»Ja.«
»Er ist nämlich mein Arrestant.«
»Was! Alle Teufel! Wen hat er denn ermordet?«
»Sich selbst beinahe. Er hat, wie ich bereits sagte, sich selbst aufgehängt, doch glücklicher Weise nicht mit einem Stricke am Halse, sondern mit und an den Frackschößen.«
»Wie ist das gekommen?«
»Fragen Sie ihn selbst! Mir hat er es bisher nicht erklären können. Uebrigens habe ich nun meine Pflicht gethan und fühle mich zu Weiterem nicht mehr berechtigt. Ich empfehle mich!«
Er entfernte sich mit dem Feuerwehrmanne.
»Aber, bester Signor,« lachte der Director, »ich bin in fürchterlicher Sorge um Sie gewesen. Wo haben Sie denn eigentlich bisher gesteckt?«
Aber soeben erschollen die letzten Accorde des »Nun ruhen alle Wälder,« und dann hörte man den darauf folgenden Beifallssturm. Darum beantwortete der Gefragte nicht die an ihn gerichtete Erkundigung, sondern rief:
»Das waren mein Sstück. Welk einen Applaus! Wer haben geßpielen, wer?«
»Glücklicher Weise habe ich einen ausgezeichneten Ersatzmann für Sie gefunden, noch im letzten Augenblicke.«
»Wer? Wo? Ich müssen ihn ßehen, ßehr, ßehr!«
Er rannte fort und – geradewegs auf die Scene, ohne an den schauderhaften Zustand seiner Kleidung zu denken. Glücklicher Weise war soeben der Vorhang herabgelassen worden, so daß der Anblick des Beschädigten wenigstens dem Publikum erspart blieb. Doch rannte dieser mit – Leni zusammen, welche auch in diesem Augenblick herbeikam, um dem Fex die Hand zu geben.
»Pardon – Verßeihen Ssie!« rief er aus.
»Mei, – der Herr Capellmeister!« sagte sie erstaunt. »Und wie – oh, gehen Sie!«
Sie wendete sich schnell von ihm ab. Er aber hatte jetzt keine Zeit, auf seinen Zustand Rücksicht zu nehmen. Er stürzte auf den Fex zu, in dessen Händen er seine Violine erblickte.
»Wer haben keßpielt. Ssie, Ssie?« fragte er.
»Ja,« antwortete der Fex.
Erst jetzt betrachtete der Kleine denselben genauer. Wegen der anderen Kleidung, welche der Fex jetzt trug, hatte er ihn nicht sogleich erkannt; nun aber rief er erstaunt aus:
»Fex, der Fex! Du, Du willßt haben keßpielt mein Sstück auf meiner Violine?«
»Ja.«
»Das ßein nicht wahr, nicht!«
Da nahm ihn der Director am Arme und zog ihn unter beruhigenden Worten mit sich fort, in ein Zimmer hinein. Dort blieben sie eine Weile, dann kam der Director allein wieder heraus und winkte den Sepp zu sich heran. Es gab eine ernste Auseinandersetzung, von welcher nur die letzten Sätze zu verstehen waren da sie nicht mehr heimlich, sondern mit erhobener Stimme gesprochen wurden.
»Also, er ist wirklich wegen – wegen – – na, auf den Baum gestiegen?« fragte der Director.
»Ja, nur deshalb.«
»Und kein Anderer hat davon gewußt, als nur Sie ganz allein?«
»Keiner.«
»Sie haben mich in schwere Verlegenheit gebracht, doch – –«
»O, ich hab wußt, daß der Fex es noch besser macht.«
»Eben darum will ich Ihnen verzeihen. Wir haben dadurch einen Violinisten entdeckt, der sonst wohl noch lange im Verborgenen geblieben wäre; aber es hat dabei zu bleiben, daß der Signor unwohl geworden ist.«
Dieser, nämlich der Signor, schlich sich nach einiger Zeit mit seiner Geige heimlich davon. Er hatte, um seine Blößen zu decken, sich aus der Garderobe einen Theaternmantel ausgeborgt.
Beinahe wäre er dabei noch von Liszt erwischt worden, denn kaum hatte er den Gang verlassen, so kam dieser herbei, da jetzt nun sein Vortrag beginnen sollte.
Das kostbare Instrument, welches er sich eigens mitgebracht hatte, wurde auf die Bühne geschafft. Gleich als der Vorhang sich erhob und Liszt vortrat, wurde er von freudigen Rufen empfangen, in welche sich sogar, die ungarische Abstammung des Künstlers berücksichtigend, mehrere »Eljen!« mischten.
Er spielte Themen aus der von ihm selbst componirten Hunnenschlacht, natürlich mit gewohnter, unerreichbarer Meisterschaft, welchen er als Honorar für den ihm gespendeten geradezu nie dagewesenen Beifall eine Paraphrase folgen ließ.
Als er geendet hatte, kehrte er nach der Loge des Königs zurück.
Jetzt kam die vorletzte Nummer. Mancher Blick hatte erst verwundert auf dem Programm geruht: »Die alte Bettlerin, gedichtet und componirt vom Fex, gesungen von Signora Mureni.« Seit aber der Besitzer dieses sonderbaren Namens sich als ein so ausgezeichneter Geiger gezeigt hatte und die Nachrichten über seine Person und Verhältnisse von Mund zu Mund gegangen waren, hatte sich die Spannung, mit welcher man dieser Nummer entgegensah, ganz bedeutend gesteigert.
Die Scene wurde wieder so gesetzt wie beim ersten Auftreten Leni's – die alte Sennhütte auf hoher Alm. Als der Vorhang sich hob und das Auditorium dieses nun bereits bekannte Bühnenbild erblickte, wurde lebhafter Beifall geklatscht. Die Musik begann, und die Leni trat auf.
»Die Lorbeerkränze!« befahl der Director leise.
Sie wurden gebracht und in Bereitschaft gehalten.
Beim ersten Anblick der Sängerin ging es wie eine Enttäuschung durch den Zuschauerraum. Sie trat in gebeugter Haltung ein, mit einem alten Mantel bekleidet, ein Tuch um den Kopf und einen Stock in der Hand. Ihr Gesicht war das eines alten Weibes – ohne Schminke, Farbe und sonstige künstliche Mittel. Man hatte ihr einen warmen Empfang zugedacht, aber diese Erscheinung erkältete die Wärme, mit welcher man ihrer bisherigen Vorträge gedacht hatte.
Die Blicke flogen von ihr weg nach dem Orchester. Was waren das für Töne, für Harmonieen, so fremdartig herzergreifend, fast schmerzhaft die Nerven berührend. Das klang wie an einander gereihte klingende Thränen!
In eben solchen Tönen begann die alte Bettlerin ihr Lied. Ihre Stimme zitterte vor Alter, und ihr matter Hals wollte nur schwer den Kopf in der Höhe tragen. Sie sang von Krankheit und Hungersnoth, von verrathener Liebe und zehrendem Grame, verlassen von den Eltern, verlassen von dem Manne, im Kampf mit dem Elend, das Herz voller Jammer – nur ein einziger Strahl wars, der in das Dunkel ihr drang – – –
Dabei hob sich ihr Haupt, und ihre Augen gewannen Leben; die Stimme wurde kräftig, voller Halt, die Instrumentalbegleitung stieg im Crescendo empor, und den Arm mit dem Stocke hoch erhebend, sang sie, im Mezzoforte beginnend und im stärksten Fortissimo endend:
»Als Alle mich verlassen hatten
In meines Unglücks schwerer Nacht,
Stand ich in meines Königs Schatten;
Mein König hat an mich gedacht!«
Jetzt, jetzt mehr als zuvor zeigte es sich, welche Kraft in Leni's Stimme lag. Wie ein brausender Strom ergoß sie sich über das ganze Haus. Hingerissen von dieser Mimik, diesem Vortrage, dieser Stimme, brachen bereits jetzt die Hörer in stürmischen Beifall aus.
Und nicht die Sängerin allein war es, der dieser Letztere galt; nein, das Lied, der Text sowohl wie auch die Melodie, war so eigenartig, so originell und dabei meisterhaft gehalten, daß man ganz unwillkürlich beim Lob der Sängerin auch des Dichters und Componisten denken mußte.
Und wieder begann sie von Entsagung und Anfechtung, von aller Noth des Körpers und der Seele. Jetzt gehen sogar die Kinder von ihr, Undank zahlend für die größten Opfer. Jetzt giebt es keine Seele mehr, an der sie sich festhalten kann, um nicht unterzugehen – nein, doch eine, eine erhabene Seele: Der König ist ihr erschienen als rettender Engel mit helfender Hand, und nun jubelt sie abermals:
»Als Alle mich verlassen hatten
In meines Unglücks schwerer Nacht,
Stand ich in meines Königs Schatten;
Mein König hat an mich gedacht!«
Wieder derselbe Beifall, und dann beginnt sie von der letzten Tagereise der irdischen Pilgerfahrt. Das Leben stirbt hin; der Staub neigt sich mehr und mehr der Erde zu. Das Auge wird dunkel, und die anderen Sinne verweigern den Dienst. Von vornher rauscht bereits die Brandung der Ewigkeit. Mach Deine Rechnung quitt mit dem Leben, so arm es auch gewesen sein mag. Mit wem soll sie, die Bettlerin, abrechnen? Wem ist sie Etwas schuldig? Den Menschen, die ihrer nicht gedachten? Den Ihrigen, von denen sie verlassen wurde? Nein, ihrer kann sie nur mit der Bitte gedenken: »Verzeihe ihnen, o Herr, wie ich ihnen verzeihe!« Aber Einen giebt es, einen Einzigen, dem sie so viel schuldig ist, ihre Rettung von Verzweiflung und Tod. Ihm muß sie die erlösende That schuldig bleiben. Aber noch ihre letzten Gedanken gehören ihm, und mit ihrer letzten Kraft richtet sie sich vom Sterbelager empor, und ihre letzten Worte lauten:
»Als Alle mich verlassen hatten
In meines Unglücks schwerer Nacht,
Stand ich in meines Königs Schatten;
Mein König hat an mich gedacht!«
Welch ein Vortrag! Wars möglich. daß vor wenigen Monaten diese Sängerin noch eine arme, ungebildete Sennerin gewesen war? Sie war während der letzten Strophen in die Knie, dann sogar ganz niedergesunken, und hatte sich sodann, ganz wie eine Sterbende, mit letzter Kraft halb erhoben, um die letzten Takte wie einen Segenswunsch hinüber zur Königsloge schwellen zu lassen.
Da flossen Thränen, wirklich heiße Thränen. Niemand schämte sich derselben; aber als trotz dieser tiefen, tiefen Rührung der Beifall beginnen wollte, da sprang sie vollends vom Boden auf, machte eine abwehrende Armbewegung, warf Mantel, Tuch und Stock von sich und stand nun ganz so da wie bei ihrer ersten Nummer – als Sennerin Leni.
Das überraschte. Was hatte das zu bedeuten? Was wollte sie? Warum that sie das? Ein lautloses Schweigen trat ein, keine Hand bewegte sich mehr, um mit dem Taschentuche offen oder halb verstohlen die Thränen zu trocknen.
Was sie wollte? O, es sollte ja noch die letzte Strophe kommen, in welcher sie von sich selber singen wollte, dankerfüllt gegen den hohen Wohlthäter, durch dessen Barmherzigkeit sie hier begeistert und begeisternd stand.
Der Dirigent nickte rechts und links lächelnd seinen Leuten zu. »Jetzt kommts! Paßt auf!« wollte er sagen. Und wirklich, er hatte Recht.
Nicht mehr schmerzlich klagend und doch ganz in derselben Melodie, in epischer Fülle und Schönheit klang das Vorspiel voran, und dann fiel Leni ein:
»Einsam, auf hoher, stiller Alm,
Lebt ich, die Tochter der Natur,
Im prächt'gen Wald ein armer Halm,
Gehört ich meiner Heerde nur.
Da plötzlich drang ein Ton der Gnade
Zu mir ins kleine Alpenhaus
Und rief von meinem engen Pfade
Ins reiche Leben mich hinaus – – –«
Die Spannung, mit welcher Aller Augen und Ohren gegen die Sängerin gerichtet war, läßt sich gar nicht beschreiben. Und sie verdiente es auch. Das waren Herzenstöne, welche ihrer schönen Brust entquollen, und darum konnte es gar nicht anders sein: sie mußten wieder zum Herzen gehen.
Und weiter lautete die Strophe:
»Wohl möcht ich fürchten all den Glanz,
Der fremd mir und erdrückend war;
Vielleicht welkt nie ein Lorbeerkranz
Dereinst auf meinem greisen Haar;
Doch, leuchtet mir an Tempelstufen
Der Kunst bezaubernd Morgenroth,
Und hat mein König mich gerufen,
So folg ich freudig dem Gebot.
Ade, ade, ihr grünen Matten;
Ade, der Gletscher wilde Pracht!
Ich steh in meines Königs Schatten;
Mein König hat an mich gedacht!«
Wohl selten war eine solche Wirkung eines Liedes gesehen worden, wie jetzt. Schon in der Mitte der Strophe hatte die Stimme Leni's zu zittern begonnen. Thränen füllten ihre Augen. Bei den Worten: »Ade, ade, ihr grünen Matten« mußte die Begleitung eine Pause machen, denn die Sängerin schluchzte laut auf und konnte nicht weiter; dann aber fuhr sie weiter fort, und unter strömenden Thränen, aber wie mit Orgelton und Glockenklang endete sie mit mächtig dahinbrausender Stimme:
»Ich steh in meines Königs Schatten;
Mein König hat an mich gedacht!«
Die Worte waren verklungen, und die Musik schwieg. Still wie in einem leeren Tempel war es für einen Augenblick – da schallte ein lautes, lautes, herzbrechendes Weinen durch den Raum; der Sepp war es. Der Fex konnte sich auch nicht halten und fiel ein. Leni, bis jetzt still stehend, schlug die beiden Hände vor das Gesicht und eilte schluchzend hinter die Coulissen und – – –
War es möglich! War so Etwas bereits einmal dagewesen? Auch draußen im Zuschauerraume, rechts und links, oben und unten, brach die Rührung hervor, welche nicht mehr zurück zu halten war: Man weinte allgemein.
Auch der König saß still und bewegungslos, den Arm, welcher das Taschentuch hielt, auf die Brüstung gestützt und das Gesicht in die Hand gelegt – – – er weinte!
Wagner und Liszt, die beiden Meister der Tonkunst, auch ihre Kraft war zu gering: Sie hatten Thränen.
Nur Einer saß unten, dessen Auge nicht naß wurde – der Krikelanton. Der Grimm ließ ihn zu keiner Rührung kommen.
So blieb es fast über eine ganze Minute lang, in solcher Situation eine ganz beträchtliche Zeit; dann aber regten sich erst zwei Hände, dann mehrere, endlich alle. Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Die Leni mußte erscheinen.
»Mureni heraus! Mureni!« rief es immer von Neuem.
Sie erschien immer wieder. Da rief eine Stimme:
»Der Fex heraus!«
»Der Fex! Fex, Fex!« fielen Andre ein.
Er kam. Und da rief abermals Jemand:
»Wurzelsepp, heraus! Der Pathe heraus.«
»Sepp! Wurzelsepp! Der Pathe!« so erklang es aus vielen hundert Kehlen.
Und als nun die Drei bis fast vor am die Lampen traten, da kamen die Diener und machten die vorhin gesungenen Worte unwahr:
»Vielleicht welkt nie ein Lorbeerkranz
Dereinst auf meinem greisen Haupte.«
O, sie brauchte nicht zu warten, bis der Schnee des Alters sich auf ihr Haupt legen wird! Bereits heut, bei ihrem ersten Auftreten, waren ihr Lorbeerkränze beschieden. Mehrere, mehrere wurden gebracht, und weinend, immer noch weinend, legte sie einen davon dem Fex auf den Kopf und einen andern dem Wurzelsepp. Der Alte befand sich in einem unbeschreiblichen Zustand. Er weinte und lachte zu gleicher Zeit. Immer noch auf offener Bühne stehend, umarmte er die Leni und umarmte den Fex, und als der Direktor herbeitrat, um der Sennerin noch einen mächtigen Blumenkorb zu überreichen, da faßte der Alte auch ihn in die Arme, hielt ihn riesenfest und sprang mit ihm zu gleichen Beinen auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, herum.
Ja, einen solchen Erfolg hatte dieses Haus noch niemals erlebt, und als der Vorhang fiel, nahm der Direktor die Leni fest und führte sie in sein Zimmer. Dort blieb er vor ihr stehen, blickte sie einige Augenblicke lang zagend an und sagte dann:
»Nein, ich will keine lange Rede halten sondern es kurz machen: Signora Mureni, welche Bedingungen machen Sie mir, wenn ich Sie engagire? Ich bitte um eine gnädige Strafe!«
»O, ich werde allerdings sehr gnädig sein,« antwortete sie. »Ich strafe Sie nicht.«
»Das macht mir das Herz leicht. Sie wollen also Ihre Bedingungen nicht gar so drückend machen?«
»Ich mache gar keine.«
Sein Gesicht begann, vor Freude zu glänzen.
»Wie? Sie wollen das mir überlassen?«
»Nein. Sie verstehen mich falsch. Ich will Sie nicht strafen und Ihnen auch keine Bedingungen machen; das heißt, ich kann überhaupt kein Engagement eingehen.«
»Ah! Das heißt, bei mir nicht!«
»Nein, überhaupt nicht. Ich bin nicht leichtsinnig und lasse mich durch den heutigen Erfolg nicht zu einer Selbstüberhebung verleiten. Ich besitze Gaben, die ich später einmal beherrschen werde; jetzt aber bin ich noch ein dummes Ding, welches viel, so sehr viel zu lernen hat.«
»Ists denn so gar sehr viel?«
»So viel, daß es mir zuweilen angst und bange wird. Bedenken Sie. daß ich fast beim ABC habe anfangen müssen und beim Einmaleins. Und welche reichen Kenntnisse gehören oft dazu, um eine Rolle zu verstehen!«
»Sie haben Recht. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich mich im Grunde genommen über den Ernst, mit welchem Sie Ihren hohen Beruf betrachten, freue.«
»Ich danke Ihnen und will Ihnen dafür auch ein offenes Geständnis machen, Herr Director.«
»Nun, ich bin gespannt, es zu hören.«
»Ich werde nie, nie vergessen, daß ich meinen ersten Schritt bei Ihnen gethan habe. Sie find also gewissermaßen mein Pathe, mein – – –«
»Ihr Wurzelsepp!« unterbrach er sie lächelnd.
»Ja; Sie brauchen sich dieses Vergleiches nicht zu schämen. Der Sepp ist ein tüchtiger Kerl; auf den laß ich nichts kommen; also auf Sie auch nicht, da Sie mein Pathe ebenso sind. Und wenn ich mir einst sagen kann, daß ich das Schulbuch weglegen darf, so werde ich, wenn auch kein festes Engagement, aber doch wenigstens Station bei Ihnen nehmen, damit Sie sehen, daß ich dankbar bin.«
»Daß Sie dankbar sind, das haben Sie heut mit Ihrer letzten Nummer bewiesen – – –«
»Die eigentlich die vorletzte war. Die letzte ist ja gar nicht gegeben worden.«
»Daran sind Sie schuld mit Ihren Erfolgen. Uebrigens bestand die letzte Gabe nur in einem kurzen Orchesterstück. Also ich darf mich darauf verlassen: Station bei mir ...?«
»Ja.«
»Die Hand darauf!«
»Hier, topp!«
»Topp!«
Da wurde die Thür geöffnet. Der König stand unter derselben. Er trat ein, da der Director sich sofort unter einer tiefen Verneigung zurückzog und den Eingang hinter ihm schloß.
Der König nickte ihr mild vertraulich zu und fragte:
»Ein Engagement eingegangen?«
»Angeboten worden aber nicht darauf eingegangen, Majestät!«
»Warum?«
»Ich bin ja noch ein kleins Schuldirndl!«
»Recht so! Nicht stolz werden! Sie tragen einen überreichen Gottessegen in sich. Aber bevor Sie über denselben verfügen, müssen Sie sich desselben durch großen Fleiß und ernste Ausdauer würdig machen. Ist der Fex wirklich zugleich Dichter und auch Componist des letzten Liedes?«
»Ganz gewiß, Majestät.«
»Ein wunderbarer Mensch! Vielleicht Ihnen ebenbürtig an Gaben und Energie. Aber jetzt vor allen Dingen von Ihnen! Sie haben mir heut eine seltene Freude bereitet. Ich war eine kurze Zeit sehr glücklich. Haben Sie einen Herzenswunsch, so sagen Sie ihn mir!«
Sie schüttelte sinnend mit dem Kopfe.
»Fällt Ihnen nichts ein? Nun, so denken Sie einmal nach! Ich gebe Ihnen Zeit.«
Da sagte sie erröthend:
»Majestät, ich habe einen Wunsch; aber er ist so groß, so groß und ein schlimmes Wagniß!«
»Ist das Wagniß gar so gefahrdrohend?«
»Ja. Ich kann mir den Zorn Ew. Majestät erwerben.«
»Nun, so denke daran: Ich steh in meines Königs Schatten!« beruhigte er sie lächelnd. »Sprich also freimüthig! Was wünschest Du?«
Er hatte das Sie in das Du umgewandelt. Das gab ihr den Muth zu den Worten:
»Es ist ein Geschenk, ein Andenken, welches ich heilig halten würde bis an meinen Tod, höher als alles Andere, und kein Blick sollts je entweihen.«
Bei diesen Worten waren ihre Augen dunkler geworden. Sie füllten sich mit Thränen.
»Nun, was ist es denn? Sei muthig!«
»Nur ein – ein – nur ein Taschentuch,« stockte sie.
Er wendete sich halb ab, wie um seine Rührung zu verbergen, schwieg eine Weile und sagte dann:
»Du sollst es erhalten. Ja, Du hast Recht, es ist eine Gabe, welche kein anderer Monarch verleihen würde. Aber die Tropfen, welche es trank, hast Du meinem Auge entlockt, und Du sollst sie auch empfangen und behalten dürfen. Ich sende es Dir. Und hier hab ich Dir Etwas mitgebracht. Ich ahnte, daß Dein Debut nicht ohne Erfolg sein werde. Es sind Dir reiche Kränze geworden. ›Dein König hat an Dich gedacht.‹; Er bringt Dir nur ein einziges Blatt; vielleicht aber überdauert es alle diese Kränze. Gute Nacht!«
Er gab ihr ein kleines Etui in die Hand und ging schnell hinaus, ihr keine Gelegenheit zum Dank zu geben. Sie öffnete das Etui. Es enthielt – ein Lorbeerblatt, in Gold gefaßt und mit edlen Steinen umgeben. Auf dem Rücken der Fassung war eine Sennhütte eingravirt, und darunter standen die Worte: »Auf der Alm, da giebts ka Sünd.«
Sie drückte dieses kostbare Kleinod an ihr Herz, sank auf die Kniee nieder und sagte:
»O Gott, so was bin ich doch gar nicht werth. Ich will ja recht brav und fromm sein, denn jede Sünd, die ich begehen würd, ist doppelt schwer!«
Als sie dann aus dem Zimmer trat, stand der Sepp da und wartete auf sie.
»Wo ist der Fex?« fragte sie.
»Den hat der Capellmeistern gefangen nommen. Wer weiß, was der ihm da für Luftschlössern vorbauen wird. Wann der talkete Kerlen nur klug ist und gar nicht mitmacht.«
Richtig, als die Beiden noch sprachen, kam der Fex ans der Coulisse, halb auf der Flucht, hinter ihm her der Capellmeister, ihn am Schoße der geborgten Joppe festhaltend.
»Halt, halt, Herr Fex!« rief er dringend.
»Laß mich aus mit dem ›Herrn!‹; Ich bin der Fex,« antwortete der junge Mann, indem er sich von ihm frei zu machen suchte. »Ich hab halt jetztunder keine Zeit mehr übrig.«
»So gieb mir doch wenigstens Antwort!«
»Ich mach nicht mit!«
»Für fünfzehnhundert Mark und freie Station? So biete ich hundert mehr. Also schlag ein!«
Er zog den Fex zu sich zurück und hielt ihm die Hand zum Einschlagen entgegen. Dieser gab sich vergebliche Mühe, sich loszureisen und antwortete ungeduldig:
»Jetzt frag ich nun blos, obst mich loslassen willst! Ich mach nicht mit. Jetzt hasts nun ganz genau gehört.«
»Nein; ich laß Dich nicht los! Du mußt mitmachen. Ich will auch noch zulegen. Ich geb siebzehnhundert. Das ist doch ein nobles Angebot. Nun wirst Du mir den Zuschlag geben.«
»Nein, sondern die Joppen geb ich Dir.«
Wie ein Joseph bei der Potiphar schlüpfte er aus dem Rocke, welcher in der Hand des Capellmeisters hängen blieb, und rannte fort – der Capellmeister mit dem Rocke hinter ihm her. Aber schon nach wenigen Augenblicken kam er von der anderen Seite wieder. Vorsichtig und schlau hinter der Coulisse hervorspähend, fragte er lachend:
»Ist er halt auch wieder da?«
»Nein,« antwortete der Sepp.
»Das ist gut. Nun bin ich ihn los, und er mag sehen, wo er mich findet. Jetzt nun sagst mal, ob Ihr auch fertig seid.«
»Freilich. Wir können gehen.«
»So will ich erst meine Garderoben ablegen und mein eigen Gewandt wieder anthun. Wartet noch diese Minuten!«
Er ging in diejenige Garderobenabtheilung, in welcher er sich umgezogen hatte. Leni meinte:
»Jetzt komm, Sepp; ich will indessen nach meiner lieben Madame Qualéche sehen. Die wartet auf mich.«
Sie traten hinaus und gingen hinunter nach dem Corridore, welcher hinter dem Parquet entlang führte. Eben als sie dort eintraten, that es einen großen Krach, und eine fette Stimme rief:
»Zu Hilfe! Zu Hilfe! Wo bin ich?«
Das war Madame Qualéche. Sie hatte mit Paula auf die Leni warten wollen. Um nicht stehen zu müssen, hatte sie es vorgezogen, sich zu setzen. Ein Stuhl aber von der Sorte, wie sie hier im Gange standen, war ihr zu schmal. Darum hatte sie sich von Paula zwei derselben zusammentragen lassen und darauf Platz genommen. Nach ihrer bekannten Weise war sie sogleich auf demselben eingeschlafen.
Paula war, um sich die Zeit des Wartens zu vertreiben, indessen langsam auf und abgegangen. Die dicke Dame hatte nach Art solcher Schläferinnen fleißig genickt. War ihr der Kopf dabei zu weit niedergesunken, so hatte sie sich sogleich wieder in aufrechte Stellung zurecht gerückt. Durch dieses wiederholte Rücken waren die beiden Stühle nach und nach auseinander geschoben worden, und als sie jetzt nun eine etwas kräftigere Bewegung machte, rutschte sie zwischen den Stühlen nieder und setzte sich mit einem lauten Plumps aus den Boden nieder. In ihrem ersten Schrecke und, noch halb im Schlafe, nicht sogleich wissend, wo sie sich befand, schrie sie um Hilfe. Leni und der Sepp kamen von der anderen Seite geeilt.
»Was machst denn hier?« fragte der Letztere. »Hast Dich wieder hergesetzt wie dort in der Mühlen unten an der Treppenstufen? Du mußt doch außerordentlich gern da unten auf der Parterrenerden sitzen.«
»Oh, oh!« stöhnte sie. »Ich Unglückliche! Seht doch einmal nach, ob ich noch ganz bin, ob ich nicht Etwas zerbrochen habe!«
»Ganz bist noch; das sehe ich wohl schon. Und zerbrochen wirst auch nix haben; das ist gewiß.«
»Aber es thut mir ja Alles weh!«
»Das wird nicht gefährlich sein. Wer so weich fallt, der kann nix brechen. Deine Knochen sind halt sehr gut gepolstert; denen kann so ein Fall nix schaden.«
»Aber ich fühle es ja!«
»Wo denn?«
»Hier in den Armen und in den Beinen und da hinten im Kreuze und in den Rippen und oben am Halse und sogar auch im Kopfe.«
»So hast eben Alles gebrochen, Du armes Wurm. Ich will nur gleich nach dem Siechkorb laufen.«
»Nach was?« rief sie entsetzt.
»Nach dem Siechkorb.«
»Was ist das für ein Korb?«
»Das ist derjenige Korb, in dem die todten Kranken und die lebendigen Leichen, die Versauften und Gehenkten nach dem Krankenhaus und nach der Leichenhallen schafft werden.«
»Und in dem soll ich fortgeschafft werden!« stöhnte sie erschrocken. »Auf keinen Fall! Lieber sterbe ich!«
»Dann wirst erst recht in den Korb steckt.«
»So bleib ich leben, auf alle Fälle!«
»Schön! So wollen wir sehen, obt aufstehen kannst. Greift mal zu. Paula und Leni. Aberst derb; sie ist schwer!«
Die beiden Mädchen griffen an den Armen an, und er stellte sich hinter die Dicke, faßte sie mit beiden Armen um den Leib und commandirte:
»Jetzt, hebt auf! Eins, zwei und drei!«
Sie wendeten alle Kräfte an, aber vergeblich, da die Direktorin um so schwerer war, als sie sich lang ausstreckte und nicht die mindeste Anstrengung machte, die Bemühungen der Drei zu unterstützen.
»Es geht nicht,« meinte der Sepp, indem er sie wieder fallen ließ.
»Nein, es geht nicht!« stöhnte die Dame selbst. »Ich unglückliches Menschenkind! Wie komme ich wieder auf!«
»Da kommt ein Logenschließer; der mag mit helfen.«
Der Mann eilte herbei und faßte dienstbeflissen mit an; aber da es dem Sepp eigentlich gar nicht sehr ernst mit seiner Anstrengung war, so blieb auch diese Bemühung vergeblich.
»Sie ist wirklich zu schwer!« meinte der Schließer.
»O nein,« antwortete der Sepp. »Wir sind ja an die vier Personen, und da haben wir wohl Kräften genug, sie empor zu winden. Aber ich glaub nun halt doch auch, daß sie sich einen Schaden than hat.«
»Ja, ja!« stimmte sie bei. »Mein ganzer Körper schmerzt mich so, als ob er eine einzige Wunde sei!«
»So wollen wir mal untersuchen. Zeig den Arm her!«
Er ergriff ihren rechten Arm und rückte ihn mit aller Kraft aus.
»Au!« schrie sie auf.
»Thats etwan weh?« fragte er.
»Schrecklich!«
»So hast ihn brochen. Und nun der linke!«
»Au!« schrie sie auch jetzt, als er an diesem in seiner kräftigen Weise zog.
»Auch er thut weh?«
»Fürchterlich!«
»So ist auch er brochen. Und nun da unten!«
Er ergriff sie an dem einen Fuße, um ebenso an demselben zu ziehen.
»Was wollen Sie mit meinem Beine?« schrie sie auf.
»Ich will mich da mal dranspannen, um auch so zu rucken, wie an den Armen.«
»Um aller Welt willen, nein!«
»Warum nicht?«
»Weil das Bein bereits jetzt so sehr schmerzt, daß ich es kaum mehr aushalten kann.«
»So hast es auch brochen! Und das Andere? Zeig her!«
»Nein, nein!« wehrte sie zeternd ab.
»So halt doch still! Warum denn nicht?«
»Es schmerzt noch weit mehr als dieses.«
»So ists halt noch zerbrochener. Wir können Dich da unmöglich aufibringen. Da giebts nur eine einzige Hilf und Rettung.«
»Welche denn?«
»Der Siechenkorb. Ich werd gleich darnach laufen. Der Logenschließern mag mitkommen, daß wir ihn schnell herbei bringen. Es gehören zwei Leutln dazu.«
Er ergriff den Schließer beim Arme und zog ihn mit sich fort. Sie waren bereits an der Thür, da rief die Dicke:
»Halt, halt! So bleiben Sie doch! Ich habe nichts gebrochen.«
»Freilich hast Alles brochen!« antwortete der Sepp, »sogar der Hals ist entzwei; er thut Dir ja weh!«
»Nein, jetzt nicht mehr. Laßt den Siechkorb da, wo er ist! Ich kann ganz allein aufstehen. Paßt auf!«
Sie hielt sich am Stuhle an und würgte sich ohne alle Unterstützung auf. Dann aber stand sie athemlos und pustend da, wie eine Dampfmaschine.
»Verteuxeli! Wahrhaftig, es ist gangen!« rief der Sepp, sich ganz erstaunt stellend.
»Freilich!« keuchte sie.
»Also hast wirklich nichts brochen?«
»Nein, nein!«
»Aber den Korb müssen wir dennerst holen, wannt etwan nicht gut laufen kannst.«
»Mich hinein legen lassen, wo die Leichen gesteckt haben! Auf keinem Fall! Ich kann laufen! Da seht!«
Sie lief so schnell, wie seit Jahren nicht, den Corridor hinab, dem Ausgange zu.
»Ja,« lachte der Sepp, »Du, wannst so sehr gut laufen kannst, so kannst bald Schnelllaufern werden oder Postboten hinaus auf's Land! Ich bin nur froh, daßt ganz blieben bist. Vorerst sah's gefährlich aus. Ich hab eine Aengsten ausstanden wie in meinem ganzen Leben noch nimmer. Jetzt da kommt auch der Fex. Der wird sich gar sehr freuen, daßt nicht zerbrochen bist.«
Der Fex war heruntergekommen, weil er in den oberen Räumen vergeblich nach der Leni und dem Sepp gesucht hatte. Als er die Worte des Letzteren hörte, erkundigte er sich nach der Veranlassung derselben.
»Schalksnarr!« raunte er dem Alten zu. »Kannst die Dummheiten doch nimmer lassen!«
»Ja, weißt,« antwortete der Alte, »so ein Gespaß, wanns halt keinen Schaden macht, ist meine einzige Freuden auf der Welt. Was thun wir?«
»Nach Haus gehen wir.«
»Bereits?«
»Ists etwan nicht spät genug?«
»Eigentlich ja. Aberst nach dem Jubilari heut Abend thät ich doch am Allerliebsten noch ein Bier mit Dir trinken.«
»Etwan im Wirthshausen?«
»Freilich! Wo sonst?«
»Das müßt fein schön ausschaun, wenn ich, der Fex, in eine Restaurationen käm und mich als Gast hinsetzen thät. Da würden die Leutln die Mäulern gar sehr aussperren. Ich bin noch nimmer mein Lebtag irgendwo einikehrt.«
»Aberst heut kannsts. Heut bist ein großer Mann!«
»Heut bin ich noch immer der Fex.«
»Wirsts aberst nicht bleiben!«
»So! Nachdem der König Dich hat in seine Logen kommen lassen? Was hat er Dir da eigentlich sagt?«
»Das werd ich Dir morgen verzählen. Jetzt aber müssen wir gehen und unsere Damen begleiten.«
»Damen begleiten! Himmelsakra, bist auf einmal nobel worden! Damen und begleiten!«
»Sollen wir sie allein nach der Mühlen laufen lassen?«
»Warum nicht? Dera Mond ist aufigangen und scheint wie eine Gaslampen hernieder.«
»Dennoch müssen wir höflich sein.«
»Na, meineswegen! Aberst mit dera Dicken werden wir unsere liebe Noth und Besorgnissen haben.«
Er hatte Recht. Sie wär am Liebsten heimgefahren; aber da es hierorts keine Droschken gab, so mußte sie auf diese Bequemlichkeit verzichten. Doch schimpfte sie weidlich auf den Concert- und den Capellmeister, daß diese es versäumt hatten, ihr die Cavalierdienste anzubieten.
»Das schadet nix,« wurde sie von dem Sepp getröstet. »Wannst in krummen Arm laufen willst, so kann ich Dir ja den meinigen geben. Hier hast ihn!«
Er machte ihr eine Verbeugung und bot ihr den Arm an; sie aber wies ihn ab. Mit dem Wurzelsepp Arm in Arm gehen, sie, die Frau Direktorin Qualéche! Welch eine Blamage, wenn es bekannt worden wäre!
Aber als sie die Stadt hinter sich hatten, und nun der schlechtere Nachbarweg begann, wo sie oft über Steine und Unebenheiten strauchelte, bat sie den Alten doch selbst, sie zu führen.
»Ja, nun ist der Sepp freilich gut!« lachte er. »Na, da hast den Arm. Häng ein? Und wannst herfallen thust, oder Dich wieder mal aufs Parterr setzen willst, so sags; ich hab halt nix dagegen.«
Ein Mann war zu ihrer Unterstützung zu wenig; der Fex mußte sie an dem andern Arm nehmen. So kam es, daß dieser keine Zeit und Gelegenheit fand, seine Gedanken mit der Paula auszutauschen.
An der Mühle trennte man sich. Paula gab dem Fex die Hand und sagte:
»Ich hab noch gar nicht zu Dir sprechen könnt, lieber Fex. Mein Herz ist so sehr voll von dem, was ich sehen und hört hab, daß ich gar keine Worten find. Aber freuen thu ich mich grad so sehr wie Du, daß Dir eine solche Ehren widerfahren ist. Sag mir nur das Eine: Was hat der König mit Dir sprochen?«
»Er will mich zu einem großen Meistern auf der Violinen thun und auch aufs Conservateri hinauf.«
»O Jegerl! Wann wohl?«
»Das ist noch nicht bestimmt. Es soll erst morgen in dera Früh ausmacht werden. Vielleicht muß ich bereits morgen von hier fort.«
»Wie! Du verschrickst darübern, daß der König mir so eine große Gnaden erweisen will!«
»Darüber? O nein! Darüber kann ich mich ja nur ganz außerordentlich gefreun. Aberst daßt von hier fort sollst, darüber bin ich so verschrocken. Willst denn auch wirklich fort? Hast bereits ja sagt?«
»Nein. Ich hab gar nix sagt, wedern Ja noch Nein, denn ich hab vor Freuden und Glück gar nimmer reden und antworten könnt. Aberst dera König hat zu mir in einem Ton sprochen, gegen den es gar keinen Einspruch geben kann. Also muß ich gehorchen.«
»So kommen wir wohl gar nimmer mit nander zusammen?«
»O doch. Und wanns gleich am Morgen fort ging, so thät ich doch sicher erst von Dir Abschied nehmen.«
Mittlerweile hatte Leni den Hausschlüssel angesteckt. Sie brachte die Thür nicht auf und der Sepp trat zu ihr, um ihr zu helfen. Da auch die Frau Directorin bereits an der Thür stand, so fand Paula Zeit, leise zu sagen:
»Fex, bleib noch ein Wengerle aufi.«
»Warum?«
»Ich komm noch an den Fluß.«
Das war noch niemals da gewesen, so eine heimliche Bestellung. Es überrieselte den Fex wonnig. Dennoch aber meinte er voll aufopfernder Bedenklichkeit:
»Thus liebern nicht!«
»Warum?«
»Wanns Dein Vatern bemerkt!«
»Will mich schon in acht nehmen.«
»Ich seh, er hat noch Licht in dera Stuben. Er muß es doch hören, wannst die Thür aufschließest.«
»Ich geh nicht vorn heraus, sondern durch die Hinterthür. Also, Du wartest auf mich, Fex?«
»O wie gern, Paula!«
»So laß Dir aberst gegen den Sepp nix merken.«
»O, der kann Alles wissen. Der ist mein Freund und auch der Deinige, der wirds nimmer verrathen.«
Jetzt war die Thür offen und die beiden Mädchen traten mit der Dicken ein.
»Wirst auch zur Treppen hinaufkönnen?« fragte der Sepp die Letztere.
Sie antwortete nicht sofort. Es war dunkel im Hausflur. Die Sache war höchst bedenklich.
»Nun, was meinst?«
»Schwer wirds gehen!« antwortete sie verzagt. »Es ist kein Licht im Hause und auch oben nicht.«
»Ich werde eins anbrennen,« sagte die Leni, indem sie rasch die Treppe emporstieg.
»Das kann auch nicht für Alles helfen,« bemerkte der Sepp. »Wart noch ein Wenig, Fex! Wir werden der ›Dame‹; helfen müssen.«
Und als jetzt Leni oben mit dem Licht erschien, griffen die Beiden zu und halfen schieben. Die Lampe beleuchtete die Treppe nur nothdürftig, so daß die Direktorin die Stufen nicht deutlich erkennen konnte. Sie stolperte.
»O weh!« rief sie aus. »Es geht nicht!«
»Nicht? Warum?« fragte der Sepp.
»Meine Beine! Meine Beine!«
»So hast sie wohl dennerst zerbrochen und wir müssen Dich im Siechkorben nach dem Krankenhäuserl tragen.«
»Nein, nein!« schrie sie auf. »Ich brauch keinen Siechkorb. Ich kann laufen, ich kann hinauf!«
Sie holte tief Athem, setzte an und pustete hinauf. Es gelang, aber oben wäre sie in Folge dieser riesenhaften Anstrengung beinahe hingefallen. Sie wußte in die Stube geführt werden. Ihr körperlicher Zustand absorbirte ihr Denken und Sinnen auf eine solche Weise, daß sie bisher noch kein einziges Wort gefunden hatte, um der Leni zu ihrem außerordentlichen Erfolge zu gratuliren. Nicht eine einzige Sylbe hatte sie darüber verloren.
Da ertönte unten die Clarinette des Müllers.
»Kommt schnell hinab, dich ich Euch hinauslasse!« sagte Paula zum Sepp und Fex. »Das gilt mir.«
Sie riegelte die Hausthür hinter den Beiden zu und trat sodann bei ihrem Vater ein. Dort fand sie trotz der späten Abendstunde zu ihrem Erstaunen den Fingerlfranz.
Dieser war jenseits des Flusses auf geschäftliche Veranlassung in einigen Dörfern gewesen und am Abend ganz erzürnt zu dem Müller gekommen. Er hatte nach einem kurzen, höchst mürrischen Gruß den Stock und den Hut in die Ecke geworfen, ganz wie Einer, der sich über irgend Etwas ungewöhnlich geärgert hat.
»Na, was giebts denn, was hast denn?« hatte der Müller gefragt. »Wer hat Dich wieder mal so verzürnt?«
»Das fragst auch noch!«
»Freilich!«
»Kannsts Dir doch denken!«
»Hältst mich etwan für allwissend?«
»Nein; aberst Denjenigen, über den ich mich in dera Zeiten immer verzürnen muß, den weißt doch genau.«
»Meinst etwan den Fex?«
»Grad denselbigen.«
»Was hat er Dir denn than?«
»Than? Gar nix!«
»Und da bist so außer dem Häuserl heraus?«
»Ja, eben weil er nix than hat, weil er unterlassen hat, was er thun soll.«
»Bist doch heut sehr schwer von Begriffen!«
Da zog der Müller die Augenbrauen zusammen und antwortete im nicht eben freundlichsten Tone:
»Du, so kommst mir nicht!«
»So! Soll ich etwan Honig reden, wann der Magen voller Giften und Gallen ist!«
»Was geht Dein Magen mich an! Ich hab mich dieser Tage so viel ärgern müssen, daß ich Dich nicht auch noch brauch, um mir den Aerger vermehren zu lassen.«
»So halt bessere Aufsichten über den Fex.«
»Das thu ich auch.«
»Ich merk halt nix davon. Heut war ich drüben hinter dem Wassern, und als ich nachher kam, um Dich zu besuchen, und als ich da überfahren wollt, da war keine Fähr nicht da, sie war gar nicht vorhanden.«
»Sie liegt am Ufer.«
»Ja, am diesseitigen, ich aber war am jenseitigen.«
»Da bist selber schuld.«
»So! Und hat etwan der Fex nicht da zu sein, wann Jemand kommt und überfahren will?«
»Nein!« antwortete der Müller im grimmigen Tone.
»Nicht? Was?« rief der Franz erstaunt.
»Nein!«
»Und das sagst selbst. Du, der Thalmüllern?«
»Hörsts ja!«
»Er hat doch überfahren müssen, so lange ich es nur weiß! Seit wann ists anders worden?«
»Seit es ihm beliebt.«
»Alle Millionen Teuxels! Kanns überhaupt irgend was geben, was dem belieben kann oder nicht?«
»Ja freilich.«
»Nun, was denn?«
»Das Ueberfahrn zum Beispiel.«
»Bist nicht gescheidt!«
»Wohl bin ich gescheidt, aberst der Fex ist heut auch gescheidt worden. Er – er – na, wie heißt es wohl gleich, wann der Arbeiter seinem Herrn den Gehorsam aufsagt, das neumodische Wort?«
»Ein Strike?«
»Ja, ein Strike; der Fex strikt.«
»Das sollt er wagen? Wirklich?«
»Freilich! Heut, als es dunkel war, hat er die Magd zu mir schickt und mir sagen lassen, daß er heut nicht mehr überfahren thät.«
»Der Hallunk! Warum wohl nicht?«
»Weil er ins Theatern gangen ist.«
Der Franz sperrte den Mund so weit auf, als es nur irgend möglich war, und fragte dann zögernd:
»Ins – The – a – te –«
»Theatern, ja.«
»Der Fex ins Theatern! Höre, Müllern, wannst mich etwan veralbern willst, so kannst mich dauern!«
»Ich Dich veralbern? Bist ja bereits albern genug!«
»Halts Maul! Das duld ich nicht! Der Fex hat an der Fähr zu sein, wann man ihn braucht. Ich hab nicht herübern könnt und seinetwegen bei Nacht fast zwei Stunden umlaufen müssen, um über die Brück zu gelangen. Und nun hör ich, daß er im Theatern ist!«
»Freilich!« lachte der Müller. »Im Theatern ist er!«
Sein Lachen aber klang wie das Knurren eines Hundes, welcher sich zum Zubeißen anschickt.
»Etwan gar zum Concerten, welches am heutigen Abend im Theatern abgehalten wird?«
»Ja, so hat er mir sagen lassen.«
»Und was hast dazu sagt?«
»Nix.«
»Und dagegen than?«
»Auch nix.«
»Was! Nix und wiedern nix! Das willst Dir also ruhig gefallen lassen, he?«
»Ja.«
»Himmeltausend! Ich begreif Dich nicht!«
»Was hätt ich thun sollen! Gieb mal den guten Rath!«
»Ihn durch die Polizeien zurückholen lassen.«
»Das geht nicht!«
»So! Warum denn nicht?«
»Weilst nicht zu wissen scheinst, daß der Fex kein Schulbuben mehr ist. Er ist groß und herauswachsen. Ich muß ihm nun auch mal eine freie Zeit lassen. Ich muß überhaupten sehr froh sein, daß er mir bisher noch keinen Lohn abverlangt hat.«
Er machte dabei ein ganz außergewöhnliches Gesicht. Natürlich verschwieg er, daß er, seit der Fex ihm mit der Anzeige gedroht hatte, sich vor ihm fürchtete. Der Fingerlfranz schüttelte den Kopf und meinte:
»Thalmüllern, jetzt alleweil bist mir ein Räthsel!«
»So versuchs zu lösen!«
»Hm! Bist stets streng mit dem Kerl gewest, und heut plötzlich redest ihm das Wort. Noch das vorletzt Mal hab ich grad auch hier sessen und er stand an der Thür; da hast ihm die Peitsch ins Gesicht und um die Füßen schlagen, daß die Striemen aufilaufen find, und nun auf einmalen nimmst ihn so sehr in Schutz und in Schirm. Sag, was ist schuld daran?«
»Hm!«
»Ja freilich.«
»Und welchen?«
»Den, nun, den kann ich Niemandem sagen.«
»Was! Auch mir nicht, Deinem Schwiegersohne?«
»Nein.«
»Aberst wannt nicht aufrichtig mit mir sein willst, mit wem nachher sonst!«
»Warum grad denn mit Dir, he?«
»Ich habs doch soeben sagt: Ich bin der Schwiegersohn.«
»Noch bists nicht.«
»Aberst am Sonntag werd ichs sein.«
»Ah! Wieso denn?«
Diese Fragen wurden alle in einer Art Galgenhumor ausgesprochen. Der Franz wußte wirklich nicht, was er von dem Müller denken solle. Er antwortete:
»Weil da die Verlobung ist!«
»Ach so, die Verlobung! Hm, ja! Aberst da kannst Dich doch vielleicht ein Wengerl täuschen.«
»So! Machst wohl Spaßen?«
»Nein, ich red leider sehr im Ernsten.«
»Ich will doch hoffen, daßt Wort halten wirst!«
»Freilich halt ich Wort.«
»Also gut!«
»Aberst wem halt ich Wort?«
»Nun, doch mir!«
»Dir? O, an Dich denkt halt Niemand mehr.«
»An mich nicht? Donnerwettern! An wen dann?«
»An –« er beugte sich weiter vor, hielt die Hand an den Mund, als ob er ein großes Geheimniß mitzutheilen habe, und fuhr fort: »– an den König.«
Der Fingerlfranz fuhr erstaunt zurück.
»Was?« fragte er. »An den König?«
»Ja.«
»Wieso?«
»Das ist eigentlich auch ein Geheimniß.«
»Von dem ich nix wissen darf?«
»Ich solls geheim halten.«
»Aber vor mir auch? Das ist nicht nöthig.«
»Hm! Ich hab Vertrauen zu Dir, aber dennerst ists zu gefährlich, davon zu reden.«
»So! Meinst etwan, daß ichs verrath?«
»Nein, das grad nicht, aberst es kommt doch bei einem Jeden mal die Stund, in der er plaudern thut.«
»Bei mir nicht.«
»Ja, bei mir ganz sicher nicht. Wann sichs um die Paula handelt, so kann ich schweigen bis an mein End.«
»Um diese handelt sichs freilich.«
»So? Nun, so sags.«
»Hoppsa! So schnell geht das nicht.«
»O, grad so schnell muß das gehen!« sagte der Franz ungeduldig. »Die Paula ist mir versprochen worden, und so will ich sie auch haben, ich muß sie haben.«
»Wirklich?«
»Ja. Sie muß mein werden, selbst wann sich der Teufel dagegen stemmen thät.«
»Pah! Was wolltst dagegen machen?«
»Alles!«
»Auch wanns selber eine Teufeleien war?«
»Ja.«
»So könnt sichs vielleicht noch ändern lassen.«
»Was?«
»Nun, die Geschichten, die ich dem König hab versprechen müssen heut in der Früh.«
»Was ist das für eine Geschichten? Was hast versprechen müssen? Heraus damit! Ich muß es wissen!«
»Oho! Kommst mir in diesem Tone!«
»Ja, Ich sags noch einmal: Wann sichs um die Paula handelt, so mach ich keinen Spaß. Ich hör schon aber, worauf Du hinzielen willst!«
»Nun, worauf?«
»Willst etwan Dein Jawort zurücknehmen?«
»Ja, das ists.«
»Donnerwettern! Warum?«
Er sprang von seinem Stuhle auf und trat in drohender Haltung vor den Müller hin. So wollte dieser ihn haben; zornig sollte er werden, denn der Zorn ist der größte Feind der Ueberlegung und Vorsichtigkeit. Der Müller that, als ob er die drohende Stellung des gewaltthätigen Menschen gar nicht bemerke, und antwortete:
»Weil ich muß.«
»So! Weilst mußt! Wer zwingt Dich denn?«
»Dera König.«
»Tausendgranaten! Der König! Ists möglich!«
»Natürlich.«
»Er war also wirklich da bei Dir?«
»Heut in der Früh bereits.«
»Ich hab gar nicht wußt, daß er bei Dir war. Was hat der mit mir und Dir zu thun?«
»Sehr viel. Aberst schrei nicht so laut, es brauchts Niemand zu hören. Was wir heut hier mit nander sprechen, davon darf kein Mensch niemals keine Ahnung haben. Dort steht die Flaschen. Nimms Glas und gieß Dir Einen ein!«
Der Franz war sehr aufgeregt. Er goß sich nach einander zwei Gläser voll und goß sie hinab.
»Nun, so red endlich mal!« sagte er dann.
»Gut! Aberst ruhig mußt bleiben!«
»Wann ichs kann, ja.«
»Du mußt können!«
»Wollens versuchen.«
Er rückte seinen Stuhl näher an den Polsterstuhl des Müllers. Dann erklärte dieser flüsternd:
»Also der König will, daßt die Paula nicht bekommst.«
»Was gehts dem an? Was hat der darein zu reden!«
»Ein König hat seinen Willen, ohne daß man ihn nach dem Grund fragen darf. Hasts verstanden, Franz?«
»Ja, aberst der Fingerlfranz hat auch seinen Willen!«
»Doch ein König bist nicht!«
»Habs auch nicht nöthig. Du hast mir Dein Wort geben und das mußt mir halten!«
»Wann ichs nun nicht halten kann?«
»Oho! Weißt, der Paula bin ich gut, ich mag keine Andre. Schon deshalb besteh ich drauf, daßt mir Dein Wort halten mußt. Aber sodann giebts noch Eins.«
»So! Was ist das?«
»Es sind bereits alle Gästen zur Verlobung geladen; wann nun aus der Verlobung nix wird, so bin ich blamerirt vor aller Welt. Und das soll ich mir etwan gefallen lassen? Auf keinen Fall! Lieber thu ich Etwas, was –«
»Nun, was?« fragte der Müller, indem er den Blick mit großer Spannung auf Franz gerichtet hielt.
»Was kein Andrer thut.«
»So! Was wäre das?«
»Meinswegen ein Verbrechen. Für die Paula thu ich Alles, wann ich sie nur zur Frau bekomm.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich! Ich geb Dir mein Wort darauf. Ich laß sie mir nicht nehmen, auf keinen Fall!«
»Was willst dagegen machen?«
Der Franz goß sich ein Glas voll, trank es auf einmal aus und antwortete dann in trotzigster Weise und indem er mit der Faust auf den Tisch schlug:
»Was ich thun thät, das weiß ich schon!«
»Nun, so sags.«
»Nein, so was sagt man nicht.«
»Weils zu gefährlich ist.«
»Ich denk, wir Beid sollen Vertrauen zu nander haben, und nun spielst den Versteckten mit mir!«
»Kannst Dirs doch denken, was ich mein'.«
»Nein, denken kann ich mirs nicht.«
»Nun, so will ichs sagen. Wann ich die Paula nicht bekommen soll, Der, der sie erhalten soll, der – dem – den – na, dem Genade Gott!«
»Willst ihn etwan abmorxen?«
»Wie ein Kalb! Ich drück ihm die Seel aus dem Leib! Darauf kannst nur immer Gift nehmen!«
»Du, das ist gefährlich!«
»Ach was! Mir die Paula nehmen zu wollen, das ist noch viel gefährlicher! Also mach keine so lange Red und sags liebern grad heraus, warum ich sie nicht bekommen soll.«
»Weil der König einen Andern für sie hat.«
»Was geht die Paula dem Könige an!«
»Nix, gar nix!«
»Nun, so brauchsts Dir doch auch nicht gefallen zu lassen!«
»Oho! Meinst, daß ich ungehorsam sein soll? Das werd ich schön bleiben lassen! Das war mein größter Schaden.«
»So! Aber wer ist dann Derjenige, der sie bekommen soll, den möcht ich doch kennen lernen!«
»Kennst ihn schon bereits.«
»So! Dann desto bessern! Ich kenn keinen Menschen, vor dem ich mich fürchten thät, wann sichs um einen Kampf um die Paula handelt. Also sag den Namen!«
»Sollst ihn gleich hören. Aber erschrick ja nicht!«
»Red kein solches Blech! Also, wer ists?«
»Der Fex.«
Da machte der Franz vor Staunen einen Satz, daß er mit dem Kopfe an die niedrige Decke stieß.
»Der Fex!« stieß er hervor. »Jetzt hab ich mich verhört, oder Du hast Dich gehörig versprochen!«
»Wann ich eine lange Reden halt, so kann ich mich wohl mal versprechen, aber wann ich nur einen einzigen Namen sag, ein einzig Wort, so ists von Gewicht.«
»Der Fex, der Fex!«
»Ja doch!«
»Der, der!«
»Was schreist nur so!«
Der Franz lief in der Stube herum wie ein Besessener. Die Augen des Müllers leuchteten vergnügt. Je zorniger der Viehhändler wurde, desto lieber war es natürlich dem Alten.
»Ich schrei? Soll ich etwan nicht schrein?«
»Nein, gar nicht.«
»Wannst von dem Fexen redst!«
»Was ist da so gar Besonderbares daran?«
»So! Das fragst mich? Da hört denn doch grad Alles auf! Das soll nichts Besonderes sein!«
»Nein, gar nicht.«
»Daß der die Paula bekommen soll?«
»Ach so! Das meinst!«
»Was sonst? Hörst heut etwan so gar sehr schwer? Oder ist Dir der Fex als Schwiegernsohn gar so sehr willkommen, daßt vor Freuden und Entzücken lieber gleich ein Dedeum singen lassen willst?«
»Das nun grad nicht.«
»So, das nun grad nicht! Und das sagst so ruhig?«
»Wie soll ichs sonst sagen? Da hilft kein Aufbegehren und kein Zanken. Ich muß gehorchen.«
»So! Warum?«
»Weils eben der König will.«
»Das hast schon bereits zehmal gesagt, und ich wills nicht wiedern hören. Warum wills denn der König?«
»Weil – weil – hm, das ist so eine schlimme Geschichten. Der König hats mir nicht selbst sagt, sondern ein Andrer hats mir derklären mußt. Nämlich der Fex ist gar nicht dera Sohn der Zigeunerin.«
Der Franz hatte wieder ein Glas ausgetrunken und sich wieder niedergesetzt. Jetzt wollte er vor Erstaunen wieder aufspringen, doch der Müller sagte schnell:
»Bleib sitzen! Es ist nicht nothwendig, daßt immer auf- und niederfährst wie ein Hampelmann. Solche wichtigen und ernsten Sachen müssen auch ernst verhandelt werden. Also horch drauf: der Fex ist das Kind eines adligen Herrn, eines, der Baron wesen ist.«
»Und das ist wahr?«
»Ganz und gar.«
»Wer hätt das denken könnt!«
»Ich nicht und Du auch nicht. Aber es ist so, und dadran ist halt nix zu ändern. Sein Vatern und seine Muttern sind storben, und so kann die Sachen geheim bleiben; aberst um den Fex zu entschädigen für die Hoheit, die er verliert, soll er die Paula zur Frau bekommen.«
Diese Lüge konnte er nur dem Fingerlfranz machen, kein Anderer hätte sie geglaubt. Dieser aber überlegte gar nicht, ob etwas Wahres dran sein könne. Er fuhr zornig auf:
»Und das willst Dir gefallen lassen?«
»Was soll ich dagegen thun?«
»Daßt für die Schlechtigkeit von dem Fexen seinen Eltern Dein Kind hergeben thust?«
»Meinswegen! Aber ich muß nicht! Ich laß mirs nicht gefallen! Das fallt mir gar nimmer ein!«
»Auch Du kannst nix dagegen machen.«
»Meinst? Da kennst mich schlecht!«
»Ich kenn Dich schon sehr gut. Du bist ein tüchtiger Kerlen, aber gegen den Willen eines so hohen Herrn kannst Dich doch auch nicht wehren.«
»Das wollen wir abwarten.«
»Nun, so sag doch mal, wast thun willst?«
»Das brauchst gar nicht zu fragen, das ist ganz nur meine eigene Sachen!«
»Nein, ich bin der Schwiegervatern, ich muß auch was davon wissen. Wir müssen im Vertrauen mit nander handeln, das ist das Best, was wir thun können.«
»So! Jetzt bist auf einmal der Schwiegervatern, und doch sagst, daßt nix dagegen machen kannst!«
»Das ist auch wahr.«
»Und Vertrauen müssen wir haben, aberst aufrichtig bist dennoch nimmer mit mir. Verstanden!«
»Grad sehr aufrichtig bin ich mit Dir. Meinst etwan, daß ich gern gehorch? Du bist mir als Schwiegersohn doch tausendmal liebern als der Fex und noch mehr.«
»So! Das laß ich mir schon ehern gefallen, das ist doch wenigstens ein gutes Wort. Und wannt bei dieser Gesinnungen bleibst, so ists nicht gefehlt. Die Paula wird meine Frau.«
»Weißts so sehr genau?«
»Ja.«
»Wie willst das anfangen?«
»Klüger, als Du denkst!«
»Ich kanns errathen!«
»Nun, wie?«
»Du willst zum König gehen und ihm gute Worte geben?«
»Fallt mir nimmer ein!«
»Oder zum Fex?«
»Da derschieß ich mich lieber!«
»So. Oder willst die Paula bitten, daß sie Nein sagt, wanns den Fexen dann heirathen sollt?«
»Die? O, die ist zuwider worden! Ich glaub, die nimmt den Fexen liebern noch als mich! Nein, auf die kann ich mich auch ganz und gar nicht verlassen. Ich muß da mit ganz andere Ziffern rechnen.«
»Was sind das für Ziffern?«
»Es ist eigentlich nur eine.«
»Welche?«
Der Fingerlfranz zog die Brauen empor, machte seine pfiffigste Miene und antwortete geheimnißvoll:
»Eine Null.«
»Das versteh ich nicht.«
»So. Ja, das wird gar Mancher nicht verstehen. Weißt, wo eine Null vorhanden ist, was ist da?«
»Nix, gar nix.«
»Freilich! Jetzt hast Recht! Jetzt hasts troffen!«
»Troffen hab ichs? Wer begreifen thu ichs doch noch nicht.«
»Da giebts doch nicht viel zu begreifen. Ich mein' halt, die Null, das ist alleweil der Fex.«
»Ich so! Der Fex ist Null, das heißt, der Fex ist nix, er ist gar nimmer da?«
»Ja.«
»Hm! Er ist aber da!«
»Jetzt, ja, jetzt ist er noch da!«
»Alle Teufeln! Wann ich Dich auch richtig begreifen thät? Meinst Du etwan, daß er bald nimmer mehr vorhanden sein wird?«
»Ja, grad das mein ich halt. Hast was dagegen?«
Da erhob der Müller warnend den Finger:
»Du, das ist Mord!«
»Pah! Wann eine Schlang oder Ottern mir in den Weg kommt und ich tret sie niedern, so ist das auch ein Mord; aberst ich mach mir den Teufeln daraus!«
»Aberst der Fex ist ein Mensch!«
»Eine Ottern ist er, ein Giftwurm, der mir ans dem Weg fort muß! Der Zigeunerbub, der niedernträchtige! Er ist nicht mal ein halbern Mensch. Er ist ein stupidern Kerl, der nix lernt hat und nix kann. Wer so Einen forträumt, der thut dera Menschheiten doch nur einen Gefallen. Schau her! Da hast noch mein Gesicht, wie er mich überfallen und schlagen hat! Soll ich mich nicht dagegen wehren?«
»Ja, das Recht hast dazu!«
»Also!«
»Aber ein Mord ists dennerst, ein Todtschlag wenigstens!«
»Red mir nicht so dumm! Woher weißt denn, daß ich ihn morden und derschlagen will?«
»Ich habs mir dacht.«
»Unsinn! Es kann ihm doch ein Malleur geschehen.«
»Freilich ist das richtig! Im Wassern –«
»O nein! Im Wassern ist der zu Haus. Der versauft im ganzen Leben nicht; da versauft ein Aal viel ehern.«
»Also in dera Luft? Vielleicht derhängt er sich.«
»Das glaub ich nicht. Vielleicht kommt er auf eine ganz leichte Weis aus dera Welt.«
»Ja, wann soll denn die Sachen vor sich gehen?«
»Höchst bald. Es hat beinahe klungen, als obs bereits am Sonntag sein sollt, an der Stell von Deiner Verlobung.«
»Also morgen!«
»Ja, weißt, weil die Gästen einmal geladen sind.«
»Donner und Durium! Das soll mir nicht geschehn!«
»Wie willsts verhüten?«
»So wisch ich dem Fex noch heut Eins aus.«
»Du, sags mir nicht!«
»Warum nicht?«
»Weil ich nix davon wissen mag. Ich hab keine Lust, mich wegen Mitwissenschaft einsperren zu lassen!«
»So! Meinsts in dieser Arten und Weisen? Denkst etwan, ich werd mich einsperren lassen?«
»In solchen Dingen kann man nicht vorsichtig genug sein. Weißt, es ist auch eigentlich gar nicht nöthig, daß der Fex stirbt; er kann auch leben bleiben.«
»So? Da erhält er doch die Paula!«
»Nein. Weißt, er bekommt die Paula, weil er der Sohn eines so vornehmen Herrn ist. Das kann er beweisen; wann er das aber nicht beweisen könnt, dann, ja dann –«
»Nun, was wäre dann?«
»Nun, dann war er eben nicht der Sohn!«
»Und?«
»Und ich braucht ihm die Paula nicht zu geben.«
»So! Hm!«
»Siehst das nicht ein?«
»Ei freilich. Aberst er kann es ja eben beweisen!«
»So müßt man dafür sorgen, daß ers nimmer kann.«
»Wieso?«
»Indem – ah, wann ich nur laufen könnt!«
»Heul nicht so und jammer nicht! Schau her; schau mich an! Kann ich denn etwan nicht laufen?«
»Ja Du!«
»Das ist aberst grad so gut, als obst selber laufen könntst. Hasts auch verstanden, Thalmüllern?«
»Meinst, daßts für mich thun willst?«
»Ja.«
»Es mag sein, was es will?«
»Gern, wanns nicht menschenunmöglich ist.«
»Gar nicht. Es ist sogar leicht, sehr leicht.«
»So sags!«
»Man muß ihm seine Beweisen nehmen.«
»Ach so! Aberst worinnen bestehen diese?«
»In einer Photographieen und in mehreren Papieren.«
»Die man ihm stehlen müßt? Was ists denn für eine Photographieen, für ein Bildniß?«
»Es ist das Bild einer jungen Frauen, welche seine Muttern sein soll. Und die Papieren sind in einer fremden Sprachen geschrieben und untersiegelt.«
»In welcher?«
»Man nennt es Romanisch oder Wallachisch.«
»Das kenn ich nicht; aberst das thut ja nix zur Sachen. Die Hauptsach ist, wo ers hat.«
»Das steckt Alles in einer Brieftaschen.«
»So? Und wo hat er dieselbige?«
»Jedenfalls in seiner Joppentaschen.«
»Und wann da nicht?«
»Nun, so – so – hm, er hat keinen andern Platz als in der Fähr, weißt, in den Kästen unter denen Sitzbänken. Da muß die Brieftaschen stecken, wann sie sich nicht in seiner Joppen befindet.«
Der Fingerlfranz nickte eine Weile vor sich hin, sich die Sache überlegend; sodann sagte er:
»Wo schlaft er denn, dera Fex?«
»Eben in der Fähr. Zuweilen hat er auch wohl im Wald geschlafen, denn in dera Nacht ist die Fähr leer wesen. Jetzt aberst ists noch nicht im Sommern, da liegt er ganz sichern im Schiff.«
»So weiß ichs, wie mans machen muß.«
»Nun, wie?«
»Man geht zur Fähr und untersucht die Kästen. Und wann die Brieftaschen da ist, so nimmt man sie weg.«
»Das wär freilich leicht.«
»Sind diese Kästen verschlossen?«
»Nein; es ist nur ein hölzerner Riegeln dran.«
»Auf diese Weis ists leicht gemacht. Wann man die Taschen hat, so braucht man sich an dem Kerlen ja gar nicht zu vergreifen. Aberst wann die Brieftaschen nicht da ist, so muß man sie ihm aus dera Joppen nehmen. Nicht?«
»Ja freilich. Und das ist schwer.«
»Gar nicht.«
»Wie willsts anfangen?«
»Ich schleich mich hin an die Fähr und schau, ob er schlaft. Wann er schlaft, so drück ich ihm den Hals zu und zieh ihm das Ding aus der Joppen heraus.«
»So wird er Dich verklagen!«
»O nein!«
»Er wird ja aufwachen und Dich erkennen.«
»Das wird er nimmer mehr. Dafür laß nur mich sorgen. Ich hab noch meine Rechnung mit ihm zu machen, von wegen daß er mich draußen im Wald bei dera Paula überfallen hat. Jede solch Rechnungen hat einen Strich, und der Strich, den ich ihm machen werd, der wird stark genug sein und auch kräftig. Also er ist wirklich heut Abend in dem Concerten?«
»Ganz gewiß.«
»In seinem Anzug?«
»Er wird um die Erlaubniß beten haben, in einen Winkel kriechen zu dürfen, worinnen man ihn nicht erblicken kann.«
»Jetzt ists grad halber elf Uhr, da ist er vielleicht noch nicht wiedern da.«
»Nein, denn sonst wär auch die Paula da.«
»Wie? Die ist auch mit?«
»Ja. Nämlich die Sängrin – nicht die Alte, Dicke, sondern die Junge, kam herab und hat mich so lange beten, bis ich erlaubt hab, daß sie mitgehen kann.«
»Das hätt ich nicht than. Wann die Paula meine Frau worden ist, so hat sie zu Haus zu bleiben. Im Theatern lernt keine Frau was Guts. Aberst da der Fex jetzt noch nicht da ist, so ists wohl am Besten, daß ich jetzt nach der Fähr hinübergeh und mal nachschau, ob die Brieftaschen darinnen versteckt ist.«
»Hast Recht. Geh und mach schnell.«
»Gut. Ich werd bald wiedern da sein.«
Er stand auf. Der Müller bemerkte noch:
»Ich hab hört, daß der Knecht vorhin die Thür zuschlossen hat. Nimm hier den Schlüsseln, daßt hinaus kannst und wiederum herein, und schau, daßt mich nicht allzulang warten läßt.«
»Ich werd mich beeilen.«
»Aberst dennerst mußt auch genau suchen. Weißt, die Sachen ist so: Wannst die Brieftaschen nicht bringst, so muß der Hochzeitsbitter morgen gleich in der Fruh herumlaufen und Deine Verlobung abbestellen. Wannst sie mir aberst bringst, so wird sie nicht abbestellt und morgen Abend um die jetzige Zeit bist der Bräutigam von dera Paula.«
»Na, da kannst Dich drauf verlassen, daß ich sie bring, und sollt ich – na, ich will nix sagen!«
»Nein, lauf lieber!«
Der Franz nahm den Schlüssel und ging. Als er hinaus war, brummte der Müller vergnügt in den Bart:
»Er hats geglaubt, was ich ihm verzählt hab! Das ist sehr gut. Nun wird er mir die Taschen bringen, und selbst wann er derowegen den Fex derschlagen soll. Dafür aber wird er die Paula bekommen. Sie muß ihn nehmen, denn ich bin der Vatern und sie hat mir zu gehorchen. Ich hab einen großen Fehlern begangen, daß ich den Fex hab leben lassen. Aberst wer hat ahnen konnt, daß er damals zugeschaut hat, als ich die Südana abwürgt hab. Hätt ich das wußt, so hätt er gleich am damaligen Augenblick mit fortmußt! Na, nur erst die Brieftaschen wiedern her! Nachhero hab ich gewonnen und kann wiederum ruhig sein.«
Es verging fast eine halbe Stunde, ehe der Fingerlfranz zurückkehrte. Natürlich schloß er die Thür draußen wieder zu, bevor er in die Stube kam.
»Hast sie?« fragte der Alte gespannt.
»Nein.«
»So war sie vielleicht nicht da?«
»Vielleicht? Was denkst von mir! Sie war absolutemang nicht vorhanden. Wanns dagewest wär, so hätt ich sie doch ganz sichern mitbracht. Das versteht sich ganz von selber!«
»Hast auch richtig sucht?«
»So genau, wiests selbern kaum macht hättst.«
»Vielleicht steckt sie nicht in den Kästen und er hat sie wo anders hinsteckt!«
»Ich hab halt überall sucht. Die ganze Fähr hab ich mit denen Händen austastet, von oben bis unten und von hinten bis vorn, aber nix funden, gar nix.«
»Was war in denen zwei Kästen?«
»Ein Werkzeuggeräth mit Hammer, Zang, Bohrern und solchen Dings da und nachhero auch ein paar alte Wachsleinwanden.«
»Wozu er die brauchen mag!«
»Wohl zum Zudecken, wanns regnet und er in der Fähren schlaft. Horch! Jetzt kommen Leutln!«
»Ja, man hört die Schritten. Das Concerten wird zu End gangen sein. Nun kommt auch die Paula. Willst sie mal sehen?«
»Ja, freilich.«
»So wart, ich werd sie hereinirufen.«
Er dachte nämlich, daß der Franz zu einem Angriff auf den Fex williger sein werde, wenn er zuvor die schöne Geliebte gesehen habe.
Jetzt wurde die Thür geöffnet. Man hörte die Stimmen draußen im Flur und verstand jedes Wort.
»Das find sie Alle,« flüsterte der Alte. »Der Fex ist dabei und auch der Wurzelsepp. Sie schaffen die Dicke hinauf. Was für einen Crambol die nun wieder mal macht! Wann die nur erst wiedern aus dem Haus hinaus ist. Wann ich das Zeichen nicht geb, so dauert der Spektakelum noch eine ganze Stunden fort. Das kann mir nicht gefallen.«
Er nahm die Clarinette her und blies hinein. Darauf ließ die Paula die beiden männlichen Begleiter hinaus, schloß zu und kam herein. Sie machte ein sehr erstauntes Gesicht, als sie den Franz erblickte.
Ihr Vater spielte den Klugen. Er sagte sich, daß er sie nicht erzürnen dürfe, weil sonst zu erwarten stand, daß sie sich dem Franz gegenüber unliebenswürdig zeigen werde, und das hätte diesen ja leicht obstinat machen können. Darum sagte er mit einer Freundlichkeit, die ein Anderer wohl kaum als Freundlichkeit erkannt haben würde, welche aber trotzdem bei ihm eine außerordentliche Seltenheit war:
»Nun, bist wiedern zu Haus?«
»Ja, Vater.«
»Warum kommst nicht zu mir hereini?«
»Weil ich dacht, Du schlafst, und weil wir doch erst die Madam hinaufschaffen mußten.«
»Ach so! Diese dicke Madamen geht vor den Vatern! Das will ich mir verbitten! Ich will auch hören, wie das Concerten ausfallen ist, und dera Franz da auch.«
»Nun, ausfallen ists sehr gut.«
»So! Hats schön klungen?«
»Ganz unbeschreiblich. Die Mureni hat sungen wie ein Engel. Alles hat weint, sogar der König auch.«
»Das ist sonderbar! Na, diese Leutln mögen flennen immerhin. Sie haben die Zeit dazu!«
»Und aber dera Fex!«
»Was ists mit dem?«
»Vatern, Du glaubsts halt gar nicht, nein. Du kannsts nicht glauben und denken, was der für Furoren macht hat!«
»Furoren? Womit? Etwan mit seinen barbsen Füßen?«
»Nein, sondern auf dera Geigen. O, hat der spielen könnt!«
»Was! Der Fex hätt gichen?«
»Und wie! Himmlisch!«
»Du hast wohl träumt!«
»So müßten die Herrschaften all, welche auch zuhört haben, ebenso träumt haben, denn sie haben ebenso und noch mehr Beifall klatscht wie ich.«
»Aberst der Mensch kann doch nix!«
»Das haben wir blos nur dacht. Aberst er hat sich schon vor Jahren eine alte Geigen verschafft und –«
»Donnerwettern!« entfuhr es dem Müller. »Etwan gar der Südana ihre Geigen, die damals kein Mensch hat finden könnt. Nachhero hat er heimlich geübt!«
»Ja, und nun ist er gar ein Virtuos worden!«
»Der Heimtücker! Ja, so ist er stets wesen, hinterrucks und hinterlistig. Aber das werd ich ihm doch noch heraustreiben.«
»Das wirst nimmer fertig bringen.«
»Meinst etwan, weil er geigen kann, daß er mir nun nicht mehr zu gehorchen braucht? Da irrst Dich sehr! Ich bin sein Erzieher und Vormund; er ist noch nicht mündig und hat mir zu pariren. Wegen denen Hoppsern und Galoppen, die er gichen hat, brauch ich keinen sonderlichen Respectoris vor ihm zu haben.«
»Von wegen denen Hoppsern und Galoppen, da irrst Dich freilich gar sehr. Hast den Herrn Concertmeistern spielen hört?«
»Ja, wann das Fenster aufstanden hat. Ja, das ist freilich ein Künstlern ersten Ranges; das ist sogar ein Virtubos; das hört man sogleich.«
»Nun, der ist im Concerten krank worden und hat nicht spielen konnt. Da ist der Fex auf die Bühne treten, vor allen Leutln, hat die Geigen hernommen und dem Concertmeistern seine ganzen Stucken so runterspielt, daß das ganze Theatern vor lautern Geklatsch und Beifall wackelt hat.«
»Bist bei Trost?«
»Es ist wahr. Der Capellmeistern hat ihn gleich anstellen wollen mit freier Stationen und siebzehnhundert Mark Gehalt.«
»Der ist siebzehnhundertmal verrückt!«
»Meinst? Der Fex hats aber nicht angenommen!«
»So ist er noch viel verrückter! Aber freilich wird ers sehr gut wissen, daß ers nimmer mit dera Vigolinen dermachen kann.«
»O, nicht derowegen, sondern weil der König ihn mit sich nehmen will.«
»Der König?«
Er entfärbte sich.
»Ja freilich!«
»Was geht dera Fex dem König an?«
»Was ein jeder Unterthan dem König angeht. Dieser hat ihn sogar in seine Loge kommen lassen und ihm sagt, daß er ihn zu einem berühmten Tonmeistern thun werd und auch ins Conservatori.«
»Ins Confraterobi? Was ist das?«
»Das ist die Universitäten für die Musikkünstler.«
»Und da soll er hinein und wann?«
»Vielleicht soll er bereits morgen fort.«
Der Müller war ganz fassungslos; er blickte den Fingerlfranz eine ganze Weile an, ohne ein Wort zu reden. Dann fragte er ihn:
»Glaubsts?«
»Warum nicht!«
»Große Herren haben solche Marotten. Wann er dann hernach nix lernt, so schicken sie ihn Dir wieder.«
»Oho! Sie werden ihn mir gar nicht wiederschicken, denn ich werde ihn ihnen gar nicht mitgeben. Ich bin der Vormund; ohne mich könnens nix machen!«
»Meinst, daß dera König Dich groß fragen wird?«
»Hm? Das glaub ich schon nicht, daß er gute Worten geben wird; aberst fragen muß er doch!«
»Und wannst Nein sagst, wird er doch thun, was er will. Darauf kannst Dich getrost verlassen.«
»Ja, freilich! Das ist eine ganz verteufelte Geschichten! Paula, jetzt gehst zu Bett. Ich hab nun grad genug gehört von demjenigen verflixten Concerten. Morgen in dera Früh aberst werd ich dera Fex ins Gebet nehmen, wie er Vigolinen spielen kann ohne alle meine Erlaubnissen und ins Concerten laufen und zuletzt gar noch ins Confexbraterori! Das will ich mir verbitten! Nun aberst mach, daßt auch hinauskommst!«
Sie ging und stieg laut hörbar die Treppe zu ihrem Stübchen empor, in der Absicht, dies nach einiger Zeit heimlich zu verlassen, um dem Fex ihr Wort zu halten.
Dieser war nicht etwa mit seinem alten Sepp fort und hinüber nach der Fähre gegangen, sondern kaum hatte sich die Hausthür hinter ihnen geschlossen, so ergriff er den Alten beim Arme und flüsterte ihm zu:
»Halt, Sepp! Wir bleiben!«
»Warum?«
»Wollen sehen, was der Müllern noch so spät mit der Paula hat. Wir lauschen also!«
»An demselbigen Laden? Sehr gut! Das Astlochen und die Ritzen sind beide ja noch da. Komm!«
Sie traten leise an den Laden und blickten hinein in die Stube. Der Müller saß, wie gewöhnlich, ganz in der Nähe des Fensters und neben ihm – – –«
»Du!« flüsterte der Sepp. »Der Franz!«
»Sei still, daß sie uns nicht hören!«
Sie konnten Alles sehen und auch jedes Wort verstehen. So hörten sie das Gespräch mit der Paula. Als diese dann die Stube verlassen hatten, ergingen sich der Müller und der Franz in Verwunderungen darüber, daß der Fex geigen konnte und sogar beim Concert gespielt habe. Beide aber waren zu unmusikalisch, als daß sie die Bedeutung und Tragweite dieses Umstandes hätten begreifen und ermessen können. Dann sagte der Franz, zwar in gedämpftem Tone, aber doch so, daß die Lauscher es hörten:
»Und was wird nun mit unserer Geschicht?«
»Ja, die ist nun schlimmer worden,« antwortete der Müller, indem er ein höchst bedenkliches Gesicht machte.
»Wieso?«
»Hasts nicht gehört, daß der Fex vielleicht bereits morgen schon von hier fort muß.«
»Ja. So sind wir ihn los!«
»Oho! Und Du bist auch die Paula los!«
»Zum Teufel, ja!«
»Denn er nimmt ja auch die Brieftaschen mit!«
»Freilich!«
»Und dann ists gefehlt!«
»Na, jetzt noch nicht. Noch ists nicht morgen. Wir wollen doch sehen, wer morgen diese Brieftaschen hat!«
»Der Fex.«
»Pah!«
»Wannt nix thust, so hat er sie freilich.«
»Wer hat sagt, daß ich nix thun werd? Hab ich Dir nicht versprochen, daß ich die Taschen holen will?«
»Auch nun noch, da es anders worden ist?«
»Nun erst recht, denn wann ich sie nicht hol, so nimmt er sie mit, und die Paula ist für mich verloren.«
»Ja, so mußt also noch in dieser Nacht zugreifen.«
»Das versteht sich. Also Du meinst noch immer, daß er ganz gewiß in der Fähr schlaft?«
»Sicher.«
»So wart ich noch eine Weil, bis er einischlafen sein wird. Nachhero schleich ich mich hin – – –«
»Und läßt Dich derwischen!«
»Oho! Ich lauf doch nicht etwan auf dem offenen Weg hin, sondern ich mach emen Umweg, weiter aufwärts nach dem Wasser, und von da schleich ich mich im Baumschatten am Ufer herab bis an die Fähr.«
»Und er hört Dich kommen!«
»Fallt ihm nicht ein und mir auch nicht. Ich zieh die Schuhen eine Streck vorher aus und lauf auf allen Vieren hin, so wie ichs mal lesen hab in einem Buch, in welchem die wilden Indianer sich an ein weißes Haus schleichen thaten.«
»Du meinst ein Haus, worinnen weiße Menschen gewohnt haben dazumal. Nicht?«
»Das ist ganz egal, ob das Haus weiß war oder die Menschen, die Indianer haben die Schlacht gewonnen, und ich werd sie auch gewinnen. Weißt, ich lauf so auf Händen und Füßen nach der Fähren hin und steig auch so hinein, leise, heimlich, wie eine Schlangen, die Händ voran und die Beinen hinterher. Dann wird er drin liegen und schlafen.«
»Ja, und nachhero?«
»Ich wollt ihn bei der Gurgeln fassen; aberst das ist nicht sichern genug. Bessern ists, ich geb ihm gleich einen Klapps auf den Kopf, so daß er still ist, und dann nehm ich ihm die Taschen heraus.«
»Das ist freilich das Gescheidtst, wast thun kannst.«
»Habs auch denkt!«
»Und sodann?«
»Nun, da bring ich Dir die Taschen.«
»Aberst was wird mit dem Fex?«
»Den laß ich liegen.«
»Meinst, daß das klug ist?«
»Etwan nicht?«
»Nein, denn entweder wacht er von dem Klapps, dent ihm geben hast, wiedern auf; dann wird er sagen, daß er überfallen und bestohlen worden ist – –«
»Hab keine Sorg darum! Der Klapps wird ein solcher sein, daß der Fex das Aufwachen vergißt.«
»Das wollt ich schon besser loben; aberst sodann findet man ihn in der Früh todt in der Fähr, die Aerzten untersuchen seinen Leichnamen und sagen: Er hat einen Hieb erhalten und ist derschlagen worden. Da beginnt ein großes Injusterium und ein Prozessiren und man kann gar dabei ganz unschuldig mit einisteckt werden.«
»Du bists doch nicht gewest!«
»Freilich nicht; aberst grad wegen dera Taschen kann das Alibi und Adlibitum auf mich fallen, und auch mit auf Dich. Beweisen kanns uns freilich Keiner, aber stecken lassen könnens uns eine lange Zeiten. Das braucht aberst nicht zu sein.«
»Nun, was meinst sonst?«
»Du giebst ihm den Schlag auf den Kopf, nimmst die Brieftaschen und wirfst nachhero den Kerl in das Wassern. Verstanden!«
»Jawohl! Es wird nachhero heißen, daß er vor Unglück versoffen ist.«
»Ja, er ist ein guter Schwimmer und hat darum mal auch zuviel gewagt. Dann ist uns geholfen und die Paula ist Dein, Topp!«
»Topp!«
Sie schlugen ein.
Der Fex faßte den Sepp am Arme und zog ihn vom Fenster fort. In einiger Entfernung von dem Letzteren blieb er stehen und fragte, vor Aufregung zitternd:
»Hasts gehört?«
»Ja.«
»Sollt mans glauben!«
»Dermordet sollst werden!«
»Derschlagen und ins Wassern worfen, grad wie ein Aas, was nicht mal der Schindern brauchen kann. Aber ich werd dem Kerlen einen Streich spielen. Wart hier!«
»Wart Nur! Ich komm gleich wiedern.«
Er eilte fort, um die Ecke des Hauses. Bereits nach einer Minute kam er wieder, mit einem Gegenstande in der Hand.
»Was hast da herbei geholt?« fragte der Sepp.
»Weißt, da im alten Kegelschub, wo ich den Topf holt hatte, da lag auch das alte Fuchseisen. Da drein soll der Fingerlfranz mit der Hand greifen und sich fangen. Wart nur, Bursch, Du sollst mir brav kommen, wart nur! Aber wer – ah, die Paula!«
Sie kam hinter der andern Ecke des Hauses hervorgeschlichen und auf die Beiden zu.
»Ah!« lächelte der Sepp. »Das also wars, was Ihr hinter mir zu rispern und zu flüstern hattet, als ich die Hausthüren aufschließen mußt! Ich habs wohl hört. Das ist ja grad ein Stelldichein. Da darf wohl dera alte Sepp nicht mit dabei sein?«
»O, gar wohl könntst mit dabei sein,« antwortete der Fex. »Es ist wohl nix Unrechts, was wir mitsammen reden werden, und unser Freund bist ja auch; aberst dennoch werd ich Dich bitten, hier zuruckzubleiben. Du mußt lauschen, um uns zu sagen, wann dera Fingerlfranz kommen wird.«
»Will Der etwan zu Dir kommen?« fragte Paula.
»Ja, er wird wohl noch überfahren wollen. Es scheint, daß er bereits in der großen Fruh schon drüben im Dorf sein muß.«
»Da geh ich liebern nicht mit.«
»Fürchtst Dich vor ihm?«
»Bei der Nacht, ja. Und er braucht ja auch nicht zu merken, daß ich bei Dir bin.«
»Er wirds nicht merken, denn der Sepp soll ja eben aufpassen und uns benachrichtigen, wann er kommt.«
»Er könnts aberst doch versehen. Lieber geh ich noch mal hinein und wart, bis der Franz fort ist.«
»Wirds Dir nicht zu lang dauern?«
»O nein. Ich könnt ja so nimmer schlafen nach Allem, was ich heut im Theatern hört und sehen hab.«
»So geh, Paula, geh! Ich werd Dir einen Sand an Dein Fensterl werfen, wannst herabkommen sollst.«
Sie schlich sich wieder hinein ins Haus.
»Jetzt komm, Sepp!« meinte der Fex. »Wir wollen nun schnell die Fallen stellen.«
Sie gingen nach dem Flusse. Im Gehen fragte der Sepp:
»Warum sagst ihr denn eine Unwahrheiten? Der Franz will ja gar nicht überfahren.«
»Soll ich der Töchtern etwan sagen, daß ihr Vatern ein Mördern ist? Nein, das thu ich der Paula nimmer an. Das bracht ich gar niemals übers Herz. Oder Du?«
»Nein, ich auch nicht.«
»Also ists viel bessern, sie ahnt gar nix. Darum hab ich mich freut, daß sie einstweilen wieder gangen ist. Jetzt nun aberst müssen wir uns sputen. Der Kerl kann spät kommen, aber auch bald, und wann er kommt, so müssen wir bereits fertig sein.«
»Bin neugierig, wast machen willst.«
»Versohlen will ich ihn.«
»Ah, die Schuhen?«
»Nein, sondern lieber da, womit der Schustern auf dem Schemel sitzt. Komm nur. Du mußt mit helfen.«
Als sie die Fähre erreichten, bemerkte der Fex, daß er sie etwas lang angehängt hatte. Er zog die Kette mehr an, so daß das Hintertheil des Kahnes hart und fest ans Ufer stieß.
»Nun schau mal an!« sagte er. »So wird er kommen, auf allen Vieren.«
Er ließ sich auf die Hände und Füße nieder und kroch ganz so nach der Fähre hin, wie es vermuthlich auch der Franz thun würde.
»Und nun ist er da am Kahn und will hinein, mit den Händen zuerst. Da wird er grad hierher greifen müssen, auf das Querbretle am Steuer. Dahier her also muß ich die Fuchsfallen legen. Nicht?«
»Ja, das ist gewiß. Wie aberst machst sie fest?«
»Wie? Das ist doch sehr leicht. Ich hab den Bohrer da und Schrauben und Nägel und Riemen und einen Strick und Bänder auch. Paß auf!«
Er stieg in die Fähre, holte den kleinen Werkzeugkasten hervor und begann, Löcher zu bohren. Das Fuchseisen wurde aufgespannt und so befestigt, daß die Kraft des stärksten Menschen es nicht vermochte, es loszureißen.
»So, das ist gethan!« lachte der Fex. »Nun her mit denen Wachsleinwanden.«
»Wozu?«
»Die roll ich auch zusammen und leg sie in die Fähr hinein, so daß es so scheint, als ob ein Mensch da liegen thät. Der bin natürlich ich.«
»Bist ein Schlaukopf, Fex!«
»Ja, wanns nöthig ist, da weiß ich schon, was man zu machen hat. Und das hier, thu ich gern.«
Als er das erwähnte Arrangement getroffen hatte, nahm er einen Strick zur Hand und sprang mit demselben aus der Fähre an das Ufer.
»Was willst mit denjenigen Stricken machen?«
»Die bind ich hier mit einem End um den Baum, und das andre kommt um die Füß des Fingerlfranz, daß er sein still halten muß.«
»Ach so! Wirst das auch bringen?«
»Sehr gut!«
»Es muß aberst rasch gehen!«
»Hab keine Sorg! Ich kann eine feine Schlingen machen. Je mehr er zerrt, desto festern zieht er sie zusammen. Und nun wollen wir uns die Gerten und Schwippen schneiden, die wir brauchen.«
»Sapristi! Also zuhauen?«
»Natürlich! Oder hast etwan Mitleid mit dem Kerl, der mich dermorden will?«
»Gar nicht! O nein! Ich werd zuhauen, daß ihm die Schwarte kracht wie Speck im Tiegel, wann man Wassern hineingießt. Der Kerlen ist werth, daß man ihn haut, bis er liegen bleibt.«
»So komm! Aberst nicht zu schwach und auch nicht zu stark dürfen die Ruthen sein. Die richtige Elastik müssens haben, daß sie sein aufschwippen und aberst doch nicht zerbrechen. Solche stehen ganz hier in der Nähe.«
»Aber eine Rachsucht wird er auf uns bekommen!«
»Daraus mach ich mir nix. Auch wird er es gar nicht sehen, von wem er den Staar gestochen bekommt. Der Mond scheint nicht durch die Bäume herein, und wir werden sehr fleißig arbeiten aber kein Wörtle dazu sagen.«
Der Fex schnitt sechs bis acht elastische Stöcke los und zog dann den Sepp in ein Versteck, welches hart am Ufer und ganz in der Nähe des Kahnes lag. Dort harrten sie der Ankunft des Mordgesellen.
»Wird ihm das Eisen Schaden machen?« flüsterte der Wurzelsepp.
»Nein. Festhalten wirds ihn und auch ein Stuck von dera Haut mitnehmen. Die starken Knochen aber, die der Franz hat, kanns nicht zerschlagen.«
»Und neugierig bin ich, ob er schreien wird.«
»Ich auch.«
»Wann er schreit, verräth er sich doch selber.«
»Aber die Portion, die er erhalten wird, so still hinzunehmen, das ist auch viel verlangt. Hier hast Deine Stöcken. Wir haun so lange zu und halten nicht ehern an, als bis sie zerbrochen sind. Jetzt aberst nun still, sonst hört er uns und nicht wir ihn.«
Sie schmiegten sich an einander und gaben keinen Laut von sich. Es dauerte lange, sehr lange. Wer bei einer solchen Gelegenheit seine Geduld bewähren muß, dem werden die Minuten zu Stunden.
Endlich, endlich hörten die Beiden Etwas wie das Zerbrechen eines Zweiges. Bald hörten sie ein leises Rauschen, wie wenn Jemand sich auf den Knieen im Grase fortschiebt und dabei ein dürres Blatt mit fortbewegt. Der Sepp stieß den Fex an.
»Er kommt,« raunte er ihm zu.
»Siehst ihn?«
»Hinter uns. Er schleicht um uns herum.«
Trotzdem es hier am Ufer und unter den Bäumen keinen Mondenschein gab, sah doch der Sepp, als er sich leise umwandte, die Gestalt des Fingerlfranz ganz hart an ihrem Versteck vorüberkriechen.
»Wann er sich nur auch fangt!« flüsterte er.
»Auf alle Fällen!«
»Wie wird er verschrecken!«
»Ehe er da zur Besinnung kommt, muß ich seine Beine bereits fest haben. Aberst nachhero, dann regnets Hiebe wie Schlooßen!«
Der Franz machte seine Sache gar nicht übel. Wer von seinem Nahen nichts wußte, konnte es ganz unmöglich bemerken. In einem kurzen Bogen kroch er um das Versteck der Beiden herum und befand sich nun an der Stelle, wo die Fähre fest am Ufer saß. Da blieb er eine ganze Weile regungslos liegen, um zu lauschen. Den Athem des Fex, wenn dieser in der Fähre geschlafen hätte, hätte er trotzdem nicht hören können, denn die Wellen rauschten leise und gurgelten hier und da, wo es eine Drehung gab.
Jetzt richtete er sich langsam auf. Er hob den Kopf über das erhöhte Hintertheil der Fähre ein Wenig empor, um zu sehen, ob der Fex sich in der letzteren befand. Trotz des Mangels an Mondenschein bemerkte er die zusammengerollten Wachsleinenstück. Er hielt sie wirklich für den Fex.
Er legte beide Hände auf den Hinterbord, zog die Leine an und machte Anstalt, in die Fähre zu steigen. Natürlich griff er mit den Händen zuerst hinein – ein lauter, scharfer Knack – – –
»Au, au! Himmeldonnerwetter!« schrie er auf.
»Hat ihm!« flüsterte der Fex.
Einige Augenblicke lang blieb es stille. Der Franz verhielt sich regungslos, doch schien es den Beiden, als ob sie seine Zähne zusammenknirrschen hörten.
»Fex!« sagte er dann halblaut.
»Ah! Der Kerl denkt auch, ich soll ihm helfen?«
»Fex, Fex! Wach auf!«
»Ja, ich komm schon!« flüsterte der Gerufene.
Er kroch hinaus und nahm das andere Ende des Strickes in die Hand. Der Fingerlfranz wurde von dem Fuchseisen an den Unterarmen festgehalten. Er konnte auch nicht sehen, was hinter ihm vorging, weil er mit dem Bauch hoch auf dem Borde lag und sein Kopf sich im Innern der Fähre tiefer befand.
Der Fex schlich sich heran. Zwei schnelle Griffe, und er hatte den Strick um die Beine des gefangenen Fuchses geschlungen. Ein starker Ruck, und er zog sie lang aus – ein Knoten gemacht, und nun lag der Gefangene so auf dem Bord der Fähre, wie die Beiden es sich nur wünschen konnten, nämlich der Kopf und die Füße tief, hoch oben aber derjenige Theil, welchem die milden Gaben der Freunde zugedacht waren.
»Hölle und Teufel!« schrie er auf, als er fühlte, daß ihm durch eine unsichtbare Kraft die Beine ausgestreckt und dann so festgehalten wurden, daß er sie nicht im Mindesten bewegen konnte. Die Antwort auf diesen Ruf folgte sofort, nämlich ein wunderbar takt- und regelmäßiges und zugleich äußerst nachdrückliches Aufschlagen der Ruthen auf den jetzt so erhabenen Körpertheil.
Es war wie wenn zwei Dienstmänner gemiethet sind, eine Stubendecke auszuklopfen; nur nicht so dumpf und leer klangen die Hiebe, sondern viel voller, viel fetter und viel schärfer.
Bei den ersten Hieben verhielt sich Franz ganz still. Er war vor Schreck ganz perplex. Dann aber brüllte er los, und aber wie!
»Hilfe! Feurio! Mörder! Mörder! Hilfe!«
Aber je mehr er brüllte, desto stärker und dichter fielen die Hiebe. Es war eine Arbeit, welcher sich die Beiden mit einem Eifer hingaben, als ob ihr Leben und ihr ganzes Glück davon abhänge.
Erst ein Stock war zerbrochen, und doch mußte der Sepp bereits ausruhen. Der Fex aber schien bei einem jeden Schlage größere Kraft zu gewinnen. Er gab sich Mühe, genau immer ein und dieselbe Stelle zu treffen, bis er annehmen durfte, daß sie sich im gefühlvollsten Zustande befinde. Dann ging er um einen Finger breit weiter.
Die lauten Schreie waren nur im ersten Schreck und Schmerz ausgestoßen worden. Sie verstummten bald, denn der Fingerlfranz sagte sich, daß er sich in einer Situation befinde, in welcher er sich nicht treffen lassen könne, ohne bedenklichen Verdacht gegen sein nächtliches Gebahren zu erwecken. Darum zog er es vor, das Hilferufen zu unterlassen.
Mit den Zähnen knirrschend und dumpfe Flüche ausstoßend, lag er da, keines Widerstandes fähig, trotz seiner so oft gerühmten großen Körperstärke. Bald konnte er nicht mehr fluchen. Es war ihm, als ob sein Körper ausgedehnt, gedehnt und weiter gedehnt wurde meilenlang und als ob da, wo seine Wildlederhose am breitesten war, ein loderndes Feuer brenne. Es summte ihm vor den Ohren, und er sah flackernde Lichter vor den Augen – und doch fielen noch immer die Hiebe regelmäßig auf ihn hernieder.
Doch nein – jetzt hörten sie auf. Der Fex hatte seinen letzten Stock zerschlagen, und der Sepp hielt zwar den seinigen noch unzerbrochen in der Hand, konnte aber den Arm nicht mehr bewegen.
»Komm!« flüsterte der Erste und zog den Alten fort.
»Wohin?«
»Nach der Mühlen.«
»Was willst dort?«
»Hilfe holen für den Franz.«
»Ja, gut! Na, werden die Augen machen, wann sie ihn erblicken! Ich möcht dabei sein!«
»Ich bin dabei. Du aber darfst Dich nicht derblicken lassen, sonst denkens gleich, daß wirs gewesen sind.«
»Warum sollens das nicht denken?«
»Hast eigentlich auch recht. Na, so komm!«
»Hör mal, Fex, wie ists Dir jetzt?«
»Sehr wohl.«
»Auch im Arm?«
»Zumal da ganz wohl.«
»Na mir grad nicht. Ich hab im Arm so ein Gefühl, als wann er so stark und dick sei wie ein Mehlsack. Es ist mir ganz dumm und taub worden.«
»Ich hätt noch längern mitmacht.«
»Ich konnt nicht mehr. Und meinst nicht auch, daß er genug hat, he?«
»Seine Portion hat er bekommen.«
»Aberst reichlich, sehr reichlich. Ich möcht mal sehn, wie er ausschaut, nämlich grad da, wo wir ihn ausklopft haben. Er muß gar sein und wie gekocht.«
»Hats auch verdient. Komm jetzt hinten hinein.«
Sie befanden sich an der Mühle, und der Fex bog um die Ecke derselben.
»Was sagen wir?«
»Das wirst hören. Laß nur vorerst mich reden.«
Er sprang über die Hofmauer und der Sepp hinter ihm auch. Die Hinterthür war bald geöffnet. Im Hausflur war es dunkel. Beide traten in die Stube des Müllers.
Dieser machte ganz eigene Augen, als er diese Beiden erblickte anstatt den Fingerlfranz.
»Der Fex!« rief er aus.
»Und ich auch!« fügte der Sepp hinzu.
»Der Wurzelsepp! Was wollt Ihr hier?«
»Einen Rath sollst uns geben,« sagte der Fex.
»Wozu?«
»Es muß was passirt sein drüben an der Fähre.«
»So! Was denn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie! Was! Du bist der Fährmann und weißt es nicht?«
»Ich trau mich nicht hin.«
»So! Ach! Wollen sehen! Was giebts also?«
Er griff nach der Peitsche. Der Fex erzählte:
»Ich hatt mit dem Sepp die Sängrin heimbracht und wollt nun den Sepp nach der Stadt führen, wo er schlafen will. Aberst wir sprachen vom Concertl und blieben dabei so oft stehen, daß wir halt gar nicht weit vorwärts kamen. Da auf einmal hörten wir um Hilfe rufen.«
»Wo?«
»Drüben am Wassern.«
»Alle Wettern! Wer hat gerufen?«
»Wir wissens nimmer. Wir eilten zwar schnell hinzu; aberst als wir nahe herankamen, da erblickten wir zwei Gestalten, die waren fünfmal größer und höher als wir; die schlugen auf Einen los, der in der Fähr gelegen hat und immer nur so still vor sich hin wimmern that.«
»Mensch!« rief der Müller. »Du hast ihm nicht geholfen?«
»Ich hab mich nicht traut!«
»Nicht. Hast Dich etwan fürchtet?«
»Ja.«
»So will ich Dir sogleich den Muth machen?«
Er holte zu einem kräftigen Hiebe aus. Da aber that der Fex einige schnelle Schritte auf ihn zu, riß ihm die Peitsche aus der Hand und sagte:
»Mit der Peitschen ists nun mal aus, Thalmüllern!«
»Wa – wa – – was! Vergreifen willst Dich an mir!«
»Nein! Schlagen, wie der Anton Dich schlagen hat, das will ich nicht. Vergreifen will ich mich nicht an Dir; aber Dein Zornlappen, dent ausklopfen kanntst, wannt mal Lust dazu hattst, der bin ich auch nicht mehr.«
»Hallunk!«
»Sei still! Auch das Schimpfen hilft Dir nix mehr. Ich will Dir sagen, daß ich weiß, wer da drüben geschlagen worden ist. Der Franz ists gewesen.«
»Und Du hast ihm nicht holfen!«
»Ich? Dem!«
»Ja, Du mußt, denn Du weißt, daß er mein Schwiegersohn sein wird!«
»Der wird er nicht sein, der Mördern!«
»Mör – – –!«
Das Wort kam ihm nur halb über die Lippen.
»Ja, der Mördern!«
»So, so willst ihn schimpfen!«
»Es ist nicht geschumpfen, sondern es ist die reine Wahrheit.«
»Willst Du's beweisen?«
»Nun?«
»Er hat mich morden sollen!«
»Ah!«
»Ja, derschlagen, ins Wassern werfen und vorher aberst die Brieftaschen abnehmen.«
»Lügner!«
»Willsts leugnen!«
»Das ist die reine Schlechtigkeiten von Dir, daßt den braven Kerlen in diesen Verdacht bringen willst!«
»Ists etwan auch eine Schlechtigkeiten, wann ich sag, daßt ihn selbst hingesendet hast?«
»Ich? Kerl, Du bist wahnsinnig!«
»Nachhero hast ihm die Paula dafür geben wollen!«
Der Müller schwieg eine Weile. Er gab sich den Anschein, als ob er vor großem Zorn nicht reden könne; es war aber nur der Schreck, der ihm die Sprache benahm.
»Wannst krank wärst,« stieß er dann hervor, »so wollt ich sagen, Du thätst phantasiren!«
Da wendete sich der Fex zum Sepp:
»Thu ich phantasiren, Sepp?«
»Nein.«
»Ists wahr, was ich sag?«
»Ja.«
»Hat der Franz mich ermorden sollen?«
»Ja.«
»Und der Müllern hat ihn gesandt?«
»Ja. Ich kanns beschwören.«
»Da hörsts!« sagte der Fex zum Müller.
»Himmelsakra!« fuhr dieser aus. »Ist denn die ganze Welt verruckt worden!«
»Oder bist selbern verruckt; denn nur einem Wahnsinnigen sollt man solche Unthaten zutrauen.«
»Auch Du, Sepp, klagst mich an!«
»Ich sag nur die Wahrheiten!«
»Und ich hab Dich gespeist, daß Dir das Fetten und die Buttern hüben und drüben am Maul herablaufen ist! Das nenn ich eine Dankbarkeiten! Aber Undank ist der Welt Lohn.«
»Hör, Thalmüllern,« meinte da der Alte im ernstesten Tone, »das wirf mir ja nimmer vor! Ich habs bereits sehr bereut, daß ich Dein Brod gessen hab!«
»So! Auch noch!«
»Ja, weilst der größte Schuft bist, den die Sonnen bescheinen thut. Weißt, wast gemacht hast?«
»Was ich mach, das weiß ich stets!«
»Erst hast die Südana erwürgt – – –«
»Mensch, halts Maul!«
»Nachhero schickst den Franz zur Fähr, damit er auch den Fex derschlagen soll!«
»Ah, könnt ich nur auf, so thät ich Dich derschlagen, und zwar grad auf dera Stellen wot stehst!«
»So weit kommst halt nimmer! Ich steh da als Zeug und kanns mit tausend Eiden beschwören!«
»Meineiden sinds! Wie willst so was wissen!«
»Woher ichs weiß, und wie ichs derfahren hab, das werd ich Dir nicht sagen; ich werds erst sagen, wann ich mit Dir vor Gericht steh. Du in Ketten und Banden, ich aberst frei und mit gutem Gewissen!«
»Jetzt, jetzt nun hört aber Alles auf! Diese Kerlen kommen zu mir herein und beleidigen mich bis aufs Blut und reden auch noch von einem guten Gewissen!«
Da legte der Fex ihm die Hand schwer auf die Schulter und sagte im drohenden Tone:
»Willst Dich auch noch versündigen an diesem alten, braven Manne, Thalmüllern!«
»Brav? Ein Lügnern ist er. Ein falscher Angeber, ein böser Leumundsmördern!«
»Nun, ich seh, daß mit Dir nimmer zu reden ist, und so will ichs anderst machen mit Dir. Eigentlich sollt ich Dich vor Gericht anzeigen, aberst – – –«
»Auch noch! Anzeigen!«
»Ja; aberst Du hast ein gutes Kind, eine brave Töchtern, welche sterben wird vor Gram und Herzeleiden, wann ihr Vatern wegen Mord aufs Schaffot käm oder lebenslänglich ins Spinnhaus. Um ihretwillen will ich jetzt nix sagen. Aber denk ja nicht etwan, daß es Dir für immer geschenkt sei! Ich werd Dich beobachten und Dich nimmer aus denen Augen lassen. Sobald Du die Paula zwingen willst, den Franz zu heirathen, so bin ich allsogleich mit dera Anzeigen da. Und Zeugen hab ich mehr, alst denken kannst. Das magst Dir merken!«
Der Müller nahm seine ganze Selbstbeherrschung zusammen, seine Bestürzung zu verbergen. Es gelang ihm sogar, einen höhnischen Ton anzuschlagen.
»So! Hast sprochen?«
»Ja.«
»Und bist fertig?«
»Noch nicht ganz.«
»So mach, daßt fertig wirst. Nachhero werf ich Dich hinaus. Das hast reichlich verdient!«
»Das werd ich wohl abwarten können. Ich will Dir noch sagen, daß ich Dein Haus nicht wieder betreten werd und die Fähr auch nicht.«
»Ja.«
»Ohne meine Erlaubnissen!«
»Nach dera Erlaubnissen frag ich nicht. Ich könnt mir sogar den Lohn ausbitten, dent mir nicht mal angeboten hast, viel wenigern auszahlt; aberst ich will von Dir kein Geld haben, denn die Sünd klebt daran. Ich schenks Dir also. Nun weißts, ich geh fort von hier; aberst denk ja nicht, daß ich nicht weiß, wast machst. Ich werd Dich nicht aus denen Augen lassen, und wannst auf die Paula einen Zwang ausübst, so geh ich zur Polizeien, sag was ich weiß und laß Dich einstecken. Dich und auch den Franz!«
»Ah! Warum bin ich gelähmt? Warum kann ich nimmer aufistehn?« stieß der Müller hervor, um nur Etwas sagen zu können.
»Ja, der Herrgott hat bereits anklopft bei Dir. Er hat Dich an den Krankenstuhl fesselt, und es wird noch schlimmer kommen, noch viel schlimmer, wannt nicht in Dich gehst und Buße thust!«
»Schau, wast gut reden kannst! Warum bist denn nimmer ein Pfarrern worden, he?«
»Dazu hätts der Thalmüllern nicht kommen lassen. Aber ich bin fertig mit Dir. Ich will mich nimmer mit Dir streiten, denn bei Dir ist ein jedes Wort verloren, und Hopfen und Malzen dazu. Und eben weilst nicht auf kannst vom Stuhl, werd ich Dein Gesind wecken, damit die Leut hinübergehn zur Fähr und den Fingerlfranz frei machen.«
»Hölle und Teufel! Ist er anbunden?«
»Ja, und noch dazu hat er sich im Fuchseisen fangen.«
»Wo ist ein solch Eisen?«
»In der Fähr hatt ichs liegen, wann mal ein Mördern kommen thät, daß er sich fangen möcht. Und von wem er die Prügel bekommen hat, das kannst Dir nun auch denken und es ihm sagen. Ich brauch mich vor ihm nicht zu fürchten und auch vor Dir nicht und vor keinem Menschen. Ich steh unter einem dreifachen Schutz, und das ist mein König, mein Gewissen und mein lieber Gott. Bei Dir hab ich in Knechtschaft gelebt allezeit; von jetzt an bin ich frei. Ich schüttle hier den Staub von meinen Füßen. Leb wohl, Thalmüllern, leb so wohl, wiet leben kannst!«
Er ging, und der Sepp ging mit ihm. Im Hintergebäude schlief das Gesinde. Die Beiden weckten diese Leute und sagten ihnen, daß sie mit Laternen nach der Fähre gehen sollten, um den Franz zu holen.
»Und was thun nun wir?« fragte der Sepp.
»Geh Du in meine Kapellen, bis ich auch hinunterkomm! Wirst nicht lang zu warten haben.«
»Ach so! Willst der Paula das Zeichen geben?«
»Ja.«
»So will ich gehen.«
Er ging nach dem Felsen zu. Unterwegs aber murmelte er vor sich hin:
»In die Kapellen also soll ich! Zu dera Leichen hinab! Brrr! Und indessen steht oder sitzt er bei dera Paula und macht ihr die Liebeserklärung. Himmelsakra! Das laß ich mir nimmer gefalln! Hab ich die jungen Leutln zusammensteckt und beschützt, so will ich auch dabei sein, wanns einander zum ersten Mal das Busserl geben. Aberst klug anfangen muß ichs. Wo werdens hingehen?«
Er blieb überlegend stehen.
»Na, wo anderst hin als hinauf auf den Felsen ans Grab. Da ziehts ihn immer hin, und da giebts halt auch die Rasenbank, worauf man so schön mit Derjenigen zusammenrücken kann, mit der man nicht wieder ausnanderrucken will. Also da hinauf muß ich steigen. Ja freilich!«
Er stieg hinauf und versteckte sich hinter die dichten Sträucher, um den Lauscher zu machen.
Der Fex war nach der Seite des Hauses gegangen, wo sich Paula's Fenster befand. Er warf ein wenig Sand an dasselbe: Es wurde geöffnet.
»Bists, Fex?« fragte es leise von oben herab.
»Ja.«
»Ich komme gleich!«
»Aberst nimm Dich vor denen Knechten und Mägden in Acht. Sie stehen auf.«
»Warum?«
»Wirsts sehen. Komm hierher; ich bleib da stehen.«
Nach wenigen Augenblicken stand sie bei ihm.
»Ich hab eine große Ängsten ausstanden,« sagte sie.
»Warum?«
»Wegen Deiner. Weil der Franz hat zu Dir kommen wollen. Der hat Dir die Rache geschworen.«
»Hasts auch merkt?«
»Schon oft.«
»Ich furcht ihn nicht. Komm, Paula?«
»Wohin?«
»Hinauf zum Felsen.«
»Zum Grab in dera Nacht?«
»Fürchtest Dich?«
»Wannt dabei bist, nicht.«
»Brauchst Dich auch sonst nicht zu fürchten. Die Zigeunerin ist eine gute Seelen gewest, und der liebe Herrgott wird sie zu sich nommen haben in seiner großen Gnad und Barmherzigkeit. Weißt, ein Mensch, wenn er brav ist, braucht sich an keinem Ort und vor Niemand nicht zu fürchten.«
Sie schritten nebeneinander dem Felsen zu. Dabei ergriff sie seine Hand. Als er ihre zarten, weichen Finger in den seinigen fühlte, wurde ihm so unbeschreiblich selig zu Muthe. Er hätte dieses Händchen festhalten und nie wieder loslassen mögen.
Jetzt erstiegen sie den Felsen.
»Willst Dich setzen?« fragte er, als sie an der Bank standen. »Du nicht auch?«
»Es ist wohl nicht Platz für Zwei!«
»O doch! Wir haben hier ja neben nander sessen als wir noch kleine Kindern waren.«
»Ja, klein. Darum hatten wir Platz. Jetzt aberst sind wir Beid größern worden.«
»So rücken wir zusammen. Komm!«
Sie zog ihn neben sich nieder. Er fühlte ihre Gestalt warm und weich neben und an der seinigen. Sie hatte früher gar oft seine Hand ergriffen; sie hatte auch neben ihm gesessen. Warum war es heut so viel anders als früher? Er beantwortete sich diese Frage nicht, weil er sie sich gar nicht vorlegte. Diese beiden jungen, reinen, unerfahrenen Menschen waren noch wirkliche Kinder, und dennoch wehte ihnen die Ahnung eines Himmels bereits entgegen. Die Herzen Beider waren so voll. Keins sagte ein Wort. Jedes suchte nach einem Anfange, aber es fiel ihnen keiner ein.
Da sahen sie Laternen näher kommen.
»Wer ist das?« fragte Paula.
»Euer Gesinde.«
»Was wollen sie hier?«
»Den Fingerlfranz holen.«
»Ist ihm denn was geschehen?«
»Ja, aber brauchst darum nicht zu verschrecken. Weißt, er fing Streit mit mir an und mit dem Wurzelsepp, und da haben wir – na, weißt schon!«
»Was?«
»Dasselbige, was ich damals im Walde that, als er so unartig gegen Dich war.«
»Habt ihr ihn geschlagen?«
»Ja.«
»Also gar eine Prügeleien!«
»Nein, keine Prügeleien, sondern eine wichtige Executionen, eine Bestrafung.«
»Wie denn?«
»Wir haben ihn anbunden und ihm grad so viel Schläg geben, wie er verdient hat.«
»Und nun muß er geholt werden?«
»Ja.«
»So kann er gar nimmer laufen?«
»Ich weiß nicht. Wir haben ihm den Strick nicht weggenommen. Vielleicht lauft er schnell davon, wann sie ihn nur erst losbunden haben.«
»Horch!«
Die Fähre lag gar nicht weit vom Felsen entfernt. Man hörte laute Rufe des Schreckes, des Erstaunens, dazwischen hinein ein tiefes Aechzen.
»Wer hat Dich aberst so zurichtet?« fragte ein Knecht.
»Weiß nicht,« antwortete Franzens Stimme.
»Das mußt aberst doch wissen!«
»Es war finstern hier.«
»Und wie bist nach der Fähre kommen?«
»Ich wollt am Wasser hinauf.«
»Konntst auch am richtigen Weg bleiben, so wärs Dir nimmer arrumvirt. Vielleicht bekommen wir die Thätern heraus, wannsts erst richtig verzählt hast. Kannst laufen?«
»Ich weiß nicht.«
»Versuchs doch mal!«
»Ah! Oh! Brrr!«
»Thuts weh?«
»Freilich. Jede Bewegung sticht wie ein Messern und brennt wie ein Feuern. Ah! Oh! Puh!«
»Das ist noch nimmer da gewest!«
»Ja, die Hosen ist mir noch niemals da hinten so festklebt wie jetzund. Wann ich sie nur erst wiedern herunter hätt!«
»Du mußt doch schmähliche Hieben kriegt haben! Das Ledern ist hinten ganz entzwei. Das ist Alles zusammenbacken. Am Besten wirds sein, Du nimmst ein Faß mit Essigwassern und thust Dich da hineinsetzen, da lößts und thauts wiederum auf, so daßt wenigstens die Hosen vom Fleisch herunter ziehen kannst. Solln wir Dich liebern tragen?«
»Nein, nein! Da, wohin Ihr da greifen müßtet, da könnt ichs erst recht vor Schmerz nimmer aushalten. Ich wills liebern versuchen, ob ich laufen kann. Führt mich hüben und drüben unterm Arm!«
»So komm!«
Zwei derbe Knechte unterstützten ihn zu beiden Seiten, und er that einige Schritte, mußte aber bald stehen bleiben.
»Ffffffft!« machte er es mit zusammengepreßten Lippen.
»Es thut halt wohl schlimm?«
»Als wann mir Einer die Haut abziehen thät!«
»Brrrr! Das muß halt eine Passion sein!«
»Und was für eine! Ich wollt, Du hättsts, aber nicht ich. Verstanden, Peter!«
»Dank sehr schön für solche Limonaden!«
»Ja, wanns Limonaden wär! Weiter!«
Er ging wieder eine kleine Strecke, bis er grad unter dem Felsen stand.
»Nun wirds mir fast zu bunt!« stöhnte er.
»Was wird der Müllern sagen!« meinte ein Knecht.
»Der? Na der ist eigentlich schuld daran!«
»Wieso?«
»Das geht Dich nix an! Aberst wann er nicht gewest wär, so wären jetzunder meine Hosen noch ganz und mein eigenes Leder auch. Hol ihn der Teuxel!«
»Den Hosentheil da hinten?«
»Nein; den hat er schon geholt. Ich mein den Müllern.«
»Das sag ihm mal selber!«
»Meinst, ich sags ihm nicht?«
»Da wird er zur Peitschen greifen!«
»Soll ihm nicht einfallen!«
»Und die Paula, wann sie Dich erblickt!«
»Hört, die darfs nicht sehen!«
»So?«
»Nicht mal erfahren darf sies!«
»Ja, das versteh ich wohl! Was muß eine Braut denken, wann der Bräutigam so verledert wird!«
»Hör mal, könntst auch andere Ausdrücken brauchen! Oder verlachst und verspottest mich etwan?«
»Wie kannst das denken! Es ist die reine Barmherzigkeiten von mir! Du thust mir wehe!«
»Was hilft mir das! Bessern wärs schon, wanns Dir da wehe thät, wo mirs wehe thut; da war ich gleich die ganze Geschichten los. Aber so ists halt immer: Dem, ders vertragen könnt, dem passirts leider nicht!«
»Wer weiß, ob ichs so gut vertragen thät, wie Du. Aberst nun besinn Dich doch mal ordentlich, und denk nach, obst nicht errathen kannst, wers gewest ist.«
»Ich kanns mir nicht denken.«
»War denn der Fex in der Fähre?«
»Nein. Erst hab ichs denkt, daß der Fex drin liegt. Das ist aberst die Wachsleinwand gewest, die ich sehen hab, als Ihr mit der Laternen kamt.«
»Und daneben war auch Niemand?«
»Nein.«
»Wer aber hat das Fuchseisen festmacht?«
»Das möcht ich auch wissen.«
»Jedenfalls der Fex,« sagte eine Magd. »Der ist ja der Fährmann. Ein Andrer kann doch in der Fähr keine Fallen stellen. Ob er eine Ratten hat derwischen wollen?«
»Ja, und was für eine!« lachte der Knecht.
»Jetzt lachst also richtig!« zürnte der Fingerlfranz.
»Nun ja freilich! Nimms mir nicht übel, Franz, aber wens nicht troffen hat, dem kommts doch so gar lächerlich vor, wannst so da stehst und ziehest den Frack hinein, als ob man die Schößen unversehens davon wegschnitten hätt. Und ein Gesicht thust schneiden, als obst Leberthran mit Essig trunken hättst.«
»Hol Euch all zusammen der Teuxel!«
»Lieber Die, dies gewest sind!«
»Ja! Wann ichs herausbekommen thu, dann können sich Diejenigen gefaßt machen.«
»Was hast nur eigentlich bei der Fähr gewollt?«
»Der Müllern schickt mich mit einem Befehl zum Fex. Ich trat an den Kahn und blickt hinein. Dabei legt ich mich mit den Händen aufs Bret, und da ist das Eisen zusammenklappt. Darauf hab ich allsogleich um Hilf geruft; aberst anstatt mir Rettung zu bringen, hat man mir beide Beinen zusammenbunden und dann zugehaut.«
»Verteuxeli! Aberst wacker gearbeitet müssen die Kerls haben. Es sind wohl an die acht Stöcken gewest, welche zerbrochen da lagen. Da ists kein Wundern und Mirakel, daß Deine Haut vor Verstaunen so zerplatzt ist. Mach jetzt, daßt weiter kommst, sonst sind wir übermorgen noch nicht wieder in der Mühlen!«
»Uh! Puh! Es graut mir!«
»So wart lieber. Ich will den Schubkarren holen; da legen wir Dich drauf, mit dem Bauch nach unten; da thut nachhero Das, was nach oben blickt, nicht gar so sehr weh.«
»Fallt mir nimmer ein! Vom Schubkarren mag ich nun erst recht gar nix wissen. Lieber lauf ich!«
Er setzte sich wieder in Bewegung. Langsam und mit vieler Unterbrechung gelangten sie endlich nach der Mühle. Der Weg war gewürzt von Bemerkungen, welche der Franz gewiß mit Ohrfeigen beantwortet hätte, wenn sein Zustand ein weniger leidender gewesen wäre.
Der Fex und die Paula hatten diese Unterhaltung mit angehört. Sie sagte leise:
»Habt Ihr denn gar so sehr zugehaut?«
»So, wie ers verdient hat!«
»War er gar so schlimm?«
»Ja. Ich erzähls Dir schon einmal später. Wanns auf ihn ankommen wär, so lebt ich jetzunder nicht wehr, sondern ich wär eine Leiche.«
»Meinsts im Ernst?«
»Ja.«
»Herrjemineh! Ich wollt ihn schon bereits bedauern; nun aberst sag ich freilich, daß ihm ganz recht geschehen ist. Er ist ein gar schlimmer und auch gefährlicher Mensch.«
»Das ist er.«
»Du, und nicht mehr leben! Mein Gott, was hätt ich da gemacht!«
»Du? Nun, sag mal, wast da macht hättst.«
»Geweint!«
»Nur?«
»Nur? Ist das nimmer genug, wann man sich zu Tode weint, Fex?«
»Ja, dann ists freilich genug. Aber das hättst wohl doch nicht than, Paula!«
»Warum nicht?«
»Das hätt zu lang dauert. Zum Todtweinen gehören wohl vielleicht gar viele Jahre.«
»Das kann sein; ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich nimmer wieder fröhlich gewesen wär.«
»Das kannst glauben! Und warum nicht? Schau Dich doch mal um. Hab ich einen Menschen, der so zu mir ist wie Du? Sag mir einen, Fex!«
»Ja, ich weiß halt auch keinen.«
»So schau, daß ich gar Recht hab. Weißt, ich hab nur den Vatern, keine Muttern und keinen Brudern oder eine Schwestern. Ich bin so ganz allein, und der Vatern – –«
Sie stockte.
»Den hast nimmer lieb.«
»Nein, ich hab ihn nimmer lieb. Es ist eine Sünd, wann ichs sag; aber es ist so, und ich kann nicht dafür. Ich fürcht mich vor ihm. Es ist mir oft, als ob ich gar nicht glauben sollt, daß er mein Vatern ist. Also, ich hab nur Dich, Dich allein gehabt, so lang als ich leb. Wir haben mitsammen spielt und sind mitnander aufiwachsen. Damals warst Du noch nicht Fährmann und hattst Deine Freizeit, in der wir im Wald und auf den Feldern herumstrichen sind. Das war so gar besonders schön.«
»Besonders wann wir Mann und Frau spielt haben!«
»Ja, da hast Deiner Frau stets so gut gefolgt.«
»Freilich! Gehorsam bin ich Dir stets gewest.«
»Das hat mir gar sehr gefallen. Und dann hier oben auf dem Felsen, wo kein Anderer heraufkommen that, da haben wir graben und pflanzt in die Millionen hinein! Und was für Blumen!«
»Ja,« lachte er. »Gras und Hahnenfuß und Butterblumen und Löwenzahn. Du hast die Blumen abrupft von der Wiesen, ohne die Wurzeln daran, und sie hier in die Erden steckt. Und wanns nachhero verwelkt waren, da hast bitterlich weint und nicht begreifen konnt, daß sie nicht fortwachsen sind.«
»Freilich, freilich! Ich hab mir die Papierduten aus der Küchen holt und darinnen das Wassern aus dem Fluß heraufitragen. Und wanns unten voll wesen sind und ich bin heraufikommen, so sinds allemal leer gewest und gar noch dazu aufileimt. Das war ein Nöthen und Aengsten!«
»Und weils mit denen Papierduten nicht gangen ist, so hast nachhero Deinen Vatern seine Filzschuhen wegstiebitzt und in ihnen das Wassern geholt. Das ist schon bereits besser gangen, bis der Müllern es merkt hat. Da haben wir alle Beid ganz gehörige Schwippse bekommen.«
»Du aberst die meisten, weilst Deinen Buckel hinhalten hast, wann der Vatern nach mir zielt hat.«
»O, das hab ich gar nicht fühlt.«
»Du hasts überhaupten gar nimmer fühlt, wannst für mich hast leiden und hungern müssen. Und das ists, was ich Dir gar niemals vergessen werd. Ach ja, das war so schön damals! Nicht?«
»So gar schön!« nickte er.
»Aber jetzt, weil der Vatern immer bösern worden ist, und auch besonders weil – weil – weil – – –«
»Nun, weil? Was meinst?«
»Weil der vorhin Prügel bekommen hat?«
»O nein! Die sind ihm gern gegönnt. Sondern weil der Vatern mich mit Gewalt zu ihm zwingen will.«
»Und Du magst doch nicht?«
»Nein.«
»Wirst aber doch noch nachgeben.«
»Niemals! Nie!«
»Ists wahr?«
»Hab ich Dir schon mal eine Lügen gesagt?«
»Noch keine einzige.«
»Also schau, grad so ists auch jetzund keine Lügen, wann ich Dir sag, daß ich in dieser Sachen dem Vatern nimmer gehorchen werd. Willsts glauben?«
»Wannsts sagst, so glaub ichs unbedingt.«
»Aber schlimm wirds mir noch ergehen.«
»Nein.«
»Woher weißt das?«
»Ich hab meinen Grund.«
»Wohl wegen Dem, wast dem Vatern sagt hast, als der Richardl Wagnern bei ihm gewest war.«
»Ja.«
»Was war das?«
»Das sag ich Dir schon noch, wann die Zeit dazu kommen ist. Auch brauchst jetzt vorerst keine Angst zu haben. So, wies jetzt mit dem Franz ausschaut, kann er keine Verlobung halten. Er kann nicht laufen, nicht stehn, nicht sitzen und nicht liegen. Das würde wohl ein schöner Bräutigam sein.«
»Ich glaub. Du hast ihn auch wegen der Verlobung, die morgen sein sollt, mit so verhaun!«
»Vielleicht.«
»Ja, so bist halt immer mein Beschützern gewest. Wie aberst wirds dann werden, wannst ganz fortgangen bist von hier und von mir!«
»Das ist falsch. Ganz geh ich gar nicht fort.«
»Ich denk, der König hats gewollt!«
»Freilich.«
»So gehst also nicht mit ihm?«
»Ich geh schon, aber ganz nicht.«
»Das begreif ich nicht.«
»Schau, ich meins halt so: Der Körpern geht fort, aber der Gedank bleibt da.«
»Ach so ists gemeint!«
»Ja. Oder soll ich nicht an Dich denken?«
»Sogar oft und immer!«
»Und Du? Denkst auch Du an mich?«
»Das kannst auch noch fragen? In der Früh, wann ich aufsteh, werd ich gleich an meinen Fex denken und so immerfort am ganzen Tag, bis ich einschlaf am Abend.«
»So wirds auch bei mir sein, und ich glaub sogar, daß ich von der Paula träumen werd.«
»Geh!«
»Warum nicht? Ists verboten, Paula?«
»Nein doch!«
»Nun, schau da mal den lieben Mond am! Wann er über mir steht, so werd ich ihm meine Grüßen an Dich sagen und er wird sie Dir bringen. Wannst also ihn schaust, so denk stets daran, daß der Fex an Dich dacht hat.«
»Wie schön! Und ich werd da auch an Dich denken und Dir meine Grüßen senden.«
»Grad so, wies im Lied steht:
Wenn Du im Traum wirst fragen:
Wer klopft ans Fensterlein?
So wird der Mond Dir sagen:
Ich bins, o laß mich ein!«
»Das Gedicht ist gar schön. Gehts auch weitern?«
»Freilich.«
»Wie denn?«
»So: Nämlich der Mond kommt nun durch das Fensterlein und sagt ganz leise:
Der Liebsten ist nach Dir so bang;
Ich bring Dir Gruß und Kuß und Sang – – –«
»Sei still!«
»Aber es geht noch weiter!«
»Ich mags nicht hören!«
»Aber soeben hast noch sagt, daß das Gedicht so schön sei!«
»Erst wars schön, zuletzt aberst nicht mehr.«
»Ach so, das gefallt Dir nicht! Nun, da muß ich freilich schweigen. Wer weißt, wann ich fort bin und Du brauchst einmal eine Hilf oder einen Rath, so sags dem Wurzelsepp.«
»Meinst, daß ich mich an ihn wenden soll?«
»Ja, er ist doch zuweilen hier, und ich werd ihn bitten, recht öfters herzugehen.«
»Das soll mich gefreun, denn weißt, ich hab ihn auch recht lieb. Er ist nicht reich und nicht fein, aber herzensgut.«
»Das ist er; drauf kannst Dich verlassen. Der Sepp ist ohne Tadel; an dem ist kein Flecken und kein Fehlern; der ist ein Kerl wie Gold so rein. Wann ich an ihn denk und von ihm sprech, so geht mir allemal das Herz auf. Und darum bitt ich Dich, Dich an ihn zu wenden, wannt einen Freund brauchst und ich Dir nicht helfen kann. Aberst wann ichs selber kann, so werd ich Dir selber helfen.«
»Leider mit den Gedanken nur, und mit ihnen kann ich Dir nix nützen. Aber Du könntst mirs doch sagen, wannt irgend eine Noth oder einen Wunsch hast.«
»Durch den Sepp.«
»Ja, oder durch einen Brief.«
»So meinst gar, daß ich Dir schreiben soll?«
»Ja, Du mir und ich Dir.«
»Wanns der Vatern erfährt!«
»Der brauchts gar nimmer zu wissen.«
»Ist das nicht ein Unrecht, Fex?«
»Gott soll mich behüten, von Dir ein Unrecht zu verlangen! Wann Dein Vatern anders wär, so braucht ich Dich gar nicht zu bitten, mir zu schreiben. Aberst weil er ein Tyrann ist und unverständig, so muß ich ein klein Wenig Dein Vatern sein, und da darfst schon an mich schreiben.«
»Du, das klingt so – so – so majestätisch!«
»Meinst?«
»Ja. Willst nicht noch was Andres sein?«
»Was denn?«
»Der Brudern?«
»Ja, der will ich schon sehr gern sein. So bist also nun von jetzund an meine Schwestern!«
»Ja.«
»Meine liebe, gute Schwestern!«
»Und Du mein guter, lieber Brudern!«
»So gieb mir die Hand darauf, Paula!«
»Hier hast sie!«
Sie reichten sich die Hände.
»Hast nicht gehört, daß Geschwister sich lieb haben müssen?«
»O, das weiß ich schon bereits, so lang ich leb.«
»Also müssen auch wir uns lieb haben?«
»Das versteht sich wohl ganz von selbst.«
»So! Aber man sieht gar nix davon!«
»Meinst? Wieso denn?«
»Wir sitzen so beinander, als ob wir ganz fremd wären. Sagst das nicht auch, Paula?«
»Nein, das sag ich nicht. So schön traulich zusammen, wie wir Beid jetzt, sitzen nur Geschwister.«
»Hm!«
»Bist nicht auch derselbigen Meinung?«
»Nein.«
»Wie solls denn sein?«
»Noch anders und besser. Weißt, der Brudern soll der Beschützern sein von dera Schwestern. Er muß sie stützen. Darum darf er den Arm um sie legen.«
»Ach so!«
»Oder hast nicht dieselbige Meinung?«
»Ich darf doch dem Brudern nicht Unrecht geben!«
»Nein. Also muß ich den Arm um Dich legen. So! Darf ich auch, Paula?«
Er schob den Arm hinter ihrem Rücken hin und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Ja,« antwortete sie leise.
»Und die Schwestern muß dem Brudern vertrauen und sich auf ihn verlassen. Darum darfst Dein liebes Kopfle so ein Wengerl an meine Achsel lehnen. Oder magst lieber nicht?«
»Meinst, daß es sein muß?«
»Muß? Nein! Wer schön wärs doch sehr.«
»Dann will ichs thun, wanns so sehr schön ist.«
»Ja, es ist so herrlich, so – – weißt, man kann das gar nicht sagen, wie schön es ist. Nicht?«
Sie nickte stumm.
Er zog sie leise, leise näher an sich. Und sie folgte dem lieben, innigen, reinen Druck seiner Hand, so daß ihr Haar nun seine Wange berührte. Es war wie ein süßer, seiner Rausch, der über ihn kam. Er konnte nicht anders. Er drückte seine Lippen auf ihr Haar.
»Was machst!« sagte sie.
Wenn es Tag gewesen wäre, hätte er sehen können, wie tief sie erröthete.
»Bist mir bös?« fragte er mit leise zitternder Stimme.
»Nein. Bist ja mein Bruderle!«
»Ja, und das Bruderle darf die Schwester küssen!«
»Ja, aber nur aufs Haar.«
»Du, das glaub ich nicht. Ich hab schon sehen, daß Geschwistern sich ganz richtig aufn Mund küßt haben.«
»Das hab ich noch nicht sehen; auf den Mund nicht.«
»Wohin denn?«
»Auf die Stirn oder die Wange.«
»Das muß auch schon wieder herrlich sein!«
»Das weiß ich nicht.«
»Soll ichs Dir zeigen?«
»Schon, ich soll bei Dir doch gleich Alles lernen!«
»Weil ich nicht mehr da bleiben darf. Da muß ich es halt sehr eilig haben. Giebst mir Recht, Paula?«
»Der Herr Brudern darf doch nicht Unrecht haben.«
»Wie schön! Aberst nun mußt Dein liebes Köpferl ein klein Wenig emporhalten!«
»Daß ich auch wirklich zur Stirn kommen kann.«
»Muß das denn so gar bequem sein?«
»Versteht sich! Komm mal her! Da thus noch ein Wengerl höher! So, jetzt mags gehen. Und nun paß auf!«
Er küßte sie leise und innig auf die Stirn. Ein längeres Schweigen trat ein. Dann fragte er:
»Nun, hast mirs wohl übel nommen?«
»Nein; so ungut bin ich nicht, lieber Fex. Auf die Stirn darf doch der Brüdern küssen.«
»Und auf die Wange!«
»Woher weißt auch das so plötzlich?«
»Hast mirs ja vorhin selbst sagt!«
»Ich? Nun schau, wiet gleich Alles vom Mund wegfangst! Du bist mir auch Einer! Bei Dir muß man sich in Acht nehmen, das seh ich schon.«
»Ja, wann ich so was derfahr, so will ichs gern auch gleich studiren. Thu also doch das Köpfle noch mal so empor, wie vorher!«
»Was man bei so einem Brudern Alles machen muß! Kannst doch nun bald zufrieden sein!«
»Bald, ja, aberst ganz nicht. Das Busserl auf die Wange, das muß ich noch haben!«
»Kannsts mir nicht erlassen?«
»O nein! Die Wange, die muß ich noch haben!«
»Welche? Rechts oder links?«
»Hast denn zwei?«
»Was? Meinst etwan, ich hab nur eine halbe!«
»So muß ich mich auf alle Fäll zu Zweien zwingen.«
»Was so ein Schlaukerl sich einibildet!«
»Das ist grad gar keine Einbildung! Jetzt wird gar nimmer lang gefragt. Jetzt giebst das Gesichterl her! Ein Busserl hieben und eins drüben und das kleine Naserl dazwischen drinnen; das muß sich gar gut und besonderbar ausnehmen!«
»Aberst wann ich nun nicht will!«
»So bin ich der Bruder, und es wird gar nimmer lang gefackelt. Schau, so wirds gleich gemacht!«
Er hielt ihr Köpfchen mit beiden Händen fest, bog ihr Gesicht nach oben und küßte sie, wie er gesagt hatte, auf beide Wangen. Dann nahm er die Hände wieder fort.
»Was bist doch für ein sturmwindiger Fex!« klagte sie in komischem Zorn.
»Ja, wannst mich etwan gar noch wilder machst, so kanns gleich noch mal wiedern beginnen!«
»Du und wild!« lachte sie. »Gar gegen die Paula!«
»Das glaubst wohl nicht?«
»Nein.«
»So seh ich, wie ich Dich gar sehr verzogen hab!«
»Bist halt selbern schuld daran!«
»Ja, aber ich werds nun anderst machen!«
»Wannt fort bist von hier?«
»Leider ja! Da ists nun wohl zu spät?«
»Ich hab mirs wenigstens denkt.«
»So ist Hopfen und Malzen verloren!«
»An Dir?«
»Ja freilich an mir.«
»Ich dacht, Du hättst mich gemeint.«
»O nein, denn wann ich Dich verzogen hab, so bin doch ichs gewest, der denjenigen Fehlern gemacht hat.«
»Schaust Du wohl! Das ist eine gar edle Selbsterkenntnissen von Dir! Das kann mich gefreun!«
»Ja, an mir kann Dich grad Alles gefreun.«
»Nur das nicht, daßt noch nie sehen hast, daß Geschwistern sich auch einen richtigen Kuß geben.«
»So! Ists das? Aber da muß ich mich schon mal verteidigen. Ich hab das auch schon gesehen.«
»Ah, siehst! Und vorhin hasts geleugnet!«
»Mußt ich nicht?«
»Warum? Wer hat Dich dazu zwungen?«
»Du selber.«
»In wiefern da wohl?«
»Eben weilst so Einer bist, der auch gleich Alles haben will. Verstanden, Bruderle?«
»Das versteh ich gar wohl. Also haben soll ichs nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weils nicht nöthig ist, und weil der Brudern dera Schwestern nur bei einer ganz gewissen Gelegenheiten einen richtigen Kuß geben darf.«
»So! Welches ist denn diese Gelegenheiten?«
»Wann sie sich für lange Zeiten trennen oder sich nach so langer Trennung wiedersehen.«
»Hasts nicht gehört, daß ich heut fortgehen werd?«
»Das ist noch nicht bestimmt!«
»Nun, dann morgen!«
»Oder gar übermorgen!«
»Das ändert gar nix an dera Sachen. Wer weiß, ob wir uns vor meinem Weggehen noch mal so sehen wie jetzund. Also müssen wir jetzt den richtigen Abschied nehmen. Meinst nicht?«
»Nein.«
»So soll ich nachhero gehen ohne Abschied?«
»O nein.«
Sie schwieg.
»Paula!«
Da schmiegte sie das liebe Köpfchen fester an seine Achsel, ergriff seine Hand und sagte:
»Fex, sei gut! Es muß ja nicht sein, und ich kanns auch nicht gern. Erlaß mir das!«
Er strich ihr mit der Hand über den Kopf und antwortete in überquellender Seligkeit:
»Was bist doch für ein herrlich Dirndl! Ja, so muß es sein! Man darf nix fordern und auch nix geben, was nicht gern und ganz von selbst geben wird. Bleib immer so, wiet jetzund bist, so wirst einst Den sehr glücklich machen, den – den – den – – –«
Er hielt inne. Es fiel ihm schwer, das richtige, zarte Wort zu finden. Sie aber blickte fragend zu ihm auf, und so fuhr er fort:
»Mit Dem Du gern Verlobung machst und nicht so ungern wie mit dem Fingerlfranz.«
Es wahr ihm, als ob ihre Finger sich fester um seine Hand legten, unwillkürlich; darum fragte er:
»Giebts da Einen?«
»Vielleicht später.«
»Jetzt noch nicht?«
»Daran darf man noch nicht denken.«
»Warum?«
»Weil – weil – wast auch heut Alles fragst!«
»Weil ich fort muß von Dir und gern einmal recht tief in Dein Herzle blicken möcht.«
»O, das ist so klein und gar nix werth. Du aber, o mit Dir ists was ganz Anderes!«
»Wie meinst das nun?«
»Du wirst ein großer und berühmter Mann sein, ein Mann, nach dem sich alle Händ ausstrecken.«
»Da kannst Dich sehr irren!«
»O nein! Ich bin nur ein arm und dummes Dirndl, aberst kennen thu ich Dich doch. Du bist noch so jung und hast schon so eine Furoren macht und gar unsern guten König für Dich gewonnen. Der, wann er die Hand für Einen aufithut, der weiß ganz gewiß, daß derselbige es auch werth ist und daß er eine Carrièren macht. So wirst auch Du emporsteigen und ich muß unten bleiben.«
Sie sagte das in einem traurigen, beinahe entsagenden Tone. Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin; dann sagte er:
»Ich will aufrichtig sein mit Dir, Paula. Ja, der liebe Herrgott hat mir ein groß Talent verliehen. Was Andre lernen nach schwerer Müh, das ist mir wie im Spiel zu Eigen worden. Freilich hab ich auch gekämpft und gesorgt und geübt und gearbeitet im Stillen, aber für meine Kraft ist das ein Leichtes gewest. Ich fuhls und ich bin überzeugt, daß ich emporsteigen werd. Aberst wannst meinst, daßt da unten bleiben wirst, so irrst Dich gewaltig.«
»O nein!«
»O ja und gewiß! Da bist bei mir gewest in meiner Armuth und Niedrigkeit. Du hast mich nicht verachtet, sondern mir geglänzt wie die liebe Sonn dem armen Wurm im Staub. Wann ich hab sterben mögen, so bist Du mein Leben gewesen, und wann ich am Verzweifeln war, so fand ich bei Dir den Glauben, das Vertrauen und die Zuversicht. Und jetzt meinst, daß ich meinen Weg allein machen werd? Der liebe Gott im Himmel weiß es, daß ich lieber der arme Fexen bleib, als daß ich ein großer Künstler werden und auf Dich verzichten sollt. Steig ich empor, so sollst auch mit empor, wann nicht, gut, so bleib auch ich da unten. Ich mag kein andres Glück, als bei Dir zu sein, und keinen andern Ruhm, als den, daß die Paula stolz sein kann auf den verachteten Fex!«
Er schwieg, sie auch; aber ihr Athem war hörbar; er fühlte denselben auf seinen Wangen.
»Paula, willst mir das glauben?« fragte er dann.
»Das wäre ja zu viel für mich!« hauchte sie.
»Nein, nicht zu viel! Nichts bekommst von mir, und gar nichts wirst mir zu verdanken haben. Nein, Alles was ich haben werde und sein werde, das werde ich haben und sein durch Dich. Du bist meine Seele gewesen allezeit und wirst auch meine Seele sein und bleiben für das ganze Leben. Ohne Seele ist der Mensch ein Nichts, und so würde auch ich nichts sein und nichts werden und nichts schaffen können ohne Dich. Ja, ich bin noch jung und ich habe meine Zukunft noch zu gestalten. Für diese Gestalt laß mich sorgen; der Inhalt aber bist nur Du allein!«
So sprach der junge Mensch, der barfuß und in beinahe unzureichendem Gewande neben der reichen Müllerstochter saß. Er sprach in ganz anderer Weise, in ganz anderen Ausdrücken, als sonst. Er schien dem still liebenden Mädchen ein ganz Anderer, bereits ein viel Höherer zu sein.
»Fex!« Das war ihre einzige Antwort.
Da machte er eine rasche Bewegung, als ob er Alles von sich abschütteln wollte und sagte in wieder munterem Tone:
»Jetzt weißt, was ich denk und fühl, Paula. Und nun wirst mir wohl recht sehr zürnen?«
»Fex! Wie könnt ich das! Dir zürnen!«
»Nicht?«
»Niemals! Im ganzen Leben nicht!«
»So sag: Willst auch fernerhin meine Seele bleiben, wie Du sie bisher gewesen bist?«
»Das – das – das liegt noch zu fern.«
»Gut! Aber mein Schwesterle bist doch?«
»Dann bitt! Giebst mir nochmals Deine Stirn und auch die Wangen, Paula?«
»Fex, warum willsts abermals!«
»Aus Liebe nur; willsts mir versagen?«
Sie antwortete nicht, aber sie senkte den Kopf tiefer herab. Er zog sie mit der Rechten, mit welcher er sie umschlungen hielt, fester an sich und hob ihr mit der Linken das Köpfchen empor. Sie sträubte sich. Da hielt er mit der Rechten ihren Kopf fest und griff mit der Linken nach ihren Händen. Sie trachtete, sie ihm zu entziehen. In diesem kleinen, zärtlichen Kampfe kam seine linke Hand auf ihre Brust zu liegen. Sofort ließ sie ihre Arme sinken, und in ihre ganze Gestalt kam es wie eine plötzliche Starrheit. Er fühlte es.
»Paula, Paula, was hast?« fragte er.
»Thu die Hand weg, Fex!«
Er nahm die Rechte, in welcher noch ihr Köpfchen lag, zurück. Sie aber bat angstvoll:
»Nicht die, sondern die andere! Schnell, schnell!«
Erst jetzt bemerkte er, welch reizenden Ort sich diese Hand zur Ruhe gesucht hatte. Er selbst erschrak über sich. Er fühlte ganz deutlich, daß eine tiefe, tiefe Gluth sich über sein Gesicht verbreitete. Es war ihm, als habe er ein hohes Heiligthum entweiht. Er sprang schnell auf und trat einige Schritte fort.
Es war spät geworden; der Tag begann bereits zu grauen. Konnte er diesem Tag ohne Vorwurf in das junge Angesicht blicken? So fragte sich der Fex. Dann drehte er sich um. Paula war sitzen geblieben, die Hände vor das Gesicht gelegt.
Das zog ihn zurück zu ihr, hin zu ihren Füßen. Er knieete nieder, faltete die Hände und bat:
»Paula sei nicht zornig!«
Sie antwortete nicht.
»Jag mich fort! Aber sag mir vorher, daß Du mir verziehen hast!«
Auch jetzt blieb sie stumm.
»Willst nicht mal mehr ein Wort mit mir reden? Ich habs ja nicht gewollt, Paula! Ich habs ja nicht einmal gewußt. Bitte, bitte. Du sollst auch gar nichts sagen, aber schau mich nur mal an!«
Er griff nach ihren Händen und zog sie ihr vom Gesicht weg, erst die eine und dann die andere, leise und langsam, ohne Gewalt anzuwenden. Ihr Gesicht war bleich und ihr Auge ruhte mit einem ganz räthselhaften Blick auf ihm.
»Paula, Paula! Mir wird angst um Dich!« rief er fast zu laut aus.
»Fex – –«
»Gott sei Dank! Sie redet!«
»O Fex! Was hast than!«
»Verzeihen? Nein, nie!«
»Mein Himmel! Und ich hab doch gar nicht wußt, wo die Hand war und daß ich so ein Sünden begeh!«
»O nein! Ein Sünden ists nicht, von Dir nicht, von Dir allein nicht! Ach, Fex, wie war mir das nur! Ich kanns gar nicht beschreiben!«
»Sprich nicht davon!«
»Und doch muß ichs Dir sagen, daß ichs Dir grad darum nicht verzeihen kann, weils eben gar keine Sünden war. Fex, Du kannsts nicht ahnen, und auch ich habs nicht ahnt, wie es ist, wann zum ersten Male die Hand, die man liebt, auf das Herz zu liegen kommt. Das ist wie ein Zauber. Man ist fast todt; aberst hernach da kommt ein Leben, ein Leben so – – o Fex, Fex, lieber Fex!«
Sie nahm seinen Kopf in beide Hände und zog ihn innig an sich, so daß seine Stirn grad da zu liegen kam, wo vorhin zu ihrem großen Schreck seine Hand gelegen hatte.
»Paula!« sagte er in dem Bestreben, seinen Kopf von diesem süßen Orte zu entfernen.
»Fex, lieber Fex, laß mich! Ich zürne Dir ja gar nicht, ganz und gar nicht mehr!«
»Nicht?« fragte er in glücklichem Erstaunen.
»Nein. Da schau!«
Sie küßte ihn auf die Stirn und die Wangen.
»Glaubsts nun?« fragte sie.
»Paula! Paula! Was war das! Ists wahr? Ists möglich? Bin ich wirklich bei Dir und Du bist bei mir?«
»Ja, da fühl es doch!«
Sie küßte ihn sogar auf den Mund, einmal, zwei- und dreimal. Da stieß er einen überlauten Jubelruf aus, schlang, noch immer vor ihr knieend, die Arme um ihren Leib, preßte den Kopf an ihr Herz und – schluchzte vor Glück.
Und sie bog sich nieder, legte ihre Wange an die seinige und weinte mit – vor Glück, wie er.
So hielten sie sich umschlungen lange, lange Zeit. Im Osten ward es heller. Man konnte bereits weit sehen. Die Thür der Mühle öffnete sich und der Fingerlfranz trat aus derselben.
Er hatte sich verbinden lassen und ging nun in einer geborgten Hose mit kleinen, kleinen Schritten nach Hause. Hätte er sehen können, wie innig vereint diese beiden unverdorbenen und glücklichen Menschenkinder an einander ruhten.
»Lieber Fex!«
»Meine Paula!«
»Ich muß fort. Schau, es ist bereits Tag.«
Das hatte er gar noch nicht bemerkt. Er sprang schnell empor und blickte um sich.
»Wahrhaftig! Der Morgen ist da! Und nun sollen wir scheiden – auf so lange Zeit!«
»Nein, noch nicht. Noch bist nicht fort und mußt erst noch mit dem König sprechen. Ich werd den ganzen Tag am Fenstern sitzen und nach hier herüberblicken. Wann ich Dich da seh, so komm ich schnell herbei. Leb wohl, mein lieber, lieber Fex!«
Dabei legte sie ihre Hände an seine Wangen, blickte ihm warm und innig in die Augen, schüttelte seinen Kopf zärtlich und scherzend einige Male hin und her und sprang davon, den Felsen hinab. Er sah ihr nach.
»Ists wahr!« seufzte er tief auf. »O Paula, Paula, Paula! Und der Sepp, der Sepp, der solls sogleich erfahren. Ich muß zu ihm hinab!«
Er eilte fort. Kaum war er verschwunden, so raschelte es in den Büschen und der Sepp kroch hervor.
»Und der Sepp, der Sepp, der solls sogleich erfahren. Ich muß zu ihm hinab!« kicherte er. »Na, der weiß es bereits schon seit langer Zeit. Der hat hier gesteckt und sich eine Güten than an denen Zweien, die sich da ihre Liebesverklärungen macht haben, wie zwei Kindern, von denen keins so recht eigentlich wissen thut, was ein Mannsen und ein Weibsen ist. Herrgottsacra, wie machens da Andre dagegen! Die nehmen sich halt beim Kopf und beißen sich ab, daß mans in alle Winden schallen und klatschen hört. Die drucken sich fast die Seel aus dem Leib heraus und hangen mit denen Mäulern zusammen, als obs russischen Tischlerleimen gefressen hätten. Und dagegen diese Beiden da, die sind mitnander gewest wie die unschuldigen Englein in denen Wolken da droben und haben gemeint, daß es eine Todsünden sei, wanns sich mal an einander drucken und quetschen. Aberst so muß es sein. Zwei unverdorbene Menschenkindern sinds, fromm und gut und ohne Falschheiten, so daß man seine Freuden haben kann. Und wanns der liebe Herrgott sehen und hört hat, so hat er sicherlich denkt, daß er sie mal recht glücklich mit nander machen will. Verdienen thun sie es alle Beiden. Das ist gewiß. Aberst so einen kleinen Rüffeln muß ich dem Fex dennerst geben. Mit einem hübschen Dirndl thut man halt nicht so, als ob man wie ein kleines Büberl in der Wiegen liegt und hat dera Milchflaschen im Maul. Da muß man ein Wengerl Geschick dran machen; das wollen die Dirndln ja selberst so haben. Einen Schmachtlappen, der sie kaum anzuschauen traut und sie halt nur so von Weitem mit denen Fingerlspitzen antippst und antappst, der kann ihnen gestohlen werden. Das ist gewiß.«
Er stieg den Felsen hinab, um in das Innere zum Fex zu gehen. Als er den geheimen Eingang erreichte, kam der Genannte soeben aus demselben empor gestiegen.
»Da bist ja, hier heraußen!« sagte er. »Ich hab denkt, Du bist unten in meiner Capellen. Wo hast denn eigentlich steckt?«
»Wo ich steckt hab, das errathest wohl nicht.«
»Wills glauben, weil ich halt nicht allwissend bin. Also sags lieber gleich!«
»Hm! Weißt, ich hab den Spionen gemacht.«
»Du? Willst ein Spionen gewest sein? Bei wem?«
»Bei zwei Leutln, die nur Augen für sich ganz allein gehabt haben, sonst hättens mich partoutemang merken müssen.«
»Ja, Du bist halt ein gar Gescheidter und Kluger. Wirst wieder mal Jemand belauscht haben.«
»Freilich wohl. Da hab ich ganz krumm auf der Erden gelegen; so daß ich fast mein Kreuz nicht mehr fühlen kann und mich so verkältet hab, daß ich wohl einen Schnupfen und Rheumatismus bekommen werd, der sich gewaschen hat.«
»Ist Dir auch schon recht, alte Neugierde. Hast jedenfalls den Müllern wieder belauscht. Und derweilen hab ich einen – o Sepp, o Sepp, wann Du's wüßtest!«
»Was?«
»Was unterdessen geschehen ist!«
»So! Das muß ja was ganz Außerordentliches gewest sein.«
»Warum?«
»Weilst ein Gesicht machst, ein Gesicht, als hättest einen ganzen Bottich voll Schlampinscher austrunken oder einen Sack voll Giftpilzen aufifressen.«
»Ists gar so schlimm, das Gesicht?«
»Ja, so eine Visagen hab ich halt noch gar niemals bei Dir gesehen. Entweder bist besoffen oder – verliebt.«
»Hast Recht, aber betrunken, das ists nicht.«
»Also verliebt?«
»Ja, und wie!«
»Alle tausend Teufeln! Bist etwan verruckt?«
»Nein.«
»Aber wer verliebt ist, der ist ja verruckt.«
»Kannst Recht haben, wenn auch nicht ganz, aber doch halb, denn es ist mir so ein Bisle innerlich, als ob ich nicht so mehr beschaffen sei, wie gewöhnlich.«
»Da hat man es! Hurrjesses! Der Fex und verliebt! Es giebt jetzt gar keinen Verlaß mehr, selbst auf den besten Freund nicht! Wer hat Dir denn den Kopf verdreht? Etwan die Käth, die Großmagd in der Mühlen?«
»Die? Nein, so sehr verruckt bin ich glücklicher Weisen doch noch nicht.«
»Oder die alte Leichenfrau und Heimbürgin, drinnen in dera Stadt?«
»Auch die nicht. Traust mir halt keinen bessern Geschmack zu, Sepp?«
»Nein. Ein Verliebter hat überhaupt gar keinen Geschmack mehr. Er hat sich die ganze Zungen mitsammt dem Maul verdorben, und darum schmeckt ihm Alles süß, was bitter, sauer, scharf und salzig ist. Ja, wanns noch ein hübsches Dirndl war, wie etwan die Paula; da wollt ich mirs gleich schon eher gefallen lassen. Aberst so hoch darfst die Nasen schon nicht erheben.«
»Meinst?« lachte der Fex.
»Ja.«
»Du, da bist schief gewickelt, wie eine Cigarren, bei der das Deckblatt nicht über nander paßt.«
»Oho!«
»Freilich. Wannt meinst, daß die Paula mich nicht wollt, so kannst mich sehr dauern, alter Knaster!«
Der Sepp betrachtete ihn mit listigem Blicke von der Seite her und sagte:
»Weißt, da wird es Dir wohl gehen wie dem Fuchs in der Fabel: Diese Trauben ist Dir zu sauer.«
»Gar nicht. Es giebt keine süßere Trauben, als grad die Paula. Das kannst mir wohl glauben.«
»Na, hast sie etwan gekostet?«
»Ja.«
»Was! Richtig kostet? Mit dem Maule?«
»Ja.«
»Wirklich angebissen?«
»Wirklich!«
»Und wohl auch gar hinuntergeschluckt?«
»Nein, so weit bin ich doch noch nicht kommen.«
»Gott sei Dank! Die Paula sollt mir leid thun, wannst sie verschlungen hättst, denn so ein Dirndl giebts alleweil sogleich nimmer wieder.«
»Da hast grad den Daumen auf der richtigen Flöten und Clarinetten. So Eine giebts überhaupt nicht mehr.«
»Bist ja ganz begeistert.«
»Ja. Muß ich nicht begeistert sein, wanns mir gut ist und meine Frau werden will?«
Der Sepp fuhr in scherzhaftem Erschrecken zurück.
»Die?« fragte er. »Die soll Dir gut sein?«
»Hasts nicht gehört?«
»Und Deine Frauen solls werden? Mohrenelement, da thät ich an Deiner Stell auch gleich mitmachen!«
»Nicht wahr? Aber hab nur keine Sorg und Bangigkeit; ich tret sie Dir schon nimmer ab.«
»Weilst sie überhaupt noch gar nicht hast, kannst sie also auch gar nicht abtreten.«
»Oho! Ich hab sie wohl!«
»Das machst Niemand weiß!«
»Wannsts nicht glaubst, so geh hin zu ihr und frag sie halt selber darnach!«
»Himmelsakra! Dazu machst ein so ernsthafts Gesicht, als obs wirklich die Wahrheiten wär?«
»Es ist ja wahr!«
»Du, Fex, Alles glaub ich Dir, aber nur dieses nicht. Ich kann mir den Fex, gar nicht vorstellen, als den Liebhaber von einem hübschen Dirndl.«
»Weil ich denk, Du hast kein Geschick dazu.«
Der Jüngling erröthete wie ein Mädchen und antwortete:
»Was für ein groß Geschicken sollt dazu gehören?«
»O, es ist alleweil nicht leicht, ein Dirndl so anzufassen, wie sichs gehört. Hast etwan mit ihr beisammen gesessen?«
»Ja.«
»Wo?«
»Da oben auf dera Rasenbank.«
»Sapristi! Das ist freilich ein sehr hübsch Plätzchen dazu. Und da hast ihr sagt, daßt ihr gut bist?«
»Freilich.«
»Und sie hat Dir wieder sagt, daß sie Dich leiden mag?«
»Jawohl!«
»Und da hast sie in die Arme genommen?«
»Das versteht sich.«
»Und sie gedruckt, gequetscht und gekneipt nach Herzenslust?«
»Gar so sehr freilich nicht.«
»Und ihr ein Kußpusserl ums andre gegeben, daß es gekracht hat, wie eine ganze Kanonenbatterie?«
»So laut nicht ganz.«
»Ja, das hab ich mir denkt, daßt kein Geschick dazu hast. Weißt, wann man die Liebesverklärung macht, so muß man dabei das Dirndl quetschen, daß es laut aufischreit.«
»Etwan gar um Hilfe?«
»Da brauchst keine Angst zu haben. So eine Hexen kannst drucken, daß ihr die Seel aus denen Fußzehen hinausfährt, da will sie nicht gerettet sein. Und nachhero, wann man sie küßt, so darf das nicht so sein, als ob mans nur versuchen will, obs auch einen Mund unter dera Nasen hat, sondern es muß Saft und Kraft haben, es muß knallen, wie eine Schlittenpeitschen. Das habens gern, die Madels, das kann sie gefreun. Je kräftiger Einer thut, desto lieber habens ihn. Wie wars denn mit der Paula? Ist sie zufrieden mit Dir gewest?«
»Ich meins wohl.«
»Na, da hab ich noch so einen Zweifel. Ich werd mich bei ihr darnach verkundigen. Und wannst Deine Sach etwan nicht gut macht hast, so werd ich Euch Beid in die Schulen nehmen und Euch Unterricht ertheilen in dera Lieblingskoserei.«
»Das werd ich mir verbitten, Sepp.«
»So? Ja, das ist der Welt ihr Lauf. Wann man es gut mit denen Leuteln meint, so wollens das nicht anerkennen, und wann man ihnen was Ordentliches vorgeigen thut auf dera Vigolinen, so schlagens Einem den Fiedelbogen um den Kopf. Aberst ich will mich nun gar nicht mehr darum kümmern, und Euch lieber gehen lassen.«
»Daran thust sehr recht, Wurzelsepp.«
»Aberst sagen will ich Dir dennoch, daß Du mir gar nix zu sagen brauchst. Ich weiß bereits Alles, denn grad Ihr seids halt gewest, die ich belauscht hab.«
»Wie? Ists auch wahr?«
»Freilich! Ich hab hinter denen Büschen steckt und ein jeds Wort hört, was Ihr sprochen habt.«
»Schlechter Kerle!«
»Das ist nicht schlecht. Ich hab nur zuspringen wollen, wanns mit Eurer Lieb hat vielleicht gefährlich werden wollen. Aberst das ist gar nicht nöthig gewest, denn Ihr seid so zart und sanft und zahm gewest, wie ein Turteltäuberich mit seiner Tauberin.«
»Mensch, jetzt kannst mich ärgern!«
»Das darfst nicht, lieber Fex. Der Mensch soll sich überhaupt nicht ärgern, denn davon bekommt er das Gallenfiebern, das Friesel, die Masern und noch ganz andere Krankheiten auch. Eins aber muß ich Dir sagen.«
»Was?«
Er trat näher an den Fex heran und flüsterte demselben geheimnißvoll zu:
»Wannst die Paula wieder küssest, so muß es noch viel mehr krachen als vorhin. Merks Dir gut!«
»Alter Hallunk! Ich geb Dir eine Ohrfeigen, daßt denken sollst –«
Er holte aus, halb im Ernst und halb im Scherz.
»Dank schön, Fex! Diese Feigen kann ich nimmer brauchen!« lachte der Alte. »Wannst mir so gefährlich wirst, daßt gar zu verexplodiren beginnst, nachher reiß ich lieber aus und komm später wieder.«
Er eilte davon.
Wohin er eigentlich wollte, das wußte er selbst noch nicht; aber als er die Mühle erreicht hatte und sich eben links nach der Stadt wenden wollte, ging die Thür auf und die Leni trat heraus.
»Ah, Du bist auch schon munter?« fragte er.
»Nicht schon, sondern noch munter,« antwortete sie.
»So hast gar nicht geschlafen?«
»Nein.«
»Glaubs Dir schon. Die Aufregung von gestern Abend her hats nicht erlaubt. Wo aber willst bereits hin?«
»Ich wollt ein Wengerl im Morgen herumspazieren. Und Du, Path Sepp?«
»Ich weiß selberst nicht, was ich eigentlich wollt. Vielleicht hätt ich mir ein kleins Platzerl sucht, wo ich einen Schlummer machen konnt.«
»So hast auch nicht geschlafen?«
»Nein. Ich hab mit dem Fexen zu thun gehabt. Nun aber, wanns Dir recht ist, lauf ich ein Stuckerl mit Dir spazieren.«
»Recht ists mir allemal, das weißt ja gewiß.«
Sie gingen, das gestrige Concert besprechend, langsam neben einander hin, auf dem Wege, welcher nach der Stadt führte. Fast hatten sie die ersten Häuser derselben erreicht, und nun wollten sie sich nach rechts ins freie Feld wenden, als Einer zwischen den Häusern hervorkam, den großen Kasten auf dem Rücken.
»Der Anton!« sagte Leni, halb erschrocken.
»Ja. Komm, gehen wir schnell fort!«
»Nein, wir bleiben.«
»Sehnst Dich etwan nach ihm?«
»Nein. Aberst er hat uns bereits gesehen, und wann wir da fortlaufen, so meint er am End gar, daß wir uns vor ihm fürchten.«
»Fürchten? Das könnt mir grad noch einfallen! Hast sehr Recht. Wir bleiben hier auf dera Straßen. Ich bin doch neugierig, was er sagen wird.«
»Er macht ein schlecht Gesicht. Sepp, ich bitt Dich schön, sag nix dazu, wann ich mit ihm red!«
»Nix? Wozu hab ich denn mein Maul?«
»Das hast jetzund nur zum Schweigen. Wannst auch mit redest, so giebts einen richtigen Zank.«
Der Anton war jetzt so nahe, daß Leni nichts mehr sagen konnte, ohne von ihm gehört zu werden. Er blieb mitten auf der Straße stehen, stemmte seinen Stock unter den Kasten, um sich dessen Last zu erleichtern, und sagte:
»Guten Morgen auch, Ihr Herrschaften!«
Die Beiden dankten. Leni that, als ob sie dann an ihm vorüber wollte. Er aber wehrte ab.
»Willst weiter? Fürchtest Dich etwan vor mir?«
»Das glaubst wohl selber nicht!«
»So schämst Dich also vor mir!«
»Ich wüßt halt nicht, warum!«
»Nicht? Weißts wirklich nicht?«
»Nein,« antwortete sie ruhig.
»So muß ichs Dir sagen.«
»Das hast nicht nöthig. Ich hab gar nix dagegen, wannst Deine Weisheiten für Dich allein behältst.«
»Wirsts aber doch anhören müssen, denn ich bin derowegen zu Dir heraußikommen.«
»Ah, nach dera Mühlen hast also gewollt?« fragte Sepp.
»Ja.«
»So früh am Tag? Konntst erst ausschlafen. Oder hast etwan ein schlecht Nachtlagern gehabt?«
»Besser wohl als Ihr. Ich bin der Gast von dem Musikprofessor aus Wien, weißt, dessen Frau ich dazumalen vom Felsen herabholt hab. Bei denen Leuteln kann ichs fein genug haben. Aberst ich bin ihnen schon in der Fruh davongangen, weil ich nix mehr von dera Stadt wissen will. Ich hab das Nest hier übersatt bekommen und will nun wieder fort. Vorher aber wollt ich zur Leni – oder vielmehr zu der feinen Sängrin. Darum hab ich Euch auch ganz vornehm grüßt. Ihr seid ja Herrschaften worden.«
»Da kannst Recht haben,« nickte der Sepp.
»Du auch, Wurzelsepp. Hast ja auch mit sungen beim Concertl und bist ausklatscht worden.«
»Ausklatscht? Du, Anton, sag das nicht noch mal, sonst bist Du's, der selber ausklatscht wird! Man hat mir Beifall und Bravori klatscht, aberst vom Ausklatschen ist halt keine Red gewest.«
»Ja, und von dem Bravori bist nun ganz stolz und dudeldick worden, das seh ich bereits.«
»Ich kann auch stolz sein!«
»Auf Dich etwan?«
»Jawohl!«
»Und auf Deine Path wohl auch?«
»Noch weit mehr als auf mich!«
»So muß ich Dir sagen, daß ich für so einen Stolz sehr danken thät. Ihr habt Veranlassung, Euch zu schämen, zum Stolz aberst giebts halt gar keinen Grund.«
»Das sagst nur Du allein, weilst wuthig bist und voller Neid und Eifernsuchten.«
»Das brauchst Dir nicht einzubilden. Auf so ein Weibsen kann ich nimmer eifersüchtig sein.«
»Meinst?«
»Ja. Sie hat sich blamirt für alle Ewigkeiten.«
»So! Hat sie ihre Sachen schlecht gemacht?«
»Nun, wann ich gerecht sein will, so muß ich zugeben, daß das erste Stuckerl sehr gut gewest ist.«
»Aha!«
»Aberst nachhero! O wehe!«
»Wieso?«
»Nun, bei dem Lied – wie gings nur an? Wie heißen gleich die ersten Zeilen?«
Leni hatte ihre vollständige Ruhe bewahrt. Sie antwortete in gleichmüthigem Tone:
»Ich sah Dich nur ein einzig Mal.
Da wars um mich geschehen.
Ich fühlte Deines Auges Strahl
Durch meine Seele gehen.«
»Ja, das war es,« nickte der Anton. »Aber dieser Text war falsch. Er paßt nimmer zu dem ganzen Auftritt. Er sollte viel anderst heißen.«
»Wie denn zum Beispiel?« fragte der Sepp.
»Er sollte ungefähr lauten:
Ich sah Dich nur ein einzig Mal,
Da wars um Dich geschehen.
Der Anzug, nein, so ein Scandal,
So Etwas muß man sehen!«
»Du!« rief der Sepp. »Ich kam auch dichten!«
»So?«
»Ja, aberst mit dem Prügelstock. Wann ich Dir ein Gedicht auf den Buckel schreiben soll, so kann es gleich beginnen!«
»So fang an!«
Der Alte war drohend auf ihn zugetreten. Die Leni aber ergriff ihn beim Arme und sagte:
»Laß ihn nur, Sepp! Er verstehts halt nicht besser, und es ist freilich nix nur als die Eifersuchten, wann er sich so zornig geberdet.«
»Oho!« widersprach der Anton. »Eine Eifersuchten giebts bei mir nicht mehr; das sag ich noch einmal. Du kannst mir gestohlen werden. Ich hab nix dagegen.«
»Warum kommst da heraußi zu mir?«
»Weil ichs Dir sagen will, wie sehr ich Dich von jetzt an verachten muß!«
»Das ist nicht nothwendig, mirs extra zu sagen. Das kannst nur für Dich behalten.«
»Nein, hören sollsts!«
»Nun gut, so hab ichs jetzund gehört. Aber ich mach mir nix daraus. Was so ein dummer Lolch von mir denkt, das kann mir sehr Wurst und Schnuppe sein. Jetzt sind wir fertig und Du kannst gehen.«
»Nein, fertig sind wir nicht. So einer ausverschämten Dirn, wie Du bist, muß man deutlich –«
»Schweig!« unterbrach sie ihn, hart an ihn herantretend. »Oder willst abermals eine Backpfeifen haben? Du wärst mir der Kerlen dazu, mir eine Zeugnißcensuren zu geben! Dich wird kein Mensch nach Deiner Meinung fragen. Wir gehn einander nix mehr an, und wannst mir nun nochmals nachlaufst und mich beleidigst, so nehm ich halt die Polizei zu Hilf und laß Dich einsperren!«
Er fuhr vor Ihrem Zorn zurück.
»Wa-a-as! Gar ein-sper-ren!«
»Ja, darauf kannst Dich verlassen! Hast etwan irgend eine Gewalt über mich? Was fallt Dir ein, zu denken, daß ich mir Deine Grobheiten gefallen lassen muß! Geh, wohin Du willst, und mach auch, was Du willst! Mich aber laß in Ruh, sonst werd ich mich zu wehren wissen. Mit so einem Kerlen, wie Du bist, wird gar kein Kram mehr gemacht. Komm, Sepp, und laß den Maulaffen stehen!«
Sie ergriff den Alten bei der Hand und zog ihn fort. Der Anton blickte ihnen eine kurze Weile nach, dann rief er in seinem Zorn:
»Was soll ich sein? Einen Maulaffen hats mich geheißen? Das ist gut, das ist fein! So eine dreifarbige Cyperkatzen will mich auch noch schumpfen! Lauf hin, Du alte Papierduten, Du! Um Dich ists halt gar nicht schade. Lauf hin mit Deinem Pavian, der Dir die guten Rathschläg ertheilt! Ihr paßt genau für einander und könnt Euch bald gar heirathen. Nachhero zieht Ihr mit dem Drehorgelkasten auf denen Jahrmärkten herum und singt den Leuteln das schöne Lied vor:
»Die Lieb, die ist wie Sauerkraut:
Wird Alles durch und durch gekaut,
Die Leni wird des Pathen Frau,
Und Alles schreit dann Ach und Au.«
Er drehte sich um und ging fort, nicht nach der Mühle zu, sondern er schlug einen Richtsteig ein, welcher zur Höhe stieg, über welche die Straße aus dem Badeorte nach der nicht sehr entfernten Kreisstadt führte.
Auf dieser Höhe lag eine kleine, aber viel besuchte Restauration. Von dort aus hatte man einen herrlichen Ausblick auf die Berge, und besonders gut konnte man da den Auf- und Untergang der Sonne betrachten. Darum saßen früh und gegen Abend immer zahlreiche Badegäste in dem kleinen Anbau, welcher mit hohen Glasscheiben versehen war und in Folge dessen der Glassalon genannt wurde.
Auch heute befanden sich trotz der frühen Morgenstunde bereits Gäste da, unter ihnen der Professor Weinhold aus Wien mit seiner Frau.
Anton verfolgte, wie bereits gesagt, nicht die Straße, sondern er stieg den Bergpfad empor, auf welchem man zwar mühsamer, aber auch schneller zur Höhe gelangte. Gerade unter dem Glassalon, welcher hart am Abhange lag, erreichte der Pfad einen Vorsprung, welcher seiner gefährlichen Lage wegen mit einem Geländer versehen war. Um zu verschnaufen, stützte dort Anton seinen Kasten auf dieses Geländer und blieb kurze Zeit da halten.
Sein Blick fiel hinab in den Grund. Da sah er die Leni und den Sepp, welche mit einander langsam durch die Wiesen gingen. Um ihnen zu zeigen, daß er nicht etwa voller Herzeleid von ihnen scheide, stieß er ein lautes Juhu aus und schwang den Hut dabei. Sie schauten empor. Der alte Sepp erkannte ihn, riß seinen Hut auch vom Kopfe, schwenkte ihn und improvisirte nach Gebirglerart sogleich folgenden Trutzgesang:
»Der Anton steigt den Berg hinauf
Und will nicht mehr herunter.
Den Kasten schleppt er mit sich fort.
Da drinnen steckt viel Plunder.
Hallodrium, Hallodria;
Dein Scheiden macht uns froh.
Aus Dir wird nix, halleluja,
Hallo, halli, hallo!«
Es war hier oben jedes Wort deutlich zu verstehen. Als der Alte den Schlußjodler geendet hatte, antwortete der Krikelanton sofort schlagfertig:
»Der Sepp, der alte Bösewicht,
Ist halt sehr naseweise.
Sein alter Hut hat Loch an Loch,
und drunter krabbeln Läuse.
Hallodria, hallodrium;
Gebt Euch nur keine Müh.
Ihr Beid seid mir halt viel zu dumm,
Halli, hallo, halli!«
Der Anton hatte keine Ahnung von dem Reichthume, welchen er in seiner besaß. Sie ertönte von der Höhe hinab, füllte das ganze Thal und weckte die Echo des Waldes aus ihrem Schlummer. Drunten im Städtchen blieben die Passanten auf den Gassen stehen und lauschten dem mächtigen Schalle, welcher nicht aus einer einzigen Kehle zu kommen, sondern von einem Unisono-Chore herzurühren schien.
Natürlich wurde sein Gesang auch im Glassalon über ihm gehört. Daß dort, als er den Jodler begann, eine Glasscheibe klirrte, bemerkte er gar nicht.
Als er geendet hatte, antwortete Sepp sogleich wieder von unten herauf:
»Renn mit dem Kopf nur durch die Wand!
Dumm bist halt, wie die Sünden.
Sucht man bei Dir nach dem Verstand
So ist er nicht zu finden.
Hallodrium, hallodria;
Dein Scheiden macht uns froh.
Aus Dir wird nix, halleluja,
Hallo, halli, hallo!«
Und Anton wollte ihm das letzte Wort nicht lassen. Er schwang den Hut wieder und sang dazu:
»Euch ärgerts nur, daß ich jetzt geh
Und laß Euch hinten liegen.
Der Abschied thut mir nimmer weh,
Kann stets 'ne Andre kriegen.
Hallodria, hallodrium;
Gebt Euch nur keine Müh.
Ihr Beid seid mir halt viel zu dumm,
Hali, hallo, halli!«
Er sah von oben, daß Sepp ihm weiter Stand halten wolle, daß aber die Leni ihn beim Arm ergriff und mit sich fortzog. Da gab auch er sich zufrieden.
Jetzt nun erst hörte er über sich Stimmen. Eine weibliche rief in ängstlichem Tone:
»So komm doch herein!«
»Ich kann ja nicht,« antwortete eine männliche.
»Aber so kanns doch nicht bleiben!«
»Nein. Ich zerschneide mir die Kehle. Der Kellner mag einen Hammer bringen.«
»Ja. Wir zerklopfen die Scheibe, daß das Loch weiter wird, dann kannst Du herein. Nein, Mann, Mann, wie Du nur nicht sehen konntest, daß das Fenster nicht offen war!«
»Ich dachte nicht daran. Der Sänger! Diese Stimme, nein, so eine Stimme! Wo mag er sein!«
Anton blickte empor. Er konnte Niemand sehen. Die Stimmen der Sprechenden kamen ihm bekannt vor. Er ging weiter. Als er den Absatz verlassen hatte, konnte er die Fenster des Glassalons über sich sehen. Sie lagen höchstens acht Ellen über dem Pfade, auf welchem er sich befand. Ein Kopf mit hoch geröthetem Angesicht blickte aus einer der Scheiben herab.
»Alle Teufel!« rief der Mann, welchem der Kopf gehörte. »Da kommt der Anton!«
»Herr Professor, Sie!« rief dieser hinauf.
»Ja. Ich bin mit dem Kopfe durch die Scheibe gefahren und kann nun nicht wieder hinein.«
»Himmelsakra! Wer wird eine solche Dummheiten begehen!«
»Freilich! Aber es sang da unten Einer, und da wollte ich schnell herausschauen und stieß also das Glas durch. Weißt Du, wer gesungen hat?«
»O gewiß, ich wars halt selber!«
Der gute Professor machte ein höchst erstauntes Gesicht.
»Du?« fragte er lang gedehnt.
»Ja.«
»Unmöglich!«
»Glaubsts etwan nicht?«
»Nein.«
»So hör einmal!«
Er widerholte den Jodler.
»Wahrhaftig, wahrhaftig, er ists gewesen!« rief der Professor. »Frau, denke Dir nur – ah, jetzt!«
Jetzt erklangen Schläge gegen das Fenster und die Glassplitter fielen herab. Die Oeffnung wurde vergrößert und der Professor konnte seinen Kopf wieder zurückziehen, steckte ihn aber sogleich wieder heraus und sagte:
»Anton, komm herauf, schnell!«
»Ja, wannst denkst, so komm ich schon bereits.«
Er stieg weiter. Unter der Thür der Restauration erwartete ihn der Professor, dessen Gesicht von dem Glase an einigen Stellen verletzt war. Er achtete dies aber nicht. Die Blutstropfen, welche langsam hervorquollen, mit dem Taschentuche abwischend, kam er ihm mit ausgestreckter Hand entgegen und sagte:
»Ich kanns noch immer kaum glauben. Bist Du es wirklich gewesen, Anton, der gesungen hat?«
»Freilich. Hasts ja nachhero noch gehört.«
»So war es Deine Stimme! Komm herein!«
Er wollte ihn mit sich hineinziehen.
»Halt!« wehrte sich Anton. »Da hinein in die gute Stuben gehör ich nicht. Die ist nur für die vornehmen Herrschaften da.«
»Papperlapapp! Für Einen, der eine solche Stimme besitzt, ist keine Stube gut und fein genug. Uebrigens ist meine Frau bereits im Nebenzimmer; dort sind wir allein. Ich hab mit Dir zu reden, was Niemand weiter zu hören braucht. Also komm!«
Er zog ihn fort, in den Salon hinein, zwischen den Gästen, welche da saßen und die Scene mit stillem Lächeln betrachteten, hindurch in die Nebenstube, wo die Professorin ihrer wartete. Sie wollte natürlich zunächst für das Gesicht ihres Mannes besorgt sein, dieser aber wies ihre Dienste mit den Worten zurück:
»Bitte, laß das jetzt! Ich habe Wichtigeres zu thun.«
»Aber Du blutest ja!«
»Das sind nur Tropfen. Das schadet nichts; das heilt in einigen Stunden zu. Komm her, Anton! Thu Deinen Kasten ab und setz Dich nieder.«
Er war dem Tabuletkrämer behilflich, die Tragbänder abzuschnallen. Als der Kasten auf dem Tische stand, klapste er mit der Hand an ihn und sagte:
»So! Der hat ausgedient!«
»Wie willst das meinen?« fragte Anton.
»Daß Du ihn nie mehr auf den Rücken nehmen wirst.«
»Da kannst Dich irren.«
»Nein, ich weiß es genau.«
»Ich muß doch mein Geschäft haben!«
»Ja, aber ein anderes. Diesen Kram hier kannst Du gleich sammt dem Kasten zum Fenster hinauswerfen, denn mit der Tabuletkrämerei ists aus.«
»Was soll ich sonst thun?«
»Singen.«
»Das kann ich nebenbei.«
»Nebenbei? Nein. Du sollst nichts thun als singen. Das Singen soll von heute an der Hauptzweck Deines Lebens, Dein Beruf sein, Anton.«
»Meinst, daß ich ein Sänger werden soll?« fragte dieser erstaunt.
»Nichts Anderes meine ich.«
»Da machst aber doch wohl nur Spaß?«
»Spaß? Es ist mein heiliger Ernst. Mensch, was hast Du für eine Stimme!«
Er legte ihm beide Hände auf die Achseln und blickte ihm ganz begeistert in das Gesicht.
»Na, eine Stimme hat doch ein jeder Mensch!«
»Ja, aber was für eine!«
»Nun, zum Singen!«
»Stimme und Stimme ist ein großer Unterschied. Die Deinige ist ein Reichthum, der gar nicht zu ermessen ist.«
»Sakra! So kann ich mal reich werden?«
»Du kannst Dir eine Million erfinden.«
»Hurrjesses! Wieviel ist das?«
»Tausend mal tausend.«
»Na, das thät ich mir schon gefallen lassen.«
»Ja. Ich kenne keinen der jetzigen Sänger, welcher sich in Beziehung auf die Stimme mit Dir messen könnte. Du hast meiner Frau das Leben gerettet und keinen Dank dafür angenommen. Wir kennen Dich bereits seit jener Zeit und haben doch keine Ahnung gehabt von dem Pfunde, welches Dir der Herrgott verliehen hat. Soll es etwa vergraben liegen bleiben?«
»Nicht? So gieb mir einen Rath!«
»Ich bin ja Professer der Musik!«
»Das weiß ich gar wohl.«
»Ich bilde Dich also aus.«
»Ausbilden? Verdimmi, verdammi! Etwan grad so wie die Leni?«
»Grad so.«
»Daß ich in Concertln sing?«
»Ja.«
»Und auf dem Theater?«
»Ja.«
»Und dabei muß ich auch andre Gewandle anziehen als gewöhnlich?«
»Ja, freilich müßtest Du Dich nach der Rolle kleiden.«
»Und könnts da auch vorkommen, daß ich grad mit der Leni auf der Bühne singen müßt?«
»Das könntest Du sehr leicht einrichten.«
Da schlug der Anton mit der Faust auf den Tisch, daß dieser krachte, und rief:
»So hab ich meine Rache! So wirds gemacht, grad so! Und nachhero aber, nein, es geht halt nicht.«
Er sagte diese letzteren Worte in einem etwas kleinmüthigeren Tone.
»Warum geht es nicht?« fragte der Professor.
»Wegen denen Eltern, die ich hab.«
»Werden die sich dagegen sträuben?«
»Ja. Weil sie doch leben wollen.«
»Aber das können sie dann ja viel besser als jetzt! Da wirst viel, viel Geld verdienen!«
»Dann vielleicht, aber jetzunder hab ich nix. Wie lange Zeit wird es währen, bis ich ein Sänger worden bin?«
»Das ist unbestimmt. Auftreten kannst Du schon, bevor Du vollkommen ausgebildet bist.«
»Bei der Leni hats vom September bis zum Mai gedauert, bis sie im Concert singen konnt.«
»Bei Dir wird es auch nicht längere Zeit erfordern.«
»Nun gut; aber in diesen Monaten wollen meine Eltern leben und ich auch.«
»Ach so! Das meinst Du! Mensch, ich bin ja da!«
»Willst mir etwan geben, was ich brauche?«
»Ganz natürlich! Ich habe Dir ja längst bewiesen, daß ich Dir gern dankbar sein möchte. Jetzt freut es mich von ganzem Herzen, daß sich endlich eine Gelegenheit dazu gefunden hat, und was für eine!«
»So willst mir das Geld schenken?«
»Ja. Was ich habe, das ist auch Dein.«
»Nein, geschenkt mag ich nix haben. Wann Du meinst, daß ich später viel Geld verdienen werd, so kannst mir ja borgen, was ich jetzund brauch; ich werd Dir es nachher zurückerstatten.«
»Was bist Du für ein närrischer Kerl.«
»Ja, anderst thu ich es einmal nicht.«
»Nun gut, so borge ich es Dir.«
»Und wann geht es los?«
»Sogleich.«
»Gern; aber hier darf Niemand kein Wort davon erfahren, das ding ich mir aus.«
»Auf diese Bedingung gehe ich sehr gern ein. Auch mir ist es lieb, wenn kein Mensch Etwas erfährt. Wir werden ganz im Stillen mit einander studiren und dann treten wir plötzlich an die Oeffentlichkeit. Welch ein Aufsehen wird es erregen, wenn dann wie aus heitrem Himmel ein Riesentenor erscheint, von dessen Dasein kein Mensch eine Ahnung gehabt hat. Wir reisen von hier ab und suchen uns einen stillen, verborgenen Ort, an welchem wir an Deiner Ausbildung arbeiten können, ohne daß es den Bewohnern auffällt. Also sag, bist Du einverstanden?«
»Ja.«
»So soll der heutige Tag derjenige sein, an welchem Dein Glück begründet wurde. Für Deine Eltern werde ich sorgen.«
»Und was thu ich da mit den Kasten?«
»Der braucht Dir nicht am Herzen zu liegen. Er ist Dir nur hinderlich. Verschenke ihn!«
»Nein, verschenken oder verkaufen thu ich ihn nicht. Ich werd ihn mir aufheben zum Andenken, daß ich mal ein Tabuletkramer gewest bin. Und wann es fehl schlägt und ich doch vielleicht kein Sänger werd, so greif ich halt wieder zum Kasten und fang das Hausiren ganz von Neuem an.«