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Wir waren durch den gestrigen Ritt von dem Camp nach dem Spring weit von unserer Richtung abgekommen und mußten, um diesen Umweg möglichst gut zu machen, jetzt dahin reiten, wohin wir sonst nicht gekommen wären und wohin wir die nur in unserer Phantasie existierende Bonanza verlegt hatten, nämlich nach dem Squirrel-Creek. Als Dick Hammerdull das hörte, zog er erst ein ernsthaftes Gedicht, lachte aber und sagte:
»Hoffentlich werden sie nicht so albern sein!«
»Wer?« fragte Treskow, der neben ihm ritt.
»Die Tramps.«
»Wieso albern?«
»Daß sie uns nach diesem Creek nachkommen!«
»Da verdienten sie noch mehr Prügel, als sie schon bekommen haben! Sie müssen doch einsehen, daß es diese Bonanza gar nicht giebt.«
»Einsehen? Ich sage Euch, Mr. Treskow, wer solche Pudel schießt, wie die geschossen haben, bei dem kann von Einsicht keine Rede sein. Ich wette, daß sie dieses unser falsches Geld noch jetzt für echte Münze nehmen!«
»Wenn Ihr da recht habt, werden sie uns freilich nachkommen, und da können wir uns nur in acht nehmen, daß sie uns nicht ausfindig machen.«
»Bin ganz und genau derselben Ansicht. Ihr jedenfalls auch, Mr. Shatterhand?«
»Nein,« anwortete ich.
»Ihr denkt, sie kommen nicht hinter uns her?«
»Oh doch! Sie haben zwei Gründe, uns zu folgen.«
»Zwei? Ich weiß nur einen, nämlich die Bonanza. Ihr nehmt wohl auch an, daß sie noch heut an die Existenz dieses Placer glauben?«
»Ja. Diese Menschen halten sich trotz aller ihrer Dummheit für sehr klug, und da wir sie nicht extra darüber ausgelacht haben, daß sie dieser Täuschung Glauben schenkten, sind sie noch vollständig überzeugt, daß die Bonanza wirklich existiert.«
»Aus diesem Grunde werden sie uns also folgen. Und der zweite Grund?«
»Die Rache natürlich.«
»Ja, richtig. Es wird in ihnen wie in Siedetöpfen kochen; daran hatte ich nicht gedacht. Sie werden sich darum mit aller Macht auf unsere Fährte legen und sich alle Mühe geben, uns einzuholen.«
»Was ihnen aber nicht gelingen wird!«
»Nicht? Wohl weil wir bessere Pferde haben als sie?«
»Erstens das. Und zweitens wird eine geraume Zeit vergehen, ehe sie vom Spring aufbrechen können. Das ist ja selbstverständlich.«
»Ja, es wird lange dauern, ehe es einem von ihnen gelingt, sich von den Riemen zu befreien und auch die andern loszumachen.«
»Auf die Squaw, welche allerdings nicht gefesselt ist, können sie sich da nicht verlassen. Wenn sie die auffordern, sie loszubinden, schüttelt sie den Kopf und geht weiter. Und dann, wenn sie frei sind und sich auf die Pferde setzen! Hm!«
Hammerdull verstand dieses Hm! Er ergänzte mich in ausführlicherer Weise:
»Dann geht es auch nicht so schnell, wie sie es wohl wünschen werden. Sie werden grad da, wo der Reiter es am wenigsten sein darf, durch die Prügel höchst empfindlich geworden sein. Wenigstens wünsche ich von Herzen, daß es so ist. Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«
Der Gefragte antwortete:
»Wenn du denkst, lieber Dick, daß sie in der betreffenden Gegend gemütvoller geworden seien, so habe ich nichts dagegen. Ich denke, daß es dir auch nicht viel anders ergehen würde.«
»Pfui! Ich würde mich niemals prügeln lassen!«
»Wenn sie dich erwischten, so bin ich Überzeugt, daß sie dich ebenso durchhauen würden, wie sie von dir geprügelt worden sind.«
»Ob ich durchgehauen würde oder nicht, das bleibt sich gleich; das ist sogar ganz und gar egal, denn es versteht sich doch von selbst, daß sie es im Leben nicht fertig bringen, mich zu erwischen.«
»Pshaw! Sie hatten dich doch schon!«
»Halte den Schnabel, und ärgere mich nicht so unnötigerweise! Du weißt, daß ich in dieser Beziehung sehr schwache Nerven habe!«
»Ja; so dick wie Kabeltaue!«
»Haben sie etwa mich allein erwischt? Doch uns alle! Mußt du da mir die Vorwürfe machen, alter Griesgram, du? Das sollte ihnen noch einmal gelingen! Die reine, blaue Unmöglichkeit!«
»Nimm dich in acht! Der Frosch, der am lautesten quakt, wird zu allererst vom Storch gefressen. Das ist eine alte, wahre Geschichte.«
»Frosch! Ich etwa?«
»Ja!«
»Ich, ein Frosch! Hat es schon einmal so eine Majestätsbeleidigung gegeben?! Dick Hammerdull, der Inbegriff alles Erhabenen, alles Schönen und Schlanken, werde mit einem Frosch verglichen! Was giebt es nur gleich für ein Amphibium oder Insekt, mit dem du zu vergleichen bist, altes Heupferd? ja, Heupferd; das ist das Richtige! Bist du nun zufrieden, lieber Pitt?«
»Yes! Ein Heupferd ist, gegen den Frosch gehalten, ein sehr edles Tier!«
»Möchte wissen, wo da der Adel stecken soll! Übrigens ist weder von Fröschen noch von Heupferden, sondern von den Tramps die Rede gewesen, die auf der zoologischen Leiter allerdings auch keine höhere Sprosse inne haben. Sie werden, wie wir alle denken, hinter uns her nach dem Squirrel-Creek reiten wollen; aber ob sie ihn finden werden, Mr. Shatterhand?«
»Sicher.«
»Sie wissen aber doch nicht, wo er liegt!«
»Sie haben unsere Fährte.«
»Ich traue ihnen nicht zu, gute Fährtenleser zu sein.«
»Ich auch nicht; aber wir kommen heut den ganzen Tag nur über Prairieland und werden eine Fährte machen, welche man noch morgen deutlich sehen kann. Außerdem vermute ich, daß einer bei ihnen ist, welcher den Weg nach dem Squirrel-Creek kennt.«
»Wer ist das?«
»Der weiße Medizinmann.«
»Tibo taka? Woher sollte dieser imitierte Komantsche ihn kennen?«
»Er ist früher, ehe er zu den Komantschen kam, hier in dieser Gegend gewesen. Ob er sich speziell auf diesen Creek besinnen wird, das kann ich natürlich nicht wissen, aber es ist doch anzunehmen, daß er wenigstens die ungefähre Lage desselben kennt.«
»Well! Aber ob er sich den Tramps anschließen wird?«
»Gewiß!«
»Er hat sich doch mit Old Wabble entzweit, gestern auf der Prairie!«
»Aber heut wieder mit ihm vereinigt! Und wenn dies nicht so wäre, so betrachtet er uns genau ebenso als seine Feinde, wie die Tramps uns als die ihrigen ansehen; es liegt also nichts näher, als daß er sich mit ihnen vereinigt, uns zu folgen.«
»Aber ob sie ihn mitnehmen werden?«
»Ohne Zweifel! Übrigens macht er keinen Umweg, wenn er mit ihnen reitet, weil er auch nach dem Park von San Louis will.«
»So bekommen wir ihn wohl da oben zu sehen?«
»Mehr, als ihm lieb sein wird!«
»Well, so bin ich befriedigt! Der Kerl hat ein solches Ohrfeigengesicht, daß ich mich auf dieses Wiedersehen herzlich freue. Ich werde ihm mit den Fäusten so in diesem Gesichte herumlaufen, daß meine Fährte noch jahrelang zu lesen sein wird!«
Unser Weg führte, wie schon gesagt, fortgesetzt über ein langsam aber stetig ansteigendes Savannenland. Während wir am Vormittage das Gebirge wie eine ununterbrochene, verschleierte Mauer in der Ferne liegen sahen, rückten wir demselben während unsers schnellen Rittes immer näher; die Schleier fielen, und am Nachmittage waren uns die den eigentlichen Rocky-Mountains vorgeschobenen Sandriesen so nahe gerückt, daß wir die zwischen den sie bedeckenden Wäldern lachsgelb hervorschimmernden nackten Felsenmassen klar und deutlich erkennen konnten.
Es dunkelte bereits, als wir den Squirrel-Creek erreichten, und zwar an einer Stelle, welche uns von früher her bekannt war, so daß wir nicht lange nach einer als Lagerplatz passenden Stelle zu suchen brauchten.
Ich hatte mit Winnetou schon zweimal je eine Nacht hier zugebracht, die Umgebung des Ortes war uns also wohlbekannt. Wir hätten sie zu unserer Sicherheit auch heut gern abgesucht, doch war es schon zu dunkel dazu. Wir ergaben uns dem Zwange zu dieser Unterlassungssünde ohne großes Widerstreben, denn wir hatten schon damals kein Zeichen davon entdeckt, daß jemals ein menschlicher Fuß hierhergekommen sei, und auch jetzt war der Lauf des Squirrel-Creek im allgemeinen noch so unbekannt, daß es keinen Grund gab, anzunehmen, daß sich grad heut und grad hier eine grad uns feindliche Person aufhalten könne.
Der Creek machte einen kurzen engen Bogen und schloß eine rings von Felsen umgebene Lichtung ein, auf welcher wir ein nach Indianerart mehr glimmendes als loderndes Feuer anzündeten. Das gegenüberliegende Ufer war mit dichtem Gebüsch bedeckt, welches sich jenseits wieder in eine Prairie verlor. Zu essen hatten wir genug, weil wir nicht nur unsern Proviant, sondern auch denjenigen der Tramps mitgenommen und ihnen gar nichts davon gelassen hatten. Sie sollten durch die Jagd aufgehalten werden.
Während des Essens lachte Hammerdull einmal laut auf und sagte dann: »Mesch'schurs, soeben kommt mir ein außerordentlich guter Gedanke!«
»Dir?« fragte Holbers. »Welche Seltenheit!«
»Hast du nicht gleich wieder deine Hand im Reispudding?! Wenn die guten Gedanken bei mir so selten wären, wie du glauben machen willst, würdest du doch selbst der Blamierte sein!«
»Wieso?«
»Wäre es etwa keine Blamage, daß du, der Ausbund aller Klugheit und Pfiffigkeit, mit einem so dummen Menschen reitest?«
»Ich thue das nur aus Mitleid; da blamiere ich mich nicht.«
»Höre, das Mitleid ist ganz nur auf meiner Seite! Wenn du das nicht anerkennst, so lasse ich dich einfach sitzen!«
»Ja; du lässest mich sitzen und setzest dich mit her zu mir! Aber sag, alter Dick, welchen Gedanken hast du denn gemeint?«
»Ich will die Tramps ärgern.«
»Das ist unnötig. Die ärgern sich schon jetzt mehr als genug.«
»Noch lange nicht genug! Meint Ihr nicht, Mesch'schurs, daß sie annehmen werden, wir seien gleich nach der Bonanza geritten?«
»Das ist möglich,« antwortete Treskow.
»Nicht nur möglich, sondern ganz sicher ist's! Sie werden denken, wir suchen die Stelle sofort auf, um den Fundort so zu verstecken und unkenntlich zu machen, daß er nicht zu entdecken ist. Da müssen wir uns einen großen Spaß mit ihnen machen.«
»Welchen?«
»Wir scharren hier irgend eine Stelle auf und decken sie dann in der Weise wieder zu, daß sie leicht zu erkennen ist und jedermann gleich sehen muß, daß wir hier gegraben haben. Sie werden die Stelle natürlich für die Bonanza halten und sich mit größtem Eifer daran machen, nachzuwühlen.«
»Well! Dann finden sie nichts!« nickte Treskow.
»So meine ich es nicht.«
»Wie denn?«
»Wenn sie bloß nichts finden, so ist auch das nichts anderes, als wenn sie sonst irgendwo am Creek vergeblich suchen. Sie würden nur enttäuscht sein; ich will sie aber ärgern, tüchtig ärgern.«
»So sagt, auf welche Weise!«
»Sie sollen etwas finden.«
»Etwa Gold?«
»Pshaw! Und wenn ich im Golde bis über die Ohren steckte, diese Kerls ließe ich kein Körnchen finden, selbst zum Spaße nicht. Sie sollen etwas anderes finden, nämlich einen Zettel, einen schönen Zettel.«
»Einen beschriebenen?«
»Natürlich! Eben das, was darauf steht, soll sie riesig ärgern.«
»Dieser Gedanke ist freilich gar nicht übel!«
»Ob er übel ist oder nicht, das bleibt sich ganz gleich, wenn es ihnen nur übel dabei wird. Was meinst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Hm, ich meine, daß die Sache ein ganz guter Spaß ist, den wir uns wohl machen können.«
»Nicht wahr, alter, lieber Freund!« sagte der Dicke in seinem süßesten Tone, weil diese Zustimmung ihn erfreute. »Du bist wirklich zuweilen nicht ganz und gar so dumm, wie du aussiehst!«
»Ja, das ist eben der große Unterschied zwischen mir und dir.«
»Unterschied? Wieso?«
»Ich bin nicht so dumm, wie ich aussehe, und du siehst gescheiter aus, als du bist.«
»Alle Wetter! Bring mich nicht schon wieder in Rage! Du bist nicht nur dümmer, als du aussiehst, sondern du bist sogar noch viel dümmer, als du bist! So, das ist die richtige Meinung, die ich von dir habe!«
»Well! Über die Dummheit streiten sich selbst die Götter mit Dick Hammerdull vergebens; das ist eine alte, überall bekannte Sache. Was aber den Zettel betrifft, den die Tramps finden sollen, wo willst du ihn hernehmen? In der Prairie wächst kein Papier.«
»Ich weiß, daß Mr. Shatterhand eine Brieftasche hat.«
»Die willst du wohl haben?«
»Oh, nur ein Blatt!«
»Er wird sich hüten!«
»Nein; er wird mir eins geben!«
»Wenn du das denkst, so weißt du nicht, was ein unbeschriebenes Blatt Papier hier im wilden Westen für einen Wert besitzt!«
»Das weiß ich wohl; aber mein Gedanke ist so köstlich, daß man gar wohl so ein Opfer bringen kann, um ihn auszuführen. Nicht wahr, Mr. Shatterhand?«
»Es fragt sich, ob ich diesen Gedanken auch für köstlich halte,« antwortete ich.
»Ist er es etwa nicht?«
»Nein.«
»Sprecht Ihr im Ernst?«
»Ja. Er ist weder köstlich noch auch nur drollig, höchstens kindlich.«
»Kindlich! Also ist Dick Hammerdull ein kindlicher Kerl?«
»Zuweilen, ja.«
»Oder meint Ihr etwa gar kindisch?!«
»Hm! Wollen nicht Worte klauben! Erstens ist es noch gar nicht so zweifellos sicher, daß die Tramps grad hierher kommen. Sie können durch irgend einen unvorhergesehenen Umstand abgelenkt werden.«
»Und zweitens?«
»Zweitens wären sie geradezu überdumm, wenn sie annähmen, daß wir direkt nach der Bonanza geritten seien. Wenn es hier wirklich eine gäbe, müßten wir sie eher meiden als aufsuchen.«
»Oh, sich das zu denken, dazu sind diese Kerls nicht klug genug.«
»Und wenn es so ist und so wird, wie Ihr denkt, was haben wir davon? Wir sind doch nicht dabei, wenn sie den Zettel finden.«
»Das ist auch nicht nötig. Ich male mir in Gedanken ihre Gesichter so aus, daß ich sie genau so sehe, als ob ich dabei wäre.«
»Was soll dann auf dem Zettel stehen?«
»Das beraten wir. Es muß so sein, daß sie vor Ärger platzen!«
Er war für seine allerdings kindische Idee ganz Feuer und Flamme und bat mich so lange, bis ich ein Blatt aus meinem Notizbuche riß und es ihm mit dem Bleistifte gab. Nun sollte vor allen Dingen beraten werden, was darauf zu schreiben sei. Ich wurde um die Autorschaft angegangen, gab mich aber weder zu ihr noch zur Mitarbeiterschaft her; Treskow und die drei Häuptlinge folgten meinem Beispiele, und so blieben für die große litterarische Arbeit nur Hammerdull und Holbers übrig. Der letztere meinte:
»Du, schreiben kann ich nicht gut; das mußt du machen.«
»Hm!« brummte der Dicke. »Ich habe es gelernt, aber es hat einen großen Haken.«
»Welchen denn?«
»Ich kann nicht lesen, was ich geschrieben habe.«
»Aber andere können es?«
»Andere erst recht nicht!«
»Da sitzen wir freilich im Pfeffer! Na, wenn die Gentlemen hier die Schrift nicht mit aussinnen wollten, so wird wohl einer von ihnen wenigstens so gut sein, sie auf das Papier zu bringen?«
Nach einigen Fragen und Bitten gab sich Treskow dazu her.
»Well; so kann es losgehen!« sagte Hammerdull. »Fang an, Pitt!«
»Ja,« antwortete dieser; »die leichten Sachen übernimmst du stets; aber wenn es einmal etwas recht Schwieriges giebt, da bin allemal ich es, der anfangen soll! Fang lieber selber an!«
»Du wirst doch dichten können!«
»Na, was das betrifft, das kann ich schon! Du aber auch?«
»Mit Vergnügen! Im Dichten bin ich ein ausgezeichneter Kerl.«
Unter »dichten« verstanden sie nach Art vieler Analphabeten nur die Anfertigung eines Schreibens überhaupt. Treskow, der das wohl wußte und sich einen Spaß machen wollte, bemerkte:
»Dichten? Wißt ihr denn auch, daß sich die Zeilen da reimen müssen?«
»Reimen?« fragte Hammerdull, indem er vor Erstaunen den Mund weit öffnete. »Tausend Donner! Daran habe ich ja gar nicht gedacht. Also reimen, reimen muß sich die Geschichte?«
»Natürlich!«
»Wie denn zum Beispiel?«
»Schmerz und Herz, Meer und leer, Geld und Welt, so ungefähr.«
Es wurde englisch gesprochen; also entnahm er seine Reime nicht der deutschen, sondern der englischen Sprache. Ich muß, da ich deutsch schreibe, andere Worte angeben, bringe aber solche, welche ganz desselben Kalibers sind, wie diejenigen, welche Hammerdull nun wählte. Er nickte nämlich sehr eifrig mit dem Kopfe und sagte:
»Wenn es weiter nichts ist! Das kann ich auch! Da will ich zum Beispiel sagen: Hund und Schund, Klapps und Schnapps, Speck und Dreck, Pantoffel und Kartoffel. Das geht doch ganz famos! Wie steht es denn da mit dir, lieber Pitt? Kannst du das auch?«
»Warum nicht? So ein Kerl, wie ich bin!« antwortete der Lange.
»So sag auch mal was!«
»Sofort! Also, jetzt geht es los: Brei und Ei, Rumpf und Strumpf, Syrup und – – und – – Syrup und – – – und – – -und – –«
»Du, zum Syrup scheint es nichts zu geben; ich finde auch nichts. Sag da lieber etwas anderes!«
»Schön! Also: Paul und Maul, Knabe und Schwabe, Tinte und Flinte, Gustel und Pustel, Kuh und du – –«
Da fiel der Dicke rasch ein:
»Hör auf; hör auf! Wenn du mich mit einer Kuh zusammendichtest, was soll da für ein Reim daraus werden! Aber ich höre schon, daß es gehen wird. Fangen wir also gleich miteinander an!«
»Gleich miteinander? Nein! Wer sich den Gedanken mit dem Zettel ausgesonnen hat, der muß anfangen, und das bist doch du!«
»Well! Da mag es losgehen!«
Er rückte höchst unternehmend hin und her und bemühte sich, seinem Gesichte einen möglichst geistreichen Ausdruck zu geben, erreichte aber gerade das Gegenteil davon. Die Arbeit begann, und was für eine!
Ich habe Holzhacker, Eisengießer, Lastträger, Schiffsfeuerleute, Kesselschmiede und dergleichen im Schweiße ihres Angesichtes arbeiten sehen; aber ihre Anstrengung war das reine Kinderspiel gegen das Aufgebot aller Geisteskräfte, unter welchem Hammerdull und Holbers sich würgten, einige sich reimende Zeilen zusammenzusetzen. Wir sahen und hörten still, aber innerlich lachend, zu. Treskow warf zuweilen einen hilfreichen Brocken in die sprachliche, dicke Suppe, und so kamen nach Verlauf von vielleicht einer Stunde unter Husten, Räuspern, großem Schweiß und Angstgestöhne sechs Zeilen zusammen, welche er auf das Blatt schrieb. Sie wörtlich wiederzugeben, ist rein unmöglich; ich will ihnen hier in deutscher Sprache eine möglichst lesbare Gewandung verleihen:
»Wie sind die Kerle doch so dumm!
Vergebens wühlen sie herum
Und können weder vorn noch hinten
Die goldene Bonanza finden,
Die wir uns doch nur ausgedacht,
Worüber alle Welt jetzt lacht!«
Dick Hammerdull. Pitt Holbers.
Also auch mit der Unterschrift der beiden Angst- und Qualpoeten mußte Treskow das Meisterwerk versehen, und dann machten sie sich an das Aufwühlen des Bodens, welches ihnen, obgleich derselbe sehr steinigt war, viel leichter als das »Dichten« wurde. Sie arbeiteten wohl zwei Stunden lang, bis sie meinten, daß das so entstandene Loch für ihre Zwecke tief genug sei. Das Schreiben wurde hineingelegt, nachdem es so umwickelt worden war, daß es die Feuchtigkeit der Erde nicht anzog, und dann füllten sie die Grube wieder zu. Sie stampften dabei die Steine und die Erde mit den Füßen so fest wie möglich, damit die Tramps sich sehr anzustrengen hätten, und dachten nicht daran, daß ihre eigene Anstrengung noch viel größer sei als die, welche sie diesen Leuten bereiteten.
Daß dieses Graben, Treten, Werfen und Stampfen nicht ohne Geräusch abging, läßt sich denken. Wäre die Gegend, in welcher wir uns befanden, nicht eine so abgelegene und überaus selten besuchte gewesen, so hätten wir den kindischen Scherz gar nicht geduldet. Die Genugthuung, welche Hammerdull schon im voraus empfand, sollte ihm gegönnt werden; aber es gab einen, der sie bezahlen mußte, und dieser eine war, leider nicht zu meinem Vergnügen, ich!
Das Loch war gefüllt; wir saßen rund um das Feuer und unterhielten uns nach alter Gewohnheit nur in halblautem Tone miteinander. Da sah ich, daß Winnetou seine Silberbüchse beim Schloß ergriff und langsam und möglichst unauffällig an sich zog. Zugleich zog er den rechten Fuß an, so daß sich das Knie hob. Es war kein Zweifel, er wollte schießen, und zwar galt es einen Knieschuß, den schwersten, den es giebt; ich habe ihn schon oft beschrieben. Sein Gesicht war nach dem Wasser gerichtet. Er mußte jenseits desselben einen Menschen im Gebüsch entdeckt haben, den er mit seiner Kugel treffen wollte.
Der Knieschuß wird nur in ganz bestimmten Fällen angewendet. Man entdeckt einen Feind, von welchem man aus einem Verstecke heraus beobachtet wird; man muß, um sich selbst zu retten, ihn töten. Nimmt man das Gewehr hoch, um zu zielen, so sieht er das, ist gewarnt und verschwindet. Um dies zu vermeiden, wird der Knieschuß gewählt, so genannt, weil dabei das Knie den Zielpunkt angiebt. Man zieht nämlich den Unterschenkel so weit an sich, bis der Oberschenkel genau so liegt, daß seine Verlängerungslinie über das Knie hinaus die Stelle berühren würde, welche man treffen will. Dann greift man zum Gewehre, was nicht auffallen kann, weil jeder gute und erfahrene Westmann es stets neben sich liegen hat. Jeden Anschein vermeidend, als ob man schießen wolle, spannt man mit dem rechten Daumen den Hahn, legt den Zeigefinger an den Drücker und hebt, natürlich immer nur mit der einen, rechten Hand, den Lauf empor und legt ihn fest an den Oberschenkel, genau in die beschriebene Richtungslinie. Der Lauscher darf, obgleich die Mündung nun auf ihn gerichtet ist, auch jetzt noch nicht ahnen, daß man auf ihn schießen will; er muß durch Finten getäuscht werden: Man senkt die Augenlider, so daß er nicht merkt, wohin man sieht; das Zielen ist dabei freilich schwer, weil es nicht mit offenem Blicke, sondern durch die Wimperhaare hindurch geschieht, und weil man das andere Auge nicht schließen darf, um keinen Verdacht zu erwecken; man gestikuliert mit dem rechten Arme; man dreht den Kopf hin und her; man unterhält sich lebhaft mit den Kameraden; kurz, man thut alles, um bei dem Lauscher die Erkenntnis zu vermeiden, daß man ihn entdeckt habe und auf ihn schießen wolle. Hat nun der Lauf die richtige Lage, so drückt man los. Das ist der Knieschuß! Er wird die Kameraden auf alle Fälle erschrecken, weil man ihnen nicht hat sagen dürfen, was man vorhat; sie würden durch ihr Verhalten, ihre Gesichter, ihre Blicke, durch das plötzlich eintretende Schweigen den Feind mißtrauisch machen und ihm verraten, daß er gesehen worden ist. Es ist, wie gesagt, der schwerste Schuß, den es giebt. Wenn tausend Meisterschützen sich im Knieschusse üben, so kann es vorkommen, daß nicht ein einziger von ihnen es soweit bringt, daß er, besonders des Abends, seines Zieles sicher ist. Man muß jahrelang unausgesetzt üben, und doch thut es diese Übung, diese Ausdauer nicht allein, man muß auch dazu geboren sein. Ich habe den Knieschuß von Winnetou gelernt und außer uns beiden kaum zwei oder drei gekannt, denen von ihm eine gute Censur gegeben wurde. Auch sie schossen zuweilen fehl; er aber, der unübertreffliche Meister in allen Waffen des wilden Westens, hat niemals, selbst in der stockdunkelsten Nacht, einen Fehlknieschuß gethan. Ich habe überhaupt, nicht ein einziges Mal erlebt, daß eine seiner Kugeln am Ziele vorübergegangen ist.
Ich halte noch heut meine Waffen hoch. Mein Henrystutzen und mein Bärentöter sind noch jetzt meine wertvollsten Besitztümer. Kostbarer aber noch als sie ist mir Winnetous Silberbüchse, die ich schon, als er noch lebte, stets mit einer gewissen heiligen Scheu betrachtet oder in die Hand genommen habe. Als er erschossen worden war, haben wir ihn hoch zu Roß und mit allen seinen Waffen, also auch mit ihr begraben. Einige Jahre später kam ich mit meinen damaligen Gefährten bei der Verfolgung eines Truppes Ogellallah-Indianer grad dazu, daß die Sioux sein Grab öffneten und berauben wollten. Wir vertrieben sie nach hartem Kampfe. Sie hatten es auf die Silberbüchse abgesehen. Ich konnte natürlich nicht als Hüter seines Grabes stets im Thale des Metsurflusses bleiben, und da zu erwarten war, daß sich die Entweihung des Grabes wiederholen werde, nahm ich die Silberbüchse heraus und sorgte dafür, daß dies überall bekannt wurde. Die Sioux erfuhren, daß die Büchse nicht mehr zu haben sei, und ließen infolgedessen das Grab nun unversehrt. Jetzt hängt dieses herrliche Gewehr neben meinem Schreibtische, und während ich jetzt von ihm erzähle, habe ich es vor meinen Augen und gedenke in tiefer Wehmut dessen, den es nicht ein einziges Mal im Stich gelassen hat und der mein bester, vielleicht mein einziger Freund gewesen ist, das Wort Freund in seiner wahren, edelsten und höchsten Bedeutung genommen!
Ich habe dieser Bemerkung hier mitten in meiner Erzählung eine Stelle gegeben, um einen scheinbaren Widerspruch schon jetzt aufzulösen. Meine Leser wissen, daß Winnetou mit der Silberbüchse begraben wurde; jetzt kaufen sie sich Bilder von mir, unter denen es welche mit der Bezeichnung »Old Shatterhand« mit »Winnetous Silberbüchse« giebt; oder die wißbegierigen Besucher, welche fast täglich mit oft wunderbarer Harmlosigkeit von »Villa Shatterhand« und meiner kostbaren Zeit Besitz ergreifen, sehen dieses Gewehr zwischen Sam Hawkens' alter »Gun« und meinem Bärentöter hängen; da giebt es der brieflichen und mündlichen Fragen kein Ende. Man will nicht warten, bis ich in einem spätern Bande erzähle, wie die begrabene Silberbüchse wieder auferstanden ist, und so habe ich denn jetzt den schriftstellerischen Fehler begangen, eine hochgespannte Handlung durch eine nicht hineingehörige Auskunft zu unterbrechen. –
Also Winnetous Gesicht war nach dem Wasser gerichtet und der Lauf des Gewehres nach dem Gebüsche jenseits desselben. Dort steckte jemand, der die Kugel bekommen sollte. Ich legte mich sofort lang, griff nach dem Stutzen und hob mein rechtes Knie auch in die Höhe. Sofort mit Hammerdull ein Gespräch anknüpfend und mich stellend, als ob meine Aufmerksamkeit nur auf diesen gerichtet sei, senkte ich die Augenlider halb und richtete den Blick durch die Wimpern hinüber nach dem Gesträuch. Eben als ich dies that, kam unter einem Alderbusche ein Gewehrlauf zum Vorscheine, der auf mich gerichtet war, und ehe ich die kurze Zeit fand, den Stutzen nach diesem Punkte zu richten, krachte der Schuß, in demselben Augenblicke aber auch Winnetous Silberbüchse. Drüben erscholl ein Schrei; Winnetou hatte getroffen, und ich bekam einen Schlag, der mir das Bein streckte, auf oder an den Oberschenkel.
Die ganz ahnungslos gewesenen Kameraden sprangen auf, ich schnellte auch empor und stieß, während sie eine Menge Fragen hervorhasteten, mit den Füßen das brennende Holz auseinander, so daß das Feuer verlöschte. Das that ich, damit wir für weitere Schüsse keine Ziele böten. Kaum war es dunkel, so sagte der Apatsche:
»Meine Brüder mögen ganz ruhig sein und warten!«
Einen Augenblick später gab es drüben im Gebüsch einen prasselnden Krach, welchem sofort die tiefste Stille folgte. Der Creek war hier an dieser Stelle gewiß zwölf Fuß breit, trotzdem war Winnetou mit einem seiner unvergleichlichen Sätze hinüber- und mitten ins Gesträuch hineingesprungen. Wir lauschten.
Es verging eine lange, lange Zeit, wohl eine halbe Stunde. Mein Bein schmerzte mich, und als ich nach der betreffenden Stelle griff, fühlte ich, daß sie stark blutete. Ich war verwundet. Da ertönte von drüben herüber Winnetous laute Stimme:
»Laßt das Feuer wieder brennen!«
Ich schob die noch glimmenden Reste wieder zusammen, brachte sie durch Anblasen zum Brennen und legte Dürrholz zu. Nun sahen wir ihn drüben am Rande des Wassers stehen. Er hatte das eine Ende seines Lasso in der Hand; das andere war an einem neben ihm liegenden Menschenkörper befestigt. Ohne daß er vorher einen Anlauf nehmen konnte, sprang er, den Lasso festhaltend, wieder zu uns herüber und zog dann den bewegungslosen Körper, der dabei natürlich in das Wasser fiel, nach. Ich half ihm dabei. Während dies geschah, erklärte er uns:
»Ich sah da drüben ein Gesicht und schoß darauf; es war noch ein zweiter Mann dort, den ich nicht sah; der hat auch geschossen. Ich sprang hinüber, um zu erfahren, ob noch mehr Menschen da seien. Ich hörte einen fliehen und huschte ihm nach. Jenseits der Büsche waren fünf Reiter, aber sieben Pferde; der Fliehende eilte hin zu ihnen und sagte, daß er Old Shatterhand erschossen habe, daß aber sein Gefährte von Winnetou getötet worden sei. Es waren Bleichgesichter, ohne einen roten Mann dabei, denn derjenige, welcher nun auf das eine ledige Pferd stieg, sprach ein reines Englisch. Sie warteten noch eine Zeitlang, und als der nicht kam, den Winnetou erschossen hat, sagte der Entflohene: ›Er ist tot, sonst würde er kommen oder um Hilfe rufen. Wir müssen fort, denn man wird nach uns Suchen; aber mein Wunsch ist erfüllt und meine Rache gestillt, denn Old Shatterhand ist tot!‹ Winnetou erschrak über den Tod seines Freundes, kroch zurück, dahin, wohin er gezielt hatte und fand die Leiche des Getroffenen. Er band ihn an den Lasso und gebot, wieder Feuer zu machen. Wie freute er sich, als er sah, daß sein Bruder Shatterhand noch lebt!«
»Wer mögen die Weißen gewesen sein?« fragte Treskow.
»Die Tramps keinesfalls, denn die können noch nicht hier sein.«
Ich bog mich zu dem Toten nieder. Die unfehlbare Kugel des Apatschen war ihm in die Stirn gegangen. Ich erkannte ihn sofort: es war einer von Toby Spencers Rowdies. Treskow bestätigte dies, nachdem er ihn auch betrachtet hatte; er hatte ihn ja auch bei Mutter Thick in Jefferson-City gesehen. Man hatte jetzt nur auf diese Leiche und auf Winnetou geachtet; jetzt sah dieser dunkelnasse Stellen im Grase, folgte ihnen mit den Augen bis zu mir und rief dann erschrocken aus: »Uff! Mein Bruder ist verwundet, also doch getroffen worden! Das Blut läuft stark. Ist es gefährlich?«
»Ich glaube nicht,« antwortete ich.
»Ist der Knochen verletzt?«
»Nein, denn ich kann stehen.«
»Aber es ist eine seltsame Wunde. In der Lage, welche mein Bruder hier am Boden hatte, konnte er gar nicht an dieser Stelle getroffen werden!«
»Das habe ich mir auch schon gesagt. Es war ein Fehlschuß. Die Kugel hat hier den Felsen getroffen und ist, von ihm abprallend, mir in den Schenkel gedrungen.«
»Das ist nicht gut. Prallschüsse verursachen Schmerzen. Ich werde sofort nach der Wunde sehen!«
»Lieber jetzt nicht gleich. Wir müssen fort!«
»Wegen der sechs Bleichgesichter da drüben?«
»Ja. Unser Feuer brennt wieder. Wenn sie umkehren, können sie uns mit der größten Bequemlichkeit auslöschen.«
»Sie kommen nicht, denn die Stimme dessen, welcher sprach, klang sehr ängstlich. Die Vorsicht treibt uns dennoch fort, vorher aber muß ich die Wunde untersuchen; sie steht schon lange offen; mein Bruder muß schon sehr viel Blut verloren haben; darum können wir es nicht länger hinausschieben, ihn zu verbinden.«
»So mag Hammerdull recht viel Holz in das Feuer werfen, daß es eine hell hinüberleuchtende Flamme giebt, und die andern mögen mit schußfertigen Gewehren das Ufer drüben bewachen und sofort schießen, wenn ein Zweig sich regt!«
Diese Untersuchung der Wunde ergab ein günstig-ungünstiges Resultat, günstig, weil das Oberschenkelbein unverletzt war, und ungünstig, weil die Wunde eine Eiterwunde zu werden versprach. Die Kugel war bis auf den Knochen durch die Weichteile gedrungen und wurde von Winnetou mit dem Messer herausgeholt. Sie war einseitig plattgedrückt und hatte mit der dadurch entstandenen Kante, zumal sie matt geworden war, keine glatte Wunde geschlagen, sondern das Fleisch zerfetzt. Das verhieß Wundfieber, heftige Schmerzen und eine langsame Heilung, vielleicht gar mit zurückbleibender Hyperostose. Fatal! Grad jetzt, wo jede Verzögerung unsers Rittes so bedenklich war!
Glücklicherweise führte ich einige reine Tücher in der Satteltasche mit. Indem mir Winnetou den einstweiligen Verband anlegte, sagte er: »Es ist sehr gut, daß mein Bruder gelernt hat, Schmerzen nach der Art der roten Krieger zu ertragen. Wenn wir nicht in kurzer Zeit genug Tschitutlischi finden, wird eine böse Entzündung eintreten; finden wir aber genug davon und vorher auch eine Dentschu-tatah, so hoffe ich, weil du eine so kräftige Natur und sehr gesundes Blut besitzest, daß du diese Verwundung nicht schwer überwinden wirst. Hoffentlich kannst du jetzt reiten?«
»Natürlich! Ich habe keine Lust, den schwachen Patienten zu spielen.«
»So wollen wir unserer Sicherheit wegen diesen Ort verlassen und einen andern suchen. Doch nimm dich in acht, daß keine neue Blutung entsteht!«
Wir verließen die für mich so unangenehm gewordene Stelle und folgten dem Creek fast eine Stunde lang abwärts, wo wir abstiegen und wieder ein Feuer anzündeten. Es wurden einige harzreiche Äste gesammelt, welche als Leuchten beim Pflanzensuchen dienen sollten; die drei Indianerhäuptlinge zündeten sie an und entfernten sich, um für ihren angeschossenen Freund und Bruder Shatterhand botanisieren zu gehen. Dick Hammerdull hatte sich neben mich gesetzt. Er hielt seine alten, guten Augen zärtlich auf mich gerichtet, strich mir plötzlich einmal mit überquellender, besorgter Zärtlichkeit über die Wange und knurrte dabei:
»Verteufelte Erfindung, diese Schießgewehre! Besonders dann, wenn die Kugeln treffen. Habt Ihr große Schmerzen, Mr. Shatterhand?«
»Gar keine jetzt,« antwortete ich.
»So wollen wir hoffen, daß es bei dieser Handschuhnummer bleibt!«
»Das steht leider nicht zu erwarten. Jede Verletzung will sich ausschmerzen; eher heilt sie nicht.«
»Schmerz! Ein ganz miserables Wort! Und dennoch möchte ich, daß ich den Eurigen auf mich nehmen könnte! Ich bin da wohl nicht der einzige, der so denkt. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Hm,« antwortete der Lange, »ich wollte lieber, ich wäre getroffen worden!«
»So! Warum hast du dich da denn nicht dorthin gesetzt, wohin der Kerl geschossen hat? Hinterher kannst du gut aufopfernd sein!«
»Bin ich allwissend, dicker Grobian?«
»Das nicht; aber wenn ich schon sage, daß lieber ich die Schmerzen haben möchte, brauchst du doch nicht auch welche zu verlangen!«
»Du hast mich doch gefragt! Und ich habe Mr. Shatterhand wenigstens ebenso lieb wie du!«
»Ob ich ihn lieb habe, oder ob du ihn lieb hast, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal, wenn wir ihn nur beide lieb haben; verstanden?! Wenn ich den Kerl erwische, der da so unvorsichtig geschossen hat, daß die dumme Kugel zurückfliegen mußte, so mag er seine zwölf Knochen nur zusammennehmen!«
»Zweihundertfünfundvierzig, lieber Dick!« verbesserte ich ihn.
»Warum so viel?«
»Weil jeder Mensch so viel hat.«
»Desto besser, denn desto länger wird er zu suchen haben, ehe er sie zusammenfindet! Aber zweihundertfünfundvierzig Knochen? Ich habe die meinigen zwar noch nicht gezählt, jedoch daß unter meiner Haut so viele Knochen stecken, das habe ich bisher nicht geahnt!«
»Knochen und Knochen ist ein Unterschied; es sind da auch die kleinen Gehör- und Sesamknöchelchen mitgezählt.«
»Sesamknöchelchen? Sesam? Ich will auf der Stelle gelyncht, geteert und gefedert werden, wenn ich solche Sesambeine schon einmal gesehen habe! Pitt Holbers, du bist doch an Knochen viel stärker und reicher als ich, aber sind dir deine Sesamknöchelchen bekannt?«
»Never mind! Glaubst du, ich habe mich schon einmal umgestülpt, wie man einen Handschuh umwendet, um die Sesams zu zählen, die in mir stecken? Daß ich sie habe, ist vollständig genügend; zu sehen und zu zählen brauche ich sie nicht.«
»Aber der Mensch, welcher geschossen hat, soll die seinigen zählen, wenn ich ihn erwische! Möchte wissen, wer er ist!«
»Wahrscheinlich Toby Spencer selbst.«
»Schöner Schütze!«
»Er hat früher jedenfalls besser geschossen, von mir aber bei Mutter Thick eine Revolverkugel in die Hand bekommen und zwar zu meinem Glücke, denn wenn das nicht wäre, lebte ich jetzt nicht mehr; gezielt war's gut, aber zitterig abgedrückt. Da war doch Winnetous Schuß ein anderer! Ein Knieschuß in die Dunkelheit hinein, und doch grad in die Stirn! Übrigens werden die Tramps morgen große Augen machen, wenn sie den Toten an unserm Lagerplatze finden!«
»Well! Sie werden da erst recht denken, daß sich die Bonanza dort befindet, denn sie müssen doch annehmen, daß wir den Mann erschossen haben, weil er das Placer entdeckt hat.«
»Möglich, daß sie das denken! Aber Eure Bonanzageschichte ist schuld, daß ich verwundet worden bin.«
»Ah, wirklich? – Wieso denn?«
»Der Lärm, den Ihr mit Eurem Loche gemacht habt, hat die Leute herbeigezogen; sie haben ihn gehört.«
»Hm! Ich kann nicht widersprechen. Ihr macht mir also Vorwürfe?«
»Nein. Was geschehen ist, ist vorüber; niemand kann es ändern. Doch hört, da kommen die Häuptlinge!«
Ja, sie kamen. Winnetou teilte mir in erfreutem Tone mit:
»Mein Bruder Shatterhand mag froh sein, denn wir haben viel Tschitutlischi und auch mehrere Dentschu-tatah gefunden; er wird also die Verwundung leichter, wenn auch nicht ohne Schmerzen, überstehen.«
Wenn ich auch nicht an ein »leichtes Überstehen« dachte, so war es mir doch außerordentlich lieb, diese Worte von ihm zu hören. Bei einem Verbande, wie ich ihn jetzt trug, waren die Folgen gar nicht abzusehen. Ich hätte vielleicht auf den Weiterritt verzichten müssen, wenn nicht gar noch Schlimmeres eingetreten wäre. Ich kannte die außerordentliche Heilkraft seiner Wundpflanzen und war nun überzeugt, daß ich die Blessur ohne schweren Nachteil überwinden würde.
Der Verband wurde wieder abgenommen und die Wunde ausgewaschen; dann fertigte Winnetou aus einem weichen Blatte einen passenden Pfropf, den er mit dem beizenden Safte des Dentschu-tatah tränkte. Diese Pflanze gehört wie unser Chelidonium in die Familie der Papaveraceen, unterscheidet sich aber von diesem dadurch, daß sie keinen rotgelben Milch-, sondern einen weißen, dünnflüssigeren Saft hat. Als mir der Pfropfen in die Wunde gedreht wurde, war es, als ob ich ein glühendes Eisen hineinbekäme. ich bin gewohnt, Schmerzen zu verbeißen, mußte mich jetzt aber doch zusammennehmen, um ein unverändertes, ja lächelndes Gesicht zu zeigen. Winnetou sah mich an und sagte, mit dem Kopfe nikkend:
»Ich weiß, daß Old Shatterhand jetzt am Marterpfahle hängt; da er diesen Schmerz mit Lächeln übersteht, würde er auch an einem wirklichen Pfahle lachen. Howgh!«
Die höchst schmerzhafte Prozedur wurde noch zweimal wiederholt, wobei jedesmal die Empfindung weniger peinigend war. Dann träufelte mir der Apatsche den wasserhellen Saft der Tschitutlischi ein, legte das Kraut auf die Wunde und verband sie fest. Dieses Kraut gehört in die Familie der Plantagineen, ist aber keineswegs unser Wegebreit. Ich habe beide Pflanzen, welche wahrhaft Wunder wirken, nicht in Deutschland, auch nicht im Osten der Vereinigten Staaten gefunden. Die Apatschen nennen, außer den zwei schon angeführten Namen, das eine wie das andere Kraut Schis-inteh-tsi, zu deutsch »Indianerpflanze« und behaupten, daß es ein Geschenk des großen Geistes für seine roten Söhne sei, nur da wachse, wo sie wohnen, sich mit ihnen aus dem Osten nach dem fernen Westen zurückgezogen habe und mit ihnen einst aussterben werde. Selbst Winnetou, der stets so vorurteilslose, behauptete einst in vollstem Ernst zu mir.-
»Wenn der letzte Indianer stirbt, wird auch das letzte Blatt Schis-inteh-tsi verwelken und nie wieder grünen. Es blüht mit der roten Nation in jenem Leben wieder auf!«
Es war doch möglich, daß die sechs Weißen, welche Winnetou gesehen hatte, wieder zurückgekehrt waren und uns beobachtet hatten. Wir trafen die gebotenen Vorsichtsmaßregeln und losten die Wachen aus, wovon indessen ich als Verwundeter entbunden wurde. Ich schlief trotz der Verletzung bis zum frühen Morgen fest, wo ich aber von einem Gefühle des Zerrens und der Trockenheit aufgeweckt wurde. Winnetou lag seinen chirurgischen Pflichten wieder ob, wobei heut nur der zweite Saft in Anwendung kam; dann aßen wir und brachen nachher auf.
Es galt natürlich zunächst, zu erfahren, wer die sechs Weißen gewesen waren. Wir setzten über den Creek und ritten, um mich zu schonen, langsam weiter, während der Apatsche fortgaloppierte, um die gesuchte Fährte zu entdecken. Es dauerte gar nicht lange, bis er kam und uns zu ihr führte. Sie lief in unserer Richtung über die Prairie, was wir uns gleich gedacht hatten. Wir wußten ja, daß Toby Spencer auch hinauf nach dem Park von San Louis wollte. Natürlich folgten wir ihr.
Diese Prairie war nicht groß; es hörten jetzt überhaupt die Ebenen auf, die oft so langweilig sind und doch den erhabenen Eindruck des Oceans machen. Wir kamen, um mich so auszudrücken, an die Vorhöhen der Vorberge und mußten von jetzt an auf einen geradlinigen Ritt verzichten. Gut war es, daß wir die Wege und Pässe, welche wir aufzusuchen hatten, kannten. Zunächst galt es, den alten, sogenannten Kontinentalpfad zu erreichen, einen früher vielbelebten Westmannsweg, welcher in unzähligen Windungen über die Mountains führt, zur jetzigen Zeit aber vergessen worden zu sein scheint.
Da wir den grasigen Boden verlassen hatten, war die Fährte, welcher wir folgten, nicht leicht zu lesen. Oft verschwand sie für längere Zeit ganz; wir trafen aber immer wieder auf sie, ohne uns große Mühe gegeben zu haben sie zu finden, und so nahmen wir an, daß die uns Vorausreitenden auch nach dem Kontinentalpfade wollten.
Erwähnen muß ich, daß ich bei jedem Wasser, an welches wir kamen, abstieg, um meine Wunde zu kühlen, was so, wie ich es machte, freilich nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Ich hatte mir nämlich über dem Knie einen Riemen so fest um den hohen Stiefel gebunden, daß das untere Bein luftdicht abgeschlossen war; dann schöpfte ich mir den oberen Teil des Schaftes mit den Händen voll Wasser, und dieses reichte fast stets so weit, bis es wieder frisches gab. Zuweilen stieg ich gar nicht ab und ließ mir von einem der Gefährten »den Stiefel füllen«.
Man glaubt nicht, welchen Eindruck die Rocky-Mountains machen, wenn man so lange Zeit von Tag zu Tag vergeblich nach dem Horizonte der weiten, unendlich scheinenden Ebene gejagt hat. Auf der Savanne flieht er fort und fort ins Weite, in die Endlosigkeit; das Auge bittet förmlich um einen festen Halt, doch ohne ihn zu finden; es ermüdet und blickt doch immer wieder sehnend auf – – vergeblich, vergeblich! Der wie ein Halm im grenzenlosen Grasmeere sich fühlende Mensch wird zum Ahasver, der nach Ruhe schreit und doch keine findet. Da endlich tauchen nach langem Sehnen und Wünschen in der Ferne die grauen Schleier auf, hinter denen das Kanaan des Auges seine Berge gen Himmel streckt. Sie bilden nicht einen Horizont, welcher, unerbittlich zurückweichend, immer treulos flieht; nein, dieser Vorhang ist treu, hält Wort! ja, er scheint nicht nur auf unser Nahen zu warten, sondern uns entgegenzukommen. Und je mehr wir uns ihm nähern, desto mehr gewinnt er an Durchsichtigkeit; oder er hebt sich allmählich höher und höher und läßt uns nach und nach die Herrlichkeiten sehen, viel schöner noch, als er sie uns von weitem schon versprochen hat. Nun gewinnt das Auge Halt und das Leben Farbe und Gestalt. Glich die Savanne einer keinen Anfang und kein Ende bietenden Tafel, auf welcher die große, erhabene Rune »Ich, der Herr, bin das Alpha und das Omega!« zu lesen war, so steigen jetzt die in Stein erklingenden Hymnen von der Erde auf und jubilieren: »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Berge verkündigen seiner Hände Werk; ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht thut es der andern kund!« Und dieser steinerne Jubel ruft den Widerklang der Seele wach; es falten sich die Hände, und die Lippen öffnen sich zum Gebete: »Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Deine Weisheit hat sie geordnet, und die Erde ist voll von deiner Liebe und Güte!«
So, grad so habe ich stets empfunden, wenn ich aus diesen Ebenen nach diesen Bergen kam. Tausende stiegen hinauf, mit tödlichen Waffen in den Händen, um schonungslos die Geschöpfe Gottes niederzumetzeln; Tausende stiegen und steigen noch heut hinauf, vom trügerischen Glanze des Goldes und des Silbers geblendet, um das ihnen von Gott geliehene Leben an den verderblichen Mammon zu wagen; wie viele waren unter ihnen, welche, wenn sie das Bibelwort kannten: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, auf denen mein Heil und meine Hilfe wohnt,« dabei an ihr wahres Heil und an den allein rechten Helfer dachten?
Ich ritt auch heut hinter den Gefährten her, um nicht gestört zu sein, und ließ die Farben und Lichter, welche von oben glänzten, mir in die Seele leuchten; denn die Felsenberge sind reicher an Farben und zeigen erhabenere Lichter als jedes andere Gebirge der Erde. Es ist nicht die massigstolze Erhabenheit der Alpen, nicht die epische der Pyrenäen und nicht die unnahbare, niederdrückende des HimaIaja, sondern es ist eine Hoheit, welche zwar mit ernster Würde doch mild lächelnd niederschaut. Wenn die alten Griechen ihren Göttern den Olymp zur Wohnung gaben, so hatte und hat der Indianer weit größere Berechtigung zu dem Glauben, daß auf diesen Bergen sein großer, guter Manitou wohne.
Wir ritten heut noch lange nicht im Gebirge, sondern erst unten, zwischen den weit ausgreifenden Zehen der Bergesfüße dahin, und doch schon welche Herrlichkeit rings um uns her! Bei jeder Wendung ging ein neuer Vorhang auf und bot ein andres, schönes Bild. Es war ein unvergleichliches Wandelpanorama, nur wandelten wir, und Gottes Berge standen. Schon sandte uns der hohe Wald seine Ausläufer grüßend entgegen: »Willkommen! Mein Dom ist ein Tempel, von keines Menschen Hand gemacht!« Das waren nicht die trüben, trägen Wasser der Savanne, welche uns klar und hell mit fleißigen Sprüngen ereilten und uns mahnend zuplätscherten: »Wie du da oben meine Quelle suchst, so strebe immer nach dem Urgrund aller Dinge!« Und die Winde, welche uns bei jeder Biegung des Weges entgegenwehten und die Wangen kühlten, sie säuselten uns zu: »Du weißt nicht, von woher wir kommen und wohin wir gehen; uns leitet der Herrscher aller Dinge. So ist auch das Leben des Menschen; du kennst weder seinen Beginn noch seinen Verlauf; der Herr allein weiß es und leitet es!«
Nicht wahr, lieber Leser, ich bin doch ein ganz übermäßig frommer Mensch? So wirst du vielleicht denken; aber du wirst dich da wohl irren. Übermäßig? Nein! Die wahre Frömmigkeit kennt kein Übermaß; sie kann überhaupt gar nicht gemessen werden. Ich bin ein stets gern seelenvergnügter, heiterer Gesell und weiß gar wohl, wem ich diese Heiterkeit verdanke. Du darfst es mir wirklich nicht übelnehmen, daß ich das, was ich drüben im wilden Westen dachte und fühlte, hier in der von der »Civilisation« gebändigten Heimat niederschreibe. Was ich da drüben gethan und erlebt habe, das waren doch Ergebnisse meiner Gedanken und Gefühle, und wenn ich dir die Folgen erzähle, darf ich doch die Ursachen nicht verschweigen! Überdies hat jeder Leser das Recht, seinem Autor in das Herz zu blikken, und dieser ist verpflichtet, es ihm stets offen zu halten. So gebe ich dir das meine. Ist es dir recht, so soll mich's freuen; magst du es nicht, so wird es dir dennoch stets geöffnet bleiben. Soll ein Buch seinen Zweck erreichen, so muß es eine Seele haben, nämlich die Seele des Verfassers. Ist es bei zugeknöpftern Rock geschrieben, so mag ich es nicht lesen. –
Es war schon Nachmittag, als wir kurz vor einem Walde den Kontinentalweg erreichten. Wir kannten die sehr charakteristische Stelle, waren sicher, daß wir uns nicht irrten, und lenkten auf ihn ein. Bald befanden wir uns im hohen Walde, herrliche Tannen hüben und drüben, vor und hinter uns. Wir mochten uns wohl eine Viertelstunde in seinem Schatten befunden haben, als uns ein Reiter entgegenkam, ganz in leichtes Leinen gekleidet und mit einem sehr breitrandigen Sombrero auf dem Kopfe. Der Sombrero ist überhaupt in Colorado sehr beliebt.
Der Mann war jung, wohl nicht viel über zwanzig Jahre alt. Als er uns erblickte, hielt er sein Pferd an; sein scharfer Blick schien uns taxieren zu wollen. Bewaffnet war er nur mit einem Messer im Gürtel. Kurz ehe wir ihn erreichten, grüßte er uns:
»Good day Gents! Möchte fragen, wohin ihr wollt?«
»Bergauf,« antwortete ich.
»Wie weit?«
»Wissen es nicht genau. Wohl bis es dunkel wird und wir einen guten Platz zum Lagern finden.«
»Ihr seid Weiße und Rote. Darf ich eure Namen wissen?«
»Warum?«
»Weil ich Hilfe suche und sie nur bei Gentlemen finden kann.«
»So seid Ihr bei den richtigen Leuten. Ich heiße Old Shatterhand, und – –«
»Old Shatterhand?« unterbrach er mich schnell. »Ich denke, Ihr seid tot!«
»Tot? Wer sagt das?«
»Der, welcher Euch gestern abend erschossen hat.«
»Ah! Wo ist der Kerl?«
»Bei uns.«
»Ja, wo ist denn nun das?«
»Sollt es gleich erfahren, Sir. Wenn Ihr der Seid, auf den diese Leute geschossen haben, so kann ich mich auf Euch verlassen. Vater ist Black-smith. Wir haben uns vor einiger Zeit hierher gemacht, weil jetzt an diesem alten Wege ein gutes Geld zu verdienen ist. Es sind da oben in den Bergen neue Gold- und Silberfunde gemacht worden, und es kommen täglich Leute vorüber, welche hinauf wollen und einen Schmied brauchen. Es ist uns ganz gut gegangen bisher; wir sind zufrieden, nur daß manchmal Menschen bei uns anhalten, welche alles sind, nur keine Gentlemen. So schlimm aber wie heut diese sechs Kerls, hat es noch niemand getrieben. Sie kamen vor vier Stunden an, haben für sich arbeiten lassen und wollen nicht bezahlen. Die Schwester hat sich verstecken müssen, warum, das brauche ich nicht zu sagen. Den Vater haben sie eingesperrt, und ich habe alles herschaffen müssen, was zu essen und zu trinken im Hause war. Fleisch, Mehl, Brot werfen sie einfach auf dem Fußboden herum, und die Flaschen fliegen, noch ehe sie ausgetrunken worden sind, nur so durch die Luft. Es gelang mir endlich, zu fliehen, und nun wollte ich in das Deep hinab, um meinen Bruder zu holen, welcher dorthin nach Fischen gegangen ist.«
»Wißt Ihr vielleicht, wie die Kerls heißen?«
»Einer heißt Spencer; ein anderer wird General genannt.«
»Well! Ihr seid hier an die richtigen Leute gekommen und braucht nicht ins Deep zu reiten. Wir werden Euch helfen. Kommt!«
Er kehrte um, und wir ritten weiter. Nach einiger Zeit ging zu unserer rechten Hand der Wald zu Ende; linker Hand lief er noch weiter, indem er eine Krümmung machte und dann auch aufhörte. Wir hielten unter den letzten Bäumen an, weil einen guten, halben Büchsenschuß von uns ein Haus am Wege lag, dem man es gleich ansah, daß es eine Schmiede war. Es stieß eine Fenz daran, in welcher Pferde standen, wieviel, das konnten wir nicht sehen.
Winnetou sah mich fragend an. Es war kein Mensch außerhalb des Hauses; die Rowdies mußten also noch in der Stube sein; darum sagte ich:
»Das beste ist, wir überraschen sie. Also im Galopp hin, von den Pferden herunter, in das Haus hinein, und ihre Flinten weg, dann hands up! Vorwärts! Mr. Treskow bleibt vor der Thür bei den Pferden!«
Diese letztere Bestimmung traf ich, weil er kein Westmann war und bei dem hands up leicht einen Fehler machen konnte; auch mußte jemand die Pferde bewachen. Wir jagten vorwärts. Bei dem Hause angekommen, waren die andern im Nu aus dem Sattel; mit mir ging es etwas langsamer. Ich folgte ihnen. Das Innere bestand aus zwei Räumen, nämlich aus der Schmiedewerkstatt und der Stube; um in die letztere zu kommen, mußte man durch die erstere gehen. Als ich in die offene Stubenthür trat, standen die Kerls schon mit hochgehobenen Händen da; ich sah nur die Hände, nicht sie selbst, denn der Raum war klein; ich mußte unter der Thür stehen bleiben und hatte die Gefährten vor mir. Winnetou kommandierte eben:
»Wer den Arm sinken läßt, wird erschossen! Schahko Matto mag ihnen die Gewehre wegnehmen!«
Als dies geschehen war, gebot er weiter:
»Hammerdull nimmt ihnen die andern Waffen aus den Gürteln!«
Auch das wurde ausgeführt; dann befahl der Apatsche:
»Setzt euch längs der Wand nebeneinander nieder! jetzt könnt ihr die Hände niederthun; aber wer aufsteht, bekommt die Kugel!«
Jetzt schob ich Apanatschka und Holbers, welche mir im Wege standen, auf die Seite und trat vor. Da ertönte der Schreckensruf.
»Alle Teufel! Old Shatterhand!«
Es war Spencer. Er hatte mich bei Mutter Thick nicht gekannt, gestern aber, als er auf mich geschossen hatte, seinen Gefährten meinen Namen genannt; jetzt nannte er ihn wieder. Woher wußte er ihn? Diese Frage war jetzt nebensächlich; die Hauptsache war der Mann selbst. Ich sagte in strengem Tone zu ihm:
»Ja, die Toten stehen auf. Ihr hattet schlecht gezielt.«
»Gezielt –? Ich – –?« fragte er.
»Versucht nicht, zu leugnen; es hilft Euch nichts! Könnt Ihr Euch besinnen, mit welchen Worten Ihr bei Mutter Thick in Jefferson City Abschied von mir nahmt?«
»Ich – – weiß – – nicht – – mehr,« stammelte er.
»So will ich Eurem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. Ihr sagtet: ›Auf Wiedersehen! Dann aber hebst du die Arme in die Höhe, Hund!‹ Heut ist das Wiedersehen; wer aber hat sie hochgehalten, Ihr oder ich?«
Er antwortete nicht und sah vor sich nieder. Sein Gesicht sah aus wie dasjenige einer Bulldogge, welche Prügel bekommen hat.
»Heut rechnen wir freilich ganz anders ab als damals, wo Ihr nur die Zeche und ein zerbrochenes Glas zu berichtigen hattet,« fuhr ich fort. »Ihr habt mich verwundet; das kostet Blut.«
»Ich hab nicht auf Euch geschossen,« behauptete er.
Da zog ich den Revolver, richtete ihn auf ihn und sagte:
»Heraus mit dem Geständnisse! Wenn Ihr noch einmal lügt, so schieße ich. Seid Ihr es gewesen?«
»Nein – – ja – – nein – – ja, ja, ja, ja, ja!« schrie er um so ängstlicher, je näher ich ihm den Lauf an den Kopf hielt.
»Euer hinterlistiges Verhalten hat Euer Kamerad gestern mit dem Leben bezahlt. Womit werdet Ihr mir die Wunde wohl bezahlen, die ich Euch zu verdanken habe?«
»Wir sind quitt!« antwortete er trotzig.
»Wieso quitt?
Ihr habt mir die Hand zerschossen!«
Er hielt die verbundene rechte Hand empor.
»Wer war schuld daran?«
»Ihr! Wer sonst?«
»Ihr wolltet auf mich schießen, und ich kam Euch zuvor; das ist die Sache. Es war Notwehr von mir; ich hätte Euch erschießen anstatt bloß verwunden können. Wer und was hat Euch aber gestern zum Schuß gezwungen?«
Er schwieg.
»Wo ist der General?«
Douglas war nämlich nicht in der Stube; darum fragte ich nach ihm.
»Das weiß ich nicht,« antwortete er.
»Ihr müßt es wissen!
Er hat nichts gesagt, als er ging.«
»Also hinaus, fort ist er doch?«
»Ja.«
»Wann?«
»Kurz, ehe Ihr kamt.«
»Kerl, Ihr wißt, wohin er ist! Da Ihr leugnet, mache ich kurzen Prozess und gebe Euch die Kugel.«
Er sah den Revolver wieder auf sich gerichtet. Solche rohe, gewaltthätige Menschen besitzen gewöhnlich nicht den wahren Mut. Er hätte sich denken können, daß ich nicht schießen würde, selbst wenn er leugnete; aber die Feigheit preßte ihm das Geständnis aus:
»Er wollte dem Sohne des Schmiedes nach.«
»Warum?«
»Weil er glaubte, dieser werde Leute holen.«
»So ist er auch nicht fort, kurz ehe wir kamen?«
»Nein.«
»Sondern wann?«
»Gleich, als der Boy weg war.«
»Zu Fuße?«
»Nein; er holte sein Pferd, weil der Boy auch nicht zu Fuße fort war.«
»Nach welcher Richtung ist er fort?«
»Wir haben nicht aufgepaßt.«
»Well; die Sache wird sich bald aufklären, denke ich.«
Ich ging hinaus, um Treskow zu instruieren, für den Fall, daß der »General« zurückkommen sollte. Bei ihm stand der Schmiedssohn, der aus Vorsicht nicht mit hineingegangen war. Von links her kam ein Mädchen gegangen. Auf sie zeigend, fragte ich den Boy:
»Wer ist das?«
»Meine Schwester,« antwortete er.
»Welche sich vor diesen Rowdies versteckt hatte?«
»Ja.«
»Die muß ich fragen.«
Als sie herangekommen war, sagte ihr der Bruder, daß sie sich nun, weil wir da seien, nicht mehr zu fürchten brauche, und ich erkundigte mich:
»Wo habt Ihr gesteckt, Miß?«
»Drüben im Walde,« antwortete sie.
»Während der ganzen Zeit?«
»Nein.«
»Wo sonst?«
»Ich sah meinen Bruder fortreiten und wollte ihm nach. Da kam der Mann, welcher General genannt wurde, aus dem Hause und holte sein Pferd aus der Fenz. Als er aufgestiegen war, sah er mich und ritt auf mich zu. Ich floh zurück; er holte mich aber ein, als ich den Wald grad erreicht hatte.«
»Und dann?« erkundigte ich mich, da sie eine Pause machte.
»Dann kamen Reiter nach dem Hause.«
»Das waren wir. Hat er uns gesehen?«
»Ja. Er schien heftig zu erschrecken und stieß einen greulichen Fluch aus.«
»Erkannte er uns vielleicht?«
»Es schien so.«
»Hat er vielleicht in seiner Überraschung einen oder mehrere Namen genannt?«
»Ja. Ich glaube, er sprach von Old Shatterhand und einem gewissen Winnetou.«
»So hat er uns wirklich erkannt. Das ist unangenehm! Was that er dann?«
»Er ritt fort.«
»Ohne ein weiteres Wort zu sagen?«
»Er gab mir noch einen Auftrag.«
»An wen?«
»An Old Shatterhand.«
»Der bin ich. Was sollt Ihr mir sagen?«
»Das ist – – das ist – – – es würde Euch wahrscheinlich beleidigen, Sir.«
»Nein, gar nicht. Ich bitte Euch, mir jedes Wort genau zu sagen!«
»Er nannte Euch den größten Schuft auf Gottes Erdboden; er habe gar nichts dawider, falls es Euch beliebte, seine Begleiter aufzuhängen oder sonstwie zu töten, er aber werde mit Euch Abrechnung halten.«
»Das ist alles?«
»Weiter sagte er nichts. Aber daß er Euch so einen Schuft nannte, machte mir Angst auch vor Euch, und wenn ich nicht gesehen hätte, daß mein Bruder so lange und so ruhig vor der Thür stand, ohne daß ihm ein Leid geschah, wäre ich jetzt noch nicht gekommen.«
»Ihr könnt ruhig sein; man wird Euch nichts mehr thun.«
Ich ging wieder hinein, und der Sohn folgte mir.
»Nun, wißt Ihr, wo der General ist?« rief mir Toby Spencer entgegen.
»Ja,« antwortete ich.
»Wo?«
»Entflohen.«
»Ah! Wirklich entflohen?« fragte er in frohem Tone.
»Ja. Ich mache es nicht wie ihr; ich sage die Wahrheit gleich beim erstenmal.«
»Gott sei Dank; so bekommt Ihr ihn also nicht!«
»Heut nicht, später aber um so sicherer. Euch aber habe ich fest.«
»Pshaw! Ihr werdet uns gern loslassen!«
»Warum?«
»Aus Angst vor ihm.«
»Vor diesem Feigling, der ausgerissen ist, sobald er uns gesehen hat?«
»Ja. Er würde uns an Euch rächen!«
»Fällt ihm gar nicht ein! Er ist froh, daß er Euch los ist.«
»Das ist eine Lüge!«
»Pshaw! Er hat mir durch die Tochter des Schmieds sagen lassen, daß er sich gar nichts daraus mache, wenn ich Euch aufhänge oder Euch sonstwie an das Leben gehe.«
»Das glaube ich nicht!«
»Ob Ihr es glaubt oder bezweifelt, ist mir sehr gleichgültig. Jetzt zu einer andern Angelegenheit! Wo ist der Wirt dieses Hauses?«
»Da unten im Keller,« antwortete sein Sohn, indem er auf eine hölzerne Fallthüre zeigte, welche im Fußboden angebracht war.
»Ist er da eingesperrt worden?«
»Ja.«
»Mit Gewalt?«
»Ja. Sie haben ihn überwältigt und da hinabgeworfen.«
»Laßt ihn heraus!«
Es fehlte der Schlüssel. Spencer leugnete, daß er ihn eingesteckt hatte, gab ihn aber aus Angst vor meinem Revolver doch heraus.
In der Stube lagen Scherben von Flaschen, Gläsern, Töpfen und anderem Geschirr herum. Es war sehr wüst zugegangen. Als die Fallthür geöffnet worden war, kam der Schmied heraus, eine lange, starke, knochige Gestalt. Es hatte jedenfalls Anstrengungen gekostet, diesen Mann in das Verlies zu bringen, und er hatte sich gewehrt. Sein Gesicht war zerschlagen und zerkratzt; es blutete noch jetzt; er sah schrecklich aus. Nachdem er einen Blick um sich geworfen hatte und mir ansehen mochte, daß ich hier der Wortführer sei, wendete er sich an mich:
»Wer hat mich aus dem Keller gelassen?«
»Wir,« antwortete ich.
»Wie heißt Ihr?
Old Shatterhand.«
»Ist das nicht der Name eines bekannten Westmannes?«
»Ja.«
»Aber die Roten hier! Ist denen zu trauen?«
»Sie sind berühmte Häuptlinge ihrer Nation und gewohnt, jeden Bedrängten zu beschützen.«
»Well, so seid ihr zur rechten Zeit und an den rechten Ort gekommen, Mesch'schurs! Ist das nicht entsetzlich, daß rote kommen müssen, um einen ehrlichen Menschen gegen weiße Schurken zu beschützen? Ihr glaubt nicht, was das für armselige, niederträchtige Halunken sind!«
»Ich glaube es, denn wir kennen sie.«
»Ah?!«
»Ja. Wir haben auch eine Rechnung mit ihnen.
Ist sie groß?«
»Ziemlich. Der Kerl dort mit dem verbissenen Bulldoggengesicht hat gestern abend auf mich geschossen, um mich zu töten.«
»Gott sei Dank!«
»Wie? Ihr dankt Gott, daß er auf mich einen Mordanschlag verübt hat?«
»Ja. Warum sollte ich nicht?«
»Na! Nehmt es mir nicht übel, aber das ist ja sehr freundlich von Euch!«
»Ganz und gar nicht! Das werden diese Kerle bald erkennen. Ich danke Gott zweimal, nämlich das erste Mal dafür, daß Ihr nicht getötet worden seid, denn da habt Ihr kommen und mich hier herauslassen können, und das zweite Mal allerdings dafür, daß auf Euch geschossen worden ist, denn da habt Ihr das Recht, kurzen Prozeß mit dem Meuchelmörder zu machen, obgleich er Euch nicht getroffen hat.«
»Er hat mich getroffen!«
»Ah! Wirklich? Ist das wahr?«
»Ja.«
»Man sieht Euch aber nichts an!«
»Die Kugel traf mich hier in den Oberschenkel. Ich habe eine schwere Beinwunde davongetragen. Hier seht Ihr doch das Blut!«
»Gott sei Dank!«
»Schon wieder solch ein Dank?!«
»Ja, nun zum drittenmal!«
»Wofür?«
»Daß Ihr verwundet worden seid.«
»Hört, jetzt werdet Ihr wirklich ganz außerordentlich liebenswürdig!«
»Wie man es nimmt! Wenn er Euch wirklich getroffen hat, so geht es ihm an das Leben, und das freut mich natürlich ungemein!«
»Was habe ich davon?«
»Das Bewußtsein, daß ein Schurke weniger auf dem Erdboden ist.«
»Lindert das meinen Schmerz? Heilt das meine Wunde?«
»Hört, wollt Ihr ihn etwa laufen lassen?«
»Fällt mir nicht ein!«
»So sagt, was mit ihm geschehen soll!«
»Wir werden eine Savannenjury einsetzen, welche darüber zu entscheiden hat.«
»Das ist recht. Darf ich mit dazu gehören?«
»Dürfen? Ihr müßt sogar mit dabei sein. An Euch haben sie sich doch auch vergangen.«
»Und wie! Wenn es auf mich ankommt, wird ihnen ihr letzter Nagel eingeschlagen. Wann denkt Ihr, daß diese Jury zusammentritt?«
»Möglichst bald.«
»Am besten gleich jetzt!«
»Ist mir recht.«
»Wo?«
»Draußen vor dem Hause. Ein Savannengericht muß bekanntlich möglichst unter freiem Himmel stattfinden, wie Ihr gehört haben werdet.«
»Da reißen uns die Kerle aus!«
»Das sollten sie versuchen! Übrigens können wir sie ja binden.«
»Well! Das kann mir gefallen. Riemen und Leinen habe ich genug.«
»Soll ich sie holen?« fragte sein Sohn mit großer Bereitwilligkeit.
»Ja, hole sie! Sie hängen draußen.«
Da ergriff Toby Spencer das Wort:
»Thut nur nicht, als ob ihr unsere Richter sein und über uns aburteilen wollt! Ihr seid die Kerle nicht dazu. Binden lassen wir uns nicht!«
Da trat der Schmied zu ihm hin, hielt ihm die knochige Faust vor das Gesicht und sagte:
»Schweig, Kanaille! Wenn du etwa noch groß aufbegehren willst, mache ich außer der Jury noch einen Extratanz mit dir! Verstanden?«
Der Sohn brachte die Stricke und Riemen. Ich gab den Befehl:
»Bindet sie der Reihe nach, wie sie dasitzen! Wer sich wehrt, bekommt Hiebe!«
»Ja, hauen wir sie!« jubelte der Schmied. »Ich habe so mehrere schwanke Stöcke draußen; die mag der Boy auch hereinholen!«
Sein Sohn ging und brachte sie.
Das half. Sie schimpften zwar gewaltig, leisteten aber keinen thätlichen Widerstand; bald lagen sie, lang ausgestreckt, nach Westmannsart gebunden da. Der Schmiedeboy bekam den Auftrag, sie streng zu bewachen; dann gingen wir hinaus. Ich hatte die Absicht gehabt, die Rowdies mit hinauszunehmen; da dies aber zu umständlich gewesen wäre, unterließen wir es.
Nun traten wieder die alten Fragen und die schon wiederholten Gegensätze der Ansichten an uns heran. Ich hatte, zumal ich selbst verwundet worden war, keineswegs die Absicht, übermäßig human zu verfahren, aber sie verlangten alle, mit Ausnahme Winnetous, den Tod wenigstens Toby Spencers, und dazu konnte und wollte ich nicht ja sagen. Es gab eine lange und sehr erregte Debatte, bis endlich der Schmied, welcher sich wie ein »grimmer Hagen« gebärdete, aufsprang und rief:
»Ich sehe, daß wir noch morgen dasitzen werden, ohne einig geworden zu sein. Diese Menschen gehören zunächst mir, denn sie sind bei mir hereingefallen wie die Wilden und haben alles demoliert und mich verwundet. Ihr seht, daß mein Gesicht noch jetzt blutig ist. Ihr, Mr. Shatterhand, seid ein mir viel zu milder Herr; ich will Eurer Meinung aber Rechnung tragen und den Tod dieses Spencer nicht verlangen. Dafür aber erwarte ich, daß die Vorschläge, welche ich jetzt mache, angenommen werden.«
»Welche Vorschläge sind das?« fragte ich.
»Zunächst daß ich mich an ihrem Eigentum für alles schadlos halten darf, was sie mir vernichtet haben. Seid Ihr einverstanden, Sir?«
»Ja. Es versteht sich ganz von selbst, daß sie Euch entschädigen müssen.«
»Well! Nun kommt Spencer, der schuld an allem ist. Ihr wollt ihn nicht töten lassen, weil er Euch nicht ermordet, sondern nur verwundet hat. Ich halte das für eine Schwachheit von Euch, denn der wilde Westen kennt für Mörder keine Schonung, gleichviel, ob der Mord gelungen ist oder nicht. Wir wollen trotzdem eine Art von Gnade walten lassen. Er hat den Tod verdient, soll aber nicht direkt hingerichtet werden, sondern sich verteidigen dürfen.«
»Wie meint Ihr das?«
»Laßt ihn um sein Leben kämpfen!«
»Mit wem?«
»Mit mir.«
»Darauf werden wir wohl kaum eingehen können.«
»Warum nicht?«
»Er ist ein riesenstarker Mann.«
»Pshaw! Ich bin auch kein Kind! Oder meint Ihr, weil ich mich habe in den Keller stecken lassen? Sie überrumpelten mich und waren sechs Personen!«
»Mag sein! Ich sehe, daß Ihr gute Knochen habt. Der Kampf ist trotzdem ungleich.«
»Wieso?«
»Er ist ein Schurke, um den es nicht schade sein würde, und Ihr seid ein Ehrenmann, der Kinder hat, Ihr dürft Euer Leben nicht gegen das seinige einsetzen.«
»Das thue ich auch nicht. Die Ungleichheit, von welcher Ihr redet, wird durch die Waffen ausgeglichen, mit denen wir kämpfen werden.«
»Welche Waffen?«
»Schmiedehämmer.«
Schmiedehämmer! Welch ein Gedanke! Also um einen Cyklopenkampf sollte es sich handeln!
Ich gestehe aufrichtig, daß dieser Kampf dem Westmanne in mir sehr interessant vorkam, während ich als Mensch glaubte, ihn verwerfen zu müssen; aber dieser Zwiespalt in mir fand gar keine Zeit, zur Geltung zu kommen, denn meine Gefährten gingen mit großer Bereitwilligkeit auf den Vorschlag des Schmiedes ein. Ein Zweikampf, und noch dazu ein solcher, durfte nach dem Savannenbrauche nicht zurückgewiesen werden. Welch ein Schauspiel, diesen fest gefügten Grobschmied und Toby Spencer, welcher die Kräfte von drei, vier Menschen besaß, mit eisernen Hämmern gegeneinander losgehen zu sehen! Das hatte man noch nicht erlebt; das war noch nicht dagewesen! Man war sofort Feuer und Flamme. Hammerdull rief:
»Wunderbar großartiger Gedanke! Was für Schädel gehören dazu, solche Hiebe auszuhalten! ich stimme bei! Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Hm! Wenn du denkst, daß so ein Hammerwerk schönere Wirkungen hat, als wenn man mit wattierten Paradieshandschuhen abgesäuselt wird, so muß ich dir vollständig recht geben, lieber Dick,« antwortete der Lange.
Auch die andern waren einverstanden. Selbst der Häuptling der Apatschen sagte:
»Ja, sie mögen miteinander kämpfen. Winnetou wird nichts dagegen haben.«
So gab es für mich also kein Widerstreben; ich erteilte meine Einwilligung.
Da das eigenartige Duell nur im Freien stattfinden konnte, wurden die Rowdies herausgeholt. Als sie erfuhren, was beschlossen worden war, wollten sie zunächst nicht daran glauben; es wurde ihnen aber ihr Zweifel derart benommen, daß sie den Ernst unseres Vorhabens schnell erkennen mußten. Natürlich war es Spencer, welcher den lautesten Einspruch dagegen erhob. Er erklärte, daß er dagegen protestiere und auf keinen Fall mitkämpfen werde; da aber sagte ihm der Schmied:
»Ob du mitthun willst oder nicht, das geht mich gar nichts an. Sobald das Zeichen gegeben wird, schlage ich zu, und wenn du dich nicht verteidigest, bist du im nächsten Augenblicke eine Leiche. Mit so einem Halunken, wie du bist, wird kurzer Prozeß gemacht. Du wirst dich aber schon wehren.«
»Das ist aber doch der reine Mord!«
»Was war es anderes, als du gestern auf Old Shatterhand schossest?«
»Das geht doch Euch nichts an!«
»Sehr viel sogar, denn ich kämpfe an Stelle dieses Gentleman mit dir.«
»Warum da nicht lieber er selbst?«
»Weil du geschont werden sollst, was du freilich nicht verdienst. Wenn er sich herablassen wollte, mit dir zu kämpfen, wäre dein Tod gewiß. Bei mir aber giebt es für dich doch die Möglichkeit, mich zu überwinden.«
Der Rowdy maß die Gestalt des Schmiedes mit forschendem Auge und fragte dann:
»Was aber wird mit mir geschehen, wenn ich Euch totschlage?«
»Nichts. Der Sieger bleibt unbelästigt.«
»Ich kann dann gehen, wohin ich will?«
»Gehen, ja, aber nicht reiten.«
»Warum das?«
»Weil alles, was Ihr bei Euch habt, von jetzt an mir gehört.«
»Alle Teufel! Warum das?«
»Als Entschädigung für mein Eigentum, welches Ihr zu Grunde gerichtet habt.«
»Alles? Die Pferde und auch alles andere?«
»Ja.«
»Das ist Diebstahl! Das ist Betrug! Das ist ja der reine Raub!«
»Pshaw! Der Schaden, den Ihr angerichtet habt, muß bezahlt werden. Geld habt Ihr nicht; das weiß ich, denn Ihr habt vorhin wiederholt damit geprahlt, daß Ihr bei mir alles Vorhandene verzehrtet, ohne bezahlen zu können; da muß ich mich also an die Sachen halten, die Ihr mithabt.«
»Das ist aber viel, viel mehr, als der Betrag, der Euch gebührt!«
»Oh, das nehme ich nicht so genau! Ihr habt Euch in Beziehung auf Recht und Billigkeit ja auch nicht sehr hervorgethan. Jetzt kommen die Folgen!«
»Und das ist Euer Ernst? Das wollt Ihr wirklich, wirklich thun?«
»Mensch, frag doch nicht so dumm! Es fällt uns nicht ein, mit Euch zu scherzen!«
Da wendete sich Spencer an mich, den er für den humansten von uns hielt:
»Und auch Ihr seid im stande, eine so ungeheure Ungerechtigkeit zuzugeben?«
»Wollt Ihr etwa an mich appellieren?« antwortete ich in erstauntem Tone.
»Natürlich!«
»An mich, auf den Ihr geschossen habt?«
»Ja, trotzdem! Der Raub an uns hat gar nichts mit diesem Schuß zu thun!«
»Und ich habe nichts mehr mit Euch zu thun. Das könnt Ihr Euch wohl denken!«
»So hole euch alle der Teufel, alle, vom ersten bis zum letzten! Wenn ihr es in dieser Weise bis zum Äußersten treibt, so glaubt nur ja nicht, daß ich sanft mit diesem Schmiedeskelett verfahren werde! Es ist schon so gut, als ob sein Schädel in Stücken sei. Laßt uns anfangen! Laßt den Tanz beginnen!«
Sein Bulldoggengesicht war vor Wut tiefrot geworden, und er knirrschte so laut mit den Zähnen, daß wir es hörten. Der Schmied stimmte bei:
»Ja, ich will die Hämmer holen, dann werde ich ihn schmieden, ohne daß er glüht!«
Er ging in die Schmiede, und ich folgte ihm, um ihm einen guten Rat zu erteilen:
»Nehmt Euch in acht, Sir! Dieser Spencer ist ein starker und gefährlicher Kerl!«
»Pshaw! Ich fürchte mich nicht; ich weiß, daß er mir nichts anhaben kann!«
»Seid nicht so zuversichtlich! Ich denke, daß Ihr nur zuschlagen wollt?«
»Ja. Was sonst?«
»Ihr müßt gewärtig sein, daß er nicht nur zuschlägt, sondern den Hammer schleudert!«
»Das darf er nicht; das wird ausgemacht!«
»Wenn es auch untersagt wird, er thut es doch! Und wenn es geschehen ist, kann man es nicht mehr ändern. Würde es Euch hindern, wenn der Hammer angebunden wäre?«
»Woran gebunden?«
»Art die Hand, an den Arm, am besten an das Handgelenk, mit einem Riemen.«
»Das würde mich gar nicht hindern, ganz und gar nicht. Aber warum das?«
»Damit der Unehrliche nicht dem Ehrlichen einen Vorteil dadurch abgewinnt, daß er den Hammer wirft, anstatt nur zuzuschlagen. Ist es Euch recht?«
»Natürlich, ja! Wenn man nur Flucht behält, den Stiel bewegen zu können.«
»Dafür werde ich schon sorgen, denn ich werde binden. Also kommt!«
Als wir auf den Platz kamen, hatte man Toby Spencer schon losgebunden. Winnetou stand, einen Revolver in jeder Hand, vor ihm und drohte:
»Wenn das Bleichgesicht etwa eine Bewegung zur Flucht macht, schieße ich sofort!«
Ich band den beiden Duellanten die Hämmer so an die Handgelenke, daß sie mit ihnen zwar zuschlagen, sie aber nicht schleudern konnten. Dann zog ich auch einen Revolver und wiederholte die Drohung des Häuptlings der Apatschen.
Es war eine erwartungsvolle, hochgespannte Situation. Wir bildeten einen Kreis, in welchem die Zwei sich nahe gegenüberstanden, die großen, gleichschweren Hämmer in den Händen. Sie maßen sich gegenseitig mit den Augen; der Schmied war ruhig und kalt, Spencer dagegen in hohem Grade aufgeregt.
»Man soll nicht eher beginnen, als bis ich es sage!« befahl Winnetou. »Es sollen alle Vorteile gelten, und die Kämpfenden können auch die freien Hände gebrauchen!«
»Das ist gut; das ist sehr gut!« jubelte Spencer. »Nun ist mir der Kerl sicher!«
»Ja,« rief einer seiner Leute. »Wenn du auch mit der andern Hand zugreifen darfst, ist er geliefert. Nimm ihn nur bei der Gurgel; da geht ihm der Atem aus!«
»Halte den Schnabel!« fuhr ihn Dick Hammerdull an. »Wer hat dich denn nach deinem Senf gefragt? Du hast ruhig zuzusehen und gar nichts drein zu reden!«
»Oho! Man wird doch noch reden dürfen! Wozu hat man denn den Mund?!«
»Ob du einen hast oder nicht, das ist ganz egal, aber halten sollst du ihn, sonst stecke ich dir einen Knebel zwischen die Zähne; das merke dir!«
Ich war natürlich nicht weniger gespannt als die andern. Wer würde wohl Sieger sein? Toby Spencer hatte wohl die größere Körperstärke für sich, während der Schmied im Gebrauche der ungewöhnlichen Waffe geübter war; zudem zeigte der letztere eine Kaltblütigkeit, welche Vertrauen erweckte, während der Rowdy sich je länger desto aufgeregter zeigte.
Der Schmiedeboy stand mit seiner Schwester auch in unserm Kreise. Auf ihren Gesichtern war nicht die geringste Besorgnis um ihren Vater zu entdecken; das war auch ein Umstand, welcher mich für ihn beruhigte.
»Jetzt kann es beginnen!« sagte Winnetou.
Toby Spencer holte sofort zum Schlage aus und wollte zugleich mit der linken Hand nach der Kehle des Schmiedes greifen. Er hatte nicht in Betracht gezogen, daß sich dadurch die Kraft des Hiebes vermindern mußte. Der Schmied parierte durch einen Gegenschlag, so daß die Waffen zusammenprallten; sein Hammer fuhr nieder und traf Spencers linken Arm, der mit einem Ruf des Schmerzes zurückgezogen wurde.
»Hund!« brüllte dann der Getroffene, »war's nicht sofort, aber jetzt nun gleich!«
Er holte mit aller Gewalt aus, sprang vor und schlug zu; der Schmied wich zur Seite, so daß der ihm bestimmte Hieb fehlging; die Wucht desselben zog den Rowdy halb nieder, sodaß er seinen Rücken bog.
»Jetzt schnell, Vater!« rief der Boy.
Es bedurfte dieser Aufforderung gar nicht, denn der Schmied machte mit hoch erhobenem Hammer eine Viertelwendung nach seinem Gegner hin und schmetterte ihn mit einem einzigen Schlage zu Boden. Den Arm zum sofortigen zweiten Hiebe erhebend, stand er da, das Auge auf den an der Erde liegenden Feind gerichtet, welcher krampfhaft mit den Armen und Beinen zuckte und ein ängstliches, röchelndes Stöhnen hören ließ, da senkte er den Arm wieder, lachte kurz und verächtlich und sagte: »Da liegt der Kerl! Ich könnte ihm den Schädel zerschlagen, thue es aber nicht, weil er sich nicht mehr wehren kann. Er hat schon so genug!«
Ja, Spencer hatte genug! Er war weder betäubt noch gar tot; aber er schien die Macht über seine Glieder verloren zu haben. Er bekam die Fähigkeit zu willkürlichen Bewegungen erst nach einiger Zeit zurück und richtete sich langsam auf, indem er sich dabei mit dem einen Arme stützte; der andere war unfähig, dabei gebraucht zu werden.
»Verdamm – – – –!« gurgelte er dabei, indem er nur diese beiden Silben zwischen den Zähnen hervorbrachte. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck eines so tierischen Grimmes, wie ihn selbst ein zähnefletschender Coyote kaum hat.
»Ich habe ihm das Schulterblatt zerbocht,« meinte der Sieger. »Wenn er nicht daran zu Grunde gehen sollte, wird er wenigstens niemals wieder friedliche Menschen vergewaltigen können. Macht mir den Hammer ab!«
Er hielt mir die Hand hin, und ich band ihm das schwere Werkzeug los.
Jetzt stand der Rowdy aufrecht da, doch wankte er hin und her. Es schien alle Kraft aus seinem Körper gewichen zu sein; dafür kam ihm die Sprache zurück, und er machte von ihr in Flüchen und Verwünschungen einen solchen Gebrauch, daß ich ihm den Revolver an den Kopf hielt und drohte:
»Schweig augenblicklich, sonst jage ich dir eine Kugel in den Schädel!«
Er sah mir grinsend ins Gesicht, spie vor mir aus, wendete sich ab und wankte zu seinen Genossen hin, wo er haltlos zusammenknickte. Dick Hammerdull band ihn, ohne den geringsten Widerstand zu finden.
»Fiat justitia!« sagte Treskow. »Er hat, was er verdient, wenn auch nicht den Tod. Was thun wir nun mit ihm? Soll er verbunden werden?«
Er sah dabei Winnetou an. Dieser antwortete:
»Der Häuptling der Apatschen berührt diesen Menschen nicht!«
»Von mir hat er auch keine Hilfe zu erwarten,« erklärte ich.
»Well! Mag er sehen, wo er einen Arzt für seine Schulter findet!«
Da sahen wir vier Männer vom Walde her geritten kommen, einen jungen und drei ältere; sie hielten auf uns zu. Der Schmied sagte:
»Da kommt mein zweiter Sohn, welcher fischen gegangen ist, und die andern sind drei gute Bekannte, die nächsten Nachbarn von mir, was hier freilich etwas weitläufig gemeint ist. Die kommen mir eben recht, denn sie werden, wenn sie morgen von hier fortreiten, mich von diesen Gästen hier befreien, welche sich, ohne mich zu fragen, so ohne alle Zeremonien bei mir eingeladen haben.«
Der Sohn schien einen guten Fang gemacht zu haben, denn er hatte ein mit Fischen gefülltes Netz quer vor sich liegen. Er und seine Begleiter waren natürlich erstaunt darüber, gefesselte Menschen hier liegen zu sehen. Der Schmied erzählte ihnen in kurzen Worten, was geschehen war, und teilte ihnen dann auch den Wunsch mit, den er an sie hatte. Es traf sich sehr gut, daß die drei Männer nicht in der Schmiede bleiben, sondern weiter wollten. Sie hatten irgend einen Rechtshandel vor und wollten nach der Stadt, das heißt, was man dort und damals Stadt zu nennen beliebte. Sie mußten die ganze Nacht durch reiten, um am Morgen hinzukommen, und erboten sich, die Rowdies mitzunehmen, aber nicht etwa nach der Stadt, sondern sich ihrer unterwegs in der Weise zu entledigen, daß in verschiedenen Zwischenräumen einer nach dem andern freigelassen wurde. Auf diese Weise wurde verhütet, daß sich die Kerls so leicht und so bald wieder zusammenfinden und etwas gegen die Familie des Schmiedes unternehmen konnten. Die Söhne des letzteren sollten, weil der Transport der Gefangenen zu Pferde geschehen mußte, mitreiten, um dann die ledigen Tiere heimzubringen.
Es gab noch eine sehr bewegte und geräuschvolle Scene, als die Taschen der Rowdies geleert und sie selbst auf die Pferde gebunden wurden. Daß sie in dieser Weise und schon heut fortgeschafft werden konnten, war auch deshalb ein günstiger Umstand, weil zu erwarten war, daß die Tramps, welche jedenfalls unserer Fährte folgten, nach der Schmiede kommen würden. Diese sollten die Rowdies nicht finden und etwa gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen.
Es waren keine Segenswünsche, die wir von den Gefangenen hörten, als sie unter Begleitung der fünf Männer den Ort verließen, an welchem es ihnen erst so sehr und dann so wenig gefallen hatte. Noch besser freilich wäre es gewesen, wenn ihr eigentlicher Anführer, der »General«, nicht das Glück gehabt hätte, uns zu entkommen.
Dieser letztere war eine für uns so wichtige Person, daß sich Winnetou aufmachte, nach seiner Spur zu sehen. Es war schon dunkel, als er zurückkehrte. Er hatte die Überzeugung gewonnen, daß Douglas nicht die Absicht habe, sich in der Nähe der Schmiede herumzutreiben, denn seine Fährte hatte ununterbrochen geradeaus geführt. Dieser Mann fürchtete uns viel zu sehr, als daß es ihm hätte beikommen können, uns heimlich zu umschleichen, um zu sehen, was wir mit seinen Gefährten wohl beginnen würden. Er gab sie lieber preis, um nur so weit wie möglich von uns fortzukommen.
Winnetou brachte Wundkraut mit, welches er auf seinem Ritte gefunden hatte, und das war mir sehr lieb. Ich hatte, so lange die Rowdies bei uns waren, mehr auf sie als auf mich selbst geachtet; dann, als Ruhe eintrat, fühlte ich die Schmerzen meiner Wunde und jene mir nur zu bekannte Leere im Kopfe und im ganzen Körper, welche, wenigstens bei mir, dem Fieber voranzugehen pflegt.
Ich wurde wieder verbunden; das Wundfieber stellte sich aber doch in der Nacht ein; ich schlief viertelstundenlang, um dann immer wieder zu erwachen, und als ich am Morgen vom Weiterreiten sprach, schüttelte Winnetou, welcher bei mir gewacht hatte, den Kopf und sagte:
»Mein Bruder darf sich nicht zu viel zutrauen. Wir werden bleiben.«
»Aber wir haben keine Zeit.«
»Wenn es sich um die Gesundheit Old Shatterhands handelt, haben wir immer Zeit! Es ist besser, wir bleiben einen Tag hier und lassen die Kräuter wirken, als daß du später in den Bergen liegen bleibst.«
Er hatte recht, und so blieben wir bei dem Schmiede, der sich, natürlich nicht der Veranlassung wegen, herzlich darüber freute.
Seine Söhne kamen mit den Pferden zurück und erzählten, wie die Rowdies sich gesträubt hatten, mitten in der finstern Nacht so einer nach dem andern abgesetzt zu werden. Am weitesten hatten sie Toby Spencer fortgeschafft. Ich an ihrer Stelle hätte ihm wohl einen Gefährten zur Pflege gelassen; sie aber hatten nicht die Rücksicht gehabt, so menschlich gegen ihn zu sein, zumal sein Verhalten unterwegs nicht ein solches gewesen war, welches sie hätte zur Milde stimmen können.
Als die Kameraden drin in der Stube beim Mittagsessen saßen, welches aus Fisch und Wildbret bestand, lag ich vor dem Hause im Grase, denn ich hatte keinen Appetit, und im Freien war es mir lieber als zwischen den engen Wänden. Unsere Pferde standen innerhalb der schon erwähnten Fenz, wo sie reichliches Grünfutter bekommen hatten; sie konnten also von weitem nicht gesehen, wenigstens nicht als die unserigen erkannt werden, und so kam es, daß der Reitertrupp, welcher jetzt unter den letzten Bäumen des Waldes erschien, keine Veranlassung fand, die Schmiede, vor der ich lag, zu meiden. Es waren die Tramps. Cox und Old Wabble ritten voran, und der einstige Medizinmann folgte mit seiner Squaw hinterher.
Um nicht gesehen zu werden, stand ich nicht auf, sondern kroch in die Schmiede und ging von da in die Stube, um die Ankunft dieser lieben Freunde dort zu melden. Wir hatten dem Schmiede von unserm Zusammentreffen mit ihnen erzählt; darum sagte er jetzt:
»Bleibt hier, Gentlemen! Ich gehe allein hinaus. Was werden sie für Gesichter machen, wenn sie erfahren, wer sich bei mir befindet!«
Die Tramps hatten inzwischen das Haus erreicht. Sie riefen nach dem Besitzer und stiegen von den Pferden. Ihre Haltung dabei war keine sehr elegante. Dick Hammerdull kicherte in sich hinein und sagte:
»Sie fühlen noch die süße Erinnerung an unsere Stöcke. Es wäre ihnen jedenfalls lieber, hier eine Apotheke als eine Schmiede zu finden!«
Old Wabble sah, auch abgesehen von seinem halbversengten Kopfe, sehr leidend aus. Er war, außer der Squaw, allein noch nicht abgestiegen und saß matt vornübergebeugt im Sattel; er hatte das Fieber in noch höherem Grade als ich in der vergangenen Nacht. Als der Schmied hinaus zu ihnen kam, wurde er von Cox gefragt:
»Hört, Mann, ist gestern vielleicht ein Trupp von sieben Reitern hier bei Euch vorübergekommen?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
»Es waren drei Redmen dabei?«
»Stimmt!«
»Zwei tiefschwarze Rappen unter den Pferden?«
»Auch das ist richtig.«
»Ihr habt sie jedenfalls beobachtet und wißt, ob sie es sehr eilig hatten?«
»Nicht eiliger als Ihr.«
»Gut! Habt Ihr vielleicht ein Mittel gegen das Fieber im Hause?«
»Nein. Wir pflegen uns hier mit dem Fieber gar nicht abzugeben.«
»Aber Proviant ist bei Euch zu haben?«
»Leider nicht. Ich bin von einer Horde Rowdies vollständig ausgeplündert worden.«
»Das macht Ihr uns nicht weis. Wir werden selbst nachsehen, was zu finden ist.«
»Das muß ich mir verbitten. Dieses Haus gehört nicht jedem Fremden, sondern mir!«
»Laßt Euch nicht auslachen! Ihr werdet doch nicht denken, daß sich zwanzig Männer vor Euch fürchten! Wir wollen essen, und Ihr habt zu schaffen, was wir brauchen!«
»Ihr seid ja ungeheuer kurz! Wie steht's mit der Bezahlung? Habt Ihr Geld?«
»Geld?« lachte Cox. »Wenn Ihr Hiebe haben wollt, die sind da, Geld aber nicht!«
»Hm, daß Hiebe da sind, merke ich; ich sehe sie noch deutlich sitzen!«
»Mann, wie meint Ihr das?«
»Genau so, wie ich es sage.«
»Ich will, wissen, wie Ihr dazu kommt, von Hieben zu reden!«
»Wer hat angefangen, von ihnen zu sprechen? Doch ich wohl nicht, sondern Ihr!«
»Ach so! Ich dachte – – –! jetzt macht einmal Platz da an der Thür!«
»Der Platz an meiner Thür gehört mir und keinem andern!«
»Redet nicht dummes Zeug! Wir brauchen Fleisch und Mehl und andere Sachen, und Ihr werdet uns nicht verbieten, nach ihnen zu suchen!«
»Well, ganz wie Ihr wollt! Verbieten werde ich es Euch freilich nicht; ich denke nur, daß Ihr Euch über das Fleisch, welches Ihr findet, wundern werdet!«
»Keine Redensarten, sondern Platz gemacht!«
Der Schmied ließ sich vorwärts schieben; die Tramps drängten sich hinter Cox her. Als der Schmied zur Thüre hereingeschoben wurde, sagte er:
»Hier seht Ihr mein Fleisch. Es ist Menschenfleisch, lebendiges Menschenfleisch.«
Unsere Gewehre waren alle nach der Thür gerichtet. Cox sah uns und erschrak:
»Zurück, zurück!« rief er. »Macht doch zurück, ihr Kerls! Hier sind sie in der Stube, Old Shatterhand und Winnetou und alle andern auch!«
Die hinter ihm kamen, sahen uns auch; sie wendeten sich schleunigst um. Es gab ein Stoßen, Schieben und Drängen, zurück, wieder zum Hause hinaus; unser Lachen schallte hinter ihnen her. Draußen sprangen sie auf die Pferde und ritten schleunigst davon, schneller, als sie gekommen waren. Der letzte war wieder der Medizinmann, welcher das Pferd seiner Squaw am Zügel zog. Der dicke Hammerdull konnte es nicht unterlassen, ihnen durch das Fenster einen Schuß nachzusenden, indem er rief.
»Da machen sie sich fort, ohne Fleisch und ohne Mehl! Die Suppe ist ihnen versalzen! Habe ich da nicht recht, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Hm, bloß auf eine Suppe hatten die es gar nicht abgesehen! Die hätten es heut grad so wie gestern die Rowdies hier gemacht. Es ist ein wahres Glück für den Schmied, daß wir nicht fortgeritten, sondern hiergeblieben sind!«
»Ob ein Glück oder ein Unglück, das ist ganz egal, das bleibt sich sogar gleich, wenn nur sie kein Glück dabei gehabt haben!«
Winnetou war schnell hinaus und zu den Pferden; eine Minute später sahen wir ihn fortreiten, um den Tramps zu folgen. Ich wußte, warum er das so rasch that: sie sollten ihn sehen; sie sollten wissen, daß er hinter ihnen war und sie beobachtete. Dadurch benahm er ihnen die Lust, etwa heimlich umzukehren und uns zu belauern. Als er nach vielleicht zwei Stunden wiederkam, konnte er uns versichern, daß sie sich aus dem Staube gemacht und wir wenigstens in der nächsten Zeit nichts Feindliches von ihnen zu erwarten hätten.
Da wir uns nun sicher fühlen konnten und nicht zur gegenseitigen Hilfe bei einander zu bleiben brauchten, gingen Schahko Matto und Apanatschka fort, um »Fleisch zu machen«; sie hatten guten Erfolg. Winnetou blieb daheim, um sich nur mit meiner Blessur zu beschäftigen.
Erwähnen muß ich, daß schon seit dem Morgen das Feuer brannte, denn der Schmied hatte für unsere Pferde zu arbeiten, wobei ihm dann auch seine Söhne halfen. Wir befanden uns nicht mehr auf dem weichen Boden der Prairie und wollten hinauf in die Felsenberge, wo wenigstens für die Pferde der Bleichgesichter ein guter Hufbeschlag sehr nötig war. Unsere beiden Rappen bekamen stets, sobald es nötig wurde, die Eisenschuhe angeschraubt, welche eine Erfindung des Apatschen waren; sie und das dazu nötige Werkzeug befanden sich stets in unsern Satteltaschen. Wir hatten uns für den Fall, daß Späher irre zu führen waren, sogar Hufeisen mit Vexierstollen machen lassen, die uns schon sehr oft von Nutzen gewesen waren.
So verging die Zeit bis zum Abend, wo ich wieder das Fieber bekam, doch gelinder als früher und nur für kurze Zeit. Die Nacht durchschlief ich ganz, und auch Winnetou schlief bis früh. Als er dann die Wunde untersucht hatte, sagte er befriedigt:
»Die kräftige Natur meines Bruders und die Wundkräuter haben meine Erwartungen übertroffen. Dein Hatatitla hat einen sanften Gang, und so wie du zu reiten verstehst, können wir es wagen, aufzubrechen, ohne daß es dir Schaden macht, wenn wir nicht gezwungen sein sollten, auf ein Terrain zu gehen, wo der Ritt zu anstrengend wird. Wir werden öfter ausruhen als sonst.«
Er nahm einige Nuggets aus seiner verborgenen Gürteltasche, um den Schmied zu bezahlen. Dieser meinte, es sei zu viel, er wolle sich nur seine Arbeit, nicht aber seine Gastfreundlichkeit bezahlen lassen; der Apatsche aber nahm nichts zurück; seine Noblesse gab dies nicht zu. Mit den herzlichen Wünschen der vier braven Menschen versehen, setzten wir uns auf und ritten fort, dem Gebirge zu.
Es liegt nicht in der Absicht dieser Zeilen, malerische Schilderungen unsers Weges zu geben, der uns von jetzt an stets aufwärts führte. Wir kamen am Abende jenseits der vorlagernden Sandsteinberge an und befanden uns nun vor den eigentlichen Felsenbergen.
Es war uns nicht eingefallen, uns sehr darum zu kümmern, wohin die Tramps geritten seien. Es galt für uns, so bald wie möglich den Park von San Louis zu erreichen, und wir wußten oder ahnten vielmehr, daß wir Thibaut und die Squaw dort wiedersehen würden; die andern Personen konnten uns, Old Wabble ausgenommen, gleichgültig sein.
Nun mußten wir den alten Kontinentalpfad verlassen und uns seitwärts wenden; die Scenerie des Gebirges entfaltete sich in ihrer ganzen imponierenden Herrlichkeit um uns. Wir befanden uns in der Region der Taxodieenwälder und staunten oft über die außerordentliche Höhe der Bäume, obgleich dieselben noch lange nicht mit den riesigen Sequoias der Sierra Nevada zu vergleichen waren, unter denen es Giganten giebt, welche mehr als hundert Fuß im Umfang haben. Im Visalia-Distrikte steht eine Sequoia, welche einen Durchmesser von fünfunddreißig Fuß besitzt.
Wir ritten jetzt auf einer schräg hinaufziehenden, mehrere englische Meilen breiten Ebene, welche wie ein Dach zur Höhe stieg und vollständig von Wald bedeckt war. Das war nicht der in den Wipfeln dicht verschlungene, grüne überdachte Urwald des Nordens, sondern die riesigen Koniferen standen einzeln, weit auseinander, sich kaum mit den Wipfelrändern berührend; ihr Streben ging nur in die Höhe, nicht nach Vereinigung. Die Sonnenstrahlen fanden den Weg zwischen sie herein und ließen nicht jenes Dunkel aufkommen, welches den nördlichen Wäldern eigen ist. Wir ritten langsam und stetig diese schiefe Ebene hinan, die ich noch nicht kannte. Winnetou aber war schon dagewesen und verkündigte uns: »Jenseits dieser Höhe liegt das Kui-erant-yuaw, in welchem man zu jeder Zeit den Grizzly trifft. Kein roter Mann schlägt da gern über Nacht sein Lager auf, denn der graue Bär der Felsenberge mag nicht gern ein Feuer dulden und greift den Menschen an, ohne erst von ihm belästigt worden zu sein.«
»Werden wir da übernachten?« fragte Hammerdull.
»Nein.«
»Warum nicht? Ich hätte gar zu gern einen Grizzly geschossen.«
»Wir sind sieben Personen und müßten der Grizzlys wegen vier Wächter haben; da könnten nur drei von uns schlafen; wenn aber von sieben Männern, welche der Ruhe bedürfen, viere wachen müssen und nur drei schlafen dürfen, so ist das kein gutes Lager zu nennen.«
»Ob ich den Grizzly im Schlafe oder im Wachen schieße, das ist ja ganz egal, wenn ich ihn nur so treffe, daß er liegen bleibt.«
»Hat mein kleiner, dicker Bruder schon einmal ein Wild im Schlafe erlegt?«
»Hunderttausende! Wie oft habe ich geträumt, daß ich Büffels und andres Viehzeug gleich herdenweise geschossen habe! Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Ja,« nickte der Lange. »Du hast die Heldenthaten alle im Traume zu verrichten, und wenn du dann aufwachst, ist es mit dem Heldentum vorbei.«
»Blamiere mich nicht! Ich versuche wenigstens im Schlafe ein tüchtiger Kerl zu sein; du aber bleibst im Wachen und Schlafen das alte, ungeschickte Coon.«
»Ungeschickt? Bring mir den größten Grizzly her, den es auf Erden geben kann, so sollst du erfahren, wer geschickter ist, du oder ich!«
Die Art und Weise, in welcher Winnetou von den grauen Bären dieses Kui-erant-yuaw gesprochen hatte, interessierte mich in hohem Grade. Der Grizzly pflegt ja nicht in Gesellschaften beisammen zu leben; aus den Worten des Apatschen aber war zu entnehmen, daß man da schon mehrere zugleich getroffen hatte. Darum erkundigte ich mich bei ihm:
»Leben die Bären dieses Thales nicht so einsam wie diejenigen anderer Gegenden?«
»Kein Grizzly ist gesellig,« antwortete er. »Es zieht sich sogar seine Frau von ihm zurück, sobald sie junge hat, weil er ein sehr liebloser Vater ist und seine Kinder gern verzehrt. Aber wenn mein Bruder dieses Thal zu sehen bekommt, wird er sich nicht darüber wundern, daß die grauen Bären dort häufiger als sonst irgendwo anzutreffen sind. Wenn die Büffel der Felsenparks sich auf der Wanderung befinden, müssen sie durch das Kui-erant-yuaw ziehen; das lockt die Bären herbei und hält sie fest. Die Gegend ist so abgelegen und zugleich auch so verrufen, daß selten ein Jäger sie aufsucht; es giebt Beeren in großer Menge, welche der Grizzly liebt, und in den wilden Seitenschluchten des Thales kann er wohnen, ohne von seinesgleichen belästigt zu werden. Dennoch kommen, besonders zur Paarungszeit, furchtbare Kämpfe zwischen ihnen vor, denn man hat die Überreste der Besiegten gefunden, denen es anzusehen war, daß sie von keinem Jäger erlegt worden waren. Wenn wir Zeit hätten, würden wir da bleiben, um zu jagen.«
Ja, wir hatten leider keine Zeit, und dennoch war es uns vorbehalten, eine längere Dauer, als wir jetzt ahnten, in dem verrufenen Thal auszuhalten.
Wie hoch die schräg ansteigende Felsenwand war, welche unsere Pferde zu erklimmen hatten, läßt sich daraus ersehen, daß wir über eine Stunde brauchten, ehe wir die Höhe erreichten. Droben gab es ein lang gestrecktes, auch bewaldetes Plateau, welches von zahlreichen Klüften zerrissen wurde und sich jenseits sehr steil abwärts senkte.
Unten lag das »Bärenthal«, auf welches wir aber des Waldes wegen jetzt noch keine Aussicht hatten. Winnetou leitete uns nach einer der Klüfte, welche durch ein rauschendes Gebirgswasser gerissen worden war; sie fiel so schnell in die Tiefe, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Erwähnen muß ich, daß der Ritt von der Schmiede bis hierher mich nicht sehr angestrengt und das Fieber sich nicht wiederholt hatte. Schmerzen, und zwar nicht unbedeutende, verursachte mir die Wunde freilich, aber das war doch kein Grund, etwa anzuhalten oder gar auf dem Faulpelze liegen zu bleiben.
Unten angekommen, konnten wir einen Teil des »Bärenthales« überblicken. Es war da, wo wir uns befanden, wenigstens eine englische Meile breit. Auf seiner Sohle floß ein Creek, welcher von den rechts und links herbeirauschenden Bergwassern gespeist wurde. Zahlreiche von oben herabgestürzte Felsblöcke lagen zerstreut umher und boten mit dem sie umgebenden Strauchwerke den Tieren dieser Wildnis willkommene Verstecke. Zu beiden Seiten gab es Schluchten wie diejenige, in welcher wir herabgekommen waren. Einzelne breitwipfelige Riesenbäume ragten gen Himmel, und an den Thalwänden stieg der mit dornigem Gestrüpp unterholzte Wald zu den Höhen auf. Es konnte gar keinen bessern Aufenthalt für graue Bären geben, und daß diesen Tieren, falls sich jetzt welche hier befanden, reichlich Nahrung geboten war, das ersahen wir aus den Büffelfährten, welche zahlreich zu erkennen waren.
Die eigentliche Zeit der großen Büffelwanderung war noch nicht gekommen, aber die Bisons, welche sich während des Sommers auf den hochgelegenen und also kälteren Gebirgswiesen aufgehalten hatten, waren doch schon herniedergestiegen und durch das Thal gekommen. Der Buffalo, besonders in seinen älteren, starken Exemplaren, ist das einzige Tier, welches es mit dem Grizzly aufzunehmen wagt; der graue Bär erreicht eine Schwere bis zu zehn und der Bison eine solche bis über zwanzig Zentner; was für gewaltige Kämpfe mußte dieses stille, weit abgelegene Kui-erant-yuaw wohl schon gesehen haben!
Wir durchquerten es, ohne uns um die Büffelspuren zu kümmern, und hielten auf eine Seitenschlucht zu, weiche, wie Winnetou wußte, jenseits mit verhältnismäßiger Bequemlichkeit zur Höhe führte.
Auch sie hatte einen, allerdings kleinen, schmalen Spring, welcher sich in zahlreichen dünnen Kaskaden abwärts stürzte und uns den nötigen Raum zum Aufstieg ließ. Wir mochten die halbe Höhe erreicht haben, als der Apatsche, welcher voranritt, anhielt und vom Pferde sprang. Er untersuchte den vielfach zerrissenen, oft mit Gras und Moos bedeckten Boden mit ungewöhnlicher Sorgfalt und sagte dann:
»Wenn wir Zeit hätten, könnten wir uns jetzt das Fell eines grauen Bären holen. Er ist hier von rechts her quer über die Schlucht gewechselt und wird sein Lager wahrscheinlich da links drin in den Felsen haben.«
Wir waren natürlich alle auch schnell von den Pferden herunter, um die Spur anzusprechen. Winnetou wies die Gefährten mit den Worten zurück:
»Meine Brüder mögen stehen bleiben, um die Fährte nicht zu verderben! Nur Old Shatterhand mag her zu mir kommen!«
Ich ging hin. Es hatten die scharfen Augen des Apatschen dazu gehört, sie zu entdecken. Wir beide folgten ihr über den Spring hinüber, wo sie deutlicher wurde. Es mußte ein alter, sehr starker »Vater Ephraim« sein, von dem sie stammte. – Der Westmann nennt den Grizzly nämlich »Vater Ephraim«. – Die Spuren der gewaltigen Tatzen waren hier ganz deutlich zu sehen, und als wir ein Stück weitergeklettert waren, zeigten die von den Seiten herankommenden Gänge, daß wir wirklich das Lager des Bären vor uns hatten.
Ich fühlte große Lust, diesem Ephraim einen Besuch abzustatten, und sah Winnetou fragend an. Er schüttelte den Kopf und kletterte zurück. Wir mußten freilich annehmen, keine Zeit zu haben, und uns mit dem schweren Pelz des Bären zu schleppen, war auch nicht grad bequem. Als wir drüben wieder ankamen, sah ich die Augen Schahko Mattos und Apanatschkas leuchten; sie sagten aber nichts, doch Hammerdull fragte: »Liegt einer drüben?«
»Ja,« nickte ich.
»Well- den holen wir uns!«
»Nein; wir lassen ihn in Ruhe.«
»Aber warum? Ein Bärenlager zu finden, ohne das Nest auszunehmen, ist doch grad so, wie eine Bonanza zu entdecken und das Gold liegen zu lassen! Ich kann das wirklich nicht begreifen!«
»Wir müssen fort.«
»Ja, aber erst dann, wenn wir dem Kerl eins auf den Pelz gebrannt haben!«
»Das ist nicht so leicht und geht nicht so schnell, wie Ihr denkt, lieber Hammerdull. Ihr müßt in Betracht ziehen, daß wir dabei das Leben riskieren.«
»Ob wir es riskieren oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn er es uns nur nicht nimmt. Ich schlage also vor, daß wir uns jetzt mit – –«
»Mein Bruder Hammerdull mag uns folgen, ohne etwas vorzuschlagen,« unterbrach ihn Winnetou, indem er aufstieg und weiterritt.
»Welch ein großer Fehler!« brummte der Kleine mißmutig, indem er sich auf seine alte Stute schwang. »Haben das Nest so schön vor uns liegen und lassen die Eier drin! Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Daß das gefährliche Eier sind, lieber Dick. Lassen wir sie drin!« antwortete der Lange.
»Gefährlich? Möchte wissen! Ein Grizzly ist ein Grizzly, weiter nichts!«
Mir that es auch leid, dieses »Nest« liegen lassen zu müssen, ohne die Eier, wie er sich ausdrückte, ausnehmen zu dürfen; aber Winnetou hatte recht. Wenn wir auch nicht grad das Leben gewagt hätten, so muß man bei einer Begegnung mit dem grauen Bären auf einen Unfall doch immer gefaßt sein, und ich hatte an meiner Wunde schon genug!
Kurz, nachdem wir die jenseitige Höhe erreicht hatten, gelangten wir an den Rand einer jener Lichtungen, welche in den Rocky-Mountains »Parks« genannt werden. Dieser Park lief wohl zwei englische Meilen lang auf der Höhe hin und war durchschnittlich eine halbe Meile breit. Einzelne schattige Bäume oder Baumgruppen und boskettartig verteiltes Strauchwerk gaben ihm das Aussehen eines künstlich angelegten Geheges. Vom jenseitigen Rande an senkte sich der Wald allmählich wieder in ein breites Thal hinab.
Der Park war fast genau von Süd nach Nord gerichtet, und wir befanden uns in der nach Südost gelegenen Ecke desselben, von wo aus wir am südlichen Rande weiterritten, um noch vor Abend in das nächste Thal hinabzukommen und dort Halt zu machen. Indem wir dies thaten, sah ich im Nordwesten eine Krähenschar, welche, von Zeit zu Zeit über dem Walde in die Luft steigend, sich immer wieder niedersenkte, und zwar nicht an einer und derselben Stelle, sondern in fortlaufender Weise. Das mußte mir auffallen. Auch Winnetou hielt den Blick nach der betreffenden Gegend gerichtet, um die Krähen zu beobachten. Die andern wurden auch aufmerksam, und Schahko Matto sagte:
»Uff! Dort kommen Leute aus dem Thale herauf. Die Krähen fliegen von Zeit zu Zeit auf, weil sie von diesen Leuten gestört werden.«
»Die Vermutung des Häuptlings der Osagen wird wohl richtig sein,« antwortete ich. »Auch ich nehme an, daß dort Menschen kommen, und zwar nicht wenige, weil die Vögel sich vor zwei oder drei Personen nicht so sehr scheuen würden, wie es dort geschieht.«
»Müssen wir nicht zu erfahren suchen, wer es denn ist?«
»Eigentlich haben wir keine Zeit dazu. Wenn wir uns hier verweilen, kommen wir nicht vor Abend in das Thal hinab. Winnetou mag bestimmen, ob das Erscheinen so vieler Leute wichtig genug für uns ist, hier zu bleiben und sie zu beobachten.«
»Es müssen Indianer sein,« erklärte der Apatsche.
»Das ist für uns bedenklich! Was wollen sie auf dieser Seite des Gebirges? Wenn es wirklich Indianer sind, so können sie nur dem Volke der Utahs angehören, deren Paßpfade weiter nördlich liegen.«
»Mein Bruder Shatterhand hat recht. Was wollen sie hier? Wir müssen das zu erfahren suchen. Da wir aber nicht wissen, welche Richtung sie nehmen werden, wenn sie diesen Park erreicht haben, so müssen wir in den Wald zurück und da warten, bis sie kommen.«
Ich war, ein höchst seltener Fall, diesmal nicht mit Winnetou einverstanden; darum sagte ich in dem höflichen Tone, der unter Freunden erst recht geboten ist:
»Mein Bruder möge es verzeihen, daß ich lieber nicht hier warten möchte!«
»Warum nicht?« fragte er.
»Wenn wir hier warten und sie dann sehen wollen, müssen wir ihnen nachreiten, sobald sie den nördlichen Rand des Parks erreicht haben. Das giebt bis dorthin einen Weg von zwei Meilen. Da sie nicht halten, sondern weiterreiten werden, müssen wir ihrer Spur folgen, was sehr schwer sein wird, weil es inzwischen dunkel geworden ist.«
»Mein Bruder hat recht,« stimmte er bei.
»Ich möchte sie im Vorbeireiten beobachten!«
»Dazu ist die Zeit zu kurz. Ja, wir beide kämen noch hin, weil wir die besten Pferde haben, aber unsere Gefährten nicht.«
»So reiten wir allein, und die Kameraden mögen uns langsamer nachkommen. Da wir auf dem offenen Parke keine Spuren machen dürfen, haben sie sich längs dieses Waldrandes unter den Bäumen zu halten und sich drüben bei der andern Ecke, auch immer am Rande hin, nordwärts zu wenden. Sie sehen die hohe Baumgruppe, welche da oben hoch über den Wipfeln emporragt; dort mögen sie uns erwarten.«
»Winnetou. stimmt seinem Bruder bei; sie mögen dort auf uns warten, aber ja kein Feuer anzünden, durch welches sie sich verraten würden!«
Wir trennten uns also von ihnen und jagten unter den Bäumen des Waldrandes erst west- und dann, als wir die südwestliche Ecke erreicht hatten, nordwärts. Das wurde uns nur dadurch möglich, daß die Bäume nicht dicht beisammenstanden; dennoch mußten wir gut aufpassen, denn es gab hervorragende Wurzeln und maskierte Löcher genug, welche uns zu Falle bringen konnten.
Unser jetziger Weg war, da er eine Ecke bildete, fast drei Meilen lang, während es von da aus, wo wir die Krähen über dem Walde gesehen hatten, bis zum Parke nur wenig über eine halbe Meile war; aber die Ankömmlinge ritten bergauf, also wahrscheinlich langsam, und wir flogen in schlankem, wenn auch vorsichtigem Galoppe hin, so daß wir hoffen durften, noch vor ihnen an der nordwestlichen Ecke des Parks anzukommen.
Bevor wir diese erreicht hatten, hielten wir an, um unsere Pferde zurückzulassen. Wir banden sie an einer dazu geeigneten Stelle an und gingen dann zu Fuße weiter, bis wir an den obern Rand einer Vertiefung gelangten, welche hinunter in das Thal zu führen schien. Dies war jedenfalls der Weg, auf welchem die Erwarteten heraufgeritten kamen. Sie waren noch nicht vorüber, denn als wir uns zwischen den Sträuchern so weit vorschoben, wie es möglich war, und hinunter in die Vertiefung blickten, war keine Spur, weder eines Menschen noch eines Pferdes, zu sehen.
Erfreut darüber, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen waren, lauschten wir gespannt nach unten. Es dauerte nicht lange, so hörten wir die nahenden Schritte eines Pferdes. Sollten wir uns geirrt haben? Sollte es ein einzelner Reiter anstatt einer ganzen Schar sein? Höchst unwahrscheinlich! jedenfalls ritt einer als Späher voran.
Jetzt erschien er. Wir sahen erst seinen Kopf über das Gesträuch ragen, und dann erblickten wir ihn und sein Pferd in voller Gestalt. Es war ein Utah-Indianer, und zwar ein Häuptling; er hatte zwei Adlerfedern in dem Haarschopfe stecken. Sein Pferd – –
Mein Himmel! Sein Pferd –! ja, sah ich denn recht? Das war ja ganz genau, Haar für Haar, das Pferd, welches ich damals dem Häuptling der Komantschen aus dem Kaam-kulano entführt und später Old Surehand geschenkt hatte! Winnetou stieß mich an und sagte leise:
»Uff! Dein Komantschenpferd! Das Pferd unsers Bruders Surehand!«
»Ja, es ist es; es ist es ganz gewiß!« antwortete ich ebenso leise.
»Wenn sie ihn gefangen und getötet hätten!«
»Dann wehe ihnen! Kennst du diesen Roten?«
»Ich kenne ihn. Es ist Tusahga Saritsch, der Häuptling der Utahs vom Capote-Stamme. Ich habe ihn schon mehrmals gesehen.«
»Was für ein Krieger?«
»Nicht tapfer, sondern falsch und voller Hinterlist.«
»Wollen warten und seine Krieger sehen!«
Der Häuptling war vorüber. Nun kamen seine Leute, nach Indianerart, einer hinter dem andern. Wir zählten zweiundfünfzig Mann. In ihrer Mitte ritt auf einem alten Klepper – – – Old Surehand, an den Händen gefesselt und mit den Füßen an das Pferd gebunden.
Wie war er in die Hände der Utahs gefallen? Das fragten wir uns natürlich. Er sah leidend, aber keineswegs niedergeschlagen aus. Es war anzunehmen, daß er sich schon einige Tage bei diesen Roten befand, die ihn wahrscheinlich schlecht behandelt und ihm keine Nahrung gegeben hatten.
Es war jetzt nichts, gar nichts für ihn zu thun. Wir mußten sie vorüberreiten lassen, doch stand fest, daß wir alles zu seiner Befreiung aufzuwenden und zu wagen hatten. Als wir die Schritte ihrer Pferde nicht mehr hörten, krochen wir aus dem Gebüsch, um ihnen vorsichtig zu folgen. Es verstand sich natürlich ganz von selbst, daß wir erfahren mußten, wo sie ihr Lager aufschlagen würden.
Als sie den Park erreicht hatten, ritten sie am nördlichen Rande desselben hin, doch gar nicht weit; dann stiegen sie von den Pferden. Wir sahen bald, daß sie an dieser Stelle bleiben wollten, und kehrten darum zu unsern Pferden zurück, um nach der hohen Baumgruppe zu reiten, wohin wir unsere Gefährten bestellt hatten.
Sie waren schon dort angekommen und warteten auf uns. Es läßt sich denken, welchen Eindruck das, was wir ihnen erzählten, auf sie machte. Sie wollten wissen, was wir zu thun beschlossen hatten, doch konnten wir es ihnen nicht sagen, weil wir es selbst noch nicht wußten. Es kam ja alles darauf an, in welcher Absicht die Utahs hierhergekommen waren, was sie mit Old Surehand vorhatten und welcher Art Gelegenheit sich uns bot, ihm zu Hilfe zu kommen.
Zunächst mußten wir das nächtliche Dunkel erwarten, um sie ungesehen beschleichen zu können. Die Dämmerung war zwar schon nahe, doch mußte es für unser Vorhaben vollständig finster sein. Inzwischen sah Winnetou nach meiner Wunde, die er in zufriedenstellendem Zustande fand.
Als dann das erste, tiefe Dunkel des Abends hereingebrochen war, machten wir uns nach dem Lagerplatze der Utahs auf.
Wir gingen natürlich nicht über den offenen Park hinüber, sondern wieder am Rande desselben hin und bogen an der Ecke rechts ab. Nicht lange, so sahen wir mehrere Feuer brennen, deren Rauch wir schon vorher gerochen hatten. Daß sie nicht unter freiem Himmel, sondern unter den Bäumen angezündet worden waren, konnte uns nur lieb sein, weil uns eben diese Bäume Deckung gaben. Nur die Pferde waren draußen angehobbelt und wurden von zwei Roten bewacht, welche gelangweilt auf und ab spazierten.
Wir drangen links in den Wald ein, um von hinten an die Roten zu kommen, was uns ganz vortrefflich gelang. Es gab da hohe, kräftige Farnpflanzen, durch die wir uns bis fast ganz an sie heranschieben konnten. Freilich gehörte große Geschicklichkeit und viel Zeit dazu, dies zu thun, denn die geringste Berührung an den untern Teilen der Wedel hatte oben eine sehr auffällige Bewegung derselben zur Folge. Wir vereinfachten das, indem der Apatsche vorankroch und ich ihm folgte und wir uns erst dann trennten, als wir möglichst weit gekommen waren. Auf diese Weise hatten wir uns nicht zwei Wege, sondern nur einen zu bahnen und ersparten die Hälfte der Arbeit, welche auf unserm Rückzuge vorzunehmen war.
Mit dieser Arbeit meine ich die Vertilgung unserer Spuren. Die Indsmen durften morgen früh, wenn es hell geworden war, natürlich nicht sehen, daß sich jemand in den Farn befunden hatte. Wie schwer und zeitraubend eine solche Arbeit ist, brauche ich wohl nicht zu sagen. Es muß, indem man sich rückwärts bewegt, jede einzelne Pflanze, ja jeder einzelne Wedel gerichtet und auch der Boden von jedem Eindrucke der Hände und der Füße gesäubert werden.
Tusahga Saritsch saß, mit dem Rücken an einem Stamme lehnend und uns sein linkes Profil zukehrend, an einem Feuer, welches fast seine Füße berührte. Jenseits dieses Feuers war Old Surehand ihm gegenüber an einen Baum gebunden; außerdem hatte man ihm die Hände und die Füße gefesselt. Seine lange, braune Haarmähne hing ihm wirr und ungeordnet bis auf den Waldboden herab. Das gab ihm eine Ähnlichkeit mit Winnetou, noch größere aber – – – mit Kolma Puschi, dem geheimnisvollen Indianer, eine Ähnlichkeit, welche mir jetzt, da ich ihn vor mir hatte, geradezu auffallend vorkam.
Wir sahen an den herumliegenden Resten, daß die Utahs gegessen hatten. Wahrscheinlich hatte Old Surehand nichts bekommen. Es war für ihn ganz unmöglich, unsere Gegenwart zu ahnen; er wußte ja nicht, daß ich in Jefferson-City gewesen, dort von seinem Vorhaben gehört hatte und ihm nachgeritten war. Ich hätte ihm jetzt wohl ein Zeichen geben können, welches er von früher her kannte, war aber so vorsichtig, dies nicht zu thun, da ich die Größe seiner Überraschung in Berechnung ziehen mußte. Es war anzunehmen, daß er uns durch sie verraten würde.
Wir lagen über eine halbe Stunde lang, ohne etwas Wichtiges zu hören. Die Indianer sprachen miteinander, doch nichts, was uns interessieren konnte. Vom Zwecke ihres jetzigen Rittes war kein Wort dabei. Der Häuptling verhielt sich vollständig schweigend; er bewegte sich kaum einmal leise. Sein Gesicht und seine Gestalt schienen aus Holz geschnitzt zu sein. Nur in seinen Augen war Leben; sie blickten wieder und immer wieder mit dem Ausdrucke befriedigten Hasses zu dem Gefangenen hinüber. Dieser saß auch fast unbeweglich. Die Augenlider stets niedergeschlagen, hatte er das Aussehen, als ob er sich in einer so verächtlichen, ihm so gleichgültigen Umgebung befinde, daß es sich gar nicht verlohne, auch nur mit der Wimper zu zucken. Gab es ein bezeichnendes Wort für seine Haltung, so war es nur das eine: der personifizierte Stolz!
Nach der angegebenen Zeit war in der Ferne die Stimme eines Bergwolfes zu hören, worauf eine zweite, dann eine dritte und vierte Stimme antwortete. Dies gab dem Häuptling Veranlassung, sein Schweigen zu brechen:
»Hört das Bleichgesicht die Wölfe? Sie streiten sich um die Knochen, welche ihnen der Kui-eran von seiner Mahlzeit übrig gelassen hat.«
Old Surehand antwortete nicht. Der Häuptling der Utahs fuhr fort: »So werden sie sich morgen abend auch um deine Gebeine streiten!«
Da der Gefangene auch jetzt schwieg, fuhr ihn Tusahga Saritsch zornig an:
»Warum redest du nicht? Weißt du nicht, daß man zu antworten hat, wenn ein berühmter Häuptling den Mund öffnet, eine Frage auszusprechen?«
»Berühmt? Pshaw!« ließ sich Old Surehand jetzt verächtlich hören.
»Zweifelst du daran?«
»Ja.«
»So kennst du mich nicht!«
»Das ist es ja! Ich habe dich nicht gekannt, bis ich dich sah; ich hatte noch nicht ein einziges Mal deinen Namen gehört. Kannst du da berühmt sein?«
»Ist nur der berühmt, dessen Namen grad deine Ohren gehört haben?«
»Wer den Westen so kennt wie ich, kennt auch den Namen jedes berühmten Mannes!«
»Uff! Du willst mich beleidigen, nur damit ich dich schnell töte! Das wird aber nicht geschehen. Du sollst dem grauen Bären gegenüberstehen!«
»Damit du dich dann mit seinem Felle, seinen Ohren, seinen Krallen und seinen Zähnen schmücken und die Lüge sagen kannst, du habest ihn erlegt!«
»Schweig!. Es sind über fünfzig Krieger hier, welche wissen werden, daß ich ihn nicht getötet habe. Wie kann ich da so sagen, wie du sprichst?!«
»Wer feig ist, ist zu jeder Lüge fähig. Warum schickt ihr mich in das ›Thal der Bären‹? Warum wollt ihr nicht selbst hinunterreiten?«
»Wer uns Feiglinge nennt, ist ein Coyote, dessen Stimme wir verachten!«
»Wenn du von Verachtung redest, so verachte dich nur selbst!«
»Hund! Hast du nicht bei der Beratung gesessen und jedes Wort vernommen, als wir über dich beschlossen haben? Du hast unsere beiden Krieger ermordet, welche Vater und Sohn waren, der ›alte Bär‹ und der »Junge Bär‹ genannt. Beide trugen ihre Namen davon, daß sie den mächtigen grauen Bären des Felsengebirges erlegt hatten; sie waren sehr berühmte Krieger – –«
»Feiglinge waren sie!« fiel Old Surehand ihm in die Rede. »Feiglinge, die mich von rückwärts überfielen! Ich tötete sie, indem ich mich gegen sie wehrte, im offenen, ehrlichen Kampfe. Wäret ihr nicht so viele über mich gekommen, fünfzig gegen einen, und wäre ich auf diesen Kampf vorbereitet gewesen und nicht hinterrücks angegriffen worden, so hättet ihr mich anders kennen gelernt, als es geschehen ist!«
»Jeder rote Mann kennt die Bleichgesichter; sie sind blutdürstig und räuberisch wie die wilden Tiere und müssen als solche behandelt werden. Wer da glaubt, sie seien eines ehrlichen Kampfes wert, der wird von ihnen ausgelöscht. Du bist ein Bleichgesicht, doch vermute ich, daß du rotes Blut in den Adern hast; das aber sind die Schlimmsten, die es giebt.«
Diese Worte des Häuptlings frappierten mich. Old Surehand rotes Blut in den Adern! Er hatte nicht das Äußere und noch viel weniger den Charakter eines Mestizen; aber es hatte mir doch schon oft, wenn ich still und ihn beobachtend bei ihm saß, geschienen, als ob etwas Indianisches an ihm sei; ich hatte nur nicht finden können, worin das eigentlich lag. Nun sprach der Utah diesen Gedanken offen aus, und als ihm hierauf die Augen Old Surehands in tiefer, aber verhaltener Glut entgegenleuchteten, wurde mir wenigstens soviel klar: das waren Indianeraugen! Der Utah fuhr fort:
»Der Tod des ›jungen‹ und des ›alten‹ Bären muß gerächt werden. Wir können dich nicht mit nach dem Lager unsers Volkes nehmen, um dich dort am Marterpfahle sterben zu lassen, denn das liegt zu fern von hier; darum haben wir einen andern Tod für dich beschlossen: Du hast die beiden ›Bären‹ getötet und sollst nun dafür auch von den Bären getötet werden. Liegt darin etwa eine Feigheit von unserer Seite?«
»Darin nicht, aber in der Weise, in welcher ihr es ausführen wollt.«
»Das ist keine Feigheit, sondern eine Milde gegen dich!«
»Pshaw! Ihr getraut euch nicht in das ›Thal der Bären‹ hinunter!«
»Wahre deine Zunge, Hund! Ist es nicht ein großes Vertrauen, welches wir dir erweisen, indem wir dich zwei Tage lang früh allein fortgehen lassen und deinem Worte glauben, daß du abends wiederkommst?«
»Wie verhält sich dieses Vertrauen zu den Worten, welche du vorhin über die Bleichgesichter gesprochen hast? Warum schenkt ihr mir diesen Glauben?«
»Weil wir wissen, daß Old Surehand hält, was er versprochen hat. Er ist in dieser Beziehung ganz wie Old Firehand und Old Shatterhand.«
»Kennst du diese beiden weißen Jäger?«
»Ich habe keinen von ihnen gesehen; aber ich weiß, daß sie nie ihr Wort brechen würden. Ganz dasselbe weiß ich auch von dir. Ihr seid die einzigen Bleichgesichter, denen man Glauben und Vertrauen schenken kann, obgleich ihr wie alle Bleichgesichter doch Feinde der roten Männer seid. Glaubst du etwa, durch deine Reden unser Urteil über dich abändern zu können?«
»Dies zu glauben, fällt mir gar nicht ein. Ich kenne euch nur zu genau!«
»Du willst damit sagen, daß auch wir Wort zu halten verstehen. Es bleibt bei dem, was über dich beschlossen worden ist. Wir geben dich morgen früh, sobald es Tag geworden ist, frei, um in das ›Thal der Bären‹ hinabzusteigen. Du bekommst dein Messer und dein Gewehr. Am Abend kommst du zurück und darfst am nächsten Morgen wieder gehen, um am Abend abermals hier einzutreffen. Hast du in diesen zwei Tagen vier Bären erlegt, deren Felle du bringst, so ist dir das Leben geschenkt.«
»Das Leben, aber nicht die Freiheit?«
»Nein. Die Freiheit bekommst du erst dann, wenn du mit uns reitest und eine unserer Töchter zur Squaw nimmst. Wir haben durch dich zwei tapfere Krieger verloren, und dafür sollst du ein Krieger unsers Stammes werden, wenn du nicht von den Bären aufgefressen wirst.«
»Darauf gehe ich nicht ein; das habe ich euch schon wiederholt gesagt.«
»Das wird sich finden. Wir werden dich zu zwingen wissen!«
»Pshaw! Old Surehand läßt sich nicht zwingen!«
»Diesmal doch! Ich gebe dir mein Wort. Du wärst nur dann nicht zu zwingen, wenn du dein Versprechen brächest und nicht wiederkämst. Wir wissen aber, daß dies nicht geschehen wird. Du wirst nur dann nicht zu uns zurückkehren, wenn die Tatzen und die Zähne der Bären dich zerrissen haben.«
»Well! Ich werde nicht zerrissen und komme auf alle Fälle wieder. Hier grad am Waldesrande hin führt eine Schlucht in das ›Bärenthal‹ hinunter; da werde ich meinen Weg hinab nehmen und auf demselben auch zurückkehren. Sollte ich aber doch nicht wiederkommen, werdet ihr da nach mir suchen?«
»Nein. Kommst du nicht, so bist du tot und aufgefressen worden.«
»Ich könnte aber doch auch nur verwundet sein!«
»Nein. Ein Mensch, der so verwundet ist, daß er nicht gehen kann, muß unbedingt ein Fraß der wilden Tiere werden. Wir suchen also nicht!«
»Sag doch die Wahrheit ehrlich heraus: Ihr fürchtet Euch vor den grauen Bären!«
»Schweig! Sind wir nicht über fünfzig Krieger?! Es giebt keinen unter uns, der sich scheuen würde, den Grizzly allein anzugreifen. Woher soll die Furcht kommen, wenn wir so viele sind? Wir warten hier, ob du vier Felle bringst, für den ›Jungen Bären‹ zwei und für den ›alten Bären‹ zwei. Kommst du lebend, ohne sie zu bringen, so wirst du erschossen; kommst du nicht, so bist du tot, und die beiden ›Bären‹ sind gerächt. So wurde es beschlossen, und dabei wird es bleiben. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Er machte mit den Händen ein Zeichen, daß er nichts mehr hören wolle, und lehnte sich wieder an den Baum. Wir warteten noch über eine Viertelstunde, und als bis dahin keiner von ihnen den Mund wieder geöffnet hatte, wußten wir, daß nun nichts mehr zu erfahren sei und verließen in der vorhin angegebenen Weise unsern Lauscherposten.
Das Auslöschen unserer Spuren war nur dadurch möglich, daß die Utahs Feuer brennen hatten. Indem wir, tief am Boden liegend, gegen diese Feuer blickten, erhielten wir das dazu nötige Licht, und doch dauerte es wohl eine Stunde lang, ehe wir uns sagen konnten, daß am nächsten Morgen nichts mehr von unserer Anwesenheit zu sehen sein werde.
Wir hatten eben das Famgestrüpp verlassen und wollten noch eine Strecke weiter zurückkriechen, bis wo wir uns aufrichten konnten, als der Häuptling sich am Feuer emporrichtete und seine Befehle für die Nacht erteilte. Wir hörten, daß alle Feuer bis auf eines ausgelöscht werden und die Roten sich um dieses und den Gefangenen in einem Doppelkreise lagern sollten. Außerdem sollten zwei Wachen unausgesetzt um das Lager patrouillieren, weil die Nähe des »Bärenthales« die Möglichkeit zuließ, daß sich ein Grizzly hierher verirren könne.
Diese Vorsicht war allerdings geboten, zumal ein großer Teil der Utahs nur Lanzen, Bogen und Pfeile besaß, uns aber kam sie äußerst ungelegen. Nahmen wir uns vor, Old Surehand heut während der Nacht zu befreien, so wurde dies durch den Doppelkreis außerordentlich erschwert und durch die Posten, wenn wir nicht Blut vergießen wollten, fast unmöglich gemacht. Diese waren gewiß aus Angst vor den Bären doppelt aufmerksam, und wenn Winnetou und ich uns auch vorgenommen hätten, sie in unserer gewöhnlichen Weise zu überraschen, so mußten wir uns außerdem sagen, daß die anderen alle nur mit Sorgen, also leise schlafen würden. Die Art und Weise, in welcher ich Apanatschka aus der Hand der Osagen und Kolma Puschi uns aus der Gefangenschaft der Tramps befreit hatte, war hier unmöglich anzuwenden.
Während die Utahs die Befehle ihres Häuptlings ausführten, verursachten sie so viel Geräusch, daß wir uns leicht und unbemerkt entfernen konnten. Winnetou ging dann neben mir her, ohne ein Wort zu sagen. Er überlegte, doch wie ich ihn kannte, wußte ich, daß er nicht zu den Gefährten treten werde, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben.
Ich hatte mich nicht geirrt. Wir waren noch ziemlich weit von ihnen entfernt, da blieb er stehen und sagte in seiner bestimmten Weise:
»Mein Bruder Shatterhand ist überzeugt, daß wir heut nichts thun können?«
»Leider, ja,« antwortete ich.
»Die Überwältigung der Posten würde uns wohl gelingen; aber es sind auch noch zwei bei den Pferden, und die Utahs schlafen leise.«
»Es würde dennoch gehen, wenn wir es auf einen Kampf ankommen ließen und bei demselben unser Leben wagten. Ich bin aber nicht dafür.«
»Winnetou auch nicht. Was man ohne Wagnis bekommen kann, das soll man ohne Wagnis nehmen. Wir werden also warten bis morgen früh.«
»Da reiten wir in das ›Bärenthal‹ zurück?«
»Ja, um mit Old Surehand zu sprechen.«
»Welche Überraschung und welche Freude für ihn, wenn er uns sieht!«
»Sein Herz wird voller Wonne sein! Mit uns reiten aber wird er nicht.«
»Nein; er hält unbedingt sein Wort.«
»Uff! Von einem Grizzly wissen wir, wo er sein Lager hat. Man sagt, es seien im ›Bärenthale‹ stets mehrere zu finden. Wenn das wahr wäre!«
»Das ist eine außerordentliche, meines roten Bruders würdige Idee!«
»Dann könnte Old Surehand die Felle bringen!«
»Seine Lage würde aber dadurch auch nicht sehr geändert sein. Er soll in diesem Falle ja nur das Leben, nicht aber die Freiheit geschenkt erhalten.«
»Mein Bruder hat recht; wir sind auf alle Fälle gezwungen, ihn zu befreien. Aber wenn er die Felle erbeutet hat, kann er mit uns gehen, sonst nicht. Er hat nicht versprochen, mit zu den Utahs zu gehen und sich dort eine Squaw zu nehmen.«
»Gut, suchen wir morgen nach Bärenfährten! Aber da denke ich an unsere eigenen Spuren. Die Utahs werden morgen den ganzen Tag durch den Park schwärmen und den Ort entdecken, wo wir heut lagern.«
»Uff! Wir dürfen nicht da liegen bleiben. Wo aber gehen wir hin?«
»Wir müssen den Park und auch die Umgebung desselben vermeiden, weil unsere Spuren da unbedingt gefunden werden. Es giebt da nur zweierlei: Entweder reiten wir weiter, in das Thal hier hinab, aus welchem die Utah gekommen sind. Das geht nicht, wegen der Dunkelheit und weil wir morgen früh doch zurück müßten. Oder wir begeben uns wieder in das ›Bärenthal‹ hinab, wo wir morgen gleich an Ort und Stelle wären. Es ist das bei der jetzigen Finsternis freilich eine böse Sache, aber wir kennen die Schlucht noch von heut, und wenn wir die Pferde führen und recht langsam gehen, wird es sich vielleicht ermöglichen lassen. Freilich müssen wir dabei bedenken, daß der Grizzly sein Lager so nahe an unserm Wege hat. Ich meinerseits fürchte mich nicht.«
»Auch Winnetou läßt sich dadurch nicht abhalten, und wenn wir beide vorangehen, sind die andern sicher. Unsere Pferde würden die Nähe des Bären verkünden. Und gegen die Finsternis giebt es ein Mittel. Winnetou hat im obern Teile der Schlucht einen ganz dürren Tago-tsi stehen sehen, der uns Fackeln geben wird.«
»Schön! Also wieder in das ›Bärenthal‹ hinab?«
»Ja. Was den Bär betrifft, so würden wir sein Nahen wegen dem Geräusch des Springs nicht hören können, doch werden unsere Augen desto offener sein.«
»Und die Fährte, welche wir jetzt über den Park machen? Denn wir können uns nicht wieder an seinem Rande halten, sondern müssen ihn durchqueren.«
»Winnetou wird sie mit seiner Decke auslöschen. Howgh!«
Dieses Howgh besagte, daß wir mit unserer Beratung zu Ende seien, und wir gingen nun zu den Gefährten, um ihnen zu sagen, wen wir gesehen und was wir erfahren und hernach beschlossen hatten. Unsere Mitteilung brachte die von uns vorhergewußte Wirkung hervor, besonders bei denen, welche Old Surehand schon kannten, nämlich Apanatschka, Hammerdull und Holbers. Unser Bericht war ganz kurz gewesen; sie wollten ihn ausführlich haben; Winnetou wies sie mit den Worten zurück:
»Meine Brüder mögen warten, bis wir mehr Zeit haben als jetzt. Es gilt vor allen Dingen, unsere Spuren hier an diesem Orte zu vernichten, und das erfordert eine lange Zeit.«
Er machte sich mit Schahko Matto und Apanatschka an diese schwierige Arbeit, weil mir das Bücken Schmerzen bereitete; dann stiegen wir auf und ritten quer über den Park hinüber und auf die Mündung der Schlucht zu, aus welcher wir heut gekommen waren. Wir ritten in Indianerreihe, und Winnetou machte den letzten, um mit seiner am Lasso hinter dem Pferde herschleifenden Decke die niedergetretenen Gräser wieder aufzurichten. An der Schlucht angelangt, stiegen wir ab, weil die Pferde nun geführt werden mußten.
Winnetou ging jetzt voran, und ich machte den zweiten; die anderen folgten hinter uns. Des Bären wegen hielten wir die Gewehre schußfertig in den Händen. Oben auf der Höhe des Parkes war es der aufgegangenen Sterne wegen etwas heller als vorher; in der tief einschneidenden Schlucht aber herrschte eine Finsternis, daß ich Winnetous Pferd kaum sah, obgleich ich so nahe hinter demselben ging, daß ich seinen Schwanz fassen konnte. Hier bewährte sich der unvergleichliche Orts- und Spürsinn des Apatschen wieder einmal glänzend, leider ohne daß dieser Glanz uns leuchtete.
Es war trotz unserer an die Dunkelheit gewöhnten Augen ein sehr beschwerlicher Weg, der uns nur dadurch erleichtert wurde, daß wir, wie wir noch Wußten, nicht zuweilen den Spring zu passieren hatten; sein Plätschern konnte uns stellenweise sogar als Führer dienen. Endlich, nach ziemlich langer Zeit, blieb Winnetou vorn halten und sagte:
»Hier steht zu meiner linken Hand der dürre Tago-tsi. Meine Brüder mögen die Äste befühlen und diejenigen, welche viel Harz haben, zu Fackeln abschneiden! Ich werde indessen wegen des Grizzlybären wachsam sein.«
Da ich dem Baume am nächsten stand, fand ich zuerst einen kienreichen Ast und schnitt ihn los. Als ich ihn angezündet hatte, ging das weitere leichter von statten. Bald war jeder mit einigen Fackeln versehen, und nun gingen wir weiter, die Zügel über den Arm gehängt, die Leuchte in der einen Hand und das Gewehr in der andern.
Natürlich brachten wir abwärts viel, viel länger zu, als wir aufwärts gebraucht hatten. Es war eine außerordentlich phantastische Scene. Wir kamen an die Stelle, wo Winnetou die Bärenspur entdeckt hatte. Er leuchtete nieder; es waren keine neuen Eindrücke zu sehen. Wahrscheinlich behagte es dem alten Ephraim noch gut in seinem Lager, oder war dieses doch so weit entfernt, daß er uns weder sehen noch hören konnte; wir gelangten in das Thal hinab, ohne von ihm der geringsten Beachtung gewürdigt zu werden. Damit waren aber die Schwierigkeiten noch nicht überwunden, denn es mußte ein passender Lagerplatz für uns gefunden werden.
Die Äste waren verbrannt, und wir befanden uns wieder ohne Leuchten; aber das Thal war ja breit, und so genügte uns der Schein der Sterne, uns zurecht zu finden. Wir konnten annehmen, daß wir die einzigen Menschen hier im Kuierant-yuaw seien, und durften folglich auf die Vorsichtsmaßregeln verzichten, welche in der Nähe von Feinden geboten sind. Wir suchten also einen Lagerplatz nicht unter den Bäumen auf der Seite des Thales, sondern unter freiem Himmel in der Mitte desselben und fanden endlich eine Stelle, welche wir für passend hielten.
Es lagen da mehrere große Felsstücke so beisammen, daß sie zwischen sich einen von drei Seiten eingeschlossenen Platz bildeten, welcher Raum genug für uns und unsere Pferde bot. Es war also nur die freie, vierte Seite zu bewachen. Die Lücken zwischen den Felsen waren mit Brombeerstauden ausgefüllt, zwischen denen es eine Menge vertrockneten Grases gab. Da dergleichen Orte von Schlangen aufgesucht zu werden pflegen, steckten wir das Gras in Brand, welcher sich schnell über das ganze Gedorn verbreitete und uns erlaubte, unsern heutigen Aufenthalt auf das genauste zu untersuchen. Es waren wirklich mehrere Schlangen dagewesen; wir sahen sie vor dem Feuer fliehen und erschlugen sie. Jetzt hatten wir reines Lager und konnten uns sorglos niederlassen. Zwei mußten wachen. Ich sollte meiner Wunde wegen wieder davon ausgenommen werden, gab dies aber nicht zu und übernahm mit Hammerdull die erste Wache, welche zwei Stunden zu dauern hatte.
Wir setzten uns miteinander an die offene Seite der Felsen und legten die Gewehre griffbereit neben uns. Während die Gefährten sich nur kurze Zeit unterhielten und dann einschliefen, erzählte ich dem Dicken, was wir bei den Utahs belauscht hatten. Dann ging ich nach einem nahen Gebüsch, um die jungen Zweige desselben den Pferden als Futter zu holen. Darüber verging die Zeit, und als unsere zwei Stunden um waren, weckten wir Apanatschka und Holbers, welche nach uns kamen. Die nächste Wache sollte Schahko Matto mit Treskow übernehmen, während die vierte den Apatschen allein traf. Winnetou war mehr als genug, für unsere Sicherheit zu sorgen.
Ich wäre sehr gern eingeschlafen, brachte es aber nicht fertig. Nicht daß ich das Wundfieber wieder gehabt hätte, nein, aber mein Puls ging doch schneller als gewöhnlich, warum, das konnte ich nicht sagen. Es mußte doch an der Wunde liegen. Die beiden Wächter saßen grad da, wo ich mit Hammerdull gesessen hatte, und sprachen leise miteinander. Das Knuspern der Pferde an den Zweigen und zuweilen ein Stampfen der Hufe waren die einzigen Geräusche, welche die nächtliche Stille unterbrachen. Über uns glänzten die Sterne noch heller als vorher; die Felsen und die zwischen ihnen befindlichen Personen und Pferde waren deutlich zu erkennen.
Da sah ich, daß Winnetous Rappen seinen auf das Futter niedergesenkten Kopf mit einer raschen, auffälligen Bewegung in die Höhe hob. Gleich darauf bemerkte ich bei dem meinigen genau dieselbe Bewegung. Beide Pferde ließen ein ängstliches Schnauben hören und stellten sich so, daß ihre Hinterbeine mir zugerichtet waren. Sie witterten eine Gefahr, und zwar nahte sich dieselbe von daher, wo ich lag. Ein Mensch konnte es nicht sein, denn da wäre das Schnauben der Pferde ein leiseres, warnendes und nicht ein so ängstliches gewesen. Ich horchte.
Ich lag an einer Lücke zwischen den Felsen, die erst mit Dornen ausgefüllt gewesen, seit dem Brande aber offen war; sie hatte glücklicherweise nur eine so geringe Breite, daß man mit dem Arme hindurchlangen konnte. An dieser Lücke begann es jetzt draußen zu kratzen und zu scharren, so laut und kräftig, wie kein Mensch es vermocht hätte, und zugleich war jenes fauchende Schnüffeln zu hören, welches" ich so gut kannte, daß ich augenblicklich aufsprang, nach dem Bärentöter griff und dem Häuptling der Komantschen leise zuraunte:
»Apanatschka, ein Bär! Aber seid still, ganz still, und kommt näher heran!«
Der feinhörige Winnetou hatte im Schlafe mein Aufspringen bemerkt. Schon stand er neben mir, die Silberbüchse in der Hand.
»Ein Bär am Felsen hinter uns!« unterrichtete ich ihn.
Die andern schliefen weiter; sie hatten nichts gehört, und wir hielten es für besser, sie nicht zu wecken, da sie vielleicht Lärm gemacht hätten, wenigstens von Treskow war dies zu erwarten.
Apanatschka war mit Holbers zu uns herangekommen; sie hatten die Hähne gespannt. Winnetou gab ihnen die Weisung:
»Ihr dürft nur im Notfalle schießen. Für den Grizzly ist das Gewehr Old Shatterhands das beste; er hat also die zwei ersten Schüsse; dann erst komme ich daran. Ihr schießt nur, wenn ich es euch sage!«
Holbers zitterte vor Aufregung. Seine Stimme bebte, als er fragte:
»Wird er etwa über den Felsen geklettert kommen?«
»Nein,« antwortete ich. »Er wird ganz gewiß – – ah, da ist er schon! Seid still! Laßt mich machen!«
An der offenen Seite unsers Lagerplatzes kam eine dunkle, schwere Masse langsam um die Ecke getrollt; es war der Bär; er hielt den Kopf schnüffelnd zu Boden gerichtet. Unsere Pferde schnaubten laut vor Angst. Die beiden Rappen drehten sich um, die Hinterhufe zur Verteidigung ihm zugerichtet. Ich durfte noch nicht schießen; die Kugel mußte ihn zwischen die Rippen hindurch ins Herz treffen; dazu war notwendig, daß er sich aufrichtete. Ich that also einen Sprung auf ihn zu, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, wich aber auch rasch wieder zurück, denn der Grizzly ist trotz seiner scheinbaren Plumpheit ein außerordentlich schnelles Tier.
Meine Absicht wurde erreicht: Kaum hatte er mich gesehen, so stand er aufrecht da, nicht weiter als sechs Schritte von mir entfernt. Da krachte auch schon mein Schuß. Es war, als ob der Bär einen Schlag von vorn bekäme und hintenüberstürzen wolle; er stürzte aber nicht, sondern wankte hin und her und that dabei zwei Schritte vorwärts. Da gab ich ihm die zweite Kugel, die ihn niederwarf. Er zog, am Boden liegend, die Pranken an sich, als ob er jemanden umarmen und erdrücken wolle, wälzte sich auf die andere Seite, hierauf wieder herum, öffnete die Pranken und blieb dann liegen. Hierbei hatte er keinen Laut, nicht einmal einen Atemzug hören lassen. Der graue Bär hat keine eigentliche Stimme; der Kampf mit ihm ist meist ein stiller, stummer, doch grad das ist es, was diesen Kampf so »Rückenmark angreifend« macht, wie mein alter Sam Hawkens sich auszudrücken pflegte. Beim Donnergebrüll des Löwen schießt sich's besser!
»Er ist ausgelöscht!« sagte Winnetou. »Die Kugeln gingen ihm beide in das Leben. Doch nähert euch ihm noch nicht! Der Grizzly hat ein zähes Leben; es kehrt zuweilen auf Augenblicke wieder.«
Die Schläfer waren natürlich bei meinem ersten Schusse aufgesprungen. Schahko Matto war still, ganz nach stolzer Indianerart. Treskow, obgleich kein Feigling, hatte sich nach ganz hinten zurückgezogen. Hammerdull drängte sich zwischen die Pferde hindurch bis her zu mir und rief:
»Ein Bär! Alle Teufel, wirklich ein Bär! Und diesen Kerl hab ich verschlafen! Ich kann doch nur eine Minute weggewesen sein, als er kam. Ich war so müde! Ich bin zornig auf mich; ich bin wütend! Ich könnte mir mit beiden Händen Ohrfeigen geben!«
»Thue das, lieber Dick, thue das gleich!« ermahnte ihn Holbers.
»Schweig, altes Heupferd! Sich selbst zu ohrfeigen, dazu gehört weit mehr Geschick, als du zum Beispiel hast! Nein, daß grad mir so was passieren muß! Ich bin außer mir, ganz und gar, außer mir!«
»So geh in dich, daß du wieder zu dir kommst!«
»Ob ich in mich oder zu mir gehe, das bleibt sich gleich, wenn nur diese Bestie nicht so dumm gewesen wäre, erst dann zu kommen, als ich grad wieder eingeschlafen war! Wenn so ein Bär nicht mehr Verstand hat, wer soll ihn dann haben, frage ich dich?!«
So drollig er seinen Ärger ausdrückte, er meinte es doch ernst. Der kleine, dicke Kerl hätte sich gewiß nicht gefürchtet; er wäre sicher auf den Bären losgegangen! Damit ist freilich nicht gesagt, daß er ihn auch glücklich erlegt hätte. Unbedachtsamer Mut kann leicht gefährlich werden. Da Hammerdull dem lebenden Grizzly nicht hatte entgegentreten können, so ging er jetzt, trotz der Warnung des Apatschen, zu dem Toten hin, um uns zu zeigen, daß er sich nicht fürchte. Er drehte ihn, allerdings mit großer Kraftaufbietung, auf die andere Seite, zog ihm die Pranke hin und her und sagte:
»Er ist tot, Mesch'schurs, vollständig tot, sonst würde er sich das nicht gefallen lassen. Ich schlage vor, wir ziehen ihm die Handschuhe und die Stiefel samt seinem ganzen Fell vom Leibe herunter. Vom Schlafen ist doch jedenfalls nun keine Rede mehr!«
Da hatte er recht. Neben einem frisch erlegten Grizzly würde kein Jäger schlafen können. Wir mußten ein Feuer haben und gingen darum fast alle fort, um dürres Holz zu suchen. Als dieses dann brannte, sahen wir, daß es eine Bärin im Gewicht von gegen sieben Zentnern war, ein ausgezeichnet schönes Tier.
»Sie wird es sein, deren Fährte wir gesehen haben,« meinte Treskow.
»Nein,« antwortete Winnetou. »Die Spur war von einem viel schwereren Tier. Das ist nicht die Squaw des Bären, sondern er selbst. Wir werden ihn uns holen, wenn Surehand gekommen ist.«
Nun wurden die Messer gezogen, um der Bärensquaw die Handschuhe und die Stiefel samt dem Jagdrocke auszuziehen. Alle machten sich daran, nur Winnetou und ich nicht; wir sahen zu.
»Uff!« rief der Apatsche nach einer Weile, indem er aufsprang und hinaus in das Freie deutete. »Das Baby steht dort!«
Das Feuer leuchtete weit zwischen den Felsen hinaus, und sein Schein zeigte uns einen jungen Bären, welcher bei den Büschen stand, von denen ich das Futter für die Pferde geholt hatte. Er hatte die Größe eines mittleren Kalbes, nur daß er dicker war.
»Hurra, das Baby von dieser Lady!« schrie Dick Hammerdull, indem er aufsprang und hinausrannte, auf den Bären zu.
»Dick, Dick!« rief ich ihm nach. »Faßt ihn nicht; faßt ihn nicht an! Das Tier ist viel gefährlicher, als Ihr denkt!«
»Unsinn, Unsinn! Ich hab ihn schon; ich hab ihn schon!« schrie er zurück.
Ja, er hatte ihn schon, der Bär aber auch ihn! Erst wollte er ihn nicht loslassen, und dann konnte er es nicht. Wie sie einander gepackt hatten, das sah man nicht; sie wälzten sich im Grase, und dabei brüllte der Dicke:
»Woe to me! Help, Help! Das Vieh läßt mich nicht los!«
Apanatschka flog, das Messer in der Hand, hinaus und auf die beiden wohlbeleibten Helden zu. Mit der linken Hand zwischen Mensch und Tier hineingreifend, holte er mit der rechten zum tödlichen Stiche aus. Er mußte gut getroffen haben, denn wir sahen, daß der Bär liegen blieb,- Hammerdull aber sich aufraffte, um ergrimmt zu rufen:
»So eine Bestie! So ein unkultiviertes Viehzeug! Wollte es lebendig fangen, und richtet mich auf diese Weise zu! Habe meine ganze Kraft anwenden müssen, um nur seine Zähne von mir fernzuhalten! Dafür aber wird's gebraten und gegessen, ob's auch noch leibt und lebt!«
Er brachte das »Baby« an einem Beine herbeigeschleppt. Apanatschkas Messer hatte gut getroffen, grad in das Herz. Hammerdull sah nicht zum besten aus. Sein Anzug war vielfach zerfetzt und sein Gesicht zerkratzt; er blutete an den Händen, und auch von den Beinen liefen die roten Tropfen. Dieser Anblick brachte seinen Busenfreund, den langen Holbers, ganz aus der Fassung. Anstatt in mitleidigen Ausdrücken, machte sich seine Liebe in zornigen Vorwürfen Luft:
»Was hast du nur gemacht! Wie siehst du jetzt nur aus! Rennt der Kerl von hier fort, um einen Grizzly lebendig zu fangen! Solche Dummheit hat noch nie ein Mensch erlebt! Was mach ich nur mit dir? Du mußt doch den Verstand und noch viel mehr verloren haben! Denkst du denn nicht an deinen alten Holbers, der kein Blut von dir ersehen kann! Ist das deine Liebe zu mir, die du mir so oft gestanden hast? Machst du nicht durch solche Albernheiten dich und mich unglücklich durch und durch? Ist dir deine Haut dazu gewachsen, daß sie dir durch Bärenkrallen verschimpfiert werden soll? Was stehst du da und guckst mich an? Sprich! Rede! Gieb Antwort, Menschenkind!«
Hammerdull stand allerdings mit offenem Munde da und starrte seinem Liebling verwundert ins Gesicht. So eine lange Rede! Die Worte waren förmlich aus dem Munde heraus- und übereinander weggeflogen! Das konnte doch unmöglich der stille, ruhige, trockene Pitt Holbers sein! Hammerdull schüttelte den Kopf und antwortete:
»Pitt, alter Pitt, bist du's denn wirklich noch? Ich kenne dich doch gar nicht wieder! Du bist doch auf einmal ein Redner geworden, wie er im besten Buche nicht zu finden ist! Du bist ganz aus- und umgewechselt! Man hält es nicht für möglich! Hast du mich denn gar so lieb?«
»Natürlich hab ich dich so lieb, Dummkopf! Was denn?! Mußt du mir denn das anthun, daß du dich so zerkratzen lässest! Wie siehst du aus! Guck dich nur im Spiegel an! Ach so, es ist keiner da! Mit dir hat man nichts als Kummer, Sorge und Herzeleid! Und Freude? Pshaw! Freude kann man an dir gar nicht mehr erleben!«
»Schimpf nicht so! Ob du Freude oder Herzeleid an mir erlebst, das bleibt sich gleich, das ist ganz egal, wenn du nur überhaupt etwas an mir erlebst! Wer denkt denn, daß ein solches Hündchen solche Kräfte hat!«
»Hündchen! Ein Grizzly soll ein Hündchen sein! So, wie du hier Stehst, kann ich dich nicht länger sehen. Die Augen thun mir weh vor lauter Gram und Kummer über dich! So ein altes, liebes, zerschundenes Gesicht! Komm, Dick, geh mit zum Wasser! Ich wasch dich ab!«
Er faßte ihn am Arme und zog ihn fort, zum Creek, der gar nicht weit von uns vorüberfloß. Als sie wiederkamen, war der liebe Dicke abgespült; die Krallenrisse aber hatten nicht fortgewaschen werden können; auch war sein Anzug dadurch nicht ganz geworden.
»Sieht dieser Mensch nicht wie ein Landstreicher aus?« fragte Pitt. »Ich bitte Euch, Mr. Shatterhand, mir einen großen Gefallen zu thun!«
»Welchen?«
»Ihr habt Nähzeug dort im Sattelkissen. Bitte, es mir zu borgen, denn ich muß ihm natürlich seine zerrissenen Siebensachen zusammenflicken!«
»Gern; holt es Euch, Pitt Holbers!«
Er folgte dieser Aufforderung. Dann konnte man sehen, wie einer einfädeln wollte und doch eine halbe Stunde lang das Oer nicht fand. Hernach machte der liebe Mensch Stiche! Stiche, so weit auseinander wie die Straßenbäume! Nach dem zweiten Einfädeln hatte er keinen Knoten gemacht und nähte und nähte, ohne vorwärts zu kommen, bis ich ihn darauf aufmerksam machte, daß er den Faden immer wieder herauszog. Später belehrte ich ihn noch darüber, daß diese Stelle zu wibbeln, eine andere mit Hinterstichen und eine dritte überwendig zu nähen sei. Da warf er den Zwirnknäuel zornig fort, schob mir das Bein des Dicken hin und rief, mir die Nadel, die er mir nur reichen wollte, in den Finger stechend:
»Da habt Ihr Eure ganze Flickerei, Sir! Macht's selber, wenn Ihr's besser könnt! Wibbeln! Hinterstiche! Hat man schon so was gehört! Was giebt es denn wohl noch für Stiche, Mr. Shatterhand?«
»Kettenstiche, einfache und doppelte Steppstiche, Messerund auch Säbelstiche.«
»Die Messerstiche lasse ich mir gefallen; mit den andern aber könnt Ihr mir vom Leibe bleiben! Flickt den Kerl zusammen! Ich habe das Nähen satt!«
Was war die Folge? Ich saß fast bis zum frühen Morgen da und besserte die Jacke, Hose und Weste des dicken Bärenbabyjägers aus! Dazwischen wurde Bärenbraten gegessen. Die Tatzen, bekanntlich das beste von dem Bären, wurden eingewickelt, um aufgehoben zu werden, denn sie haben erst dann den höchsten Grad von Delikatesse erreicht, wenn die Würmer darin zu »wibbeln« beginnen. Ob jedermanns Geschmack?
Als der Tag graute, stiegen Winnetou und ich zu Pferde, um, den Rotschimmel Apanatschkas am Zügel führend, thalaufwärts zu reiten und die Ankunft Old Surehands zu erwarten. Wir hatten wohl zwei englische Meilen zurückgelegt, als wir links den Thalschnitt sahen, aus welchem er nach dem, was wir gestern erlauscht hatten, kommen mußte. Wir blieben in einiger Entfernung davon bei einem Gesträuch halten, hinter welchem wir uns und die Pferde versteckten, doch so, daß er unsern Augen nicht entgehen konnte.
Es lag ja die Möglichkeit vor, daß sich oben bei den Utahs irgend etwas Unvorhergesehenes ereignet oder der Häuptling seinen Plan geändert hatte; darum waren wir überaus gespannt darauf, ob der Erwartete kommen werde oder nicht. Es verging eine Stunde und darüber; da sahen wir endlich einen Menschen drüben unter den Bäumen gehen. Er kam nicht heraus ins Freie, und so konnten wir nicht deutlich erkennen, wer es war. Ich wagte dennoch laut zu rufen:
»Mr. Surehand! Mr. Surehand!«
Der Mann blieb stehen, aber nur einen Augenblick. Wenn er es war, so kam er sicher schnell herbei. Als Gefangener der Indianer mußte er ja froh sein, andere Menschen hier zu finden, zumal sie ihn kannten. Diese Annahme täuschte mich nicht. Als ich seinen Namen noch einmal, zum drittenmal rief, kam er eiligst unter den Bäumen hervorgesprungen und auf uns zugeschritten. Da wir uns nicht sehen ließen, blieb er auf halbem Wege stehen und rief uns zu:
»Wer ist da im Gebüsch? Wer hat meinen Namen genannt?«
»Ein Freund,« antwortete ich.
»Kommt heraus! Im wilden Westen muß man vorsichtig sein.«
»Hier bin ich!«
Bei diesen Worten ließ ich mich von ihm sehen; Winnetou aber blieb noch versteckt. Old Surehand erkannte mich sofort.
»Old Shatterhand! Old Shatterhand!«
Meinen Namen nennend, ließ er vor freudigem Schreck sein Gewehr fallen, kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zugerannt und zog, nein, riß mich förmlich an sein Herz.
»Welch eine Wonne, welch eine Freude, welch ein Glück! Mein Freund, Old Shatterhand, mein Retter früher und mein Retter nun auch jetzt!«
Bei jedem Worte schob er mich von sich ab und drückte mich wieder an sich. Seine Augen leuchteten; seine Wangen glühten. Er befand sich in dem Zustande allerglücklichster Aufregung und fuhr fort:
»Wer sollte es für möglich halten, daß Ihr jetzt, grad jetzt in den Rocky-Mountains seid, grad hier im ›Bärenthale‹! Wie freue ich mich, wie glücklich bin ich darüber! Habt Ihr einen besondern Grund zu diesem Ritte?«
»Ja.«
»Welchen? Bitte, sagt es mir!«
»Ich komme von Jefferson-City herauf.«
»Ah! Seid Ihr bei dem Bankier gewesen?«
»Ja.«
»Er sagte Euch, daß ich hier herauf bin?«
»Ja.«
»Und Ihr seid mir nach?«
»Natürlich! Jefferson-City, Lebruns Weinstube in Topeka, Fenners Farm und so weiter! Ihr seht, daß ich genau unterrichtet bin.«
»Gott sei Dank! Gott sei Dank! Nun bin ich gerettet! Ihr ahnt natürlich nicht, was ich meine. Ihr müßt wissen, daß ich Gefangener bin!«
»Des Häuptlings Tusahga Saritsch!«
»Wie? Ihr wißt –?« fragte er erstaunt.
»Heut und morgen entlassen auf Ehrenwort!« fuhr ich lachend fort.
»Er weiß es wirklich, wirklich!« rief er aus.
»Um vier Bärenfelle zu holen!«
»Aber – – aber, Sir – – sagt mir doch, wie Ihr das so wissen könnt!«
»Als Ihr gestern oben im Park bei dem Häuptling am Feuer saßet, haben wir drei Schritte von Euch in den Farn gesteckt und Euch belauscht!«
»Mein Himmel! Hätte ich das gewußt!«
»Wir haben jedes Wort gehört. Es war unmöglich, Euch schon diese Nacht loszumachen; darum sind wir noch gestern abend trotz der Finsternis wieder in dieses Thal herab, um Euch hier zu erwarten. Wie freuen wir uns darüber, daß Ihr gekommen seid!«
»Ihr sagt ›wir‹! Ihr sprecht nicht von Euch allein! Ist noch jemand da?«
»Ja.«
»Wer?«
»Kommt, ihn zu sehen!«
Ich führte ihn hinter die Sträucher. Als er Winnetou erblickte, stieß er einen Jauchzer aus und streckte ihm beide Hände entgegen. Der Apatsche drückte sie ihm in herzlichster Weise und bewillkommnete ihn:
»Winnetou ist froh in seiner Seele, seinen Bruder Old Surehand wiederzusehen. Wir glaubten, ihn erst droben im Parke von San Louis erreichen zu können, freuen uns nun aber um so mehr, dem Häuptling der Capote-Utahs zeigen zu dürfen, daß fünfzig von seinen Kriegern nicht genügen, Old Surehand festzuhalten!«
»Ich habe mein Wort gegeben, wiederzukommen!« warf Old Surehand vorsichtig ein. »Sie hätten mich ohne dasselbe nicht fortgelassen.«
»Wir wissen es. Old Surehand soll sein Wort nicht brechen, sondern zu ihnen zurückkehren. Dann aber werden Old Shatterhand und Winnetou auch zu den Utahs kommen und ihnen ein Wort sagen!«
»Ich muß bis morgen abend vier Grizzlyfelle bringen, sonst ist mein Leben verwirkt. Weiß das der Häuptling der Apatschen auch?«
»Wir wissen es. Old Surehand wird die Felle bringen. Damit dies möglich werde, mag er mir erlauben, mich jetzt einstweilen zu entfernen!«
Er bestieg sein Pferd und ritt davon, ohne zu sagen, warum und wohin. Ich wußte es trotzdem: Er wollte nach Grizzlyspuren suchen.
»Wohin reitet er?« fragte Old Surehand.
»Es gilt wahrscheinlich eine Überraschung für Euch, Mr. Surehand.«
»Welche?«
»Wenn ich es Euch sagte, würde es doch wohl keine Überraschung sein.«
»Well. Müssen wir hier auf ihn warten?«
»Nein. Wir reiten auch fort. Er wird uns später wiederfinden.«
»Ich gehe natürlich von Herzen gern mit Euch, darf aber dabei nicht vergessen, daß meine Zeit sehr kostbar ist, ungeheuer kostbar.«
»Wegen der Bärenfelle?«
»Ja.«
»Das hat noch Zeit, viel Zeit. Bitte, Euch auf diesen Rotschimmel zu setzen!«
»Ihr habt drei Pferde. Ihr seid nicht allein? Ist noch jemand bei Euch?«
»Ja.«
»Wer?«
»Wartet noch eine Meile! Ich denke, daß Ihr Euch freuen werdet, wenn Ihr den Besitzer dieses Pferdes seht. Es ist auch ein Bekannter von Euch.«
Während Winnetou thalaufwärts geritten war, wendeten wir uns wieder thalab. Natürlich hatte Old Surehand sein Gewehr vorher von da geholt, wo es ihm vor Überraschung vorhin entfallen war. Er merkte, daß ihn noch eine solche erwartete, und unterließ es darum, Fragen auszusprechen, welche ich ihm doch nicht beantwortet hätte. Als wir uns dem Lagerplatze näherten, sah ich Hammerdull in der Nähe desselben stehen. Old Surehand bemerkte ihn auch, erkannte ihn und fragt mich:
»Ist das nicht der alte Dick Hammerdull, Mr. Shatterhand?«
»Ja,« antwortete ich.
»Da ist höchst wahrscheinlich auch sein zweites Ich Pitt Holbers bei Euch?«
»Natürlich! Diese beiden Toasts sind ja unzertrennlich voneinander.«
»Ah, so ist das die Überraschung, die ich haben sollte! Ich danke Euch!«
Ich ließ ihn bei dieser Meinung. Hammerdull kam uns entgegengelaufen, hielt das Pferd Old Surehands an, reichte ihm die Hand empor und rief:
»Welcome, Mr. Surehand, Welcome in diesen alten Bergen! Hoffentlich habt Ihr Euern Dick nicht vergessen, seit wir uns nicht sahen!«
»O nein, lieber Hammerdull. Ich habe stets mit Vergnügen an Euch gedacht.«
»Ob mit Vergnügen oder ohne Vergnügen, das bleibt sich gleich, das ist übrigens ganz egal, wenn nur dabei Pitt Holbers auch in Euerm Herzen lebt!«
»Natürlich lebt er drin!«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Also wir alle beide?«
»Gewiß! Er, so lang wie er ist, und Ihr, so dick wie Ihr seid. Ist es so richtig?«
»Vollständig richtig! Kommt, und seht Euch den alten, guten Kerl 'mal an!«
Wir ritten vollends bis zum Lager und stiegen da von den Pferden. Hammerdull führte Old Surehand zwischen die Felsen hinein und rief triumphierend:
»Pitt Holbers, hier hast du ihn, altes Coon! Ich bringe ihn dir gebracht. Gieb ihm die Hand; aber falle ihm ja nicht um den Hals; denn von dir kommt man nicht wieder los; deine Arme reichen zweimal um jeden Menschen herum!«
Old Surehand hatte zunächst nur Holbers im Auge; als aber dann sein Blick auch auf Apanatschka fiel, gab ihm das Erstaunen einen Ruck.
»Apanatschka! Mein roter Bruder Apanatschka!« rief er aus. »Das – das – das hätte ich mir freilich nicht gedacht! Nun weiß ich freilich besser als vorhin, Mr. Shatterhand, was für eine Überraschung Ihr meintet! Mein roter Bruder mag mir erlauben, ihn zu umarmen!«
Die Augen des Komantschen strahlten vor Freude. Er öffnete die Arme, ohne ein Wort zu sagen. Sie hatten sich auf ihrem gemeinschaftlichen Ritte nach Fort Terrel liebgewonnen und drückten jetzt einander an die Herzen, ohne zu wissen, daß diese Herzen auch noch in anderer Beziehung zusammengehörten. Jetzt wurde natürlich auch Treskow begrüßt; dann stellte ich den Häuptling der Osagen vor. Dieser reichte ihm mit gewohnter Würde die Hand, nickte ihm freundlich zu und sagte, indem er mit der Hand auf die Bärenfelle zeigte:
»Mein Bruder Old Surehand soll den Utahs vier Häute bringen?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
»Hier liegen schon zwei davon.«
»Wer hat die Bären erlegt?«
»Old Shatterhand den großen und Apanatschka den kleinen.«
»Die gelten nichts; ich selbst muß sie töten.«
Da fragte ich ihn:
»Hat das der Häuptling der Utahs ausdrücklich von Euch verlangt?«
»Nein, ausdrücklich nicht.«
»So braucht Ihr Euch keine Skrupel zu machen.«
»Oh doch! Der Häuptling konnte nicht wissen, daß ich solche Helfer hier treffen würde. Er hat jedenfalls angenommen und auch gemeint, daß ich nur Felle von Bären bringen kann, die ich selbst getötet habe.«
»Was er im stillen gemeint oder angenommen hat, geht uns nichts an. Ihr habt Euch nach dem zu halten, was gesprochen worden ist.«
»Gesagt wurde allerdings bloß, daß ich vier Felle zu bringen habe.«
»So bringt sie ihm! Zwei werden sich wohl noch finden, denke ich.«
»Dieses kleine wird Tusahga Saritsch wohl nicht gelten lassen!«
»Warum?«
»Weil es von einem jungen Bären ist.«
»Es ist ein Fell, ein ganzes, ungeteiltes Fell, an welchem nichts fehlt, was dazu gehört. Er wird es gelten lassen müssen.«
»Und wenn er es doch nicht thut?«
»So werden wir ihn zwingen. Haltet Ihr es für ein Bärenfell?«
»Natürlich!«
»So ist's ja gut! Es handelt sich um Euer Wort, und bei der Einlösung desselben kommt es nicht darauf an, was die Utahs denken, sondern darauf, ob Ihr selbst der Ansicht seid, Euer Wort gehalten zu haben.«
»Das habe ich, wenn ich vier Felle bringe, gleichviel, wer die Tiere erlegt hat. Ich gebe Euch recht, daß ich mich nur nach dem Wortlaut zu richten habe.«
»Und nicht einmal das! Es giebt noch eine andere Anschauung der Sache.«
»Welche?«
»Daß Ihr gar keine Pelze zu bringen braucht.«
»Hm!«
»Ja; das ist doch leicht einzusehen. Was soll geschehen, wenn Ihr kein Fell bringt?«
»Ich soll erschossen werden.«
»So bringt doch keins! Wir werden dafür sorgen, daß man Euch nicht erschießt.«
»Das ist freilich richtig. Aber wenn Ihr in dem betreffenden Augenblicke nicht zur Hand seid, so bin ich verloren, Mr. Shatterhand!«
»Wir werden schon dafür sorgen, daß wir zur Hand sind. Ihr braucht nur nicht eher zurückzukehren, als bis wir bereitstehen. Gebt Euch diesen Roten gegenüber nur nicht mit überflüssigen Bedenklichkeiten ab! Was haben sie denn Euch versprochen? Wenn Ihr Euer Leben viermal wagt und vier Grizzlys tötet, erhaltet Ihr nur das Leben, die Freiheit aber nicht. Ist das gerecht?«
»Allerdings nicht!«
»Ihr habt weiter nichts versprochen, als zurückzukehren. Dieses Wort müßt Ihr halten, wie auch ich es halten würde. Mehr verlangen kann man und könnt auch Ihr selbst von Euch nicht. Es ist überhaupt jetzt nicht Zeit, uns mit diesen überflüssigen Dingen abzugeben. Ich bin überzeugt, daß es etwas giebt, was viel nötiger für Euch ist.«
»Was?«
»Das Essen.«
»Da habt Ihr freilich recht,« antwortete er lächelnd. »Die Roten haben mich sehr kurz gehalten und mir in drei Tagen keinen Bissen gegeben.«
»So eßt Euch zunächst tüchtig satt! Das Weitere wird sich finden.«
Er bekam vorgelegt und aß mit einem Appetite, welcher allerdings auf ein dreitägiges Fasten schließen ließ. Ich hatte ihn dabei absichtlich so plaziert, daß ich den Gefährten, ohne daß er es hörte, eine Bemerkung zuflüstern konnte, die ich ihnen eigentlich schon hätte machen müssen, ehe ich fortritt, ihn zu holen. Ich sagte ihnen nämlich, daß sie die Worte Tibo taka, Tibo wete, Wawa Derrick und Myrtlewreath ja nicht gegen ihn aussprechen sollten. Ich hatte meine Gründe dazu. Als ich diese Aufforderung auch an Apanatschka richtete, sah er mir mit einem ganz eigentümlichen, träumerisch forschenden Blicke in das Gesicht, sagte aber nichts. Ging ihm jetzt vielleicht eine Ahnung dessen auf, was ich ganz allein zu wissen glaubte? Unmöglich war dies ja nicht!
Wir hatten die Pferde jetzt freigelassen. Sie grasten am Wasser, und wir lagerten uns draußen vor den Felsen, um sie im Auge zu haben und vorkommenden Falles mit unsern Gewehren beschützen zu können. Nun wurde erzählt, persönliche Erlebnisse von den Anwesenden und Ereignisse, die uns alle interessierten, aber nichts, was für die Entwickelung der gegenwärtigen Verhältnisse von Bedeutung war, ausgenommen den Bericht Old Surehands, wie er in die Hände der Utahs gefallen war.
Er hatte den ganzen, weiten Ritt allein gemacht und heut vor vier Tagen an einer Quelle gelagert, in deren Umgebung keine Menschenspur zu finden gewesen war. Sich darum sicher fühlend, war er eingeschlummert, aber plötzlich von zwei Roten, einem alten und einem jungen, die mit gezückten Messern neben ihm knieten, aufgeweckt worden. Er hatte, sie auf die Seiten werfend, sich emporgeschnellt und den Revolver gezogen; sie waren trotzdem wieder mit den Messern auf ihn eingedrungen, und so hatte er, um sich zu retten, sie niederschießen müssen. Im nächsten Augenblicke aber war er von fünfzig weiteren Roten umgeben gewesen, welche ihn so umdrängten, daß er sich trotz seiner bedeutenden Körperkraft nicht wehren konnte. Der Revolver war ihm entrissen und er selbst dann niedergerungen und gebunden worden. Das weitere zu erzählen, war nicht notwendig, wir hatten es gestern droben im Lager der Utahs belauscht.
Während dieser Unterhaltung verging die Zeit. Es wurde Mittag, und kurze Zeit darauf kam der Apatsche geritten. Er sprang vom Pferde und fragte mich:
»Hat unser Bruder Surehand alles erfahren, was er für jetzt wissen muß?«
»Ja alles,« antwortete ich.
»Will er diese zwei Bärenfelle nehmen?«
»Ja.«
»Wir werden noch zwei andere holen. Jetzt mögen mich meine Brüder Old Shatterhand und Apanatschka begleiten.«
»Wohin?«
»Das Lager des Bären zu finden, dessen Spur wir gestern gesehen haben.«
Da fragte Dick Hammerdull schnell:
»Und ich soll nicht mit?«
»Nein.«
»Warum?«
»Die Schlucht ist eng, und überflüssige Männer würden nur im Wege sein.«
»Dick Hammerdull ist niemals im Wege! Haltet Ihr mich für einen unnützen Kerl oder für einen Feigling, welcher die Flucht ergreift, sobald er nur die Nase eines Bären zu sehen bekommt?«
»Nein; aber Dick Hammerdull besitzt zuviel Mut; er kann uns durch seine übergroße Tapferkeit leicht viel Schaden machen. Das Baby der alten Bärin hat ihm eine sehr gute Lehre gegeben.«
»Ob Lehre oder ob nicht Lehre, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; ich verspreche aber, daß ich sie sehr beherzigen werde!«
Der kleine Kerl bat so eindringlich, daß Winnetou sich zu der Entscheidung erweichen ließ:
»So mag mein dicker Bruder mitgehen; aber wenn er einen Fehler macht oder mir nicht gehorcht, nehme ich ihn nie wieder mit!«
Holbers und Treskow fühlten sich dadurch, daß sie bleiben sollten, nicht beleidigt. Schahko Matto aber fragte mißmutig:
»Glaubt Winnetou, daß der Häuptling der Osagen ganz plötzlich ein unbrauchbarer Krieger geworden ist?«
»Nein. Weiß Schahko Matto nicht, warum ich ihn hier lasse? Wer schützt unsere Pferde, wenn während unserer Abwesenheit ein Bär erscheint oder vielleicht menschliche Feinde kommen?«
Auf Holbers oder gar Treskow war da allerdings kein Verlaß. Der Osage fühlte sich gehoben und antwortete in stolzem Tone:
»Den Pferden wird nichts geschehen. Meine Brüder können ohne Sorge sein!«
Wir fünf nahmen also unsere Gewehre und gingen. Nach vielleicht zehn Minuten erreichten wir die Schlucht und drangen in dieselbe ein. Aufwärts steigend, suchten wir jedes Geräusch zu vermeiden, und waren um so vorsichtiger, je höher wir kamen. Der kleine Dick ging als der zweite gleich hinter Winnetou; er zeigte ein höchst zuversichtliches Gesicht. Wenn es auf dieses Gesicht ankam, so rissen alle grauen, schwarzen, braunen und sonstigen Bären aus!
Bei der gestrigen Stelle angelangt, wurde unser Weg eine Strecke auf- und eine Strecke abwärts sehr genau untersucht. Es war nichts zu sehen; der Bär war nicht herübergewechselt. Nun ging es über den Spring und die felsige Steilung hinauf, Winnetou voran und Hammerdull noch immer als der zweite hinter ihm her. Wir trafen auf die Gänge, welche wir schon gestern gesehen hatten. Diese Gänge vereinigten sich zu einem ausgetretenen Bärenpfade, welcher um eine scharfe Felsenecke führte. Winnetou passierte sie nicht sofort. Er schob den Kopf nur so weit vor, daß er mit einem Auge nach jenseits schauen konnte. Er blieb unbeweglich stehen und winkte mit zurückgestreckter Hand uns tiefste Geräuschlosigkeit zu. Ich war überzeugt, daß er den Bären sah. Als er sich dann wieder zu uns wendete, strahlte sein ganzes Angesicht.
Er nahm Hammerdull bei den Schultern und schob ihn, ohne ein Wort zu sagen, ganz leise, leise, langsam an die Ecke und ließ ihn vorsichtig um dieselbe schauen. Der Kleine zog schon im nächsten Augenblicke den Kopf zurück und schob sich rasch an mir und den andern vorüber, bis er an letzte Stelle kam. Er war leichenblaß geworden! Nun lugte auch ich um die Kante. Da sah ich freilich, daß es keine Schande für Hammerdull war, blaß geworden zu sein! Zwischen dem Felsen und dichtem Gedorn führte ein hartgetretener Sohlengang nach einer Stelle, wo das Gestein eine massive Hinterwand und ein weit überhängendes Dach bildete. Dort lag, vor Wind und Regen geschützt, auf zusammengescharrter Erde, Gras und Zweiggehäuf der König der grauen Bären. Ja, diesen Namen verdiente er, denn von dieser Größe hatte ich noch keinen je gesehen. Dieser alte Vater Ephraim war sicherlich seine vierzig Jahre alt; das bezeugte der Pelz, der ein noch viel älteres Aussehen hatte. Dieser Leib, dieser Kopf und diese Glieder! Wenn ich der stärkste Büffel gewesen wäre, ich hätte vor ihm die Flucht ergriffen. Er schlief. Wie mußte dieser Koloß erst aussehen, wenn er sich aufrichtete! Es war gewiß zum Zittern!
Ich trat wieder zurück und ließ auch die andern sich an der männlichen Schönheit und dem herrlichen Profile dieses sohlengängerischen Adonis ergötzen. Dann traten wir zusammen, um zu beraten. Old Surehand und Apanatschka machten ihre Vorschläge; Hammerdull hüllte sich in mutiges Schweigen. Winnetou senkte seinen Blick mit jenem unbeschreiblichen Ausdrucke, der mir unvergeßlich ist, in meine Augen und fragte mich:
»Hat mein Bruder Shatterhand noch das alte Vertrauen zu mir?«
Ich nickte, obgleich ich nun wußte, was er vorhatte.
»Zu mir, zu meiner Hand und meinem Messer?« fragte er wieder.
»Ja.«
»Will er mir sein Leben anvertrauen?«
»Ja.«
Ich hätte nicht Nein gesagt, auch wenn mir bange gewesen wäre, denn Winnetou hätte sich mir auch unbedenklich anvertraut.
»Meine Brüder mögen kommen!«
Er führte uns zurück nach einem dichten Busche. Dort blieb er stehen und sagte:
»Hinter diesem Strauch verstecke ich mich. Old Shatterhand wird mir den Bären bringen und ihn hier vorüberführen. Meine andern Brüder mögen sich da drüben hinter jene Steine niederkauern und aufpassen, was dann geschieht! Old Shatterhand und Winnetou sind eins. Beide haben einen Leib, eine Seele und auch nur ein Leben. Das seinige gehört mir und das meinige ihm. Howgh!«
»Was wollt Ihr thun?« fragte Old Surehand besorgt.
»Nichts, was Euch erschrecken könnte,« antwortete ich ihm.
»Ich ahne, daß Ihr Euch in eine große Gefahr begeben wollt!«
»Es ist keine, denn ich kenne meinen Winnetou. Thut also getrost, was er Euch geboten hat, und nehmt meine Gewehre mit!«
»Was? Wie? Ihr wollt Euch wehrlos machen?!«
»Nein. Wehrlos werde ich ganz und gar nicht sein. Geht nur – geht!«
Sie begaben sich nach den Steinen und duckten sich dort nieder. Winnetou nahm sein Messer in die linke Hand und kroch hinter den Busch, so daß er nicht zu sehen war. Er flüsterte mir, falls ich ja noch bedenklich sein sollte, beruhigend zu:
»Der Wind ist unser Verbündeter, und wenn der Bär mich ja entdecken Sollte, hast du den ersten Stich!«
Mir war gar nicht bange. Eine unbekannte Gefahr kann einen beunruhigen; sobald man sie aber kennt und nahe vor sich sieht, ist diese Unruhe vorüber. Ich zog mein Messer auch mit der linken Hand und huschte an die Felsenkante zurück. Als ich um dieselbe blickte, lag der Bär noch genau so wie vorher. Wahrscheinlich hatte er in der Nacht reichlich gefressen und schlief nun um so besser. Ich wußte, daß dies vor seinem Tode der letzte Schlaf sein werde, hob einen Stein auf, trat um die Ecke und warf nach ihm. Er wurde getroffen und hob den Kopf. Die kleinen, giftigen Augen erfaßten mich, und er stand, ohne sich einmal zu dehnen und zu strecken, mit einer Schnelligkeit auf, in welcher ihn gewiß kein Tiger oder Panther übertroffen hätte. Ich huschte um die Ecke zurück und schritt, den Blick auf sie gerichtet, rückwärts dem Busche zu, hinter weichem der Apatsche steckte. Jetzt erschien der Bär, und nun galt es freilich das Leben. Wenn ich strauchelte und stürzte, war ich sicher verloren.
Das Kunststück bestand darin, den Bären an Winnetou vorüber zu locken und ihn dann zum Stehen zu bringen, um dem Apatschen einen sichern Stoß zu bieten. Mit jener schwerfällig erscheinenden Leichtigkeit, welche außer dem Bären noch dem Elefanten eigen ist, folgte er mir, langsam und überlegend, wie es schien, in Wahrheit aber sehr schnell und entschlossen. Er sah niemanden als mich und kam mir immer näher. Das wollte ich. Als ich den Busch erreichte, war er nur noch acht Schritte entfernt. Ich retirierte schneller; jetzt war er am Busche. Noch einen Schritt weiter, und wenn ich ihn nun nicht zum Stehen brachte, war es mit mir aus! Den riesigen Tatzen dieses Ungeheuers konnte kein Geschöpf der Erde widerstehen. An Stärke übertraf es sicher weit den Löwen.
Also entweder – oder! Ich sprang zwei Schritte vor und hob den Arm. Schon war Winnetou hinter dem Busche hervorgetreten und stand mit gezücktem Messer hinter dem Bären. Dieser hielt bei meiner scheinbaren Angriffsbewegung inne und richtete sich auf, kopfshöher noch als ich. In diesem Augenblicke stieß der Apatsche zu, nicht hastig schnell, sondern mit der raschen Bedächtigkeit, welche geboten war, wenn er richtig treffen wollte, nämlich zwischen die zwei bekannten Rippen in das Herz. Die Klinge war bis an das Heft hineingefahren; er ließ sie nicht stecken, sondern zog sie schnell wieder heraus, um nicht ohne Waffe zu sein.
Das Ungetüm wankte, als ob es stürzen wolle, drehte sich aber ganz unerwartet im Nu um und streckte die Pranken nach Winnetou aus, der kaum Zeit fand, zurückzuspringen. Jetzt war sein Leben in Gefahr, nicht mehr das meinige. Ich stand sofort hinter dem Bären, holte aus und stach zu, sprang aber augenblicklich, das Messer stecken lassend, wieder zurück. Jetzt gab es kein Biegen und kein Wanken; der alte »Ephraim« stand unbeweglich still; nicht einmal der Kopf veränderte seine Stellung. Das dauerte zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Sekunden; dann brach er, wie von einem unsichtbaren Eisenhammer getroffen, genau auf derselben Stelle zusammen und rührte sich nicht mehr.
»Uff! Das war gut getroffen!« sagte der Apatsche, indem er mir die Hand entgegenstreckte. »Der steht gewiß nicht wieder auf!«
»Ich habe nur nachgeholfen,« antwortete ich. »Das Herz dieses Riesen muß in einem zehnfachen Beutel stecken. Es gehörte Kraft dazu, die Klinge hineinzubringen. Fast hätte er dich gehabt!«
Da lag nun die Masse Fleisch, gewiß zehn Zentner schwer! Der Kerl verbreitete einen Geruch, der jeden Appetit auf seine Tatzen vergehen ließ. Gewöhnlich riechen die katzenartigen Raubtiere viel penetranter als der Bär; dieser machte eine Ausnahme.
Jetzt kamen die Gefährten herbei. Wir streckten den Körper des Grizzly aus und konnten nun erst die erschrecklichen Formen desselben anstaunen und daran denken, was aus uns geworden wäre, wenn wir uns auf unsere Klingen nicht hätten verlassen können.
»So hatte ich mir das nicht gedacht,« sagte Old Surehand. »Bloß mit dem Messer auf so ein Untier loszugehen, heißt wirklich, Gott versuchen. Ich bin kein Schwächling und kein feiger Mensch; dies aber würde ich nicht wagen!«
»Mein Bruder irrt,« antwortete Winnetou. »Ein gutes Messer und eine sichere Hand, die sind oft besser als eine nicht ganz genau gezielte Kugel. Nicht jeder Bär ist so stark wie dieser hier!«
Apanatschka sagte nichts; er zog nur mein Messer heraus und mußte dabei solche Kraft anwenden, daß er still den Kopf schüttelte. Um so lauter war Dick Hammerdull. Er sah die Wunden an und sagte:
»Ganz eng nebeneinander! Wie weiß man denn eigentlich die Stelle, in welche man stechen muß, Mesch'schurs?«
»Das sagt keine bestimmte Regel, sondern nur das Augenmaß,« antwortete ich. »Es ist nicht ein Bär so wie der andere gebaut, und auch die Beschaffenheit des Pelzes kann leicht verhängnisvoll werden.«
»Hm! Wenn man nun die Rippe trifft?«
»So rutscht man ab und wird dafür wahrscheinlich rasch skalpiert.«
»Danke! Da lobe ich mir doch mein Gewehr! Ja, wenn man mit der einen Hand gemächlich nach der Stelle suchen könnte, um dann mit der andern zuzustoßen! Dann möchte ich es auch versuchen.«
»Der Kampf mit einem Grizzly ist kein Schweineschlachten!«
»Das habe ich gesehen! jetzt aber sagt, was mit diesem lieben Vater Ephraim geschehen soll?«
»Wir nehmen ihm den Pelz und lassen ihn dann liegen.«
»Kein Fleisch?«
»Danke!«
»Warum nicht?«
»Das würde sich grade wie Sohlenleder kauen. Wir wollen uns beeilen, denn Winnetou scheint noch weitere Arbeit für uns zu haben!«
»Mein Bruder Shatterhand hat es erraten,« nickte der Apatsche.
»Giebt es noch eine Grizzlyspur?«
»Ja; aber sehr weit von hier, ganz am oberen Ende des Thales.«
»Das läßt sich denken. Die Grizzlys können doch nicht so eng beisammen wohnen wie die Biber oder Prairiehunde. Meint mein Bruder Winnetou, daß wir heut vor Nacht noch fertig werden?«
»Ich denke es; die Pferde werden uns ja rasch hinbringen.«
»Darf ich da auch wieder mit?« fragte Hammerdull.
»Nein,« antwortete ich.
»Warum nicht? Habe ich mich hier nicht gut benommen, Sir?«
»Es gab für Euch überhaupt gar nichts zu benehmen. Übrigens war Euch, wie mir schien, der Kerl etwas zu groß gewachsen?«
»Das will ich allerdings nicht falsch ableugnen. Man läßt sich wohl einen Bären gefallen, aber so einen doch nicht! Ich habe mich auch, als ich ihn sah, sofort ins hinterste Glied gemacht. Grad und genau so bescheiden würde ich sein, wenn ich noch einmal mitthun dürfte!«
»Das geht nicht. Schahko Matto muß berücksichtigt werden. Er würde es als eine Beleidigung auffassen, wenn wir ihn wieder ausschließen wollten.«
»Ob Ihr ihn ausschließt oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn er nur mit dabei sein darf. Ich trete also gern zurück.«
»Gern oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn Ihr nur müssen müßt!« persiflierte ich ihn. ›Jetzt lauft einmal zum Lager, um ein Pferd zu holen, damit nicht wir das schwere Fell zu tragen haben!«
Er folgte dieser Weisung. Als er wiederkam, brachte er seine alte Stute und auch noch Pitt Holbers mit. Weil ich ihn nicht fragte, weshalb, gab er mir selber die Erklärung:
»Hier ist das Pferd, welches Ihr haben wollt, Mr. Shatterhand!«
Pitt Holbers war nämlich mit zu uns auf den Felsen gekommen; die Stute aber stand drunten am Wege neben dem Spring. Wir waren fertig mit der Arbeit geworden, auch diesem Bären die Handschuhe, Stiefel und den Rock zu nehmen; darum gebot ich:
»Da, schafft das Fell hinüber zu dem Pferde!«
»Wie? Zu meiner Stute?« fragte Hammerdull schmunzelnd. »Die habe ich nur für mich geholt, nicht aber für das Fell.«
»Und wer soll dieses tragen?«
»Das Pferd, welches Ihr verlangt habt, Mr. Shatterhand, nämlich dieses Heupferd hier, Pitt Holbers, das alte Coon.«
Jetzt ging dem guten Pitt erst ein Licht auf, weshalb sein dicker Freund ihn mitgenommen hatte. Er fuhr ihn zornig an:
»Was fällt dir ein! Ich denke, ich soll die Ehre haben, der erste von uns sein zu dürfen, der diesen Bär zu sehen bekommt! Statt dessen spielst du schon wieder mit mir Schabernack!«
»Ereifre dich doch nicht so, lieber Pitt! Bist du denn von euch nicht der erste, der den Bär zu sehen bekommt?«
»Aber den Pelz schleppe ich nicht!«
»Gut, so will ich ein Einsehen haben, denn du hast an deiner Haut genug zu tragen. Also nur hinüber bis zum Pferd. Fass' an!«
Während sie sich mit der schweren Haut schleppten, gingen wir andern rascher fort. Nun erst, da sie vorüber war, stellte sich die überstandene Gefahr in ihrer ganzen Größe vor mein Auge. Ein solches Wagnis war mit keinem andern als nur mit Winnetou allein zu unternehmen. Wenn man ein solches Ungetüm in dieser Weise erlegen will, kann der geringste Mangel an Geschick und Geistesgegenwart verderblich werden; auf den Apatschen aber konnte ich mich verlassen.
Im Lager angekommen, erklärten wir Schahko Matto, daß er nun mit uns reiten solle; er fand das für ganz selbstverständlich. Treskow, Hammerdull, Holbers und Apanatschka sollten bei den Fellen bleiben. Der letzte hätte sich uns sehr gern angeschlossen, wußte aber gar wohl, warum wir ihn nicht mitnahmen; auf ihn konnten wir uns mehr verlassen als auf die andern drei zusammen.
Wir ritten also jetzt thalauf, an der Stelle vorüber, wo wir die Begegnung mit Old Surehand gehabt hatten. Winnetou hatte uns außer der Entfernung, welche wir zurücklegen sollten, keine Andeutung über das Abenteuer gegeben, welchem wir entgegengingen.
Das Thal war außerordentlich lang und wurde, je höher wir in demselben aufwärts kamen, um so schmäler. Es begegneten uns zuweilen Büffel, teils einzeln, teils in Familien, aber nicht in größern Trupps, weil die Zeit der eigentlichen Herbstwanderung noch nicht da war. Diese Tiere waren so Wenig menschenscheu, daß sie nicht etwa vor uns flohen, sondern nur zur Seite wichen. Wir schlossen daraus, daß sie während des Sommers von keinem Jäger gestört worden waren. Es gab sogar alte Stiere, welche nicht einmal zur Seite gingen, sondern uns verwundert anglotzten und höchstens herausfordernd den großen Kopf mit den starken Hörnern senkten, bis wir vorüber waren. Natürlich regte sich die Jagdlust in uns allen; wir durften ihr aber nicht folgen, Weil wir keine Zeit dazu hatten und von den Bären mehr als genug Fleisch besaßen.
Der Westmann tötet eben nie ein Tier, wenn er dessen Fleisch nicht braucht. Auch ist es nicht wahr, daß die Indianer zur Zeit der beiden Büffelwanderungen große, ganz unnötige Metzeleien unter den Bisons angestellt hätten. Der Rote wußte nur zu gut, daß er ohne diese Herden nicht leben könne, sondern zu Grunde gehen müsse, und hütete sich infolgedessen stets, mehr Fleisch zu machen, als er brauchte. Wenn der Buffalo jetzt ausgestorben ist, so trägt nur der Weiße allein die Schuld daran. Es haben sich da zum Beispiele ganze Gesellschaften von »Sauschützen« zusammengethan und Bahnzüge gemietet, welche da halten mußten, wo man in der Prairie eine Büffelherde traf. Von dem Zuge aus wurde dann aus reiner Mordlust unter die Tiere hineingeschossen, bis man die Kracherei satt bekam. Dann fuhr man weiter, um bei der nächsten Herde wieder anzuhalten. Ob die getroffenen Büffel tot oder nur verwundet waren, darnach wurde nicht gefragt. Die angeschossenen Tiere schleppten sich fort, so weit sie konnten, und brachen dann zusammen, um von den Geiern und Wölfen zerrissen zu werden. So sind Tausende und Abertausende von Bisons nur aus Blutgier niedergepafft oder todkrank geschossen worden und Millionen von Zentnern Fleisch verfaulten, ohne daß ein Mensch den geringsten Nutzen davon hatte. Ich selbst bin nicht selten an Stellen gekommen, wo solche Massakres stattgefunden hatten, und habe die bleichenden Knochen in großen Haufen beisammenliegen sehen. Nicht einmal die Felle und Hörner waren mitgenommen worden.
Beim Anblicke solcher Büffelleichenfelder mußte sich das Herz jedes echten Westmannes gradezu umdrehen, und was nun erst die Indianer dabei dachten und dazu sagten, das läßt sich wohl unschwer denken! Sie waren selbstverständlich der Ansicht, daß die Regierung diese niederträchtigen Metzeleien nicht nur dulde, sondern sogar begünstige, um die Ausrottung der nun dem Hunger preisgegebenen roten Rasse zu beschleunigen. Und wenn der Redman sich gegen diese Sauschießereien zu wehren versuchte, wurde er ebenso schonungslos wie die Büffel niedergeknallt.
Wo sind nun die Bisons und wo die stolzen, ritterlichen roten und weißen Jäger hin? Ich behaupte, daß es nicht einen, aber auch nicht einen einzigen jener Westmänner mehr giebt, von deren Thaten und Erlebnissen an jedem Lagerfeuer erzählt wurde. Ihre Gebeine sind zerstreut, und wenn die Hacke oder der Pflug jetzt einen halb vermoderten Schädel aus der Erde hebt, ist dieser Ort wahrscheinlich der Schauplatz eines heimtückischen Überfalles oder eines verzweifelten Kampfes gewesen, bei welchem, wie überall hier im blutgetränkten Westen, die erbarmungslose Gewalt das Recht vernichtete. –
Wir waren über eine Stunde, und zwar nicht langsam, geritten und hatten doch das Ende des Kui-erant-yuaw noch nicht erreicht; da hielt Winnetou sein Pferd endlich an und sagte:
»Nun nur noch zwei Minuten, so kommen wir an eine Stelle, an welcher Winnetou einen niedergeschlagenen Büffel fand. Er war von einem Grizzly geworfen worden, denn der Sieger hatte nur wenig Fleisch gefressen, sondern die Markknochen zerbrochen und ausgesaugt; das thut nur der graue Bär. Seine Spur führte nach dem Rande des Thales und ein Stück den Berg hinauf.«
»Hat Winnetou sein Lager dort entdeckt?« erkundigte sich Old Surehand.
»Nein. Ich wollte nur seine Fährte ausmachen, ihn aber nicht aufstören, damit meine Brüder auch sagen können, daß sie einen Grizzly erlegt haben. Ich denke, daß ich da richtig gehandelt habe!«
»Ja, das ist recht! Wenn ich die Felle vorzeige, will ich mir sagen dürfen, daß ich wenigstens eins davon erbeutet habe.«
»Wünscht Old Surehand vielleicht, daß wir ihm diesen Grizzly überlassen?«
»Ja; ich bitte darum!«
»So soll er ihn haben! Will er sich dazu den Bärentöter Old Shatterhands leihen?«
»Nein; ich kann mich auf mein Gewehr verlassen.«
»Und was thue ich dabei?« fragte der Häuptling der Osagen. »Soll man von Schahko Matto erzählen, daß in seiner Gegenwart vier Bären erlegt worden seien, ohne daß er eine Hand dazu gerührt habe?«
»Mein roter Bruder wird, wenn er das will, wohl auch zu thun bekommen; in welcher Weise, das wird sich zeigen, wenn wir den Grizzly finden. Wir halten in der Nähe an und – – uff, uff!«
Wir waren während des letzten Teiles dieses Gespräches weiter geritten; jetzt parierte Winnetou sein Pferd wieder und streckte den Arm aus, um vorwärts zu deuten. Da sahen wir vielleicht tausend Schritte von uns einen Grizzly an der linken Seite des Thales unter den Bäumen hervorkommen und in gerader Richtung quer über den offenen Plan trollen. Er hielt den Kopf tief an den Boden gesenkt und sah weder rechts noch links. Wenn er ihn nur ein wenig nach unserer Seite gerichtet hätte, wären wir unbedingt von ihm bemerkt worden. Winden konnte er uns freilich nicht, weil die Luft thalabwärts wehte.
»Jetzt, am hellen Tage!« sagte Old Surehand. »Der Kerl muß Hunger haben!«
»Ja,« nickte Winnetou. »Daß er jetzt sein Lager verläßt, ist ein Zeichen davon, daß er Appetit bekommen hat, aber auch davon, daß diese Gegend seit langer Zeit von keinem Jäger besucht worden ist.«
»Wo liegt der Büffel?« erkundigte ich mich.
»Mein Bruder kann ihn von hier aus nicht sehen, weil das kleine Gebüsch da vorn dazwischen liegt,« antwortete der Apatsche.
»Daß der Bär ganz gegen seine sonstige Gewohnheit jetzt kommt, erspart uns Zeit. Wir brauchen ihn nicht zu suchen. Steigen wir hier ab und hobbeln wir die Pferde an! Das Gebüsch, von welchem Winnetou sprach, erlaubt uns die Annäherung, ohne daß er es bemerkt.«
»Meine Brüder mögen noch einen Augenblick warten; ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen,« sagte der Osage, indem wir abstiegen.
»Welchen?« fragte Old Surehand.
»Ich habe nichts dagegen, daß mein Bruder Surehand diesen Grizzly erlegt; aber es mag mir erlaubt sein, mich dabei zu beteiligen!«
»In welcher Weise?«
An der Weise, wie Old Shatterhand und Winnetou den ihrigen getötet haben.«
»Das ist zu gewagt!«
»Nein.«
»Oh doch! Ich bin nicht sicher, ihn mit dem Messer gleich so zu treffen, daß er fallen muß. Ist Schahko Matto vielleicht sicher?«
»Auch ich habe noch keinen grauen Bären nur mit dem Messer erlegt. Ich meine auch nicht, daß wir die Messer nehmen, was allerdings gefährlich sein würde. Aber kann Old Surehand sich auf sein Gewehr verlassen?«
»Ja.«
»So wird es leicht sein, ihn zu töten. Mein Bruder versteckt sich mit seinem Gewehre, und ich bringe ihm den Bären grad so, wie Old Shatterhand es vorhin mit dem seinigen gethan hat.«
»Wenn Schahko Matto das wagen will, habe ich nichts dagegen.«
»Es ist kein Wagnis, wenn nur die Kugel dahin trifft, wo sie zu sitzen hat.«
»Pshaw! Ich werde doch keinen Fehlschuß thun!«
»Sind Winnetou und Old Shatterhand einverstanden?«
Natürlich waren wir es. Wir hobbelten die Pferde eng und gingen im Gänsemarsche auf das betreffende Gebüsch zu. Dort angekommen, sahen wir, vielleicht hundert Schritte von uns entfernt, den Grizzly bei dem Büffel. Er wendete uns den Rücken zu und grub mit den Tatzen in das Fleisch hinein, um die Röhren bloßzulegen. Nächst dem Gehirn ist das Knochenmark die größte Delikatesse für den grauen Bären. Ungefähr dreißig Schritte von uns lag ein Felsstück von der Größe, daß ein Mann sich hinter ihm verbergen konnte. Der Osage deutete auf dasselbe und sagte:
»Mein Bruder Surehand legt sich an diesen Stein; ich gehe zum Bären und hole ihn; das wird so leicht wie ein Spiel der Knaben sein.«
Ich war ebensowenig wie Winnetou dieser Meinung Schahko Mattos. Die Entfernung von dem Bären bis zum Felsen war zu groß; aber um den Stolz des Osagen nicht zu verletzen, schwiegen wir.
Er ließ sein Gewehr bei uns zurück, legte sich auf die Erde und kroch auf den Felsen zu, diesen natürlich als Deckung gegen den Bären nehmend. Old Surehand folgte ihm, selbstverständlich mit dem Gewehre, in derselben Weise. Bei dem Steine angekommen, blieb Old Surehand dort liegen, während der Osage weiter kroch.
Der Bär merkte noch immer nichts von dem, was gegen ihn im Werke war. Wir hörten trotz der weiten Entfernung die Knochen zwischen seinen Zähnen krachen. Schahko Matto schob sich vorwärts, weiter, immer weiter; das war mehr unvorsichtig als mutig.
»Uff!« sagte der Apatsche. »Wir wollen unsere Gewehre bereit halten. Der Häuptling der Osagen weiß den Weg nicht einzuteilen!«
Ich konnte Schahko Matto auch nicht begreifen; er zog die Schnelligkeit eines Grizzly gar nicht mit in Berechnung. Er durfte sich nur so weit von Old Surehand entfernen, daß er auf dem Rückwege nicht von dem Bären eingeholt werden konnte. Anstatt aber den Grizzly so aufmerksam zu machen, daß er, von ihm verfolgt, noch vor ihm bei Old Surehand ankam, kroch er weiter, immer weiter! Da legte Winnetou beide Hände an den Mund und rief:
»Anhalten, Schahko Matto! Anhalten und aufstehen!«
Der Osage hörte es und erhob sich. Der Bär hatte es auch gehört und drehte sich nach der Gegend um, aus welcher die Stimme kam. Er sah den Indianer und trabte augenblicklich auf ihn zu. Was das zu bedeuten hatte, wird daraus klar, daß der Trab eines Grizzly gleich dem Galoppe eines Pferdes ist. Schahko Matto war ihm auf zwanzig Schritte nahe gekommen, hatte also bis zu Old Surehand fünfzig zurückzulegen; er mußte vor der Zeit von dem Bären eingeholt werden! Dazu kam, daß Old Surehand, wenn er den Petz wirklich nicht nur verwunden, sondern erlegen wollte, nicht eher schießen durfte, als bis dieser sich aufrichtete und dabei die Brust zum Ziele bot. Ich rief ihm also hastig zu:
»Jetzt ja nicht schießen, Mr. Surehand! Ich werde den Osagen beschützen!«
Ich legte also meinen Bärentöter an und wartete. Schahko Matto hatte wohl noch nie in seinem Leben solche Sprünge gemacht wie jetzt; es war aber vergeblich; der Grizzly kam ihm rapid näher.
»Schahko Matto, eine Wendung zur Seite machen!« schrie ich ihm zu.
Er und der Bär kamen nämlich in einer geraden Linie auf uns zu; es konnte also niemand auf das Tier schießen, ohne den Menschen zu treffen. Er achtete aber nicht auf meinen Ruf und rannte geradeaus weiter. Da sprang ich hinter dem Busche weit hervor und schrie ihm die Warnung wieder zu; der Bär war nur drei Schritte hinter ihm. Jetzt verstand er mich und bog rasch seitwärts ab; nun hatte ich freies Ziel und der Bär bekam meine Kugel, noch ehe er ihm folgen, konnte. Es war natürlich kein Schuß auf den Tod; ich wollte dem Grizzly nur einen Halt gebieten, und das gelang; er ließ den Osagen laufen und blieb stehen. Den Kopf hin und her bewegend, sah er sein Blut laufen und hob die Tatze nach der Wunde, welche meine Kugel ihm unterhalb des Halses geschlagen hatte. Diesen Augenblick ergriff Old Surehand, indem er sich hinter dem Felsen aufrichtete und kühn auf den Bären zuschritt; die Entfernung betrug ungefähr dreißig Fuß. Der Grizzly sah ihn kommen und richtete sich auf. Old Surehand ging unentwegt weiter und gab ihm die erste und nach einigen Schritten die zweite Kugel in die Brust. Dann warf er das Gewehr weg und zog das Messer. Diese Vorsicht war aber glücklicherweise überflüssig; auch dieser »Vater Ephraim« hatte genug; er fiel um, wälzte sich einigemal hin und her, zuckte konvulsivisch mit den Pranken und ließ dann seine Seele nach den ewigen Jagdgründen wandern, seinen Leib aber mit dem Felle hier bei uns zurück.
Von dem Warnungsruf Winnetous an bis jetzt war nicht eine Minute vergangen, so schnell hatte sich die Scene abgespielt. Schahko Matto stand mit tief arbeitender Brust und ohne Atem bei uns.
»Das – das – – ging mir an das Leben!« keuchte er.
»Warum war mein Bruder so unvorsichtig!« antwortete der Apatsche.
»Unvorsichtig? Ich?«
»Ja! Wer sonst?«
»Du! Winnetou!«
»Uff! Ich soll unvorsichtig gewesen sein?«
»Ja. Hättest du mir nicht vor der Zeit zugerufen, so wäre der Bär nicht auf mich aufmerksam geworden! Das ist doch richtig!«
Winnetou sah ihm einen Augenblick lang lächelnd in das Gesicht, sagte kein Wort und wendete sich dann stolz von ihm ab.
»Er dreht sich um! Habe ich nicht recht?« fragte der Osage nun mich.
»Der Häuptling der Osagen hat unrecht,« antwortete ich.
»Old Shatterhand irrt sich!«
»Beweise es!«
»Mußte Winnetou den Bären auf mich aufmerksam machen?«
»Ja. Du krochst doch zu dem Tiere hin, damit es aufmerksam werden solle.«
»Aber doch nicht so zeitig!«
»Nicht so zeitig? Früher, viel, viel früher hätte es geschehen sollen! Du hättest viel eher aufstehen und den Bären anrufen sollen; dann wäre er dir nicht vor der Zeit nachgekommen, und du hättest Old Surehand auch nicht die ganze Freude verdorben.«
»Die Freude habe ich ihm verdorben? Womit?«
»Durch den Schuß, den ich abgeben mußte, um dir das Leben zu retten.«
»Und der hat Old Surehand um die Freude gebracht?«
»Natürlich!«
»Ich verstehe Old Shatterhand nicht!«
»Das ist mir unbegreiflich. Das Tier hat, ehe Old Surehand es erlegte, schon eine Kugel von mir bekommen. Muß ihn das nicht ärgern?«
»Uff, uff! ja; daran habe ich nicht gedacht.«
»So denke nun auch daran, daß du dich bei Winnetou hättest bedanken sollen, anstatt ihm Vorwürfe zu machen! Hätte er dir nicht zugerufen, und wärest du dem Bären noch näher gekommen, so lebtest du wahrscheinlich jetzt nicht mehr. Das gebe ich dir zu bedenken!«
Jetzt ließ auch ich ihn stehen und ging zu dem Grizzly hin, bei welchem Winnetou und Old Surehand schon damit beschäftigt waren, ihm »den Pelzrock auszuziehen«. Dieser Vater Ephraim stand, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, in dem besten Mannesalter, und so nahmen wir seine Tatzen mit. Schahko Matto erwirkte es dann, daß wir uns auch einen der beiden Hinterschinken herausschälten, da es geraten erschien, uns so viel wie möglich mit Fleisch zu versehen, von dem allerdings zu erwarten war, daß es sich oben im kühlen Gebirge gut halten werde.
Jetzt hatten wir auch den vierten Pelz und konnten nach dem Lager zurückkehren. Vier Bären im Laufe eines Tages! Das war, obgleich sich ein junger darunter befand, ein höchst seltenes Jagdergebnis, zumal niemand dabei eine Verletzung davongetragen hatte, ein Ergebnis, welches kaum irgendwo anders als in diesem abgelegenen, kaum von einem Weißen besuchten Kui-erant-yuaw hatte stattfinden können! Wir andern waren ebenso erfreut darüber wie Old Surehand, der nun die Erwartung der Utahs, daß die Bären ihn zerreißen würden, ihnen als nichtig beweisen konnte.
Als wir das Lager erreichten, war es schon spät am Nachmittage, und es galt nun, für den Abend unsere Beschlüsse zu fassen. Old Surehand hatte zwar eine zweitägige Frist bekommen; es fiel uns aber gar nicht ein, einen Tag unnötig zu verschwenden. Was zu seiner Befreiung geschehen konnte, das mußte schon heut geschehen, aber was und wie, das waren die wichtigen Fragen.
Old Surehand konnte die Felle unmöglich allein hinauf nach dem Park schleppen; wir mußten sie unsern Pferden zu tragen geben. Aber da, wo er heruntergekommen war, durften wir nicht hinauf, denn da wären die Utahs uns gewahr geworden. Wir machten also mit ihm aus, daß er allein hinaufsteigen solle, und zwar noch während es hell war. Er sollte sich dann um das Lager der Roten herumschleichen, sich aber ja nicht sehen lassen, und nach der nordwestlichen Ecke des Parkes kommen, wo er uns entweder schon antreffen würde oder auf uns warten müsse. Wir aber wollten in unserer Schlucht, wo wir den großen, alten Vater Ephraim erlegt hatten, wieder hinauf und auf demselben Wege wie gestern, also am südlichen und westlichen Rande des Parkes unter den Bäumen hin, unbemerkt das genannte Rendezvous zu erreichen suchen. Er ging auf diesen Vorschlag ein und machte sich, um das Tageslicht ausnutzen zu können, gleich jetzt schon auf den Weg. Dick Hammerdull warf eine Kußhand hinter ihm her und rief ihm nach:
»Leb wohl, herzlieber Schatz! Komm ja heut abend zum Tanze!«
Und sich an seinen Busenfreund wendend, fügte er lustig hinzu: »Du wirst dazu aufspielen. Welches Instrument kannst du denn blasen, alter Pitt?«
»Die längste Posaune von Jericho,« antwortete dieser.
»Ja, das stimmt. Alles, was lang ist, kannst du blasen, nur dich selber nicht! Möchte auch die Töne hören, die aus dieser alten Oboe kämen!«
»Zupf dich an deinen eigenen Saiten, alte Guitarre! Du bist verstimmt!«
»Ob ich verstimmt bin oder nicht, das bleibt sich gleich; heut aber möchte ich mich hören lassen. Drei Riesenbären und ein Baby dazu! Das ist noch gar nicht dagewesen; so etwas hat es gar noch nie gegeben!«
»Ja, und alle vier hast du allein erlegt!«
»Spotte nicht! Hast etwa du ihren Tod auf deinem Herzen?«
»Nein. Ich thu aber auch nicht so dick wie du damit. Verstanden?«
»Vom Dickthun kann keine Rede sein. Ich habe nur die Ereignisse und Ergebnisse der heutigen Weltgeschichte aufgezählt, welche übrigens noch gar nicht abgeschlossen ist. Es kommt ja nun erst noch der gewaltige Schreck, den wir da oben den Utahs einjagen werden.«
»Uff! Die werden sich wohl ganz besonders vor dir entsetzen?«
»Jedenfalls mehr als vor dir! Doch schau, die andern Gentlemen sind schon fertig. Steig auf, altes Coon, zu neuen großen Heldenthaten!«
Wir verließen das Lager und traten den Weg nach oben an.
Es war trotz der Angst, welche die Utahs vor den Grizzlys hatten, möglich, daß sie wenigstens eine Strecke in die Schlucht herabgekommen waren; der Bär ist ja bei Tage nicht so wie in der Nacht zu fürchten. Darum mußten wir vorsichtig sein und schickten Winnetou voraus, um uns zu warnen, falls dies nötig werden sollte. Er fand aber keine Veranlassung, dies zu thun, denn er hatte niemand gesehen.
Als wir oben ankamen, war es dunkel geworden, so daß wir keine Spur entdecken konnten, ob die Utahs ihre Streifereien bis hierher ausgedehnt hatten. Wir kannten den Weg von gestern, und da wir nicht ritten, sondern die Pferde führten, kamen wir ganz leidlich bis zu der hohen Baumgruppe, bei welcher die Kameraden gestern auf mich und Winnetou, während wir die Utahs belauschten, gewartet hatten.
Hier mußten wir die Pferde lassen, durch welche wir leicht hätten verraten werden können, wenn wir sie näher zu den Utahs mitgenommen hätten.
Die Felle tragend, gingen wir dann weiter bis zu der Ecke, zu welcher wir Old Surehand bestellt hatten. Er war noch nicht da. Das war leicht erklärlich: Er kannte das Terrain nicht so wie wir und mußte sich vorsichtig um die Indianer schleichen; dazu war mehr Zeit erforderlich, als wir für uns nötig gehabt hatten.
Endlich kam er. Er war natürlich sehr erfreut darüber, daß weder ihm noch uns etwas begegnet war, was unser Zusammentreffen verhindert hätte, und teilte uns mit, daß die Roten schon ihre Lagerfeuer brennen hätten. Wir hatten das schon gerochen, wenn es auch nicht möglich gewesen war, sie zu sehen.
Über das, was nun geschehen sollte, waren wir einig. Die Felle mußten in die Nähe des Lagers geschafft werden, und zwar nach der Seite desselben, von welcher Old Surehand aus dem Thale heraufzukommen hatte. Da dies die von uns abgewendete war, mußten wir einen Umweg machen, einen nach dem offenen Parke gerichteten Bogen schlagen, was nicht schwer war, weil wir dabei nicht durch Bäume gehindert wurden. Wir langten glücklich jenseits der Utahs an und legten die Felle in so geringer Entfernung vor dem Lager nieder, daß es eine Schande für die Roten war, uns nicht bemerkt zu haben.
Jetzt galt es nun zuletzt, uns ebenso unbemerkt hinter sie zu schleichen. Um uns dies zu erleichtern, mußte ihre Aufmerksamkeit von uns abgelenkt werden, und dies konnte am sichersten durch Old Surehand geschehen. Wenn er am Lager ankam, waren jedenfalls alle Augen und Ohren auf ihn gerichtet, und so bekam er die Weisung, sich ungefähr zehn Minuten nach unserer Entfernung bei den Feuern sehen zu lassen.
Wir drangen also, einer hinter dem andern und uns an den Händen führend, in den Wald ein. Die Feuer zu unserer Linken erleichterten uns das Vorwärtsdringen. Dennoch war die angegebene Zeit schon fast vorüber, als wir hinter den Roten unter den Bäumen kauerten. Wir hatten uns ihnen noch mehr zu nähern, und um das zu können, mußten wir auf die Ankunft Old Surehands warten.
Da ertönten laute, verwunderte Rufe. Er war gekommen, und nun schoben wir uns, am Boden kriechend, in das schon gestern erwähnte Farngestrüpp hinein. Heut war dabei die gestrige große Vorsicht nicht nötig, weil kein Mensch nach dieser Seite blickte.
Das Aufsehen, welches die Rückkehr Old Surehands erregt hatte, war noch nicht vorüber, als wir es uns in den Farn schon so bequem wie möglich gemacht hatten. Bemerken muß ich, daß der Häuptling Tusahga Saritsch genau an demselben Platze wie gestern saß, doch heut allein. Er war der einzige, welcher nicht aufgestanden war; die andern alle umdrängten Old Surehand und riefen ihm ihre Fragen zu, von denen er, still um sich sehend, keine beantwortete.
Erst als er annehmen zu dürfen glaubte, daß wir die von uns beabsichtigten Plätze eingenommen hatten, sagte er mit lauter Stimme: »Die Krieger der Utahs umdrängen mich mit Fragen, ohne zu bedenken, daß nur ihr Häuptling es ist, dem ich Rede stehen werde!«
»Uff! Das Bleichgesicht hat recht,« stimmte Tusahga Saritsch bei. »Old Surehand mag kommen und sich zu mir setzen!«
Der Genannte folgte dieser Aufforderung, ohne vorher entwaffnet und gebunden zu werden, was doch wohl das erste war, was die Utahs hätten thun müssen. Sie glaubten, seiner auf alle Fälle sicher zu sein.
»Old Surehand mag sagen, ob er unten im ›Thale der Bären‹ gewesen ist!«
Der Jäger antwortete auf diese Frage des Häuptlings:
»Ich war unten.«
»Hast du die Spuren des Grizzly gesehen?«
»Sogar mehrerer Grizzlies!«
»Auch die Bären selber?«
»Ja.«
»Doch ohne mit ihnen zu kämpfen?«
»Ich kenne keinen Grizzly, welcher nicht sein Leben lassen mußte, nachdem er so unvorsichtig gewesen war, sich von mir sehen zu lassen!«
»Du bist aber nicht verwundet!«
»Ich habe noch nie einem Bären erlaubt, mich zu berühren. Wozu habe ich mein Gewehr?«
»So bist du Sieger gewesen?«
»Ja.«
»Aber ich sehe kein Fell!«
»Fell? Du sprichst nur von einem! Hast du vergessen, was mir aufgetragen worden ist! Habe ich nicht vier Felle bringen sollen?«
»Uff! Du redest sehr stolz!«
»Ich rede nur so, wie ich darf!«
»Hast du denn vier Felle?«
»Ja.«
»Das ist nicht wahr; das ist nicht möglich; das kann man nicht glauben!«
»Was Old Surehand sagt, ist immer wahr!«
»Wie hättest du die Felle tragen können! Vier Felle von grauen Bären sind so schwer, daß kein einzelner Mann sie schleppen kann!«
»Die Söhne der Utahs scheinen sehr schwache Leute zu sein.«
»Uff! Du hast kein einziges Fell. Du weißt, daß du verloren bist, und willst uns in Zorn und Ärger versetzen!«
»Schicke vier Krieger vierzig Schritte weit hier an dem Rande des Waldes hin; sie mögen bringen, was sie dort finden werden!«
»Uff, uff! Meinst du, daß wir mit uns scherzen lassen?«
»Ich spreche im Ernste!«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Uff! Ich sage dir: Ich habe dir zwei Tage Zeit gegeben, heut und morgen. Wenn du glaubst, scherzen zu können, strafe ich dich dadurch, daß ich aus den zwei Tagen nur einen mache; du mußt also heute noch sterben!«
»Mach nicht so viel Worte, sondern sende hin!«
»Uff! Dieses Bleichgesicht muß während dieses Tages wahnsinnig geworden sein!«
Er konnte den Worten Old Surehands absolut keinen Glauben schenken und fragte ihn noch einmal, erhielt aber die bestimmte Antwort:
»Ihr sollt mich sofort töten, wenn ich mit euch im Scherz gesprochen habe!«
Nun endlich schickte er vier Männer fort. Er und die andern warteten mit größter Spannung, keiner sprach ein Wort. Da erklangen laute Ausrufe der Verwunderung, ein sicheres Zeichen, daß die Roten ihren Weg nicht umsonst gemacht hatten. Die Utahs, welche sich vorhin alle niedergesetzt hatten, sprangen jetzt abermals auf und blickten erwartungsvoll nach der Gegend hin, aus welcher ihre vier Kameraden kommen mußten. Sie kamen, und jeder von ihnen brachte ein Grizzlyfell getragen, welches er am Feuer niederlegte.
Jetzt hatten wir das Vergnügen, eine sich vor Erstaunen fast wie toll gebärdende Indianerschar zu sehen und zu hören. Das von ihnen für vollständig unmöglich Gehaltene war nicht nur möglich, sondern wirklich geworden. Die Felle wurden hin und her gezerrt und sehr eingehend betrachtet. Die größte Bewunderung erregte der Pelz des alten Vater Ephraim, den wir in der Schlucht erlegt hatten. Man suchte vergeblich nach dem Kugelloche, und als man schließlich die zwei hart aneinander liegenden Stiche sah und zur Erkenntnis kam, daß er nicht erschossen, sondern erstochen worden war, legte sich der vielstimmige Lärm, und es trat eine um so auffälligere Stille ein, während welcher alle Augen groß und staunend auf den weißen Jäger gerichtet waren.
Bei den Indianern gilt die Erlegung eines grauen Bären für die größte Heldenthat. Wer einen Grizzly ohne Hilfe anderer getötet hat, wird bis an seinen Tod und noch darüber hinaus gefeiert und hat nach dem Häuptlinge die erste Stimme in der Versammlung der alten Krieger, mag er auch noch so jung sein. Da die Capote-Utahs bekanntlich sich nicht durch hervorragend kriegerische Eigenschaften auszeichnen, mußte der Sieg über einen Grizzly bei ihnen noch viel höher geschätzt werden als bei andern, sich durch größere Tapferkeit auszeichnenden Stämmen. Und nun lagen gar vier Felle hier anstatt eines einzelnen! Und unter diesen gab es die Haut eines wahrhaft riesigen Tieres, welches mit dem Messer erlegt worden war! Kein einziger der Capote-Utahs hätte gewagt, mit dem bloßen Messer auf einen viel, viel kleineren grauen Bären loszugehen! Daher die plötzlich eingetretene Stille, während welcher aller dreiundfünfzig Augen auf Old Surehand gerichtet waren.
Dieser that, als sehe er das gar nicht, zog ein Stück gebratenes Fleisch aus der Tasche und begann, es zu verzehren. Da fragte der Häuptling:
»Ist dieses Fleisch von einem dieser Bären?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
»Zum Braten muß man Feuer haben!«
»Natürlich!«
»Wir haben alle Taschen Old Surehands leer gemacht; er hat weder Punks noch etwas anderes, womit man ein Feuer anzünden kann!«
»Auch das ist richtig!«
»Und doch hat er ein Feuer gehabt?«
»Ja.«
»Wie hat er es anbrennen können?«
Tusahga Saritsch war mißtrauisch geworden. Old Surehand antwortete:
»Die roten Männer kennen nicht die Wissenschaften der Bleichgesichter. Der Weiße braucht weder Punks noch Hölzer mit Schwefel. Hat Tusahga Saritsch noch nicht gehört, daß man mit Stahl und Stein Feuer machen kann?«
»Das weiß ich.«
»Nun, Stahl ist meine Messerklinge, und Feuerstein habe ich unten bei den Felsen gefunden. Zunder steckt in jedem hohlen Baume genug.«
»Uff! Das ist wahr! Schon dachte ich, Old Surehand habe andere Leute gefunden, Bleichgesichter, welche ihm Feuer gegeben haben. Aber die Bleichgesichter haben nicht den Mut, das ›Bärenthal‹ zu betreten!«
»Das ist eine Unwahrheit. Den Indianern aber fehlt dieser Mut!«
»Willst du mich wieder beleidigen?!«
»Pshaw! Bin ich unten gewesen, oder habt ihr es gewagt, hinabzusteigen? Bin ich ein Indianer, und seid ihr Weiße? Wer hat den Mut besessen, ich oder ihr, die ihr über fünfzig seid, und ich bin allein?«
»Schweig! Das Urteil, hinunter zu gehen, hat dich getroffen, aber nicht uns. Wir haben keinen Grund, dahin zu gehen, wohin wir nicht zu gehen brauchen. Wie hast du es angefangen, vier Bären zu finden?«
»Ich habe Augen!«
»Und sie zu erlegen?«
»Ich habe ein Gewehr und ein Messer!«
»Und die schweren Felle hier heraufzutragen?«
»Ich habe Schultern und Arme!«
»Aber kein Mensch kann diese vier schweren Felle tragen.«
»Auf einmal nicht. Wer hat denn behauptet, daß ich das gethan habe?«
»Konntest du es anders machen?«
»Natürlich! Kann ich sie nicht einzeln heraufschaffen?«
»Uff! Das ist wahr. Wir werden sehen, ob du morgen noch einen Bär erlegst!«
»Noch einen? Wer verlangt das?«
»Ich.«
»Warum?«
»Es ist ein sehr kleiner dabei; der gilt nichts!«
»Desto größer ist der alte Grizzly gewesen.«
»Das gilt nichts, daß er größer ist. Bär ist Bär!«
»Da bin ich einverstanden. Bär ist Bär; auch der kleine war ein Bär und hat also als ein Bär zu gelten. Ich habe vier Felle gebracht!«
»Darüber habe ich allein zu bestimmen, nicht aber du! Schweig also!«
Mit diesen Worten leitete er, ohne zu ahnen, eine Entscheidung ein, die ihn noch mehr in Aufregung bringen mußte, als der Anblick der Bärenfelle. Old Surehand antwortete ihm im ruhigsten Tone:
»Meinst du wirklich, daß Old Surehand der Mann ist, welchem du Schweigen gebieten darfst, wenn er sprechen will? Ich rede, wenn ich will, und ich thue, was ich will. Du hast mir nichts zu befehlen!«
»Nicht? Bist du nicht mein Gefangener?«
»Nein!«
»Uff! Du denkst, weil du dein Gewehr und dein Messer noch hast!«
»Pshaw!«
»Grad daß ich dir beides noch nicht habe nehmen lassen, muß dir sagen, daß wir dich fest in den Händen haben. Ich werde dich wieder binden lassen.«
»Das wirst du nicht thun!«
»Wer soll mich hindern?«
»Ich! Ich habe gethan, was du von mir gefordert hast, und bin nun frei!«
»Noch lange nicht! Dieser kleine Bär gilt nichts. Und wenn ich ihn gelten lassen wollte, hättest du doch nur dein Leben gerettet!«
»Auch die Freiheit!«
»Nein! Willst du mit uns ziehen und dir eine Squaw bei uns nehmen?«
»Nein!«
»So bleibst du gefangen!«
»Es wundert mich, daß du in dieser Weise mit mir zu sprechen wagst. Wer furchtlos in das Kui-erant-yuaw hinabgestiegen ist und vier graue Bärenfelle mitgebracht hat, fürchtet sich vor keinem roten Manne!«
»Ich werde dir beweisen, daß du dich dennoch vor mir fürchtest!«
»Möchte wissen, wie du das anfangen wolltest! Ihr habt mir für die Felle zwar nur das Leben versprochen; das ist wahr; aber ich habe mir mit ihnen auch die Freiheit mit aus dem Thale heraufgeholt.«
»Sprich deutlicher, wenn mein Ohr deine Worte verstehen soll.«
»Gut, ich will deutlich sprechen! Ich gebe euch die Wahl, Old Surehand entweder als Freund oder als Feind zu haben. Du sollst darüber entscheiden.«
»Wir fürchten deine Feindschaft nicht!«
»Warte nur noch kurze Zeit, so wirst du anders reden! Mein Leben habe ich mir erkauft; ich brauch nun meine Freiheit dazu. Giebst du sie mir jetzt freiwillig, so werde ich stets der Freund deines Stammes sein; verweigerst du sie mir aber, so wirst du es bitter bereuen!«
»Ich verweigere sie! Das ist meine Antwort. Poche nicht auf dein Messer und auf dein Gewehr! Es ist nicht die Zauberflinte Old Shatterhands, der immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen, und gegen den darum fünfzig und hundert Krieger nicht aufkommen können.«
»So glaubst du also doch, daß dieses Gewehr euern Waffen überlegen ist?«
»Ich glaube es, und jeder Krieger muß es glauben.«
»Hast du dieses Gewehr einmal gesehen?«
»Nein.«
»So wünsche auch nicht, es zu sehen.«
»Warum nicht?«
»Weil seine Mündung auf dich und deine Krieger gerichtet sein und jedem von euch den augenblicklichen Tod geben würde, der es wagte, dem Willen Old Shatterhands zu widerstehen.«
»Uff! Was weißt du von diesem seinem Willen!«
»Ich kenne ihn. Old Shatterhand will, daß ich frei sei!«
»Hat er dir das gesagt?«
»Ja. Er und Winnetou wissen, daß ihr mich durch einen hinterlistigen Überfall gefangen habt; sie werden dir gebieten, mich freizugeben.«
»Du sprichst im Traume!«
»Ich rede von der Wirklichkeit. Wende den Kopf nach deiner linken Seite.«
Wir hatten Old Surehand keine speziellen Verhaltungsmaßregeln erteilt und mit ihm nicht verabredet, was er thun und sprechen solle. Sein und unser Verhalten mußte, sozusagen, extemporiert werden. Ich und Winnetou ließen uns seine an den Häuptling gerichtete Aufforderung als Stichwort dienen und richteten uns empor. Indem ich den Stutzen auf Tusahga Saritsch anlegte, trat Winnetou furchtlos, als ob er sich bei den besten Freunden befinde, zu ihm hin, hielt ihm sein silberbeschlagenes Gewehr vor das Gesicht und fragte:
»Du wirst mir sagen können, was dies für eine Büchse ist. Wie nennt man sie?«
Jetzt zeigte es sich wieder einmal, welchen Eindruck die herrliche Erscheinung und das stolze, selbstbewußte Auftreten des Apatschen hervorzubringen pflegte. Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Niemand wagte es, nach den Waffen zu greifen. So überrascht, ja erschrocken die Utahs über unser plötzliches Erscheinen waren, sie vergaßen es ganz, demselben Ausdruck zu verleihen. Auch ihr Häuptling vergaß, vom Boden aufzuspringen. Die Augen auf das Gewehr gerichtet, antwortete er beinahe stotternd:
Das – – das – – uff – – das ist die Silberbüchse Winnetous!
Ja, ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen. Und da steht mein weißer Bruder Old Shatterhand mit seiner Zauberflinte, und hinter ihm erblickst du noch mehrere Häuptlinge roter Stämme und tapfere Krieger der Bleichgesichter, welche ihre Gewehre alle auf euch richten. Sag deinen Kriegern, daß sie ja keine Hand und keinen Fuß bewegen sollen, denn wer es wagt, dies zu thun, der bekommt augenblicklich eine Kugel in den Kopf!«
Es war für uns eine wahre Wonne, die Wirkung dieser Worte zu beobachten. Kein Indianer machte die geringste Bewegung; sie standen wie die Statuen. Ihr Häuptling betrachtete mich mit angstvollen Augen und antwortete dem Apatschen in bittendem Tone:
»Ich sehe, daß du Winnetou bist, und glaube auch, daß das Bleichgesicht dort Old Shatterhand ist. Ich mag sein Zaubergewehr nicht auf mich gerichtet haben. Sag ihm, daß er es senken möge!«
»Old Shatterhand thut, was er will; er nimmt keinen Befehl eines andern an, auch nicht von mir, der ich sein Freund und Bruder bin.«
»So bitte ihn!«
»Auch darauf hört er nicht. Er ist nur dann bereit, eine Bitte zu erfüllen, wenn sie aus dem Munde seines Bruders Old Surehand kommt.«
Da wendete sich Tusahga Saritsch an seinen bisherigen Gefangenen:
»So bitte du Old Shatterhand, das Zaubergewehr nicht länger auf mich zu richten.«
Jetzt fühlte sich Old Surehand im richtigen Fahrwasser; er antwortete:
»Ich werde diese Bitte nur dann aussprechen, wenn du meine Wünsche schnell und ohne allen Widerspruch erfüllst!«
»Was wünschest du?«
»Bin ich frei?«
»Nein!«
»Pshaw! Old Shatterhand braucht nur den Drücker zu bewegen, so bist zu eine Leiche. Ich bin schon frei. Niemand kann mich festhalten. Dennoch frage ich, um dir Gelegenheit zu geben, deinen guten Willen zu zeigen. Also sag: Bin ich frei?«
»Wie kann ich dich freigeben? Du hast zwei unserer Krieger getötet!«
Da sagte Winnetou:
»Der Häuptling der Capote-Utahs will nicht einsehen, wer hier zu befehlen und wer zu gehorchen hat. Was sind das für Riemen, welche ich hier zu den Füßen meines Bruders Surehand liegen sehe?«
»Es sind die, mit denen ich bis heut früh gefesselt war,« antwortete der Genannte.
»Heb sie auf und binde damit Tusahga Saritsch die Arme und die Füße!«
Der Häuptling wollte aufspringen; da ließ ich den noch unaufgezogenen Hahn knacken.
»Halt! Still!« warnte ihn Winnetou. »Noch eine solche Bewegung, so trifft dich die Kugel! Hört, alle ihr Männer vom Stamme der Utah: Von den Worten, die ich euch jetzt sage, geht kein Laut und keine Silbe ab. Ihr seid unsere Gefangenen, legt eure Waffen ab und laßt euch von uns binden. Morgen früh erhaltet ihr die Waffen und die Freiheit wieder und könnt gehen, wohin ihr wollt. Wer sich das nicht gefallen lassen will, der hebe seine Hand empor; aber wer sie emporhebt, der bekommt sofort die Kugel in den Kopf!«
Es gab natürlich keine Hand, welche in die Höhe gehalten wurde.
»Ihr habt unsern Freund und Bruder Surehand gebunden mit euch herumgeschleppt; ihr habt ihm die Wahl zwischen dem Tode und dem Kampfe mit den Bären gelassen; das muß gesühnt werden. Wir legen euch eine milde, eine geringe Sühne auf, ihr sollt dafür eine Nacht gefangen sein. Morgen früh seid ihr alle wieder frei. Wer darauf eingeht, der handelt klug; wer unsere Güte von sich weist, dem kostet es das Leben. Winnetou hat gesprochen. Howgh!«
Es ließ sich nicht ein einziges Wort des Widerspruches hören, und so sagte ich:
»Auch ich, Old Shatterhand, gebe den Kriegern der Capote-Utah mein Wort, daß sie morgen früh wieder frei sein werden, wenn sie sich jetzt binden lassen. Der Häuptling soll der erste sein, der die Riemen bekommt. Dick Hammerdull und Pitt Holbers, ihr beide versteht euch auf dieses Geschäft! Auch ich habe jetzt gesprochen. Howgh!«
Es ist etwas ganz eigenes um die fast unausbleibliche Wirkung, welche so ein ruhiges, festes und selbstbewußtes Auftreten auf Leute, wie die Utahs waren, hervorbringt. Der Ruf, in welchem wir standen und die Furcht vor meinem vermeintlichen Zaubergewehre hatten wohl auch ihren Anteil daran, aber das Äußere besonders des Apatschen und die Art und Weise, wie er sich gab und wie er sprach, brachten auch hier das hervor, was er beabsichtigte: Der Häuptling wehrte sich nicht, als ihm die Riemen angelegt wurden, und seine Untergebenen konnten nicht anders, als diesem Beispiele folgen. Erst als der letzte gefesselt war, ließ ich den Stutzen sinken. Die Arme thaten mir weh.
Das nächste war, daß sich Old Surehand in den Wiederbesitz seines Eigentumes setzte; es war nichts davon abhanden gekommen, ein Umstand, der ihn versöhnlich stimmte. Er erklärte uns also:
»Eigentlich haben diese Indianer einen Denkzettel verdient, denn es ist nicht angenehm, mehrere Tage lang als Gefangener umhergeschleppt zu werden. Daß ich ihnen zwei Leute erschossen habe, dürfen sie mir nicht anrechnen, weil ich mich meines Lebens wehren mußte; also wäre ich jetzt eigentlich noch nicht quitt mit ihnen, sondern hätte einen Betrag heraus zu bekommen; aber da sie die Ursache sind, daß ich euch hier getroffen habe, will ich meine Rechnung durchstreichen und dareinstimmen, daß sie morgen ihre Wege ziehen können. Die Bärenfelle aber bekommen sie natürlich nicht!«
»Das fehlte noch!« stimmte Dick Hammerdull bei. »Wer einen Bärenpelz haben will, mag mit dem Kerl, welcher naturgemäß hineingewachsen ist, selber reden. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Hm!« brummte der Lange. »In was für ein Fell bist denn du eigentlich hineingewachsen, lieber Dick?«
»In das deinige natürlich nicht! Fang nicht etwa schon wieder an, mich zu molestieren! Seit Mr. Shatterhand heutnacht mein Leibschneider geworden ist, halte ich auf Reputation und Ehre und laß mich von dir nicht schikanieren. Aber, Mesch'schurs, wer soll die schweren Felle bis so weit hinauf in das Gebirge schleppen? Das ist doch eine unbequeme Plackerei!«
»Meine Brüder werden auf die Felle verzichten und nur die Trophäen behalten,« antwortete Winnetou. »Das ist genug.«
Er meinte die Zähne, Krallen und Ohren der Bären, welche der Jäger als Siegeszeichen um den Hals oder am Hute zu tragen pflegt. Ich muß erwähnen, daß wir den Tieren die Zähne mit Hilfe der Tomahawks und Messer ausgebrochen hatten. Nun fragte es sich, wer diese Trophäen bekommen sollte. Old Surehand hatte den vierten Bären erlegt, weigerte sich aber, etwas von ihm anzunehmen, und begründete diese Weigerung mit den Worten:
»Die zwei Kugeln, welche er von mir bekommen hat, zählen nicht. Old Shatterhand hat ihm den ersten Schuß gegeben; dieser gilt!«
Natürlich ging ich nicht auf diesen Verzicht ein, und er mußte sich in meinen Willen fügen. Dieser Bär gehörte ihm. Dann handelte es sich um die Bärin, deren Fell und Zähne mir zugesprochen wurden. In Beziehung auf den alten starken Vater Ephraim wollte Winnetou geltend machen, daß er durch den zweiten, also durch meinen Messerstich erlegt worden sei; es entspann sich also ein Wettstreit zwischen ihm und mir, aus welchem ich als Sieger hervorging; der Grizzly wurde als von ihm getötet betrachtet; er fügte sich mit den Worten:
»Old Shatterhand und Winnetou sind nicht zwei Personen, sondern eine; es ist also gleich, wer die Trophäen erhält.«
»Und nun das Baby!« sagte Dick Hammerdull. »Wer hat die Ehrenzeichen von diesem zu erhalten?«
»Apanatschka,« antwortete ich.
»Wie? Warum der?«
»Weil er den jungen Bären erstochen hat.«
»Ach so! Und warum hat er ihn erstechen können, Mr. Shatterhand?«
»Weil er ein Messer in den Händen hatte, natürlich.«
»Fehlgeschossen! Weil ich das Baby festgehalten habe. Wäre es nicht von mir so fest umklammert worden, hätte es nicht erstochen werden können.«
»Es ist wohl etwas umgekehrt gewesen!«
»Wie denn?«
»Nicht Ihr hattet es, sondern es hatte Euch umklammert!«
»Ob es mich hatte oder ob ich es hatte, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal; wir hatten einander fest, und darum habe ich nicht eher losgelassen, als bis es von Apanatschka erstochen worden war. Wenn der berühmte Häuptling der Komantschen nur eine Spur von menschlicher Gerechtigkeit im Herzen hat, muß er zugeben, daß ich allein und unbedingt derjenige bin, welcher!«
Da sagte Apanatschka lächelnd:
»Mein Bruder Hammerdull trägt die Spuren des Baby am Leibe!«
»Das ist wahr. Seine Mutter war eine Rabenmutter, die ihm auch nicht ein einziges Mal die Fingernägel abgeschnitten hat! Eine so krallige Kindererziehung ist mir noch gar nicht vorgekommen!«
»Und weil mein Bruder die Zeichen des Baby besitzt, mag er auch das Fell behalten!«
»Wirklich, bester Freund und Bruder Apanatschka?«
»Ja. Weil das Baby meinen Bruder Hammerdull so festgehalten hat, verzichtet Apanatschka auf den Rock, der ihm von seiner Mutter angezogen worden war.«
»Er ist ihm von uns wieder ausgezogen worden und gehört nun mir! Hast du das vernommen und gehört, Pitt Holbers, altes Coon?«
»Yes!« nickte der Lange.
»Was hast denn aber du?«
»Nichts! Ich laß mir nichts schenken!«
»Ist das Fell etwa ein Geschenk für mich?«
»Yes, weiter nichts!«
»Oho! Ich habe es mir redlich verdient. Der Kaufkontrakt steht mit deutlichen Buchstaben auf meiner Haut geschrieben!«
»Und zwar so fest, daß ich ihn nicht herunterwaschen konnte!«
»Du willst mich wieder ärgern! Aber das thut nichts; ich bin und bleibe dein bester, treuster Freund. Wir werden teilen!«
»Was? Das Baby?«
»Nein, sondern nur die Andenken an das liebe Kind. Sag, alter Pitt, willst du die Hälfte davon haben?«
Da zog Holbers seine süßesten Lächelfalten zusammen und rief aus:
»Du wirst doch nicht, liebster Dick!«
»Warum nicht? Weißt du noch, was Winnetou vorhin sagte?«
»Nun, was?«
»Old Shatterhand und Winnetou sind nicht zwei Personen, sondern eine; es ist also ganz gleich, wer die Trophäen bekommt. So ist es auch mit uns beiden: Dick Hammerdull und Pitt Holbers sind ein Leib und eine Seele; nämlich der Leib bist du und die Seele bin ich. Geben wir also dem Leib die eine Hälfte und der Seele die andre Hälfte von den hübschen Babysachen! Einverstanden?«
Er streckte ihm die Hand hin. Holbers schlug ein und antwortete:
»Yes, einverstanden! Du bist doch ein guter Kerl, alter Dick!«
»Du bist auch nicht ohne! Leib und Seele müssen zusammenhalten; also ärgere mich nicht mehr; dann bleib ich dir bis in den Tod getreu!«
Man wußte wirklich nicht, ob man sich gerührt fühlen, oder über die beiden sonderbaren Kerle lachen sollte. Die dicke Seele in dem langen, dünnen Leibe war ein köstliches Bild der unzertrennlichen aber so oft uneinigen Zweieinigkeit.
Natürlich war diese Besprechung über die Preisverteilung so unter uns vorgenommen worden, daß die Utahs nichts davon hörten. Sie mochten auch ferner überzeugt sein und es weiter erzählen, daß Old Surehand an einem Tage vier graue Bären erlegt habe. Sie verhielten sich, seit wir sie gebunden hatten, außerordentlich schweigsam; sie sprachen weder miteinander, noch kam es ihrem Häuptling bei, ein Wort an uns zu richten. Das war uns übrigens ganz lieb, denn wir hatten während der vergangenen Nacht nur wenig geschlafen und bedurften der Ruhe. Es wurde, um die Beleuchtung des Lagers zu vereinfachen, ein einziges großes Feuer angezündet, an welchem wir uns unser Abendessen, bestehend aus gebratenem Bärenfleisch, bereiteten, und während wir aßen, teilten wir die Wachen aus. Die erste erbat ich für mich, weil ich mich doch etwas überanstrengt hatte und mich die Wunde heute mehr als gestern schmerzte, was ich aber nicht sagte. Ich wollte dann versuchen, in einem fort zu schlafen.
Was die Wachen betrifft, so versuchten wir ein Arrangement, welches im wilden Westen wohl noch niemals vorgekommen war: die Gefangenen mußten sich daran beteiligen. Wir hatten zusammen rund sechzig Pferde, welche während der Nacht zusammenzuhalten waren; das konnten die Utahs übernehmen, von denen von Stunde zu Stunde zwei losgebunden und dann wieder gefesselt wurden. Eine Gefahr für uns gab es nicht dabei; sie hatten ja keine Waffen, und da sie wußten, daß sie früh schon wieder frei sein würden, hatten wir von ihnen keine Unannehmlichkeiten zu erwarten.
Als sich die andern Gefährten zur Ruhe gelegt hatten, setzte sich Old Surehand zu mir und sagte:
»Erlaubt, daß ich mich an Eurer Wache beteilige! Ich habe die ganze Nacht geschlafen und bin noch munter wie ein Fisch im Creek. Die Freude über unser Zusammentreffen hält mich wach. Wir haben uns zwar schon heut vormittag gar manches erzählt, aber mit Euch allein ist's doch eine andre Sache. Ihr seid bei Wallace in Jefferson-City gewesen. Hattet Ihr noch jemand mit bei ihm?«
»Nein; ich war natürlich allein,« antwortete ich.
»Ihr seid sein Gast gewesen?«
»Ich sollte, habe es ihm aber abgeschlagen.«
»Warum?«
»Weil wir da doch von Euch mehr gesprochen hätten, als grad notwendig war. Ich wollte von ihm nichts weiter wissen, als Euer gegenwärtiges Ziel und Eure Reiseroute.«
»Und es ist auch bloß davon gesprochen worden?«
»Ja.«
»Ich danke Euch, Sir!«
»Bitte! Ah, hättet Ihr mir zutrauen können, daß ich Fragen ausgesprochen habe, die mir nur im Falle Eures Todes erlaubt gewesen wären?«
»Nein, auf keinen Fall! Aber Wallace könnte Euch gegenüber mitteilsam geworden sein. Wer mit Euch spricht, dem geht das Herz leicht auf; das habe ich ja an mir selbst erfahren.«
»Ich versichere Euch, daß nicht ein Wort gefallen ist, welches auch nur im entferntesten auf ein Geheimnis angespielt hätte!«
»Ich glaube Euch, Mr. Shatterhand. Glaubt mir, wenn ich reden dürfte, so würdet grad Ihr der erste sein, dem ich mich mitteilte; es giebt aber Verhältnisse, welche mich zum Schweigen zwingen.«
»Ich weiß, daß Ihr Vertrauen zu mir habt; darum möchte ich mir dennoch und trotzdem eine Frage erlauben.«
»Sprecht sie aus!«
»Müßt Ihr wirklich und unter allen Umständen schweigen?«
»Jetzt ist mir das Reden noch verboten, doch können allerdings Umstände eintreten, welche es mir erlauben.«
»Hm! Ich bin älter und vielleicht auch erfahrener als Ihr und fühle mich zu einer Bemerkung fast verpflichtet: Ich habe Fälle erlebt, in denen ein erzwungenes Schweigen, ja ein Schweigen auf Ehrenwort, eine Sünde, ein Verbrechen war. Hoffentlich gehört Eure Verschwiegenheit nicht in diese Kategorie der Diskretionen?«
»Nein; ich bin rein und frei von aller Schuld.«
»Steht Euer jetziger Ritt mit dem Geheimnisse in Beziehung?«
»Alle meine Wanderungen beziehen sich darauf.«
»Ich vermute: Ihr sucht etwas; Ihr sucht jemand; Ihr wollt Helligkeit in irgend ein Dunkel bringen. Denkt, wie weit ich in den Staaten und im wilden Westen herumgekommen bin! Wäre es denn gar nicht möglich, daß grad ich etwas für Euch Wichtiges erfahren hätte, daß grad ich Euch einen Fingerzeig geben könnte, wenn ich nur eine Andeutung von Euch bekäme?«
»Nein; das ist nicht denkbar, Mr. Shatterhand. Das, was mir am Herzen liegt, steht Euch so fern, kann Euch gar nie berühren.«
»Kann mich gar nie berühren? Well! Aber wenn es nun umgekehrt wäre, wenn ich es berührt hätte, zufälligerweise berührt hätte?!«
»Das ist nicht der Fall. Glaubt mir, das ist nicht der Fall!«
»Und doch möchte ich Euch so gern helfen, die Last, welche auf Euch liegt, von Euch zu werfen!«
Da rückte er schnell von mir ab und sagte in beinahe schroffem Tone:
»Last? Mr. Shatterhand, ich trage keine Last! Ich bitte Euch, dringt nicht in mich; es gelingt Euch doch nicht, mich zum Reden zu bringen!«
»Ah, welche Worte, lieber Freund! Es fällt mir nicht im geringsten ein, etwas aus Euch herauszulocken, hört Ihr, zu locken, was Ihr für Euch behalten wollt und müßt! Ich habe aus reiner, herzlicher Teilnahme, nicht aber aus Neugierde gesprochen. Diese Versicherung gebe ich Euch, und ich denke, daß Ihr mir das glauben könnt.«
»Ich glaube es. Nun bin ich aber doch müde geworden und will mich niederlegen. Ich wünsche Euch gute Nacht, Mr. Shatterhand!«
»Gute Nacht!«
Er suchte sich einen bequemen Platz und legte sich dort nieder. So plötzlich fühlte er sich ermüdet? Er war verstimmt. Wie konnte er, der mich doch kennen mußte, mein aufrichtiges Mitgefühl für Auf- und Zudringlichkeit halten, wie sich durch meine gut gemeinte Hilfsbereitschaft von mir abstoßen lassen! Der Mann, der Charakter in mir, wollte beleidigt thun, der Mensch in mir aber, das alte, gute, deutsche Gemüt, überwand die aufsteigende Bitterkeit. Wer an Geheimnissen zu tragen, vielleicht schwer zu tragen hat, ist nicht glücklich zu nennen, und jeder Unglückliche hat Anspruch auf Schonung und Entschuldigung. Die schroffe Zurückweisung des Freundes war verziehen.
Als meine Wache zu Ende ging, sorgte ich für die Ablösung der beiden Utahwachen und weckte dann Apanatschka als den mir nachfolgenden auf. Ich war müde, sehr müde; aber ich grübelte trotzdem noch lange an der Enthüllung des Geheimnisses, welche mir verboten war, und noch im Einschlafen dachte ich an ein Felsengrab im Hochgebirge und hörte an demselben eine klagende Frauenstimme nach ihrem Wawa Derrick rufen. Ich träumte auch von diesem Grabe, um welches sich kämpfende Gestalten bewegten, doch als ich früh erwachte, konnte ich mich keiner derselben entsinnen. – – –