Karl May
Im Reiche des silbernen Löwen I
Karl May

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DRITTES KAPITEL

Der »Löwe der Blutrache«

Wie ich schon oft im Verlaufe meiner Erzählungen gethan habe, betone ich auch jetzt wieder, daß ich kein Anhänger der Lehre der Zufälle bin. Ich hege vielmehr die vollständige und unerschüttliche Ueberzeugung, daß wir Menschen von der Hand des Allmächtigen, Allweisen und Allliebenden geführt werden, ohne dessen Willen – nach dem Worte der heiligen Schrift – kein Haar von unserem Haupte fällt. Diejenigen, welche sich von dieser Hand losgerissen haben, ihre eigenen Wege wandeln und nun eine höhere Führung leugnen, können mich in meiner Ueberzeugung nicht irre machen. Meine Erfahrungen stehen mir höher als die Behauptungen meinetwegen sehr gelehrter Personen, welche nur deshalb von dem Einflusse der himmlischen Vorsehung nichts bemerken, weil sie auf denselben verzichtet haben. Es ist mir sehr, sehr oft vorgekommen, daß ein um viele Jahre zurückliegendes, an sich ganz unbedeutend scheinendes Ereignis, an welches ich längst nicht mehr dachte, mir ganz unerwartet seine Folgen zeigte und so bestimmend in mein Thun und Handeln eingriff, daß ich nur als geistig Blinder hätte behaupten können, daß mir meine damaligen Gedanken und Entschlüsse nur von einem Zufalle eingegeben worden seien.

So war es auch in Beziehung auf mein Zusammentreffen mit Dschafar, welches in meinem viel bewegten Leben den Raum einer kurzen Episode einnahm, an die ich nur höchst selten einmal dachte. Offen gestanden, hatte sogar der Chandschar nach und nach seine Eigenschaft als »Andenken« für mich verloren. Ich nahm ihn in die Hand, ohne mir den frühern Besitzer zu vergegenwärtigen, und ich trug ihn von Zeit zu Zeit auf meinen Reisen, ohne an die Möglichkeit zu denken, daß er mir jemals von größerer Bedeutung als derjenigen einer Waffe werden könne, welche eben gar nichts weiter als nur eine Waffe ist. Und doch sollte diese halb vergessene Episode mir noch nach einer Reihe von Jahren ihre Konsequenzen zeigen; die Ereignisse, von denen ich jetzt erzähle, werden das beweisen. – –

Die Leser meiner »Gesammelten Werke« wissen aus dem dritten Band derselben (»Von Bagdad nach Stambul«), daß ich damals auf dem Wege der Todeskarawane von Bagdad nach Kerbela mit meinem treuen Hadschi Halef Omar von der Pest ergriffen und niedergeworfen wurde; es war ein wahres Wunder, daß wir dem Tode entgingen, zumal der schweren Erkrankung Ereignisse vorangegangen waren, welche unsere Körper- und auch geistigen Kräfte bis fast zur Erschöpfung in Anspruch genommen hatten. Diese Leidenstage, während welcher wir beiden gänzlich hilflosen Menschen nur auf uns selbst angewiesen waren, nehmen in unserer Erinnerung eine hervorragende Stelle ein, und ebenso tief hat die Gegend, in welcher wir wochenlang zwischen Tod und Leben schwebten, sich unserem Gedächtnisse eingeprägt. Es ist daher leicht begreiflich, daß wir bei einer spätern Anwesenheit in Bagdad beschlossen, die Orte, welche uns so verhängnisvoll geworden waren, bei dieser Gelegenheit wieder zu besuchen.

Ich muß vorausschicken, daß mein wackerer Halef inzwischen oberster Scheik der Haddedihn-Araber geworden war, und daß die Achtung, welche er sich erworben hatte, im umgekehrten Verhältnisse zu seiner Körpergröße stand. Er war bekanntlich von sehr kleiner und schmächtiger Gestalt und außerordentlich stolz auf seinen Schnurrbart, von dem er in aufrichtigen Augenblicken allerdings der Wahrheit gemäß zugab, daß diese »Zierde seines Angesichtes« aus dreizehn Haaren bestehe, nämlich sechs rechts und sieben links. Aber sein Mut und seine Tapferkeit waren über jedem Zweifel erhaben, und in Beziehung auf seine Anhänglichkeit zu mir hätte ich sehr oft nicht sagen können, wen er mehr liebe, mich oder sein Weib Hanneh, welche er »die lieblichste Blume unter allen Rosen der Frauen und Töchter« zu nennen pflegte.

Hatte er schon mündlich eine ganz eigene, mehr als orientalisch blumenreiche Art, sich auszudrücken, so waren die Briefe, welche ich während der Trennungspausen von ihm erhielt, noch viel interessanter. Wir schrieben uns nämlich zuweilen, doch auf ziemlich erschwertem Wege. Ich schickte meine Briefe nach Mossul, wohin er dann und wann einen seiner Beduinen sandte, um anzufragen, ob ein Schreiben von mir angekommen sei; nach Monats- oder gar Jahresfrist schickte er dann seine Antwort ebendorthin; er mußte ja warten, bis sein Stamm sich einmal in der Nähe dieser Stadt befand, und so kam es, daß unsere Korrespondenz keineswegs an dem Fehler großer Uebereilung litt. Um so origineller aber war dann, wenn er einmal schrieb, der Inhalt seiner Briefe, und ich darf wohl sagen, daß der letzte, den ich damals von ihm bekam, der köstlichste von allen war. Ich hatte ihm drei Vierteljahre vorher mitgeteilt, daß ich nach Persien wolle und auf dem Wege dorthin die Weideplätze seines Stammes aufsuchen werde. Hierauf antwortete er mir, indem er sich des ihm eigentümlichen Gemenges von Arabisch und Türkisch bediente, welches ich natürlich ins Deutsche übertrage:

»Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, an Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, seinen Freund.

Gruß! Ich liebe Dich! Nochmals Gruß!

Dein Brief, oh Effendi, kam grad während des Gebetes des Asr bei mir an. Dank! Gnade! Anhänglichkeit! Mir scheint die Sonne, denn Du hattest genug Tinte, mir zu schreiben. Freude überall; Hamdulillah! Sei unverzagt; ich schreibe sofort wieder! Oh Feder! oh Tinte! Sie ist vertrocknet. Ich schicke nach Wasser und schütte es hinein! Sie wird wieder weich und dünn! Maschallah! Die Schrift ist sehr blaß, aber Du kannst sie dennoch lesen, denn Du bist der Gelehrteste aller Gelehrten des Morgen- und des Abendlandes. Ich beschwöre es! Hanneh, mein Weib, die schönste der Blumen unter allen Frauen, duftet grad noch so wie vor mehr als zehn Jahren. Du hast keine. Allah erbarme sich Deiner! Kara Ben Halef, mein Sohn, der Deinen Namen trägt, ist schon beinahe klüger als sein Vater; er wird mich wohl noch überholen. Des freut sich meine Seele; dennoch rufe ich: oh wehe, wehe! Meine Herden wachsen, und mein Zelt vergrößert sich. Oh Geld, oh Reichtum, oh Kamele, Pferde, Schafe, Ziegen und Lämmer! Ist s bei Dir ebenso? Ist Deine Milch fett und dick? Oder sind die Früchte Deiner Datteln wurmstichig? Dann taugen sie nur als Futter für das Vieh. Oh Armut, oh Sorge und Verderben! Wie wächst das Gras in Dschermanistan? Sind Deine Zelte dicht? Wo nicht, so flicke sie! Ein kleines Loch wird sehr schnell ein großes Loch. Oh Wind, oh Regen, ihr sollt ja nicht hinein! Wir haben Vollmond; was hast Du? Fliehe die Laster, denn sie vermehren sich wie die Ameisen in der Steppe! Gieb Deinen Kamelen nicht zu viel Futter, und erziehe sie zur Geduld. Deine Pferde laß im Freien schlafen; Deine Lieblingsstute aber nimm in das Zelt hinein! Oh Nacht, oh Tau, ihr schadet ihr! Hüte Dich vor der Erkältung und vor der Sünde! Beide töten, die eine den Leib und die andere die Seele, und in beiden Fällen wäre es jammerschade um Dich. Glaube es mir, denn ich bin Dein Freund und Beschützer! Deine Gedanken sind in Persien, die meinen auch, denn ich reite mit. Wie könnte ich Dich allein reiten lassen, oh Effendi! Ich will wieder mit Dir leben und wieder mit Dir sterben. Komm! Ben Rih, das herrlichste der Pferde, soll Dich tragen. Sein Vater war Dein Eigentum; Du hast ihn mir geschenkt; so nimm nun jetzt den Sohn dafür, und gieb ihn mir dann wieder! Sieh, wie ich Dich liebe und verehre: Ich begann diesen Brief am dritten Tage des Monates Tischrihn el Auwal und vollende ihn heut am neunten Tage des Monates Kanun el Tani; das sind mehr als drei Monate; so große Stücke meines Herzens sind Dein Eigentum! Wenn Du gekommen bist, schreibe ich nicht, sondern sage Dir mehr. Habe Geduld mit Deinem Stamme, doch sei streng mit dem Munde alter Weiber; dann wirst Du weise regieren und Ruhm und Ehre ernten! Verliebe Dich nicht in Deine Fehler, sonst wachsen sie heran zu Löwen, welche Dich zerreißen werden! Trinkst Du noch immer Wein? Oh Muhammed! Er hat ihn ja verboten! Du aber bist ein Christ, und ich soll dem Kuran gehorchen; aber wenn Du welchen bringst, so trinke ich ihn mit! Oh Hochgenuß, oh Wonne! Wir erwarten Dich schon von morgen an. Das Schaf mit dem fettesten Schwanze ist bereit, für Dich geschlachtet zu werden, sobald Du bei uns erscheinst. Es freut sich dieser Ehre. Schnalle nie den Sattel locker; er rutscht mit Dir hinab! Oh Bruch der Arme, Beine und der Rippen! Hanneh, die herrlichste der Frauen unter den Weibern, hat nichts dagegen, daß ich mit Dir reite. Sie wird immer schöner. Oh Glück, oh Segen, oh Ehestand! Werde ja nicht krank! Ich beteuere Dir, daß dies der Gesundheit schadet, denn ich bin Dein wahrer Freund! Gehe nicht unter die Ungläubigen und Lästerer, sondern nimm Dir ein Beispiel an denen, welche durch dich auf den richtigen Weg geführt worden sind. Nun ist heut der vierte Tag des Monates Nisahn; der Brief ist also noch drei Monate länger geworden. Oh Länge der Zeit, oh Zahl der vielen Tage! Wasche Dich täglich fünfmal, bei jedem Gebete einmal, und hast Du kein Wasser, so nimm einstweilen Sand! Oh Sauberkeit des Körpers, oh Reinlichkeit der Seele! Wir lagern in der Nähe von Qalat Scherkaht und ziehen bald nach Westen; darum sende ich den Boten nach Mossul. Sei frühzeitig munter, denn das Morgengebet ist besser als der Schlaf! Bring Deine berühmten Gewehre mit, und komm sobald wie möglich! Gruß, Achtung, Liebe, Verehrung und Ermahnung von Deinem Freunde und Beschützer

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas
Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

Mein Schreiben, auf welches diese Antwort erfolgte, hatte monatelang in Mossul gelegen, ehe es abgeholt worden war, und während Halef dann sechs volle Monate gebraucht hatte, um im Schweiße seines Angesichtes den obigen Brief zu Ende zu bringen, war ich schon am Tigris angekommen. Nachdem ich mich lange vergeblich erkundigt hatte, erfuhr ich endlich, daß die Haddedihn jetzt in der Nähe des Dschebel Chonuka zu suchen seien, und machte mich dorthin auf den Weg. Das war kein ganz ungefährliches Unternehmen, weil ich grad in dieser Richtung den Feinden des genannten Stammes begegnen konnte und, wenn sie mich erkannten, darauf gefaßt sein durfte, mein Leben gegen sie verteidigen zu müssen. Ich war ganz allein, und das Pferd, welches ich ritt, taugte nicht viel; ich hatte kein teures gekauft, weil ich wußte, daß Halef eine Ehre darin suchen werde, mich gut beritten zu machen.

Das Glück war mir günstig; es begegnete mir kein einziger Mensch, bis ich die Höhen des Chonuka im Süden vor mir liegen hatte. Da sah ich einen Reiter kommen, welcher, als er mich erblickte, sein Pferd anhielt und mißtrauisch nach der Flinte griff. Ich zeigte mehr Vertrauen als er, ritt auf ihn zu und grüßte, als ich ihn erreichte, mit einem freundlichen Sallam aaleïkum. Er zögerte, zu antworten, musterte mich mit finstrem Blicke und fragte dann, ohne meinen Gruß zu erwidern:

»Du bist ein Türke, ein Bote des Pascha von Mossul?«

»Nein,« antwortete ich.

»Leugne es nicht! Ich sehe es dir an. Dein Gesicht hat die helle Farbe der Städtebewohner!«

Ich war allerdings zu kurze Zeit unterwegs, um von der Sonne gebräunt zu sein, und wußte gar wohl, wie unbeliebt die Beamten des Pascha bei den Beduinen sind, welche die Berechtigung der Regierung, Steuern zu fordern, nie anerkennen wollen. Darum sagte ich:

»Was geht mich der Pascha an! Ich bin ein freier Mann und nicht sein Unterthan.«

»Wie kann ein Türke sich einen freien Mann nennen!« meinte er verächtlich. »Nur der Bedawi ist frei.«

»Ich bin kein Türke.«

»Was denn? Ein Kurde bist du auch nicht; das sehe ich. Welchem Volke könntest du also angehören?«

»Ich bin ein Franke.«

»Ein Franke?« lachte er höhnisch. »Welch eine Lüge! Kein Franke wird sich so allein wie du in diese Gegend wagen.«

»Glaubst du, daß nur die Beduinen Mut besitzen?«

»Ja.«

»Und dennoch hieltest du an, als du mich erblicktest? Ich aber ritt getrost auf dich zu! Wer war es also, welcher Mut besaß?«

»Schweig! Einem einzelnen Menschen zu begegnen, dazu ist kein Mut erforderlich. Ich will wissen, welchem Volke oder Stamm du angehörst!«

Das klang beinahe drohend, und er spielte dabei mit dem Hahne seiner Flinte. Sein Gesicht war mir unbekannt; er konnte also kein Haddedihn sein; darum hütete ich mich, ihm zu sagen, wer ich war, sondern entgegnete in ganz demselben Tone:

»Wer von uns beiden hat das Recht, den andern auszufragen? Wer ist der Höhere, ich oder du?«

»Ich!«

»Warum?«

»Die Herden meines Stammes weiden hier.«

»Welches Stammes?«

»Der Haddedihn.«

»Du bist kein Haddedihn!«

»Wie kannst du das behaupten!« fuhr er mich an.

»Wärst du ein Haddedihn, so müßte ich dich kennen.«

»Kennst du alle Personen dieses Stammes?« fragte er erstaunt.

»Wenigstens die von deinem Alter.«

»Allah! Bist du ein Freund oder Feind von ihnen?«

»Ein Freund.«

»Beweise es!«

Da lachte ich ihm ins Gesicht und sagte:

»Höre, wenn es hier etwas zu beweisen giebt, so ist es nur das, daß du ein Haddedihn bist.«

Da zog er den Hahn auf und rief zornig:

»Willst du mich beleidigen, so gebe ich dir eine Kugel! Ich bin jetzt ein Haddedihn und gehörte vorher zu dem berühmten Stamme der Ateïbeh!«

»Das ist etwas anderes, aber ich habe dennoch recht gehabt. Kanntest du den Scheik Malek der Ateïbeh?«

»Ja. Er ist tot.«

»Das stimmt. Er war der Großvater von Hanneh, welche das Weib meines Freundes Hadschi Halef ist.«

»Deines – – Freundes – –?« fragte er zweifelnd.

»Ja, denn ich bin Kara Ben Nemsi Effendi, und du wirst von mir gehört haben.«

Ich sah auf seinem Gesichte erst den Ausdruck des Erstaunens, dann wieder des Zweifels und schließlich der Verachtung.

»Mensch, lüge nicht!« antwortete er. »Wenn du denkst, daß ich dir das glauben werde, hast du keine Spur von Hirn im Kopfe. Du hättest das Geschick, dieser Kara Ben Nemsi zu sein!«

»Ich bin es!«

»Wenn du es bist, so ist es auch möglich, el Aßsur, für en Nisr, zu halten!«

»Kennst du Kara Ben Nemsi?«

»Nein, denn ich bin erst seit einem Jahre bei den Haddedihn; aber ich habe so viel von ihm gehört, daß ich ihn gar nicht gesehen zu haben brauche, um zu wissen, daß du ein Lügner bist. Dieser kühne Sohn der Almani ist der einzige Franke, welcher sich ganz allein in diese Gegend wagen würde; darum kannst du kein Franke, sondern mußt ein Diener des Pascha sein!«

»Maschallah! Deine Gedanken sind wirklich wunderbar! Grad weil ich allein hier bin, muß ich Kara Ben Nemsi sein; das ist die einzige richtige Folge der Behauptung, welche du ausgesprochen hast.«

»Du scheinst zu wünschen, daß ich dich verlache. Ich kann beweisen, daß du nicht der bist, für den du dich ausgiebst.«

»Wirklich?«

»Zweifelst du etwa?«

»Ja.«

»So höre, und schäme dich dann! Ich habe einen Brief nach Mossul zu bringen, welcher nach dem Bilad el Alman, zu Kara Ben Nemsi gehen soll. Kann er hier sein, wenn er einen Brief in seinem Vaterlande zu empfangen hat?«

»Warum nicht? Du zweifeltest vorhin an meinem Gehirn; jetzt möchte ich behaupten, daß du es bist, der keines besitzt. Ich habe vor neun Monaten an Hadschi Halef Omar, den Scheik der Haddedihn, geschrieben, daß ich nach Persien gehe und ihn dabei besuchen will. Muß ich da mit dieser Reise etwa warten, bis er mir vielleicht erst nach Jahren eine Antwort schickt? Ich bin eher da, als er erwartet hat; das ist die Sache. Uebrigens habe ich ihm Umschläge für die Briefe gegeben, welche er mir schreibt. Wenn du einen bei dir hast, so muß er folgendermaßen aussehen.«

Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche, schrieb meine Adresse genau so, wie ich sie Halef gegeben hatte, auf ein Blatt und zeigte ihm dieses hin. Er griff in den Gürtelshawl, brachte den Brief hervor, verglich beides lange und sorgfältig miteinander und rief dann aus:

»Allah akbar! Ich kenne diese Schrift und diese Worte nicht, aber die Zeichen sind genau dieselben. Solltest du wirklich der Emir Kara Ben Nemsi Effendi sein? Dann hast du zwei Gewehre, ein großes und ein kleines, von denen jedermann weiß, daß sie – – –«

Er hielt mitten in seiner Rede inne, denn ich hatte die Gewehre vom Rücken, wo sie hingen, genommen und zeigte sie ihm hin. Jetzt war es höchst interessant, das Gesicht zu sehen, welches er machte. Leider hatte ich diesen Genuß nur einige kurze Augenblicke, denn er schob mir seinen Brief und mein Notizbuch eiligst in die Hand und schrie:

»Ia Suruhr, ia Suruhr; Hamdulillah – oh Freude, oh Freude; Allah sei gepriesen! Kara Ben Nemsi ist da; Kara Ben Nemsi ist da! Ich muß augenblicklich zurück, es zu verkünden!«

Er wendete sein Pferd, schlug ihm die Fersen in die Weichen und jagte fort, in der Richtung zurück, aus welcher er gekommen war. Die beiden Gewehre, den Brief und das Notizbuch in den Händen, lachte ich hinter ihm her. Dieser Mann hatte eine ganz eigentümliche Art, mich auf dem Weidegrunde des Stammes, dem er jetzt angehörte, zu empfangen! Wie weit ich zu den Haddedihn von hier aus hatte, das wußte ich natürlich nicht; er hätte wenigstens das mir sagen können; doch war mir seine Fährte ein sicherer Wegweiser nach dem Ziele, und so stieg ich vom Pferde und setzte mich in das jetzt im Vorfrühjahre hohe Gras, um den Brief meines guten Hadschi Halef mit der ihm gebührenden Andacht zu genießen.

Ich kannte den Stil des seltsamen kleinen Kerls und wußte, schon ehe ich das Schreiben öffnete, daß es eine Menge Ermahnungen enthalten werde, zu denen gar kein Grund vorhanden war. Und richtig, ich hatte mich nicht getäuscht! Ich soll meine Zelte flicken, die Laster fliehen, die Kamele nicht überfüttern, mich vor Sünde und Erkältung hüten, den Sattel nicht locker schnallen u. s. w.! Das war so seine mir bekannte Art und Weise, mir seine Liebe zu erkennen zu geben; das konnte mich nicht im geringsten beleidigen, sondern mir nur Spaß bereiten. Vor drei Monaten hatte er geschrieben: »Wir erwarten dich schon morgen,« und trotz dieser langen Zeit war ich viel eher da, als er ahnen konnte. Welche Wirkung die Nachricht von meinem Kommen im Lager hervorbringen werde, das wußte ich. Es blieb gewiß kein Kind, welches laufen gelernt hatte, im Zelte sitzen, und jeder, der ein Pferd zu besteigen vermochte, kam mir sicher und gewiß entgegengeritten.

Als ich den Brief wiederholt mit wahrem Genusse durchgelesen hatte, schwang ich mich wieder in den Sattel und folgte der Spur des so schnell zum Glauben gebrachten ungläubigen Ateïbeh. Sie führte grad südwärts, den Höhen des Dschebel Chonuka entgegen.

Ich sagte mir, daß ich nicht sehr weit entfernt vom Lager der Haddedihn sein könne. Die ganze, weite Steppe bildete ein einziges, ununterbrochenes Meer der ersten Frühlingsblüten; mein Pferd war bis herauf zu mir vom Blütenstaub gefärbt, was bei dem Gaule des Boten nicht der Fall gewesen war. Hieraus durfte ich mit Sicherheit schließen, daß dieser Mann, als er mich traf, keinen weiten Weg zurückgelegt hatte; er war so glücklich gewesen, gleich im Anfange seines Rittes nach Mossul dem Adressaten des ihm anvertrauten Briefes zu begegnen.

Es war kaum eine Viertelstunde vergangen, so sah ich, daß ich mit dieser Voraussetzung das Richtige getroffen hatte: Es erschienen zunächst zwei Reiter, welche mir im fliegenden Galoppe entgegenkamen. Der eine ritt einen Rappen und der andere einen Schimmel. Noch ehe ich ihre Gesichter erkennen konnte, wußte ich, wer sie waren, nämlich Hadschi Halef Omar auf der weißen, unvergleichlichen Stute, welche einst Mohammed Emin und dann seinem Sohne Amad el Ghandur gehört hatte, und Kara Ben Halef auf dem Rapphengste Assil Ben Rih, dem Nachkommen meines unvergeßlichen Rih. Eine Strecke hinter diesen beiden ritt jemand eine Schecke. Das war Omar Ben Sadek auf dem einst von mir erbeuteten Aladschypferde. Und noch weiter zurück kam eine ganze, große und breite Wolke von Reitern, von denen jeder bemüht war, die andern auszustechen.

Halef und sein Sohn hatten die besten Pferde; sie erreichten mich zuerst. Ich war abgestiegen, um sie stehend zu empfangen. Fast noch im jagen, sprangen sie ab. Halef stürzte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

»Sihdi, Sihdi, mein guter, lieber Sihdi,« rief er; »meine Wonne findet keine Stimme und mein Entzücken keine Worte! Erlaß mir die Rede; ich kann vor Freude nicht sprechen!«

Er schlang die Arme um mich, legte den Kopf an meine Brust und weinte laut. Ich küßte ihn auf die Stirn, die Wangen und den Mund und sagte:

»Und in mir schweigt die Stimme der Sehnsucht, welche mich zu dir getrieben hat; sie hat Erhörung gefunden, und ich preise Allah, der mir dieses frohe Wiedersehen spendet.«

Da drückte er die Arme noch fester um mich, ließ mich dann rasch los, wendete sich zu seinem Knaben um und sagte:

»Hast du es gesehen, mein Sohn? Mein Sihdi, mein Effendi hat mich geküßt! Kara Ben Nemsi, den wir verehren und den ich anbete, hat mich viermal geküßt! Das ist mehr, tausendmal mehr, als meine Freundschaft und Liebe zu ihm sich jemals hätte erbitten dürfen. Vergiß es nie in deinem Leben, daß seine Lippen das Angesicht deines Vaters berührten! Es ist dies auch für dich ein Ruhm, den keine andere Ehrung erreichen kann!«

Er zog den Sohn zu mir heran, daß er mir die Hand reichen solle; ich bückte mich aber zu dem Knaben nieder, küßte ihn auch auf die Stirn und sagte:

»Du bist der Sohn meines Freundes Halef, nach seinem und meinem Namen Kara Ben Halef genannt; denke, daß auch ich dich wie ein Vater liebe. Ich wünsche, daß du einst als Mann ihm gleichen mögest!«

Da reckte sich mein kleiner Hadschi Halef stolz in die Höhe und rief, die Freudenthränen noch immer in den Augen:

»Hast du die Worte des größten Helden, den ich kenne, wohl vernommen? Ein Mann sollst du werden, wie ich, dein Vater, einer bin! Wir haben den Löwen getötet und den schwarzen Panther bezwungen; wir sind stets siegreich gewesen und haben niemals einem Feinde den Rücken gezeigt. In deinen Adern rinnt mein Blut, und hinter deiner Stirn wohnen die Vorzüge meines Geistes. Allah gebe, daß du durch deine Thaten einst die Berühmtheit deines tapfern Vaters erreichst!«

Richtig! So war er! Gleich im ersten Augenblicke des Wiedersehens war es ihm nicht möglich, seiner Gewohnheit, dicke Farben aufzutragen, zu widerstehen. Das war ihm, ohne verwerfliche Prahlsucht zu sein, zur zweiten Natur geworden. Er brachte, ohne eigentlich zu wollen, es fertig, selbst in einer Scene tiefster Rührung und Ergriffenheit durch seine unbefangene und harmlose Ruhmredigkeit dem Ernste einen heitern Beigeschmack zu geben. Wer ihn kennen gelernt hatte, dem fiel dieses gar nicht mehr auf.

Inzwischen war Omar Ben Sadek auch herangekommen und von seinem Aladschy gestiegen. Er reichte mir beide Hände und sagte:

»Sihdi, ich bin nicht so mit Ruhm und Ehre beladen wie Hadschi Halef Omar, unser Scheik; aber ich habe dich wohl ebenso lieb wie er, und für das, was ich dir schulde, wird die Dankbarkeit niemals in meinem Herzen sterben. Sei uns willkommen! Mit dir kehren alle guten Geister bei uns ein.«

Und nun kam sie herangebraust, die große, dichte, vielköpfige Reiterwolke! Die Zügel in der Linken und die Flinten in der Rechten, trieben sie unter jauchzendem Geschrei, als ob sie uns in Grund und Boden reiten wollten, ihre Pferde in sausendem Galoppe bis auf drei Schritte zu uns heran, rissen sie empor, stoben zurück, kehrten, allerlei Figuren bildend, wieder, jagten, immer schießend und wieder ladend, scheinbar wirr durcheinander und schossen dabei stets so hart und nahe an uns vorüber, daß man, um sich nicht durch ängstliches Zurückweichen eine Blöße zu geben, mit diesem Brauche und ihrer Reitertüchtigkeit bekannt sein mußte. Hinter ihnen hielten Knaben im Alter bis zu vier, fünf Jahren herunter auch auf Pferden, um dieser »Fantasia«, an welcher sie natürlich nicht teilnehmen durften, zuzusehen. Dann stiegen wir auf, wurden in die Mitte genommen, und es ging in Carriere dem Lager zu, vor welchem die Greise, Frauen und Mädchen standen, um uns in allen Stimmlagen mit Alan wasah'lan! Marhaba! und Habakek! zu empfangen.

Vor einem noch ganz neuen, schönen Zelte, in welchem ich wohnen sollte, wurde abgestiegen. Daß die Haddedihn ein besonderes Zelt für Ehrengäste besaßen, war ein Zeichen, daß der Stamm sich eines außergewöhnlichen Wohlstandes erfreute. Später, als Halef mich mit sichtlichem Stolze um das Duar, führte, um mir die Herden zu zeigen, erkannte ich zu meiner Freude bald, daß diese mir so befreundeten Menschen jetzt bedeutend wohlhabender waren als zu der Zeit, in welcher ich sie kennen lernte. Ich konnte nicht umhin, dem Hadschi diese Bemerkung mitzuteilen, und er ergriff sofort die günstige Gelegenheit, sich unter die geliebte Beleuchtung zu bringen, indem er fragte:

»Weißt du, Sihdi, wem der Stamm dies alles zu verdanken hat?«

»Nun, wem?«

»Errätst du es denn nicht?«

»Dir jedenfalls! Oder nicht?«

Da legte er sich beide Hände auf das Herz, machte den Nacken steif, zog die Brauen wichtig in die Höhe und sagte:

»Ja, mir! Ich bin der Scheik, und du wirst wissen, was eine gute Regierung zu bedeuten hat! Ich bin es, ich allein, dem alle diese Unterthanen mit ihren Körpern und den Seelen, welche in den Körpern wohnen, anvertraut sind. Ich bin der Vater und die Mutter, der Großvater und die Großmutter, ja sogar der Ahne, Urahne und Urvorahne dieses meines Volkes. Ich ernähre und kleide meine Unterthanen; ich wasche und ich kämme sie; ich belehre und ermahne sie; ich tadle und ich richte sie; ich bewahre und ich schütze sie. Ich habe sie reich und glücklich gemacht. Kannst du erraten, wodurch? Es ist ein einziges, kleines Wort.«

»Du wirst das Wort Friede meinen, denke ich.«

»Ja, es ist der Friede. Mohammed Emin und Amad el Ghandur waren kriegerisch gesinnt, hatten aber kein Glück. Wären nicht wir beide, du und ich, damals zu den Haddedihn gekommen, so hätten sie in allen Kämpfen unterliegen müssen. Mohammed Emin fiel im Streite, und Amad el Ghandur mußte der Fehler wegen, welche er gemacht hatte, die Würde des Scheikes niederlegen. Dann wurde Malek gewählt, der Großvater meines Weibes Hanneh, welche die lieblichste unter den schönen Frauen aller Länder und aller Völker ist. Er war zwar alt, liebte aber als Ateïbeh auch den Krieg, hatte jedoch auch kein Glück. Als er starb, wurde ich gewählt. Das war wohl das Klügste, was die Haddedihn thun konnten! Du weißt, daß ich ein tapferer Krieger bin und niemals einen Feind gefürchtet habe. Auch ich liebte das Schwert und wollte es nicht in der Scheide rosten lassen; da aber kamst du mir dazwischen, Sihdi.«

»Ich?«

»Ja. du!«

»Wieso?«

»Deine Stimme klang aus dem Munde meines Weibes Hanneh, der schönsten Rose unter allen Blumen der Frauenzelte. Du hattest so oft von Gottes Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Güte gesprochen; du hattest so oft gesagt, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes sein solle. Du hattest gelehrt, daß die Liebe die größte Macht des Himmels und der Erde sei, der nichts widerstehen könne. Das waren deine Worte gewesen. Aber deine Thaten wirkten noch mächtiger als deine Worte. Du hast selbst deine ärgsten Feinde so oft und so lange geschont, wie es nur möglich war. Du hast lieber durch Milde oder List zu erreichen gesucht, was du durch Strenge oder Kampf viel leichter und schneller hättest erreichen können. Du hast dein Leben zehnmal gewagt, um dasjenige eines Feindes zu schonen. Diese deine Thaten haben noch lauter als deine Worte zum Herzen meiner Hanneh gesprochen, welcher der Preis unter allen Töchtern und Müttern der Erde gebührt. Als du längst, längst von uns gegangen warst, hat sie still in ihrem Zelte gesessen und durch die Wand desselben andächtig zugehört, wenn von dir erzählt wurde. Sie hat dich zu ihrem Chajali, erwählt und nicht geduldet, daß mein Säbel aus der Scheide fahre. Du weißt, daß wir beide, du und ich, damals die Feinde der Haddedihn besiegten und für lange Zeit unfähig machten, sich wieder zu erheben. Als ich Scheik wurde, vereinigten sie sich zu einer Erhebung gegen uns. Ich wollte sie mit der Schärfe des Schwertes niederschlagen; aber Hanneh, welcher unter den Frauen der Vorrang zukommt, den der Diamant unter den Edelsteinen besitzt, sagte, du würdest an meiner Stelle anstatt der Gewalt die Klugheit wählen. Sie gab mir den Rat, die Feinde untereinander zu entzweien; sie sagte mir auch, in welcher Weise mir dies sehr leicht gelingen werde, und so habe ich den Kampf vermieden und dennoch unsere Macht verdoppelt.«

»Hm!« summte ich lächelnd vor mich hin. »Meinst du, lieber Halef, daß Hanneh mit diesem Rate das Richtige getroffen hat?«

»Hm!« summte auch er, aber nicht lächelnd, sondern nachdenklich. »Darf ich dir etwas anvertrauen?«

»Alles, was du willst!«

»Aber du darfst es keinem Menschen sagen!«

»Du weißt, daß ich nicht plauderhaft bin!«

»Das weiß ich sehr genau; also höre mein Geheimnis an, und behalte es tief in deinem Herzen verborgen!«

Er näherte seinen Mund meinem Ohre und fuhr flüsternd fort:

»Hanneh ist nämlich nicht nur die lieblichste unter den Haremsblumen, sondern auch außerordentlich klug. Sihdi, ich sage dir: sie hat immer recht!«

Fast hätte ich über die stolze Ueberzeugung, mit welcher er dies sagte, laut aufgelacht. Also mein tapfrer Halef stand unter dem Pantoffel! Nicht er, sondern seine »lieblichste der Blumen« war Scheik der Haddedihn! Aber das konnte mich nur freuen, und es fiel mir gar nicht ein, ihn darum weniger zu achten. Es ist jeder heiß- oder schnellblütig angelegte Mann nur glücklich zu preisen, wenn er eine bedachtsame Frau besitzt, welche es versteht, ihn in freundlicher, aber ja nicht herrischer Weise vor Unbedachtsamkeiten zu bewahren. Und doppelt glücklich zu preisen ist er, wenn er trotz seines Temperamentes so einsichtig ist, sich von ihr raten, mahnen und lenken zu lassen! Es geht ihm dadurch kein einziges Atom von seiner Manneswürde verloren. Ich habe nicht wenige Ehen kennen gelernt, deren Glück nur dieser liebevollen, vorsichtigen Führung der Frau zu verdanken war, Das sind Perlen, deren Wert gar nicht hoch genug geschätzt werden kann!

Halef war mir stets ein unendlich treuer, aufopfernder und in gewöhnlichen Lagen höchst zuverlässiger Diener und Begleiter gewesen; sein Mut und seine Tapferkeit hatten nie versagt, und er hätte, um mich zu retten, gewiß jederzeit sein Leben auf das Spiel gesetzt; aber grad in Gefahren war seiner Zuverlässigkeit nicht immer ganz zu trauen gewesen; da ging seine Furchtlosigkeit zuweilen mit ihm durch, und er hatte mich dadurch, daß er über seine Instruktionen hinaus handelte, oft in sehr unangenehme Lagen gebracht. Darum freute ich mich jetzt herzlich, als ich von ihm hörte, daß seine Hanneh eine der vorsichtigen Frauen war, von denen es im Liede von Sanguinikus heißt:

»Und will er in die Lüfte allzu munter,

So zieht sie ihn am Frackschoß wieder runter.«

Ich nickte ihm freundlich zu und fragte.

»Wenn sie immer recht hat, so hast du wohl immer unrecht?«

»Oh nein! Wie kannst du dieses von mir denken, Effendi! Wie kann dein Halef einmal unrecht haben! Ich bin ja immer mit ihr einverstanden! Also habe ich stets ebenso recht wie sie!«

»Das ist sehr klug von dir, mein lieber Halef! Ein Mann, welcher gern den vernünftigen Ratschlägen seines Weibes folgt, gleicht einem Moslem, der stets nach dem Kuran handelt.«

»Wie freut es mich, daß du dieser Meinung bist! Zuweilen will es mir nämlich scheinen, als ob man auch einmal widersprechen müsse; aber wenn ich dann der lieblichsten der Frauen in das Antlitz blicke, so hat sie sicher recht. Wie könnte ich solche Freundlichkeit betrüben und so ein Lächeln in Wehmut verwandeln! Ich muß dir sagen, daß ihr Lächeln sich sehr schnell auf meinem Angesichte widerspiegelt und dann – – dann – – dann, dann geht – – geht – – geht – –«

Er stockte und so fuhr ich, auch lächelnd, fort:

»Dann geht es wohl auch auf deine Haddedihn Ueber, und schließlich lächelt der ganze Stamm?«

»Ja, Effendi, fast ist es so. Es geht von Hanneh, der Krone aller Frauen, eine Milde aus, welche sich erst mir und dann auch allen, mit denen ich verkehre, mitteilt. Meine Haddedihn sind jetzt nicht mehr die rauhen, rücksichtslosen Krieger, die sie früher waren. Ja, denke dir nur, es kommt sogar vor, daß sie höflich mit mir, ihrem höchsten Vorgesetzten, sind! Das stammt von dir und deinen Lehren, deinen Thaten her, und da mich niemand hört, will ich aufrichtig sein und es dir sagen: Im heiligen Buche der Christen ist, bei Allah und dem Propheten, viel, viel größere Weisheit enthalten als im Kuran, den ich früher für den Inbegriff alles himmlischen und irdischen Wissens gehalten habe! Ich wollte dich damals zum Islam bekehren und ärgerte mich über deine Hartnäckigkeit; jetzt aber sehe ich ein, daß in einem einzigen freundlichen Lächeln meiner Hanneh, die unvergleichlich ist, mehr Religion und Weisheit liegt als in allen hundertvierzehn Suwar des heiligen Buches Mohammeds. Und sodann – – – höre, Effendi, noch ein Geheimnis!«

Er brachte seinen Mund wieder in die Nähe meines Ohres und flüsterte:

»Auch Hanneh, die einzige Rose unter den Blumen und Blüten der Frauenwelt, mag nichts vom Kuran wissen.«

»Wirklich? Ist das wahr?«

»Nichts, gar nichts!« nickte er sehr ernst und bestimmt.

»Warum?«

»Weil die Ausleger des Kuran behaupten, daß die Frauen keine Seele haben.«

»Und das will sie sich nicht gefallen lassen?«

»Nein, auf keinen Fall! Laß dir, lieber Sihdi, im Vertrauen mitteilen: Sie behauptet, sie habe eine – – – und zwar was für eine!«

»Hm! Sollte man das denken!«

»Denken? Sie erlaubt mir gar nicht, ihr zu sagen, was ich darüber denke, und als ich ihr nur so ganz leise und liebevoll andeutete, daß Mohammed doch gewußt haben müsse, was er lehrte, bestand sie darauf, daß ihre Seele, den Körper gar nicht gerechnet, allein zehnmal mehr wert sei als der ganze Prophet, Leib und Seele zusammengenommen.«

»Giebst du ihr da recht?«

»Natürlich! Sie hat ja immer recht, und wenn man sich nach seinem Weibe richtet, so ist das ebenso gut, wie wenn man sich nach dem Kuran richtet; das hast du ja vorhin selbst gesagt; ich handle also ganz genau nach dem Kuran, wenn ich glaube, was Hanneh, die beste aller Frauen, glaubt.«

Welch eine Logik! Der kleine, wackere Hadschi glaubte, sich nach dem Kuran zu richten, indem er ihn verwarf! Es fiel mir natürlich gar nicht ein, ihm diese Ansicht widerlegen zu wollen, und wir kehrten nach unserm Rundgange nach dem Duar zurück, um den Hammel zu verzehren, für den es nach Halefs Worten eine »Freude und Ehre gewesen war, sich für mich schlachten zu lassen«.

Ich blieb eine volle Woche der Gast der Haddedihn. Während dieser Zeit gab es keinen andern Gesprächsgegenstand als die Begebenheiten während meiner früheren Anwesenheit bei dem Stamme, auf welche man noch heut mit stolzer Genugthuung zurückblickte. Halef war natürlich der Hauptsprecher; er hielt eine Menge Reden und Vorträge, in denen er mich als den größten Helden unter der Sonne beschrieb und dabei aber sich als meinen Freund, Beschützer, Bewahrer und Erhalter hinstellte. Ich pflegte mich zu entfernen, sobald er sich in Positur stellte, um eine solche Lobpreisung meiner Person und seiner selbst loszulassen; ich brachte es nicht fertig, seine übertriebenen Orientalismen durch meine Gegenwart zu sanktionieren, und war mir dabei der vollständigen Unmöglichkeit bewußt, sie auf irgend eine Weise zu verhindern. Als ich einmal eine hierauf bezügliche Bemerkung machte und mich dabei des Wortes öjünmek bediente, fuhr er wie vor einer Natter vor mir zurück und rief zornig aus:

»Was? Wie, Effendi? Ich soll ein Oejünüdschi sein? Wie kannst du mich in dieser Weise beleidigen und die Wange eines Mannes schamrot machen, welcher dir sein ganzes Herz geschenkt hat und jederzeit bereit ist, sein Leben fünfzigmal hintereinander für dich hinzugeben! Weshalb führt man solche Heldenthaten, wie wir sie verrichtet haben, aus! Doch nur, damit man von ihnen sprechen und erzählen kann!«

»Nein! Was wir gethan haben, ist aus ganz anderen und besseren Gründen geschehen. Ich habe – – –«

»Gründe?« unterbrach er mich. »Von den Gründen ist jetzt gar nicht die Rede, denn Gründe gehen voraus, das Sprechen aber folgt hinterher. Wenn ich von dem, was ich gethan und erlebt habe, nicht sprechen soll, so will ich lieber gar nichts thun und erleben!«

»Wer hat die das Sprechen verboten? Du sollst dich nur vor Uebertreibungen hüten.«

»Uebertreibungen? O, Sihdi, wie ist es mit deiner Erfahrenheit und Menschenkenntnis doch so schlecht bestellt! Der Mensch ist das einzige ungläubige Geschöpf, welches auf der Welt wohnt, denn Tiere, Pflanzen und Steine können nie ungläubig sein, was du aber gar nicht zu wissen scheinst. Und weil der Mensch den Unglauben ganz allein besitzt, so hat er davon eine so große Menge, daß sie gar nicht gezählt, gemessen und berechnet werden kann. Sagst du das Wort hundert, so wird man dir nur das Wort zwanzig glauben; hast du fünf Kinder, so traut man dir nur zwei zu, und behauptest du, alle zweiunddreißig Zähne zu besitzen, so läßt man dir nur zehn oder elf, zwischen denen sich einundzwanzig Chilahl befinden. Darum wird ein kluger Mensch stets mehr sagen, als eigentlich richtig ist. Ich, der Besitzer eines einzigen Kindes, sage, daß ich zehn Knaben und zwanzig Mädchen habe; ich behaupte, sechsundneunzig Zähne zu besitzen, und das ist keine Lüge, denn ich weiß ja, daß man mir wenigstens drei Viertel davon abziehen wird. Ich sage keine Unwahrheit; ich übertreibe nicht, denn wenn ich sage, daß ich zwei Beine besitze, so glaubt man nur an eines, und ich muß also, wenn die Wahrheit getroffen werden soll, wenigstens von vieren sprechen. Allah mag deinen Geist erleuchten, daß du das, was ich dir jetzt gesagt habe, nach und nach verstehen lernst und mir ja nicht immer dreinredest, wenn ich von unsern Heldenthaten erzähle. Wenn du einen Wüstenfuchs geschossen hast, mußt du unbedingt einen Löwen daraus machen, weil man sonst annimmt, daß es nur eine Maus gewesen sei, und wenn ein Mensch im Flusse umgekommen ist, so muß ich erzählen, daß zehn Personen ertrunken seien, denn sonst behauptet man, daß überhaupt gar kein Wasser zum Ertrinken dagewesen sei. Nimm dir diese meine Worte zu Herzen, Sihdi! Laß dich mahnen, warnen und belehren! Ich kenne die Welt und die Menschen besser als du. Wenn du heiler Haut nach Persien und wieder zurückkommen willst, so sag stets Mehr, viel mehr, als du eigentlich zu sagen hast. Allah jesellimak – Gott erhalte dich!«

Er drehte sich nach dieser Ermahnung um und ging in der stolzen, selbstbewußten Haltung eines Mannes fort, welcher einen andern durch die Ueberlassung seines ganzen Vermögens vom Bankerott errettet hat. Er war in Beziehung auf das Prahlen eben unverbesserlich, doch muß ich zu seiner Entschuldigung hinzusetzen, daß dies ihm als Orientalen nicht so hoch angerechnet werden durfte. Hätte er sich nach europäischem Muster benommen, so wäre er nicht der liebe, wackere und originelle Kauz gewesen, als der er mir stets so sehr gefallen hatte.

Im Verlaufe der vorhin angegebenen Zeit von einer Woche kam das Gespräch natürlich oft auf meine beabsichtigte Reise nach Persien, und da erfuhr ich, daß Halef plante, vorher erst einen andern Ritt zu unternehmen, welcher allerdings notwendiger als meine Reise war. Die Kabila der Haddedihn gehört, wie man weiß, zum Scha'b der Schammar, und darum hatte es der kleine Hadschi schon längst, ja schon seit seiner Erwählung zum Scheik der Haddedihn, für angezeigt gehalten, den Dschebel Schammar und Hâil, den Hauptort dieser Landschaft, aufzusuchen, um die lange Zeit unterbrochenen Beziehungen zu den Stammesgenossen wieder anzuknüpfen. Der Hadschi war nicht nur ein mutiger Krieger, sondern auch ein kluger Diplomat, und seine Hanneh stand ihm in letzterer Beziehung mit den besten Ratschlägen zur Seite. Beide hegten die Meinung, daß eine Erneuerung dieser Verbindung ihren Haddedihn großen Nutzen bringen und ein bedeutendes Uebergewicht über die umwohnenden Stämme, denen trotz der mit ihnen abgeschlossenen Friedensverträge nie recht zu trauen war, geben werde. Nach den Gepflogenheiten der Beduinen und aus noch andern Gründen hätte er diese Reise, um am Dschebel Schammar zu imponieren, eigentlich mit einer großen, glänzenden Reiterschar unternehmen sollen; aber das wäre ein ganz gefahr- und wagnisloses Unternehmen gewesen, bei dem kein Ruhm zu ernten war. Er wollte Abenteuer erleben, von denen er dann später in seiner tief in den »Topf des Lobpreises« greifenden Weise erzählen konnte, und so war er sehr ernstlich mit sich zu Rate gegangen, ob er nicht lieber allein reiten solle. Da aber war ihm Hanneh, wie er sich gegen mich ausdrückte, »mit seiner Waghalsigkeit an den Kopf gesprungen« und hatte ihm im Tone »strenger Liebe und zorniger Hingebung« gesagt, daß sie das nicht gestatten werde. Glücklicherweise war da die Ansage meines Besuches gekommen, welche der Sache eine ganz unerwartet andere Wendung gegeben hatte.

Welch eine Wonne, mit Kara Ben Nemsi nach dem Dschebel Schammar reiten und sich den dortigen Schammar als »Freund und Beschützer« dieses »größten Helden des Erdreiches« zeigen zu können! Da war freilich keine Begleitung nötig, und da standen Erlebnisse zu erwarten, über welche »noch die späteste Nachwelt staunen würde«. Zugleich konnte da ein Wunsch in Erfüllung gehen, welchen nicht nur der wagmutige Hadschi, sondern auch seine vorsichtige Hanneh längst gehegt hatten: Kara Ben Halef, ihr Sohn, fand da vielleicht Gelegenheit, den Haddedihn zu zeigen, daß er der würdige Sohn eines tapfern, mutigen Vaters sei. Das war einer der größten Herzenswünsche seiner Eltern. Halef war zwar überzeugt, daß es keinen bessern Behüter seines Sohnes als ihn selbst geben könne, doch war Hanneh nicht ganz derselben Meinung; sie vertraute mir ihr Kind viel lieber an als ihm allein, und als sie gelesen hatten, daß ich kommen werde, hatten sie sich darüber geeinigt, daß Kara Ben Halef uns begleiten solle. Vorher abzuwarten, ob ich auch Lust haben werde, die Tour mitzumachen, das war ihnen gar nicht eingefallen; sie nahmen das als ganz selbstverständlich an. Natürlich aber fragten sie mich, und da ein solcher Ausflug ganz nach meinem Herzen war, gab ich sofort meine Zustimmung – – ganz wie sie erwartet hatten. In Beziehung der Mitnahme eines Trupps der Haddedihn fragte mich Halef:

»Lieber Sihdi, du bist stets der Ansicht gewesen, daß viele Begleiter nur hinderlich seien. Ist dies deine Meinung auch noch jetzt?«

»Ja. Warum willst du das wissen?«

»Weil ich mir vorgenommen hatte, diese Reise mit vielleicht hundert Kriegern zu unternehmen, da dies mehr Eindruck macht, als wenn ich mit nur wenigen Leuten komme. Nun du aber hier eingetroffen bist, denke ich mit Stolz an unsere gefährlichen Wanderungen und an die vielen Thaten, welche wir ohne alle fremde Hilfe ausgeführt haben. Dem Ruhme, welchen wir davontrugen, habe ich es zu verdanken, daß ich Scheik der Haddedihn geworden bin. Leider habe ich diesem Ruhme nichts hinzuzufügen vermocht, weil die letzten Jahre fast vollständig thatenlos vergangen sind. Sollen meine Glieder einrosten und mein Mut einer alten Klinge gleichen, die man nicht mehr aus der Scheide bringt? Du kennst doch deinen treuen Halef und weißt, daß die Gefahr mir so notwendig ist wie dem Fische die Flut des Wassers. Meine Seele erstickt in dieser Unthätigkeit, und mein Geist gleicht einem Adler, den Allah in eine Schnecke verwandelt hat. Und was soll aus meinem Sohne Kara Ben Halef werden, wenn er keine Gelegenheit bekommt, seine Gewandtheit zu bethätigen und seine Kühnheit zu beweisen? Er wird ein unnützer Mensch, der nichts vermag, als Lagmi zu trinken und dann dereinst an einem Raschah el Buruhda zu sterben. Ist das nicht traurig? Kann er sich auszeichnen, wenn ich ihn unter dem Schutze von hundert Reitern mit mir nehme? Nein! Darum begrüße ich deine Ankunft mit tausend Freuden. Ich habe Sehnsucht, wieder einmal etwas zu erleben, was in den Büchern der Helden verzeichnet wird, und das kann ich nur, wenn wir es so machen, wie wir es früher gemacht haben: wir reiten allein. Was sagst du dazu?«

»Frage vorher, was die Krieger dazu sagen, die dich begleiten sollten und welche nun dableiben müßten.«

»Die frage ich nicht. Ich bin der Scheik, und sie haben zu gehorchen. Ich werde sie später durch einen großen Jagdzug entschädigen. Also, lieber Sihdi, laß mich hören, welchen Rat du mir giebst!«

»Wenn es auf mich ankommt, so reiten wir allein, und dies ist auch aus anderen Gründen das Bessere.«

»Welche Gründe meinest du?«

»Nimm zunächst die Entfernung an! Von hier bis zum Dschebel Schammar sind es wenigstens vierzehn Tagesreise mit dem schnellen Reitkamele, denn Pferde können wir des fehlenden Wassers wegen nicht nehmen. Demnach brauchtest du bei hundert Reitern auch hundert Lastkamele, um die Wasserschläuche zu transportieren; da kämen wir erst nach vier oder fünf Wochen dort an. Woher das Wasser für die überschüssigen drei Wochen nehmen? Und bedenke die feindlichen Stämme, durch deren Gebiet wir müssen! Eine Schar von hundert Reitern muß von ihnen unbedingt entdeckt werden, während drei Personen wahrscheinlich unbemerkt bleiben. Und da du nach Ruhm trachtest, so frage ich dich: Welche Ehre ist größer, wenn hundert oder wenn nur drei Männer die Gefahren, denen wir entgegengehen, glücklich überwinden?«

»Das letztere, Sihdi, das letztere natürlich! Du kommst meinen Wünschen entgegen, und deine Ansicht ist auch die meinige. Wir reiten allein, Sihdi, du, ich und mein Sohn Kara Ben Halef, dem es die größte aller Ehren sein wird, an deiner Seite diese Reise machen zu dürfen. Ich werde mit Hanneh, meinem Weibe, sprechen. Sie ist die beste, die herrlichste der Frauen, die lieblichste der Blumen unter allen Blumen und Rosen der Welt, und wird uns das feinste Mehl und eine Fülle der saftigsten Datteln einpacken, so daß wir unterwegs weder Mangel, noch gar Hunger leiden.« Dann schlug er die Hände froh zusammen und fügte mit glückstrahlendem Gesichte hinzu: »Hamdulillah, Preis, Lob und Dank sei Allah, denn nun wird uns wieder einmal die Luft der Wüste umwehen, und ich kann zeigen, daß ich, der Scheik und Hadschi Halef Omar, noch kein altes Weib geworden bin, sondern daß in mir noch immer der alte Held und Sieger lebt, den niemand überwinden kann, und der in jeder Not und Gefahr dein treuer Freund und tapferer Beschützer gewesen ist, lieber Sihdi, und dich auch jetzt wieder zu einem berühmten Mann und Krieger machen wird. Verlaß dich auf mich! Meine Kraft und Stärke wird dich vor jedem Feinde bewahren.«

Ich ließ diese Rede still über mich ergehen. Er sprach nun einmal gern in diesem Tone, und wenn er dabei die Rollen umkehrte, so konnte mich das nur heimlich belustigen, niemals aber ärgern.

Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß Hanneh uns in Beziehung auf die Sicherheit ihres Sohnes eine Menge Ermahnungen und Verhaltungsmaßregeln erteilte, welche vollständig überflüssig waren, obgleich sie aus ihrem Mutterherzen flossen. Kara Ben Halef war unendlich stolz darauf, von uns auf eine so weite und nicht ungefährliche Reise mitgenommen zu werden. Nachdem wir Abschied genommen hatten, ritt er, im Sattel hoch aufgerichtet, voran, als wir das Lager verließen, begleitet von einer Anzahl Haddedihn, welche die Ziegenfelle transportierten, aus denen das Kellek zur Ueberfahrt über den Euphrat hergestellt werden sollte. Sie brachten uns an das rechte Ufer dieses Flusses, worauf sie zurückkehrten, während wir unsere Richtung südwestwärts nach der Badijeh einschlugen.

Halef hatte für unsere Reise die drei schnellsten und ausdauerndsten Reitkamele des Stammes ausgesucht, welche eine Reihe von Tagen kein Wasser brauchten. Da man diese Hedschan aber nicht zu sehr belasten darf, so hatten wir nur drei kleine Schläuche mitgenommen, welche am sechsten Tage fast leer waren, so daß wir trachten mußten, sie wieder zu füllen. Das war aber eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, weil wir uns in einer Zeit befanden, in welcher die wenigen Brunnen der arabischen Wüste meist besetzt sind, und die Stämme dieser Gegenden waren den Haddedihn alle mehr oder weniger feindlich gesinnt. Am meisten hatten wir uns vor den Scherarat-Beduinen zu hüten, welche damals in der Blutrache mit den Haddedihn standen und unbedingt unser Leben gefordert hätten, wenn wir in ihre Hände gefallen wären. Ihr Scheik hatte den Beinamen Abu 'Dem, Vater des Blutes, eine für ihn sehr treffende Bezeichnung, und im Stamme gab es einen Mann, der noch mehr zu fürchten war als dieser blutdürstige Scheik, nämlich Gadub es Sahhar, der Magier und Wunderdoktor der Scherarat.

Dieser »Zauberer« war weit und breit berühmt bei den Freunden und berüchtigt bei den Gegnern des Stammes. Man wußte, daß er bei jeder Abstimmung über das Schicksal eines Gefangenen den Tod desselben verlangte und meist auch durchsetzte. Handelte es sich um einen Andersgläubigen, einen Schiiten, einen Juden oder gar Christen, so war von Schonung schon gar keine Rede, und selbst die Scherarat, die seine Künste bewunderten, fürchteten ihn im stillen und nahmen sich vor ihm in acht als vor einem Manne, dessen Zorn selbst seinen nächsten Angehörigen gefährlich werden konnte. Eigentlich war er im Stamme mächtiger als selbst der Scheik, und man erzählte im stillen, daß dieser es darum gar nicht ungern sehen würde, wenn dem Zauberer einmal etwas Menschliches geschehen sollte; aber ein solches Ereignis mit eigener Hand herbeizuführen, das wagte er freilich nicht.

Also von diesem Stamme drohte uns die größte Gefahr, zumal wir nicht wußten, wo er jetzt zu suchen war. Wir befanden uns ungefähr in gleicher Höhe mit der Landschaft Tschohf, vielleicht anderthalbe Tagereise östlich von ihr, und hatten den kleinen Bir Nufah so vor uns, daß wir ihn um Mittag erreichen konnten; nur galt es, zu erfahren, ob er besetzt sei oder nicht. Ich wollte voranreiten, um zu rekognoszieren; aber das gab Halef nicht zu.

»Sihdi, willst du mich beleidigen?« rief er aus. »Du bist ein Franke, und ich bin ein Ibn el Arab; ist es da nicht meine Sache, die Gegend zu erkunden, ob wir sicher sind oder nicht? Oder traust du mir die dazu gehörige Geschicklichkeit nicht zu?«

»Ich traue sie dir zu, aber du weißt, daß ich in Beziehung auf diese Geschicklichkeit dein Lehrer gewesen bin.«

»Danach gehe ich nicht, denn der Schüler kann den Lehrer nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen.«

»Meinst du, daß dies bei dir der Fall sei?«

»Ich meine nichts, gar nichts; aber es wird sich zeigen, und Kara Ben Halef, mein Sohn, soll seinen Vater schätzen und bewundern lernen. Darum fordere ich als dein und sein Beschützer von dir, daß du mir erlaubst, voranzureiten!«

Was sollte ich thun? Um ein zuverlässiger, vorsichtiger Kundschafter zu sein, dazu war der kleine Hadschi zu unbedenklich und verwegen. Aber durfte ich ihn vor seinem Sohne blamieren? Nein. Ich ließ ihn also fort. Bald sahen wir ihn auf seinem windschnellen Hedschihn am Horizonte verschwinden, und wir ritten ihm in der bisherigen, ungesteigerten Gangart nach. Wir hatten noch zwei Stunden bis Mittag, also bis zu dem Brunnen zu reiten, dessen Lage ich zwar ungefähr wußte, dessen Umgebung mir aber vollständig unbekannt war.

Bei der Schnelligkeit, mit welcher Halef sich entfernt hatte, mußte er in nicht viel über einer Stunde dort sein; ich war also nach Verlauf von ein und einhalb Stunden so vorsichtig, anzuhalten, um auf seine Rückkehr zu warten. Es verging wieder eine Stunde, ohne daß er kam; das machte mich besorgt, ohne daß ich dies seinem Sohne merken ließ. Als aber wieder eine halbe Stunde vorüber war, fragte dieser mich in bedenklichem Tone:

»Emir, sag, könnte mein Vater nicht längst schon hier sein?«

»Er wird Leute am Brunnen bemerkt haben und warten wollen, bis sie fort sind,« versuchte ich, ihn zu beruhigen.

»Das würde nicht klug von ihm sein, denn in diesem Falle müßte er umkehren, um uns zu warnen.«

»Sorge dich nicht, sondern verlaß dich auf ihn; du hast ja vorhin von ihm gehört, daß er ein guter Kundschafter ist!«

Er schwieg; als aber wieder eine halbe Stunde verfloß, ohne daß Halef sich sehen ließ, gestand er mir:

»Emir, ich beginne, Sorge zu tragen. Allah möge meinen Vater beschützen! Es ist ihm ein Unglück widerfahren. Laß uns eilen, ihm Hilfe zu bringen!«

»Nicht eilen, sondern langsam und vorsichtig reiten, und zwar du ganz genau hinter mir.«

»Warum hinter dir?«

»Aus Vorsicht. Die Luft ist nicht rein am Brunnen, das ist gewiß. Es sind Leute dort.«

»Allah, Allah! Haben sie meinen Vater ergriffen?«

»Das weiß ich nicht, aber ich vermute es, wie ich dir jetzt aufrichtig gestehen will.«

»So müssen wir eben rasch machen, um ihm zu helfen!«

»Im Gegenteile, wir müssen zögern. Durch die Eile würden wir alles verderben. Wenn dein Vater diesen Männern in die Hände gefallen ist, so werden sie die Gegend, aus welcher er kam, beobachten; denn sie können sich denken, daß er sich nicht allein in der weiten Wüste befunden hat. Reiten wir schnell auf den Brunnen zu, so werden sie uns eher sehen, als wir sie bemerken, und ihre Vorkehrungen danach treffen. Sie sind abgestiegen, also von weitem klein, während wir auf unsern Kamelen große, weithin sichtbare Figuren bilden. Hältst du dich hinter mir, so scheinen wir nur ein Reiter zu sein, und indem ich mein Fernrohr herausnehme, habe ich Hoffnung, sie eher zu sehen als sie uns, und dann werden wir uns nach den Umständen richten.«

Wir ritten also in der von mir angegebenen Weise langsam vorwärts. Die Gegend war bisher vollständig eben gewesen; nun aber schien sich der Horizont vor uns in mehreren unregelmäßigen Linien zu erheben. Mein Fernrohr zeigte mir, daß es dort einige nackte Felsenzüge gab, welche von Osten nach Westen, also quer über unsere Richtung strichen. Zwischen oder hinter ihnen mußte der Brunnen liegen, und das brachte mich zu der Ueberzeugung, daß Halef gefangen war, denn sonst hätten wir ihn jetzt sehen müssen. Er war in seinem gewöhnlichen Uebereifer auf die Felsen zugeritten, von dort aus bemerkt und dann aus dem Hinterhalte überfallen worden.

Mein gutes Fernrohr trug sehr weit. Ich suchte jede, auch die kleinste Linie der Felsen auf das genaueste, aber vergeblich ab, was mich zu noch größerer Vorsicht veranlaßte. Hätte ein Mensch vor ihnen gestanden, er wäre sicher von mir entdeckt worden; wenn aber einer hinter ihnen lag, so mußte er mir verborgen bleiben, bis ich mich bei ihm befand, und dann war es zu spät. Ich durfte mich also dem Höhenzuge nicht so weit nähern, daß wir von dort aus mit bloßem Auge gesehen werden konnten, und bog daher grad nach Osten ab, indem ich zugleich mein Kamel zur Eile trieb.

»Maschallah!« rief Kara Ben Halef aus. »Willst du dem Brunnen ausweichen? Dann bleibt mein Vater ja ohne Hilfe!«

»Komm nur, und vertraue mir!« antwortete ich. »Wenn die Lage am Bir Nufah so ist, wie ich sie mir denke, so richtet sich die Aufmerksamkeit der dortigen Späher nur nach Norden, woher sie uns erwarten. Wir reiten einen Bogen, bis wir den östlichen Punkt der Höhenzüge erreicht haben, und biegen dann in ihrem Schutze wieder nach dem Brunnen ein. Man erwartet nicht, daß wir von dorther kommen, und so vermute ich, daß wir uns unbemerkt anschleichen können. Was dann zu geschehen hat, kann ich noch nicht sagen; du kannst dir aber denken, daß ich deinen Vater auf keinen Fall im Stiche lassen werde.«

»Hinter die Felsen reiten und von der andern Seite kommen? O, Emir, das ist klug, sehr klug von dir. Mein Vater ist auch klug; er ist der klügste von allen Beni Arab, die ich kenne, du aber bist doch noch viel, viel klüger als er. Wäre er doch auch so pfiffig gewesen!«

Nach einer Viertelstunde hatten wir den Höhenzug erreicht. Hinter ihm strich ein zweiter parallel, so daß zwischen beiden ein Thal lag, welches zahlreiche Krümmungen zu beschreiben schien. Wir folgten dieser Senkung höchst vorsichtig aufwärts und vermieden jedes Geräusch, indem wir unsere Kamele so lenkten, daß ihre Füße an keine Steine stießen. Nach und nach wurden die Felsen höher, und indem sie enger zusammentraten, verminderten sie die Breite des Thales, was mir sehr lieb war, weil dadurch zwar unser Gesichtskreis, aber auch derjenige etwaiger Späher bedeutend verkleinert wurde. Vor jeder Krümmung des Wadi hielten wir an, um vorsichtig um die Ecke zu spähen, ob dort ein feindliches Wesen zu entdecken sei. Auf diese Weise gewannen wir nur sehr, sehr langsam an Terrain, und es dauerte wohl volle zwei Stunden, ehe wir den Weg einer Gehstunde zurückgelegt hatten. Es war kein Wunder, daß Kara Ben Halef während dieser Zeit immer besorgter und unruhiger wurde.

Endlich, endlich bemerkten wir sichere Zeichen, daß wir uns in der Nähe des Brunnens befanden: wir sahen seitwärts einige dürre Sträucher stehen, und in der Mitte der Thalsohle gab es Gras, wenn auch außerordentlich spärlich. Nun galt es, unsere bisher doppelte Vorsicht zu verzehnfachen.

Wieder gelangten wir an eine Krümmung. Während wir bis jetzt an solchen Punkten auf unsern Kamelen sitzen geblieben waren, ließ ich dieses Mal das meinige halten und stieg ab. Mich eng an die Felsenecke drückend und nur die Hälfte meines Gesichtes vorstreckend, erblickte ich vor mir eine beträchtliche Erweiterung des Thales, in welcher wohl an die zweihundert gut bewaffnete Kamelreiter lagerten, in denen ich zu meiner nicht eben freudigen Ueberraschung Scherarat erkannte. Seitwärts vom großen Haufen saßen einige, welche die Befehlenden zu sein schienen; sie hatten den kleinen Hadschi zwischen sich; er war, wie ich geahnt hatte, ihr Gefangener.

Wie war es möglich, ihn zu befreien? Durch List, jetzt am hellen Tage? Unmöglich! Oder mit Gewalt? Auch nicht! Mein Henrystutzen hatte fünfundzwanzig Schüsse, mein Bärentöter zwei und jeder meiner beiden Revolver sechs. Das waren in Summa neununddreißig Kugeln. Und wenn eine jede ihren Mann zu Tode traf, was aber dann? Ein vergebliches Blutbad, weiter nichts als nachher mein sicherer Tod! Nein, auch das ging nicht!

Da stand einer von den Abgesonderten auf, hob das Gesicht nach der Felsenhöhe empor, rief einen Namen und fragte dann:

»Siehst du noch nichts?«

Indem ich auch hinaufblickte, sah ich einen Beduinen, welcher hinter einem großen Steine auf der Lauer gelegen hatte. Er antwortete herab.

»Keinen Menschen.«

»So haben wir uns geirrt, und der Gefangene ist allein gewesen. Komm herunter, wir haben keine Zeit, länger zu warten; wir müssen fort, sonst kommen wir nicht bis zum Abend nach dem Bir Nadahfa.«

»Was ist's? Was siehst du, Emir?« fragte mein junger Begleiter leise. »Ich höre rufen.«

»Steig ab, und kriech zu mir her; dann wirst du deinen Vater sehen,« antwortete ich ebenso mit unterdrückter Stimme.

Er folgte meinem Geheiße. Als er Halef erblickte, wäre er am liebsten vorgesprungen, um zu ihm hinzueilen. Ich faßte ihn am Arme und raunte ihm warnend zu:

»Still! Keine Uebereilung! Du gehst nur selbst in das Verderben, ohne deinen Vater dadurch retten zu können!«

»Aber du siehst ja, daß sie aufbrechen, daß sie fort wollen!«

»Laß sie! Jetzt ist nichts zu thun. Wir müssen bis heut abend warten.«

»Bis heut abend? Ist es da nicht zu spät?«

»Nein. Mit Gewalt läßt sich gegen so viele Menschen nichts erreichen; nur List kann zum Ziele führen, und dazu ist die Nacht die einzige Zeit.«

»Aber wenn sie meinen Vater bis dahin umbringen!«

»Das fällt ihnen nicht ein. Ueber das Schicksal des Gefangenen kann nur die Dschemma bestimmen, und die dazu gehörigen alten Leute sind nicht mit hier. Du siehst, daß es lauter junge Krieger sind.«

»Was mögen sie vorhaben? Ein Wanderzug ist es nicht, weil sie keine Frauen, Greise und Kinder mit haben. Sollte es ein Kriegsritt sein?«

»Nein. Du wirst dort links die Kamele bemerken, welche mit Stricken und Palmenfasermatten hoch bepackt sind.

Diese Stricke und Matten sollen zum Transport der Tiere und zur Verpackung der andern Beute dienen; es handelt sich also um einen Raubzug.«

»Gegen wen?«

»Das weiß ich nicht, hoffe es aber heut abend zu erfahren.«

»Von wem?«

»Von den Scherarat selbst. Wir werden sie belauschen.«

»Ihnen also bis zu ihrem Nachtlager folgen? O, Emir, ich erfahre da, daß mein Vater recht gehabt hat, da er stets sagte, wenn man sonst nichts erlebe, so brauche man nur mit dir zu gehen, da seien ganz gewiß alle möglichen Thaten und Abenteuer zu erwarten. Doch schau, wir müssen fort, schleunigst fort! Sie stehen im Begriffe, ihre Tiere zu besteigen. Wenn sie hierher kommen, entdecken sie uns.«

»Sie werden nicht hierher kommen, sondern das Wadi dort links durch die Seitenöffnung verlassen, weil sie nach dem Bir Nadahfa wollen.«

»Woher weißt du das?«

»Der Anführer sagte es vorhin, als er den Späher herunterrief. Dieser Brunnen liegt genau südwärts von hier, und die Oeffnung zeigt nach dieser Richtung. Glücklicherweise kenne ich ihn genau.«

»Warst du schon einmal dort?«

»Nein; aber ich habe eine sehr eingehende Beschreibung von ihm und seiner Umgebung gelesen. Hamdani, ein alter arabischer Schriftsteller war dort und hat über ihn berichtet. Das ist zwar schon lange, lange her, aber in diesem Lande verändern sich dergleichen Oertlichkeiten selbst im Verlaufe von Jahrhunderten so wenig, daß seine Schilderung höchst wahrscheinlich noch heut zutreffen wird. Sieh, daß ich recht hatte! Sie ziehen fort, dort links hinein. Dein Vater ist auf sein Kamel gebunden worden. Er blickt hinter sich, denn er ahnt, daß wir uns hier versteckt befinden und die Scherarat beobachten. Wenn es ohne Gefahr geschehen kann, werde ich mich ihm zeigen, um ihn zu beruhigen.«

Die Beduinen verließen das Wadi in der Reihenfolge, daß die Anführer, welche Halef zwischen sich hatten, die letzten waren. Noch kurz vor seinem Verschwinden hinter dem Felsen wandte er das Gesicht noch einmal zurück. Als ich sah, daß seine Begleiter dies nicht beachteten, sprang ich drei Schritte vor und hob die Arme; sein Auge fiel auf mich, und ich wich schnell wieder zurück. Er wußte nun, daß ich seine Lage kannte und alles, selbst das Leben daransetzen würde, ihn aus derselben zu befreien.

Hierauf kletterte ich an der südlichen Thalseite empor, um mich von dem Abzuge der Scherarat und daß keiner von ihnen zurückkehrte, zu überzeugen. Als ich sie nicht mehr sehen konnte und wieder herabgestiegen war, führten wir unsere Kamele *nach dem Brunnen, welchen die Feinde leider so ausgeleert hatten, daß wir zwei Stunden warten mußten, um unsern Durst stillen, die zwei Schläuche füllen und dann auch die Tiere wenigstens für einen oder zwei Tage befriedigen zu können. Hierauf beeilten wir uns, der Fährte der Scherarat zu folgen.

Ich hatte gesagt, daß ich die Feinde belauschen wolle. Auf ebener Sandwüste wäre das mit großer Gefahr verbunden gewesen. Glücklicherweise liegen die Brunnen der Badijeh, auch der Bir Nadahfa, in felsigen Gegenden, ein Umstand, der wohl keiner Erklärung bedarf, und besonders ist der genannte von einem wahren Warr umgeben, welches uns für das beabsichtigte Anschleichen ausgezeichnete Deckung bot.

Wir ließen unsere beiden Hedschan tüchtig ausgreifen, bis mir die Beschaffenheit der Fährte verriet, daß wir unsere Eile mäßigen müßten, wenn wir den Scherarat nicht zu nahe kommen wollten. Der Nachmittag verging ohne ein erwähnenswertes Ereignis, und eben als die Sonne »in das Sandmeer« tauchte, wie der Wüstenbewohner sich auszudrücken pflegt, zeigte mir das Fernrohr südwärts von uns das ziemlich weit sich ausdehnende Durcheinander von Steinblöcken, in dessen Mitte der Brunnen lag. Die Scherarat waren dort angekommen, und wir mußten da, wo wir uns befanden, halten bleiben. Erst als die kurze Dämmerung vorüber und es vollständig dunkel geworden war, ritten wir noch eine Strecke weiter, bis wir uns ungefähr noch einen Kilometer von dem Warr befanden. Da mußten unsere Kamele sich niederlegen, und wir banden ihnen die Vorderbeine so zusammen, daß sie nicht aufstehen und sich entfernen konnten.

Nun war die Zeit zum Anschleichen an die Feinde da. Kara Ben Halef brannte darauf, sich daran zu beteiligen; er mußte aber bei den Kamelen bleiben. Ich übergab ihm meine beiden Gewehre, die mich gehindert hätten, und näherte mich dem Warr. Als ich es erreichte, fand ich beim Sternenschein bald eine Stelle, wo die Felsenbrocken so weit auseinander traten, daß es einen ziemlich breiten Durchgang nach dem Brunnen gab. Jedenfalls hatten die Scherarat ihn auch benutzt. Kaum war ich in denselben eingedrungen, so hörte ich vor mir laute Stimmen rufen, und mich weiter vorwärts schleichend, verstand ich auch die Worte:

»Allahu akbar! Aschahdu anna, la ilaha ill' Allah, wa Mohammedu rasuhl Allah. Haygah alas salah!«

Die Scherarat sprachen das Escheh, das Abendgebet, vorgeschrieben für die Zeit nach Sonnenuntergang, wenn es Nacht geworden ist. Dieser Stimmenchor erlaubte mir, ganz ungehört so weit an sie heranzukommen, daß ich mich nur wenige Schritte von ihrem Lagerkreise hinter einen Stein verstecken konnte. Die Sterne leuchteten nicht sehr hell, dennoch konnte ich den freien Brunnenplatz fast ganz überblicken. Die Beduinen knieten, ihre Gesichter gen Mekka gerichtet, auf ihren Gebetsteppichen und wiederholten unter den anbefohlenen Bewegungen die Worte des Ausrufers, welcher sich ganz in meiner Nähe befand. Ich erkannte in ihm denjenigen Scherari, welcher am Bir Nufah heut mittag den Späher von der Höhe herunterbefohlen hatte und also wohl der oberste Anführer der Truppe war. Mir kam das höchst erwünscht! Er trug einen Haik wie ich und hatte so ziemlich meine Gestalt. Die drei oder vier Personen, welche schon am Brunnen Nufah bei ihm gesessen hatten, knieten, auch jetzt abgesondert von den andern, nicht hinter, sondern vor ihm, wie ich ausdrücklich bemerke; sie kehrten ihm also ihre Rücken zu. Und hinter ihm lag, an Händen und Füßen gebunden, Halef im Sande, nur drei Meter von mir entfernt. Seine Befreiung war also für mich eine Leichtigkeit, zumal er sich so gelegt hatte, daß er mir das Gesicht zukehrte. Das hatte er gethan, weil er wußte, daß ihm aus dieser Richtung unsere Hilfe kommen werde. Aber es galt nicht bloß, ihn zu retten, sondern wir mußten auch sein Kamel wieder haben, und dies konnte unter den gegenwärtigen Verhältnissen nur durch Eintausch erreicht werden; der Tauschartikel sollte, das fuhr mir sogleich durch den Kopf, der – – – Anführer sein.

Während alle ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Gebet richteten und dabei keinen Blick von Südwest verwenden durften, während ich im Nordost von ihnen lag, zog ich mein Messer und schob mich zu Halef hin. Er sah mich kommen und hielt mir die gefesselten Arme hin; ein Schnitt, und sie waren frei; die Fußfessel zertrennte ich mit einem zweiten raschen Schnitte; hierauf raunte ich ihm in das Ohr:

»Kriech nach dem Wege hin, und dann schnell gerade aus, wo du Kara finden wirst, wenn du ihn rufst!«

»Und du, Sihdi?« fragte er, um mich besorgt.

»Ich komme nach. Nehmt den Kamelen die Stricke von den Beinen! Rasch, rasch!«

Er kroch fort, und ich blieb an der Stelle liegen, wo er gelegen hatte, um mein Vorhaben in dem Augenblicke auszuführen, an welchem die Feinde mit dem Zusammenlegen ihrer Gebetsteppiche zu thun haben würden.

Das war alles freilich viel schneller geschehen, als ich es erzählen kann, und eben hatte ich Halef im Wege verschwinden sehen, als der Schluß kam:

»Allah ist sehr groß! Allah ist sehr groß in Größe, und Preis sei Allah in Fülle!«

Grad als der Vorbeter das Wort Fülle ausgesprochen hatte und die andern begannen, ihm den Satz nachzusprechen, richtete ich mich hinter dem Anführer halb auf, bog mich vor, faßte ihn mit der Linken an der Schulter, riß ihn zurück und schlug ihm die rechte Faust an die Schläfe, daß er zusammensank. Er bekam zu meiner Sicherheit sofort noch einen zweiten Hieb; dann sprang ich auf, raffte ihn zu mir empor, schwang ihn mir auf die Schulter und eilte Halef nach. Die zweihundert Menschen hinter mir waren mir in diesem Augenblicke gleichgültig; ich hatte ihren Anführer und brauchte sie infolgedessen nicht zu fürchten.

Mit weiten Schritten, die schon mehr Sprünge waren, legte ich den Gang zurück und hastete dann weiter. Da erklangen hinter mir laute Stimmen, und vor mir hörte ich Halef nach seinem Sohne rufen; ich vermehrte meine Eile, denn die Verfolger hinter mir konnten schneller laufen als ich, der ich eine solche Last zu tragen hatte. Es gelang mir, ohne von ihnen eingeholt zu werden, unsere Kamele zu erreichen, welche zum bequemen, sofortigen Aufsteigen noch am Boden lagen. Halef war auch da.

»Schnell in den Sattel, Halef!« gebot ich ihm. »Und nimm hier diesen Gefangenen mit hinauf. Macht euch rasch davon, gerade ostwärts, und haltet nach ungefähr zweitausend Schritten an!«

»Und du, Sihdi?« fragte er.

»Ich muß noch einen Scherari fangen, den wir später als Boten brauchen werden.«

»Aber das ist zu gefährlich! Du hast schon genug gethan und mußt – – –«

»Fort, fort!« unterbrach ich ihn. »Es wird sonst zu spät. Sorgt dafür, daß dieser Mensch nicht schreit, wenn er erwacht. Und nun fort mit euch!«

Vater und Sohn gehorchten, und ich legte mich platt in den Sand, um von den Verfolgern nicht zu zeitig gesehen zu werden. Dann hörte ich eilige Schritte und sah einen einzelnen Scherari gerannt kommen, welcher seinen Kameraden weit voran war. Nichts konnte mir lieber sein als das. Er blieb sechs oder acht Schritte vor mir stehen und lauschte.

Als er nichts hörte, ging er zögernd weiter, immer näher zu mir heran. Hinter ihm ertönten die Rufe seiner Gefährten. Er drehte sich um und antwortete ihnen, indem er mir den Rücken zukehrte. Ich sprang auf, faßte ihn beim Halse und versetzte ihm den schon oft erwähnten Jagdhieb an den Kopf. Er sank mir mit einem schnell verhauchenden Gurgeln in die Arme; ich nahm ihn auf und trug ihn fort, ohne mich dabei übermäßig zu beeilen, weil ich von den andern Scherarat noch nicht gesehen wurde und mich nach einer Richtung entfernte, in welcher sie mich gewiß nicht suchten. Ich erreichte Halef und Kara, als mein zweiter Gefangener eben aus seiner Betäubung erwachte. Sie waren wieder abgestiegen und hatten den ersten Gefangenen mit zusammengebundenen Händen zwischen sich sitzen, indem sie ihn mit ihren gezückten Messern bedrohten, ja keinen Laut von sich zu geben.

»Da kommt er,« sagte Halef zu ihm. »Das ist er, von dem ich dir gesagt habe, der starke und unüberwindliche Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi. Er ist der berühmte Besitzer dieser beiden Gewehre, von denen das eine zehntausendmal schießt, ohne daß man es zu laden braucht, und wird dich sofort in die Dschehenna senden, wenn du einen Laut von dir giebst oder eine unerlaubte Bewegung machst.«

»Das werde ich allerdings thun,« bestätigte ich seine Drohung. »Es soll diesen beiden Scherarat nichts, gar nichts geschehen, und sie werden noch in dieser Nacht zu den Ihrigen zurückkehren dürfen, wenn sie sich jetzt schweigsam verhalten und uns gehorchen; thun sie das aber nicht, so werden unsere Messer ihre Herzen finden. Jetzt entfernen wir uns noch ein Stück von hier; dann sollen sie erfahren, was ich von ihnen wünsche.«

Wir banden sie an den Armen zusammen, worauf ich sie vor mir herschreiten ließ, während Halef und Kara uns mit den Kamelen folgten; der letztere gab mir natürlich meine Gewehre zurück. Diese abermalige Ortsveränderung nahm ich vor, um den Verfolgern zu entgehen; sie suchten uns nördlich vom Warr, und wir umgingen es jetzt in der Absicht, südlich von demselben anzuhalten.

Als ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß wir weit genug gekommen seien, mußten sich die Kamele niederlegen, und ich befahl den Scherarat, sich niederzusetzen. Dann nahm ich Halef bei Seite, um mir die notwendigen Fragen von ihm beantworten zu lassen. Ich enthielt mich dabei aller Vorwürfe, was ihm das Herz außerordentlich zu erleichtern schien. Er war in seinem gewöhnlichen Selbstvertrauen ganz unbesorgt in das Thal des Bir Nufah hinabgeritten und da von den Scherarat umzingelt und entwaffnet worden; sie hatten ihn kommen sehen und sich versteckt. Zu stolz, um sich zu verleugnen, hatte er seinen Namen genannt und damit große Freude angerichtet, denn der Scheik der Haddedihn, mit denen sie in Blutfehde standen, war für sie ein kostbarer Fang. Ueber den Zweck ihres gegenwärtigen Raubzuges hatten sie natürlich geschwiegen, doch war Halef klug genug, aus einigen unbedachten Aeußerungen zu erraten, daß er den Lazafah-Schammar gelte. Auf ihre Fragen hatte er angegeben, ganz allein und ohne Begleitung zu sein, was ihm aber nicht geglaubt worden war; als jedoch Stunden vergingen, ohne daß ihm jemand folgte, hatten sie angenommen, daß er die Wahrheit gesagt habe, und waren mit ihm fortgeritten. Als ich hinter dem Felsen vorsprang, sah er mich und war von diesem Augenblicke an überzeugt, daß wir ihn befreien würden, hatte aber vorsichtigerweise gegen die Scherarat mit keinem Worte merken lassen, daß er diese Hoffnung hege. Erst dann, als ihm mit meiner Hilfe die Flucht geglückt war und er am letzten Haltepunkte mit Kara und dem Scherari auf mich wartete, hatte er, als dem Gefangenen die Besinnung zurückgekehrt war, diesem mit seiner gewohnten orientalischen Uebertreibung von mir und meinen Thaten erzählt und dabei erfahren, daß der Gefesselte schon öfters von uns gehört hatte und viele von unseren früheren Erlebnissen kannte. Als er mir dies alles jetzt erzählt hatte, fuhr er fort:

»Und weißt du, Sihdi, wer dieser Scherari ist?«

»Nein,« antwortete ich.

»So höre und staune! Er ist der Sohn von Gadub es Sahhar, dem alten Zauberer der Scherarat, unserm ärgsten und blutdürstigen Feinde, den Allah verbrennen möge. Die Blutrache gebietet mir eigentlich, ihn ohne Gnade niederzuschießen, zumal er den Beinamen Abu el Ghadab führt, womit er doch sagen will, daß er keinen seiner Feinde schonen würde.«

»Das geht mich nichts an. Er ist nicht dein, sondern mein Gefangener, und meine Religion und die Klugheit verbieten mir, sein Blut zu vergießen.«

»So thue, was du willst; ich weiß, es wird das Richtige sein, denn ich kenne dich!«

Halef widersprach mir nicht, weil er noch immer die wohlverdienten Vorwürfe fürchtete. ich wendete mich von ihm zu den andern zurück, band den zweiten Gefangenen los und unterrichtete ihn folgendermaßen:

»Höre, was ich dir jetzt sagen werde! Ich bin Hadschi Kara Ben Nemsi, ein Christ und Freund der Haddedihn. Ich kann mit meinem Zaubergewehre alle eure Krieger niederschießen, ehe uns eine von euern Kugeln erreicht. Ihr habt meinen Freund und Bruder Hadschi Halef Omar gefangen genommen, um ihn zu töten; ich aber habe ihn wieder befreit, ich ganz allein, und dadurch bewiesen, daß ich mich vor euch nicht fürchte. Ich habe außerdem euch beide ergriffen und sollte euch eigentlich töten; aber weil ich ein Christ bin, will ich das nicht thun, sondern euch freigeben, doch unter der Bedingung, welche du jetzt vernehmen wirst. Ich verlange das Kamel meines Freundes zurück und dazu alle Sachen, die ihr diesem Scheik der Haddedihn abgenommen habt. Du wirst jetzt nach dem Lager gehen, um das Tier, die Waffen und alle diese Gegenstände zu holen. Wenn du das ehrlich thust, geben wir Abu el Ghadab sofort frei und reiten weiter. Planst du aber eine Hinterlist dabei, so wird er augenblicklich erschossen. Ich gebe dir von jetzt an bis zu deiner Rückkehr eine halbe Stunde Zeit. Bist du dann noch nicht da, so muß er auch sterben. Jetzt geh!«

Er wollte zögern; da gebot ihm Abu el Ghadab:

»Beeile dich und thue, wie dir gesagt worden ist! Mein Leben ist mehr wert als der Besitz eines armseligen Kamels der Haddedihn.«

Der Mann entfernte sich. Um einer etwaigen Falle, die man uns vielleicht stellen könnte, zu entgehen, verlegte ich unsern Lagerplatz um eine bedeutende Strecke seitwärts und schlich mich dann mit Halef, der einstweilen das Gewehr seines Sohnes nahm, dem Wart entgegen, und zwar bis zu einer Stelle, an welcher der Bote vorüber mußte. Kara Ben Halef hatte den Befehl, den Gefangenen scharf zu bewachen und ihn im Falle eines Fluchtversuches zu erstechen.

Die halbe Stunde war noch nicht vergangen, so hörten wir Schritte vor uns. Ein Stück auf die Seite kriechend, sahen wir den Boten kommen. Er führte das Kamel und ging an uns vorüber, ohne uns zu bemerken; es war kein zweiter Scherari bei ihm, und meine Drohung hatte also den beabsichtigten Erfolg gehabt. Wir standen auf und holten ihn ein.

»Ein Glück für dich, daß du ehrlich bist!« sagte ich zu ihm. »Du wärst natürlich auch mit erschossen worden. Gieb her, was du hast!«

Halef erhielt alles wieder, was man ihm abgenommen hatte; dann schickte ich den Scherari mit der Versicherung fort, daß sein Anführer in einigen Minuten auch frei sein werde.

»Wirst du aber auch Wort halten, Effendi?« fragte er mich.

»Mach dich schleunigst von dannen!« fuhr ich ihn an. »Kara Ben Nemsi hat noch nie eine Lüge gesagt. Oder soll ich deinen Beinen mit einem Schrotschusse Bewegung machen?«

Er verschwand so schnell wie möglich. Als wir bei unserm Gefangenen und seinem jungen Wächter ankamen, band ich dem ersteren die Hände los und sagte:

»Wir haben bekommen, was ich verlangte. Du kannst gehen.«

Er blieb dennoch stehen, musterte mich von oben bis unten und fragte dann:

»Du giebst mich wirklich frei?«

»Ja. Und weil ich so ehrlich an dir handle, so erwarte ich, daß ihr uns unbelästigt weiterziehen laßt. Wir werden uns nach dem Bir el Halawijat wenden und wünschen nicht, daß ihr uns folgt.«

»Wir reiten nach dem Bir esch Schukr, der weit im Osten liegt, denn wir wollen nach Akabet. Du brauchst dich also nicht zu fürchten!«

»Fürchten? Ich habe niemals Furcht gekannt.«

Da stieß er ein lautes Gelächter aus und antwortete in höhnischem Tone:

»Die Furcht nicht gekannt? Was ist es denn anders als Furcht und Angst, daß ihr mich freilaßt? Ein Christenhund hat immer Angst vor jedem rechtgläubigen Krieger. Ich habe viel von dir gehört; aber was man sich von dir erzählt, ist alles Lüge und Unwahrheit. All deine Tapferkeit würde nur ein Gestank sein gegen die Tapferkeit der Scherarat. Du bist uns heute entgangen; aber ich schwöre dir zu, daß dich der Scheba et Thar in kurzer Zeit verschlingen wird; dafür werde ich sorgen! Du bist ein Anhänger des falschen Gottes und ein Bekenner seines Sohnes, der als Lügner und Empörer den ehrlosen Tod am Kreuze starb; er war ein Giaur, wie du einer bist und –«

»Halt!« fiel ihm da der kleine Halef zornig in die Rede. »Sage dieses Wort ja nicht noch einmal, denn ich habe nicht so viel Geduld mit dir, wie –«

»Du? Zwerg, der du bist!« unterbrach ihn der Scherari lachend. »Nun ich nicht mehr gefesselt bin, lache ich über euch und wiederhole es, daß euch der Scheba et Thar alle verschlingen wird. Das Fleisch und Blut eines Giaurs wird ihm –«

Er kam nicht weiter; ein lauter, klatschender Schlag unterbrach seine Rede, denn der kleine, jähzornige Hadschi hatte ihm die scharfe, lederne Kamelpeitsche mit aller Kraft quer über das Gesicht gezogen und rief dabei:

»Das ist für den Giaur, du Hund! Wirst du es nun noch einmal sagen?«

Der Getroffene schrie vor Schmerz laut auf, fuhr sich mit beiden Händen nach dem Gesicht und stand eine Zeit lang ganz starr und unbeweglich. Dann aber that er einen Sprung vorwärts, um Halef zu packen, wobei er vor Wut wie ein Stier brüllte. Es war aber nur ein einziger Schritt, den er thun konnte, denn ein zweiter gewaltiger Hieb des Kleinen warf ihn förmlich wieder zurück. Und da stand auch ich bei ihm, faßte ihn bei den Oberarmen, drückte ihm dieselben gegen die Brust, daß er nur pfeifend Atem holen konnte, und drohte:

»Keinen Schritt weiter vorwärts, sonst zerdrücke ich dir die Rippen, Kerl! Deinen Scheba et Thar fürchten wir nicht. Und nun mach, daß du fortkommst von hier, sonst laß ich nicht mehr den Mund, sondern das Messer zu dir reden!«

Ich gab ihm einen Stoß, daß er zur Erde fiel und sich überschlug. Er raffte sich zwar gleich wieder auf, wagte es aber nicht, wieder angreifend vorzugehen, doch überschüttete er uns, während wir die Kamele bestiegen, mit einer Flut von Schimpfworten, und als wir dann fortritten, hörten wir ihn noch immer hinter uns her brüllen und drohen:

»Der Scheba et Thar wird euch verschlingen – – – der Scheba – – et – – Thar – – Scheba – – et – – Thar – – –!«

Sein Geschrei war im Wart gehört worden. Die Scherarat glaubten ihn in Gefahr und eilten ihm zu Hilfe, wie uns ihre Stimmen verrieten, welche wir hinter uns hörten. Wir hatten sie nicht zu fürchten, trieben aber dennoch unsere Kamele an, weil wir von jetzt ab Eile hatten.

Ich ritt voran; die beiden andern folgten mir. Nach einer Weile rief mir Halef zu:

»Aber, Sihdi, du schlägst doch eine ganz falsche Richtung ein; wir müssen geradeaus, nicht so weit nach rechts!«

»Wir müssen nach rechts,« antwortete ich.

»Warum?«

»Weil dorthin der Bir el Halawijat liegt.«

»Zu ihm wollen wir ja gar nicht!«

»Allerdings nicht. Wir müssen zu den Lazafah-Schammar, um sie vor den Scherarat zu warnen, was diese aber nicht ahnen dürfen. Darum habe ich zu dem Sohne des Zauberers gesagt, daß wir uns nach dem Bir el Halawijat wenden wollen, und um nicht als Lügner zu gelten und um die Scherarat zu täuschen, thue ich dies jetzt, denn sie werden, sobald der Morgen angebrochen ist, unserer Fährte folgen.«

»Willst du etwa ganz bis dorthin? Das würde für uns ein großer Umweg sein.«

»Du kennst doch den Weg?«

»Ja, genau.«

»So weißt du, daß wir nach einem halben Tagesritte auf den großen, weiten Hadschar el mahlis kommen, wo die Kamele keine Spur hinterlassen und wir also links abweichen können, ohne daß die Scherarat es bemerken werden.«

»Das ist richtig, Sihdi. Da beweisest du wieder einmal, daß du wahrscheinlich klüger bist als ich.«

»Wahrscheinlich nur?« lachte ich. »Ja, ich wäre wahrscheinlich nicht so pfiffig, wie blind mitten unter zweihundert Scherarat hineinzureiten und mich von ihnen gefangen nehmen zu lassen, lieber Halef!«

Das war der erste und letzte, der einzige Vorwurf, den Halef für seine Unvorsichtigkeit zu hören bekam, und da zeigte er sich allerdings so schlau, nicht darauf zu antworten. Doch darf ich für diese meine Nachsicht ihm gegenüber kein großes Lob beanspruchen, denn ich hätte ihn jedenfalls viel strenger vorgenommen, wenn mich nicht die Rücksicht auf die Gegenwart seines Sohnes davon abgehalten hätte.

Wir ritten die ganze Nacht hindurch, worauf wir unsere Hedschan eine Stunde ausruhen ließen, dann ging es wieder weiter, bis wir den Hadschar el mahlis erreichten und auf einer recht harten und glatten Stelle desselben die bisherige Richtung änderten. Es gab heute eine tüchtige Tagesarbeit für die Kamele, denn wir ritten bis tief in den Abend hinein, wo wir am Bir Bahrid eine vorgeschobene Abteilung der Lazafah-Schammar erreichten.

Wir wurden als Haddedihn sehr freundlich von ihnen aufgenommen, und als wir ihnen sagten, daß wir nicht nur als Freunde, sondern zugleich als Warner gekommen seien und ihnen den Sachverhalt mitteilten, wurde der Empfang sogar ein jubelnder. Ein verratener Ueberfall der Todfeinde, denen nun eine Schlappe sehr leicht beizubringen war, das versetzte diese Leute in die freudigste Aufregung, und es wurden sofort Boten nach den andern Abteilungen geschickt, um diese schleunigst zu benachrichtigen und herbeizurufen; denn wie die Verhältnisse lagen, mußten die Scherarat hierher nach dem Bir Bahrid kommen, auf den sie es jedenfalls und zunächst abgesehen hatten.

Schon am Morgen wurden Späher gegen sie ausgesandt, obgleich ihre Annäherung an diesem Tage nicht erwartet werden konnte, und gegen Abend, sowie auch während der Nacht trafen die herbeibeschiedenen Lazafah ein, so daß gegen fünfhundert Krieger versammelt waren.

Wir wurden selbstverständlich mit zu dem Kriegsrate gezogen, der nun zusammentrat. Wie bei solchen Gelegenheiten stets, so suchte ich auch jetzt dahin zu wirken, daß man ein größeres Blutvergießen womöglich verhüten möge, aber alles, was ich da vorbrachte, war vergeblich gesprochen. Wir hatten es mit Beduinen zu thun, welche jede Schonung für Schwachheit hielten, die ihnen sogar für Feigheit ausgelegt werden könnte, und ich war ihnen ein Fremder, auf den sie nicht, wie ihre Verwandten, die Haddedihn, aus Dankbarkeitsrücksichten zu hören hatten. Zwar gab sich auch der brave Halef alle Mühe, in diesen ihren Ansichten in meinem Sinne eine Aenderung hervorzubringen, doch hatte er ebensowenig Erfolg wie ich. Es wurde beschlossen, die Scherarat zu umzingeln und alle niederzumachen, die sich nicht ergeben würden; über die Gefangenen sollte dann die Versammlung der Aeltesten entscheiden. Wie diese Entscheidung ausfallen würde, darüber konnte es bei der unerbittlichen Gesinnung der Lazafah keinen Zweifel geben.

Als dieser Kriegsrat beendet war und ich mich mit Halef allein befand, sagte er zu mir:

»Sihdi, ich weiß, wie wenig einverstanden du mit dem bist, was diese Krieger beschlossen haben, und ich wünsche, du wärest mit deiner Ansicht durchgedrungen, denn ich bin im Herzen auch ein Christ, obgleich ich es nicht öffentlich sein darf; denn ich würde als Scheik abgesetzt werden und allen Einfluß auf die Haddedihn verlieren, den ich jetzt im christlichen Sinne üben kann. Wir dürfen uns an diesem Blutbade nicht beteiligen, und darum schlage ich vor, daß wir noch heute von hier aufbrechen und nach dem Dschebel Schammar reiten.«

»Das dürfen wir nicht.«

»Warum nicht?«

»Erstens weil wir als Gäste der Lazafah verpflichtet sind, ihnen beizustehen; zweitens weil wir keinen genügenden Grund für eine so schnelle Entfernung angeben können; drittens weil wir dadurch die Achtung unserer Gastfreunde verlieren würden, die uns Mangel an Mut vorwerfen müßten, und viertens weil es uns, wenn wir hier bleiben und uns am Kampfe beteiligen, doch vielleicht möglich ist, Härten zu mildern und wenigstens dahin zu wirken, daß möglichst wenig Feinde getötet und dafür möglichst viel Gefangene gemacht werden.«

»Du hast recht, Sihdi. Wir werden also bleiben, und obgleich mein Vaterherz eigentlich davor zittert, freue ich mich doch darauf, meinen Sohn Kara Ben Halef im Kampfe zu sehen. Er wird gewiß keinem Feinde den Rücken zeigen.«

»Ich bin überzeugt davon, doch ist er noch nicht erfahren genug und wird sich zu leicht von seinem Mute hinreißen lassen; darum ist es deine und meine Pflicht, ein wachsames Auge auf ihn zu haben, damit er sich nicht unnötigerweise in Gefahr begiebt.«

Auch dieser Tag verging und die darauffolgende Nacht ebenso. Bei Anbruch des Morgens kehrten einige Späher zurück, um zu melden, daß die Scherarat wahrscheinlich im Anzuge seien, weil sie nur fünf Reitstunden von hier mitten in der Wüste für die Nacht gelagert hätten. Es waren drei Kundschafter zurückgeblieben, um sie zu beobachten. Diese kamen nach einiger Zeit und benachrichtigten uns, daß die Feinde vom Lagerplatze aufgebrochen seien und Spione vorausgesandt hätten, deren Erscheinen wir bald erwarten könnten. Hierauf wurde die besprochene Aufstellung zum Empfange der Scherarat getroffen.

Der Brunnen lag in einer muldenähnlichen Bodensenkung, welche nach Nord und West, woher die Feinde kamen, keinen natürlichen Schutz besaß, nach Süd und Ost aber von einer halbkreisförmigen Felsenlinie eingefaßt wurde. Hinter diese Linie versteckten sich so viele Lazafah, daß nur vierzig Mann am Brunnen zurückblieben. Die Weidetiere, welche sich hier befanden, wurden in die Umgebung zerstreut, so daß der Bir Bahrid einen ganz friedlichen Anblick bot. Halef, Kara und ich, wir befanden uns mit in dem Hinterhalte, weil unsere Anwesenheit am Brunnen leicht hätte Verdacht erregen können.

Gegen Mittag sahen wir zwei Reiter kommen, welche langsam auf den Brunnen zuritten. Sie riefen die dort befindlichen Lazafah an, ob sie Wasser bekommen könnten. Es wurde ihnen gestattet. Sie gaben sich, wie wir später erfuhren, für freundliche Aneïzeh aus, die nach en Nfud wollten, ließen ihre Tiere trinken und ritten dann wieder fort. Als sie mit bloßem Auge nicht mehr gesehen werden konnten, schlugen sie, wie mir mein Fernrohr zeigte, einen Bogen nach West und Nord, um die Scherarat, zu denen sie natürlich gehörten, zu benachrichtigen, daß sie es nur mit vierzig Lazafah zu thun hätten und also mit leichter Mühe mehrere Hundert Pferde und Kamele erbeuten könnten.

Eine Stunde später erschienen die Feinde im Nordwest vom Brunnen. Sie kamen, um uns zu überrumpeln, geritten, was ihre Tiere nur laufen konnten. Am Rande der Thalmulde angekommen, sprangen sie von ihren Kamelen, erhoben ein durchdringendes Kriegsgeschrei und stürmten in die Bodensenkung herab. Zu gleicher Zeit aber brachen rechts und links die Lazafah hinter dem Felsen hervor; die Scherarat stockten erschrocken, und diese kurze Zeit der Unthätigkeit genügte, sie vollständig zu umringen. Welch ein Geheul und Getümmel gab das nun! Messer blitzten, Lanzen und Speere splitterten, Schüsse krachten. Kara Ben Halef flog jauchzend mitten in das Gewühl hinein, ich mit seinem Vater hinter ihm her, um ihn zu beschützen. Dies eine gelang uns gut, aber einen Einfluß auf den Ausgang des Kampfes konnten wir leider nicht gewinnen; das Blut floß in Strömen, und als der Sieg erfochten war, lagen weit über hundert Scherarat tot auf dem Plane; die Verwundeten waren schonungslos erstochen oder erschossen worden; kaum zwanzig hatten das Glück gehabt, zu ihren Tieren kommen und entfliehen zu können, und die übrigen waren gefangen. Unter den letzteren befand sich Abu el Ghadab, der Sohn des Zauberers. Anstatt die Lazafah zu berauben, hatten sie ihnen sich selbst und eine reiche Beute zugeführt.

Es gab nun Scenen zwischen den Siegern und den Besiegten, die ich lieber nicht beschreiben will. Ich entfernte mich mit Halef und Kara, um nichts davon zu sehen, da wir doch keinen Einfluß hatten. Bald aber wurden wir geholt, weil man diesen Sieg uns zu verdanken hatte; wir sollten den uns gebührenden Dank empfangen und uns einen Teil der Beute auslesen. Wir nahmen natürlich nichts.

Dabei war es gar nicht zu umgehen, daß wir von den Gefangenen gesehen wurden. Als Abu el Ghadab uns erblickte, richtete er sich trotz seiner Fesseln halb empor, starrte uns mit hervorquellenden Augen an und schrie, vor Wut bebend.

»Kara Ben Nemsi, der Christenhund! Er hat uns verraten, und Scheba et Thar, der Löwe der Blutrache, wird ihn dafür fressen! Allah verdamme ihn und die beiden Haddedihn, die bei ihm sind!«

Ueber sein Gesicht zogen sich zwei breite, blau unterlaufene Peitschenschwielen; es sah schrecklich aus. Ich nahm seine Worte ruhig hin; mein kleiner Halef aber brachte es nicht über sich, zu schweigen; sich vor den Sohn des Zauberers hinstellend, antwortete er:

»Dich selbst wird er verschlingen, der Löwe der Rache; wir aber lachen über ihn; du sagtest, wir müßten uns vor euch fürchten; du aber bist kein Krieger mehr, sondern gebrandmarkt für alle Zeit und noch hundert Jahre darüber hinaus, denn dein Gesicht trägt die Spuren meiner Peitsche, die du bekommen hast wie ein Hund, den die Hand eines tapferen Mannes nicht berühren mag. Schande über dich, und Hohn über deinen Scheba et Thar, dem es nur ekeln wird, ehe er dich selbst verschlingt!«

Ich zog den zornigen Kleinen fort, sonst hätte er seinem Herzen noch mehr Luft gemacht.

Der Kampf war vorüber, und wir konnten nun gehen, ohne den Vorwurf der Feigheit auf uns zu laden, und ich ging – – gern! Ich wollte nicht länger an einem Orte bleiben, wo so viel Blut zum Himmel dampfte, während es uns nicht schwer geworden wäre, die Feinde alle ohne ein solches Gemetzel in unsere Hände zu bekommen. Wir verabschiedeten uns und ritten fort, auf eine weite Strecke von einem Ehrengefolge begleitet.

Als wir nach sechs Tagen glücklich unser Ziel erreichten, war, ich weiß nicht auf welchem so schnellen Wege, die Kunde von unserem Erlebnisse schon angekommen, und wir wurden dementsprechend auf das ehrenvollste in Empfang genommen.

Es ist nicht die Absicht dieser Erzählung, über den Dschebel Schammar viel zu sagen. Diese Landschaft wird von einem Scheik regiert, der sich auch Fürst nennen läßt. Der Hauptort Hâil liegt zwischen dem Adscha- und dem Selmaberge in bedeutender Höhe und bot uns eine Woche lang einen sehr angenehmen und gastlichen Aufenthalt. Der Scheik war kurz vor unserer Ankunft zur großen Hadsch nach Mekka aufgebrochen; seine Stelle vertrat Hamed Ibn Telal, ein Verwandter des früheren und sehr berühmten Scheikes Telal, dem die Landschaft sehr viel zu verdanken hat. Halef konferierte viel mit diesem Manne, und es gelang ihm, ein Bündnis mit ihm abzuschließen, welches seinen Haddedihn große Vorteile bot. Damit, daß wir nur zu dreien gekommen waren, hatten wir mehr imponiert, als wenn wir hundert Krieger mitgebracht hätten. Ich ritt oder wanderte während dieser Zeit im Lande umher und belehrte und unterhielt mich dabei ausgezeichnet; dennoch war es mir lieb, als die Verhandlungen endlich abgeschlossen waren und wir wieder heimkehren konnten. Wir wären wahrscheinlich noch einige Zeit geblieben, wollten aber das Eintreffen der persischen Pilgerkarawane, welche alljährlich den Dschebel Schammar durchzieht und bald eintreffen mußte, nicht abwarten. Ich hatte diese Karawane früher mehr als zur Genüge kennen gelernt, um nicht zu wünschen, ihr lieber ausweichen zu können. Wir wurden beim Abschiede von Hamed Ibn Telal freundschaftlich beschenkt und bekamen zwanzig Reiter mit, welche uns zwei Tagereisen weit zu begleiten hatten. Sie thaten dies mit großem Vergnügen und wären wohl auch noch weiter mitgeritten, wenn wir uns nicht geweigert hätten, sie länger von den Ihrigen fernzuhalten.

Da wir uns wohl hüten mußten, wieder mit den Scherarat zusammenzutreffen, hatte uns Hamed Ibn Telal geraten, unsere Richtung über Lyneh zu nehmen; wir folgten dieser Weisung und ahnten nicht, daß wir, indem wir dies thaten, dem Löwen geradezu und sogar ganz wörtlich genommen in die Höhle liefen. Niemand kann seinem Schicksale entgehen, sagt der Moslem, und dieses unser Schicksal war esch Scheba et Thar, der Löwe der Blutrache, mit welchem uns Abu el Ghadab gedroht hatte.

Unsere Wasserschläuche waren fast leer geworden, und so freuten wir uns auf Wadi Achdar, denn es gab Wasser in den zwei dortigen Brunnen hinter den steilen Felsenklüften, welche die hohen Thalwände bilden und oben im Hintergrunde von den Ruinen eines uralten Kasr gekrönt werden. Solche Ruinen, welche meist aus der vorislamitischen Zeit stammen, sind in Arabien gar nicht selten, und daß im Wadi Achdar einst eine Burg gestanden hatte, konnte mich nicht wundern, denn ich kannte die Sage, nach weicher dieses Thal mit einem westlichen Nebenflusse des Euphrat in Verbindung gestanden haben soll. Auch wußte ich, daß zur Regenzeit das Wasser so hoch im Thale zu stehen pflegt, daß man darin baden und sogar schwimmen kann. Darum versiegen die zwei Brunnen nie, und darum giebt es selbst in der heißen Jahreszeit dort einen Pflanzenwuchs, welcher geeignet ist, ein sonst seltenes Tierleben und infolgedessen leider auch Raubtiere herbeizuziehen. Halef hatte sogar einmal gehört, daß dort Löwen gesehen worden seien, ob auch im Winter und Frühjahr, das wußten wir nicht.

Wir ritten die ganze Nacht hindurch und auch einen Teil des Morgens, und es war einige Stunden vor Mittag, als wir die Höhen, zwischen denen das Wadi liegt, vor uns emporsteigen sahen. Wo Brunnen in der Wüste sind, kann man auf Menschen rechnen, und vor diesen Menschen hat man sich gewöhnlich in acht zu nehmen. Wir mußten rekognoscieren. Halef bot sich dazu an; aber ich durfte ihn nicht in die Versuchung bringen, wieder einen solchen Fehler wie am Bir Nufah zu machen; darum ritt ich selbst voran. Ich kam zum ersten Brunnen und fand ihn unbesetzt; ich ritt noch weiter in das Wadi hinein und konnte keine Spur eines Menschen entdecken. Eigentlich wunderte ich mich darüber, doch gab es so viele Erklärungen dieser Einsamkeit, daß ich mich beruhigte und zurückkehrte, um Halef und Kara zu holen. Wäre ich noch weiter geritten, bis zum zweiten Brunnen, der zwar tief, aber gerade unter der Ruine lag, so hätte ich in den deutlichen Tatzenspuren den sehr triftigen Grund gefunden, weshalb das Wadi jetzt gemieden wurde.

Wir lagerten uns am ersten Brunnen, wo es Gebüsch gab, sattelten unsere Kamele ab, tranken uns satt und schöpften dann auch für sie so viel Wasser, bis sie nicht mehr trinken wollten. Dann machte sich die Müdigkeit geltend. Ich ordnete an, daß immer zwei schlafen sollten, während einer wachte und nach zwei Stunden von dem nächsten abzulösen war. Die erste Wache übernahm ich, die zweite fiel auf Halef und die dritte auf Kara, seinen Sohn. Meine Wache verlief ohne Störung; als sie zu Ende war, legte ich mich nieder, nachdem ich Halef geweckt hatte. Ich war sehr müde, schlief ein und fiel in Träume. Der arabische Morpheus machte mir allerhand dummes Zeug weis; zuletzt gaukelte er mir gar einen Ueberfall durch Beduinen vor, ein leises, leises Rauschen von Gewändern, gedämpfte Schritte, unterdrückte Stimmen, dann ein Schuß war das wirklich Traum?

Ich fuhr empor, und zu gleicher Zeit sprangen Halef und Kara neben mir auch auf. Der Schuß war Wirklichkeit; ich sah uns von weit über hundert Arabern umringt, in denen ich zu meinem Schrecken Scherarat erkannte. Kara war während seiner Wache wieder eingeschlafen; nur darum hatte es diesen Leuten gelingen können, sich heranzuschleichen und uns in ihre Mitte zu nehmen. Ihre Kamele oder Pferde hatten sie außer Hörweite zurückgelassen. Ich sah unsere Gewehre, die sie uns leise weggenommen hatten, in ihren Händen. Widerstand war unmöglich, unser Leben keinen Heller wert, weil wir mit ihnen in Blutrache standen. Es gab nur eine Rettung für uns, nämlich die, uns in den Himaji eines Hervorragenden von ihnen zu begeben.

Das waren nicht etwa langdauernde Erwägungen von mir, sondern die Augen aufschlagen, aufspringen, die Feinde erblicken und diese Gedankenreihe hegen, war das Werk einer Sekunde. Wir durften nicht warten, bis einer von ihnen uns sagte, daß wir Gefangene seien, denn dann wäre es zu spät gewesen; wir mußten zuerst sprechen. Zwei Schritte vor mir stand ein alter Beduine von ehrwürdigem Aussehen; er schien kein gewöhnlicher Krieger zu sein. Ich schob schnell Halef und Kara zu ihm hin, faßte seinen Haik und rief:

»Dakilah ia Scheik!«

Das heißt: Ich bin der Beschützte, o Herr! Kein Araber, und wenn er der größte Räuber und Mörder ist, wird einem Feinde seinen Schutz versagen, der ihm diese Worte zuruft und ihn oder sein Gewand dabei berührt, welch letzteres die Hauptsache ist. Er wird ihn vielmehr mit seinem Leben verteidigen. Halef und sein Sohn kannten diesen Brauch oder vielmehr dieses Wüstengesetz ebensogut wie ich; so groß ihre Ueberraschung war, sie hatten doch die Geistesgegenwart, meinem Beispiele sofort zu folgen. Zwei rasche Griffe nach seinem Haik und zwei zugleich erklingende Rufe »Dakilah ia Scheik!« sie standen nun auch unter seinem Schutze.

Ringsum ertönten laute Rufe des Aergers, daß wir ihnen zuvorgekommen waren. Der Alte wollte unwillig zurücktreten; als wir aber seinen Burnus festhielten, sagte er:

»Eure Mäuler sind schneller gewesen als mein Mund, und so bin ich gezwungen, euch in meinen Schutz zu nehmen. Ich bin Abu 'Dem, der Scheik der Scherarat, und wehe dem, der euch, meinen Beschützten, ein Haar des Hauptes krümmt! Man gebe ihnen die Gewehre wieder!«

Welch ein glücklicher Zufall, daß er der Scheik war! Und als ich meine beiden Gewehre wieder in die Hände bekam, schien mir die Rettung sicher zu sein. Es fragte sich nur, ob es in dieser Schar einen gab, der uns kannte. Eben als ich mir dies sagte, rief jemand, der sich eifrig durch die anderen herbeidrängte.

»Nimm sie nicht unter deinen Schutz, o Scheik, ja nicht! Sie sind Blutfeinde von uns!«

»Blutfeinde?« fragte der Alte.

»Ja. Der Mann mit den zwei Gewehren ist der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, ein Christ.«

»Maschallah!« fuhr der Scheik von uns zurück.

»Der Kleine ist Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn; er war am Bir Nufah unser Gefangener und wurde von dem Giaur gerettet. Der dritte scheint sein Sohn zu sein. Alle drei haben uns an die Lazafah verraten, so daß wir am Bir Bahrid von ihnen besiegt wurden. Du weißt ja, wie viele tot und gefangen waren und wie wenige nur entkommen sind.«

»Sind sie es wirklich? Irrst du dich nicht?«

»Ich beschwöre es beim Propheten und bei allen Khalifen, daß sie es sicher sind!«

Jetzt war der schlimme, der entscheidende Augenblick gekommen!

»Ia thar, ia thar, ia thar – o Blutrache, o Blutrache, o Blutrache!« riefen rundum alle Stimmen, während die Hände nach den Waffen griffen.

»Ia himaji, ia himaji, ia himaji – o Schutz, o Schutz, o Schutz!« rief ich dagegen, und Halef und sein Sohn stimmten ein.

Der Scheik winkte mit der Hand, und es trat sofortige Stille ein. Sich zu mir wendend, fragte er:

»Bist du wirklich der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, ein Christ?«

»Ja.«

»Dieser ist der Hadschi Halef Omar, Scheik der Haddedihn, und der andere sein Sohn?«

»Ja.«

»Und das wagst du, mir zu gestehen?«

»Ich lüge nie, und es ist kein Wagnis. Es wäre ein Wagnis, es zu leugnen.«

»Wieso?«

»Weißt du nicht, daß der Beschützte den Schutz verliert, wenn er dem Beschützer eine Lüge sagt?«

»Das ist die Wahrheit, ja. Ich habe gehört, daß du drüben in der Dschesireh und bei den Kurden viele große Thaten verrichtet hast. Wie kann Allah einem Giaur solche Kraft, Geschicklichkeit und Tapferkeit verleihen?«

»Er ist der Herr und Vater aller Menschen, der eurige und auch der unserige. Warum unterscheidest du mich nach dem Glauben von dir? Heute und hier gilt nur eines: Du bist der Schützer, und wir sind die Beschützten. Oder sollte sich der berühmte Scheik der Scherarat vor seinen Untergebenen so fürchten, daß er den gewährten Schutz zurückzuziehen vermöchte?«

Das war eine kühne Frage. Er zog die Brauen finster zusammen und antwortete:

»Und wenn ich dies thäte?«

»So würde dein Name geschändet sein in alle Ewigkeit.«

»Aber ihr wäret verloren!«

»Nein, noch lange nicht!«

»Maschallah, Gottes Wunder! Du würdest noch an Rettung glauben?«

»Nicht glauben, sondern von ihr überzeugt sein würde ich.«

»Du redest wie ein Wahnsinniger!«

»Ich spreche wie ein Mann, der ganz genau weiß, was er will. Wenn man dir von mir erzählt hat, so wirst du wahrscheinlich auch von meinem Zaubergewehre gehört haben?«

»Man sagt, du könnest immerfort schießen, ohne zu laden, und niemals gehe eine deiner Kugeln fehl. Das glaube ich nicht.«

»Du wirst es glauben. Zählt hundert Schritte ab, und steckt dort zehn Lanzen nebeneinander in die Erde! Ich treffe alle, ohne zu laden, bis auf ein Haar gleichweit entfernt von ihrer Spitze.«

Ein allgemeines Gemurmel folgte dieser selbstbewußten Rede. Der Scheik drehte sich um und sprach leise mit den Nächststehenden. Halef flüsterte mir zu:

»Wenn sie es thun, haben wir gewonnen, Sihdi!«

Nach einer kleinen Weile kehrte sich der Scheik wieder zu mir und sagte:

»Du sollst deinen Willen haben, doch nur unter einer Bedingung.«

»Sag sie mir!«

»Wenn du nicht so triffst, wie du gesagt hast, steht ihr nicht mehr unter meinem Schutze.«

»Ich bin einverstanden,« antwortete ich ruhig, obgleich ich wußte, was ich dabei auf das Spiel setzte.

Ging nur eine einzige Kugel fehl, so waren wir mitten unter so vielen Feinden auf uns selbst angewiesen. Aber ich kannte mein Gewehr, auf das ich mich zu verlassen hoffte, selbst wenn der Scheik mich im Stiche ließ. Unsere Lage war vorhin nur deshalb eine so schlimme gewesen, weil uns im Schlafe die Gewehre genommen worden waren.

Die Schritte wurden abgezählt und die Lanzen in die Erde gesteckt. Dann richteten sich aller Augen erwartungsvoll auf mich. Ich legte, ohne ein Wort zu sagen, den Henrystutzen an und gab, scheinbar ohne genau zu zielen, schnell hintereinander die zehn Schüsse ab, so schnell, daß sie nicht gezählt werden konnten oder wenigstens nicht gezählt wurden.

Als ich das Gewehr absetzte, fragte der Scheik:

»Fertig schon?«

»Ja.«

»Zehn Schüsse? So schnell?«

»Wenn ich auf Menschen, auf Feinde schieße, geht es noch schneller! Seht die Lanzen an!«

Alles eilte hin. Jeder wollte der erste sein, der sie sah. Da sagte Halef:

»Sihdi, alle laufen dorthin, und wir stehen allein hier. Jetzt könnten wir fort!«

»Und wenige Augenblicke später wären sie hinter uns her. Nein, wir bleiben. Bedenke doch die Zeit, ehe wir die Kamele zum Aufstehen brächten!«

»Du hast recht; es geht nicht.«

Die Lanzen wurden wieder aus dem Boden gezogen; sie gingen von Hand zu Hand und laute Rufe der Bewunderung waren zu hören. Inzwischen drehte ich mich um, die abgeschossenen zehn Patronen unbemerkt zu ergänzen. Dann sah ich die Augen der Scherarat zwar feindlich, aber achtungsvoll auf mich gerichtet. Der Scheik kam wieder zu mir, betrachtete mich vom Kopfe bis zu den Füßen und sagte:

»Dein Zaubergewehr ist keine Lüge; es sitzen alle zehn Kugeln, eine ganz genau so wie die andere. Welcher Djinn hat dieses Gewehr gemacht?«

»Es war ein Djinn in Amirica und hat Henry geheißen.«

»So müssen dort in Amirica mächtigere Djinns sein als bei uns. Ihr steht unter meinem Schutze, und solange ihr euch bei mir befindet, wird euch nichts geschehen; da aber die Blutrache zwischen uns und euch ist, hat die Versammlung der Aeltesten zu entscheiden, was mit euch geschehen soll.«

»Was könnte sie zu entscheiden haben? Ich denke, wir sind bei dir sicher!«

»Diese Sicherheit erstreckt sich, wie du wissen wirst, nur auf zweimal sieben Tage höchstens. Dann muß ich euch entlassen. Wenn die Versammlung mild entscheidet, so nimmt sie euch die Waffen, giebt euch einen Vorsprung und läßt euch dann verfolgen. Werdet ihr ergriffen, so kostet es euch das Leben. Denkt ja nicht daran, daß wir uns herbeilassen werden, euch das Leben zu schenken und dafür die Dijeh anzunehmen! Mein Name ist Abu 'Dem, Vater des Blutes, und wenn auch ein gewöhnlicher Krieger das vergossene Blut bezahlen kann, solche Leute, wie ihr seid, müssen ihr Leben dafür geben.«

»Wann wird die Versammlung der Aeltesten zusammentreten?«

»Sobald der Haupttrupp meiner Leute gekommen ist; wir hier bilden nur die Vorhut. Wir müssen vorsichtig sein, um unsere Tiere hier zu tränken, denn es giebt – –«

Er hielt mitten in der Rede inne, musterte uns mit einem fragenden Blicke und fuhr dann fort:

»Ihr schlieft, als wir hier ankamen. Wie lange wolltet ihr an diesem Brunnen bleiben?«

»Bis morgen früh,« antwortete ich.

»Allah akbar – Gott ist groß! Bis morgen früh! Kanntet ihr denn nicht die Gefahr, in welcher ihr hier geschwebt hättet?«

»Wir kannten sie. Es gab nur eine einzige.«

»Welche?«

»Eine Ueberraschung durch euch, unsere Todfeinde.«

»Weiter keine?«

»Nein.«

»Allah kerihm – Gott ist barmherzig. Er hat euch vor dem sicheren Tode bewahrt. Ist euch denn wirklich nicht bekannt, daß – –«

Er hielt wieder inne, als ob er etwas hätte sagen wollen, was er uns lieber verschweigen müsse, und er hätte auch so nicht weiter sprechen können, denn es erhob sich jetzt am Eingange des Wadi ein lärmendes Getrappel von vielen Tieren, mit den Rufen von zahlreichen Menschenstimmen vermischt. Wir sahen eine große Schar von Reitern auf Pferden und Kamelen kommen. Voran ritt ein alter Mann von höchst abstoßendem Aeußern. Sein zurückgeschlagener Haik ließ sehen, daß sein ganzer Leib mit Amuletten behangen war; am Halse seines Kameles und an dem Sattel baumelten allerlei ausgestopfte Tiere und fremdartige Gegenstände; seine kleinen, tückischen Augen lagen tief in ihren Höhlen; weit wie ein Geierschnabel stand seine Nase vor, während sein zahnloser Mund desto mehr zurückwich; seine Gestalt, außerordentlich lang und dürr, wankte auf dem Kamele wie eine Pagode hin und her, und die grüne Farbe seines Turbans zeigte, daß er sich zu den Abkömmlingen des Propheten zählte. Sofort, als ich ihn erblickte, sagte ich mir, daß dies kein anderer als Gadub es Sahhar, der Zauberer, sei, und ich hatte mich nicht geirrt. Wie angesehen er bei den Scherarat sei, konnte ich daraus ersehen, daß sie alle ihm entgegenliefen, um ihm mitzuteilen, welch einen kostbaren Fang sie gemacht hätten.

Als er es hörte, stieß er einen Jubelruf aus, glitt elastisch wie ein Jüngling von dem hohen Kamele herab, ohne es niederknieen zu lassen, kam herbeigerannt, betrachtete uns mit wild rollenden Augen und schrie mich dann an:

»Du, du also, du bist der verdammte Christenhund, dem ich die Gefangenschaft und den sichern Tod meines Sohnes zu verdanken habe? Das sollst du büßen, büßen, büßen! Deine Seele soll in dir stecken wie ein glühender Eisenbolzen, und dein Leib um dich brennen wie der verzehrende Feuerbrand, der um die Sonne läuft! Deine Eingeweide sollen dir einzeln herausgenommen werden, und die – –«

»Schweig!« donnerte ich ihn an, indem ich ihn unterbrach. »Ich bin der Beschützte. Wie darfst du mich beleidigen!«

»Der Beschützte?« fuhr er auf. »Wessen?«

»Der meinige,« antwortete der Scheik.

»Wie? Wie? Wie? Der deinige? Wie kannst du es wagen, Leute, die unsere tausendfachen Todfeinde sind, in deinen Schutz zu nehmen!«

»Wagen?« fragte der Scheik stolz. »Was kann Abu 'Dem, der Scheik der Scherarat, wagen? Hast du mir etwa zu befehlen, was ich thun darf oder nicht? Diese Männer haben mein Gewand ergriffen und mir dabei zugerufen: ›Dakilah ia Scheik!‹ Nun will ich wissen, wer es wagt, mir zu sagen, daß ich sie nicht beschützen darf!«

»Wer? Wer? Wer? Ich sage es, ich, ich, ich! Und ich will hören, wer es wagt, mir zu widersprechen. Ich schicke ihm alle bösen Geister der Erde und der Hölle in den Leib!«

Da wendete sich der Scheik zu seinen Leuten um und rief:

»Ihr Männer und Krieger der Scherarat, entscheidet, wer recht hat, er oder ich! Muß ich die Gefangenen beschützen oder darf ich es nicht?«

Er erhielt keine Antwort. Sie mußten ihm im stillen recht geben, aber keiner wagte es, gegen den Zauberer zu sprechen, dessen Kunst sie fürchteten, weil sie mehr als zu sehr abergläubisch waren. Er stieß ein höhnisches Lachen aus und kicherte den Scheik mit überschnappender Stimme an:

»Hörst du etwas, o Scheik, hihihihi; hörst du ein einziges Wort? Diese Hunde haben meinen Sohn am Bir Nadahfa mit der Peitsche in das Gesicht geschlagen, und er hat ihnen dafür mit dem Scheba et Thar gedroht, mit dem Löwen der Blutrache, ja, mit dem Löwen –«

Er unterbrach sich plötzlich mit einer Bewegung, als ob ihm ein außerordentlich guter Gedanke komme, ließ seine Blicke mit giftigem Triumphe über uns gleiten und wendete sich dann mit plötzlich ganz freundlicher Miene und Stimme an den Scheik:

»Doch, du sollst das Recht haben, o Scheik, nämlich wenn die Versammlung der Aeltesten es dir zuspricht. Laß die Ichtjarije rufen; es soll sofort die Beratung abgehalten werden, sofort, sofort! Wir wollen die Stimmen der Männer hören, welche über diese Hunde zu entscheiden haben. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn schon morgen früh müssen wir zu den Lazafah aufbrechen, um unsere Söhne und Krieger zu befreien oder zu rächen!«

Er eilte fort, um die Alten selbst mit zusammenzuholen. Da trat der Scheik zu uns und sagte halblaut:

»Ich ahne, was der Sahhar will. Ich habe euch mein Wort gegeben und möchte es ganz halten; gegen den Scheba et Thar, den er meint, kann ich aber nichts thun. Doch denke ich, daß ihr Männer seid, die sich nicht fürchten, und eure Waffen sind ja besser als die unserigen. Allah thut, was ihm gefällt!«

Unsere Lage schien sich seit der Ankunft des Zauberers bedeutend verschlimmert zu haben. Die Scherarat mußten uns zwar auch vorher schon feindlich gesinnt sein, doch hatte das ritterliche Verhalten ihres Scheikes den Eindruck auf sie nicht verfehlt. Nun aber waren ihrer viel mehr geworden, und der alte Gadub es Sahhar hatte, weil sie ihn mehr fürchteten, mehr Einfluß auf sie als der Scheik. Wir sahen jetzt mehr drohende Blicke auf uns gerichtet als früher, brauchten aber zunächst nichts zu fürchten, denn vor dem Richterspruche der Dschemma durfte sich niemand an uns vergreifen.

Es waren zwölf Greise, welche sich in einiger Entfernung von uns zur Beratung niedersetzten. Diese wurde in ernster Würde geführt, wie wir sahen. Nur einer ließ sich von seiner Erregtheit hinreißen, lebhafter zu sein, als es der Gebrauch erforderte; das war der Zauberer, welcher fast unablässig auf die andern einsprach. Wir Saßen, rund von Kriegern umgeben, nebeneinander; darum dämpfte Halef seine Stimme zum Flüstern, als er mich fragte:

»Was meinst du, Sihdi, was sie über uns beschließen werden?«

»Ahnst du es nicht?«

»Nein. Du?«

»Ja.«

»Nun, was?«

»Es scheinen Löwen im Wadi zu sein.«

»Allah! Löwen? Ein Löwe!«

»Nicht einer, sondern mehrere, denn es ist jetzt die Zeit, in welcher diese Tiere vielleicht schon Junge haben.«

»Daß es hier schon Löwen gegeben hat, habe ich dir gesagt; es ist also sehr leicht möglich, daß sich wieder welche hier befinden, droben in der alten Ruine, wo es genug Schlupfwinkel für sie giebt. Was aber hat dies mit uns zu thun?«

»Wahrscheinlich sehr viel. Hast du das triumphierende Gesicht des Zauberers gesehen, als er von dem ›Löwen der Blutrache‹ sprach?«

»Ja; es sah aus, als ob er eine sehr große Freude empfände.«

»Die Freude über unsern sichern Untergang.«

»Durch die Löwen?«

»Ja.«

»Meinst du etwa, daß wir ihnen vorgeworfen werden sollen?«

»Vorgeworfen grad nicht, denn dazu müßten sie uns vorher fesseln, und das würde ich mir mit meinem Stutzen sehr verbitten. Solange ich überhaupt diesen habe, werde ich jeden Beschluß der Versammlung, der uns keine Hoffnung bietet, zurückweisen. Ich vermute, daß wir mit den Löwen um unsere Freiheit und unser Leben kämpfen sollen.«

»Wirst du das annehmen, Sihdi?«

»Erst möchte ich hören, was du dazu sagst.«

»Das kannst du dir doch denken. Wie stolz würde Hanneh, das beste und herrlichste Weib unter den schönsten aller Frauen, auf ihren Halef sein, wenn er ein Fell mit nach Hause brächte, in welchem ein von ihm selbst erlegter Löwe die Tage seines Daseins beschlossen hätte!«

»Du würdest dich also an den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ wagen?«

»Mit Entzücken; das sage ich dir aufrichtig.«

»Und dein Sohn?«

Kara hatte bis jetzt kein Wort gesprochen; als er diese Frage hörte, antwortete er:

»O Emir, mein Herz ist von tiefer Traurigkeit erfüllt. Was habe ich gethan! Ich bin schuld daran, daß wir gefangen sind, denn ich habe geschlafen, als ich wachen sollte. Ich würde gern mit zehn Löwen kämpfen, wenn ich diesen Fehler dadurch gutmachen und dein Vertrauen wiedergewinnen könnte!«

»Nimm es dir nicht allzusehr zu Herzen, lieber Kara,« tröstete ich ihn. »Du warst zu sehr ermüdet. Mein Vertrauen hast du noch, und was unsere Gefangenschaft betrifft, so denke ich, daß sie ein baldiges Ende haben wird. Wenn meine Vermutung, daß wir mit den Löwen kämpfen sollen, sich bewahrheitet, so werde ich darauf eingehen, wenn man uns nicht bloß das Leben, sondern auch die Freiheit dafür verspricht. Ich werde das weniger aus Angst vor den Scherarat als vielmehr aus Jagdlust thun, denn beides, die Freiheit sowohl als auch das Leben, getraue ich mir auch ohne Löwenkampf mit meinem Stutzen zu verteidigen. Doch seht, die Beratung ist zu Ende, und man scheint uns holen zu wollen.«

Es war eine Bewegung unter den Mitgliedern der Dschemma entstanden; der Scheik stand auf, kam zu uns und sagte:

»Die Versammlung der Aeltesten hat über euch beschlossen. Befänden wir uns in unserm Duar, so würde mein Schutz über euch vierzehn Tage lang währen; jetzt aber sind wir unterwegs und können euch nicht mitnehmen; ich kann euch also nur so lange beschützen, als wir uns hier in diesem Wadi befinden, und das ist nur für den heutigen Tag. Eigentlich sollte ich euch weiter nichts mitteilen, denn der Zauberer hat sich das vorbehalten; da ich aber weiß, daß es seine Absicht ist, euch durch seine Darstellung und Ausdrucksweise zu verwirren und einzuschüchtern, so halte ich als euer Beschützer es für meine Pflicht, euch eine Andeutung zu geben, aus welcher ihr das Richtige entnehmen könnt.«

Da er jetzt eine Pause machte, schob ich schnell die Bemerkung ein:

»Wir sind dir für deine Güte dankbar, o Scheik, doch muß ich dir sagen, daß wir nicht zu der Art von Leuten gehören, bei denen der Zauberer diese seine Absicht erreichen könnte. Es ist noch keinem Menschen gelungen, meinen Geist zu verwirren, und uns nun gar einschüchtern, das rechne ich zu den Unmöglichkeiten; wenigstens würde der alte Sahhar der allerletzte sein, der das fertig brächte. Ihr mögt von ihm halten und denken, was Ihr wollt; ich aber kenne sein Fach besser, als Ihr es kennt, und weiß, daß er in allem, was er Euch vormacht, nichts anderes als ein Cha'inCha'in, das ch so ausgesprochen wie im deutschen Worte Rache = Schwindler, Betrüger. ist.«

Als der Scheik diese Worte hörte, hellte sich sein tiefernstes Gesicht ein wenig auf, und er sagte:

»Ich vernehme, daß Allah dir ein sehr gesundes Gehirn verliehen hat; leider besitzen meine Scherarat nicht dieselbe Gabe, und wenn ich euch dafür hassen muß, daß ihr unsere Krieger an die Lazafah verraten habt, so möchte ich euch doch dafür danken, daß es unter ihnen einen giebt, den ich nicht nennen will, dessen Rückkehr von den Lazafah ich nicht wünsche.«

»Du brauchst ihn nicht zu nennen; es ist Abu el Ghadab, der Sohn des Zauberers.«

»Maschallah! Woher weißt du das?«

»Ich kenne dein Verhältnis zu Gadub es Sahhar besser, als du denkst.«

»Wenn du es wirklich kennst, so sprich zu ihm ja nicht davon. Ich habe gehört, daß du ›den Herrn mit dem dicken Kopfe‹ geschossen hast, du ganz allein und mitten in der Nacht. Wir haben das nicht für möglich gehalten, denn wenn wir den ›Würger der Herden‹ erlegen wollen, so ziehen wir, viele, viele Krieger stark, am hellen Tage aus. Wenn wir das des Nachts thäten, würde er uns alle fressen.«

»Das ist der Unterschied zwischen euch und uns. Ein wirklich tapferer Mann muß den Mut besitzen, dem Löwen ganz allein und auch des Nachts Auge in Auge entgegenzutreten.«

»Das hast du wirklich gethan?«

»Ja, wiederholt!«

»Besitzest du diesen Mut auch heute noch?«

»Ja.«

»Das beruhigt die Vorwürfe meines Gewissens. Ich will euch verraten, daß ihr in nächster Nacht mit zwei Löwen kämpfen Sollt, welche wahrscheinlich junge haben. Ihr solltet das nicht wissen. Es ist das fürchterlich, drei Personen gegen zwei riesige Löwen, welche zehnfach und hundertfach schrecklich sind, weil sie Kinder zu beschützen haben.«

»Mach dir keine Sorge um uns! Wir fürchten uns nicht. Uebrigens hast du uns gar nichts verraten, denn wir haben es geahnt, was für einen Plan der alte Zauberer hat. Es ist das sehr pfiffig von ihm. Unterliegen wir, so hat er sich an uns gerächt; siegen wir, was er aber freilich für vollständig ausgeschlossen hält, so haben wir dieses schöne Wadi und euch alle von den Feinden befreit, deren Erlegung ihr mit dem Leben vieler eurer Krieger bezahlen müßtet. Wie lange wohnt der Löwe mit seiner Frau schon hier im Thale?«

»Seit drei Wochen. Er holt sich fast in jeder Nacht ein Pferd oder Kamel; Allah verdamme ihn!«

»Wo hat er seine Wohnung aufgeschlagen?«

»Droben im großen Hohsch el Harab. Er kommt täglich des Abends mit seiner Frau in das Wadi herab, um am hintern Brunnen zu trinken. Aber jetzt darf ich euch weiter nichts verraten. Kommt, ich soll euch zur Dschemma bringen!«

Er führte uns zu der Versammlung der Aeltesten, deren Urteil wir stehend anhören sollten; ich machte aber kurzen Prozeß und setzte mich; Halef und Kara folgten meinem Beispiele. Da fuhr uns der Zauberer zornig an:

»Wie könnt ihr es wagen, euch im Rate der weisen und erfahrenen Männer niederzusetzen! Ihr seid – –«

»Schweig!« unterbrach ich ihn, um ihm gleich im Anbeginn zu zeigen, wie wenig ich mir aus ihm machte. »Ich würde diesen ehrwürdigen Männern gern die Achtung zollen, welche ich für sie hege; aber weil du mit hier bist, so setzen wir uns. Weißt du, was ich in meinem Lande und bei meinem Volke bin? Und wer oder was bist denn du? Du bist gegen mich wie eine dreiste Fliege, welche glaubt, mit ihrem Summen und Brummen den Löwen erschrecken zu können.«

Da fuhr seine Hand nach dem Messer, und er donnerte mich an:

»Hund, Giaur! Kennst du die Macht, welche ich gegen und über alle Geister und Mächte der Erde und der Unterwelt besitze? Ich brauche nur die Hand zu erheben, so fällst du tot zur Erde!«

»Thue es doch!« lachte ich. »Mir machst du nicht bange, denn ich kenne dich. Du bist ein Feschschahr, der gar nichts kann, ein Gaschschahsch, mit dem ich gar nicht sprechen würde, wenn dich nicht diese achtunggebietenden Greise beauftragt hätten, mir ihren Entschluß mitzuteilen.«

Da sprang er wütend auf und schrie:

»Ihr Krieger der Scherarat, schießt ihn nieder, den stinkenden Schakal, sofort, sofort!«

Ich sprang, obgleich niemand sein Gewehr gegen mich erhob, augenblicklich nach einem nahen Felsstücke, nahm Deckung hinter demselben, legte den Stutzen an und rief:

»Wer wagt es, die Hand gegen uns zu erheben? Ihr seht, daß mich hier keine Kugel treffen kann; hier aber ist mein Zaubergewehr, welches sofort jeden tötet, der seine Hand gegen einen von uns erhebt!",

Es war interessant zu sehen, mit welcher Angst und Eile die Beduinen zu beiden Seiten meiner Schußlinie zurückwichen. Der Zauberer schien auf einmal seine Sprache verloren zu haben; die Alten sprachen leise miteinander; dann rief mir der Scheik zu:

»Sei ruhig, Emir! Noch steht ihr unter meinem Schutze, und es wird euch bis morgen früh kein Leid geschehen.«

»Unsinn! Nicht wir haben uns vor euch, sondern ihr habt euch vor uns zu fürchten! Ich bleibe hier stehen, das Zaubergewehr in der Hand. Wer uns nur mit einem Worte beleidigt, dem jage ich eine Kugel durch den Kopf. Nun sagt mir kurz, was die Dschemma beschlossen hat; Prahlereien aber mag ich nicht hören!«

Daß mein Verhalten den von mir beabsichtigten Eindruck machte, erkannte ich an dem Ausdrucke der Blicke, welche von rundum auf mir hafteten. In der Dschemma wurde wieder leise beraten; dann wendete sich der Zauberer an mich, und zwar in einem ganz andern Tone als vorher:

»Es ist folgendes beschlossen worden, was ich dir erst erklären wollte, nun aber nur kurz sagen werde: Droben im Hofe der Ruine wohnen Geister, welche sich nicht aus dem Wadi entfernen wollen; ihr sollt in nächster Nacht mit ihnen kämpfen. Wenn ihr uns euer Wort gebt, nicht zu fliehen, sollt ihr bis zur Dämmerung bei uns sein, nicht als ob ihr Gefangene wäret; dann geht ihr hinauf in den Hof. Ihr habt euch ein Feuer anzubrennen und bis morgen früh zu unterhalten. Kommt ihr dann herab, ohne daß die Geister euch erwürgt haben, so seid ihr frei.«

»Ist das alles?« fragte ich.

»Ja.«

»Wie gehen auf eure Forderungen ein. Wir werden, wenn der Tag sich neigt, hinaufsteigen, um im Hofe der Ruine bis morgen früh ein Feuer zu brennen und mit den Geistern zu kämpfen. Aber daß wir frei sind und ungehindert fortreiten können, wenn wir früh wohlbehalten herunterkommen, darauf mag die Dschemma mir ihren Schwur geben!«

Als dieser Eid, den ich vorsprach, mit volltönenden Stimmen geleistet worden war, fühlte ich mich sicher, legte das Gewehr wieder ab und ging zu meinen Gefährten hin. Dabei mußte ich an dem Zauberer vorüber; er konnte sich doch nicht enthalten, mich mit sichtbarer Schadenfreude im Gesichte anzuzischen:

»Ihr seid verloren, denn schon höre ich im Geiste den Scheba et Thar brüllen, der euch verschlingen wird!«

»Nimm dich in acht, daß er dich nicht selbst verschlingt!« antwortete ich.

»Er verschlingt bloß Christen, deren Gott ohnmächtig ist, sie zu schützen; ich aber brauchte nur die Hand zu erheben, so würde er vor mir fliehen.«

»Lästere nicht! Dich für mächtiger als den Gott der Christen zu halten, ist eine Sünde, welche dir nicht vergeben werden kann.«

»Er mag mich dafür strafen!« lachte er höhnisch. »Jeder Sahhar kann mehr als er!«

Da legte ich ihm erschrocken die Hand auf den Arm und sagte:

»Möge Gott, der allmächtig und gerecht ist, diese Verhöhnung nicht wie einen zermalmenden Felsen auf dich zurückschmettern! Mir graut vor dir. Du sagtest, daß du Macht habest über alle Geister der Erde und der Unterwelt; warum wollen die Geister droben in der Ruine nicht vor dir weichen? Warum sollen wir sie vertreiben? Weil du lügst, weil du nichts, gar nichts kannst und dich fürchtest, selbst nach der Ruine zu gehen, um die Geister zu vertreiben. Ich als Christ habe keinen Djinn und keinen Geist zu fürchten. Wir werden morgen früh gesund und wohlgemut vom Kasr herunterkommen und euch dann die Geister zeigen, die von uns besiegt worden sind.«

»Nichts werdet ihr, gar nichts!« fauchte er mich grimmig an. »Du bist ein Giaur, der in die Hölle gehört; deine Gefährten sind nicht besser als du, und darum wird sie ganz dieselbe Vernichtung treffen. Mein Sohn hat euch prophezeit, daß euch der Scheba et Thar verschlingen werde, und diese Weissagung wird heute abend an euch in Erfüllung gehen; wir werden morgen die Reste eurer Knochen finden und nicht denken, daß sie Menschen angehörten, sondern räudigen Hunden, welche wegen ihrer Unreinlichkeit aus den Zelten vertrieben worden sind!«

Es zuckte in meinen Fäusten, doch bezwang ich mich und schwieg; Halef aber hatte nicht dieselbe Selbstbeherrschung; er griff nach der Peitsche in seinem Gürtel, trat hart an den Sahhar heran und rief:

»Womit vergleichst du uns? Mit räudigen Hunden? Soll ich dir dafür die Peitsche geben, wie ich sie schon auch deinem Sohne für eine ähnliche Beleidigung in das Gesicht gezeichnet habe? Wenn deine ganze, große Macht nur darin besteht, Gefangene zu verhöhnen und Gott zu lästern, so wird, wenn die Scham dich nicht schon vorher umbringt, nicht unser Gebein, sondern das deinige gefunden werden. Gott wird dich richten. Und wie ich deinem Sohne vorhergesagt habe, daß nicht uns, sondern ihn der Scheba et Thar fressen werde, so sage ich jetzt auch dir, daß er nicht uns, sondern dich in seinem Rachen verschwinden lassen wird. Denke an meine Worte; ich weiß, was ich sage, denn ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah, der Scheik der Haddedihn vom Stamme esch Schammar, und du wirst nicht der erste Gottesverhöhner sein, den ich an seiner eigenen Lästerung in die Hölle gehen sehe!«

Schon griff der Zauberer drohend an sein Messer, da wurde er von den Verständigen unter den Scherarat umringt, und der Scheik bedeutete ihm allen Ernstes, daß er nun keine weitere Beleidigung der von ihm Beschützten dulden werde. Ich zog Halef fort, und so nahm diese Scene nicht das schlimme Ende, welches zu befürchten gewesen war.

Der kleine, brave Hadschi hatte in zorniger Begeisterung gesprochen und wie ein Prophet vor dem Sahhar gestanden; aber niemand ahnte, daß seine geharnischte Rede wirklich eine Prophetie enthalten hatte; wir mußten das erst später mit heiligem Schreck erfahren.

Der Plan für heute abend war von dem Zauberer sehr pfiffig ausgedacht. Der Löwe ist, wenn er Junge zu ernähren hat, doppelt gefährlich, doch hätten wir im Dunkel der Nacht uns verstecken und ihm wohl entgehen können, wenn dies unsere Absicht gewesen wäre; aber man hatte uns die Bedingung auferlegt, während der ganzen Nacht Feuer zu brennen, und da wir den Hof nicht verlassen durften, so mußten wir unbedingt von ihm bemerkt und angegriffen werden. Hierbei sei gesagt, daß die säugende Löwin das Lager nur selten verläßt; der männliche Löwe hat sie und die jungen zu versorgen und bringt seine Beute oft von weither nach dem Lager geschleppt, von welchem sie sich meist nur entfernt, um zur Tränke zu gehen. Freilich, wer ihr da begegnet, dem ist sie noch gefährlicher als ihr »Herr mit dem dicken Kopfe«.

Die Scherarat hüteten sich zwar, mit uns zu verkehren, doch war ihr Verhalten nicht feindselig zu nennen. Sie betrachteten uns schon jetzt als tote Menschen und hegten ein aus Stammeshaß, Mitleid und Bewunderung gemischtes Gefühl für uns. Nur der Scheik suchte uns zuweilen auf, um ein freundliches Wort zu sprechen, doch auch nur für kurze Zeit. Ich benutzte die uns gebotene Muße, Halef und seinem Sohne ihr Verhalten für die nächste Nacht einzuprägen, wobei wir bemerkten, daß die Scherarat dürres Holz sammelten und in Bündeln vereinigten. Da Wasser vorhanden war, gab es auch Sträucher im ganzen Wadi.

Ungefähr eine Stunde vor der Dämmerung mahnte uns der Scheik zum Aufbruche. Er wollte mit seinen Leuten bei einem großen Feuer am Brunnen bleiben, denn er hielt sich für sicher, weil die Löwen ja uns zu fressen bekamen, was er uns freilich nicht sagte. Er wollte uns selbst mit mehreren Holzbündel tragenden Scherarat nach der Ruine führen, was kein Wagnis war, weil der Löwe nur des Nachts sein Lager verläßt und am Tage nur durch Steinwürfe und großen Lärm gezwungen werden kann, herauszutreten.

Wir gingen das ziemlich lange Wadi hinauf bis zum obern Brunnen, wo wir an den deutlichen Spuren erkannten, daß dieser jetzt allerdings eine Löwentränke sei, doch ließen wir uns das nicht merken. Dann ging es steil zwischen den Felsen aufwärts, wobei die Scherarat ihre Angst nicht verbergen konnten. Endlich kamen wir an eine hohe, vielfach zerrissene Mauer, durch welche ein jetzt eingefallenes Thor führte. Hier legten sie ihre Bündel nieder, und der Scheik sagte:

»Hinter dieser Mauer liegt der Hof, den ihr bis früh nicht verlassen dürft, und hier ist Holz zum Feuer. Allah beschütze euch!«

Sie gingen; einer aber blieb noch einen Augenblick stehen und sprach:

»Der Sahhar läßt euch eine gute Nacht wünschen und hierauf einen guten Morgen im Bauche des Scheba et Thar.«

»Er mag sich selbst vor diesem Bauche hüten; wir kommen nicht hinein!« antwortete Halef; dann trollte sich der Mann auf das schnellste fort.

Ich trat vorsichtig unter das Thor und sah in den Hof. Er war rundum an den Mauern mit Gestrüpp bewachsen und bildete ein großes Rechteck, durch dessen Hinterwand ein auch zusammengebrochenes Thor in das Innere der Ruine führte. Da drinnen, aber nicht im Hofe war das Lager der Löwen; das sagte mir gleich der erste Blick, der auf die unverkennbaren Spuren fiel. Die rechte Seitenmauer hatte bei ihrem halben Einsturze einen hohen Schutthaufen gebildet, der uns eine ausgezeichnete Warte bot. Wenn unten an demselben das Feuer brannte und wir oben saßen, wagte sich gewiß kein Löwe durch die Flammen hinauf zu uns. Wir hatten lange gebraucht, um heraufzukommen; darum gingen wir zu dem Schutthaufen, legten unten ein Häuflein Reiser zum Anzünden zurecht, schafften den ganzen Holzvorrat hinauf und machten es uns dann oben so bequem wie möglich. Dann dämmerte es, und bald darauf wurde es dunkel. Da der Löwe erst später ausgeht, warteten wir mit dem Feuer noch; doch als es ungefähr neun Uhr geworden war, stieg ich hinab, brannte das Holz an und schwang mich dann wieder hinauf. Da lagen wir, die Gewehre schußfertig in den Händen, nebeneinander, warfen von Zeit zu Zeit Holz in das Feuer hinab und warteten auf das Erscheinen des Königs der Tiere.

Mein Puls ging wie gewöhnlich; Halef war zwar unruhig, aber keineswegs ängstlich; Kara, das brave junge Männchen, zeigte nicht die geringste Spur von Aufregung. Beide wußten, daß sie nur auf mein ausdrückliches Geheiß schießen und dabei nur nach dem Auge zielen durften.

Wenn ich sage, daß ich keine Spur von Angst vor den Löwen in mir hatte, so ist das keineswegs eine Prahlerei. Auch bin ich überzeugt, daß weder Halef noch sein Sohn sich fürchteten; wenn sie etwas fühlten, so war es wohl nur das, was man Jagdfieber zu nennen pflegt. Daß Halef mit seinem Gewehre umzugehen verstand, weiß jeder, der ihn kennt, und er hatte durch unausgesetzte Uebung dafür gesorgt, daß auch Kara Ben Halef trotz seiner Jugend schon ein guter Schütze zu nennen war. Wenn ich eine Besorgnis gehabt hätte, so wäre das nur eine Folge der heutigen niedrigen Temperatur gewesen; es war nämlich sehr kalt.

Man stellt sich Innerarabien fälschlicherweise als ein Land vor, welches unter einem immerwährenden Sonnenbrande liegt; dies ist aber nicht der Fall. Selbst im Sommer sind die Wärmeunterschiede zwischen Tag und Nacht so bedeutend, daß dieser schnelle Wechsel dem Ungewohnten schwere Erkältung bringt, und im Winter, auch noch im Frühjahre, sinkt die Temperatur oft so tief unter Null herab, daß man, wenn man sich im Freien befindet, bei der dortigen leichten Kleidung während der Nacht vom Froste geschüttelt wird. Es fällt sogar zuweilen Schnee. Wir hatten uns darum für unsern gegenwärtigen Ausflug mit warmen Decken versehen, diese aber heut abend nicht mit heraufgenommen, weil wir beim Kampfe mit Löwen freie Bewegung haben mußten und uns also doch nicht einwickeln durften. Es war so empfindlich kalt, daß ein Zittern beim Zielen sehr im Bereiche der Möglichkeit lag, und wie gefährlich ein sich daraus ergebender Fehlschuß für uns werden konnte, das läßt sich wohl leicht denken. Ich bat darum meine Gefährten, sich ja recht zusammenzunehmen, und erhielt darauf die Versicherung, daß sie im betreffenden Augenblicke gewiß nicht zittern würden.

Es ging kein Lüftchen im Hofe, und nur das leise Prasseln der Flammen unterbrach die tiefe Stille. Eine Stunde verfloß und fast noch eine. Als geübter Jäger verließ ich mich nicht allein auf Auge und Ohr, sondern fast noch mehr auf die Nase, und da – da spürte ich endlich jene strenge, stechende Penetranz, welche der Ausdünstung der größeren Raubtiere eigentümlich ist.

»Er kommt; paßt auf; er kommt; ich rieche es!« flüsterte ich den beiden zu, indem ich den Bärentöter an die Wange legte und das Auge scharf nach dem zweiten Thor richtete. Eine Gestalt, oder war es nur ein Schatten, kam da heraus, blieb eine Minute lang unbeweglich stehen, ohne uns aber ein Ziel zu bieten, und verschwand dann nach der uns gegenüberliegenden Seitenmauer hin. Gleich darauf hörten wir Steine fallen.

»War er das?« fragte Halef leise.

»Er oder sie; ich konnte es nicht unterscheiden,« antwortete ich. »Wir haben kein Glück gehabt. Das Tier fürchtete sich vor dem Feuer und ist dort über die Mauer zum Brunnen hinab. Daß wir dieses dumme Feuer brennen müssen! Wäre es dunkel gewesen, läge die Bestie jetzt tot da, mit meiner Kugel im Kopfe.«

»Er kommt ja wieder!«

»Das ist meine Hoffnung. Nehmen wir ja alle unsere Sinne zusammen, daß wir ihn dann nicht verpassen!«

Es verging eine kleine Weile; da ertönte auf halber Höhe des Felsens jenes rollende Gebrüll, welches der Araber Rra'd, zu deutsch Donner, nennt. Es schien, als ob der Boden wie bei einem Erdbeben unter uns bebte.

»Das ist nicht sie, sondern er,« flüsterte ich; »ich höre es an der Stimme. Er steigt zur Tränke hinab. Doch, horcht!«

Es war ein Ruf, ein angstvoller, schriller Ruf zu hören, welcher aus dem Wadi heraufklang, wieder einer – – und wieder! Es klang wie Ghadab, Ghadab. Oder irrte ich mich? So hieß ja der Sohn des Zauberers. Es folgte ein zweites, ein drittes Brüllen des Löwen, dann war es still, doch nur unten, denn hier oben bei uns hörten wir plötzlich jemand laut fragen:

»Maschallah! Was ist das für ein Feuer? Wer hat es angebrannt? Gebt Antwort, denn ich bin Abu el Ghadab, der – – –«

Hierauf ein gräßlicher Schrei, mit welchem ein ebenso entsetzlicher im Wadi unten fast zusammenschmolz; dann ein Krachen und Knacken von Knochen und jenes Knirschen und schmatzende Lefzenschnalzen, welches ich nur zu wohl kannte. Die Löwin war auch da; sie hatte ein Opfer gefunden, dessen Knochen zwischen ihren Zähnen prasselten. War das ein Mensch? gar Abu el Ghadab? Doch der befand sich ja als Gefangener bei den Lazafah! Mochte dem sein, wie ihm wolle, ich mußte schnell zum Schusse kommen. Das Knacken erscholl aus der Nähe des äußeren Thores; ich bog mich zur Seite und sah die mächtige Gestalt des Tieres. Zwei, drei scharfe Schreie ausstoßend, richtete ich den Lauf; meine Stimme veranlaßte die Löwin, sich nach unserer Seite zu wenden; ihre Augen glühten – – mein Schuß krachte – – ein sausender Atemstoß – – ein kurzes Stöhnen – – ein ersterbendes Röcheln, dann war es still.

»O, Sihdi, du hast sie erlegt; sie ist tot!« rief Halef laut.

»Still, still!« warnte ich. »Der Löwe wird auch gleich kommen; er scheint da unten auch eine Beute gefunden zu haben, denn ihr habt doch wohl auch die Rufe und dann den zweiten Schrei gehört?«

»Ja.«

»Es scheint ein zweifaches Unglück geschehen zu sein. Jetzt zum Schießen fertig, und keinen einzigen Laut mehr!«

Wir lauschten in einer Spannung, die nicht zu beschreiben ist, und brauchten nicht lange zu warten. Wir hörten sehr bald draußen vor dem Thore ein Zerren und Reißen, ein Kratzen von schweren Tatzen.

»Achtung!« flüsterte ich. »Er kommt mit der Beute im Rachen.«

Ja, da kam er herein, einen schweren Gegenstand schleppend. Ich wollte Kara den Ruhm gönnen, einen Schuß auf den Löwen abgefeuert zu haben, und gab ihm das verabredete Zeichen. Der Löwe brachte Beute für die jungen; da sah er die Löwin liegen, tot in ihrem Blute; er ließ den Raub fallen, hob den Kopf empor und brüllte, daß ich glaubte, unsern Schutthügel zittern zu fühlen. Dann starrte er, den Thäter suchend, mit weit geöffneten Lichtern nach unserm Feuer herüber.

»Jetzt, Kara, ins Auge, jetzt, jetzt!« sagte ich.

Ich hatte diese Aufforderung noch nicht ganz ausgesprochen, so fiel sein Schuß. Ein kurzes Brüllen folgte, wie wenn Blitz und Donner zusammenfällt; dann flog der Löwe im Sprunge nach dem Feuer hoch durch die Luft. Die Mündung meines Bärentöters folgte ihm, und meine Kugel traf ihn in das Herz, so daß er kurz vor dem Feuer zu Boden fiel; er warf sich nur einmal von einer Seite auf die andere; ein Zucken durchlief seine Gestalt; dann streckte er die Glieder; er war tot.

Halef jubelte laut auf, obgleich er nicht zum Schusse gekommen war, und Kara stimmte ein. Auf meinen vorsichtigen Rat stiegen wir erst nach einstündigem Warten von unserm Schutthaufen herab, um die Tierleichen zu untersuchen. Kara hatte den Löwen in das Auge getroffen, also tödlich, und das Tier gehörte also ihm, obgleich meine Kugel dann in das Herz gedrungen war. Wie jubelten die beiden, und mit welchem Stolze umarmte der Vater seinen Sohn! Die Löwin war auch tot, ebenso in das Auge getroffen; sie gehörte mir. Dann leuchteten wir mit Feuerbränden weiter. Was waren das für Körper, welche die beiden Tiere erbeutet hatten? Menschliche, wie wir mit Grausen sahen! Aber man denke sich unsere Gefühle, als wir bei näherer Untersuchung die Reste vom Zauberer und seinem Sohne erkannten! Wir standen starr, und nur zitternd kam es über Halefs Lippen:

»O, Sihdi, meine Prophezeiung, meine Prophezeiung! Der Scheba et Thar hat sie gefressen!«

Wie gern wären wir in das Wadi hinabgestiegen; aber wir mußten unsere Vereinbarung wörtlich erfüllen und bis zum Morgen warten. Wie uns die Nacht vergangen ist, darüber will ich schweigen. Als der Tag graute, suchten wir zunächst das Lager der Löwen; wir fanden ein junges, männlichen Geschlechtes, welches wir töteten, da es kaum zwei Wochen alt und also nicht zu transportieren war. Dann stiegen wir, nachdem wir den Raubtieren die Felle abgezogen hatten, zu Thale.

Die Scherarat hatten vor Aufregung nicht geschlafen; wie staunten sie, als sie uns unverletzt mit den Häuten kommen sahen! Und mit welcher Spannung erkundigten sie sich nach dem Zauberer und seinem Sohne! Wir erzählten ihnen, was geschehen war, und bekamen von ihnen den Zusammenhang erklärt. Es war Abu el Ghadab mit noch vier andern Scherarat gelungen, aus der Gefangenschaft zu entkommen; sie hatten gestern abend das Wadi Achdar erreicht, nicht am Eingange, sondern an der Südseite desselben, und nicht daran gedacht, daß es jetzt da Löwen gab. Ghadab hatte für diese Nacht nach der Ruine und nicht nach dem Brunnen gewollt, weil da feindliche Beduinen sein könnten; die andern aber waren durstig und widersprachen ihm. Da trennte er sich zornig von ihnen, um den Außenweg nach dem Kasr emporzusteigen, und sie wandten sich nach dem untern Brunnen, wo sie auf ihre Stammesgenossen trafen, Als der Zauberer hörte, daß sein Sohn entkommen sei, war seine Freude groß; aber als er vernahm, daß er den Weg nach der Ruine eingeschlagen habe, faßte ihn der Schreck so, daß er sogleich fortrannte nach dem obern Brunnen, um seinen Sohn durch Zurufe zu warnen. Dort hatte ihn der Löwe fast in demselben Augenblick überfallen, an welchem Ghadab von der Löwin zerrissen worden war.

»Scheba et Thar!« rief Halef aus. »Sie haben Gott gelästert und darum das Ende gefunden, welches ich ihnen vorhersagte. Es war das eine Eingebung vom Himmel, der ich gehorchte!«

Ich kann nicht sagen, daß die Scherarat großes Leid über den Verlust der beiden Toten verrieten; größer jedenfalls als diese Trauer war ihre Freude über die Erlegung der Löwen, die ihren Herden so großen Schaden zugefügt hatten. Sie konnten nicht begreifen, daß wir gewußt hätten, um welche Art von Geistern es sich handele, und doch so ruhig nach der Ruine gestiegen seien. Wir waren die Helden des Tages, wurden trotz aller Blutfeindschaft für jetzt als Gäste behandelt und dann, als wir am nächsten Tage fortritten, von dem Scheik mit den Worten entlassen:

»Ihr seid die tapfersten Krieger, die ich kenne, und wir haben euch ehrlich Wort gehalten; aber bei der nächsten Begegnung sind wir gezwungen, in euch nur die Anführer der feindlichen Haddedihn zu sehen. Vergeßt das nicht! Und dir, o Emir Kara Ben Nemsi Effendi, will ich gestehen, daß du meine Ansicht über die Christen geändert hast; sie sind tapfere, wahrheitsliebende und zuverlässige Menschen; darum muß auch ihr Glaube ein guter sein. Allah begleite euch und mache euern Heimweg kurz!« –

Als wir daheim bei den Haddedihn ankamen, war der Jubel groß. Halef galoppierte vor sein Zelt, rief seine Hanneh heraus, deutete auf das Fell des Löwen und auf seinen Sohn und sagte:

»Hanneh, mein Weib, du Perle aller Frauen, sieh diese Haut und diesen jungen Krieger, den du mir zu meinem Entzücken geboren hast! Er hat den ›Herrn des Donners‹ erschossen und den König aller Tiere erlegt; darum sollst du ihn eher begrüßen als mich. Drücke ihn an dein Herz und gieb ihm deinen Segen, denn er wird dereinst ein würdiger Nachfolger seines Vaters sein!«

Der ganze Stamm war natürlich höchst stolz darauf, einen Krieger zu besitzen, welcher trotz seiner Jugend einen Löwen erlegt hatte, Das Fell der Löwin schenkte ich Hanneh; beide Häute bilden den Schmuck des gemeinschaftlichen Zeltes, und wenn seitdem ein Gast Halef zu ihrem Besitze gratuliert, so antwortete er mit ungemeinem Selbstbewußtsein:

»In diesen Häuten haben einst der berühmteste ›Herr des Donners‹ und die berühmteste ›Herrin mit dem dicken Kopfe‹ gesteckt, denn sie wurden ›esch Schaba et Thar‹, der Löwe der Blutrache, und seine Frau genannt.« – – –


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