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Als wir unsere Gefährten erreichten, sahen sie uns fragenden Blickes an, aber Keiner von uns klärte sie über das Geschehene auf.
Vorhin, als ich mich nach dem Meiler geschlichen hatte, war mir eine Pferdespur aufgefallen, welche rechts in die Büsche führte. Ich war ihr nicht gefolgt und beschloß, dies jetzt nachzuholen. Es war während meiner Abwesenheit nichts Störendes vorgekommen, und so meinte ich, meine Begleiter auch noch für einige Minuten stecken lassen zu können.
Ich brauchte der Fährte nicht lange zu folgen, so sah ich die Pferde stehen. Es waren fünf Stück, dabei die beiden Schecken der Aladschy. Man hatte sie also trotz der Überzeugung versteckt, daß wir das Thal gar nicht erreichen würden.
Jetzt war es aber Zeit, uns dem Köhler zu zeigen. Wir stiegen wieder auf und ritten auf die Wohnung desselben zu. Als wir den Rand des Gesträuches erreichten und nun die Lichtung vor uns hatten, stand der Köhler mit dem Fremden vor der Thüre seines Hauses. Trotz der Entfernung, in welcher wir uns von ihnen befanden, sahen wir deutlich, daß sie über unser Kommen erschracken. Sie wechselten einige hastige Worte und kamen uns dann langsam entgegen. Wir ritten auf sie zu.
»Akschamynys chaïr olsun,« grüßte ich. »Was ist das für ein Haus?«
»Es ist das meinige,« antwortete der Besitzer. »Ich bin Kohlenbrenner und heiße Scharka.«
»So sind wir auf dem richtigen Weg. Erlaubst Du uns, abzusteigen und ein wenig zu rasten?«
»Ihr seid mir willkommen. Wohin wird Euch Eure Reise führen?«
»Wir wollen nach Ibali reiten. Wie weit ist es noch bis dorthin?«
»In drei Stunden könnt Ihr dort sein.«
»Und ist der Weg schwer zu finden?«
»Sehr leicht sogar. Aber wollt Ihr wirklich nach Ibali?«
»Wir sagen es ja! Warum sollte ich Dich falsch berichten, da ich doch beabsichtige, mich bei Dir nach dem genauen Weg zu erkundigen?«
Er machte ein ziemlich verblüfftes Gesicht. Nach Allem, was er über uns gehört hatte, konnte er nicht denken, daß der angegebene Ort das Ziel unseres Rittes sei. Daß wir diesen Namen nannten, mußte ihm bedenklich erscheinen.
»Was wollt Ihr dort?« fragte er.
»Wir wollen dort nur übernachten und dann morgen weiter reiten.«
»Wohin?«
»Über die Fanti-Berge nach Lesch (Alessio), welches an der Meeresküste liegt.«
Wir waren während dieser Fragen und Antworten abgestiegen und standen nun den Beiden gegenüber. Also das war der gefährliche Köhler, dem ein Menschenleben als gar nichts galt! Ich hatte ihn vorhin nicht genau betrachten können. Er hatte ein rohes Bulldoggengesicht, dessen Züge zur Vorsicht mahnten. Seiner Schwester, der Kohlenhändlerin, sah er ganz und gar nicht ähnlich.
Der Andere war das Gegentheil von ihm. Auch abgesehen von der Sauberkeit seiner Kleidung, hatte er beinahe etwas Nobles an sich. Sein Gesicht war offen und fast mädchenhaft weich geschnitten. Es war mehr als leicht, sich in seinem Gesicht zu täuschen.
»Was befiehlst Du, Herr?« fragte Scharka weiter. »Wollt Ihr etwas zu essen haben und vielleicht Wasser für die Pferde?«
»Essen werden wir nicht, aber die Pferde bedürfen eines Trankes. Ist vielleicht eine Quelle vorhanden?«
»Ja, gleich hinter dem Hause. Erlaube, daß ich Euch dorthin führe.«
Das Wasser trat nahe dem Hause zu Tage und bildete vor seinem Abfluß ein kleines Becken, welches sich sehr gut zur Tränke eignete. Der Fremde war uns langsam gefolgt. Es sollte ihm natürlich kein Wort unseres Gespräches verloren gehen.
Wir nahmen den Pferden die Gebisse aus den Mäulern und ließen sie trinken. Dabei erkundigte sich der Köhler, welcher seine große Spannung nicht zu verbergen vermochte:
»Es kommt so selten Jemand in diese einsame Gegend, daß Ihr es verzeihen werdet, wenn ich gern wissen will, wen ich vor mir habe.«
»Dein Wunsch ist ganz gerechtfertigt. Wir sind fremd in diesem Lande und kommen von Edreneh, um nach Lesch zu reiten, wie ich Dir bereits sagte. Und da Du weißt, wer wir sind, wirst Du es erklärlich finden, daß wir nun auch erfahren wollen, wer der Effendi ist, welcher uns so erstaunt betrachtet.«
Ich hatte nicht zu viel gesagt, denn es lag noch weit mehr als bloßes Erstaunen in dem Gesicht des Fremden. Sein Blick ging zwischen mir und meinem Rappen hin und her, und zwar mit einem Ausdruck, als ob er uns Beide für blaue Wunder halte. Daß wir dem Tod geweihte Männer jetzt so heil und munter vor ihm standen, schien für seinen Verstand ein zu großes, ein nicht zu lösendes Räthsel zu sein, obgleich er vorhin erst noch an dem Gelingen des Überfalles gezweifelt hatte. Er und der Köhler betrachteten uns als Leute, welche ganz unbegreiflicher Weise dem sichern Grab entstiegen waren.
»Ja, das kannst Du erfahren,« antwortete Scharka. »Dieser Effendi ist ein Alim aus Dzsakova, welcher sich, grad so wie Ihr, auf der Reise befindet.«
»Ein Alim! So hat er die Universität besucht, und weil auch ich ein Alim bin, freilich ein Alim meines Heimatlandes, so freue ich mich außerordentlich, ihn kennen zu lernen. Er hat das Aussehen eines großen Gelehrten, und ich hoffe, mich von ihm belehren lassen zu können. Allah grüße Dich!«
Ich trat zu dem sogenannten Alim und reichte ihm in möglichst freundlicher Weise meine Hand. Er legte verlegen die seinige hinein und antwortete:
»Ja, ich bin in Stambul gewesen und habe studirt, doch führe ich nicht gern gelehrte Gespräche.«
»Warum nicht? Der Baum, welcher Früchte trägt, soll dieselben nicht für sich behalten. Sie werden ja erst dadurch nützlich, daß sie genossen werden. Wie der Baum seine Früchte nicht selbst verzehren kann, so sind auch die Früchte Deines Studiums nicht für Dich, sondern für Andere vorhanden, denen sie zum Segen gereichen. Also Du kommst aus Dzsakova. Wohin wird Dein Weg Dich von hier aus führen?«
»Nach Köprili.«
»So hättest Du über Perserin und Uskub reiten sollen. Das war der beste und kürzeste Weg.«
»Das weiß ich wohl, aber ich bin eigentlich ein Ehli wasf ül arz und ritt in die Berge, um interessante Steine zu suchen.«
»So! Ich habe mir das Steinesuchen als eine mühselige und schmutzende Arbeit gedacht. Dein Anblick bekehrt mich zu einer ganz andern Ansicht. Deine Wissenschaft ist eine hoch interessante. Sie läßt uns in Allah's Schöpfungswerkstatt blicken. Sieh' dieses Thal mit seinen Trümmern und den gewaltigen granitnen Umfassungsmauern! Welcher Ibtida wakyti wird dieses Gestein wohl sein Dasein verdanken?«
Bei dieser Frage wurde sein Gesicht glühend roth. Er war weder Geolog, noch kam er aus Dzsakova. Auch ich beabsichtigte in diesem Augenblick keineswegs, nach Ibali zu gehen. Wir logen eben beide einander herzhaft an, was moralisch zwar nicht schön zu nennen ist, hier aber auf beiden Seiten recht triftige Gründe hatte.
Er sann und sann und brachte endlich die Worte zum Vorschein:
»Alles Wissen ist nichts vor Allah's Auge. Er hat die Steine gemacht, nicht wir. Darum sollen wir auch nicht darüber nachdenken, wie sie entstanden sind.«
Sehr richtig! Nur braucht es da eben keine Geologen zu geben. Der Köhler schien das zu begreifen, denn auch er ließ ein breites, verlegenes Lächeln sehen und beeilte sich, meine Aufmerksamkeit von den Kenntnissen des Alim abzulenken, indem er sagte:
»Ihr seid so fremd im Lande und sucht Euch doch selbst den Weg! Das ist sehr kühn von Euch. Andere würden sich einen Führer nehmen. Warum habt Ihr das nicht gethan?«
Jetzt brachte er das Gespräch dahin, wo er es haben wollte. Er mußte natürlich erfahren, wie es gekommen war, daß wir zunächst überhaupt und dann auch ohne den Konakdschi bei ihm angelangt waren.
»Eure Führer sind nicht zuverlässig,« antwortete ich ihm.
»Nicht? Wie so?«
»Wir hatten Einen, der uns alles Gute versprach. Er wollte uns bis hierher bringen, denn er kannte Dich sehr gut.«
»Ein Bekannter von mir? Wer sollte das gewesen sein?«
»Der Wirth des Treska-Konaks.«
»Den kenne ich allerdings. Er ist ein braver und zuverlässiger Mann. Wie kommt es, daß er sich nicht bei Euch befindet?«
»Er ist schändlicher Weise zurückgeblieben, noch ehe wir das Ziel erreichten.«
»Das wundert mich sehr von ihm. Was hat er denn für einen Grund gehabt?«
»Frage ihn selbst, wenn Du ihn einmal triffst. Es sind über diese Angelegenheit gar nicht viel Worte gemacht worden. Ich vermuthe aber, daß es eine Gesellschaft gegeben hat, die ihm lieber gewesen ist, als die unserige. Zu ihr hat er sich höchst wahrscheinlich begeben.«
»Welche Leute waren das?«
»Du kennst sie jedenfalls nicht.«
»Nun, ich bin doch mit vielen Leuten bekannt!«
»Mit denen aber wohl nicht, die ich meine, denn Du scheinst ein braver und ehrlicher Mann zu sein.«
»Und das waren die Betreffenden wohl nicht?«
»Nein, sie sind Diebe und Räuber. Es sind zwei Brüder, welche Aladschy genannt werden, und es waren noch einige Andere dabei.«
»Aladschy?« meinte er kopfschüttelnd. »Diesen Namen kenne ich allerdings nicht.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Aber so wundert es mich sehr von meinem Bekannten, dem Konakdschi, daß er sich zu ihnen begeben hat. Er scheut Alles, was gegen die Gebote des Kuran und des Großsultans ist.«
»Wenn das bisher so war, so ist es eben nun anders geworden.«
»Wo befinden sich denn diese Räuber?«
»Das hat er mir natürlich nicht gesagt. Vielleicht theilt er es Dir mit, wenn Du ihn fragst.«
»So sage mir doch nur, an welchem Ort er Euch verlassen hat!«
»Wer kann das genau sagen! Es war in einem Hohlweg. Wir sind aber durch so viele Thäler und Schluchten gekommen, daß wir sie gar nicht gezählt haben.«
Er sah mir nachdenklich in das Gesicht. Die dumme Art meiner Antwort harmonirte wohl nicht mit der Vorstellung, welche er sich von mir gemacht hatte.
»Wo seid Ihr denn in letzter Nacht geblieben?« erkundigte er sich weiter.
»Bei Junak, Deinem Schwager.«
»Bei dem?« rief er im Ton herzlichster Freude. »So seid Ihr mir doppelt willkommen! Wie hat Euch Junak gefallen?«
»Ganz so gut wie seine Frau, Deine Schwester.«
»Das freut mich sehr. Es sind außerordentlich liebe, wenn auch arme Leute. Ihr werdet bei ihnen sehr gut aufgehoben gewesen sein?«
»Ja, es hat uns Niemand Etwas gethan.«
Er schien einen langen, ausführlichen Bericht zu erwarten. Ich gab ihm aber die letztere Antwort in kurzem Ton und wendete mich von ihm ab. Trotzdem fragte er noch:
»Wie kommt es aber, daß der Konakdschi Euch grad zu mir führen sollte?«
»Er sollte nicht, er wollte. Er sprach von der außerordentlichen Schönheit der Gegend, von den gewaltigen Felsen und von vielem Anderen.«
Da winkte der Alim dem Köhler heimlich zu, was ich aber doch bemerkte, und fragte:
»Hat er Euch nicht auch von der berühmten Höhle erzählt, welche sich hier befindet?«
»Er hat uns sogar aufgefordert, Scharka zu bitten, daß er uns dieselbe zeige.«
»Wißt Ihr alles, was man sich von ihr erzählt, auch das von den Juwelen?«
»Alles.«
»So will ich Euch gestehen, daß auch ich nur wegen dieser berühmten Höhle hierher gekommen bin. Scharka zeigt sie nicht gern; aber ich bat ihn so lange, bis er mir versprach, mich hinein zu führen. Ich glaube, er wird auch Euch die Erlaubniß geben.«
»Nun,« meinte ich gleichmüthig, »Alles, was man von ihr berichtet, halte ich für Märchen. Ob ich sie sehe oder nicht, das ist mir gleichgültig.«
»So darfst Du Dir's nicht denken!« fiel er schnell ein. Und nun begann er eine lange Aufzählung der Herrlichkeiten, welche die Höhle enthalten sollte. Scharka stimmte so eifrig ein, daß auch ein Dummkopf hätte merken müssen, es sei ihr sehnlicher Wunsch, uns diesen so berühmten Ort zu zeigen. Wir waren dem uns gelegten Hinterhalt entronnen; der Höhle aber sollten wir nicht entgehen. Der Köhler hatte ja dem Andern gesagt, auf welche Weise wir dann umgebracht werden sollten.
Ich that, als hätte ich mich überzeugen lassen, und sagte schließlich:
»Nun, wenn es wirklich so ist, so will ich sie mir ansehen. Wann willst Du sie uns zeigen?«
»Sogleich, wenn es Dir gefällig ist.«
»Gut, so komm!«
Ich machte einige Schritte; aber Scharka hielt mich zurück:
»Willst Du sie denn allein sehen?«
»Ja. Meine Gefährten interessirt das nicht.«
»O, grad sie werden davon auf das Höchste entzückt sein!«
Und nun stellte er es mir vor, welch eine Sünde ich begehen würde, wenn ich den Anderen nicht erlaubte, die gebotene Pracht zu sehen. Es mußte ihm natürlich daran liegen, daß Keiner zurückblieb. Wenn wir nicht Alle in die Höhle gingen, war ihr Plan unausführbar.
Auch jetzt that ich, als ob ich mich überzeugen ließe, und gab den Andern die Erlaubniß, mich zu begleiten.
»Aber Eure Gewehre könnt Ihr nicht mitnehmen,« sagte er.
»Warum nicht?«
»Weil sie Euch hinderlich wären. Der Eingang zur Höhle ist nicht bequem. Man muß auf dem Boden kriechen, bevor man hinein gelangt.«
»Gut! So lassen wir die Gewehre da. Wir hängen sie an die Sattelknöpfe.«
»Auch die Messer und Pistolen!«
»Das ist doch nicht nöthig.«
»Sogar sehr! Wie leicht geht eine Pistole los, und wie leicht verletzt man sich mit einem Messer, wenn man auf dem Bauch kriecht und dabei diese Waffen im Gürtel hat!«
»Du hast Recht. Legen wir also alle unsere Waffen zu unseren Pferden!«
Meine Gefährten sahen mich erstaunt an, aber sie folgten doch meinem Beispiel. Der Köhler warf dem ›Gelehrten‹ einen triumphirenden Blick zu.
»Jetzt kommt!« forderte er uns auf. »Ich will Euch den Eingang zeigen.«
Er schritt grad auf den Meiler zu, und wir folgten ihm. Ich hatte also vorhin Recht gehabt, als ich mir den Meiler in Verbindung mit dem Eingang dachte. Bei demselben angekommen, wendete er sich zu uns:
»Hier wird kein Mensch die Thüre zu der berühmten Höhle vermuthen. Sie ist aber doch da. Paßt einmal auf!«
Der Meiler sah aus wie jeder andere Meiler, ein kegelförmiger Aufbau von Hölzern, ringsum mit einer Erdschicht bedeckt. Scharka bückte sich nieder und entfernte an einer Stelle in der Nähe des Bodens diese Schicht. Es kamen einige Bretterstücke zum Vorschein, welche er auch wegnahm, und nun sahen wir eine Öffnung von der Größe, daß ein starker Mann hindurch kriechen konnte.
»Das ist der Eingang,« sagte er. »Kriechen wir nun hinein!«
Er trat zurück und gab mir einen Wink, daß ich zuerst hinein kriechen sollte.
»Du bist der Führer,« sagte ich. »Krieche voran.«
»Nein,« wehrte er ab. »Der Vornehmste geht voran.«
»Der bin ich nicht. Der Vornehmste ist dieser gelehrte Alim, welcher die Wasf ül arz studirt hat. Ihm gebührt also die Ehre.«
»Nein, nein!« rief der gute Mann erschrocken. »Du bist gelehrter als ich; das habe ich bereits gehört. Überdies seid Ihr hier fremd, und es ist die Pflicht der Höflichkeit, Fremden stets den Vortritt zu lassen.«
»Nun, so wollen wir einmal probiren.«
Ich bückte mich nieder und blickte hinein. Man konnte nicht weit hinein sehen, aber es genügte doch, um mich zu orientiren. Ich stand wieder auf, schüttelte den Kopf und sagte:
»Es ist ja ganz und gar finster darin!«
»O, wenn wir drinnen sind, werde ich sogleich Licht machen,« antwortete der Köhler.
»Das glaube ich gern. Was wirst Du denn anzünden?«
»Kienspäne.«
»Befinden sich solche in der Höhle?«
»Ja.«
Ich war überzeugt, daß er eine Lüge sagte. In einer Höhle, in welcher Gefangene festgehalten werden, bewahrt man kein Material auf, mit welchem diese unter Umständen im Stande wären, sich Licht zu machen.
»Das ist gar nicht nöthig,« sagte ich. »Es ist ja hier im Meiler Kien genug vorhanden, um Feuer zu machen. Hast Du Feuerzeug bei Dir?«
»Ja; Tschakmak, Süngür und Kükürd, Alles, was ich brauche, um die Späne anzuzünden.«
»Gibt es denn keine Kibritlar? Die sind doch viel bequemer!«
»Die sind hier so schwer zu bekommen, daß ich sie niemals kaufe.«
»So! Und doch hast Du solche!«
»Nein, Herr, ich habe keine.«
»Sonderbar! Wer muß sie da hereingesteckt haben?«
Ich bückte mich nieder und brachte mehrere Zündhölzer zum Vorschein, welche ich vorher im Innern des Loches zwischen dem Holz hatte stecken sehen.
»Das – das – – sind wirklich Kibritlar!« rief er, sich erstaunt stellend. »Sollte einer meiner Knechte solche besitzen und sie hereingesteckt haben?«
»Du hast Knechte?«
»Ja, vier. Da ich die Kohlen nicht in dem Wald, sondern nur hier auf diesem Platz brenne, brauche ich diese Leute zum Herbeischaffen des Holzes.«
»Nun, so ist der betreffende Knecht ein außerordentlicher Pfiffikus, welcher es versteht, eine Sache so vortheilhaft wie möglich einzurichten.«
»Wie meinst Du das?«
»Nun, wenn wir hier hineingekrochen sind, so dauert das Feuermachen mittels Stahl und Schwamm so lange, daß wir inzwischen Lunte riechen und wieder herauskriechen können. Mit einem Streichhölzchen aber ist es augenblicklich gethan.«
Er erschrack, und ich bemerkte trotz seines rußigen Gesichtes, daß er sich entfärbte.
»Herr!« rief er, »ich verstehe Dich nicht. Ich weiß nicht, was Du meinst.«
»Soll ich Dir das wirklich erst sagen?«
»Ja, sonst weiß ich es nicht.«
»Nun, sieh doch, wie schön Du den Eingang aus lauter Tschyra zusammengesetzt hast, welches sofort brennt und einen solchen Qualm entwickelt, daß ein Jeder, welcher wieder herauskriechen wollte, augenblicklich ersticken müßte. Und dieses Holz liegt auf einer Strohunterlage, an welche man das Zündholz hält. Wenn das die Herrlichkeiten sind, welche wir anstaunen sollen, so bedanken wir uns recht sehr. Wir haben keineswegs die Absicht, uns in der Juwelenhöhle ersticken und braten zu lassen.«
Er starrte mich einen Augenblick lang wie gedankenlos an. Dann rief er zornig:
»Was fällt Dir ein! Willst Du mich für einen Mörder erklären? Das dulde ich nicht. Das erfordert Rache! Ich bin bis auf's Blut beleidigt. Komm, Marki, sie gelangen nicht zu ihren Waffen. Schießen wir sie nieder!«
Er wollte fortlaufen, zu unsern Pferden hin. Der ›Gelehrte‹, welcher jetzt Marki genannt wurde, schickte sich an, ihm zu folgen. Da zog ich die beiden Revolver heraus, welche ich in die Tasche gesteckt hatte, und gebot:
»Halt! Keinen Schritt weiter, sonst schieße ich Euch nieder! Von solchen Schurken, wie Ihr seid, läßt man sich nicht betrügen.«
Sie sahen die auf sie gerichteten Läufe und blieben stehen.
»Ich – ich – wollte nur scherzen, Herr!« stieß der Köhler hervor.
»Ich auch. Man kann sich ja auch einmal zum Spaß eine Kugel in den Leib jagen lassen. Es ist das freilich nicht Jedermanns Sache; aber wenn es Euch so beliebt, dann könnt Ihr es haben.«
»Es war nur Zorn über die Beleidigung!«
»Nun denn, wenn Du zornig bist, dann scherzest Du? Da bist Du wirklich ein außerordentlich seltener Mensch!«
»Du hast doch vorhin gesagt, daß Du mich für einen guten Menschen hältst!«
»Allerdings, aber man kann sich täuschen.«
»Habe ich Euch nicht ganz freundlich empfangen?«
»Ja, und dafür bin ich Dir dankbar. Wegen dieses Empfanges will ich das jetzt Geschehene vergessen; aber es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß uns, so lange wir hier ausruhen, Niemand gefährlich werden kann. Setzt Euch hier auf die Bank! Meine Begleiter werden dort auf dem Holzklotz Platz nehmen und denjenigen von Euch, welcher Miene macht, aufzustehen, ohne Weiteres erschießen.«
Ich winkte Osco und Omar. Sie setzten sich auf den Klotz, nachdem sie vorher die sämmtlichen Waffen geholt hatten. Derselbe lag ungefähr zwanzig Schritte von der Bank entfernt. Die Beiden konnten also den Köhler und den Alim mit ihren Flinten leicht im Schach halten. Den Letzteren hingegen war es möglich, sich mit einander zu unterhalten, ohne von den Ersteren gehört zu werden. Das war es, was ich bezweckte.
»Herr, das haben wir nicht verdient,« murrte Scharka. »Du trittst ja wie ein Räuber auf!«
»Nicht ohne Grund. Das weißt Du am besten.«
»Ich kenne keinen Grund. Daß ich zornig gewesen bin, darf Dich nicht wundern. Nun soll ich hier vor den Mündungen der Gewehre sitzen, auf meinem eigenen Grund und Boden? Das ist mir noch nicht passirt!«
»Es wird nicht lange dauern. Wir werden bald aufbrechen. Hoffentlich machst Du Deinen Fehler dadurch gut, daß Du uns den besten Weg nach Ibali beschreibst.«
Seine Augenlider zuckten leise; er konnte sich doch nicht ganz beherrschen und die Freude verbergen, die er bei meiner Frage empfand.
»Ja, das thue ich gern,« sagte er.
»Nun, wie reiten wir?«
»Du wirst bemerken, daß dieses Thal zwei Ausgänge hat, einen nach Süden und einen nach Westen. Letzterem müßt Ihr folgen. Ihr kommt dann wieder in ein Thal, welches viel länger und breiter ist, als dieses hier. Da gibt es Wagengeleise, welche von dem Fuhrwerk Junak's stammen. Ihr folgt denselben, bis Ihr an eine Höhe gelangt, die sich quer vor Euch legt. Dort theilen sich die Geleise. Rechts dürft Ihr nicht reiten, sondern nach links, denn das ist die Richtung nach Ibali.«
»Und wohin führt rechts der Weg?«
»Über den Drin nach Kolutschin. Weiter brauche ich Euch den Weg nicht zu beschreiben, denn wenn Ihr diesem linken Geleise nur immer folgt, so kommt Ihr auf die erwähnte Höhe und seht von da oben Ibali unten vor Euch liegen.«
»Schön! Und wohin kommt man, wenn man der südlichen Thalöffnung folgt?«
»Nach Podalista-Han.«
»Dorthin führt uns unsre Absicht freilich nicht. Und nun kannst Du mir noch einen Gefallen thun. Ich möchte mir für kurze Zeit Etwas von Dir borgen.«
»Was, Herr?«
»Ein kleines Gefäß, in welches ich einige schwarze Sümüklü bödschekler thun kann.«
»Sümüklü bödschekler?« fragte er erstaunt.
»Ja, ich habe gesehen, daß es hier im Thal solche gibt.«
»Es gibt hier sehr viele davon; aber wozu brauchst Du diese Thiere?«
»Mein Pferd leidet an einer kleinen Sowuk alma, und Du wirst wissen, daß die Schnecken ein sehr gutes Mittel gegen dieses Übel sind.«
»Ja, das ist wahr. Man muß dem verschlagenen Pferd die Nüstern mit dem Schaum der Schnecken bestreichen. Aber das allein hilft noch nicht. Es gehört auch das Kraut der Nahanaha dazu, welches man dem Pferd zum Fressen gibt.«
»Das weiß ich wohl. Ich werde suchen, diese Pflanze zu finden. Also hast Du ein Gefäß?«
»Ja, im Hause steht ein kleiner, eiserner Topf; den magst Du nehmen. Du wirst ihn in der Nähe des Herdes stehen sehen.«
Er that jetzt außerordentlich gefällig. Ich ging in das Haus und fand den kleinen Topf. Als ich wieder herauskam, bat ich Halef leise, den Bärenspeck zu sich zu stecken. Der Hadschi sollte mit mir gehen.
»Also ich werde mich jetzt für kurze Zeit mit diesem meinen Begleiter entfernen,« warnte ich den Köhler. »Versuche ja nicht, diese Bank zu verlassen! Auch wenn Deine Knechte kämen, könnten sie Dich nicht unterstützen, denn sie würden sich in die Gefahr begeben, selbst erschossen zu werden. Ich habe die geladenen Gewehre gesehen, welche in Deiner Stube hängen. Die beiden Wächter werden Jedem eine Kugel geben, der Miene macht, das Haus zu betreten.«
Wir ließen unsere Gewehre bei Osco und Omar liegen; nur die Revolver und die Messer nahmen wir mit. Dann entfernten wir uns nach der Mitte des Thales zu, ganz entgegengesetzt der Richtung, welche eigentlich in meiner Absicht lag.
»Willst Du wirklich Schnecken und Minze suchen, Sihdi?« fragte mich Halef.
»Fällt mir gar nicht ein!«
»Warum schleppst Du diesen Topf mit?«
»Er soll uns als Leuchter dienen. Wir untersuchen die Höhle.«
»Ah! Da sollten wir doch dort durch den Meiler kriechen!«
»Nein. Wir steigen in der Rieseneiche, welche da oben steht, hinab. Der Köhler darf keine Ahnung haben, daß wir die Höhle besichtigen wollen.«
»Kennst Du den Weg?«
»Ich denke, ja. Komm schnell, damit wir keine Zeit verlieren. Ich will die beiden Schurken zuvor belauschen. Jetzt in den ersten Minuten nach unserer Entfernung werden sie sich unterhalten.«
»Kannst Du sie behorchen?«
»Ja, ich habe es bereits gethan und werde Euch dann erzählen, was ich hörte. Den Weg nach Ibali hat uns der Köhler natürlich falsch beschrieben.«
»Meinst Du das wirklich?«
»Gewiß. Ibali liegt grad im Süden von hier. Dorthin und nicht nach Podalista-Han führt die südliche Thalöffnung. Das Geleise, welchem wir folgen sollen, zieht rechts, wie ich vermuthe, allerdings nach Kolutschin, wie der Köhler sagte, und dieser Richtung werden wir folgen, denn da geht es nach Rugova, wohin ich will. Das links abzweigende Geleise aber, welches er uns als das richtige bezeichnete, würde uns wahrscheinlich in eine Falle bringen, welche er uns legen will. Ich habe es am Zwinkern seiner Augen gesehen. Dieser Mensch soll uns nicht betrügen.«
Jetzt waren wir dem Köhler und dem Alim aus den Augen und wir konnten nun nach links abbiegen. Da stand ein alter, höchst urwüchsig gebauter Wagen, an welchem sich fast gar keine Eisentheile befanden. Das war wohl derjenige, von welchem der Kohlenhändler gesprochen hatte.
Nun drängten wir uns durch die Büsche und kehrten in die Nähe unseres Ausgangspunktes, also des Meilers, zurück, doch so, daß wir nicht bemerkt werden konnten. Dort führte ich Halef auf den erwähnten schmalen Pfad, welcher sich zwischen den Büschen und der Felswand hinzog, und hieß ihn, auf mich zu warten.
Ich schlich bis zum Meiler hin, wo ich schon vorher gewesen war, und lauschte. Ja, sie sprachen mit einander, aber leise, so daß ich nichts Deutliches hören konnte. Natürlich wiederholte ich mein voriges Experiment, indem ich leise bis unter den Goldregen kroch, und nun konnte ich ihre Worte besser vernehmen.
Leider hatte ich vielleicht grad die Hauptsache versäumt, doch was ich hörte, war immerhin von Wichtigkeit für mich; denn als ich mich auf der Erde gemächlich eingerichtet hatte, hörte ich den ›Gelehrten‹ sagen:
»Und wie kamst Du auf den Gedanken, sie nach Westen zu weisen? Dahin muß ich ja auch.«
»Natürlich mußt Du hin, und ich begleite Dich. Meine Knechte gehen auch mit, denn Du kennst die Örtlichkeit nicht. Das Geleise, welches ich ihnen als das richtige bezeichnet habe, ist das falsche. Es führt sie in eine lange Schlucht, welche keinen Ausgang hat.«
»So kehren sie einfach um.«
»Allerdings; aber dann sind wir auch schon dort. Es ist ein Weg, den wir ausgefahren haben, um Meilerholz herbei zu schaffen. Wenn sie ihm von da an, wo er die Schlucht erreicht hat, eine halbe Stunde gefolgt sind, halten sie vor einer Felswand, an deren Fuß sich ein tiefer Teich gebildet hat. Sie müssen zurück und brauchen wieder eine halbe Stunde, um aus der Schlucht zu kommen. Das gibt uns mehr als genug Zeit, ihnen zu folgen und uns an einem geeigneten Ort zu verstecken. Von da aus schießen wir sie nieder.«
»Das könnten wir vielleicht schon hier thun, noch bevor sie aufbrechen«
»Nein. Wenn nur ein Einziger von ihnen entkommt, ist Alles verrathen. Sobald sie sich entfernt haben, gebe ich meinen Knechten das Zeichen. Sie brauchen kaum fünf Minuten, um bei uns zu sein. Wir besteigen die Pferde der Aladschy und der Andern und folgen diesen Wichten auf der Ferse. Gewehre habe ich genug. Daß dieser Deutsche sie sehen mußte! Daran hatte ich freilich nicht gedacht, als ich ihn in das Haus schickte«
»Ich weiß überhaupt nicht, was ich von ihm denken soll.«
»Ich werde auch nicht klug aus ihm.«
»Einmal macht er ein ganz dummes Gesicht und spricht die Worte eines Albernen, und dann wieder hat er ganz das Aussehen eines Mannes, vor dem man sich nicht genug hüten kann. Aber siehst Du, daß ich Recht hatte! Der Überfall ist mißlungen.«
»Das kann ich nicht begreifen. Selbst wenn der Konakdschi so dumm gewesen ist, die Fremden zu verlassen, sind diese doch durch die Schlucht des Teufels gekommen, wo sie von unsern Freunden bemerkt werden mußten. Sie müssen geschlafen haben.«
»Oder der Deutsche hat sie überfallen!«
»Das ist völlig undenkbar. Erstens hatte er ja gar keine Ahnung, daß er überfallen werden sollte. Zweitens wußte er den Aufstieg nicht. Und drittens, wenn er Beides gewußt hätte, wäre dennoch der Überfall seinerseits unmöglich gewesen. Es könnte nur eine Erstürmung Statt gefunden haben. Dabei aber wären diese Wichte alle um's Leben gekommen. Man hätte sie natürlich von oben herab todtgeschossen. Die Sache ist mir ein unlösbares Räthsel.«
»Es wird sich bald aufklären.«
»Natürlich! Ich würde selbst nach der Bastei gehen oder einen meiner Knechte hinschicken; aber wir können doch nicht fort. Diese verdammten beiden Schufte lassen ja kein Auge von uns und haben die Finger stets am Drücker.«
»Wollen doch einmal versuchen, ob sie mit sich reden lassen.«
»Ich versuche es nicht. Wage Du es!«
»Wollen sehen!«
Der Alim machte eine langsame Bewegung zum Aufstehen. Da aber hörte ich Osco's befehlende Stimme:
»Nieder!«
Zugleich sah ich, zwischen den Beinen der Beiden hindurchblickend, daß Osco und Omar ihre Gewehre an die Backen nahmen. Der Gelehrte sank wieder nieder und rief:
»Darf man sich denn nicht wenigstens einmal rühren?«
»Nein, auch nicht sprechen. Noch ein Wort, so schießen wir.«
Die Beiden machten sich in Flüchen und Verwünschungen Luft; ich wußte nun, daß ich mich auf die Wachsamkeit der Gefährten verlassen konnte, und kroch langsam aus den Büschen zurück, um mich zu Halef zu begeben.
»Hast Du Etwas gehört?« fragte dieser, als ich bei ihm anlangte.
»Ja, aber davon später. Komm schnell!«
Wir folgten dem Pfad und sahen bald, daß ich ganz richtig vermuthet hatte, dieser schmale Weg führe zur Höhe. Er lenkte in einen Felsenriß, in welchem er als steile Zickzacklinie emporstieg.
Als wir oben anlangten, waren vielleicht sechs bis acht Minuten vergangen. Da sahen wir zwischen größeren Bäumen zahlreiche Stöße von Meilerholz aufgeschichtet. Der Schlag von Äxten ließ auf die Anwesenheit von Menschen schließen.
»Das sind die Köhlerknechte,« sagte Halef. »Hoffentlich überraschen sie uns nicht!«
»Ich möchte es nicht befürchten. Sie sind rechts da drüben; wir aber müssen nach links, wo Du den Wipfel der Eiche hoch emporragen siehst.«
In dieser letzten Richtung war der Wald ganz geflissentlich von der Axt verschont geblieben. Der Köhler hatte sich wohl gehütet, die Stelle zu lichten, wo sein Geheimniß verborgen lag. Die Bäume und Büsche standen im Gegentheil so dicht beisammen, daß wir uns zuweilen nur mit Gewalt hindurch zu zwängen vermochten.
Endlich hatten wir die Eiche erreicht. Sie war von sehr bedeutendem Umfang. Der Stamm schien gesund zu sein. Die mannsstarken Wurzeln, welche streckenweit zu Tage traten, ließen keine Höhlung erkennen. Aber als ich den Baum umschritt, erblickte ich ungefähr in dreifacher Manneshöhe ein Loch, das groß genug war, einen Mann hindurch zu lassen.
Der niederste Ast war so tief, daß er fast mit den Händen erreicht werden konnte. Auf ihm stehend, konnte man den zweiten Ast leicht erfassen. Der dritte war abgebrochen oder abgestorben, und eben da, wo er aus dem Stamm herausgewachsen war, befand sich die Höhlung.
»Wenn ich mich überhaupt nicht irre, so befindet sich der Eingang dort oben,« sagte ich, empor deutend.
»Wie aber kommt man da hinauf?« fragte Halef. »Dazu bedarf man einer Leiter, denn der Stamm ist viel zu stark, als daß man ihn zum Klettern umfassen könnte.«
»Eine Leiter ist da.«
»Ich sehe keine,« meinte der Hadschi, indem er sich vergeblich umschaute.
»Auch ich sehe sie nicht, aber ich sehe etwas Anderes. Betrachte den Boden, so wirst Du in dem Moos eine deutlich ausgetretene Spur sehen, welche dort in das Buchendickicht führt. Da ist man hin und her gegangen, und wozu anders, als um eine Leiter herbei und wieder fort zu tragen. Du wirst sie sofort sehen.«
Wir folgten der Spur, traten zwischen die jungen, dicht belaubten Buchenstämmchen und sahen da wirklich das liegen, was als Leiter diente – einen armsstarken Fichtenstamm, welchem man die Aststummel gelassen hatte, so daß sie als Stufen dienen konnten.
»Richtig! Das ist sie,« meinte Halef. »Nun können wir hinauf.«
»Wir werden hinaufkommen, ohne uns der Leiter zu bedienen. Die Vorsicht räth uns, auf sie zu verzichten. Es kann leicht irgend Jemand kommen, obgleich ich es nicht befürchte. Sieht man dann die Leiter anlehnen, so weiß man gleich, daß sich Jemand in der Eiche befindet. Ich habe Dich nur hierher geführt, um Dir zu beweisen, daß meine Vermuthung mich nicht täuschte.«
»Aber ohne Leiter komme ich nicht hinauf!«
»Du steigst auf meine Schulter, dann kannst Du den untersten Ast fassen.«
»Aber Du?«
»Ich erreiche ihn im Sprung.«
Halef kletterte mir auf die Schulter und konnte dann leicht weiter kommen. Mir gelang es, mit einem Sprung den Ast zu fassen, und dann standen wir auf dem zweiten und hatten das Loch grad vor dem Gesicht. Ich blickte hinein.
Der Stamm war hohl, und zwar war die Höhlung so bedeutend, daß sie recht gut zwei Männer faßte. Aber wie da im Innern des Baumes hinab zu kommen war, davon konnte ich nichts sehen.
»Es ist keine Strickleiter vorhanden,« meinte Halef. »Du hast Dich getäuscht.«
»Nein, ich täusche mich nicht. Betrachte diese Öffnung und dann auch die Höhlung genau. Es ist Alles wie glatt gerieben. Du erblickst nicht eine Spur von faulem Holz oder von Modermehl. Man steigt hier ein und aus; das ist gewiß. Es versteht sich jedoch ganz von selbst, daß man den Apparat nicht so angebracht hat, daß er sogleich von außen gesehen werden kann. Ich denke aber, ihn sogleich zu finden.«
Ich steckte Kopf und Arme in das Loch, stemmte im Innern des Baumes die Ellbogen an und zog den übrigen Körper nach. Dann tastete ich mit den Händen in der Höhlung umher.
Richtig! Über dem Loch war ein starker, hölzerner Querstab eingezwängt, an welchem man sich mit den Händen festhalten konnte, um die Beine in das Innere herein zu ziehen. Dieses that ich denn auch. An dem Holz hängend, tastete ich mit den Füßen unter mir und fühlte ein zweites, stärkeres Querholz, auf welches ich mich stellen konnte.
Nun kauerte ich mich nieder, denn ich spürte an dem Holz zwei Erhabenheiten, von deren Natur ich mich mit den Händen überzeugen wollte. Es waren sehr starke Knoten. Mit einem Bein knieen bleibend, senkte ich das andere tiefer hinab und überzeugte mich, daß wirklich eine Strickleiter vorhanden war.
»Komm herein!« rief ich dem Hadschi zu. »Ich hab's gefunden.«
»Ja, es ginge wohl, wenn ich ein wenig größer wäre,« klagte er.
Ich richtete mich wieder auf und half ihm herein und auf die Querleiste.
»Allah! Wenn das Holz zerbricht oder abrutscht, und wir stürzen hinab!« sagte er.
»Keine Angst! Ich habe mich überzeugt, daß es stark genug ist für uns Beide. Und abrutschen kann es nicht, da es auf eingenagelten Stützen ruht. Aber ob die Leiter fest genug für zwei Personen ist und ob es überhaupt gerathen erscheint, daß wir Beide zugleich hinabsteigen, das weiß ich nicht. Bleibe oben; ich werde die Sache untersuchen.«
Jetzt stieg ich hinab oder vielmehr ich griff mich hinab. Für meine Ungeduld und für die mir zugemessene Zeit ging es mir zu langsam, Querstrick um Querstrick der Leiter im Finstern mit den Füßen zu suchen. Querhölzer gab es nämlich nicht. Ich ließ also die Füße frei schweben und turnte mich mit den Händen wie an einem Seil hinab.
Es gab einzelne Absätze, welche wieder durch Querstangen bezeichnet waren. Ich befand mich nicht mehr im Innern des Baumes, sondern in einem engen Felsenschacht. Wie derselbe entstanden war, ob auf natürliche Weise oder mit künstlicher Nachhülfe, das konnte ich im Finstern nicht sehen. Endlich, endlich faßte ich Boden.
Ich fühlte mit den Händen, daß ich mich in einem engen Loch befand, welches keinen Ausgang hatte und Raum für vielleicht vier oder fünf Personen bot. Da kam mir denn mein Laternchen zu Statten, das kleine Fläschchen mit Öl und Phosphor, welches ich stets bei mir trug. Ich zog es aus der Westentasche und öffnete den Stöpsel, um den Sauerstoff der Luft eintreten zu lassen. Als ich es dann wieder zumachte, gab es einen so hellen phosphorescirenden Schein, daß ich die mich umgebenden Wände ziemlich deutlich sehen konnte.
Der Raum war dreieckig. Auf zwei Seiten hatte ich natürlichen Felsen. Die dritte Seite bestand aus einer künstlichen Mauer, welche nicht höher als fünf Ellen war.
Als ich nun auch den Boden beleuchtete, sah ich, daß derselbe aus Fels bestand. Dabei bemerkte ich eine Schnur, welche an das untere Ende der Strickleiter gebunden war und nach oben führte. Ihr mit dem Laternchen folgend, machte ich die Entdeckung, daß diese Schnur über die Mauer nach jenseits derselben führte. Das war mir genug, um Alles zu wissen. Nun wollte ich wieder nach oben, hörte aber Halef's halblaute Stimme:
»Sihdi, halte die Leiter straff! Sie dreht sich.«
»Ah! Du kommst?«
»Ja, es dauerte mir zu lange. Ich glaubte, es sei Dir ein Unglück widerfahren.«
Bald stand er neben mir und tastete und blickte beim matten Schimmer des Laternchens umher.
»Es scheint, wir sind in einem Felsenbrunnen,« meinte er.
»Nein, wir befinden uns in der Höhle.«
»Da ist sie aber verwünscht klein und eng!«
»Das ist nur eine Ecke derselben. Wir müssen wieder einige Stufen empor und dann über diese Mauer hinwegklettern.«
»Aber wie?«
»Natürlich mit der Leiter, welche wir jenseits niederlassen. Hier fühle diese Schnur! Sie geht hinüber. Kein Fremder, der drüben im Finstern steht, wird ahnen, daß sich hier noch so ein enger Raum befindet, in welchen eine Strickleiter mündet. Auch die Schnur ist drüben mit ihrem Ende so angebracht, daß sie nur ein Eingeweihter bemerken kann; das vermuthe ich. Wenn also von drüben Jemand hier empor steigen will, so braucht er nur die Strickleiter mit Hülfe der Schnur hinüberzuziehen. Das Ding ist sehr praktisch eingerichtet.«
»Noch viel praktischer aber sind wir Beide, Sihdi,« kicherte der Kleine. »Wir entdecken leicht die allergrößten Heimlichkeiten. Wollen wir hinüber in die Höhle?«
»Gewiß. Wir steigen die wenigen Stufen empor, setzen uns auf die Mauer, lassen das Ende der Strickleiter drüben hinab und steigen dann in aller Gemüthlichkeit nieder.«
Grad so, wie ich es sagte, ging es auch. Wir gelangten in einen Raum, für welchen mein Laternchen nicht ausreichte. Halef hielt mich am Arm und flüsterte:
»Es wird doch Niemand hier sein?«
»Wollen sehen.«
Ich zog ein altes Stück Papier und ein Streichhölzchen hervor, brannte das Papier mit Hülfe des Zündhölzchens an und leuchtete umher. Wir waren allein. Der Raum, in welchem wir uns befanden, hatte die Größe einer leidlich geräumigen Stube, vielleicht zwölf Schritte lang und breit.
Als das Papier verbrannt war und wir wieder im Dunkeln standen, bemerkte ich unten am Boden der einen Seite einen milchglasähnlichen, viereckigen Schimmer. Ich ging hin, legte mich nieder und – – sah ein langes Loch, welches in das Freie führte.
»Halef, hier befinden wir uns an dem Meilerloch, durch welches wir hereinkriechen sollten,« meldete ich erfreut. »Ich werde einmal hineinkriechen. Wenn ich mich nicht täusche, so muß ich Osco und Omar sehen können.«
Meine Vermuthung bestätigte sich. Als ich so weit vorgekrochen war, als ich durfte, ohne gesehen zu werden, sah ich die Beiden draußen sitzen, die Augen nach der Bank gerichtet und die Flinten schußfertig in den Händen.
Das genügte. Ich kroch wieder zurück.
»Nun machen wir Licht, nicht wahr?« fragte Halef.
»Ja. Gib den Speck heraus. Der Hemdlappen dient als Docht.«
Ich trug den kleinen Topf mit dem Henkel am Gürtelriemen festgeschnallt. Jetzt machte ich ihn los. Das Bärenfett wurde hinein geschnitten und der Lappen zu einem Docht gedreht. Mit Hülfe eines Zündhölzchens hatten wir bald eine Fettfackel, welche zwar entsetzlich rauchte, aber den Raum vollständig erleuchtete.
Nun untersuchten wir die Wände. Sie bestanden aus massivem Fels, abgerechnet die schmale Mauer in der einen Ecke, über welche wir gestiegen waren. Es war klar: die Höhle bestand nur aus diesem einen Raum. Trotz alles Klopfens war nicht eine einzige hohl klingende Stelle zu finden. Nur einen Gegenstand gab es, der unsere Beachtung auf sich zog: ein viereckig behauener Stein, welcher neben dem Loch lag und genau in dasselbe paßte. Ein Ring, an welchem eine Kette hing, war in denselben eingegossen.
»Das ist der Verschluß,« sagte Halef.
»Ja. Er ist aber nur dann nöthig, wenn sich ein Gefangener hier befindet. Dann wird die Öffnung mit diesem Stein verschlossen und dieser selbst mittelst der Kette draußen so befestigt, daß er von innen nicht entfernt werden kann.«
»Denkst Du, daß hier zuweilen Gefangene stecken?«
»Jawohl. Morgen Abend kommt Einer an, und Du wirst Dich wundern, wenn Du erfährst, wer es ist.«
»Nun, wer?«
»Davon später unterwegs. Auch werden hier Menschen getödtet. Mit uns hatte der Köhler dieselbe Absicht. Wir sollten voran kriechen. Er hätte hinter uns den Meiler in Brand gesteckt, und weil das Loch, in welchem die Strickleiter hängt, wie eine hohe Fabrikesse wirkt, wäre der Rauch hier herein gedrungen und hätte uns in wenigen Minuten erstickt.«
»Allah 'l Allah! Wehe diesem Köhler, wenn ich jetzt wieder hinauskomme!«
»Du wirst ihm gar nichts sagen und gar nichts thun. Ich habe einen sehr triftigen Grund, ihm noch zu verheimlichen, was ich weiß.«
»Aber wir reiten fort und sehen ihn niemals wieder!«
»Wir reiten fort und sehen ihn schon morgen wieder. Jetzt wissen wir genug und steigen wieder empor.«
Das Feuer wurde ausgelöscht, und nun mußten wir freilich warten, bis Topf und Fett erkaltet waren. Dann traten wir den Rückweg an und sorgten dabei dafür, daß die Strickleiter nun wieder hinter der Mauer zu finden war.
Als wir dann droben vor der Eiche standen, holten wir tief Athem. Es ist doch nichts ganz Angenehmes, eine solche Fahrt in die ungewisse Tiefe zu machen. Was hätte dabei Alles geschehen können! Wäre zufälligerweise Jemand unten gewesen und hätte uns eine Kugel entgegen geschickt! Es grauste mir, als ich daran dachte.
Nun wurde das Fett aus dem Topf entfernt und weggeworfen. Minze fanden wir auf dem Rückweg nicht, aber um den Schein zu wahren, raufte ich einige andere Pflänzchen aus, die ich dem Rappen geben konnte. Halef machte sich den Spaß und sammelte die langen schwarzen Schnecken, die wir erblickten. Sie waren unten zwischen den Büschen so zahlreich, daß er den Topf voll bekam.
Natürlich thaten wir so, als ob wir aus der entgegengesetzten Richtung kämen. Ich gab meinem Rappen die Pflänzchen zu fressen; Halef strich ihm eine der Schnecken um die Nüstern und trug dann den Topf mit den andern in die Stube. Als er wieder herauskam, machte er ein so seelenvergnügtes Gesicht, daß ich ihn fragte:
»Wo hast Du sie denn hingethan?«
»Ich habe sie in die Tasche des Kaftans geschüttet, welcher drin hängt.«
»Das ist freilich eine sehr große Heldenthat, auf welche Du stolz sein kannst. Der berühmte Hadschi Halef Omar beginnt, Jungenstreiche auszuführen!«
Er lächelte in sich hinein. Meine Bemerkung war nicht geeignet, ihn zu beleidigen.
Als wir nun zu Osco und Omar traten, meldeten die Beiden, daß nichts Störendes vorgekommen sei. Der Köhler konnte aber seine Ungeduld nicht länger beherrschen und sagte:
»Jetzt bist Du wieder da. Nun wirst Du uns wohl erlauben, die Bank zu verlassen?«
»Noch nicht. Ihr werdet nicht eher aufstehen, als bis wir zu Pferde sitzen.«
»Und wann reitet Ihr fort?«
»Sogleich. Wir lassen Dir für Deinen freundlichen Empfang eine ebenso freundliche Ermahnung zurück: verschütte Deine Juwelenhöhle und versuche nicht wieder, Jemand hinein zu locken. Es könnte sonst leicht das Schicksal, welches Du Andern bereitest, Dich selbst ereilen.«
»Was Du damit sagen willst, weiß ich nicht.«
»Denke darüber nach! Ich bin überzeugt, daß Du dann mich bald verstehen wirst. Wenn ich wiederkomme, wird es sich zeigen, ob Du meine Warnung befolgt hast.«
»Du willst wiederkommen? Wann?«
»Wenn es nothwendig ist, früher nicht und auch nicht später.«
»Herr, Du machst mir ein Gesicht, als ob ich der schlechteste Mensch des Erdbodens sei.«
»Der bist Du auch, obgleich es Andere gibt, die es im Bösen auch fast so weit gebracht haben, wie Du.«
»Was für Böses soll ich begangen haben? Was könntest Du mir beweisen?«
»Vor allen Dingen bist Du ein Lügner. Du hast behauptet, den Namen der Aladschy nicht zu kennen. Und doch haben sie sich wiederholt bei Dir aufgehalten und sind sogar von den Soldaten hier gesucht worden.«
»Das ist nicht wahr. Ich habe ihren Namen nie gehört und sie noch viel weniger hier bei mir gesehen.«
»Wie kommst Du dann dazu, ihre Pferde hier versteckt zu halten?«
»Ihre – Pferde?« fragte er stockend.
»Ja. Ich sah sie stehen.«
»Was? Wie? Sollten diese Menschen hier sein, ohne daß ich es weiß?«
»Sei still! Glaube ja nicht, Knaben vor Dir zu haben. Eben weil Ihr Euch für klüger haltet als uns, dies hat Euch das Spiel verdorben und wird es Euch auch weiterhin verderben. Willst Du etwa leugnen, daß Dein Schwager, der Kohlenhändler, heute bei Dir gewesen ist?«
»Hat er kommen wollen? Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Er behauptet aber, bei Dir gewesen und sodann in die Schlucht des Teufels gegangen zu sein, wo wir überfallen werden sollten.«
»Herr, Du sprichst schreckliche Worte. Ihr hättet Euch in einer solchen Gefahr befunden?«
»Nicht wir, sondern Deine Freunde. Für uns gab es keine Gefahr. Ihr seid ja nicht die Männer, vor denen man sich fürchten müßte. Aber für Deine Spießgesellen war die Gefahr sehr groß, und sie sind ihr erlegen.«
Er fuhr erschrocken von seinem Sitz auf.
»Erlegen?« fragte er, beinahe stammelnd. »Was ist denn geschehen?«
»Ganz genau das, was sie beabsichtigten, nämlich ein Überfall, doch mit dem Unterschied, daß sie überfallen wurden.«
»Sie? Von wem?«
»Von uns natürlich. Dieser mein Hadschi Halef Omar und ich, wir allein, haben sie überfallen, sie, die ihrer sechs wohlbewaffnete Männer waren. Zwei von ihnen sind todt – sind von der Felsenbastei herabgeschmettert. Die Andern haben wir gefesselt, auch den Konakdschi, unsern verrätherischen Führer. Ich sage Euch das, um Euch zu beweisen, daß wir diese Tölpel nicht fürchten. Ihr müßt hingehen und sie losbinden, damit sie uns auch weiterhin verfolgen können. Sagt ihnen aber, daß wir bei der nächsten Gelegenheit ihr Leben nicht mehr schonen werden. Und ebenso, wie über ihnen, schwebt auch über Euch der Tod, wenn Ihr Euch nicht von uns warnen lasset. Das ist es, was ich Euch zu sagen habe. Und nun könnt Ihr Euch entfernen; Ihr seid frei.«
Wir nahmen unsere Waffen auf und stiegen in die Sättel. Die Beiden machten zunächst von ihrer Freiheit keinen Gebrauch. Sie standen starr vor Schreck. Als wir uns schon eine Strecke entfernt hatten und ich mich nach ihnen umblickte, sah ich sie noch so stehen.
Von dem freien Platz, auf welchem das Haus stand, führten Wagengeleise nach Süden und nach Westen. Wir schlugen die letztere Richtung ein. Die Felsenwände wichen dort von einander zurück, und wir gelangten in das zweite, noch größere Thal, von welchem der Köhler gesprochen hatte. Die Geleise waren so deutlich, daß man ihnen leicht folgen konnte.
Der Boden war mit saftigem Gras bewachsen; er bildete eine kleine Prairie, auf der weder Baum, noch Busch stand. Vor uns in der Ferne erhob sich die Bergkette, an welcher das Geleise sich theilen sollte.
Bis jetzt hatten wir unsern Weg schweigend verfolgt. Nun aber erzählte ich den Gefährten Alles, was ich erlauscht und erspäht hatte. Nur den Namen des Lords nannte ich nicht. Sie waren im höchsten Grad erstaunt über das, was sie hörten. Halef richtete sich im Sattel auf und rief:
»Hamdullillah! Jetzt wissen wir endlich, was uns nöthig ist. Jetzt kennen wir den Namen und die Wohnung des Schut und werden den Kaufmann Galingré befreien. Dieser Hamd el Amasat aber, welcher ihn dem Schut überliefert hat, soll seinen Lohn erhalten für all seine Missethaten. Er hat meinen Freund Sadek vom Stamm der Merasig getödtet. Dieser war der berühmteste Führer über den Schott Dscherid und ist von der Kugel dieses Mörders gefallen, den dafür die meinige treffen wird!«
»Die Deinige?« fragte Omar, indem er seinem Pferd die Sporen gab, daß es sich hoch aufbäumte. »Hast Du vergessen, daß ich der Sohn Sadek's bin? Habe ich diesen Mörder nicht verfolgt durch die Hälfte der Sahara? Er ist mir entgangen. Nun aber, da ich weiß, wo er ist, bin ich es allein, der mit ihm zu sprechen hat. Oder hast Du es nicht gehört, welchen Schwur ich that dort auf dem Salz des Schotts, als ich von Dir und von dem Sihdi erfuhr, daß Hamd el Amasat, der sich damals Abu el Nassr nannte, meinen Vater ermordet habe? Noch weiß ich jedes Wort dieses Schwures. Er lautete: ›Allah, Du Gott der Allmacht und Gerechtigkeit, höre mich! Mohammed, Du Prophet des Allerhöchsten, höre mich! Ihr Khalifen und Märtyrer des Glaubens, höret mich! Ich, Omar Ben Sadek, werde nicht eher lachen, nicht eher meinen Bart beschneiden, nicht eher die Moschee besuchen, als bis die Dschehennah aufgenommen hat den Mörder meines Vaters. Ich schwöre es!‹ So habe ich damals gesagt, und nun sollt Ihr mir bestätigen, daß ich meinen Schwur gehalten habe. Habt Ihr mich lachen hören? Bin ich in eine Moschee zum Gebet gegangen? Hat eine Scheere meinen Bart berührt, welcher mir fast bis auf die Brust gewachsen ist? Und nun, da ich endlich, endlich den Mörder meines Vaters treffen werde, soll ich ihn Andern überlassen? Nein, Hadschi Halef Omar, das darfst Du nicht von mir verlangen! Derjenige, der sich an ihm vergreift, wird mein ärgster Feind, und wenn er vorher mein bester Freund gewesen, ja, und wenn es unser Effendi selbst wäre!«
Omar war in diesem Augenblick der ächte Wüstensohn. Seine Augen funkelten, und seine Zähne knirschten gegen einander. An Versöhnlichkeit und Gnade war da nicht zu denken. Der unerbittliche Ton, in welchem er gesprochen hatte, machte einen solchen Eindruck auf uns, daß wir eine ganze Weile in tiefem Schweigen verharrten. Dann war, wie gewöhnlich, Halef der Erste, welcher wieder das Wort ergriff:
»Du hast uns Alles gesagt, Effendi, aber Eins verstehe ich nicht. Wo reiten wir hin?«
»Nach Rugova zum Schut.«
»Das ist sehr gut, aber ich hätte Dir doch mehr Menschenfreundlichkeit zugetraut!«
»Habe ich sie nicht?«
»Nein. Du weißt, daß ein Unglücklicher in die Höhle geschleppt werden soll, noch dazu ein Abendländer, wie Du, und doch thust Du nicht im Mindesten so, als ob Du ihn retten könntest und retten wolltest.«
»Ich wüßte nicht, wie ich das anfangen sollte,« antwortete ich in einem recht gleichgültigen Ton.
»Nicht? Allah! Sind Deine Gedanken auf einmal so schwach geworden?«
»Ich glaube nicht.«
»Aber ich glaube es. Nichts ist leichter, als zu wissen, wie man diesem Mann helfen kann.«
»Nun, wie denn?«
»Indem wir unsern Pferden die Sporen geben und im Galopp nach Rugova reiten, um zu verhindern, daß er überhaupt festgenommen wird.«
»Wir kämen zu spät, denn wir würden erst während der Nacht dort anlangen.«
»So suchen wir gleich den Karaul auf und befreien ihn, daß er nicht nach der Höhle geschafft werden kann.«
»Wo ist der Karaul? Wie kommen wir hinein? Wo steckt er da? Wie ist es möglich, ihn so schnell herauszubringen? Fallen Dir vielleicht die Antworten auf diese Fragen vom Himmel herab?«
»Meinst Du, daß es so schwer ist?«
»Nicht nur schwer, sondern ganz unmöglich. Wenn wir in tiefer Nacht dort ankommen, bei wem willst Du die nothwendigen Erkundigungen einziehen? Jedermann schläft, und eben derjenige, welcher wacht, ist wahrscheinlich ein Anhänger des Schut. Können wir hinkommen, fragen, den Karaul stürmen, das Alles in einer halben Stunde?«
»Freilich nicht.«
»Schon am Abend wird der Inglis ergriffen. Bevor wir dort irgend eine Veranstaltung zu seiner Befreiung treffen können, befindet er sich unterwegs nach der Höhle.«
»Nun gut, so reiten wir jetzt gar nicht nach Rugova, sondern wir bleiben heimlich hier und holen ihn heraus. Das ist gar nicht gefährlich und wird uns nicht schwer fallen, weil wir den geheimen Eingang kennen.«
Grad das, was er jetzt vorschlug, hatte ich mir bereits fest vorgenommen. Es war der sicherste Weg zur Befreiung des Lords. Dennoch antwortete ich kopfschüttelnd:
»Das geht nicht, lieber Halef.«
»Warum denn nicht?«
»Weil wir dabei unsere kostbare Zeit versäumen würden.«
»Was gilt die Zeit, wenn es sich darum handelt, einen Unglücklichen zu retten!«
»Wenn wir allen Unglücklichen helfen wollten, so müßten wir uns vertausendfachen können. Jeder mag für sich selbst sorgen.«
»Aber, Sihdi, ich kenne Dich ja gar nicht mehr!«
»Der Inglis geht mich nichts an. Ist er so unvorsichtig, die Räuber auf sein vieles Geld aufmerksam zu machen, so mag er auch die Folgen tragen. Ich habe gar nichts mit ihm zu schaffen gehabt. Er ist ein Lord und heißt David Lindsay, ein Name, der uns vollständig unbekannt ist.«
Ich hatte das möglichst gleichmüthig gesagt; aber kaum war der Name über meine Lippen, so riß Halef in die Zügel, daß sein Pferd hinten in die Häcksen sank.
»Lindsay? David Lindsay?« schrie er überlaut. »Ist das wahr?«
»Ja. Der Name wurde deutlich genannt. Der Lord soll ein grau gekleideter Kerl sein – mit blauer Brille, mit langer, rother Nase und mit einem sehr breiten Mund.«
»Sihdi, Du bist verrückt!«
Er starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Auch die beiden Andern waren ganz erstaunt.
»Verrückt?« fragte ich. »Wie kommst Du denn auf diese beleidigende Idee?«
»Weil Du behauptest, diesen Lord nicht zu kennen.«
»Nun, kennst Du ihn denn?«
»Natürlich! Natürlich! Es ist ja unser Lord, welcher mit uns durch ganz Kurdistan, nach Bagdad und – –«
Er hielt inne. Sein Erstaunen war so groß, daß ihm die Stimme versagte. Noch immer hielt er das Auge groß auf mich gerichtet.
»Was denn für ein Lord?« fragte ich.
»Nun, unser, unser Lord, den wir aber nicht Lord, sondern nur Sir Lindsay nennen durften! Bist Du denn des Teufels, daß Du diesen Bekannten so plötzlich und so ganz und gar vergessen hast!«
Die beiden Andern sahen es mir wohl an, daß mir der Schalk im Nacken saß.
»Aber, Halef!« rief Osco. »Meinst Du denn wirklich, daß der Sihdi den Lord nicht kennt? Er will sich ja nur an unserm Erstaunen weiden!«
»Ah, so ist das, so! Nun, dann weide Dich, Sihdi, weide Dich! Denn meine Verwunderung ist so groß, daß ich gar keine Worte finde. Also es ist unser Lord in Wirklichkeit?«
»Leider!«
»Und Du willst ihn nicht retten?«
»Nun, wenn Du meinst, so dürfen wir ihn freilich nicht stecken lassen.«
»Nein, das geht nicht, ganz und gar nicht. Aber wie kommt er denn so schnell nach Rugova?«
»Das weiß ich freilich nicht. Um es zu erfahren, müssen wir zu ihm in die Höhle, damit wir ihn fragen können.«
»Allah sei Dank! Endlich kommt Dir der Verstand wieder!«
»Ja, er war mir ganz abhanden gekommen vor Schreck über das Gesicht, welches Du machtest. Ich habe es ganz allein Dir überlassen, nachzudenken, und wir werden den Plan ausführen, welchen Du uns vorgeschlagen hast.«
»Den letzten?«
»Ja. Wir verstecken uns hier in der Nähe bis morgen Nachts. Das wird sowohl uns als auch den Pferden höchst dienlich sein, denn seit Konstantinopel haben wir keine wirkliche, ausgiebige Ruhe gehabt. Und selbst dort in Stambul sind wir des Nachts thätig gewesen.«
»So gibst Du also zu, daß mein Plan sehr gut ist?«
»Außerordentlich!«
»Ja, ich bin Dein Freund und Beschützer und verstehe es, einen vortrefflichen Sefer tertibi zu entwerfen. Wer mit mir reitet, der befindet sich in sehr guter Obhut. Das werdet Ihr nun endlich einsehen. Auf diesen klugen Plan wäre kein Anderer gekommen!«
»Nein! Leider aber habe ich just deßwegen, um diesen Plan auszuführen, die Höhle untersucht.«
»Wie – wa – was? Du hättest dieselbe Absicht schon vorhin gehabt?«
»Jawohl. Sobald ich den Namen des Lords hörte, war ich entschlossen, ihn aus der Höhle zu holen.«
»O – ja! Jetzt kannst Du gut so sagen; diese Klugheit kennt man ja!«
»Nun, so magst Du annehmen, daß dieser Plan Deine eigene Erfindung sei, und es ist dies ja auch wahr, denn Du bist ganz von selbst auf ihn gekommen. Genieße also getrost diesen Ruhm und befürchte nicht, daß wir Dir das Vergnügen daran trüben werden. Dein Name wird erschallen weithin durch alle Lande bis an das Zelt, unter welchem Hanneh wohnt, die Unvergleichlichste der Frauen, der Töchter und der jungen Mütter.«
»Gewiß! Und wenn er nicht zu ihr dringt, so werde ich ihn selbst hinbringen. Wo aber finden wir einen Platz, an welchem wir uns bis morgen aufhalten können?«
»Da drüben auf den bewaldeten Bergen. Sie gewähren eine freie Aussicht auf diese Thalebene und ermöglichen es uns, den Köhler Scharka und seine Gäste zu beobachten. Wenn wir uns meines Fernrohres bedienen, werden wir sie sehr deutlich sehen können, falls sie unsern gegenwärtigen Weg verfolgen, um nach der Schlucht zu reiten, in welcher wir nach Scharka's Plan überfallen werden sollen.«
»Hm!« brummte Halef nachdenklich. »Sie werden sehr wahrscheinlich schon vorher bemerken, daß wir nicht dorthin geritten sind.«
»Einen solchen Scharfsinn traue ich ihnen nicht zu.«
»Es bedarf ja gar keines Scharfsinnes. Sie brauchen nur die Augen zu öffnen, um unsere Spur zu sehen. Schau nur, wie tief die Hufe unserer Pferde sich in dem weichen Grasboden abzeichnen!«
»Das ist nur gut für uns, denn eben dieser Umstand ermöglicht es uns, sie über die von uns eingeschlagene Richtung zu täuschen. Dieser weiche Boden wird ein Ende nehmen. Ich vermuthe, daß wir auf Stein und Fels gelangen, wo wir abbiegen können, ohne daß sie es merken.«
»So werden sie dann später beobachten, daß unsere Fährte fehlt.«
»Hoffentlich gelingt es uns, dies zu vermeiden. Wir haben ja Zeit genug, Vorkehrungen zu treffen.«
»So meinst Du nicht, daß sie uns sogleich folgen werden?«
»Nein. Und nur aus diesem Grund habe ich ihnen gesagt, was in der Schlucht des Teufels geschehen ist. Ich wollte es ihnen eigentlich nicht mittheilen, damit die Aladschy, Suef, Junak und der Konakdschi spät genug ihrer Bande entledigt werden sollten. Um aber Zeit zu gewinnen, sah ich davon ab. Der Köhler wird mit seinen Leuten und mit dem Alim sich schleunigst nach dem Teufelsfelsen begeben, um die Gefangenen loszubinden. Diese werden eine ansehnliche Zeit brauchen, um Alles zu erzählen, was geschehen ist. Dadurch gewinnen wir wenigstens zwei Stunden, und diese Frist reicht vollständig für uns aus, falls wir jetzt unsere Schnelligkeit vergrößern. Also rascher vorwärts!«
Wir setzten unsere Pferde in Galopp und erreichten nach kaum einer Viertelstunde diejenige Stelle, an welcher die Wagenspuren aus einander liefen. Dort ritten wir, obgleich wir nach rechts wollten, nach links. Unsere Fährte war so deutlich, daß die uns später Folgenden überzeugt sein mußten, wir seien derjenigen Richtung gefolgt, welche der Köhler uns angewiesen hatte.
Je mehr wir uns dem Höhenzug näherten, desto merklicher stieg die Wiese zum Fuß desselben an. Der Boden wurde härter, und endlich hörte der Graswuchs auf.
Nun ließ ich die Gefährten warten und ritt allein in gestrecktem Galopp weiter, bis ich die Schlucht erreichte, von welcher Scharka gesprochen hatte. Die Sohle derselben war weich, und ich ritt eine tüchtige Strecke in dieselbe hinein und wieder zurück, wobei ich dafür sorgte, daß die Hufe des Rappen sehr sichtbare Eindrücke hinterließen. So mußte der Köhler meinen, daß wir uns wirklich dort befänden.
Nachdem ich zu den Gefährten zurückgekehrt war, benutzten wir den harten, felsigen Grund, uns nach rechts zu wenden, ohne Spuren zu hinterlassen, was uns auch vollständig gelang.
Nach einiger Zeit kamen wir an eine Stelle, wo der Fuß der Bergkette weit vortrat. Wir lenkten zwischen die hier beginnenden Bäume hinein und stiegen ab, um unsere Pferde den ziemlich steilen Hang empor zu führen. Oben angekommen, befanden wir uns im Schatten riesiger Fichten, unter deren Wipfeln hinweg wir einen ganz freien Ausblick in das Thal der famosen Juwelenhöhle hatten. Hier banden wir die Pferde an, und ich drang tiefer in den Wald ein, um eine Stelle zu suchen, welche uns Futter für die Thiere böte und zugleich eine solche Lage hätte, daß das Feuer, welches wir machen mußten, nicht nach rückwärts bemerkt werden konnte.
Die Erfahrung ist da der beste Wegweiser. Die Beschaffenheit des Baumwuchses verräth schon aus der Ferne, wo Gras und Wasser zu finden ist. Ich traf auf eine lauschige, baumfreie Stelle, an welcher eine Quelle entsprang. Das Wasser derselben floß nach West, also jedenfalls dem schwarzen Drin entgegen. Es schien, daß wir uns endlich auf der Scheide zwischen diesem und der Treska befänden.
Hierher brachten wir die Pferde, sattelten ab und banden ihnen die Vorderbeine leicht zusammen, so daß sie sich nicht entfernen konnten. Dann begaben wir uns wieder nach der Stelle zurück, von welcher aus wir unsere Gegner sehen konnten.
Es dauerte auch gar nicht lange, so erblickte ich sie durch das Fernrohr. Trotz der Entfernung, in welcher sie sich von uns befanden, sah ich, daß sie in gestrecktem Galopp ritten. Sie hatten die verlorene Zeit einzubringen, denn sie mußten annehmen, daß wir sofort umkehren würden, sobald wir an die Felsenwand gelangten, an welcher wir nicht weiter konnten. Bevor wir Zeit fanden, die dortige Schlucht zu verlassen, mußten sie sich in derselben versteckt haben, wenn ihr Plan überhaupt gelingen sollte.
Wir zählten acht Personen und erkannten, als sie nahe genug gekommen waren, die beiden Aladschy, Suef, den Wirth, den Köhler, den Alim und noch zwei Reiter. Die Kleidung der beiden Letzteren ließ vermuthen, daß sie Knechte des Köhlers waren. Sie waren uns also doppelt überlegen, und wir mußten annehmen, daß auch der Köhler Pferde besaß, die wir aber nicht bemerkt hatten. Da sie alle mit Gewehren versehen waren und in der Stube nicht so viele gehangen hatten, so stand fest, daß Scharka einen verborgenen Vorrath von Waffen besaß.
Diese acht Reiter folgten der Richtung, in welcher sie uns vermutheten. Dort, wo die Wagengeleise aus einander gingen, hielten sie an, um den Boden zu untersuchen. Sie sahen, daß wir in der von ihnen gewünschten Weise weiter geritten waren, und folgten unserer Spur, bis wir sie aus den Augen verloren.
Von jetzt an warteten wir wohl gegen zwei Stunden. Dann sahen wir sie langsam zurückkehren. An der erwähnten Stelle blieben sie halten und sprachen sehr angelegentlich mit einander, wie aus ihren lebhaften Gebärden zu erkennen war. Dann trennten sie sich. Der Alim ritt mit den beiden Aladschy rechts ab, in der Richtung nach Kolutschin zu; die Andern kehrten in das Thal des Teufelsfelsens zurück.
Diese Letzteren ritten langsam. Wir sahen es ihrer Haltung und ihren Bewegungen an, daß sie sehr enttäuscht waren. Die Ersteren aber stürmten im Galopp quer über unser Gesichtsfeld. Sie hatten Eile, weil der Alim den Lord abzuholen beabsichtigte. Als von beiden Theilen nichts mehr zu sehen war, begaben wir uns zu unsern Pferden, wo wir Laub und trockene Äste sammelten, um uns ein Feuer anzumachen, an welchem Schinken und Tatzen des Bären gebraten werden sollten. Fleisch hatten wir mehr, als wir bis morgen Abend bedurften.
Die Zeit der Dämmerung war hereingebrochen, und es wurde finster an unserm Lagerplatz. Das gab eine kleine Urwaldscene, über welche meine Begleiter großes Vergnügen empfanden.
Ganz natürlich folgte nun eine ausführliche Besprechung aller Erlebnisse der letzten Tage; wir hatten ja genug Zeit dazu. Dann legten wir uns zur Ruhe. Vorher aber wurde die Reihenfolge der Wache bestimmt. Wir hatten zwar eine Überraschung wohl kaum zu befürchten, aber Vorsicht ist in keiner Lage überflüssig, und überdies mußte der Wachende das Feuer unterhalten, denn es war hier zwischen den Bergen des Schar Dagh eine kühle Nacht zu erwarten.
Am Morgen und am Mittag gab es ganz dieselbe Speisekarte wie am Abend vorher, und das Gespräch drehte sich ausschließlich wieder um das gestrige Thema. Wir fühlten uns erfrischt und gekräftigt, und auch unseren Pferden war es anzusehen, daß die lange, ausgiebige Ruhe ihnen wohlgethan hatte. Beide, sowohl Menschen wie auch Thiere, waren nun befähigt, weitere Strapazen zu ertragen.
Am Nachmittag ritt ich einmal allein fort, um drüben bei den Steinwänden, welche das Thal des Teufelsfelsen umgaben, einen Ort ausfindig zu machen, um des Abends unsere Pferde sicher unterzubringen. Der Köhler hatte gemeint, daß der Engländer bereits am Abend eintreffen könne; um diese Zeit mußten wir uns also in der Nähe befinden, um demselben Hülfe zu bringen.
Ich mußte einen Umweg machen, um nicht etwa von drüben aus gesehen zu werden. Doch trug mein schnelles Pferd mich sehr bald hinüber, und es gelang mir, ein Versteck zu entdecken, welches für meine Absichten ganz geeignet war. Dasselbe lag in der Nähe beim Eingang des Thales.
Als ich dann wieder bei den Gefährten eintraf, war es nun auch bereits Zeit, aufzubrechen, denn die Sonne hatte sich im Westen gesenkt, und bis wir das Versteck erreichten, mußte es vollständig dunkel sein.
Wir gaben uns keine Mühe, unsere Spuren zu verbergen; am Abend waren sie doch nicht zu bemerken. Drüben angelangt, zogen wir die Pferde zwischen die Büsche, und dann machte ich mich mit Halef auf, um die saubere Gesellschaft zu beschleichen. Osco und Omar, welche zurückbleiben mußten, erhielten die Weisung, sich ganz ruhig zu verhalten und den Ort auf keinen Fall vor unserer Rückkehr zu verlassen.
Es war nun vollständig dunkel; aber da wir die Gegend leidlich gut kannten, gelangten wir, ohne eine Störung zu erfahren, in die Nähe des Köhlerhauses. Zwischen diesem und dem bekannten Meiler brannte ein helles Feuer, an welchem Alle saßen, welche wir hier zu treffen erwartet hatten.
Uns vorsichtig am Rand der kleinen Lichtung hinschleichend, erreichten wir das jenseitige Gebüsch und krochen durch dasselbe dem schmalen Weg zu, welcher von der Eiche herabkam und bei dem Meiler mündete. Dort setzten wir uns nieder.
Die Männer befanden sich so weit von uns entfernt, daß wir wohl ihre Stimme vernahmen, aber die Worte nicht verstehen konnten. Allem Anscheine nach waren sie nicht in der besten Stimmung. Die Blicke, welche sie fleißig nach der Richtung des Thaleinganges warfen, ließen vermuthen, daß sie das baldige Erscheinen des Alim und seines Gefangenen erwarteten.
Es war auch wirklich kaum eine Viertelstunde vergangen, seit wir hier saßen, so hörten wir Pferdegetrappel. Die am Feuer Sitzenden sprangen auf. Sechs Reiter kamen. Zwei von ihnen waren auf die Pferde gebunden – der Lord und ein Anderer, jedenfalls sein Dolmetscher. Einer der andern Vier war der Alim, welcher aus dem Sattel sprang und zu den Wartenden trat. Er wurde mit sichtlicher Genugthuung bewillkommnet. Dann band man die Gefangenen von den Pferden los, hob sie herab und schlang ihnen die Stricke wieder um die Füße; an den Händen waren sie auch gebunden. So wurden sie auf den Boden gelegt. Die Männer der Eskorte lehnten ihre Gewehre an die Mauer des Hauses und setzten sich gleichfalls an das Feuer.
Es war Schade, daß wir gar nichts verstehen konnten; denn es wurde jetzt sehr lebhaft gesprochen. Doch dauerte dies nicht lange. Sie standen auf, um die Gefangenen nach dem Meiler zu tragen, dessen Eingang der Köhler in der bereits beschriebenen Weise öffnete.
Jetzt waren sie so nahe, daß wir jedes Wort hörten. Der Alim sagte zu dem gefesselten Dolmetscher:
»Ich sagte Dir bereits, daß Du gar nichts zu befürchten hast. Wir haben Dich mitgenommen, weil wir den Inglis nicht verstehen können. Du sollst sogar ein Bakschisch für die ausgestandene Angst erhalten. Der Inglis muß es auch bezahlen. Er weigerte sich freilich bisher, auf unser Verlangen einzugehen, aber wir werden ihn schon zu zwingen wissen und rechnen dabei auf Deine Hülfe. Wenn Du ihm räthst, von seiner Halsstarrigkeit zu lassen, so ist es zu Deinem eigenen Vortheil, denn je eher er zahlt, desto schneller wirst Du frei.«
»Und wird auch er frei werden, sobald er das Geld bezahlt hat?« fragte der Dolmetscher.
»Das ist nicht Deine, sondern unsere Sache. Läßt man etwa Jemand frei, daß er sich nachher rächen kann? Das mußt Du ihm aber natürlich verschweigen. Ihr werdet jetzt in eine Höhle gesteckt. Sprich mit ihm! In einer Viertelstunde komme ich hinein. Weigert er sich auch dann noch, mir ein Hawale tahwil auf seinen Saraf zu geben, so erhält er tüchtige Prügel, welche ihn sicherlich eines Besseren belehren werden. Er empfängt weder Essen, noch Trinken, bis er gehorcht; dagegen soll er um so reichlicher mit Hieben bewirthet werden.«
»Was sagt dieser Schurke?« fragte Lindsay in englischer Sprache.
»Daß wir jetzt in eine Höhle gesteckt werden,« antwortete der Dragoman. »Sie sollen weder Essen, noch Trinken, sondern nur Prügel erhalten, bis Sie die verlangte Anweisung schreiben. Aber Sie dürfen das nicht thun, denn ich höre soeben, daß Sie dennoch getödtet würden. Natürlich soll ich das Ihnen nicht verrathen. Aber sie haben mich engagirt, und ich halte zu Ihnen, nicht aber zu diesen Schuften. Vielleicht gelingt es uns doch, einen Weg zur Flucht zu finden.«
»Großen Dank!« antwortete der Engländer in seiner kurzen Weise. »Sollen keinen Para erhalten, diese Schurken. Mögen mich todtprügeln! Well!«
»Nun, was hat er dazu gesagt?« fragte der Alim.
»Daß er nichts bezahlen wird.«
»Er wird bald anders sprechen. Hinein also mit Euch! In einer Viertelstunde komme ich nach.«
Es wurde jedem der Beiden ein Strick unter den Armen hindurch gesteckt, an welchem zwei in die Höhle vorankriechende Köhlerknechte sie hinein zogen. Als diese wieder herauskamen, hörte ich im Innern des Meilers eine Kette klirren und schloß daraus, daß der Stein vor dem Eingang befestigt worden war.
»Hätten wir den Lord nicht gleich jetzt heraushauen können?« fragte mich Halef leise.
»Nein, wir haben unsere Gewehre zurückgelassen.«
»Was thut das? Wir tragen unsere Messer und Pistolen bei uns, und Du hast die Revolver. Das ist genug.«
»Selbst wenn es gelungen wäre, die Wichte zu vertreiben, woran ich gar nicht zweifle, würden sie dann über uns hergefallen sein, während wir die Fesseln der Gefangenen lösten. Nein, wir müssen vorsichtiger verfahren. Komm jetzt zur Eiche!«
Wir machten uns auf den Weg, wobei wir uns freilich mehr auf das Gedächtniß und den Tastsinn als auf unser Gesicht verlassen mußten, denn es war hier unter den Bäumen so finster, daß wir nicht die Hand vor den Augen sahen. Dennoch erreichten wir den Baum schon nach zehn Minuten.
Auch hier oben herrschte eine wahrhaft ägyptische Finsterniß. Wir wußten aber gut Bescheid und stiegen in derselben Weise hinauf und hinein, wie wir es gestern gemacht hatten.
Nun galt es, jedes Geräusch zu vermeiden, da der Alim sich bereits in der Höhle befinden konnte. Ich rieth Halef, nicht mit den Füßen von Schlinge zu Schlinge zu steigen, sondern sich, wie ich es that, mit den Händen an der Leiter wie an einem Strick hinab zu lassen. Ich glitt voran, und er folgte mir.
Als wir unten in der Ecke hinter der Mauer anlangten, war Alles finster; doch kaum hatten wir den Boden unter den Füßen, so wurde es hell. Als ich einige Stufen der Leiter wieder emporgestiegen war und nun über die Kante der Mauer in die Höhle blicken konnte, sah ich den Alim, welcher herein gekrochen war und nun vor den beiden gefesselt am Boden Liegenden stand. In der einen Hand hielt er eine Talgkerze, in der andern die Peitsche. Messer und Pistole hatte er abgelegt, wohl weil er gedacht hatte, daß sie ihm beim Kriechen hinderlich seien.
Das folgende Gespräch wurde nun in der Weise geführt, daß die türkischen Fragen dem Engländer durch den Dolmetscher in englischer Sprache, die englischen Antworten des Ersteren aber dem Alim auf Türkisch übermittelt wurden.
Der ›Gelehrte‹ band zunächst den Strick von den Füßen des Dragoman los und sagte:
»Ich will Dir die Fesseln halb lösen, damit Du Dich aufrichten kannst. Die Hände freilich werden gebunden bleiben. Jetzt frage ihn, ob er das Geld bezahlen will.«
Der Dolmetscher sprach die Frage aus.
»Nie, nie!« antwortete der Lord.
»Du wirst es doch thun, denn wir zwingen Dich!«
»Sir David Lindsay läßt sich von keinem Menschen zwingen!«
»Wenn nicht von einem Menschen, so doch durch die Peitsche, welche wir sehr kräftig handhaben.«
»Wage es!«
»O, das ist gar kein Wagniß!«
Er versetzte dem Lord einen Hieb. Halef stieß mich an – er wollte, daß ich sofort eingreifen sollte. Aber ich ließ mich zu keiner voreiligen Handlung hinreißen.
»Bube!« rief der Lord. »Das sollst Du mir entgelten.«
»Was sagte er?« fragte der Alim.
»Daß ihn Schläge nicht zwingen werden,« antwortete der Dragoman.
»O, er wird anders pfeifen, wenn er fünfzig oder hundert bekommen hat. Wir wissen, daß er Millionen besitzt. Er hat es ja selbst gesagt. Er soll und muß zahlen. Sage ihm das!«
Es nützte nichts, die Drohungen zu wiederholen, welche Lindsay bewegen sollten, seine Einwilligung zu geben. Er blieb bei seiner Weigerung, obgleich er noch einige Hiebe erhielt.
»Nun gut!« rief der Alim. »Ich gebe Dir eine Stunde Zeit. Kehre ich dann zurück, so bekommst Du hundert Peitschenhiebe auf den Rücken, falls Du noch nicht zum Gehorsam geneigt bist.«
»Wage es!« drohte der Lord. »Du würdest die Hiebe dreifach wieder bekommen!«
»Von wem denn?« lachte der Andere.
»Von dem Effendi, von welchem wir unterwegs gesprochen haben.«
»Dieser Fremde wird nie Etwas von Dir erfahren, obgleich Du ihm entgegen geritten bist.«
»Er wird mich sicher finden!«
»Da müßte er allwissend sein. Er weiß ja nicht einmal, daß Du ihn suchst.«
»Er wird in Rugova erfahren, daß ich da gewesen bin und mich nach ihm erkundigt habe. Wenn er erfährt, daß ich so plötzlich verschwunden bin, so wird er meine Spur verfolgen, und die führt ihn sicherlich hierher.«
»Deine Spur? Wie will er sie finden? Kein Mensch weiß, wo Du bist. Am Abend bist Du verschwunden, und von da an bis jetzt haben nur unsere Freunde Dich gesehen.«
»So wird er diese Kerle zwingen, es ihm zu sagen.«
»Dann müßte er wissen, daß Du nach dem Karaul gebracht worden bist. Und das wissen nur Zwei, der Schut und ich.«
»Schadet nichts! Er bekommt es doch heraus. Was seid Ihr Beide gegen ihn und seinen Hadschi!«
»Hund, sprich nicht so! Es ist ganz unmöglich, daß er Dich entdeckt. Und wenn er es thäte, so wäre es um ihn geschehen. Er müßte uns in die Hände laufen und würde von uns todt gepeitscht. Laß Dich ja nicht von dieser Hoffnung des Wahnsinnes täuschen! Es wird Dich kein Mensch hier entdecken, und Du kannst Dich nur durch Anweisung der geforderten Summe retten. Damit Du überzeugt davon bist, will ich Dir sagen, daß dieser Effendi in diesem Augenblick jedenfalls schon in demselben Karaul steckt, aus welchem ich Dich geholt habe, er und seine drei Begleiter. Und ihnen werden wir nie den Vorschlag machen, sich loszukaufen; sie dürfen die Freiheit niemals wiedersehen und werden ihr Leben lassen müssen.«
»Was fällt Dir ein!« rief der Engländer, als diese Worte ihm übersetzt worden waren. »Ihr seid nicht die Kerle, um diese meine Freunde gefangen zu nehmen. Und selbst, wenn Euch dies gelänge, so würdet Ihr sie durch keine Fessel länger halten können, als es ihnen beliebt.«
»Du machst Dich lächerlich! Ich werde Dir beweisen, daß diese Kerls sich vor uns in den Staub werfen werden, um uns um Gnade anzuwinseln. Sie sollen mit Dir in einem Loch stecken, und Du wirst mit ihnen sterben, wenn Du bei Deinem Vorsatz bleibst, Dich nicht loszukaufen. Ich gehe jetzt. Du hast eine Stunde Zeit. Besinne Dich wohl und wähle das, was das einzige Mittel zur Rettung Deines Lebens ist. Denke ja nicht, daß Du von hier entkommen kannst. Auf allen vier Seiten seid Ihr von Felsen umgeben; der Boden und die Decke bestehen aus Felsen, und es gibt nur den einzigen Weg durch dieses Loch herein und hinaus. Dieses aber ist verschlossen, und Ihr seid ja überhaupt gefesselt, so daß Ihr gar nichts zu unternehmen vermögt. Dem Dolmetscher werde ich zu seiner Erleichterung die Füße frei lassen; er kann nicht dafür, daß Du Dich hartnäckig weigerst, mein Gebot zu erfüllen.«
Jetzt legte er sich auf den Boden nieder und kroch wieder hinaus. Wir hörten, daß der Stein in das Loch gezogen und angekettet wurde.
Einige Augenblicke blieb Alles still; dann hörten wir den Engländer sagen:
»Famose Lage! Nicht? Wie?«
»Ja,« stimmte der Dolmetscher bei. »Ich glaube nicht, daß eine Rettung möglich ist.«
»Pshaw! Sir David Lindsay stirbt nicht in diesem Felsenloch.«
»So wollen Sie sich loskaufen?«
»Fällt mir nicht ein. Sobald die Schufte das Geld hätten, würden sie mich tödten.«
»Ganz gewiß. Aber wie sollen wir heraus kommen? Ich bin überzeugt, daß es nur diesen einen Aus- und Eingang gibt. Und selbst wenn es einen andern Weg gäbe, würden unsere Fesseln uns hindern, irgend Etwas zu unserer Befreiung zu thun. So müssen wir den Gedanken an Rettung aufgeben.«
»Non-sense! Wir kommen frei!«
»Auf welche Weise!«
»Wir spazieren hinaus.«
»Aber wer macht uns auf?«
»Mein Freund, den diese Schufte den deutschen Effendi nennen.«
»Sie haben ja gehört, daß er selbst bereits gefangen ist!«
»Fällt ihm nicht ein!«
»Seien Sie nicht so sicher! Sie wissen, wie es uns gegangen ist. Man hat uns gar nicht Zeit zur Gegenwehr gelassen.«
»Ist bei ihm gar nicht nöthig. Er ist nicht so dumm, wie wir, in eine solche Falle zu laufen.«
»Selbst wenn sie ihm nichts anhaben können, dürfen wir nicht auf ihn rechnen. Er kann unmöglich erfahren, was mit uns geschehen ist und wo wir uns befinden.«
»Da kennen Sie ihn eben nicht. Er kommt sicher!«
»Ich bezweifle es. Es wäre ein Weltwunder.«
»Wollen wir wetten?«
»Nein.«
»Warum nicht? Ich behaupte, daß er ganz plötzlich hereinspaziert kommt. Wie hoch wollen wir wetten?«
Selbst diese Gelegenheit benutzte Sir David Lindsay zu einer Wette; es war das eine seiner Leidenschaften. Aber der Dolmetscher machte es so, wie ich es stets gemacht hatte; er ging nicht darauf ein, sondern er sagte:
»Ich habe weder Geld noch Lust zu einer Wette und möchte auch wissen, wie es ihm gelingen sollte, so gemächlich hereinspaziert zu kommen.«
»Das ist seine Sache. Ich setze meinen Kopf, daß er kommt!«
»Ist schon da!« rief ich jetzt laut. »Ihr hättet Eure Wette gewonnen, Sir.«
Für kurze Zeit blieb es still; dann aber ertönte die frohlockende Stimme des Engländers:
»All devils! Das war seine Stimme! Ich kenne sie genau. Seid Ihr da, Master Charley?«
»Ja, und Halef ist bei mir.«
»Heigh-day! Sie sind's; sie sind's! Habe ich es nicht gesagt? Der Kerl kommt, bevor wir es nur denken können. O Himmel, welch eine Wonne! Nun sind wir es, welche Prügel austheilen werden. Aber Master, wo steckt Ihr denn?«
»Hier im Winkel. Ich werde sogleich bei Euch sein.«
Halef konnte zurückbleiben; ich aber ließ den untersten Theil der Leiter über die Mauer hinüber und stieg drüben hinab.
»So, da bin ich! Nun reicht Eure Arme und Beine her, Sir, damit ich die Stricke zerschneide. Dann machen wir uns schleunigst aus dem Staub.«
»O nein! Wir bleiben hier.«
»Wozu?«
»Um diesem Schuft seine eigene Peitsche zu geben, wenn er nachher kommt.«
»Das werden wir freilich thun, aber nicht hier. Die Peitsche ist Neben-, die Freiheit aber Hauptsache. Wir wollen nicht allein diesen Alim haben, sondern auch die Andern. So, steht auf, Mesch'schurs, und kommt mit dahin zur Wand!«
Ich hatte die Fesseln zerschnitten und schob nun beide gegen die Mauer.
»Was ist denn dort? Eine Thüre etwa?« fragte Sir David.
»Nein, aber ein Felsenloch, welches wie ein Schornstein zur Höhe führt und in einen hohlen Baum mündet. Es hängt eine Strickleiter drin, mit deren Hülfe wir hinaufsteigen werden. Aber ich besorge, daß Ihr Euch nicht auf Eure Hände verlassen könnt.«
»Wenn es sich um die Freiheit handelt, so werden sie ihre Schuldigkeit thun. Well! Ich fühle bereits, daß die Circulation des Blutes wieder in ihnen beginnt.«
Beide schlugen die Hände gegen einander, um sie zu beleben. Ich zog mein Laternenfläschchen heraus, ließ Luft hinein und beleuchtete nun die Leiter und die Mauer so, daß sie sich zu orientiren vermochten. Dabei erklärte ich ihnen die Einrichtung des ganzen Apparates.
»Höre schon, höre schon!« sagte der Engländer. »Wird prächtig gehen. Ärgere mich nur, daß Ihr mir nicht Zeit laßt, den Schurken hier zu erwarten.«
»Wir treffen ihn draußen.«
»Wirklich? Gewiß?«
»Ja. Wir steigen zum Meiler hinab, durch den sie Euch in die Höhle gezogen haben. Dort sitzen die Kerle beim Feuer, und wir werden ihnen sehr liebenswürdig Gesellschaft leisten.«
»Very well, very well! Macht nur nun schnell, daß wir zu ihnen kommen! Und nehmt es nicht übel, daß ich jetzt nicht Dank sage; dazu ist es später auch noch Zeit.«
»Natürlich! Steigt voran! Ich folge Euch. Dann mag der Dolmetscher kommen, und Halef macht den Nachtrab.«
»Der? Wo steckt denn dieser wackere Hadschi?«
»Er wartet jenseits der Mauer. Also vorwärts, Sir! Ich halte Euch, falls Eure Hände Euch den Dienst versagen sollten.«
Der Aufstieg begann. Er ging natürlich nicht allzu schnell vor sich, denn es stellte sich heraus, daß die Hände der Beiden allerdings gelitten hatten. Doch gelangten wir glücklich hinaus.
Als ich ihnen dann auch von dem Baum herab geholfen hatte, was wegen der Finsterniß sehr nothwendig war, stieg ich wieder in den Baum und zog die Strickleiter empor. Nachdem ich sie durch das Loch nach außen gelassen hatte, schnitt ich sie innen ab und warf sie hinab. Dann stieg ich nach. Sie wurde zusammengelegt und mitgenommen.
Da der Engländer und der Dolmetscher die Örtlichkeit nicht kannten, mußten wir sie führen. Sobald wir tief genug gekommen waren, daß die Felsenkuppe den Feuerschein verdeckte, wurde die Strickleiter hingelegt und angezündet. Wir warfen dürre Zweige darauf, daß sie ganz vernichtet ward.
Diese Flamme erhellte uns den Weg, und der Abstieg ging leichter von Statten. Die Windungen, welche der Weg machte, waren ziemlich hell bestrahlt, ohne daß das Feuer jenseits des Felsenrisses im Thal gesehen werden konnte.
Unten angekommen, drangen wir möglichst schnell durch die Büsche, denn es lag uns daran, bei unsern Gegnern erscheinen zu können, bevor der Alim wieder in die Höhle kroch. An einer dazu passenden Stelle blieb ich mit den beiden Andern zurück. Halef mußte zu Osco und Omar laufen, um sie und meine Gewehre zu holen.
Während wir warteten, ward kein Wort gesprochen. Erst als die Erwarteten nahe sein mußten, fragte Sir David:
»Was soll nun mit den Schuften geschehen, Master? Eure bekannte Milde läßt mich erwarten, daß Ihr beabsichtigt, sie straflos ausgehen zu lassen.«
»O nein! Ich habe Nachsicht bisher genug geübt. Der Streich, welchen sie Euch gespielt haben, muß bestraft werden. Sie wollten nicht nur Euer Geld, sondern auch Euer Leben.«
»Well! Was werdet Ihr also thun?«
»Zunächst müssen wir uns ihrer Personen bemächtigen; das Weitere wird sich dann finden. Wir sind unser Sechs und haben es mit zwölf Männern zu thun; also kommen zwei von ihnen auf einen von uns, ein Verhältniß, welches ich unter den gegenwärtigen Umständen nicht für ungünstig halte.«
»Ich auch nicht, falls ich eine Waffe hätte.«
»Ihr werdet ein Gewehr bekommen, vielleicht auch mehrere. Der Köhler und seine Leute haben, wie ich sehe, ihre Gewehre nicht bei sich; also werden sich dieselben in der Stube befinden, aus welcher wir sie leicht holen können.«
Wir standen nämlich so, daß wir die ganze Gesellschaft überblicken konnten. Auch die vier Neuangekommenen hatten ihre Flinten nicht bei sich, sondern, wie bereits erwähnt, an die Mauer des Hauses gelehnt. Diese Gewehre hatten wir also nicht zu fürchten, sondern höchstens nur die alten, unzuverlässigen Pistolen, welche Drei von ihnen im Gürtel führten. Der Alim hatte Messer und Pistolen noch nicht wieder an sich genommen.
Jetzt kam Halef mit den beiden Gefährten. Ich beauftragte ihn, durch das Fenster in das Haus zu steigen und uns die Gewehre heraus zu langen, welche er hatte hängen sehen. Zu diesem Zweck schlichen wir uns nach der dem Feuer abgekehrten Giebelseite. Die Fensteröffnung war groß genug, den Hadschi einzulassen. Es waren sieben scharf geladene Flinten, welche er herausgab.
»Herr,« meinte er beim Heraussteigen, »dieser Köhler muß wirklich eine Gewehrniederlage haben. Er hat schon gestern den Aladschy zwei Flinten geben müssen, und das hier sind sieben, für ihn, seine vier Knechte, Suef und den Konakdschi, deren Flinten wir zerbrochen haben. Gestern hingen nicht sieben Stück hier. Es scheint, daß dieser Scharka die ganze Bande des Schut zu bewaffnen hat.«
Die Gewehre wurden untersucht. Sie hatten dasselbe Kaliber wie Osco's und Omar's Flinten. Das war sehr vortheilhaft für Sir David und den Dolmetscher, welche sich also des Kugelvorrathes derselben bedienen konnten. Lindsay hing vier Flinten über und der Dolmetscher drei. Das sah äußerst grimmig aus, war aber nicht sehr gefährlich, da die Gewehre nur einläufig waren.
»Was nun?« fragte Sir David. »Waffen habe ich und nun möchte ich auch schießen.«
»Nur wenn es wirklich nothwendig wird,« sagte ich ihm. »Wir wollen sie nicht tödten.«
»Aber mich wollten sie doch morden! Ich schieße sie nieder und mache mir den Teufel draus. Well!«
»Wollt Ihr ein Mörder werden? Wir geben ihnen die Peitsche. Gestern sah ich Stricke auf dem Wagen liegen, vielleicht sind sie noch dort. Halef, hole sie! Ihr aber, Sir, mögt Euch mit dem Dolmetscher nach rechts hin schleichen. Wir Andern gehen links, so daß wir die Gesellschaft zwischen uns bekommen. Ihr tretet nicht eher zwischen den Büschen hervor, als bis Ihr hört, daß ich es wünsche. Und nehmt Euch in Acht, daß Ihr jetzt nicht bemerkt werdet.«
Sie entfernten sich. Halef schleppte einen ganzen Haufen Stricke herbei und warf sie zu Boden. Jetzt hätten sie uns doch nur gehindert.
Nun schlüpften wir nach der Hinterseite des Hauses und derselben entlang bis an die Ecke. Dort legten wir uns auf den Boden und schoben uns sachte vorwärts, dem Feuer entgegen. Der Schatten der um die Flamme sitzenden Gestalten fiel auf uns, so daß wir gar nicht von dem Erdboden zu unterscheiden waren.
Als wir uns zwischen der Gesellschaft und den an der Wand lehnenden Gewehren befanden, war es Zeit.
»Bleibt hier zunächst stehen,« flüsterte ich den Dreien zu, »und seht darauf, daß Niemand zu den Gewehren kommen kann. Demjenigen, der mir nicht gehorcht, gebt ihr eine Kugel, aber nur in das Knie. Einen solchen Halunken lahm zu schießen, das werden wir wohl auf unser Gewissen nehmen können. Wenn wir nicht gleich ernst auftreten, kann es um uns geschehen sein.«
Wir erhoben uns von der Erde, und ich schritt auf das Feuer zu. Diejenigen, welche mit dem Gesicht nach mir gerichtet saßen, erblickten mich zuerst. Es war der Alim mit seinen drei Begleitern. Er sprang auf und rief erstaunt:
»Allah! Da kommt der Deutsche!«
Er ließ vor Überraschung die Peitsche fallen, welche er in der Hand gehalten hatte. Auch der Köhler sprang empor und starrte mich so erschrocken an, als sähe er ein Gespenst. Die Andern blieben sitzen. Suef und der Konakdschi schienen sich vor Schreck gar nicht bewegen zu können. Alle hatten die Augen nur auf mich gerichtet, weßhalb sie die im Schatten stehenden Drei gar nicht bemerkten.
»Ja, der Deutsche,« antwortete ich. »Habe ich es Dir gestern nicht gesagt, Scharka, daß ich sicher wieder kommen werde, sobald es nöthig sei?«
»Ja, Du hast es gesagt,« antwortete der Köhler. »Aber welche Nothwendigkeit sollte Dich schon heute zurückführen?«
»Ein kleines Geschäft, welches ich mit Deinem Freund, dem Alim, machen will.«
»Mit mir?« fragte der Genannte.
»Ja, mit Dir. Weißt Du nicht, was ich meine?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»So setze Dich, damit ich Dir die Angelegenheit in aller Bequemlichkeit vortragen kann.«
Der Eindruck, welchen mein plötzliches Erscheinen machte, war so groß, daß der Alim sich wirklich sogleich niedersetzte. Ich gab dem Köhler einen kurzen, gebieterischen Wink, und auch er ließ sich nieder. Die Kerle waren eben ganz verblüfft, mich so plötzlich in ihrer Mitte zu sehen.
»Zunächst habe ich Dir zu melden, daß ich mich noch nicht im Karaul befinde,« wendete ich mich an den ›Gelehrten‹. »Du hast Dich also sehr verrechnet.«
»Im Karaul?« fragte er betroffen. »Ich weiß nicht, was Du meinst.«
»So bist Du sehr vergeßlich!«
»Wie so?«
»Du hast ja gesagt, daß ich mich jetzt bereits ganz gewiß im Karaul zu Rugova befände.«
»Herr, ich kenne weder einen Karaul, noch habe ich so Etwas gesagt.«
»So bist Du wohl auch nicht der Meinung, daß ich dort zu Tode gepeitscht werden soll?«
»Nein. Ich begreife Dich ja überhaupt gar nicht.«
»Ja, wenn Du mich überhaupt nicht begreifst, so glaube ich freilich sehr gern, daß Du es für unmöglich hältst, ich vermöge die Spur des Engländers zu finden.«
Er antwortete nicht – die Stimme versagte ihm – er schnappte nach Luft. Darum fuhr ich fort:
»Es weiß freilich außer Dir und dem Schut kein Mensch, wie der Lord in Eure Hand gerathen ist; aber er hat Dir versichert, ich würde ihn dennoch finden. Es war sehr dumm von Dir, das nicht zu glauben. Ein Mann, welcher studirt hat, sollte doch gescheidter sein.«
»Was für einen Engländer meinst Du denn?«
»Den, welchem Du nachher hundert Hiebe geben wolltest.«
Das war ihm doch zu viel. Er schluckte und schluckte und brachte kein Wort hervor.
»Herr,« rief da der Köhler, »welches Recht hast Du, hierher zu kommen und uns Dinge zu sagen, welche kein Mensch verstehen kann?«
Er wollte sich erheben, aber ich drückte ihn nieder und antwortete:
»Beruhige Dich, Scharka! Mit Dir habe ich zunächst nichts zu thun. Dieser Alim wird mir schon selbst zu antworten wissen. Ich suche nämlich den Engländer, welchen er hierher gebracht hat.«
»Aber ich habe ja in meinem ganzen Leben noch keinen Engländer gesehen!« rief der Alim.
»Höre, das ist eine gewaltige Lüge. Du bist ja gestern nur zu dem Zweck hier gewesen, ihm hier bei Scharka Wohnung zu verschaffen.«
»Nein, nein, das ist nicht wahr!«
»Nun, wir werden ja sehen. Ich bin gekommen, das Lösegeld für ihn zu bezahlen.«
»Ah!« stieß er hervor. »Wer hat Dich dazu beauftragt?«
»Ich selbst. Ich allein habe mir die Erlaubniß gegeben, es Dir zu bringen.«
Es war ein geradezu stupider Blick, welchen er auf mir ruhen ließ. Der Köhler war klüger als er. Er errieth, daß ich in feindlicher Absicht gekommen sei, denn er schnellte in die Höhe und rief:
»Lüge, nichts als Lüge! Hier weiß Niemand von einem Engländer Etwas. Wenn Du glaubst, uns beleidigen zu können, so hast Du Dich sehr verrechnet! Du hast schon gestern – –«
»Schweig'!« donnerte ich ihn an. »Dein Verdienst ist es freilich nicht, daß ich jetzt lebendig und gesund vor Dir stehe. Du wolltest uns an dem Teich, welcher an der Felswand liegt, ermorden. Glücklicher Weise aber war ich nicht so albern, wie Du dachtest. Setze Dich nieder!«
»Mann,« schrie er mich an, »wage nicht noch einmal, mich in dieser Weise zu verdächtigen! Es könnte Dir schlecht bekommen.«
»Setze Dich!« wiederholte ich. »Ich dulde nicht, daß man mir hier widerspricht. Wer von Euch sich ohne meine Erlaubniß erhebt, den lasse ich niedersetzen. Also nieder mit Dir, Scharka, augenblicklich, sonst – –«
»Setze mich doch nieder! Hier stehe ich, und hier ist mein Messer! Wenn Du noch – –«
Er kam nicht weiter. Er hatte das Messer aus dem Gürtel gezogen und auf mich gezückt; aber da krachte hinter uns ein Schuß, und er sank mit einem Weheruf zusammen. Die Andern wollten vor Schreck auffahren, aber ich rief:
»Bleibt sitzen, sonst trifft auch Euch die Kugel. Ihr seid umzingelt.«
»Glaubt es nicht!« schrie der Köhler, der auf der Erde saß und sein Bein mit beiden Händen hielt. »Holt die Gewehre! Dort lehnen sie, und im Hause sind noch mehr.«
»Ja, dort lehnen sie. Holt sie Euch doch!«
Bei diesen Worten deutete ich nach der Wand, und Alle sahen dort meine drei Gefährten stehen, welche ihre Flinten angelegt hatten. Der Schuß war aus Halef's Doppelflinte gefallen.
»Drauf, drauf!« gebot der Köhler.
Aber Niemand stand auf. Jeder sah, daß ihn die Kugel treffen würde, wenn er Miene machte, dem Köhler zu gehorchen. Dieser stieß schreckliche Flüche aus. Da erhob ich den Kolben und drohte:
»Schweig'! Noch ein Wort, so schlage ich Dich nieder! Wir haben bereits gestern bewiesen, daß wir uns nicht vor Euch fürchten, und heute sind wir zahlreicher hier.«
»Und wenn Ihr Hundert seid, so fürchte ich mich nicht. Du sollst nicht umsonst auf mich haben schießen lassen. Da – –!«
Er ergriff das Messer, welches ihm entfallen war, und schleuderte es auf mich. Ich sprang zur Seite – es flog an mir vorüber – und im nächsten Augenblick erhielt er meinen Kolbenschlag, der ihn besinnungslos niederstreckte.
Das machte Eindruck. Keiner wagte, eine feindselige Bewegung zu machen. Natürlich behielt ich die Drei, welche Pistolen hatten, ganz besonders im Auge; aber zum Glück fiel es ihnen gar nicht ein, sich dieser Waffen zu bedienen.
»Ihr seht, daß wir nicht scherzen,« sagte ich nun. »Der Alim soll mir Antwort geben. Die Andern haben sich ruhig zu verhalten. Wo befindet sich der Engländer?«
»Es ist keiner hier,« antwortete er.
»Auch in der Höhle nicht?«
»Nein.«
»Da hast Du vollkommen Recht, denn er ist bereits wieder heraus.«
»Be – reits wie – der her – aus?« stotterte er.
»Wenn Du ihn sehen willst, so schau Dich einmal um.«
Ich winkte nach der Stelle, wo ich Lindsay und den Dolmetscher wußte. Beide kamen herbei. Der Alim war steif vor Schreck.
»Glaubst Du jetzt, daß ich seine Spur gefunden habe?« lachte ich. »Kaum hast Du ihn gebracht, so ist er frei. Ihr könnt übrigens sehen, daß diese Beiden sogar die Gewehre haben, welche sich drin in der Stube befanden. Ihr seid ganz in unsern Händen, und wir bitten uns nun noch die Pistolen dieser drei braven Männer aus. Der Dolmetscher mag sie ihnen aus den Gürteln ziehen; sie selbst dürfen ihre Waffen nicht berühren. Und dann mag ein Jeder ihm auch sein Messer abgeben. Wer sich weigert, wird erschossen.«
Ich legte den Stutzen an, und der Engländer zog eines seiner Gewehre an den Backen, obgleich er nicht verstanden hatte, was ich sagte. Das schüchterte die Leute vollends ein. Sie ließen sich ihre Waffen abnehmen, ohne ein Wort der Weigerung zu sagen.
»Halef, die Stricke!«
Es bedurfte nur dreier Sekunden, so hatte der Kleine diesen Befehl ausgeführt.
»Binde den Alim!«
»Herr, was fällt Dir ein!« rief der ›Gelehrte‹. »Mich binden? Das dulde ich nicht!«
»Du wirst es ruhig geschehen lassen, sonst bekommst Du die Kugel in den Kopf. Glaubst Du denn, einen Lord von Altengland schlagen zu dürfen und sodann dafür wie ein Padischah behandelt zu werden? Weißt Du nicht, welch' eine Beleidigung ein Peitschenhieb ist? Ihr werdet sammt und sonders gebunden. Den Andern gebe ich mein Wort, daß ihnen nichts geschehen wird, wenn sie gehorsam sind; Du aber wirst die Peitschenhiebe mit guten Zinsen zurückerhalten.«
Er sträubte sich dennoch gegen Halef's Hände. Da fragte Lindsay den Dolmetscher:
»Was heißt auf Türkisch: ich werde helfen?«
»Jardymdschy 'm,« antwortete der Gefragte.
»Well! Also jardymdschy 'm, mein Bursche!«
Er hob die Peitsche auf, welche der Alim vorhin hatte fallen lassen, und versetzte demselben einige so kräftige Jagdhiebe, daß der Getroffene den Gedanken aufgab, Widerstand zu leisten. Er wurde gebunden und dann kamen auch die Andern an die Reihe. Diese weigerten sich nicht; sie hatten zu großen Respekt vor den auf sie gerichteten Gewehren. Wir befestigten ihnen die Hände so auf den Rücken, daß es ihnen unmöglich war, sich einander von rückwärts die Knoten aufzulösen. Selbstverständlich wurden ihnen auch die Füße zusammengebunden.
Dann untersuchte ich das Bein des Köhlers. Die Wunde war nicht so gefährlich. Halef hatte zwar auf das Knie, aber schlecht gezielt: die Kugel war oberhalb desselben durch das Fleisch gedrungen und dann wohl in den brennenden Holzhaufen gefahren. Ich verband die Wunde, und dann ward er auch gefesselt, wobei er erwachte. Er warf uns grimmige Blicke zu, sagte aber kein Wort.
Nun winkte ich die Gefährten beiseite. Die Gefangenen brauchten nicht zu hören, was zwischen uns gesprochen wurde.
»Hört, Master, Ihr habt eine große Dummheit begangen,« sagte der Lord zu mir.
»Wohl die, daß ich diesen Leuten versprach, es solle ihnen nichts geschehen?«
»Natürlich – yes!«
»Ich halte dies für keine Dummheit.«
»Für was sonst? Wohl gar für eine außerordentliche Pfiffigkeit?«
»Nein, sondern nur für das, was mir die Menschlichkeit gebot.«
»Geht mir fort mit Eurer Menschlichkeit! Diese Schufte haben Euch und uns nach dem Leben getrachtet. Ist das wahr oder nicht?«
»Allerdings.«
»Yes! Nun, so sehe ich nicht ein, warum wir ihnen nicht auch ein wenig nach ihrem Leben trachten sollen! Oder kennt Ihr nicht das Gesetz, nach welchem hier gehandelt wird?«
»Ich kenne es ebenso genau wie Ihr; aber wenn diese halb wilden Menschen nach demselben handeln, so ist es keineswegs nöthig, daß auch wir es uns zur Richtschnur unseres Verhaltens dienen lassen. Ihr habt räuberische Skipetaren gegen Euch gehabt, sie aber haben es mit einem Gentleman zu thun, welcher ein Christ und nebenbei ein Lord in Altengland ist. Würde es gentlemanlik von ihm sein, wenn er nach den Grundsätzen dieser Räuber handelte?«
»Hm!« brummte er.
»Übrigens haben sie weder Euch noch uns getödtet. Wir Alle sind mit heiler Haut davongekommen. Die Ermordung dieser Leute würde also keineswegs durch das Gesetz der Wiedervergeltung zu entschuldigen sein.«
»Gut, so tödten wir sie nicht, aber wir prügeln sie weidlich!«
»Verträgt sich diese Prügelei en masse mit der Würde eines Sir David Lindsay?«
Ich kannte die Stelle, an welcher er angefaßt werden mußte. Der Erfolg ließ auch nicht auf sich warten. Er rieb sich nachdenklich seine blau angelaufene Nase und fragte dann:
»Ihr meint also, daß ein solches Prügelfest und ein Englishman nicht gut zusammenpassen?«
»Ja, das ist meine Meinung. Ich habe eine zu große Achtung für Eure Person und Eure Nationalität, als daß ich annehmen möchte, eine so ordinäre Rache verursache Euch ein großes Vergnügen. Der Löwe bekümmert sich gar nicht um die Maus, die ihn an der Mähne zerrt.«
»Löwe – Maus – sehr gut! Ausgezeichneter Vergleich. Well! Lassen wir also diese Mäuse in Ruh'! Als Löwe will ich großmüthig sein. Aber diesen Kerl, den Ihr Alim nennt, betrachte ich nicht als Maus. Er hat mich geschlagen.«
»Da sind wir einig. Er und der Köhler sind die Leiter der Andern. Beide haben jedenfalls mehr als ein Menschenleben auf dem Gewissen. Sie dürfen nicht leer ausgehen. Was den Köhler betrifft, so wurde er durch Halef's Kugel bestraft. Der Andere mag die Peitsche schmecken, fünfzig wohlgezählte Hiebe auf den Rücken, keinen einzigen weniger.«
»Aber, Master, hundert sollte ich bekommen!«
»Fünfzig ist genug. Er wird seiner Lebtage an sie denken.«
»Einverstanden! Aber was geschieht nachher?«
»Wir schließen sie Alle in die Höhle ein.«
»Sehr gut! Sie werden in ihre eigene Grube gestürzt. Aber sie werden drin verschmachten, und Ihr wollt sie doch nicht tödten!«
»Ich werde dafür sorgen, daß sie zur rechten Zeit befreit werden. Wenn sie zwei oder drei Tage lang die Gespenster des Verhungerns und Verdurstens vor sich haben, so ist das eine Strafe, wie wir eine größere ihnen gar nicht diktiren können. Wir werden sicher einen Menschen finden, der ihnen verbündet ist und die Höhle kennt. Den schicken wir her, um sie aus derselben zu befreien. Sie können uns dann nichts mehr schaden, denn wir sind längst aus dieser Gegend fort.«
»Wo wollt Ihr denn hin?«
»Nach Rugova zunächst.«
»Prächtig! Ich würde mit Euch anderswohin auch gar nicht gehen. Habe mit diesem verteufelten Kara Nirwan ein ernstes Wort zu sprechen.«
»Ich auch; doch davon später! Kennt Ihr ihn vielleicht persönlich?«
»Ja, und zwar besser, als mir lieb ist.«
»Also sind wir einverstanden in Beziehung auf die Bestrafung unserer Gefangenen?«
»Yes! Vorausgesetzt, daß dieser Alim seine Fünfzig bekommt.«
»Die soll er haben.«
Der Dolmetscher, welcher unser in englischer Sprache geführtes Gespräch verstanden hatte, bemerkte beistimmend:
»Auch ich wäre nicht dafür, diese Leute zu tödten. Die Todesangst, welche sie in der Höhle ausstehen werden, ist Strafe genug. Aber es fragt sich, ob diese Strafe überhaupt auch vollzogen werden wird. Es ist leicht möglich, daß sehr bald Einer kommt, der als Anhänger des Schut die Höhle kennt. Wenn er Niemand hier in dem Thale findet, wird er nach der Höhle sehen und die Leute befreien.«
»Wollen oder können wir das hindern?«
»Nein; aber dann werden sie sofort aufbrechen, um wie eine gierige Meute hinter uns her zu sein.«
»Das können wir ihnen erschweren, indem wir ihre Pferde mitnehmen. Daran habe ich bereits gedacht. Nach Rugova zu laufen, erfordert eine so lange Zeit, daß wir bei ihrer Ankunft dort jedenfalls schon fort wären. Hoffentlich finden wir den kürzesten Weg von hier dorthin.«
»Ich war noch niemals in diesem Thal,« erwiederte der Dolmetscher, »und ich glaube nicht, daß wir im Stande sind, den Weg durch Wald und Wildniß zu finden, auf welchem wir hierher gebracht wurden. Ich weiß aber, daß wir, wenn wir zunächst nach Kolutschin reiten, von dort aus offene Straße haben. Schlagen wir diese Richtung ein, so kommen wir wohl ebenso schnell hin, als wenn wir uns über weglose Berge und durch halsbrecherische Thäler und Schluchten würgen müssen.«
»Das ist auch meine Meinung. Ich wäre auf alle Fälle zuerst nach Kolutschin geritten. Der Weg dorthin wird wohl zu finden sein; er ist, wie der Köhler uns mittheilte, durch Wagengeleise bezeichnet. Jetzt aber wollen wir das zunächst Nothwendigste thun – die Kerle in die Höhle schaffen, nachdem der Alim vor ihren Augen seine Züchtigung erhalten hat.«
Ich theilte den Andern, welche nicht Englisch verstanden, unsern Entschluß mit. Sie billigten ihn. Der Hadschi, welcher sonst so gern nach der Peitsche griff, erklärte auf meine Frage, daß er kein Henkersknecht sei, sondern nur dann und wann einmal zuschlage, wenn es gelte, sich Achtung zu verschaffen. Darum wurde ausgemacht, daß einer der Köhlerknechte die Execution übernehmen sollte.
Wir suchten den Robustesten von ihnen aus. Er bekam mitgetheilt, was wir von ihm verlangten, und daß er sein Leben riskire, wenn er die Peitsche nicht kräftig genug führe. nun wurde er von den Stricken befreit und mußte mit Osco's Hülfe einen starken Klotz herbei rollen, welcher an der hinteren Wand des Hauses lag. Auf diesen Klotz ward der Alim gebunden.
Dieser Pseudo-Gelehrte versuchte, durch Bitten die Strafe von sich abzuwenden; allerdings vergeblich.
»Herr,« rief er zuletzt in heller Angst mir zu, »warum willst Du so grausam sein? Du weißt ja, daß wir Geologen sind, denn ich habe den Bau der Erde studirt! Willst Du wirklich Deinen Kollegen schlagen lassen?«
»Hast Du nicht gesagt, daß ich, Dein Kollege, zu Tode gepeitscht werden solle? Berufe Dich nur ja nicht auf Dein Studium! Es hat Dich so weit geführt, daß jetzt die Peitsche Deine Kollegin ist und den Bau Deines Körpers sehr eingehend studiren wird.«
Der Köhlerknecht erhielt die Peitsche. Halef stellte sich mit der Pistole neben ihn und drohte, ihn sofort zu erschießen, wenn ein Hieb zu schwach ausfalle. Die Exekution begann.
Während derselben begab ich mich zum Meiler und entkleidete ihn mit Hülfe meines Czakans seines Erdmantels. Er sollte nicht mehr als Maskierung des Höhleneinganges dienen. Dann schlug ich die Holzknüppel aus einander, aus welchen er bestand. Dabei arbeitete ich möglichst geräuschvoll, um das Geschrei des Alim nicht zu hören. Die Hölzer flogen nach links und rechts, bis ich mich dem Felsen näherte, an welchen der untere Theil des Meilers stieß. Dort traf der Czakan auf Gestein.
Ich untersuchte die Stelle und gewahrte eine aus Luftziegeln errichtete Nische. Sie hatte die Form eines auf's Hohe gestellten Kastens, dessen offene Seite von einigen Brettern und von dem Erdmantel bedeckt war. Als ich diese Decke entfernt hatte, gewahrte ich – – eine ganze Sammlung von Flinten, Pistolen, Czakans und Messern. Also das war die Waffenniederlage, deren Vorhandensein wir geahnt hatten! Hätte der Meiler einmal in Brand gesteckt werden sollen, so wäre der Inhalt dieses Versteckes vorher sehr leicht zu entfernen gewesen. Die Ziegel waren scharf angekohlt, ein Zeichen, daß der Meiler schon oft angezündet worden war, was nach dem, was ich gehört hatte, stets die Erstickung eines oder mehrerer in der Höhle befindlichen Menschen zur Folge gehabt hatte.
Jetzt kamen mir die Fünfzig, welche der Alim soeben erhalten hatte, viel weniger hart vor, als vorher.
Dem Köhler war es anzusehen, wie sehr ihn die Entdeckung seines Geheimnisses ärgerte. Der Lord und der Dolmetscher, Halef, Osco und Omar versahen sich schleunigst mit Czakans. Die beiden Ersteren suchten sich die besten Flinten heraus, von denen über ein Dutzend vorhanden waren. Jeder steckte noch eine oder mehrere Pistolen zu sich. Das Übrige wurde zu dem Holz geworfen.
Jetzt band ich dem Köhlerknecht die Hände wieder auf den Rücken, zog ihn beiseite und fragte ihn:
»Nicht wahr, Dein Herr hat Pferde?«
»Nein,« antwortete er.
»Höre, ich habe sie gestern gesehen, als Ihr in das Thal rittet, in welchem wir überfallen werden sollten. Wenn Du mir nicht die Wahrheit sagst, so lasse ich Dir ebenso wie dem Alim fünfzig auf den Rücken geben.«
Das wirkte.
»Herr,« sagte er,»Du wirst es nicht verrathen, wenn ich es Dir mittheile?«
»Nein.«
»Schläge mag ich doch nicht haben. Der Köhler hat vier Pferde, von denen das eine ein ausgezeichneter Renner ist.«
»So ist Scharka nicht arm?«
»O nein! Auch sein Schwager Junak ist wohlhabend, ohne daß sie sich's merken lassen. Sie haben sehr viel Geld versteckt.«
»Ja, das verrathen sie nicht. Wenn ich es wüßte, so hätte ich mich längst mit diesem Geld davon gemacht.«
»Es sind so viele Waffen vorhanden; da muß Scharka doch auch Munition besitzen?«
»In der Stube unter dem Lager wirst Du Alles finden: Pulver, Blei, Zündhütchen und auch Feuersteine für solche Gewehre, welche Steinschlösser haben.«
»Kennst Du den Alim genauer?«
»Nein.«
»Ein Gelehrter ist er nicht, obgleich er sich mir gegenüber für einen solchen ausgegeben hat. Welchen Standes ist er denn eigentlich?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber Kara Nirwan ist Dir bekannt?«
Er antwortete erst auf eine wiederholte Drohung:
»Ja, ich kenne ihn, denn er ist oft hier.«
»Wo liegt sein Khan? Im Ort Rugova selbst?«
»Nein, sondern vor der Stadt.«
»Und der Karaul, den er als Versteck benutzt?«
»In dem Wald, durch welchen früher der Weg ging, welcher die Grenze des Miriditengebietes bildete. Längs dieser Grenze waren zum Schutz derselben zahlreiche Karauls angebracht, von denen nur dieser eine noch vorhanden zu sein scheint.«
»Hast Du diesen alten Wachtthurm einmal gesehen?«
»Nein.«
»Auch nichts über seinen Bau und seine Einrichtung gehört?«
»Niemals. Der Schut hält das sehr geheim.«
»Aber der Alim wird es wissen?«
»Ich glaube, er ist ein Vertrauter des Schut.«
»Gut! Du wirst mir jetzt die Pferde des Köhlers zeigen. Versuche aber ja nicht, mir zu entspringen! Sieh, diese beiden Revolver haben zwölf Schüsse. Ich nehme beide in die Hände, und Du gehst nicht weiter, als einen Schritt vor mir her. Bei der ersten hastigen Bewegung, welche Du machst, schieße ich Dich nieder. Vorwärts!«
Er ging voran, hinter das Haus, und bog von da rechtwinkelig rechts ab, nach einer Richtung, in welche ich noch nicht gekommen war. Ein ziemlich ausgetretener Weg, den ich noch gar nicht bemerkt hatte, führte in die Büsche, zwischen denen wir kaum zwanzig Schritte gemacht hatten, als wir vor einem breiten, etwas über mannshohen und dunklen Gegenstand standen.
»Da drin sind sie,« sagte er.
»Was ist das? Ein Gebäude?«
»Ein Stall, aus Stangen und Lehm errichtet.«
»Er reicht nur für vier Pferde aus. Wo sind die anderen Thiere?«
»Auf der anderen Seite, rückwärts vom Feuer.«
»Wo gestern die Pferde der Aladschy standen?«
»Ja.«
»So weiß ich genug. Komm zurück!«
Er zögerte.
»Herr,« sagte er, »Du siehst, daß ich Dir gehorsam gewesen bin. Nun thue mir auch den Gefallen, mir zu sagen, ob wir getödtet werden.«
»Ihr bleibt am Leben. Ich habe gesagt, daß Euch nichts geschehen soll, und ich halte mein Wort. Aber ein wenig einsperren werden wir Euch.«
»Wohin?«
»In die Höhle.«
»Weiter geschieht uns wirklich nichts?«
»Nein.«
»So habe Dank! Wir konnten viel, viel Schlimmeres erwarten.«
Das Einsperren schien ihn nicht zu erschrecken. Ich errieth seine Gedanken; darum sagte ich:
»Wir meinen es mit Euch nicht so gnädig, wie Du denkst. Es wird Euch nicht gelingen, Euch selbst zu befreien.«
Er schwieg.
»Die Leiter ist nicht mehr da,« fuhr ich fort.
»Die Leiter? Wie? Wirklich?« fragte er schnell und bestürzt. »Kennst Du sie denn?«
»Ja, ich war bereits gestern in der Höhle. Wir stiegen durch die Eiche ein und wollten den Ort kennen lernen, aus welchen wir den Engländer heute zu befreien beabsichtigten.«
»Allah!« rief er erstaunt.
»Wir befanden uns auch heute schon in der Höhle, als der Alim kam, um mit dem Inglis drin zu reden. Das magst Du den Andern erzählen, damit sie einsehen, wie wenig Hirn sie im Kopf haben.«
»Aber, Herr, so können wir doch nicht wieder aus der Höhle heraus!« sagte er ängstlich.
»Das sollt Ihr auch nicht.«
»So sollen wir drin elend umkommen?«
»Es ist kein Schade um Euch.«
»Du hast uns aber doch versprochen, daß uns nichts geschehen soll!«
»Ja, und ich halte Wort. Wir selbst thun Euch gar nichts. Ihr selbst habt der Höhle ihre grausige Einrichtung gegeben. Der Tod hat bisher in ihr gewohnt, und nun tragt also Ihr selbst die Schuld, wenn Ihr ihm in die Arme fallt.«
»Herr, das darfst Du nicht thun. Wir müssen ja auf's Jämmerlichste verschmachten!«
»Viele, viele Andere sind ebenso jämmerlich erstickt. Wir krümmen Euch kein Haar; aber wir bringen Euch an den Ort, an welchem sich Eure Opfer befanden. Was dann geschieht, geht uns nichts an.«
»Werdet Ihr dann den Stein vorschieben?«
»Natürlich.«
»O Allah! So ist keine Rettung möglich. Dieser Stein ist von innen nicht zu entfernen, nicht durch eine Axt, nicht durch ein Messer. Und wir haben nicht einmal ein Werkzeug, sondern werden sogar an Händen und Füßen gebunden sein. Willst Du denn nicht wenigstens Gnade an mir ausüben?«
»Verdienst Du sie?«
»Du hast doch gesehen, daß ich Dir gehorsam bin.«
»Aus Angst vor meiner Kugel.«
»Auch aus Reue über meine Thaten.«
»Das glaube ich nicht. Ich will mir aber überlegen, ob ich mit Dir eine Ausnahme mache. Kehren wir jetzt zurück!«
Er gehorchte dieser Aufforderung. Als wir wieder beim Feuer waren und ihm die Füße abermals gebunden wurden, flüsterte er mir noch einmal zu:
»Wirst Du eine Ausnahme mit mir machen?«
»Nein, ich habe es mir überlegt.«
Da rief er laut und grimmig:
»So hole Dich der Scheïtan und versenke Dich in die tiefste Verdammniß der Hölle! Du bist der bissigste und räudigste unter allen Hunden der Erde. Möge Dein Ende tausendmal elender und qualvoller sein, als das unserige!«
Das hatte ich erwartet. Sein augenblicklicher Gehorsam und seine Versicherung der Reue konnten mich nicht täuschen. Er war der kräftigste und auch der roheste und gefühlloseste unter den Köhlerknechten. Das hatte ich ihm gleich angesehen.
Natürlich war ich nur in der Absicht gegen ihn so mittheilsam gewesen, daß er Alles, was er von mir erfahren hatte, den Andern wieder sage. Sie sollten nur für eine Zeit lang in der Höhle stecken, aber während dieser Zeit erfahren, was Todesangst zu bedeuten hat. Übrigens erhielt er von Halef einige Peitschenhiebe für die gegen mich ausgesprochenen Segenswünsche. Er schien sie gar nicht zu fühlen, denn er war eifrig beschäftigt, seinen Genossen in zornigen Worten mitzutheilen, welches Schicksal ihrer warte. Als sie das vernahmen, erhoben sie ein lautes Geschrei und bäumten sich unter den Fesseln auf. Nur der Köhler lag ruhig und schrie über ihre Stimmen hinweg:
»Seid still! Durch Euer Brüllen macht Ihr es nicht anders. Wir dürfen diesen Hunden, die uns tödten wollen, gar nicht den Gefallen thun, ihnen Angst zu zeigen. Und müssen wir denn Angst haben? Nein, sage ich Euch, und hundertmal nein. Ein Christenhund ist es, der uns verderben will; darum wird Allah hernieder steigen, um uns zu retten. Dieser Giaur soll nicht über uns triumphiren!«
»Ich weiß, was Du meinst,« antwortete der Knecht. »Allah kann nicht zu uns in die Höhle steigen, denn die Leiter ist fort. Dieser Fremde ist durch die Eiche gekrochen und hat die Leiter weggenommen.«
Eine minutenlange Stille des Schreckens trat ein. Dann fragte der Köhler, indem man es ihm anhörte, daß die Angst ihm fast den Athem raubte:
»Ist das wahr? Ist das wahr?«
»Jawohl, jawohl! Er hat es mir selbst gesagt.«
»Wie hat er das Geheimniß erfahren?«
»Der Teufel, welcher sein Bruder und Verbündeter ist, muß es ihm gesagt haben.«
»So ist es vorbei mit uns, so müssen wir verhungern und verschmachten!«
Jetzt hatte ihn seine Ruhe ganz und gar verlassen. Er zerrte an seinen Banden und schrie mit heiserer Stimme:
»O Allah, laß Feuer vom Himmel fallen und diese Fremden verzehren! Laß Wasser aus der Erde steigen und sie ersäufen! Laß Gift aus den Wolken regnen, damit sie verderben, wie das Gewürm, welches ausgerottet wird!«
Die Andern stimmten in diese Verwünschungen ein, welche uns bewiesen, daß wir das richtige Mittel ergriffen hatten, sie die Folter der Todesangst kosten zu lassen. Der Lärm, den sie verursachten, war so bedeutend, daß wir uns beeilten, sie in die Höhle zu schaffen, was wegen der Enge des Loches nur einzeln geschehen konnte.
Drinnen wurden sie neben einander gereiht. Dann krochen wir heraus und befestigten den Stein mit der Kette. Ihr Angstgeheul dauerte fort, war aber nun von außen nicht mehr zu vernehmen.
Jetzt machten wir uns an die Arbeit, die Hölzer, aus denen der Meiler bestanden hatte, zum Feuer zu schaffen, so daß das Loch des Einganges frei wurde. Selbst der Lord half dabei. Es war ihm überhaupt ein Vergnügen, bei solchen Gelegenheiten auf die Würde seines Standes zu verzichten. Die Knüppel bildeten ein sehr willkommenes Material, um des Nachts hindurch die Flamme zu unterhalten.
Während dieser Arbeit nahm mich der Hadschi beim Arm, schnitt ein pfiffiges Gesicht und sagte:
»Sihdi, es ist mir soeben ein sehr guter, ein ausgezeichneter Gedanke gekommen.«
»So? Gewöhnlich taugen grad Deine allerbesten Einfälle gar nicht viel.«
»Dieser aber ist tausend Piaster werth!«
»Ich gebe sie Dir gewiß nicht dafür.«
»Du wirst Dich dennoch freuen, wenn Du ihn hörst.«
»So sprich!«
»Sage mir vorher, ob Du vielleicht Mitleid mit den Menschen hast, welche da drinnen stecken.«
Er deutete nach der Höhle.
»Nein, gar nicht.«
»Die Strafe, welche wir ihnen zugesprochen haben, ist – mit ihren Verbrechen verglichen – gar keine Strafe zu nennen. morgen oder übermorgen sind sie wieder frei, und dann wird Alles schnell vergessen sein. Wäre es nicht gut, ihre Angst ein wenig zu erhöhen, damit sie länger daran denken müssen?«
»Ich hätte gar nichts dagegen. Wie wolltest Du das anfangen?«
»Wir müssen in ihnen den Glauben erwecken, daß sie desselben Todes sterben sollen, welchem sie ihre Opfer weihten.«
»Ersticken also?«
»Ja. Wir zünden ein Feuer an.«
»Vor der Höhle?«
»Natürlich! Und öffnen das Loch, damit der Rauch hinein kann.«
»Da ersticken sie doch wirklich!«
»O nein! Das Feuer darf nur ein Feuerchen sein, und da es im Freien brennt, wird der größte Theil des Rauches in die Luft ziehen. Der Meiler war so eingerichtet, daß er einen Luftzug nach innen verursachte, was bei unserem Feuerchen nicht der Fall ist. Sie brauchen nur zu bemerken, daß wir die Höhle öffnen; sie brauchen dann den Rauch nur zu riechen, ohne daß er in Masse zu ihnen hinein dringt, so werden sie eine Angst bekommen, die ganz unbeschreiblich ist. Nicht, Sihdi?«
»Ich glaube auch.«
»So sage, ob ich darf.«
»Gut, thue es. Es kann ihren Seelen nur nützlich sein, wenn wir sie so erregen, daß dieser Tag vielleicht ein Wendepunkt ihres Lebens wird.«
Der Hadschi machte die Kette los und schob den Stein in die Höhle zurück, aber so, daß er an der Kette von außen noch zu fassen war. Dann schichtete er einen kleinen Haufen Holz vor dem Loch auf und steckte denselben mit Hülfe eines herbeigeholten brennenden Astes in Brand. Nun kniete er nieder und blies den sich entwickelnden Rauch mit solchem Eifer in das Loch hinein, daß ihm die Thränen in die Augen traten.
»Laß das sein, Halef!« lachte ich. »Du erstickst ja selbst.«
»O nein! Laß mir nur das Vergnügen. Die Wichte werden jetzt eine Angst bekommen, als ob sie in der glühenden Pfanne lägen, in welcher der Scheïtan seine ganz besonderen Lieblinge bratet.«
Während er nun mit solcher Hingebung bei seinem Feuerchen beschäftigt war, nahmen wir Anderen einen Brand und gingen in das Haus. Dort fanden wir einen Haufen Kienspäne und auch einige Talglichter, also Material genug, um die Stube zu erleuchten.
Dann wurde das Lager untersucht. Wir warfen die Bestandtheile desselben zur Seite und kamen auf eine alte, zusammengenagelte Bretterthüre. Als diese entfernt war, gähnte uns ein ziemlich tiefes, viereckiges Loch entgegen, dessen Inhalt wir heraus nahmen. Er bestand aus mehreren großen Stücken Blei, einigen blechernen Cartons, mit Zündhütchen gefüllt, einem Haufen Feuersteine und einem Fäßchen Pulver. Letzteres war angebohrt, das Loch aber mit einem Läppchen wieder verstopft worden.
Ich kniete bei dem Fäßchen nieder, um den Lappen herauszuziehen und die Qualität des Pulvers zu untersuchen. Dabei stieß ich an eines der Bleistücke, so daß es in die Grube zurückfiel. Das gab einen Ton, welcher mich aufhorchen ließ. Er hatte so hohl geklungen.
»Sollte sich unter diesem Loch ein zweites befinden?« fragte ich. »Horcht einmal! Klingt das nicht hohl?«
Ich warf ein zweites Stück hinab – es gab denselben Klang.
»Yes!« sagte der Lord. »Das ist ein falscher Boden. Wollen doch einmal versuchen, ob er zu entfernen ist.«
Wir verstopften das Fäßchen einstweilen wieder und rollten es fort, damit es nicht etwa mit einem von dem Kienspan fallenden Funken in Berührung käme. Dann legten wir uns - so viele Platz hatten – auf den Bauch rund um das vielleicht drei Fuß tiefe Loch und scharrten mit den Messern den Boden auf, welcher aus festem Erdreich zu bestehen schien. Die losgekratzte Erde wurde mit den Händen herausgeworfen.
Bald konnten wir mit den Armen nicht weit genug reichen. Halef wurde herbei geholt. Da er der Kleinste und Schmächtigste von uns war, sollte er sich in die Grube kauern und weiter graben. Er stieg hinein und scharrte emsig drauf los.
»Bin neugierig, was für einen Fowling-bull er zum Vorschein bringen wird,« lachte der Lord.
Der Gedanke, daß er früher den leidenschaftlichen Wunsch besessen hatte, in den Ruinen Ninive's einen geflügelten Stier zu finden, verursachte ihm heute noch Spaß.
Plötzlich hörte Halef auf. Der Klang, welchen das Messer verursachte, war ein anderer geworden.
»Die Erde hört auf,« meldete der Kleine. »Ich bin auf Holz gestoßen.«
»Mach' weiter!« bat ich. »Versuche, das Holz von der Erde bloß zu legen!«
»Es sind armdicke Querstangen, Sihdi, unter ihnen ist ein hohler Raum.«
Noch eine kurze Zeit warf er Erde empor; dann aber brachte er zwei buchene Hölzer zum Vorschein.
»Es liegen ihrer wohl mehr als zwanzig neben einander,« sagte er. »Ich werde bald sehen, was sich darunter befindet.«
Er hob noch mehrere Hölzer aus, bis nur so viele unten blieben, als er brauchte, um auf denselben knien zu können. Dann langte er in das dadurch entstandene Loch hinab. Der Gegenstand, welcher ihm in die Hände kam, hatte einen solchen Umfang, daß er ihn nicht durch die Öffnung herauf zu bringen vermochte.
»Es ist Leder,« erklärte er, »aber mit Stricken umbunden und ziemlich schwer.«
»So will ich Dir meinen Lasso hinabreichen,« antwortete ich. »Ziehe es unter den Stricken hindurch und entferne hierauf die übrigen Stäbe. Dann werden wir das Ding mit Hülfe des Lasso heraufbekommen.«
Er gehorchte dieser Weisung und kam dann aus der Grube heraus. Wir zogen den Gegenstand am Lasso empor. Er steckte in einem fest zugebundenen und mit Stricken sehr fürsorglich umwundenen Ledersack, in dessen Innern ein metallisches Klingen und Klirren ertönte. Als wir die Stricke abgelöst und den mit einem Riemen zugebundenen Sack geöffnet hatten, zogen wir den Inhalt heraus. Alle Anwesenden, ich nicht ausgenommen, stießen einen Ruf der Verwunderung aus, denn wir sahen eine ganze, kostbare, altskipetarische Waffenrüstung vor uns liegen.
Sie bestand zunächst aus einem silbernen oder wahrscheinlich nur versilberten Kettenpanzer, dessen Glieder auf das Kunstvollste in einander geschlungen waren. Der Verfertiger dieses Panzers war jedenfalls ein Meister seines Faches gewesen, und es hatten wohl viele, viele Monate dazu gehört, dieses Prachtstück anzufertigen. Derjenige, für welchen der Panzer bestimmt gewesen, hatte eine kleine Statur gehabt, vielleicht wie diejenige meines Halef.
Sodann fanden sich zwei Pistolen mit Steinschlössern, reich mit Gold ausgelegt, und ein langer, breiter, zweischneidiger Dolch vor, dessen Griff von Rosenholz ebenfalls mit Gold ausgelegt war und am Knauf eine große, bläulich schimmernde Perle trug.
Das letzte Stück war ein krummer Türkensäbel, welcher in einer sehr einfachen Lederscheide steckte, deren Lacküberzug sich abgegriffen hatte. Er ging von Hand zu Hand, ohne daß Einer ein Wort dazu gesagt hätte. Halef reichte mir ihn zuletzt hin und meinte:
»Schau auch Du ihn an, Sihdi! Er paßt nicht zu den andern Gegenständen.«
Der Griff war so schmutzig, daß man gar nicht erkennen konnte, woraus er bestand; fast schien es, als ob er absichtlich so beschmutzt worden sei. Aber die lippenartig gebogene stählerne Parirstange glänzte hell im Schein der brennenden Späne. Ich war Waffenkenner genug, sofort zu sehen, daß sie eine fein gravirte arabische Inschrift trug. Sie war sehr leicht zu lesen und lautete: ›Ismi ess ssa'ika – ich bin der einschlagende Blitz‹.
Das war mir genug, um zu vermuthen, daß ich eine sehr werthvolle Waffe in der Hand hatte. Mit Hülfe des alten, an der Mauer hängenden Kaftans, in dessen Tasche der Hadschi die Schnecken gesteckt hatte, reinigte ich den Griff von dem ihm anhaftenden Schmutz und sah nun, daß er aus Elfenbein bestand, in welches die erste Sure des Kuran schwarz eingebeizt war. Der Knauf war mit zwei goldenen Halbmonden geziert, welche sich kreuzten. Zwischen den so gebildeten vier Halbsicheln standen arabische Buchstaben, nämlich im ersten Zwischenraum ein Dschim, im zweiten ein Sad, im dritten wieder ein Dschim, und im vierten sah ich ein Cha, ein Mim und ein Dal. Diese Buchstaben kannte ich ganz genau; sie bedeuteten den Namen des Waffenschmiedes, den Ort und das Jahr der Anfertigung. Die Buchstaben der drei ersten Zwischenräume waren zu ergänzen und zu lesen:
›Ibn Dschordschani (Name) ess ssaikal (Waffenschmied) esch scham‹ (in Damaskus).
Der vierte Zwischenraum enthielt die Jahreszahl. Ein Cha bedeutet 600, ein Mim 40 und ein Dal 4, also war der Säbel im Jahre 644 der Hedschra, welche in das Jahr 622 nach Christi Geburt fiel, geschmiedet worden.
Nun zog ich die Klinge aus der Scheide. Sie war mit einer schmutzigen Mischung von Öl und pulverisirter Holzkohle eingeschmiert. Als ich dies abgewischt hatte, machte sie ihrem Namen Ehre; sie glänzte wie der Blitz.
Bei näherer Betrachtung war gar nicht zu verkennen, daß es eine ächte Klinge sei, aus indischem Stahl aus Golkonda geschmiedet und dann in der Hitze eines Kameeldüngerfeuers ausgeglüht. Sie zeigte auf der einen Seite die deutliche Inschrift ›Dihr bahlak – nimm Dich in Acht!‹ und auf der andern Seite ›Iskihni dem – gib mir Blut zu trinken!‹ Sie besaß eine solche Elasticität, daß ich sie beinahe um meinen Oberschenkel biegen konnte.
»Nun, Halef,« fragte ich den Hadschi, »paßt diese Klinge wirklich nicht zu den andern Gegenständen?«
»Wer hätte das gedacht!« antwortete er. »Sie ist ganz gewiß ächt.«
»Natürlich. Sie besitzt einen viel größern Werth als alles Andere, was neben ihr die Grube enthält. Und sie widerlegt die irrige Meinung, daß solche ächte Klingen nicht in Damask, sondern nur in Metsched, Herat, Kerman, Schiras, Ispahan und Khorassan gefertigt worden seien. Ich werde Euch jetzt einmal zeigen, wie man einen solchen Stahl probirt.«
Es lag ein kurzer Holzklotz da, welcher als Schemel gedient zu haben schien. Auf diesen legte ich einen harten, doppelt faustgroßen Stein, um ihn mit dem Säbel zu zerschneiden. Das Experiment gelang beim ersten Hieb, und die Schneide der Klinge zeigte nicht die geringste Scharte.
»Alle Wetter, sie ist ächt!« rief der Lord. »Da haben wir einen kostbaren Fund gemacht. Ich kaufe Euch den Säbel ab. Wie viel wollt Ihr haben?«
»Nichts.«
»Wie? Nichts? Ihr werdet ihn mir doch nicht umsonst gehen!«
»Nein. Ich kann ihn weder verkaufen, noch verschenken, denn er gehört nicht uns.«
»Aber Ihr kennt den Eigenthümer nicht!«
»So müssen wir suchen, ihn zu erfahren.«
»Und wenn das unmöglich ist?«
»So geben wir diese Sachen an die Behörde ab. Die Rüstung ist höchst wahrscheinlich gestohlen worden – ihr rechtmäßiger Eigenthümer muß sie wieder erhalten, Sir. Ich hoffe nicht, daß Ihr anderer Meinung seid.«
»Natürlich bin ich anderer Meinung, ganz anderer! Wollt Ihr Monate lang hier bleiben, um das ganze Land nach demjenigen zu durchsuchen, welchem diese Rüstung gehört hat? Oder denkt Ihr etwa, wenn Ihr sie einem Beamten übergebt, derselbe werde sich Mühe geben, diesen Mann zu entdecken? Da irrt Ihr Euch gewaltig! Man kennt ja die hiesigen Verhältnisse. Dieser Beamte würde Euch wegen Eurer Gutmüthigkeit heimlich auslachen und die Sachen für sich behalten.«
»Das befürchte ich nicht. Wenn ich von der Behörde sprach, so meinte ich keineswegs einen türkischen Wali und seine Untergebenen. Diese Leute haben hier in den Bergen nicht die geringste Macht. Die Bergbewohner sind in Stämme getheilt, welche ganz unabhängig sind – sowohl von einander als auch von der türkischen Herrschaft. An der Spitze eines jeden Stammes steht ein Barjactar, welcher mit Hülfe einiger Dschobars und Dovrans den Stamm regiert. Alle an einer Privatperson begangenen Verbrechen werden nicht von dem Staat, sondern von dem Beschädigten und dessen Familiengliedern bestraft, weßhalb ja hier die Blutrache noch heute in vollster Blüthe steht. Übergebe ich einem solchen Barjactar die Rüstung, so bin ich sicher, daß er sie nicht unterschlagen wird, selbst wenn sie das Eigenthum des Angehörigen eines andern Stammes ist.«
»Und wo findet Ihr einen solchen Barjactar?«
»Das werde ich gleich im nächsten Dorf erfahren. Übrigens brauche ich mir diese Mühe gar nicht zu geben. Ich werde mir schon hier den Namen des Besitzers nennen lassen.«
»Von wem?«
»Von dem Köhler. Er hat die Sachen versteckt und muß also wissen, wem sie abgenommen worden sind. Halef, Osco und Omar mögen ihn gleich einmal herbeiholen.«
»Das geht nicht, Sihdi,« meinte der Hadschi.
»Warum nicht?«
»Weil ich doch das Feuerchen vor der Höhle angezündet habe. Wir können nicht hinein.«
»So löschest Du dieses Feuerchen wieder aus, mein Lieber.«
»Gut! Aber später werde ich es wieder anzünden.«
Die Drei gingen und brachten nach einer Weile den Köhler herbeigetragen. Sie warfen ihn nicht eben sanft zu Boden, wobei er einen lauten Schrei ausstieß, wohl weniger wegen des Schmerzes, welchen diese unsanfte Behandlung ihm verursachte, als vielmehr vor Schreck über das, was er erblickte. Wir waren ja in seine Schatzkammer gedrungen. Er preßte die Zähne zusammen, so daß sie knirschten, und ließ einen wüthenden Blick über uns und über die auf der Erde liegenden Gegenstände schweifen. Als dieser Blick dann an der offenen Grube haften blieb, ging ein eigenthümliches Zucken über sein Gesicht, welches ich mir so deutete, daß die Grube noch irgend Etwas enthalten müsse, was wir nicht gefunden hatten.
»Ich habe Dich zu uns bringen lassen,« sagte ich zu ihm, »um Auskunft über diese Gegenstände von Dir zu erhalten. Wem haben sie gehört?«
Er schwieg; auch auf eine Wiederholung meiner Frage gab er keine Antwort.
»Legt ihn auf den Bauch und gebt ihm die Peitsche so lange, bis er spricht,« befahl ich.
Er wurde augenblicklich in diese Lage gebracht, und Halef zog seine Peitsche. Als Scharka sah, daß es uns Ernst sei, rief er:
»Halt! Ihr sollt es erfahren!«
»So sprich, aber schnell!«
»Diese Rüstung gehört mir.«
»Kannst Du das beweisen?«
»Ja. Ich habe sie stets gehabt.«
»Und Du vergräbst sie? Ein rechtmäßiges Eigenthum braucht man nicht zu verstecken.«
»Wenn man so allein im Wald wohnt, muß man es thun, wenn man nicht will, daß die Diebe es sich holen.«
»Diese Diebe sind ja Deine Freunde; Du hast sie nicht zu fürchten. Auf welche Weise bist Du denn in den Besitz dieser Rüstung gekommen?«
»Ich habe sie geerbt.«
»Von Deinen Vätern? Sollten die Vorfahren eines Kohlenbrenners einer so reichen und hervorragenden Familie angehört haben?«
»Ja, meine Ahnen waren berühmte Helden. Von ihren Reichthümern ist leider nur die Rüstung auf mich gekommen.«
»Andere Schätze hast Du nicht?«
»Nein.«
»Wollen sehen!«
Ich brannte einen neuen Span an und leuchtete in die Grube hinab. In einer Ecke da unten lagen zwei in Lumpen gewickelte Päckchen, welche unter dem Sack verborgen gewesen waren. Halef mußte hinabsteigen und sie uns heraufreichen. Er schüttelte sie – es klang wie Geld.
»Sie sind schwer,« sagte er. »Ich denke, daß sie hübsche Piaster enthalten werden.«
Der Köhler stieß einen grimmigen Fluch aus und rief:
»Vergreift Euch nicht an diesem Geld! Es ist mein Eigenthum!«
»Schweig'!« antwortete ich ihm. »Es kann Dir unmöglich gehören, denn Du hast soeben behauptet, außer der Rüstung keine weiteren Schätze zu besitzen.«
»Habe ich etwa nöthig, Euch Alles mitzutheilen?«
»Nein; aber es wäre für Dich gerathen gewesen, aufrichtig zu sein. Deine Lügen beweisen doch nur, daß diese Sachen Dir nicht gehören.«
»Soll ich Euch meine Habe zeigen, damit Ihr sie mir rauben könnt?«
»Wir sind ehrliche Leute und würden Dir nicht einen Para nehmen, wenn wir überzeugt wären, daß das Geld Dir wirklich gehört. Übrigens kann es Dir ganz gleichgültig sein, ob wir uns dieser Sachen bemächtigen oder nicht. Du wirst sie ja doch nicht mehr besitzen, denn Deiner wartet jetzt der sichere Tod.«
Unterdessen waren die Lumpen aufgebunden und die Beutel geöffnet worden. Letztere bestanden aus Wildleder und waren mit einer schönen Perlenstickerei versehen, in deren Mitte wir auf beiden Beuteln den Namen ›Stojko Wites‹ lasen. Es waren Buchstaben des russischen Alphabets, dessen man sich auch in Serbien und in den an dasselbe grenzenden Bergländern bedient. Wites ist das deutsche Wort ›Ritter‹. Es war leicht zu schließen, daß der Eigenthümer dieses Geldes den Namen Wites trug, weil seine Ahnen Ritter gewesen waren. Aus ihrer Zeit stammte die Rüstung. Noch heute sieht man in jenen Gegenden zuweilen einen Ketten- oder Schuppenpanzer, welcher nur bei friedlich festlichen Gelegenheiten getragen wird, weil er den heutigen Schußwaffen nicht widerstehen könnte.
»Kannst Du lesen?« fragte ich den Köhler.
»Nein,« antwortete er.
»Du heißest Scharka. Das ist Dein Vorname. Wie aber lautet Dein Familienname?«
»Und Deine Ahnen haben ebenso geheißen?«
»Sie gehörten alle dieser berühmten Familie an, und ein Visosch hat auch den Panzer anfertigen lassen.«
»Das ist Lüge. Jetzt hast Du Dich gefangen. Diese Rüstung und dieses Geld gehört einem Mann, welcher Stojko Wites heißt. Willst Du das leugnen?«
Er starrte mich in maßlosem Erstaunen an. Er hatte nicht gewußt, daß die Stickerei Buchstaben bildete, und konnte sich nun unmöglich erklären, wie ich auf diesen Namen gekommen sei.
»Du hast den Teufel!« stieß er hervor.
»Und Du fährst zum Teufel, wenn Du mir nicht sofort sagst, wo dieser Stojko zu finden ist.«
»Ich kenne keinen Menschen, welcher diesen Namen führt, und die Sachen gehören mir. Ich kann das mit allen Eiden beschwören.«
»Nun, dann muß ich es Dir freilich glauben, und wir haben also kein Recht, Dich von diesem Deinem Eigenthum zu trennen. Es mag mit Dir untergehen. Nimm es mit zu Deinen berühmten Ahnen, welche sicherlich in der Dschehenna wohnen!«
Ich rollte das Pulverfäßchen in seine Nähe und zog den Stöpsel heraus. Dann schnitt ich mit dem Messer den unteren Saum von dem erwähnten Kaftan los und drehte denselben zu einer Schnur zusammen, deren eines Ende ich in das Faß steckte, während ich das andere Ende mittelst des brennenden Spanes zum Glimmen brachte.
»Herr, was willst Du thun?« schrie er erschrocken.
»Dich mit dem Hause und Allem, was es enthält, in die Luft sprengen. Kommt rasch fort, Ihr Andern, damit wir weit genug weg sind, um nicht von den Steinen getroffen zu werden.«
Ich that, als ob ich wirklich gehen wollte, und die Andern folgten mir. Die Lunte glimmte langsam, aber sicher weiter.
»Halt, halt!« brüllte Scharka uns nach. »Das ist ja schrecklich! Habt Erbarmen!«
»Auch Du hast kein Erbarmen für Deine Opfer gehabt,« rief Halef ihm zurück. »Fahre zur Hölle! Wir wünschen Dir schnelle Reise!«
»Kommt zurück, kommt zurück! Ich will Alles sagen, Alles! Nehmt die Lunte weg! Die Sachen gehören nicht mir.«
Ich hatte schon das Freie erreicht, kehrte nun aber schnell zurück, um zu fragen:
»Wem denn?«
»Eben diesem Stojko Wites, dessen Namen Du vorhin nanntest. Nimm aber nur die Lunte weg!«
»Nur unter der Bedingung, daß Du uns die Wahrheit mittheilst!«
»Ja, ja! Nur fort mit dem Feuer vom Pulver!«
»Schön! Ich kann die Lunte ja wieder anzünden. Halef, drücke die Funken aus! Aber das sage ich Dir, Scharka, wenn ich Dich nochmals auf einer Lüge ertappe, so brennen wir die Zündschnur wieder an, und dann wird all Dein Bitten vergeblich sein. Wir haben nicht Lust, mit uns spielen zu lassen. Also wo hast Du das Geld und die Rüstung diesem Stojko abgenommen?«
»Hier.«
»Ah! Er war nicht allein, denn ohne Begleitung führt man in dieser Gegend keine solchen Schätze mit sich.«
»Sein Sohn war bei ihm und ein Diener.«
»Du hast sie getödtet?«
»Den Alten nicht. Sie wehrten sich und zwangen uns, sie niederzuschießen.«
»So lebt also Stojko noch?«
»Ja.«
»Und wo?«
»Ich verstehe. Er soll gezwungen werden, Lösegeld zu zahlen?«
»Ja, der Schut will es haben. Wenn er es bekommt, darf ich diese Sachen für mich behalten.«
»Und wenn er es nicht bekommt?«
»So muß ich mit dem Schut theilen.«
»Wer weiß noch von dieser Sache?«
»Niemand als der Schut und meine Knechte.«
»Diese waren dabei, als Stojko überfallen wurde?«
»Ja. Ich allein hätte die drei Männer nicht überwinden können.«
»Ihr seid eine wirklich teuflische Gesellschaft! Aber sage, ob der Alim nichts davon ahnt?«
»Er hat nichts erfahren, weil er sonst verlangt hätte, auch mit ihm zu theilen.«
»Was habt Ihr mit den Leichen der beiden Erschlagenen gethan?«
»Sie sind vergraben worden.«
»Wo?«
Er zögerte, zu antworten. Als er aber sah, daß Halef sofort den brennenden Span an die Lunte hielt, sagte er schnell:
»Nicht wieder anbrennen! Der Ort ist gar nicht weit von hier. Ihr wollt ihn doch nicht aufsuchen?«
»Das werden wir freilich thun.«
»Und nachgraben?«
»Wahrscheinlich.«
»Ihr verunreinigt Euch aber doch mit den Leichen!«
»Das hast auch Du gethan, ohne Dich zu scheuen. Du wirst uns hinführen, obgleich Du nicht gehen kannst. Man wird Dich tragen.«
»Das ist nicht nöthig. Ihr werdet die Stelle sehr leicht selbst finden, wenn Ihr von hier aus zu dem Wagen geht und dann in die Büsche eindringt. Dort werdet Ihr einen Erd- und Aschenhaufen finden, unter welchem die Beiden begraben sind. Hacke und Schaufel liegen dabei.«
»Wir werden hingehen. Ist es nicht so, wie Du sagst, so fliegst Du doch noch in die Luft. Übrigens bin ich überzeugt, daß Ihr sie nicht deßhalb ermordet habt, weil sie sich wehrten. Sie mußten auf alle Fälle sterben, um Euch nicht verrathen zu können. Auch der alte Stojko wird sein Leben lassen müssen, selbst dann, wenn er das Lösegeld bezahlt. Wie aber bist Du auf den Gedanken gekommen, ihn nach dem Karaul zu transportiren? Wenn Du ihn heimlich bei Dir in der Höhle behieltest, konntest Du das Lösegeld für Dich erzwingen und brauchtest es dem Schut nicht zu lassen.«
»Er verlangte es; er kam eben dazu, als der Kampf beendet war. Da sah er alles, und ich konnte ihm nichts verschweigen. Er hat dann Stojko sogleich mit sich fortgenommen.«
»Was wollte denn derselbe hier bei Dir?«
»Er beabsichtigte, die Nacht bei mir zu bleiben. Er kam aus der Gegend von Slokuczie, wo er Barjactar seines Stammes ist.«
»Wohin wollte er?«
»In die Akrababerge nach Batera, welches in der Gegend von Kroja liegt. Sein Sohn wollte sich die Braut dort holen.«
»Mein Himmel! Mensch, Du bist ein wirklicher Teufel! Anstatt zur Hochzeit ist er in den Tod gegangen! Die kostbare Rüstung hat er mitgenommen, um sich mit ihr zu dieser Feier zu schmücken. Für Dich kann keine Strafe zu gräßlich sein! Aber wenigstens der alte Vater soll gerettet werden. Du wirst mir zunächst sagen, wann diese That geschehen ist.«
»Heute sind zwei Wochen vorüber.«
»Wie ist in den Karaul zu gelangen?«
»Das weiß ich nicht. Der Schut hält es sehr geheim. Höchstens dem Alim könnte er es mitgetheilt haben. Aber Herr, Du siehst, daß ich Dir Alles offen sage. Nun wirst Du mich nicht tödten.«
»Nein, wir tödten Euch nicht. Ihr habt mehr als zehnfachen Tod verdient, aber mit Eurem Blut wollen wir uns nicht besudeln. Ihr seid Scheusale, denen kein Krokodil und keine Hyäne gleicht. Wir gehen, um die Begräbnißstelle zu untersuchen. Du bleibst bis zu unserer Rückkehr hier liegen. Omar mag Dich bewachen.«
Wir versahen uns mit tüchtigen Feuerbränden und suchten den beschriebenen Ort auf. Man darf nicht denken, daß dieser Schurke uns seine Antworten so schnell und fließend gegeben habe. Er hatte oft gezaudert, war aber dann durch Halef, welcher den Span an die Lunte hielt, zum Sprechen gezwungen worden.
Wir fanden den Haufen, welcher mehr aus Asche als aus Erde bestand. Er wurde mit Hülfe der dabeiliegenden Werkzeuge aufgewühlt. Man hatte die Todten nicht vergraben, sondern verbrannt. Vier angekohlte Schädel bewiesen, daß vorher auch andere Leichen auf dieselbe Weise auf die Seite gebracht worden waren. Der Anblick war gräßlich. Wir verließen den Ort mit Schaudern. Halef und der Lord ergingen sich in Ausdrücken der tiefsten Entrüstung. Sie verlangten, daß mit dem Köhler und seinen Knechten sofort ein Ende gemacht werde. Ich antwortete vorerst gar nicht. Ich fühlte einen unsäglichen Grimm.
»Warum sprecht Ihr nicht, Sir?« rief Lindsay. »Diese Verbrecher müssen doch bestraft werden!«
»Das sollen sie auch.«
»Pshaw! Ihr habt ja selbst gesagt, daß die eigentliche Obrigkeit hier keine Gewalt habe. Wenn wir die Vergeltung nicht in die Hand nehmen, fliegen die Galgenvögel frei davon. Ihr wollt ja sogar ihnen Einen schicken, der ihnen die Höhle öffnet.«
»Das werde ich allerdings thun.«
»Jawohl! Daß sie recht hübsch entkommen können!«
»Ich werde ihnen nicht einen ihrer Freunde schicken, sondern einen Mann, bei welchem sie keine Gnade und Nachsicht finden. Meine Ansicht war bisher allerdings, ihnen jetzt eine tüchtige Todesangst einzujagen, ihr Leben aber zu schonen. Was sie an uns verbrochen haben, können wir vergessen, und das Andere geht uns nichts an. Jetzt aber, nach Entdeckung dieser neuen und gräßlichen Missethat, halte ich zwar daran fest, daß wir uns selbst nicht an ihnen vergreifen dürfen, aber ihrer Strafe sollen sie nicht entgehen. Wir werden diesen Stojko Wites befreien und ihn dann hierher schicken. Ich glaube nicht, daß sie an ihm einen schwachherzigen oder allzu nachsichtigen Richter haben werden.«
»Well! Das lasse ich gelten. Wir selbst greifen nicht in diesen Schmutz; aber dieser Barjactar wird sicher eine Rache nehmen, wie wir sie uns gar nicht aussinnen könnten. Übrigens ist es eine große Frage, ob dieser Stojko zeitig genug hier eintreffen wird, um das Richteramt üben zu können. In jedem Augenblick kann ein Freund des Köhlers kommen und denselben mit seinen Genossen befreien.«
»Das müssen wir allerdings gewärtig sein, aber es kann doch Keiner von uns hier bleiben, um das zu verhindern.«
»Warum nicht?« fragte der Dolmetscher. »Ich bin sofort bereit, zurückzubleiben. Sir David hat meine Hülfe nicht mehr nöthig, da Sie nun bei ihm sind. Ich muß zwar auf mein Honorar verzichten, wenn ich das Amt des Dragoman – –«
»Einen Verzicht gibt es nicht,« fiel Lindsay ein. »Ich zahle dennoch. Well!«
»Nun, so habe ich also in dieser Beziehung keinen Schaden. Ich bleibe hier und bewache die Scheusale, bis Stojko kommt. Oder denken Sie vielleicht, daß ich dieses Amtes nicht treu genug warten werde? Meinen Sie, daß ich geneigt bin, nach Ihrer Entfernung mich diesen Menschen vielleicht gar gefällig zu erweisen?«
»Nein,« antwortete ich ihm. »Ich habe ja Gelegenheit gehabt, Sie zu prüfen. Ich hörte, was Ihnen für Vorschläge gemacht wurden, auf welche Sie doch nicht eingegangen sind. Sie haben dem Lord nicht verheimlicht, daß er sterben müsse, selbst wenn er die verlangte Geldsumme bezahlte. Ich weiß, daß Sie zu uns, nicht aber zu dem Köhler und seinem Anhang halten werden; aber ich weiß nicht, ob Sie Klugheit und Energie genug besitzen, das auszuführen, was Sie sich jetzt freiwillig vorgenommen haben.«
»Bitte, Sir, machen Sie sich darüber ja keine Sorge! Auch ich bin ein geborener Arnaute. Ich habe als Dolmetscher mit Leuten zu thun, welche ebenso hinterlistig wie gewaltthätig sind. Ich werde doch wahrhaftig im Stande sein, die Aufmerksamkeit der Leute, welche zufälliger Weise hierher kommen könnten, von der Höhle abzuziehen! Und reicht die List nicht aus, so habe ich Waffen und brauche Gewalt.«
»Würden Sie das wirklich thun?«
»Gewiß! Denken Sie, ich wisse nicht, was auch meiner wartete, falls Sie nicht gekommen wären? Es wurde mir die Freiheit versprochen, ja; aber ich hätte sie niemals wiedergesehen. Man durfte ja auch mich nicht leben lassen, auch ich hätte Alles verrathen können. Man machte mir Hoffnung, damit ich dem Lord zureden möge, die Geld-Anweisung auszustellen. Sobald man sie in den Händen gehabt hätte, wäre auch mein Tod eine sichere Sache gewesen. Ich bin Familienvater, ich habe ein Weib, Eltern und mehrere Kinder, denen der Ernährer ermordet worden wäre. Wenn ich daran denke, so kann es mir nicht einfallen, den Mördern nur die geringste Nachsicht zu erweisen.«
»Well! Sehr gut!« meinte der Lord. »Brauche zwar keinen Dolmetscher mehr, werde aber Alles bezahlen und von heute an hundert Dollars geben. Gebe auch ein tüchtiges Bakschisch dazu, wenn Alles gut klappt.«
»Daran soll es nicht fehlen. Aber wie wollen Sie zahlen, Sir, wenn Ihnen Alles abgenommen worden ist?«
»Werde eben dem Schut Alles wieder nehmen. Und wenn ich es nicht bekäme, so gilt die Unterschrift von David Lindsay überall so viel, wie es ihm beliebt.«
»Im Nothfall bin auch ich vorhanden,« sagte ich. »Sir David Lindsay kann sich meiner Kasse bedienen, welche leider nicht die Unerschöpflichkeit der seinigen besitzt.«
»Ist Euch schon Recht!« lachte er. »Jetzt klagt Ihr über Geldmangel, aber als ich Euch in Stambul meine Brieftasche geben wollte, um Euch für die lange Reise zu bezahlen, da waret Ihr stolz wie ein Spanier und ranntet davon. Könntet heute ein schönes Sümmchen haben, wenn Ihr dieses Geld genommen und mir den Hengst verkauft hättet. Habt aber einen Kopf, der so dick ist, daß bald Hörner daraus hervorbrechen werden. Well!«
Wir waren während dieser Wechselreden vor dem Hause stehen geblieben. Jetzt gingen wir hinein. Der Köhler blickte uns erwartungsvoll und sichtlich besorgt entgegen.
»Nun, Effendi, hast Du Dich überzeugt, daß ich Dich nicht belogen habe?« fragte er.
»Du hast die Wahrheit gesagt. Ja, ich habe Deine Worte sogar übertroffen gefunden. Es sind dort mehr als nur die Zwei, um welche es sich handelt, verbrannt worden. Wer waren die Anderen?«
»Das waren – waren – – mußt Du das wissen, Herr?«
»Nein; behalte es lieber für Dich. Aber es ist anzunehmen, daß Du einen massenhaften Raub zusammengescharrt hast. Wo hast Du ihn stecken?«
»Ich besitze nichts weiter als das, was Ihr hier bei mir gefunden habt.«
»Lüge nicht! Diese Sachen haben Stojko gehört. Wo befindet sich der Dir vom Schut ausbezahlte Beuteantheil und der Ertrag der Raubthaten, welche Du außerdem auf eigene Rechnung ausgeführt hast?«
»Ich sage Dir, daß ich nichts besitze!«
»Sihdi, soll ich die Lunte anbrennen?« fragte Halef, indem er den Span der Zündschnur näherte.
»Ja.«
»Nein, nein!« rief Scharka. »Sprengt mich nicht in die Luft! Ich sage die Wahrheit: es ist hier bei mir nichts zu finden.«
»Hier nicht, aber anderwärts wohl?«
Er schwieg.
»Rede, sonst macht Halef seine Drohung wahr!«
»Ich habe nichts hier, mein – mein Schwager hat es mir aufgehoben.«
»Junak? Wo denn?«
»Es ist unter seinem Herd vergraben.«
»Ah! So hast Du Dich hier wohl nicht ganz sicher gefühlt? Nun, es mag einstweilen dort liegen bleiben. Wir haben keine Zeit, zurückzureiten, um uns dieses Blutgeld anzueignen. Jetzt nur noch Eins. Ihr habt ein geheimes Wort, an welchem Ihr einander erkennt?«
»Effendi, wer hat Dir das gesagt?«
»Ich weiß es. Wie lautet dieses Wort?«
»Ich darf es nicht verrathen.«
»Das Pulver wird Dir die Zunge lösen!«
»Willst Du mich zwingen, meinen Eid zu brechen? Könntest Du das auf Dein Gewissen laden?«
»Du scheinst recht zart zu denken in Beziehung auf das Gewissen Anderer. Ein Eid, wie der Deinige, gilt meiner Ansicht nach gar nichts; aber ich will Dich dennoch nicht zwingen, ihn zu brechen. Du sollst das Wort nicht verrathen. Wenn ich es jedoch bereits wüßte, so könntest Du es mir bestätigen, daß es das richtige ist?«
»Das könnte ich, denn Du hättest es dann ja nicht von mir erfahren; aber es ist ganz unmöglich, daß Du es wissen kannst. Kein Unterthan verräth das Wort. Es ist ein sehr qualvoller Tod darauf gesetzt.«
»Täusche Dich nicht! Wie würdest Du mich aufnehmen, wenn ich des Nachts als Fremder zu Dir käme, an Deinen Laden klopfte und Dir die beiden Worte ›bir Syrdasch‹ durch denselben zuriefe?«
Er zuckte zusammen und starrte mich ganz erschrocken an. Es war ihm anzusehen, daß diese zwei Wörter die richtigen seien; er brauchte es mir gar nicht erst zu bestätigen. Das waren die Worte, welche ich von dem Fuhrmann in Ostromdscha erfahren hatte. Gleich damals hatte ich geahnt, daß sich nicht nur der alte Mübarek derselben bediene, sondern daß sie für die ganze Gesellschaft des Schut von Bedeutung seien.
»Nun, Du verlierst die Sprache?« sagte ich.
»Herr, Du weißt Alles, Alles! Du mußt wirklich dem Teufel Deine Seele verschrieben haben, so daß er nun Deinen Leibdiener macht und Dir alle Geheimnisse enthüllt.«
»Ich glaube, er ist Dir ein größerer Freund als mir. Du bist es, dessen Seele ihm gehört; er hat Dich nicht verrathen. Das Verbrechen trägt den Verrath stets in sich selbst. Ich bin fertig mit Dir. Du wirst mein Angesicht nicht wiedersehen. Ich rathe Dir, in Dich zu gehen, bevor Du stirbst. Schafft den Kerl fort!«
»Herr, Du sprichst vom Sterben!« rief er aus. »Du hast mir doch versprochen, uns nicht zu tödten!«
»Ich habe Dir dieses Versprechen gegeben, und ich halte mein Wort. Wir vergreifen uns nicht an Euch; der Tod tritt von anderer Seite an Euch heran. Er ist Euch bereits so nahe, daß er schon die Hand erhebt, um nach Euch zu greifen.«
»Welcher Tod ist das?« fragte er voll Angst, indem er aufgehoben wurde, um fortgetragen zu werden.
»Du wirst ihn baldigst kennen lernen, auch ohne daß ich es Dir vorhersage. Fort mit Dir!«
Sie schafften ihn weg, nachdem ich Halef die Weisung gegeben hatte, an seiner Stelle den Alim zu bringen. Dieser wurde nicht in das Haus geschafft, sondern an das Feuer. Halef hatte ihm den Strick von den Füßen genommen, so daß er gehen konnte.
Der Mann hielt die Lippen zusammen gepreßt und würdigte uns keines Blickes, obgleich die Todesangst aus seinen Zügen sprach.
»Ich möchte Etwas von Dir erfahren,« sagte ich ihm. »Du wirst es mir sagen, wenn Du nicht vorziehst, abermals fünfzig aufgezählt zu erhalten. Ich muß erfahren, wie man heimlich in den Karaul des Schut gelangt.«
Noch hatte mir der Engländer nicht erzählt, wie er in den Wachtthurm gekommen; aber es gab genug Gründe für mich, anzunehmen, daß dies nur auf einem verborgenen Weg geschehen könne. Diesen mußte ich erfahren. Der Alim starrte vor sich nieder und antwortete nicht.
»Nun, Du hast mich nicht gehört?« fragte ich ihn. Und als er auch jetzt schwieg, nickte ich Halef zu, welcher die Peitsche bereit hielt. Er holte zum Hieb aus. Da wich der Alim zurück, warf mir einen vor Wuth und Haß blitzenden Blick zu und sagte:
»Du sollst mich nicht wieder schlagen lassen! Ich will Dir antworten, aber es wird zu Deinem Verderben sein. Wer sich in die Geheimnisse des Schut eindrängt, der ist verloren. Ich werde Dich nicht belügen, sondern Dir die Wahrheit sagen. Aber eben diese Wahrheit wird Euch einem schauderhaften Tod in die Arme führen. Das soll meine Rache sein. Also, was willst Du wissen?«
»Du bist ein Vertrauter des Schut?«
»Ja.«
»Kennst alle seine Geheimnisse?«
»Nicht alle, sondern nur einige.«
»Aber der Eingang zum Karaul ist Dir bekannt?«
»Ich kenne ihn.«
»So beschreibe ihn mir!«
Sein Haß hatte ihn zu einer großen Unvorsichtigkeit verleitet, ohne daß er daran dachte. Er hatte mir gesagt, es drohe uns der Tod. Jedenfalls besaß der geheime Eingang irgend eine Gefahr für den Uneingeweihten, und es kam nun darauf an, zu erfahren, worin dieselbe bestehe, oder an welcher Stelle dieselbe zu erwarten sei. Es verstand sich ganz von selbst, daß er sich hüten werde, mir dies zu sagen. Ich konnte ihn weder durch Gewalt, noch durch List zwingen, es zu verrathen. Meiner List stand die seinige gegenüber, welche mir unbedingt überlegen war, da ich den Gegenstand nicht kannte. Mit Gewalt war aus demselben Grund ebenso wenig zu erreichen. Prügel konnten ihn nicht zwingen, mir die Wahrheit zu sagen. Er brauchte mir nur Etwas vorzulügen, so mußte ich es glauben.
Es gab nur ein Mittel, das Richtige zu erfahren: ich mußte sein Gesicht genau beobachten. Ein Mann wie er, noch dazu im Zorn, hatte seine Züge gewiß nicht übermäßig in der Gewalt. Er dachte wohl überhaupt gar nicht daran, daß er sich durch das Spiel seiner Mienen verrathen könne.
Aus diesem Grund stellte ich mich so, daß er, um zu mir sprechen und mich dabei ansehen zu können, sein Gesicht dem Feuer zukehren mußte. Dabei stieß ich mit einem Knüppel in den brennenden Holzhaufen, daß die Flamme hoch und hell aufloderte. Natürlich nahm ich eine möglichst unbefangene Miene an und ließ die Lider sinken, so daß sie die Augen halb bedeckten und der Blick in Folge dessen weniger scharf zu sein schien, als er wirklich war.
»Den Weg durch das Gebirg kennst Du nicht,« begann er. »Darum wirst Du über Kolutschin reiten müssen. Die Wagenspur wird Dich nach einer Furt bringen, deren Wasser eine ganz geringe Tiefe hat. Unterhalb Kolutschin vereinigt sich bei Küküs der schwarze mit dem weißen Drin und wendet sich nach Nordwest, um an Rugova vorbei zu fließen. Du folgst aber nicht dem Drin, sondern von Kolutschin führt eine Straße nach Rugova. Es ist dieselbe, welche von Obrida im Süden kommt und nach Spassa geht, um dann westwärts Skutari zu erreichen. Diese Straße zieht am linken Ufer des Drin hin, während Rugova am rechten liegt. Dort angekommen, wirst Du wahrscheinlich im Khan absteigen. Der Wirth desselben heißt Kolami. Was er für ein Mann ist, brauche ich nicht zu sagen, denn Du thust doch nur, was Du willst. Aber daraus, daß ich Dir Alles so beschreibe, magst Du ersehen, daß ich von Deinem Untergang überzeugt bin.«
Die Worte, mit denen er mir sagte, daß ich von Kolutschin aus nicht dem Drin, sondern der Straße zu folgen habe, waren mit einer gewissen Hast ausgesprochen worden und dabei in einem so eindringlichen Ton, daß ich hörte, er wünsche es ganz besonders, daß ich diesen Weg einschlage. Wenn ich dies wirklich thun mußte, falls es keinen andern gab, so galt es, auf demselben sehr vorsichtig zu sein.
»Laß diese Bemerkungen!« sagte ich. »Nicht nach dem Weg, sondern nach dem Karaul habe ich Dich gefragt.«
»Der Karaul liegt im hohen Wald des Flußufers. Jedermann kann Dich hinweisen. Du wirst einen uralten, halb verfallenen Wartthurm finden, welcher in Mitten umfangreicher Mauertrümmer steht. Der Eingang ist nicht an der Erde, sondern hoch oben. Man baute damals so, um das Erstürmen des Karauls zu erschweren. Wer durch die Thüre will, muß auf einer hohen Leiter hinauf.«
»Ist eine solche vorhanden?«
»Nein, sie ist heut zu Tage nicht mehr nöthig. Die Mauer ist mehrere Ellen dick, und man hat in gewissen Entfernungen Steine aus ihr gebrochen, so daß Vertiefungen entstanden, welche das Hinaufklettern ermöglichen. Droben aber findest Du nichts als Ruinen und eingefallene Wände, über denen der Himmel sich ausspannt.«
»Und darunter?«
»Ist nichts.«
»Das glaube ich nicht. Wie hoch über der Erde ist der Eingang zu dem Thurm?«
»Wohl in fünfmal Manneshöhe.«
»Dort sind früher die Gemächer gewesen. Unter ihnen muß es aber noch andere Räume gegeben haben und auch noch heute geben. Man wird den Thurm doch nicht fünfzehn Ellen hoch massiv gebaut haben!«
»Jedenfalls ist er massiv, denn man hat trotz des mühevollsten Suchens niemals einen Weg entdeckt, welcher nach unten führt. Der Thurm gleicht einer runden Säule, welche vom Erdboden an bis zu der angegebenen Höhe massiv und dann erst hohl ist. Dennoch befinden sich grad unter ihm, aber eben nur ganz zufälliger Weise unter ihm, Höhlungen, welche gar nicht mit ihm in Verbindung stehen und niemals mit ihm in Verbindung gestanden haben. Das sind die Höhlen der Gömüsch laghymy, welche es vor uralten Zeiten da gegeben hat. Der Schacht, welcher vom Berg aus in die Erde geführt hat, ist zugeschüttet worden, und Sträucher und Bäume sind auf der Stelle gewachsen, so daß man sie nicht mehr finden kann. Auch einen Stollen hat es gegeben, welcher vom Ufer des Flusses aus nach dem Schacht geführt hat, entweder um das Wasser des Bergwerkes abzuleiten oder dasjenige des Flusses hinein zu führen. Auch der Eingang dieses Stollens war verbaut worden, und Niemand wußte mehr von ihm, bis er durch einen Zufall von einem unserer Freunde entdeckt ward. Durch diesen Stollen mußt Du in die Mine; er führt weit in das Erdinnere, bis Du in einen großen, runden Raum kommst, in welchen mehrere Gemächer münden.«
»In einem derselben steckt Stojko?«
»Ja.«
»In welchem?«
»In demjenigen, welches dem durch den Stollen Kommenden grad gegenüber liegt.«
»Aber es ist verschlossen?«
»Nur durch einen Holzriegel, welchen man leicht zurückschieben kann.«
»Ist denn der Stollen gut gangbar?«
»So gut, daß man gar keines Lichtes bedarf. Er führt immer grad aus und steigt ganz regelmäßig empor. Seine Sohle ist mit Brettern belegt, welche freilich ein wenig schlüpfrig sind. Diese Bretter leiten an einer Stelle über einen unterirdischen Felsspalt, über welchem sie aber so gut befestigt sind, daß nicht die geringste Gefahr vorhanden ist.«
Er machte bei diesen letzteren Worten eine leichte, wegwerfende Bewegung mit der Hand, um die Gefahrlosigkeit zu bezeichnen; aber aus seinen Augen traf mich ein tückischer, triumphirender Blick, und seine dunklen Brauen schnellten empor und wieder nieder, wie von einem federnden Gedanken bewegt. Dieser Blick, dieses Zucken der Brauen hatte kaum eine halbe Sekunde in Anspruch genommen, war aber für mich so vielsagend gewesen, daß ich nun wußte, woran ich war. Grad an dieser Felsenspalte lauerte die Gefahr.
Überdies hatte er mich jedenfalls schon vorher belogen. Der untere Theil des Thurmes war gewiß nicht massiv gebaut. Wenn die Mauern mehrere Ellen stark waren, so boten sie hinreichende Sicherheit gegen den Feind, zumal der eigentliche Eingang so hoch über der Erde lag. Die früheren Bewohner des Karauls, die Wachtleute, hatten nicht nur Wohnräume, sondern auch Keller und Gewölbe nöthig gehabt. Warum sollte man dieselben nicht in den untern Theil des Thurmes angebracht, sondern im Gegentheil durch das Massivmauern desselben eine solche Zeit- und Material-Verschwendung getrieben haben?
Hatte sich wirklich ein Silber-Bergwerk hier befunden? Das war jedenfalls vor der Türkenherrschaft, während der Regierung der Bulgaren-Khane gewesen. Man weiß ja zum Beispiel von Khan Symeon, welcher vom Jahre 888 bis zum Jahre 927 regirte, daß unter ihm nicht nur das Reich seine größte Ausdehnung erlangte, sondern auch Handel, Künste und Wissenschaften freundliche Pflege fanden und an vielen Orten nach edlen Metallen gegraben wurde. Seine Herrschaft erstreckte sich nach Westen bis ungefähr zu dem heutigen Perserin, also der Gegend, in welcher wir uns jetzt befanden. Da war es allerdings möglich, daß hier ein Schacht eingetrieben worden. Die Grenze des Landes, welche hier vorüberzog, hatte man mit Wachtthürmen besetzt, und einer dieser Karauls sollte speziell diesem Bergwerk zum Schutz dienen.
War diese Vermuthung richtig, so durfte man annehmen, daß bei der großen Nähe der Grenze und also der feindlichen Völker dieser Schacht nicht in das Freie, sondern in den Thurm gemündet hatte. Der Alim sprach von Gebäudetrümmern, welche bei demselben zu finden seien. Vielleicht auch hatte unter ihnen, also wenigstens im Schutz der Besatzung des Karaules, die Mündung gelegen.
Dazu kam, daß ich nicht an die Ausfüllung des Schachtes glaubte. Alte Bergwerke wirft man nur in zivilisirten Ländern zu. Der Türke hütet sich sehr, eine mühevolle Arbeit zu unternehmen, welche nur Kosten verursacht. Ihm ist es sehr gleichgültig, ob irgend ein Bulgare oder Albanese in das offen gelassene Mundloch eines Schachtes stürzt und da den Hals bricht. »Allah hat es gewollt!« sagt er, und damit beruhigt er sich.
Wenn das Mundloch noch vorhanden war, so mußte es sich entweder im Karaul selbst oder in der Nähe desselben, maskirt von den Trümmern, befinden. Der Alim konnte mir gewiß Auskunft ertheilen, aber es war mir unmöglich, ihn dazu zu zwingen. Ich konnte ihm nichts erpressen, von dem ich nicht genau und fest überzeugt war, daß er es wisse. Darum fragte ich in gleichgültigem Ton auf seine letzte Versicherung:
»Aber wo liegt denn da für uns die Gefahr, von welcher Du sprachst?«
»Die kommt erst dann, wenn Ihr den großen runden Raum betretet, um den Gefangenen zu befreien.«
»Worin besteht sie?«
»Das weiß ich nicht. Und wenn ich es wüßte, würde ich es Dir nicht sagen. Sobald man eine Gefahr kennt, ist sie eben keine Gefahr mehr.«
»Ich kann Dich aber mit der Peitsche zwingen, es mir zu sagen!«
»Und wenn Du mich todtschlägst, kann ich Dir nicht Etwas sagen, was ich selbst nicht weiß. Wolltest Du mich zwingen, so müßte ich, um den Prügeln zu entgehen, eine Lüge ersinnen, welche glaubwürdig erschiene.«
»Aber woher weißt Du denn von dem Vorhandensein einer Gefahr?«
»Der Schut hat von ihr gesprochen. Er hat gesagt, daß jeder verloren sei, der ohne sein Wissen den runden Raum betrete. Er wird wohl irgend eine Vorrichtung angebracht haben, durch welche jeder unberufene Besucher des Ortes getödtet wird.«
»Hm! Und wie findet man den Eingang zu dem beschriebenen Stollen?«
»Er ist nur vom Wasser aus zu erreichen. Man muß einen Kahn besteigen und eine Strecke im Fluß aufwärts fahren. Drüben am andern Ufer zieht sich die Straße hin, hüben aber, links, steigt eine steile Felswand aus dem Fluß auf. Wenn Du genau aufpassest, wirst Du eine Stelle finden, an welcher diese Wand – und also auch der Fluß – eine Krümmung macht. Der Fluß ist da sehr tief, und eben dort befindet sich das Stollenloch, welches bei gewöhnlichem Wasserstand so hoch ist, daß man, im Kahn sitzend, grad hinein kann, ohne mit dem Kopf oben anzustoßen.«
»Und dieses Loch hat man erst vor Kurzem bemerkt?«
»Ja, weil Kletterpflanzen von oben herabhängen und es vollständig verdecken. Man fährt mit dem Kahn hinein, so weit das Wasser reicht, und bindet ihn an einen starken Pflock, welcher in den Stein getrieben ist.«
»Das ist nicht ganz ungefährlich. Und auf diese Weise ist Stojko hineingeschafft worden?«
»Ja, auch der Engländer, welcher da bei Dir steht. Du brauchst ihn nur zu fragen; er wird es Dir gewiß bestätigen.«
»Gibt es dort unten noch andere Räumlichkeiten als den runden, großen Raum und die daran stoßenden Zellen?«
»Nein. Sie liegen grad, aber tief unter dem Karaul. Wir haben vergeblich nach einem Schacht gesucht, welcher zur Höhe führt. Er ist zugeschüttet worden.«
»Wer bringt denn den Gefangenen Speise und Trank?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hast Du Deiner Beschreibung noch Etwas beizufügen?«
»Nein. Ich habe Dir Alles gesagt, was ich weiß. Der Schut hat mir mitgetheilt, daß Jeder sterben muß, welcher unberufen den Raum betritt. Darum habe ich vorhin gesagt, daß Ihr Eurem sichern Tod entgegen geht, wenn Ihr wirklich Etwas gegen Kara Nirwan unternehmen wollt.«
»Nun, wir brauchen ja nicht selbst in den Stollen zu gehen. Wir schicken Andere hinein.«
»So sterben diese, und Ihr erfahrt nicht einmal, wie es ihnen drin ergangen ist.«
»So lasse ich den Schut festnehmen, und er muß uns selbst hineinführen.«
»Festnehmen?« lachte er. »Wenn Du in Rugova Jemanden arretiren lassen willst, so mußt Du ja eben zu dem besten Freund des Schut gehen. Du kannst nichts gegen ihn unternehmen. Er steht in einem großen Ansehen. Wenn Du Hülfe gegen ihn forderst, so hast Du es entweder mit Leuten zu thun, welche seine Verbündeten sind oder ihn für einen so frommen, ehrlichen und wohlthätigen Mann halten, daß sie Dir kein Wort glauben. Wir, ja wir sind in Deine Hände gerathen; er aber wird nur über Dich lachen. Wenn Ihr offen gegen ihn auftretet, so wird man Euch als Wahnsinnige behandeln. Handelt Ihr aber heimlich gegen ihn, so rennt Ihr dem sichern Verderben entgegen. Thut, was Ihr wollt. Die Dschehennah ist auf alle Fälle Euer Theil!«
»Die Hölle? Der Tod? O nein! Du täuschest Dich abermals in uns. Du hast mir viel, viel mehr gesagt, als Du wolltest. Du lässest Dich einen Alim nennen, einen Gelehrten, und Du bist doch so albern, daß ich fast Mitleid mit Dir fühle. Du hast mir ja ganz genau gesagt, welchen Gefahren wir entgegen gehen.«
»Ich? Ich kenne sie ja selbst nicht!«
»Versuche nicht, mich zu täuschen! Ich habe Dir bewiesen, daß Du es nicht vermagst. Die erste Gefahr erwartet uns auf der Straße zwischen Kolutschin und Rugova. Dort lauern die Aladschy, welche Dich begleiteten. Der Schut hat wohl dafür gesorgt, daß sie wieder bewaffnet sind und ihnen vermuthlich auch noch einige Begleiter beigesellt. Wir werden wahrscheinlich auf dieser Straße reiten, denn wir fürchten die Feinde nicht; sie aber mögen sich vor uns hüten. Greifen sie uns wieder an, so schonen wir ihr Leben nicht mehr.«
Er ließ ein Lachen hören, welches seine Verlegenheit verbergen sollte.
»Dieser Gedanke ist überaus lächerlich!« sagte er. »Die Aladschy thun Euch ganz gewiß nichts; sie sind froh, daß sie von hier entkommen sind.«
»Werden ja sehen! Und die zweite, jedenfalls viel größere Gefahr wartet auf uns in dem Stollen an der Stelle, an welcher wir auf den Brettern über den Felsenspalt gehen müssen. Ich sage Dir, daß wir die Bretter nicht eher betreten werden, als bis wir sie genau untersucht haben. Vielleicht sind sie in der Weise angebracht, daß der Unbekannte, welcher sie betritt, in den Spalt stürzen muß. Uns soll das gewiß nicht geschehen! Dann später in dem runden Raum, in welchen Du die Gefahr für uns verlegtest, dort sind wir ganz sicher, dort wird uns nichts geschehen.«
Er stieß einen Fluch aus und stampfte mit dem Fuß, ohne jedoch sonst ein Wort zu sagen.
»Du siehst also wohl ein, daß ich Dich durchschaut habe,« fuhr ich fort. »Ich weiß, daß Du mich belogen hast. Du gabst Dir Mühe, meinen Blick von der wirklichen Gefahr abzulenken. Ich will nicht weiter mit Dir rechten und es Dich nicht entgelten lassen. Hunde beißen; das liegt in ihrer Natur, und Hunde seid Ihr ja. Ich weiß nun, was ich wissen will, und werde Dich wieder in Euer Harem schaffen lassen. Gehab' Dich wohl, Alim, und strenge Deine Gelehrsamkeit an, indem Du darüber nachdenkst, wie es Euch möglich ist, aus der Höhle zu entkommen. Du hast ja die Wasf ül arz studirt und mußt Dich also in Felsen und Höhlen zu Hause fühlen.«
Er wurde fortgeschafft und wieder an den Füßen gebunden. Dann wollte Halef sein ›Feuerchen‹ wieder anzünden, was ich ihm aber ausredete.
Jetzt wollten wir sehen, welche Summe die beiden Beutel enthielten. Halef brachte sie aus der Stube herbei, öffnete sie und schüttete den Inhalt auf meine ausgebreitete Schärpe. Wir zählten 600 Piaster in dreißig silbernen Medschidieh-Stücken und achttausend Piaster in goldenen Pfund- und Halbpfund-Stücken. Das waren nach deutschem Geld beinahe sechzehnhundert Mark. Wozu mochte Stojko eine solche Summe bei sich getragen haben?
Das Geld wurde natürlich wieder in die Beutel gethan, und dann holten wir die vier Pferde herbei, um sie zu mustern; eins derselben sollte ja ein ausgezeichnetes Thier sein. Es war ein Goldfuchs mit weißer Medaille auf der Stirn, ein so prächtiges Pferd, daß ich sofort aufstieg, um es, wenn auch ohne Sattel, zu probiren. Es zeigte sich sehr feinfühlig gegen die Schenkel, hatte aber, wie ich gleich bemerkte, eine mir unbekannte Schule durchgemacht.
»Brillantes Viehzeug!« meinte der Lord. »Nehmen wir es mit?«
»Natürlich,« antwortete ich. »Wir nehmen überhaupt alle Pferde mit, welche sich hier befinden. Nur der Dragoman behält das seinige da. Es könnte doch sein, daß es den Halunken auf irgend eine unvermuthete Weise gelänge, aus der Höhle zu entkommen. Für diesen Fall wollen wir durch die Entfernung der Pferde wenigstens dafür sorgen, daß sie uns nicht schnell nachkommen können.«
»Well! So bitte ich mir den Goldfuchs aus! Habe während des Herweges auf einem Thiere gesessen, welches ein Ziegenbock gewesen sein muß; thut mir jetzt noch mein ganzes Gestell weh. Ist mir zu Muth, als sei ich vom Chimborazo herunter gekollert und unten noch über einen Urwald hinweg gerollt. Habt doch hoffentlich nichts dagegen.«
»Gegen diese beneidenswerthe Empfindung in Eurem Gestell? Habe gar nichts dagegen.«
»Unsinn! Meine, daß ich den Fuchs reite?«
»Nehmt ihn immerhin!«
»Auf wie lange?«
»Das weiß ich freilich nicht, da er unser Eigenthum nicht ist.«
»Wollt Ihr auch hier den Herrn ausfindig machen?«
»Vielleicht. Ich traue dem Köhler kein solches Pferd zu. Es ist gestohlen. Vielleicht gehört es Stojko.«
»Hört, Master, Ihr habt zwei oder drei Eigenschaften, die mir nicht übel gefallen; andere Vorzüge aber entgehen Euch ganz und gar. Zum Stehlen zum Beispiel scheint Ihr kein Talent zu haben.«
»Besitzt Ihr es vielleicht?«
»Überflüssige Frage! Ein Lord stiehlt nie; aber diesen Fuchs würde ich mitnehmen, ohne mich groß zu bedenken. Haben ja das volle Recht, ihn als gute Beute zu betrachten!«
»Dem Spitzbuben ist eben Alles gute Beute, was er auf die Seite zu bringen vermag. Führt die Pferde wieder fort! Wir wollen uns um das Feuer setzen und sehen, ob wir noch Bärenschinken genug für Alle haben. Ein Stück Tatze für Sir David Lindsay ist noch da.«
»Bä – Bärenschinken? Bä – Bärentatze?« fragte Lindsay, indem er den großen Mund gänzlich aufriß.
»Jawohl, Sir! Osco und Omar mögen unsere Pferde herbeiholen, denn bei diesen befinden sich die Leckerbissen, welche ich Euch genannt habe.«
»Von einem wirklichen Bären?«
»Ja, sogar von einem Eisbären, welchen wir vorgestern im Sprenkel gefangen haben. Er ging sehr leicht ein, weil wir ihn mit Mehlwürmern geködert hatten.«
»Albernheit! Redet verständig, Sir! Habt Ihr wirklich Bär?«
»Nun ja. Es gelang uns, so ein Thierchen zu erlegen.«
»Halloh! Das müßt Ihr erzählen!«
»Laßt es Euch von Halef erzählen! Der hat ihn erlegt und also das Fell bekommen, an dem Ihr ersehen könnt, welch ein gewaltiger Petz es war.«
»Halef, der Kleine? Der hat einen Bären erlegt? Well! Ich traue es ihm zu. Dieser Hadschi springt durch Dick und Dünn, wenn es gilt, eine muthige That zu verrichten. Bären hier am Schar Dagh; wer hätte das gedacht! Halef, seid doch so gut und berichtet mir das Abenteuer!«
Der Hadschi versäumte nicht, dieser Aufforderung nachzukommen. Erzählen war seine größte Lust, besonders wenn es sich um eine That handelte, an welcher er selbst Theil genommen hatte. Er begann nach seiner bekannten Art und Weise:
»Ja, Herr, wir haben den Bären getroffen und den Riesen des Schar Dagh erlegt. Seine Spuren waren wie die Stapfen eines Elephanten, und seine Größe konnte die Völker der Erde erbeben machen. Dennoch ist unsere Kugel ihm in die Brust gedrungen, und unser Messer hat ihm das Leben zerschnitten. Er kann nun nicht mehr Pferdefleisch fressen und zum Nachtisch seinen Gaumen mit Himbeeren letzen. Wir haben seine Füße gebraten und die rechte Seite seines Ausruhens beinahe aufgespeist. Wie es gekommen ist, daß wir ihn ausgelöscht haben aus dem Register des irdischen Wandels, das sollst Du erfahren, damit Dir die halbe Tatze, welche wir noch haben, um so besser schmeckt.«
Bekanntlich verstanden Lindsay und Halef es, sich trotz ihrer gegenseitigen mangelhaften Sprachkenntnisse einander leidlich verständlich zu machen. Der Lord hatte einen kleinen Vorrath arabischer und türkischer Wörter gesammelt, und Halef hatte während der Zeit unseres Beisammenseins mit Lindsay sich möglichste Mühe gegeben, englische Ausdrücke aufzuschnappen und seinem Gedächtniß einzuprägen. Dazu kam, daß ich, wenn es sonst nichts zu besprechen gab, dem Kleinen von meinem Vaterland erzählen mußte. Er interessirte sich aus Liebe zu mir ganz außerordentlich für dasselbe. Ich mußte ihm das Unverständliche erklären und die Dinge bei ihren deutschen Namen nennen, welche er sich zu merken trachtete. Auf diese Weise hatte er sich auch eine gute Anzahl deutscher Ausdrücke angeeignet und war erpicht darauf, diese in seinen Augen ganz bedeutenden Kenntnisse in Anwendung zu bringen. Dazu bot sich ihm jetzt eine Gelegenheit, welche er mit Freuden ergriff.
Seine Erzählung war halb türkisch, halb arabisch gehalten und reichlich mit englischen und deutschen Bezeichnungen gespickt. Letztere brachte er möglichst oft an, ohne sich sehr darum zu bekümmern, ob sie richtig seien oder nicht. Das gab denn einen Mischmasch, welcher mir heimlich außerordentliches Vergnügen machte. Der Lord aber hörte sehr ernsthaft zu und warf nur zuweilen eine Frage ein, wenn Halef durch eine allzu kühne Anwendung seiner Kenntnisse unverständlich wurde. Übrigens trugen die lebhaften Gesten, mit denen der Kleine seinen Bericht begleitete, sehr viel zur Verdeutlichung desselben bei.
Indessen brachten Osco und Omar unsere Pferde, und wir etablirten einen Bratspieß, an welchem die Reste des Bären in einen genießbareren Zustand gebracht wurden. Übrigens gab Halef der Wahrheit die Ehre. Er stellte zwar sein Verhalten sorgsam in ein möglichst glänzendes Licht, behauptete aber, daß er nicht mehr am Leben sein würde, wenn ich nicht zur rechten Zeit mit dem Messer gekommen wäre.
Während seiner Erzählung war es ein wahres Gaudium, das Mienenspiel des Lords zu beobachten. Er hatte die Gewohnheit, besonders wenn ihn eine Rede lebhaft interessirte, kein Auge von dem Sprechenden abzuwenden und die Gesichtsbewegungen desselben nachzuahmen. Das that er auch jetzt. Auf seinem Antlitz wiederholte sich das lebhafte Mienenspiel des Hadschi auf das Genaueste. Seine Augen, die Brauen, die große Nase, der breite Mund, sie befanden sich unausgesetzt in Bewegung, und diese Bewegungen brachten in Folge seiner eigenthümlichen Gesichtsbildung und des Contrastes mit Halef's Mienenspiel eine höchst erheiternde Wirkung hervor, von welcher man aber nichts merken lassen durfte.
»Well!« sagte er, als Halef geendet hatte. »Ihr habt Eure Sache gut gemacht, lieber Hadschi. Zwar kommt es mir ganz so vor, als ob dabei von Eurer Seite einige kleine Unregelmäßigkeiten mit unterlaufen seien, aber gefürchtet habt Ihr Euch nicht – das ist sicher. Wollte, ich wäre dabei gewesen! Mir passirt so Etwas nicht! Wenn ich einmal anfange, eine Heldenthat auszuführen, kommt mir stets Etwas dazwischen, wodurch ich daran verhindert werde.«
»Ja,« nickte ich ihm zu, »es kommt sogar vor, daß Ihr dabei ergriffen und in einen Karaul gesperrt werdet. Welche Heldenthat war es denn eigentlich, welche Euch veranlaßte, so Hals über Kopf nach Albanien zu kommen?«
»Hm! Habe diese Frage schon längst erwartet. Wußte, daß ich endlich beichten müsse. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich nur aus Liebe und Freundschaft für Euch hierher gekommen bin.«
»Das rührt mich tief. Eine Freundschaft, welche es riskirt, sich in einer Höhle des Schar Dagh todträuchern zu lassen, kann mir die bittersten Thränen des Entzückens erpressen.«
»Spottet nicht! Es war wirklich gut gemeint. Wollte Euch zu Hülfe kommen.«
»Ah so? Wußtet Ihr denn, wo Ihr uns treffen könntet, und kanntet Ihr die Gefahr, in welcher wir uns befanden?«
»Natürlich! Bevor ich von Stambul fortging, besuchte ich Maflai, bei welchem Ihr gewohnt hattet, um mich zu verabschieden. Sein Sohn Isla war soeben aus Edreneh zurückgekehrt. Er erzählte, was dort geschehen war. So erfuhr ich, daß Ihr nach Skutari zu dem Kaufmann Galingré reiten wolltet, um ihn vor großem Schaden und vielleicht noch anderen Gefahren zu bewahren. Ich hörte, daß Ihr es auf die Entflohenen abgesehen hättet; man schilderte mir ihre Gefährlichkeit; man erzählte mir so viel von dem Kerl, den Ihr den Schut nennt, daß mir um Euch bange wurde. Ich beschloß, Euch zu Hülfe zu kommen.«
»Diese Liebe kann ich Euch niemals vergelten, Sir! Ihr seid uns so wacker und nachdrücklich zu Hülfe gekommen, daß uns schließlich nichts Anderes zu thun blieb, als Euch hier aus dieser Höhle herauszuziehen.«
»Lacht nur, lacht! Konnte ich etwas von diesem Loch wissen?«
»Nein, auch wir kannten die Höhle nicht, sind aber trotzdem nicht hineingesteckt worden. Wie gelang es Euch denn aber, Euern gloriosen Plan so schnell in Ausführung zu bringen?«
»Sehr einfach. Ich erkundigte mich im Hafen nach einer passenden Gelegenheit, fand aber keine, die mich schnell genug fortgebracht hätte, miethete also einen kleinen Dampfer, einen Franzosen, welcher nicht recht wußte, welche Ladung er stauen sollte.«
»Das klingt freilich ganz nach Lord David Lindsay! Weil er nicht sofort eine passende Verbindung findet, miethet er gleich einen ganzen Dampfer. Wo liegt denn das Schiff? Ist es abgefahren, nachdem es Euch an das Land gesetzt hatte?«
»Nein, es muß auf meine Rückkehr warten. Liegt drunten in Antivari. Schlechter Hafen, ist zu seicht; ging aber leider nicht anders.«
»Nun weiter! Was thatet Ihr, als Ihr am Land gewesen?«
»Was sollte ich thun? Könnt es Euch doch denken! Ich nahm Pferde, Dolmetscher und einige Diener und ritt fort, hier herauf, wo wir nun zusammengetroffen sind. Das ist Alles!«
»Wenn Ihr das ›Alles‹ nennt, so möchte ich erst wissen, was ›Nichts‹ ist! Ihr hattet unterwegs zur See Zeit genug, Euch einen Plan zurecht zu legen.«
»Plan? Geht mir mit Euren Plänen! Die Geschichte wird doch stets ganz anders, als sie im Plan lautet.«
»Nun, dann wundert es mich freilich nicht, daß Ihr so prächtig hineingefallen seid. Wenn man so Etwas unternimmt, wie Ihr, muß man doch über die Art und Weise, wie es auszuführen ist, ein wenig nachdenken.«
»Das habe ich auch gethan, und ich brauchte gar keine lange Zeit dazu. Ich kaufte mir zunächst das Buch ›Redhouse Turkish and English dictionary‹; habe hundertachtzig Piaster dafür bezahlt – –«
»Und trotz dieses Wörterbuches einen Dolmetscher genommen!«
»War gezwungen dazu. War in dem Buch zu viel türkische Schrift, die man nicht lesen kann.«
»So war also bereits die Einleitung zu Eurer Errettungsfahrt von ungeheurem Erfolg begleitet! Ihr kauftet Euch ein Buch, welches Ihr nicht lesen konntet. Das ist sehr gut! Nun brauchtet Ihr Euch, um die Sache noch besser zu machen, nur noch einen Dolmetscher zu nehmen, der nicht Englisch verstand, so konnten die Heldenthaten beginnen.«
»Hört, Sir, wenn Ihr mich auslacht, so steige ich auf den Goldfuchs und lasse Euch hier jämmerlich sitzen!«
»Ja, und reitet den Aladschy und dem Schut wieder in die Hände, um abermals eingesteckt zu werden. Der Gedanke, nach Rugova zu reiten, war übrigens nicht ganz übel von Euch. Wie seid Ihr denn auf denselben gekommen?«
»Durch Erkundigung bei dem Dolmetscher und durch die Landkarte. Ich hatte erfahren, daß Ihr nach Menlik geritten seid; ich wußte, daß Ihr nach Skutari wolltet. Es gab nur einen einzigen Weg, welchen Ihr da benutzten konntet, und ich mußte Euch also auf demselben entgegen reiten.«
»Bei dieser Spekulation habt Ihr aber außer Acht gelassen, daß es meine Gewohnheit nicht ist, auf der Heerstraße zu ziehen. Es ist auch wirklich nur ein Zufall, daß wir uns hier befinden. Hätten wir den Schut in einer andern Gegend suchen müssen, so wäre Euer Tod eine ausgemachte Sache. Einmal im Ernst gesprochen, muß ich Euch wirklich herzlich dankbar dafür sein, daß Ihr Euch unsertwegen in solche Gefahren begeben habt. Aber ich habe doch eine leise Ahnung, daß Euch noch eine kleine andere Absicht geleitet hat.«
»Welche denn?«
»Das wißt Ihr selbst. Habe ich Recht?«
Ich deutete über meine Achsel hinweg dorthin, wo jetzt unsere Pferde standen. Der Lord schob seine Nase hin und her, als ob sie ihm in seiner Verlegenheit im Weg sei, räusperte sich einige Male und antwortete dann:
»Well! Ihr rathet ganz richtig. Dachte, daß Ihr Euch wegen des Rappen doch noch eines Besseren besonnen hättet. Möchte das Thier doch gar zu gern haben. Bezahle Euch ein Heidengeld dafür!«
»Mein Rih ist mir nicht feil; dabei bleibt es. Schweifen wir nicht von Eurer Erzählung ab! Dachtet Ihr denn in Antivari nicht an das Nothwendigste, was Ihr thun mußtet: an den Kaufmann Galingré?«
»Habe natürlich an ihn gedacht; bin auch dort gewesen. Das verstand sich ja ganz von selbst. Ihr wolltet zu ihm. Da mußte ich mich doch erkundigen, ob Ihr vielleicht schon angekommen.«
»Das war unmöglich. Aber warnen mußtet Ihr ihn, Sir!«
»Habe es auch gethan.«
»Was sagte er dazu?«
»Er? Hm, er war gar nicht da.«
»Wo war er denn?«
»Fort, in die Gegend von Pristina, in das sogenannte Amselfeld, um Getreide einzukaufen. Galingré hat sich nämlich durch den Getreidehandel bedeutende Reichthümer erworben. Jetzt hat er das Geschäft verkauft und will in das Innere, nach Uskub, um dort ein neues Geschäft zu gründen, weil die Gegend dort überaus fruchtbar ist und durch die neue Eisenbahn ein Absatzweg eröffnet wird.«
»Von wem habt Ihr das erfahren?«
»Vom Dolmetscher, der es in der Stadt hörte.«
»Nicht bei Galingré selbst?«
»Nein.«
Ich kannte den guten Lord sehr genau und ahnte, daß er hatte pfiffig sein wollen, aber grad auf die allergrößte Dummheit verfallen war. Er liebte es, Abenteuer aufzusuchen, fiel aber diesen Abenteuern fast regelmäßig zum Opfer.
»Habt Ihr den Dolmetscher und die Diener schon in Antivari engagirt?« fragte ich ihn.
»Natürlich! Wir ritten dann nach Skutari. Dahin gab es schlechten Weg, hart gepflastert und von Zeit zu Zeit wieder aufgerissen, um ihn für den Kriegsfall ungangbar zu machen. Dann ging es stundenlang durch Morast, kamen sehr beschmutzt und glücklich in Skutari an, wo ich mich sogleich nach Galingré's Wohnung erkundigte und zu ihm ging.«
»Von wem wurdet Ihr empfangen?«
»Er war verreist, nach Pristina, wie ich bereits sagte. Ich wurde in das Comptoir geführt, welches ganz leer war, da er das Geschäft verkauft hatte. Es empfing mich sein Disponent, ein feiner, gewandter, erfahrener und höchst liebenswürdiger Mann.«
»Hörtet Ihr seinen Namen?«
»Allerdings. Er hieß Hamd el Nassr.«
»Ah! Ausgezeichnet!«
»Kennt Ihr ihn vielleicht, Master?«
»Sehr genau sogar.«
»Nicht wahr, ist ein prächtiger Kerl?«
»Sehr prächtig! Er wird sich gefreut haben, Euch kennen zu lernen, zumal wenn Ihr ihm von mir erzählt habt.«
»Sonderbar! Er that gar nicht so, als ob er Euch kenne!«
»Er wird wohl einen Grund dazu gehabt haben. Natürlich habt Ihr ihm gesagt, was der Zweck Eures Kommens sei?«
»Ja, habe ihm alles erzählt, Eure Erlebnisse in Stambul und Edreneh, die Flucht Barud el Amasat's, Manach el Barscha's und des Gefängnißschließers, und habe ihn schließlich ernstlich vor dem Bruder des Ersteren, vor Hamd el Amasat, gewarnt. Habe ihm gesagt, daß dieser Kerl ein Schurke sei, der Master Galingré betrügen wolle, ein Mörder, welcher lange Zeit, aber leider vergeblich verfolgt worden ist.«
»Ausgezeichnet! Was sagte er dazu?«
»Er bedankte sich wiederholt bei mir durch die herzlichsten Händedrücke und ließ Wein bringen. Hamd el Amasat war durchschaut und bereits fortgejagt worden. Das war klug. Dann erkundigte er sich nach dem Weg, den ich einschlagen wolle, um Euch zu treffen. Ich sagte ihm, daß ich nach Kalkandelen und Uskub gehen werde, auf welcher Route ich Euch sicher begegnen müsse. Er hieß das sehr gut und gab mir die besten Rathschläge.«
»Der brave Kerl!«
»Ja, ist zwar nur ein Türke, aber dennoch durch und durch ein Gentleman. Gab mir sogar einen Empfehlungsbrief mit.«
»So! An wen, mein verehrter Herr?«
»An den bedeutendsten Pferdehändler des Landes, Kara Nirwan in Rugova, durch welchen Ort mich meine Straße führte. Hat diesen Kerl aber doch nicht genau gekannt, denn grad durch diesen Pferdehändler bin ich in die Patsche gerathen.«
»War der Empfehlungsbrief ein offener?«
»Nein.«
»Und Ihr habt ihn auch nicht geöffnet und gelesen?«
»Was denkt Ihr von mir, Master! Ein Gentleman, ein Lord von Altengland, und Entheiligung eines Briefgeheimnisses! Oder haltet Ihr mich wirklich für so ordinär?«
»Hm! Ich gestehe Euch offen, daß ich in diesem Fall ganz gewiß sehr ordinär gewesen wäre.«
»Wirklich? Fremde Briefe macht Ihr auf, aber ein fremdes Pferd ist Euch heilig! Sonderbarer Kerl, der Ihr seid!«
»Es ist oft von Vortheil, sonderbar zu sein. So habt Ihr also nur mit diesem Master gesprochen. Hat Galingré keine Familie?«
»Frau und verheirathete Tochter. Der Schwiegersohn wohnt in demselben Hause.«
»So hätte ich an Eurer Stelle mich diesen Personen vorstellen lassen!«
»Wollte es auch, aber der Schwiegersohn war nicht daheim und die Damen befanden sich in Negligé, waren überhaupt so mit Einpacken beschäftigt, daß sie keinen Augenblick übrig hatten, Besuch zu empfangen.«
»Ließen sie Euch das sagen?«
»Nein, der Disponent sagte es.«
»Warum packten sie ein?«
»Weil sie eben nach Uskub ziehen. Galingré hatte ihnen aus Pristina einen Boten gesandt, daß er gar nicht erst wieder heimkommen, sondern gleich von dort aus nach Uskub gehen werde, um sie dort zu erwarten. Sie wollten zwei oder drei Tage nach mir aufbrechen.«
»Wißt Ihr, wer der Bote gewesen ist, den Galingré angeblich gesandt hat?«
»Nein.«
»So! Hm! Hat denn dieser vortreffliche Hamd el Nassr Euch nicht anvertraut, daß er selbst es gewesen ist?«
»Er sagte nichts davon. Übrigens irrt Ihr Euch da. Er selbst kann diese Botschaft nicht gebracht haben, da er als Disponent daheim bleiben mußte.«
»O nein! Er ist mit Galingré geritten und dann wieder umgekehrt, um dessen Familie und – – Vermögen nachzuholen.«
»Wäre dies der Fall, so hätte er es mir gesagt.«
»Er hat Euch noch ganz andere Dinge verschwiegen. Dieser liebenswürdige Herr, den Ihr einen ächten Gentleman nennt, ist ein Schurke durch und durch.«
»Master, das könntet Ihr nicht beweisen!«
»Sogar sehr leicht. Er hat, als Ihr fort waret, Euch sicher ganz gewaltig ausgelacht.«
»Das will ich mir verbitten!«
»Ich will Euch sogar sagen, daß er Euch für einen riesigen Dummkopf gehalten hat und heute noch hält.«
Während des Gespräches war der Schinken und die Tatze gebraten worden. Lindsay hatte die Tatze erhalten und sich soeben das erste Stück davon in den Mund geschoben. Bei meinen letzten Worten vergaß er, denselben zu schließen. Er starrte mich eine Weile an, die Tatze in der Linken, das Messer in der Rechten und das Fleischstück in dem offenen Mund. Dann spuckte er das Fleisch aus und fragte:
»Ist das Euer Ernst, Sir?«
Er nannte mich stets Master. Sagte er ja einmal ›Sir‹ zu mir, so war das ein sicheres Zeichen seines Zornes.
»Ja, mein völliger Ernst,« antwortete ich.
Da sprang er auf, warf Messer und Tatze fort, streifte sich die Ärmel auf und rief:
»Well! So boxen wir! Steht auf, Sir! Ich werde Euch einen Dummkopf auf den Magen geben, daß Ihr hier aus dem Thal hinaus bis in die Wüste Gobi fliegt! Ich, Lord David Lindsay, ein Dummkopf!«
»Bleibt doch sitzen, Sir!« antwortete ich ruhig. »Nicht ich nenne Euch so, sondern ich habe nur gesagt, daß jener Mensch Euch für einen solchen hält.«
»Woher wißt Ihr es?«
»Ich denke es mir.«
»So! Aber diesen Gedanken werde ich Euch austreiben, Sir! Ob Ihr mich einen Dummkopf nennt oder es mir sagt, daß ein Anderer mich so heißt, das ist ganz und gar gleich. Steht auf! Wer den Muth hat, mich zu beleidigen, der muß auch den Muth haben, sich mit mir zu boxen! Legt Euch nur aus! Ich gebe Euch Eins auf den Magen, daß Euch derselbe aus dem losen Mund springen soll!«
»Gut, ich mache mit, Sir! Aber nicht jetzt, sondern nachher, wenn unser Gespräch beendet ist.«
»So lange warte ich nicht!«
»Wenn ich nicht eher mitthue, werdet Ihr doch warten müssen. Ihr habt einen Geniestreich begangen, für welchen Ihr eigentlich einen Orden bekommen solltet. Ihr seid nach Skutari geritten, um Galingré vor Hamd el Amasat zu warnen, und habt statt dessen diesen Hamd el Amasat vor uns gewarnt. Ihr seid nach Antivari gedampft, um uns in den etwa drohenden Gefahren beizustehen, und habt doch alles Mögliche gethan, uns den Feinden in die Hände zu liefern; ja, Ihr selbst seid ihnen bereits mit größter Unbefangenheit schnurstracks in die Falle gelaufen. Natürlich lachen sie Euch aus. Wenn Ihr da denkt, daß sie Euch für ein Wunder der Klugheit halten, so begreife ich Euch durchaus nicht.«
Diese Worte erhöhten seinen Zorn. Er ballte die Fäuste, stellte sich breitspurig vor mich hin und rief:
»Das, das wagt Ihr mir zu sagen, Ihr Master, Ihr Mister, Ihr Sir, Ihr – Ihr – Ihr Mosjeh? Auf und heran! Das Boxen beginnt! Ich gebe Euch Eins, daß Ihr wie ein Milchtopf in Scherben aus einander fliegt!«
»Habt nur noch einen Augenblick Geduld, Sir! Habt Ihr denn nicht geahnt, daß derjenige, dem Ihr Eure Warnung mittheiltet, just derselbe war, vor dem Ihr warnen wolltet?«
»Wie? Was? Hätte ich das gethan, so wäre ich allerdings noch dümmer als dumm gewesen; ich müßte mich einen Verrückten nennen.«
»Nun, so nennt Euch so! Mir aber nehmt es ja nicht übel, daß ich nur das Wort Dummkopf in anderer Leute Mund gelegt habe. Ist Euch denn nicht der Name aufgefallen, welchen der Disponent führt?«
»Hamd el Nassr? Nein.«
»Und derjenige, vor welchem Ihr ihn warntet, heißt Hamd el Amasat!«
»Was thut das, wenn sich die Vordernamen gleichen? Millionen Menschen haben gleiche Vornamen.«
»Gut! Wir haben Euch doch früher unser Erlebniß in der Sahara erzählt, von der Ermordung des jungen Galingré und dann des Führers Sadek auf dem Schott. Könnt Ihr Euch noch auf den Namen des Mörders besinnen?«
»Ja, es war eben dieser Hamd el Amasat.«
»Er nannte sich aber damals anders. Besinnt Euch doch einmal!«
»Ich weiß es wohl. Er nannte sich Vater des Sieges, auf arabisch Abu el Nassr.«
»Nun, so vergleicht einmal diese beiden Namen Hamd el Amasat und Abu el Nassr mit dem Namen des Disponenten, welcher Hamd el Nassr heißt!«
Er hielt noch immer beide Fäuste erhoben. Jetzt ließ er sie langsam sinken. Auch seine Unterlippe sank tiefer und immer tiefer herab, und sein Gesicht nahm den Ausdruck einer so rührenden geistigen Bescheidenheit an, daß ich laut auflachen mußte.
»Hamd – el – – Nassr!« stammelte er. »O Himmel! Dieser Name ist aus den zwei Namen des Mörders zusammengesetzt! Sollte – sollte – sollte – –«
Er stockte.
»Jawohl, es ist so, wie Ihr jetzt befürchtet, Sir! Ihr habt den Mörder vor sich selbst gewarnt. Er hat Euch für so – so – ich will sagen, so unschädlich gehalten, daß er Euch sogar einen Empfehlungsbrief in die Hände gab, in welchem an Kara Nirwan die Weisung stand, sich Eurer Person zu bemächtigen. Diesen Brief habt Ihr in rührender Ehrlichkeit an die richtige Adresse geliefert und seid natürlich festgenommen und hierher geschafft worden, um todtgeräuchert zu werden, wie eine Finne oder Trichine in der Schlackwurst. Nebenbei aber habt Ihr verrathen, daß wir kommen, und also dem Mann, auf welchen wir es abgesehen, die Waffe gegen uns in die Hand gegeben. Es ist ein geradezu beispiellos guter und kluger Dienst, den Ihr Euch selbst und Euren Freunden geleistet habt. Das wollte ich Euch sagen. Und nun, Sir, kann das Boxen beginnen. Ich bin bereit dazu. Also, come on!«
Ich war aufgestanden und streifte nun auch meine Ärmel empor. Aber als ich mich gegen ihn auslegte, wandte er sich langsam ab, ließ sich noch langsamer auf seinen vorigen Platz nieder, senkte den Kopf, kratzte sich mit beiden Händen hinter den Ohren und stieß einen so gewaltigen Seufzer aus, daß es schien, er habe die ernstliche Absicht, mit demselben das Feuer auszublasen.
»Nun, Sir, ich denke, Ihr wollt mich nach der Wüste Gobi fliegen lassen!«
»Seid still, Master!« bat er in kläglichem Ton. »Ich glaube, ich habe die Gobi im Kopf!«
»Mich wie einen Milchtopf in Scherben schlagen!«
»Ich selbst bin der größte Kleistertopf der Welt!«
»Oder mir den Magen aus dem Mund treiben!«
»Schweigt! Ich habe an meinen eigenen Magen zu denken. Ich habe Lord David Lindsay drin, und aber wie! Well! Yes!«
»Es scheint, Ihr bildet Euch auf Euern prachtvollen Gentleman in Skutari nichts mehr ein?«
»O weh! Laßt mich mit diesem Schurken in Ruh'! Was muß er von mir denken! Er muß doch glauben, ich habe Schafskäse im Kopf anstatt des Gehirns!«
»Das war vorhin meine Meinung; Ihr wolltet Euch deßhalb mit mir boxen. Wollt Ihr etwa jetzt auf diese Genugthuung verzichten?«
»Gern, sehr gern! Vom Boxen kann keine Rede sein, denn Ihr habt nur zu sehr Recht gehabt. Ich möchte mich selbst boxen. Seid doch einmal so gut, Master, und gebt mir eine Ohrfeige, aber eine solche, daß man sie in Altengland hören kann!«
»Nein, Sir, das werde ich nicht thun. Wer zur Einsicht seines Fehlers kommt, dem soll man die Strafe erlassen. Und zu Eurer Beruhigung will ich Euch versichern, daß Ihr uns keinen Schaden gemacht habt. Nur Ihr selbst seid von den Folgen Eures Fehlers getroffen worden.«
»Das sagt Ihr nur, um mich zu beruhigen.«
»Nein, es ist die Wahrheit.«
»Das glaube ich nicht. Dieser Hamd el Amasat ist nun auf Euch vorbereitet.«
»Nein; denn er hält uns für todt.«
»Wird ihm nicht einfallen!«
»Doch! Er hat erfahren, daß wir hier getödtet werden sollen. Er nimmt an, daß wir, wenn wir ja hier entkommen sollten, dem Schut dann desto sicherer in die Hände laufen. Er ist also ganz ruhig in Beziehung auf die Gefahr, welche ihm von unserer Seite droht.«
»Woher sollte er das Alles wissen?«
»Von dem Schut, bei dem er gewesen ist.«
»Ah! Wißt Ihr denn, daß er dort war?«
»Ja. Und was ich nicht gehört habe, das vermuthe ich. Man kann doch seine Schlüsse ziehen. Wenn Ihr glaubt, der Kaufmann Galingré befinde sich wirklich in Pristina, so irrt Ihr Euch. Er ist vielleicht gar Euer Gefängnißnachbar gewesen, denn er steckt jetzt im Karaul bei Rugova.«
»Master!«
»Ja, ja! Hamd el Amasat ist nur deßhalb bei ihm in's Geschäft getreten, um ihn zu ruiniren. Er hat ihn nach Pristina begleitet und ihn dem Schut in die Hände geliefert. Dort haben sie ihm sein Geld abgenommen. Da er Getreideeinkäufe machen wollte, so nehme ich an, daß er eine nicht geringe Summe bei sich trug. Hamd el Amasat hat ihm ferner, wie ich vermuthe, den Verkauf des Geschäftes und die Gründung eines neuen eingeredet. Dadurch ist das Vermögen Galingré's flüssig gemacht worden. Da er nicht selbst in Skutari ist, so gelangt es in die Hände seiner Frau oder seines Schwiegersohnes. Um es zu erlangen, muß Hamd el Amasat sich dieser Personen versichern, und zwar so, daß Niemand es erfährt. Darum hat er ihnen der Wahrheit zuwider die Botschaft gebracht, Galingré sei direkt nach Uskub gereist, und sie sollten schnell dorthin nachkommen. Sie packen nun und werden reisen, aber nicht nach Uskub, sondern nur nach Rugova, wo sie verschwinden werden mit Allem, was sie bei sich führen. Dieser Plan ist bereits vor längerer Zeit gefaßt und mit raffinirter Schlauheit ausgeführt worden. Hamd el Amasat hat seinen Bruder Barud aufgefordert, zu ihm zu kommen und in Rugova, im Karanirwan-Khan, mit ihm zusammen zu treffen. Dieser Zettel fiel in meine Hände und diente mir als Wegweiser. Die beiden Brüder beabsichtigen wohl, mit dem geraubten Geld irgendwo ein Geschäft anzufangen oder von dem Geld zu leben. Ein Theil des Raubes wird oder soll auf den Schut fallen. Man hat Galingré nicht ermordet, sondern man läßt ihn noch leben, um mit Hülfe seiner Unterschrift etwaige noch nicht eingegangene Außenstände später eintreiben zu können. So setze ich mir die ganze Geschichte zusammen, und ich glaube nicht, daß ich dabei viel irre gehen werde.«
Lindsay schwieg. Sein Fehler drückte ihn so sehr, daß er zunächst an nichts Anderes denken mochte. Ich hielt die Bärentatze über das Feuer, um sie wieder warm zu machen, und reichte sie ihm dann mit den Worten hin:
»Laßt das Geschehene jetzt ruhen und beschäftigt Euch lieber mit dieser Delikatesse. Das wird Euch dienlicher sein.«
»Glaube es schon, Master! Aber für solche Dummheiten mit einer gebratenen Bärentatze belohnt zu werden, das muß ich allzuviel Nachsicht nennen. Ich will sie dennoch nehmen; aber ich werde meinen Streich quitt machen. Wehe diesem Disponenten, wenn ich ihn zwischen meine Hände bekomme!«
»Ihr werdet keine Gelegenheit finden, es ihm heimzuzahlen. Der Führer Sadek, welchen er erschoß, war der Vater unsers Omar. Hamd el Amasat ist also Omar's Blutrache verfallen. Wir können nichts Anderes thun, als der Sache einen möglichst humanen Abschluß geben. Eßt also jetzt, Sir! Wie es Euch in Rugova ergangen ist, könnt Ihr mir später sagen.«
»Das könnt Ihr sogleich erfahren. Mein Bekenntniß wird mir das Salz zum Braten sein.«
Er schob eine tüchtige Schnitte zwischen die Zähne, kaute, daß die Nase auf und nieder stieg, und berichtete:
»Wir quartierten uns, als wir Rugova erreichten, natürlich im Khan des Kara Nirwan ein. Der Wirth war selbst daheim, und ich gab den Empfehlungsbrief ab. Er las ihn bedächtig durch, steckte ihn ein und reichte mir auf das Herzlichste die hand, wobei er mir mit Hülfe des Dolmetschers versicherte, daß ich ihm bestens empfohlen sei und auf ihn rechnen könne; ich sei sein Gast, so lange es mir beliebe, und solle ja nicht etwa daran denken, Etwas bezahlen zu müssen.«
»Wie ich Euch kenne, ließet Ihr nun grad Euer Geld sehen?«
»Natürlich! Dieser Mann sollte bemerken, daß ein Lord Altengland's bezahlen und dann, wenn man keine Bezahlung annehmen will, reichlich belohnen kann.«
»Ich hörte davon, als ich hier ein Gespräch des Köhlers mit dem Alim belauschte. Letzterer erzählte, daß Ihr sehr reich sein müßtet. Es ist stets unvorsichtig, in der Fremde – und zumal hier bei diesen unzähmbaren Leuten – reichliche Geldmittel sehen zu lassen.«
»Sollte man etwa denken, daß ich ein Lump sei, der sich nur deßhalb um Empfehlungsbriefe bemüht, weil er umsonst essen und trinken will?«
»Das ist Eure Ansicht, Sir. Ich aber sage Euch, daß wir während unseres Rittes fast nie bezahlen durften und doch nicht für Lumpen gehalten worden sind.«
»So weiß ich wirklich nicht, auf welche Weise Ihr das anfangt. Ich kann kommen, wohin ich will, so ist Geld stets das Erste, was man bei mir sehen will. Und je mehr ich bezahle, desto dringender fährt man fort, Geld zu verlangen. Kurz und gut, ich gab sofort jedem Bediensteten des Kara-Nirwan-Khanes ein tüchtiges Bakschisch, wofür sie mir Alle die höchste Dankbarkeit zollten.«
»Ja, eine Dankbarkeit, welche endlich darin gipfelte, daß man Euch Alles nahm, sogar die Freiheit. Auf welche Weise wurdet Ihr denn in die Falle gelockt?«
»Durch den Dolmetscher, dem ich unterwegs von meinen Reisen erzählt hatte. Unter Anderem hatte ich ihm auch gesagt, daß ich gern vergrabene Alterthümer zutage fördere, geflügelte Stiere und so weiter, aber nie ein rechtes Glück dabei gehabt hätte. Das hatte er dem Wirth wieder gesagt, und dieser ließ mich fragen, ob ich vielleicht in diese Gegend gekommen sei, um auch solche Ausgrabungen vorzunehmen. Auf meine Erkundigung theilte er mir mit, daß er allerdings einen Ort kenne, an welchem etwas sehr Werthvolles zu finden sei, doch habe die Regierung verboten, Nachforschungen zu halten.«
»Ah so! Dieses Verbot mußte er ersinnen, um Euch des Nachts fortlocken zu können.«
»So ist es. Er deutete heimlich auf den Dolmetscher und machte dabei eine Gebärde, aus welcher ich entnahm, daß auch dieser nichts erfahren dürfe. Da kam ich auf den Gedanken, dem Wirth das Wörterbuch zu geben, welches ich in Stambul gekauft hatte, ohne es brauchen zu können. Er nahm es und ging fort, jedenfalls, um darin zu studiren.«
»Das habt Ihr sehr brav gemacht. Er konnte nicht ohne Hülfe des Dolmetschers mit Euch sprechen. Dieser hätte jedenfalls Euch gewarnt. Durch das Buch gabt Ihr dem Schut das beste Mittel in die Hand, Euch, ohne daß der Dolmetscher Mißtrauen fassen konnte, in das Netz zu locken. Sagt ja nicht, daß der Dragoman die Schuld trage. Ihr habt Euch selbst Alles zuzuschreiben. Fand sich denn der Schut in das Buch?«
»Sehr leicht; er konnte ja die türkische Schrift lesen. In einem unbewachten Augenblicke des nächsten Tages winkte er mir, ihm in eine abgelegene Stube zu folgen, in welcher wir allein waren. Das Buch lag auf dem Tisch. Er hatte sich Wörter angezeichnet, las sie mir türkisch vor und deutete dann auf die daneben stehende englische Übersetzung. Am meisten wiederholten sich dabei die Worte Kanad aslani und Maden.«
»Also ein geflügelter Löwe in einem Bergwerk?«
»Ja, das war es, wie ich nach und nach verstand. Er zeigte mir durch die Wörter, welche er ausgesucht hatte, an, daß er mich des Nachts über den Fluß in einem Kahn nach einem Bergwerk führen werde, in welchem ein geflügelter Löwe zu finden sei.«
»Und diesen Unsinn habt Ihr geglaubt?«
»Warum nicht? Gibt es am Tigris geflügelte Stiere, so kann es auch hier am Drin geflügelte Löwen geben.«
»So seid Ihr freilich in der Geschichte besser bewandert als ich, der ich so Etwas nicht für möglich halte.«
»Ob möglich oder nicht, ich glaubte es. Er nickte mir fragend zu, und ich nickte ihm antwortend. Die Sache war abgemacht, und als Alle schliefen, holte er mich ab und führte mich zu dem Dorf an das Ufer des Flusses. Dort war ein Kahn, und wir stiegen ein. Er ruderte stromaufwärts, bis wir eine Felswand erreichten, in welcher es ein Loch gab, von herabhängenden Pflanzen dicht überdeckt. Dahinein ging es. Der Kahn wurde angebunden, und dann brannte der Schut eine Fackel an, welche er mitgenommen hatte. Wir stiegen aus und befanden uns in einem Gang, welcher ein Stollen zu sein schien, auf dessen Boden Bretter gelegt waren. Er winkte mir, ihm zu folgen, und schritt mit der Fackel voran. Der Stollen stieg stetig bergan, bis wir in eine große, runde Kammer kamen, in deren Wand ich mehrere niedrige Thüren bemerkte. Auch sah ich einen eisernen Ring in der Mauer, in welchen der Schut die Fackel steckte. Dann klatschte er in die Hand. Es öffnete sich eine der Thüren, und es trat einer der Knechte hervor, welchen ich am Tag ein Bakschisch gegeben hatte. Er trug einen Hammer in der Hand. Der Schut öffnete eine zweite Thüre und deutete hinein. Als ich mich bückte, um da hinein zu sehen, versetzte mir der Knecht mit dem Hammer einen Schlag auf den Kopf, daß ich niederbrach.«
»Aber, Sir, hattet Ihr denn gar kein Mißtrauen gefaßt?«
»Nein. Seht Euch nur diesen Kara Nirwan an und sagt mir dann, ob es Euch möglich sei, ihn für einen solchen Halunken zu halten! Er hat ein so ehrliches Gesicht, daß man ihm sofort das größte Vertrauen schenken muß. Ich habe erst hier erfahren, daß er der Schut ist.«
»Nun, hoffentlich bekomme ich ihn auch zu sehen und da werde ich mir seine Physiognomie genau betrachten. Weiter!«
»Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich allein. Die Hände hatte ich frei; die Füße steckten in eisernen Ringen, welche in den Boden eingelassen waren. Unter mir, rechts, links und hinter mir hatte ich Fels. Die Decke konnte ich mit dem Arm nicht erreichen, da es mir nicht möglich war, aufzustehen. Ich konnte nur sitzen oder liegen – ich war gefangen!«
»Eine sehr energische, aber nicht ganz unverdiente Bestrafung Eurer Unvorsichtigkeit! Wie war Euch denn zu Muth? Was dachtet Ihr?«
»Das könnt Ihr Euch doch denken. Ich habe geflucht und gebetet; ich habe stundenlang gerufen und gebrüllt, ohne daß Jemand auf mich hörte. Ich fand, daß ich vollständig ausgeraubt sei. Nicht einmal die Uhr hatte man mir gelassen, und auch der Hut war weg.«
»Nun, über den hohen, grauen Cylinderhut werdet Ihr Euch leicht trösten, obgleich Ihr den Ritt hierher nun ohne Kopfbedeckung gemacht habt. Und was die Uhr betrifft, so werdet Ihr doch nicht erwarten, daß ein Räuber Euch ein so kostbares, mit Brillanten besetztes Prachtstück lassen wird, nur daß Ihr in einer durchaus finstern Zelle nach der Zeit sehen könnt.«
»Ich hätte sie repetiren lassen. Nun aber wußte ich nicht, wie lange ich ohne Besinnung gelegen hatte. Welche Zeit ich nun wartete, bis Jemand erschien, das kann ich nicht bestimmen. Endlich wurde die Thüre geöffnet. Draußen stand der Schut. Er hatte ein Licht, Tinte, Papier, Feder, mein Buch und einen Zettel. Dies Alles setzte und legte er vor mich hin. Mit zwei Pistolen hielt er mich im Schach, daß ich mich nicht an ihm vergreifen würde, da ich ja die Hände frei hatte. Mit Hülfe der Auszüge, welche er aus meinem Buch auf den Zettel gemacht hatte, erfuhr ich, daß ich sterben müsse, wenn ich ihm nicht eine Anweisung auf zwei und ein halbes hunderttausend Piaster gebe. Diese Anweisung sollte ich auf das Papier schreiben. Er zog dabei den mir abgenommenen Siegelring aus der Tasche und ein Stück Petschirlack dazu.«
»Das sind fast sechzehntausend Thaler. Das Geschäft dieses Mannes wäre ein ganz ausgezeichnetes, wenn er öfters solche Vögel finge und auch wirklich Geld erhielte. Ihr habt Euch aber geweigert, darauf einzugehen?«
»Wie sich das ganz von selbst versteht. Er kam noch einige Male, aber mit demselben Mißerfolg. Er brüllte mich türkisch oder armenisch, meinetwegen auch persisch an, und ich antwortete englisch. Wir verstanden die Worte nicht, aber wir wußten sehr wohl, was sie zu bedeuten hatten. Endlich kam er noch einmal und brachte den erwähnten Knecht wieder mit. Die Hände wurden mir gebunden und die Füße aus den Klammern befreit. Man fesselte sie mir wieder zusammen; dann bekam ich ein Tuch um die Augen und wurde fortgeschleppt.«
»Wohin? Wieder durch den Stollen?«
»Nein. Es ging durch mehrere Kammern und Gänge, wie ich an dem Schall ihrer Schritte erkannte. Ich selbst konnte nicht gehen – ich wurde getragen. Dann legte man mich nieder. Ich ward an einen Strick gebunden und eine ganze Zeitlang, welche mir wie eine Ewigkeit erschien, emporgezogen.«
»Ah! So gibt es also doch einen Schacht! Wenn Ihr nur die Mündung desselben gesehen hättet!«
»Wartet nur! Oben, als ich frische Luft spürte, wurde ich niedergelegt. Menschen sprachen leise mit einander, und ich hörte das Schnauben von Pferden. Dann wurden mir die Fußfesseln gelöst. Man hob mich in einen Sattel und band mir die Füße mit einem Strick zusammen, welcher unter dem Leib des Pferdes hinlief. Dabei war das Tuch ein wenig emporgerutscht, und ich konnte sehen, wenn auch nicht viel. Ich sah Häusertrümmer und einen starken, runden Thurm, welcher wohl der Karaul gewesen sein mag. Sonst gab es rundum Wald.«
»Also mündet der Schacht bei den Trümmern in der Nähe des Thurmes, wie ich's mir dachte.«
»So ist es. Ich wurde fortgeschafft, wohin und in welcher Gesellschaft, das wißt Ihr ja.«
»Behieltet Ihr das Tuch noch lange um die Augen?«
»Erst kurz vor unserer Ankunft hier wurde es mir abgenommen, da es indessen dunkel geworden war und ich doch nichts sehen konnte. Das Übrige brauche ich nicht zu erzählen.«
»Und wie war es denn mit Ihnen?« fragte ich den Dragoman. »Das Verschwinden des Lords muß Euch doch aufgefallen sein.«
»O nein,« antwortete er. »Ich sah ihn zwar nicht, als ich erwachte; aber als ich nach ihm fragte, sagte man mir, er sei in der Richtung des Dorfes fortgegangen, langsam und gemächlich, als ob er spazieren wolle. Das war nichts Außergewöhnliches. Ich konnte dem Lord doch nicht verbieten, sich ohne meine Begleitung das Dorf und den Fluß zu betrachten. Dann kam der Alim geritten; es war noch früh am Morgen. Er sagte mir, daß er den Lord gesehen habe und mich an die betreffende Stelle führen könne – –«
»Sagte er das sofort, als er kam?«
»Nein. Er hatte erst mit dem Wirth gesprochen.«
»Dachte es mir! Dieser hatte ihn instruirt, wie er es anfangen solle, auch Sie festzunehmen. Der Alim machte nämlich am Abend vorher hier aus, daß er Sie mitbringen wolle, da der Köhler ja nicht mit dem Lord sprechen könne. Gingen Sie mit ihm?«
»Ja. Er zeigte mir die Stelle, an welcher er den Lord gesehen hatte, aber dieser war nicht da. Also suchten wir ihn.«
»Sehr schlau! Es wurden indessen die Männer beordert, welche sich Eurer bemächtigen sollten.«
»So ist es. Der Alim führte mich endlich zum Karaul, wo ich die Pferdeknechte des Wirthes fand. Dort wurde mir gesagt, der Engländer müsse eine kleine Reise antreten, und ich solle ihn begleiten. Eine Weigerung werde mein Tod sein. Ich wurde festgenommen, auf das Pferd gebunden und erhielt auch ein Tuch, so wie der Lord. Einer Schuld an diesem Vorfall kann mich Niemand zeihen.«
»Das wird keinem Menschen im Ernste einfallen. Sie hätten hier ganz unschuldig das Leben lassen müssen. Sie können nun viel dazu beitragen, daß diese Leute ihre Strafe erleiden. Hoffentlich bewachen Sie dieselben sorgfältig!«
»Das versteht sich ganz von selbst; aber ich hoffe, daß Sie mich nicht zu lange warten lassen. Man weiß nicht, was geschehen kann.«
»Ich werde mich beeilen. Wäre ich in Kolutschin bekannt, durch welches wir kommen, so würde ich Ihnen von dorther einige zuverlässige Männer senden, damit Sie Gesellschaft hätten. Aber ich kenne dort keinen Menschen und müßte gewärtig sein, Ihnen solche Leute zu schicken, welche Freunde des Köhlers sind.«
»Was das betrifft, so bin ich im Stande, Ihnen Einen zu nennen, an welchen Sie sich wenden können, oder sogar Zwei. Ein Nachbar von mir in Antivari hat eine Frau, welche aus Kolutschin gebürtig ist. Sie hat zwei Brüder in der Heimat, von denen der eine sie oft besucht. Ich kenne ihn sehr genau und kann, wenn Sie es verlangen, darauf schwören, daß er ein treuer und sicherer Mann ist, der mir sehr gern den Gefallen thun wird, hierher zu kommen. Er kann seinen Bruder und vielleicht noch einen Bekannten mitbringen.«
»Wer ist dieser Mann?«
»Er ist ein Taschdschy, ein kräftiger Bursche, welcher sich vor drei Andern nicht fürchtet, und heißt Dulak. Wollen Sie nach ihm fragen?«
»Ja, ich sende ihn her, nämlich wenn er auf diesen Wunsch eingeht. Findet er noch Jemand, der ihn begleiten will, so können wir ihnen, wenn sie keine Pferde haben, um schnell herbei zu kommen, diejenigen geben, welche wir von hier mitnehmen. Und nun glaube ich, wir haben genug gesprochen. Wir wollen schlafen. Wir wissen nicht, was die nächste Nacht bringt. Wir wollen losen, wie die Reihe der Wache läuft. Beim Morgengrauen brechen wir auf, um wo möglich schon am Mittag in Rugova zu sein.«
»Herr,« sagte der Dolmetscher, »es soll Keiner wachen, als nur ich. Sie und Ihre Begleiter müssen sich morgen anstrengen, während ich hier ruhen kann. Auch sind es nur wenige Stunden von jetzt bis zur Morgenröthe. Diese Bitte müssen Sie erfüllen.«
Ich wollte nicht; da er aber darauf bestand, so that ich ihm den Willen. Ich war ja überzeugt, daß er ein treuer Mann sei, welcher während unseres Schlafes nichts Unrechtes vornehmen werde.
Dennoch war es mir nicht möglich, ruhig zu schlafen. Der Gedanke an so viele eingesperrte Schurken, welche vielleicht doch die Mittel fänden, sich zu befreien, beunruhigte mich. Als der Morgen anbrach, war ich zuerst auf den Beinen. Ich ging nach dem Stall zu den vier Pferden. Da hingen die Sättel und Decken. Zwei Decken trugen in einer Ecke die beiden Buchstaben St und W. Das sollte jedenfalls Stojko Wites heißen. Zwei Pferde, darunter der Goldfuchs, und zwei Sättel gehörten ihm. Er sollte sie wieder bekommen.
Nun weckte ich die Genossen und kroch dann in die Höhle, um mich zu überzeugen, daß die Gefangenen sicher verwahrt seien. Ich ließ ihnen Wasser bringen, damit sie trinken konnten. Essen bekamen sie nicht, obgleich ich in der Stube des Köhlers Mehl und anderes Eßbare gesehen hatte, aber in welchem Zustand!
Anfangs hatten wir die im Meiler gefundenen Waffen, welche nicht vertheilt worden waren, verbrennen wollen; wir ließen sie jedoch unbeschädigt. Der Dolmetscher konnte sie an sich nehmen und damit thun, was ihm beliebte. Er sagte, daß er die Stücke, welche er nicht gebrauchen könne, den Leuten geben wolle, welche wir ihm aus Kolutschin schicken würden. Wir empfahlen ihm noch einmal, den Eingang der Höhle gut zu verwahren, und verabschiedeten uns von ihm, hoffend, ihn bald wiederzusehen. Im Gegenfall versprach ihm der Lord, die versprochene Bezahlung in seine Behausung zu Antivari abzuliefern. Die Sonne war noch tief unter dem östlichen Horizont, als wir das verhängnißvolle Thal verließen.