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Wir mußten unsere Pferde ungewöhnlich ausgreifen lassen, denn der Weg, zu welchem sie herzu einen ganzen Tag gehabt hatten, mußte heute in viel kürzerer Zeit zurückgelegt werden. Der Häuptling hielt sich höflich mir zur Linken. Er machte ein nachdenkliches Gesicht; es fiel ihm nicht leicht, das, was seit gestern abend geschehen war, als endgültiges Faktum hinzunehmen. Hinter uns ritt der Mimbrenjo, So oft ich einen Blick zurück auf ihn warf, sah ich sein bronzenes Gesicht in stiller Heiterkeit strahlen. Er war mit dem so unerwarteten Ergebnisse unsers Rittes ebenso zufrieden wie ich und sagte sich mit vollem Rechte, daß er auch sein gutes, volles Teil zu diesem Erfolge beigetragen habe.
Das Pferd der »listigen Schlange« war sehr gut ausgeruht, sonst wäre es hinter den unsrigen zurückgeblieben; es hielt sich so tapfer, daß wir, eben als die Sonne im Westen verschwand, die Stelle erreichten, wo wir mit den Wagen nach Norden abgewichen waren. Wir folgten dieser Richtung. Es wurde dunkel, und da bat ich den Häuptling, mit dem Mimbrenjo halten zu bleiben und erst nach einer halben Stunde nachzukommen. Ich wollte die Unseren überraschen. Darum ließ ich das Pferd und die Gewehre bei den beiden und ging zu Fuß weiter.
Ich hatte bis zum Lager wohl zehn Minuten zu gehen und war überzeugt, daß von Winnetou Posten ausgestellt worden waren. Ein brenzlicher Geruch sagte mir, daß ein Feuer brannte. Das war ein Zeichen, daß Winnetou sich ziemlich sicher fühlte. Da ich auf Kundschaft fort war, so wußte er, daß ich, falls uns eine Gefahr drohen sollte, gewiß kommen würde, um ihn zu benachrichtigen; also stand, solange ich abwesend blieb, wenigstens nichts Bedeutendes zu befürchten. Es war ganz dunkel; demnach konnte ich die Posten, an welchen ich gern unbemerkt vorüber wollte, nicht sehen und mußte mich auf mein Gehör verlassen. Da ich die Eigentümlichkeit des Apatschen kannte, so wußte ich ziemlich genau, in welcher Weise er die Posten aufgestellt hatte, und konnte sie also vermeiden. Um aber einen, der sich dennoch in meinem Wege befinden sollte, aus demselben zu bringen, bückte ich mich nieder und suchte mir mit Hilfe des Tastsinnes einige Steinchen zusammen. Von diesen warf ich, indem ich langsam vorwärts schlich, von Zeit zu Zeit einen seitwärts ins Gesträuch. Dies verursachte ein Rascheln, auf welches der Posten gewiß achtete und dem er nachging, um zu untersuchen, wodurch es verursacht worden sei; dadurch kam er mir aus dem Wege.
Auf diese Weise kam ich schnell und ganz unbemerkt nahe genug, um das kleine Feuer zu sehen, welches brannte. Nun mußte ich mich auf den Boden legen und schob mich zollweise weiter hinan. Winnetou hatte seine Vorkehrungen so gut getroffen, daß einer, dem seine Eigenheiten fremd waren, ihn unmöglich beschleichen konnte. Die Flamme brannte auf der Lichtung; um dieselbe lagen, um leicht bewacht zu werden, die Gefangenen; die Mimbrenjos hatten sich als Wächter in einem Ringe um dieselben gelagert. Rechts im Dunkel standen die Wagen mit den daran gebundenen Zugtieren. Links von mir saß der Apatsche, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt; in seiner Nähe hatte sich der Yumatötet niedergelassen, und nicht weit davon, gerade vor dem Strauch, hinter welchem ich steckte, gab es eine Männergruppe, in welcher eine zwar nicht laute, aber desto lebhaftere Unterhaltung geführt wurde. Indem ich die anwesenden Mimbrenjos zählte, sah ich, daß nicht weniger als sechs von ihnen auf Posten standen. Das Wunder, unbemerkt zwischen ihnen hindurchgekommen zu sein, hatte ich nur dem Experimente mit den Steinchen zu verdanken.
In der erwähnten Gruppe saßen auch der alte Pedrillo und der sonderbare Don Endimio de Saledo y Coralba, der Juriskonsulto und der Haziendero. Der alte Pedrillo war eben daran, eines seiner in den Vereinigten Staaten erlebten Abenteuer zu erzählen. Er nahm dabei Gelegenheit, von der Schlauheit, deren man sich zu bedienen hat, um einen Feind des Nachts von sich abzuhalten, zu reden, und behauptete dabei:
»Ich habe da manchen Roten beschlichen; aber keinem von ihnen ist es gelungen, an mich zu kommen.«
»Was ist das weiter!« meinte der Haziendero. »Man brennt kein Feuer an, so kann man nicht gesehen und gefunden werden.«
»Pah! Was versteht Ihr davon, Don Timoteo! Feuer oder nicht, das ist einem Roten ganz gleich. Nur muß man, wenn man ein Feuer hat, mehr aufpassen und tüchtig Posten stellen. Wir zum Beispiele haben sechs um unsere Büsche stehen; da ist es vollständig unmöglich, sich ungesehen heranzuschleichen.«
Winnetou hatte die Augen, als ob er schlafe, geschlossen gehalten; jetzt öffnete er sie, richtete seinen Blick auf den Sprecher und sagte:
»Der alte Pedrillo darf dies nicht behaupten. Es giebt Jäger, welche doch herankämen, rote und weiße. Wende dich um, und greif in den Busch, in welchem Old Shatterhand liegt!«
Wenn ich es vorhin ein Wunder nannte, daß ich ungesehen und ungehört so weit gekommen war, so muß man es ein zehnfaches Wunder heißen, daß Winnetou nicht nur bemerkt hatte, daß sich jemand hinter dem Strauch befand, sondern auch wußte, wer es war. Und doch hatte er, freilich nur scheinbar, die Augen geschlossen gehalten. Dies pflegte er zu thun, wenn er sein Gehör einmal mehr als sonst anstrengen wollte. Pedrillo drehte sich auch um und fuhr mit der Hand in den Busch; ich richtete mich auf und trat heraus, indem ich zu dem Apatschen sagte:
»Meinem Bruder Winnetou kann nichts entgehen; seine Augen und Ohren sind schärfer als die meinigen.«
Als ich so plötzlich vor dem tapfern Don Endimio de Saledo y Coralba auftauchte, fiel er vor Schreck hintenüber und stieß einen so markerschütternden Schrei des Entsetzens aus, als ob ihm der leibhafte Gottseibeiuns erscheine. Die Mimbrenjos dachten nicht an ihre wohlgepflegte Gewohnheit, selbst das unerwartetste Ereignis mit stoischer Ruhe hinzunehmen; sie sprangen vom Boden empor und starrten mich auch an wie einen Geist. Auch die gefangenen Yumas richteten sich so weit auf, wie ihre Fesseln es erlaubten. Sie wußten, daß ich nach Almaden geritten war, und meinten nun, durch mich zu erfahren, wie die Verhältnisse dort standen. Sie hatten wohl gehofft, daß ich nicht wiederkommen werde, sondern daß ihre dortigen Krieger mich ergreifen oder gar wegputzen würden.
Von dem ersten Wagen her erscholl ein Schrei. Dort hatte der Player gelegen, an den Händen gebunden und von einem Mimbrenjo bewacht. Er kam herbei, drängte sich mit den Ellbogen durch die mich umringenden Personen und rief mit einer Freude, welche sichtlich aufrichtig war:
»Gott sei Dank, Sir, daß Ihr unverletzt wieder hier seid! Ich habe schlimme Angst ausgestanden.«
»Angst? Warum?« fragte ich ihn.
»Weil, wenn Euch ein Unglück geschehen wäre, man vielleicht behauptet hätte, daß ich schuld daran sei, weil ich Euch falsch berichtet habe. Und doch meine ich es ehrlich mit Euch!«
»Davon bin ich jetzt überzeugt. Was Ihr mir gesagt und beschrieben habt, hat sich alles als wahr herausgestellt.«
Ich erzählte, daß ich in seiner Höhle gewesen sei, Almaden ausgeforscht und mit Weller und Melton gesprochen habe – mehr sagte ich noch nicht.
»Dann sind hundert Engel bei Euch gewesen, die Euch beschützten,« sagte er. »Welch ein Glück, daß es ohne Unfall abgelaufen ist! Diese Verwegenheit hätte Euch übel bekommen können, und dann wäre der Verdacht der Untreue auf mich gefallen.«
»Möglich! Aber ich bescheinige Euch hiermit vor allen diesen Zeugen gern, daß ich Euch von jetzt an vollständig trauen werde, und nehme Euch zum Beweise dafür Eure Handfesseln ab. Laßt Euch Eure Waffen geben, die ich Euch an der Hazienda abgenommen habe. Ihr seid frei!«
Die Freude des umgekehrten Verirrten war groß; aber der Haziendero rief mir zu:
»Was thun Sie da, Sennor! Sie lassen einen Mann frei, der bestraft werden muß. Es ist erwiesen, daß er an der Zerstörung meiner Besitzung beteiligt war! Ich befehle Ihnen, kraft meines Amtes, ihm die Fesseln wieder anzulegen!«
»Sie haben mir gar nichts zu befehlen! Ich aber befehle Ihnen, sich wieder niederzusetzen und den Mund zu halten. Wer Gefangener bleiben soll, das haben nicht Sie, sondern Winnetou und ich zu bestimmen. Das werde ich Ihnen beweisen, indem ich noch andere freigebe.«
Bei diesen Worten trat ich zu dem ›schnellen Fische‹, zerschnitt seine Fesseln und sagte:
»Mein roter Bruder ist frei; er mag aufstehen. Die Krieger der Mimbrenjos mögen den Kriegern der Yumas die Riemen abnehmen; ich gebe sie alle frei, denn ich habe mit der ›listigen Schlange‹, dem Häuptlinge der Yumas bei Almaden, Frieden geschlossen und das Kalumet geraucht.«
Ein vielstimmiger Schrei erscholl; die Mimbrenjos stießen ihn vor Verwunderung, die Yumas vor Entzücken aus. Die Wirkung meiner Worte war sogar bei Winnetou in einer Weise zu sehen, welche ich bisher für unmöglich gehalten hatte. Er erhob sich rasch, trat zu mir heran und fragte hastig:
»Das Kalumet geraucht?«
»Mit ihm und allen seinen Kriegern,« antwortete ich.
»So sind die Yumas von Melton abgefallen?«
»Ja, und er und Weller sind gefangen. Die Bleichgesichter sind frei.«
»Wo befinden sie sich?«
»In Almaden bei ihren Freunden, den Yumakriegern. Morgen reiten und fahren wir alle hin, um das Fest des Kalumets zu feiern.«
Da legte er seine beiden Hände auf meine Achseln und rief aus:
»Habt ihr es gehört, ihr roten und ihr weißen Männer? Das, was wir mit vielen Kriegern nicht zu erzwingen glaubten, hat Old Shatterhand allein fertig gebracht. Er ist mehr als hundert, als zweihundert bewaffnete Männer!«
»O nein! Ich habe Glück, Glück gehabt, und das Wenige, was ich mir selbst zuschreiben darf, kommt auf die Rechnung Winnetous, der mein Lehrmeister gewesen ist.«
»Das sage mein Bruder nicht. Der Meister würde das nicht fertig bringen, was der Lehrling fertig gebracht hat.«
»Nein, nein! Du wirst erfahren, wie alles zugegangen ist, und mir dann recht geben, daß der Zufall dabei die größte Rolle gespielt hat.«
Während ich Rede und Gegenrede mit ihm wechselte, wurden die Yumas von ihren Banden erlöst. Das geschah natürlich nicht ohne Lärm, durch welchen die Posten herbeigelockt wurden, indem sie mit Recht annahmen, daß bei solchem Geschrei die Bewachung des Lagers eine Lächerlichkeit sei; sie mischten sich unter die andern. So kam es, daß man die Ankunft des Mirnbrenjo mit der »listigen Schlange« erst bemerkte, als sie schon da waren und von den Pferden stiegen. Der wackere Knabe wurde von unsern Leuten, der Häuptling von seinen Yumas umringt, und nun gab es einen wahren Jahrmarkt von Ausrufen, Fragen und Antworten, daß es einem bei diesem wirren Durcheinander von Menschen und Stimmen hätte angst und bange werden mögen.
Ich schlich mich davon, um für mein und Winnetous Pferd zu sorgen und meine Gewehre wieder an mich zu nehmen. Darauf setzte ich mich zu dem Apatschen, um dem frohen Treiben zuzusehen und dabei etwas zu essen und einige Schlucke Wein zu trinken, von dem sich mehrere Flaschen in einem der Wagen befanden.
Es dauerte lange, ehe der Lärm sich minderte, und es wäre gewiß auch nicht sobald Ruhe eingetreten, wenn man nicht gewünscht hätte, zu erfahren, wie das große Ereignis der Aussöhnung mit den Yumas und der Gefangennahme Meltons und Wellers zu stande gekommen war. Mein kleiner Mimbrenjo mußte sich So setzen, daß alle ihn bei dem jetzt hochgeschürten Feuer sehen und auch hören konnten, und die Geschichte erzählen. Er that dies mit dem größten Vergnügen und wurde dabei durch die zeitweiligen Erläuterungen der »listigen Schlange« unterstützt. Ich selbst sagte kein Wort dazu und unterbrach nur dann und wann den Erzähler durch eine warnende Handbewegung, wenn er in übermäßigem Eifer zu meinem Lobe sprach.
An einen der Anwesenden hatte ich nicht gedacht, weil ich ihn nicht sah. Erst während der Erzählung merkte ich ihn. Er hatte sich vorher ferngehalten, hing nun aber mit seinen Augen an dem Munde des Mimbrenjoknaben. Das war der Athlet, welcher natürlich vorzüglich von Judith hören wollte. Der Knabe hatte meine Unterredung mit ihr und ihrem Vater nicht gehört und unterließ es auch auf einen Wink von mir, die Bedingung, daß die Jüdin die Squaw des Häuptlings werden solle, zu erwähnen; darum erfuhr der Herkules nichts von dem Schlage, welcher seinem schwachen Herzen bevorstand. Später aber, als die Aufregung vorübergegangen und die Neugierde gestillt worden war und dieser und jener sich ein Plätzchen zur Nachtruhe suchte, that auch ich letzteres und kam dabei in seine Nähe. Das benutzte er sofort, mich auf die Seite zu führen und auszufragen. Es konnte mir nicht einfallen, diesen Riesen an Körper und Zwerg an Charakter schonend zu behandeln; ich hielt es vielmehr für geraten, ihm reinen Wein einzuschenken; vielleicht wurde er dadurch von der Krankheit oder vielmehr Verirrung seines Herzens geheilt. Wen Judith heiraten wolle, verschwieg ich noch, weil der hastige, entschlossen drohende Ton, in welchem er sprach, es mir rätlich erscheinen ließ. Der Verlobte Judiths befand sich bei uns und war unser Gast. Was ihm Schlimmes bei uns geschah, das hatten wir zu verantworten, und der Eifersucht des Riesen durfte ich keine Selbstbeherrschung zutrauen.
Später lag alles in tiefer, ungestörter Ruhe. Wir hatten keine Posten ausgestellt und konnten zum erstenmal ohne Furcht schlafen. Er aber fand wohl keinen Schlaf-, der Gedanke an die Untreue der einstigen Verlobten raubte ihm denselben. Desto lebhafter ging es am frühen Morgen her. Es wurde zum Aufbruche gerüstet, und als der Zug sich in Bewegung setzte, befand sich diesmal kein einziger gefesselter Mensch bei demselben.
Es ging schneller, als man bei der Schwerfälligkeit der Wagen hätte meinen sollen, da mit Hilfe von Lassos an jedem derselben mehrere Reiter ihre Pferde vorspannten. Dazu kam noch der Umstand, daß wir durch eine Wüste kamen, welche eben war und uns durch keinen Strauch oder Baum den Weg verlegte. Wir fuhren sehr oft im Galopp und kamen noch vor Abend am Yumalager vor Almaden an, wo wir von den Weißen wie von den Roten lebhaft bewillkommnet wurden.
Die durstig gewordenen Tiere mußten getränkt werden; zu fressen konnten wir ihnen aber heute leider nichts bieten. Dazu eignete sich am besten die Nebenhöhle, welche genug Wasser für alle enthielt. Der kleine Mimbrenjo mußte die Yumas hinführen, und diese staunten nicht wenig, als sie nach Wegräumung des Gerölles die Höhle sahen, von der sie keine Ahnung hatten, und dazu hörten, daß wir durch dieselbe in den Schacht gekommen seien.
Gleich nach unserer Ankunft trug sich ein Ereignis zu, welches von traurigen Folgen begleitet war. In den ersten Augenblicken bewegte sich alles durcheinander, so daß der einzelne nicht in die Augen fiel; dann aber, als sich ruhigere Gruppen gebildet hatten, hörte ich die Stimme Meltons, welcher dem entfernt von ihm liegenden Weller zurief:
»Weller, dort ist der Player, und nicht gefesselt wie wir! Wie geht das zu?«
»Wo?« fragte der Angerufene. »Ah, dort! Ich sehe ihn. Sollte der Schuft den Verräter gemacht haben?«
»Natürlich! Anders kann es nicht sein, da er sonst gebunden wäre, wie wir gebunden sind. Hätte ich meine Hände und Füße frei!«
»Ja, hätten wir sie frei, wir würden ihm den Judasgroschen auszahlen. Player, he, Player!«
»Was giebt es?« fragte der Genannte, als er den Ruf hörte.
»Komm doch einmal her! Ich muß dich um etwas fragen.«
Noch ein anderer hörte den Ruf, nämlich der Herkules.
»Ah, der alte Weller!« hörte ich ihn sagen. »Der ist mein Mann.«
Er folgte dem Player nach der Stelle, wo Weller lag. Ich ging hinter ihm her, um möglicherweise eine Übereilung zu verhüten. Der Riese schien den Kolbenhieb des jungen Weller überwunden zu haben; aber ob er den Wunsch nach Rache ebenso überwinden werde, das war eine andere Frage. Ich hätte den nun zwischen Weller und dem Player stattfindenden Wortwechsel nicht zugeben sollen und auch leicht verhindern können, aber ich dachte, vielleicht noch etwas erfahren zu können, und es war ganz so, als ob das, was nun geschah, nicht anders hätte kommen können.
»Wie kommst denn du hierher?« fragte Weller in einem keineswegs feindlichen Tolle.
»Ich wurde von Old Shatterhand überrumpelt und gefangen genommen.«
»So bist du sehr unvorsichtig gewesen! Dir scheint es aber besser zu gehen als mir und Melton, denn du bist frei. Wie kommt das? Wahrscheinlich hast du dich bei Old Shatterhand und Winnetou eingeschmeichelt. Wie?«
Der Gefragte überlegte einige Augenblicke, ob er die Wahrheit zugeben oder leugnen solle, und antwortete dann:
»Warum sollte ich nicht! Da wir Old Shatterhand und den Apatschen gegen uns hatten, so war fast mit Sicherheit vorauszusehen, daß wir den kürzern ziehen würden; sodann hatte ich, wie ich dir heute sagen will, gar wohl durchschaut, daß ihr beiden den Löwenanteil für euch behalten und mich mit einer Wenigkeit abfinden würdet, und endlich – –«
»Nun, endlich? Was weiter?« fragte Weller, als der andere einen Augenblick innehielt.
»Endlich.« fuhr dieser fort, »gingen mir auch die armen Teufel im Kopfe herum, welche so schmählich da unten im Schachte verkommen sollten. Sie thaten mir leid, und ich begann, einzusehen, daß das, was wir an ihnen verübt hatten und noch verüben wollten, ein sehr schweres Verbrechen sei.«
»Ah, so bist du wohl ganz plötzlich ein Betbruder geworden?«
»Das nicht, aber vielleicht werde ich es noch, um das, was ich mit euch begangen habe, unserm Herrgott abzubitten.«
»Kannst du sagen, was man mit uns vornehmen wird?«
»Ich befürchte, daß ihr keine Hoffnung habt, jemals wieder freizukommen.«
»Eigentlich hast du dasselbe Schicksal verdient wie wir, dennoch aber freut es mich, daß wenigstens einer von uns so gut gefahren ist. Wie steht es denn mit meinem Sohne? Ich habe euch gesucht, um zu erfahren, was mit ihm vorgenommen worden ist, euch aber nicht gefunden.«
»Willst du die Wahrheit hören?«
»Ich werde wohl nicht daran sterben. Also nur heraus damit! Du weißt, daß ich kein Schwächling bin.«
Letzteres mochte wahr sein, dennoch lag eine furchtbare Angst in dem fragenden Blicke, den er erwartungsvoll auf den Player richtete. Der Vater machte sich in ihm geltend. Als der Gefragte nicht sogleich antwortete, fuhr er fort:
»Also aufrichtig gesagt, ist er tot?«
»Ja.«
»Tot, also tot!,« wiederholte er, indem er die Augen schloß. Man sah, welche Wirkung die Nachricht auf ihn ausübte. Die Wangen fielen nach innen, und sein Gesicht bekam für kurze Zeit das Aussehen eines Toten. Dann öffnete er die Augen wieder und erkundigte sich:
»Was für ein Tod? «
»Erwürgt durch – –«
»Durch mich!« antwortete jetzt der Athlet. »Ihr Schurken glaubtet mich tot, aber mein Schädel war fester, als ihr dachtet. Ich bekam nur ein kurzes Fieber, und in diesem Fieber habe ich deinen Buben mit den Fäusten erwürgt, sowie ich dich bei voller Besinnung erwürgen möchte und auch noch erwürgen werde!«
Weller schloß die Augen zum zweitenmal und für längere Zeit als vorhin. Was mußte jetzt in ihm vorgehen! Als er sie öffnete, zeigte sein Gesicht das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte, nicht Haß, Grimm und Wut, sondern einen, fast möchte ich sagen, sanften und rührenden Zug der Ergebung. Und in einem solchen Tone wendete er sich an den Player:
»Du hast also Winnetou und Old Shatterhand mit ihren Mimbrenjos hierhergeführt?«
»Ja, ich leugne es nicht; aber sie hätten den Weg auch ohne mich gefunden.«
»Mag sein, doch war es von dir dennoch ein Verrat gegen uns, den du besser unterlassen hättest. Mit deiner Gefangennahme und deinem Übergange zu den Gegnern hat unser Pech eigentlich erst begonnen. Es wird wohl aus mit uns sein, und da habe ich einen Wunsch, der meine Hinterlassenschaft betrifft. Würdest du ihn mir als alter Kamerad erfüllen?«
»Wenn ich kann, ja.«
»Du kannst es, ohne ein Unrecht zu thun und ohne alle Mühe. Komm her zu mir!«
Der Player trat ihm einen Schritt näher und bog sich leicht zu ihm nieder. Eine plötzliche Regung in mir wollte mich veranlassen, ihn zu warnen; aber was konnte ihm Weller thun? Er war an den Füßen und Armen gefesselt und außerdem durch meinen Schuß an der Rechten so verwundet, daß er dieselbe nicht bewegen konnte.
»Noch leiser muß ich reden, noch leiser. Komm also näher; kniee da nieder!«
Der Player entsprach dieser Forderung, indem er sich auf das Knie niederließ, und ging damit in die ihm so schlau gestellte Falle des äußerlich so ergeben erscheinenden und innerlich doch von unbeschreiblicher Wut durchtobten Verbrechers. Dieser stemmte nämlich die Ellbogen fest auf die Erde und hob blitzschnell die Beine hoch empor, um sie ebenso schnell auf die Achseln des Players niederzusenken. Es muß dabei daran erinnert werden, daß nicht seine Beine, sondern unten seine Füße und zwar an den Fußgelenken, zusammengebunden waren; er konnte die Beine also in den Hüftgelenken hochheben und bei den Knieen soweit auseinandernehmen, daß zwischen ihnen eine Öffnung entstand, in welche der Kopf des Players zu stecken kam. Darauf preßte Weller die Kniee mit aller Kraft an dem Halse seines frühern Kameraden zusammen, sodaß sich dessen Gesicht sofort blau färbte, und schrie dabei jubelnd und in einem ganz andern Tone, als er vorhin gesprochen hatte:
»Habe ich dich überlistet, du zehnfacher Schurke? Und du hast meinem freundlichen Gesicht geglaubt, du hundertfacher Dummkopf! Rache will ich haben, Rache! Ist infolge deines Verrates mein Sohn erwürgt worden, so sollst nun du dafür auch erwürgt werden!«
»Ja, gieb es ihm, gieb es ihm!« munterte ihn Melton unter teuflischem Lachen auf. »Laß ihn nicht los, ja nicht los!«
Man weiß, welche Kraft in den Knieen eines erwachsenen Mannes liegt. Dazu kam, daß die Füße durch die Riemen vereinigt waren und in dieser Vereinigung einen Halte- oder Hebelpunkt fanden, durch welchen die ursprüngliche Kraft der Kniee vervielfältigt wurde. Eine einzige Minute genügte, den Player zu erdrosseln. Ich sprang natürlich augenblicklich hinzu, um ihm zu helfen; der Goliath kam mir aber doch zuvor. Er warf sich nieder, klammerte seine Riesenhände um den Hals Wellers und rief:
»Du selbst wirst erwürgt werden, sowie ich deinen Sohn erwürgt und es dir soeben auch versprochen habe!«
Dies Verfahren, dem Bedrohten zu Hilfe zu kommen, war grundfalsch, denn als Weller der Atem auszugehen begann, krampfte die Todesangst seine Beine noch fester als vorher um den Hals des Players. Ich packte sie, um sie auseinander zu ziehen, doch vergeblich; ich besaß nicht Kraft genug, und kein Mensch hätte sie besessen, die fürchterliche Anspannung der Muskeln und Sehnen zu überwinden. Mein Angriff mußte sich gegen den erwähnten Hebelpunkt richten; ich riß also, selbst auch voller Angst, mein Messer heraus und schnitt die Fußriemen entzwei, worauf ich die Füße auseinander zwang und, mich zwischen dieselben klemmend, dann auch die Kniee zu öffnen vermochte. Der Kopf des Players bekam Raum und sank zur Erde nieder; der arme Teufel lag wie ein Toter da, rotblau angeschwollen im Gesichte. Dafür legten sich die Beine Wellers nun mit aller Gewalt um mich.
»Lassen Sie los!« rief ich dem Athleten zu. »Sie ermorden ihn ja!«
»Ermorden?« lachte er grimmig. »O nein, ich bestrafe ihn nur.«
Ich sah, daß er den bisherigen Druck seiner Hände verstärkte, und konnte es doch nicht hindern, obgleich ich ihn von hinten packte und wegreißen wollte. Endlich ließ er los, versetzte dem ohne Bewegung daliegenden Körper einen Fußtritt und sagte, tief Atem holend:
»So, es ist aus mit ihm! Der sperrt keinen Menschen mehr ein und überfällt auch keinen wieder im Schlafe. Nun, mögen die Geier ihn fressen, wie sie seinen Sohn fraßen und mich fressen sollten!«
Es machte mir Mühe, von den Beinen des Gewürgten loszukommen. Natürlich sah ich dann zunächst nach dem Player. Er begann schon leise nach Luft zu schnappen, lebte also noch und war gerettet; Weller aber war tot, erstickt unter den Fäusten des Riesen, der sich über sein grausiges Werk freute.
»Wissen Sie, daß Sie ein Mörder sind? Ich sollte Sie binden lassen und dem Richter übergeben!« fuhr ich ihn in Gegenwart aller an, welche herbeigekommen waren, um dem Ausgange der grausigen Scene beizuwohnen.
»Ein Mörder?« antwortete er. »Sie verwechseln die Begriffe, denn Sie haben mich keinem Richter zu übergeben, sondern ich selbst habe das Amt eines solchen ausgeübt.«
»Nein, sondern das Amt eines Henkers. Mir graut vor Ihnen!«
»Wirklich? Sagen Sie mir doch, wen Judith heiraten will; es zuckt mich gewaltig in den Fingern, den Kerl gleich auch beim Halse zu nehmen!«
Während er das sagte, sah er aus, als ob er die Drohung augenblicklich wahr machen würde; es konnte mir also nicht beikommen, ihm die gewünschte Auskunft zu geben. Er bekam sie aber von anderer Seite. Nämlich unter denen, welche sich herbeigedrängt hatten, stand auch Judiths Vater, welcher, als er die Worte des Herkules hörte, gleich antwortete:
»Das können Sie erfahren. Die Tochter meiner Seele hat nicht nötig, sich zu hängen an einen herumziehenden Gaukler; sie wird sein die Beherrscherin eines berühmten Indianerstammes und glänzen in Juwelen, Gold und Seide wie eine Königin.«
Der Athlet sah dem ebenso unvorsichtigen wie äffischen Alten beinahe verblüfft in das Gesicht, schüttelte den Kopf und fragte:
»Die Beherrscherin eines Indianerstammes? Wie soll ich das verstehen? «
»Das ist so zu verstehen, daß sie wird sein die bewunderte und angebetete Gemahlin der ›listigen Schlange‹, welcher Häuptling des Yumastammes ist.«
»Was? Indianerin will sie werden?« lachte der Riese ungläubig. »Ihr wollt wohl Komödie spielen!«
»Nein, sondern wir wollen, daß die Komödie mit Ihnen endlich einmal ein Ende hat. Wir werden bei den Yumas bleiben, Judith und ich; Sie aber müssen mit nach Texas ziehen. Wir werden einen Palast und ein Schloß bekommen; Sie aber werden Klee ackern und Rüben pflanzen!«
Der andere fuhr sich mit der Hand nach dem Kopfe, stierte im Kreise umher, ließ dann seinen Blick auf mir haften und sagte:
»Herr, machen Sie diesem kindischen Tingel-Tangel ein Ende, indem Sie mir die Wahrheit berichten! Was habe ich von dem Kauderwelsch dieses alten Mannes zu halten?«
Es war jetzt unmöglich, es ihm länger zu verhehlen; darum antwortete ich:
»Sie haben die Wahrheit gehört; der Häuptling begehrt Judith zum Weibe und hat dies zu einer der Vorbedingungen des abgeschlossenen Friedens gemacht.«
»Der – – Häupt – – ling? Unglaublich! Dies Mädchen, dies Wunder von Schönheit will sich einem Roten an den Hals werfen? Sie treiben da einen Scherz mit mir, den ich mir verbitten muß!«
»Es ist Thatsache.«
»So bin entweder ich nicht bei Sinnen, oder Sie alle sind verrückt geworden. Sag, Judith, ist's wahr, was ich höre? Du willst als Frau bei der ›roten Schlange‹ bleiben?«
»Ja,« nickte sie erhaben. »Ich werde Königin der Yumas sein.«
»Wirklich, wirklich? Es ist keine Lüge?«
Mir wurde himmelangst, denn ich sah, daß er sich in einer Aufregung befand, welche sich von Wort zu Wort steigerte. Auch konnte der Kolbenhieb, den er auf den Kopf erhalten hatte, vielleicht nicht ohne Wirkung auf sein Gehirn geblieben sein; ich wollte ihm eine beruhigende Antwort geben, aber das Mädchen, welches zur Unzeit herbeigekommen war, erwiderte schneller als ich:
»Deinetwegen mache ich keine Lüge. Ich habe mich mit dem Häuptling verlobt, und du kannst deines Weges gehen!«
Da traten seine Augen wild hervor; er ballte die Fäuste und blickte suchend nach dem Häuptling aus. Die Katastrophe war da. Er sah ihn unfern bei einer Gruppe von Yumas stehen, begann, sich den Weg durch die Umstehenden zu bahnen, und schnaubte:
»Also doch, doch, doch! Macht Platz, macht Platz! Ich muß mit dem Kerl reden, aber mit den Fäusten. Ich bin einmal beim Erwürgen; er soll der nächste sein und den Wellers folgen.,‹
Es stand fest, daß er seine Worte wahr machen würde, wenn es ihm gelang, den Häuptling zu erreichen; ich drang ihm also nach, hielt ihn von hinten fest und rief:
»Bleiben Sie, Sie Unglücksmensch! Die Sache ist nicht zu ändern; der Häuptling steht unter meinem Schutze, und wer ihn anrührt, dem gebe ich eine Kugel!«
Er wendete sich zu mir um, nahm mich mit einem vor Aufregung vollständig verzerrten Gesichte in die Augen und zischte mich zwischen den zusammengepreßten Zähnen heraus an:
»Kerl, laß mich, sonst nehme ich dich selbst zwischen die Finger! Oder meinst du, weil sich alle andern vor dir fürchten, daß du es auch mit mir aufnehmen kannst?«
Es war ihm jetzt jede That zuzutrauen. Die andern wichen von ihm zurück; ich zog meinen Revolver und antwortete:
»Solange wir Frieden halten, haben wir uns beide nicht vor einander zu fürchten; aber wenn Sie nur einen einzigen Schritt zu mir her oder nach dem Häuptlinge thun, bekommen Sie alle diese sechs Kugeln in den Kopf. Sie sind jetzt ein wütendes Tier und müssen als solches behandelt werden. Es giebt Millionen Mädchen auf der Welt. Schicken Sie sich in das Unvermeidliche; nehmen Sie Verstand an, und beruhigen Sie sich! «
Ich sprach diese Aufforderung in begütigendem Tone aus. Er verzog sein Gesicht zu einem unbeschreiblichen, krampfartigen Grinsen und meinte:
»Beruhigen! Ja, ich will mich beruhigen und vielleicht werden auch andere mit mir ruhig werden. Also, Sie sagen, die Sache ist nicht mehr zu ändern?«
»Es ist so, wie ich sage.«
»Es war Bedingung, daß Judith die Frau des Roten wird? Und Sie werden den Häuptling beschützen?«
»Nicht nur ich allein, sondern überhaupt alle, die sich hier befinden. Es wird Ihnen nicht gelingen, ihn zu erreichen, ihn auch nur zu berühren, denn jeder von uns ist bereit, Sie augenblicklich niederzustrecken. Es ist das unsere Pflicht. Wir können unmöglich zugeben, daß ein einzelner einer überspannten Neigung wegen den Frieden bricht und die Gefahr noch größer heraufbeschwört, als sie vorher gewesen ist. Wenn Sie den Häuptling töten oder auch nur verletzen, werden seine Leute augenblicklich über uns herfallen!«
»Und da fürchten Sie sich? Hört es, ihr Leute, der berühmte Shatterhand fürchtet sich; er hat Angst! Doch es ist ja ganz richtig so; eure Haut darf nicht geritzt werden; ihr dürft keinen Tropfen euers kostbaren Blutes verlieren, und auch von dem lieben Häuptlinge soll nicht soviel genommen werden, wie unter einem Fingernagel steckt. Ich aber, ihr Memmen, fürchte mich nicht vor dem Blute und werde euch dies beweisen. Der Rote soll, weil ihr euch so um ihn ängstigt, heilig gehalten werden, und ich werde ruhig sein, und Judith, seine Braut, soll ebenso ruhig werden. Her mit der Schlüsselbüchse, welche ihr doch nicht zu gebrauchen versteht, ihr Feiglinge!«
Der Juriskonsulto stand mit dem Haziendero in seiner unmittelbaren Nähe; der erstere war, wie schon erwähnt, ganz lächerlicherweise bis an die Zähne bewaffnet, auch mit einem Revolver, und der Haziendero trug auch einen solchen in seinem Gürtel. Mit einem schnellen Griffe bekam der Athlet diese beiden Waffen in seine Hände, richtete die eine auf Judith, die andere_ gegen seinen eigenen Kopf und drückte ab. Die meisten der Anwesenden schrieen vor Entsetzen auf. Ich hatte so eine Wendung der Scene mit in die Berechnung gezogen und mich sprungfertig gehalten. Daß er die Revolver bekam, konnte ich nicht verhindern; aber als er sie gegen sich und das Mädchen richtete, stand ich schon bei ihm und griff zu. Ich konnte nur seinen rechten Arm erlangen, welchen er nach Judith ausgestreckt hielt und schlug denselben in die Höhe, sodaß die Kugel über die Köpfe der Umstehenden hinwegflog. Er schoß mit dieser Hand noch ein zweites Mal und die Kugel nahm dieselbe Richtung; dann begann er zu schwanken, denn während es mir gelungen war, Judith zu beschützen, hatte er sich mit der Linken zwei Schüsse in die Schläfe gegeben. Seine Arme sanken herab; er drehte sich halb herum, und ich fing ihn in den Armen auf; seine Augen schlossen sich.
»Ruhig, ruhig!« brachte er noch hervor; dann war es mit seinem Leben und mit seiner unglückseligen Liebe zu Ende.
Ich ließ ihn langsam niedergleiten und vermag nicht zu sagen, was ich dabei in meinem Innern empfand. Es erklangen alle zornigen und klagenden, alle tiefen und hohen Saiten desselben. Der Tote war ein charakterloser Schwächling, aber ein treuer und auch sonst guter Mensch gewesen, und die Untreue und Gefallsüchtigkeit der Jüdin hatte ihn erst in die Fremde und sodann in den Tod getrieben. Sie hatte für mich kein einziges Wort des Dankes dafür, daß ich ihr das Leben gerettet hatte; sie hatte auch kein Wort der Klage, des Bedauerns für den armen Teufel, dessen Selbstmord sie verschuldete; sie nahm ihren Vater bei der Hand und sagte:
»Wie häßlich und wie dumm von ihm! Das konnte er gescheiter machen. Er konnte mit nach Texas gehen, oder, wenn er sich das Leben nehmen wollte, dies wo anders thun, wo niemand dabei war. Ich mag ihn nicht sehen. Komm!«
Sie zog ihn fort. Ich konnte es nicht über mich gewinnen, ruhig zu bleiben, und rief ihr voller Empörung nach:
»Ja, gehen Sie, verschwinden Sie! Ich mag Sie auch nicht mehr sehen. Und wenn Sie sich noch einmal von mir erblicken lassen, so vergesse ich, daß Sie ein Mädchen sind, und lasse Ihnen einen guten, starken Lasso auf den Rücken geben, um wenigstens dort Gefühl hervorzurufen, da Sie keines im Herzen haben, Sie stolze Königin der Yuma-Indianer!«
Sie nahm die Drohung auch wirklich ernst und hütete sich, mir, solange wir noch mit den Yumas zusammen waren, vor die Augen zu kommen. Aber als ich sie später in anderer Umgebung und unter andern Umständen als reiche und vornehme Dame wiedersah, schien sie meine Anweisung auf einige Dutzend Lassohiebe vollständig vergessen zu haben.
Alle seine übrigen Gefährten bedauerten von ganzem Herzen den Toten, den das Schicksal so schnell und unerwartet neben Weller als Leiche hingestreckt hatte. Die Roten hatten, da zwischen uns deutsch gesprochen worden war, dies nicht verstehen können und wußten also nicht, weshalb er sich das Leben genommen hatte. Als ihr Häuptling kam, um sich nach dem Grunde zu erkundigen, berichtete ich ihm:
»Judith hatte ihm versprochen, seine Squaw zu werden, und er ist ihr aus Liebe über das Meer gefolgt. Nun er aber hörte, daß sie die deinige werden will, hat er sich den Tod gegeben.«
Ach hörte doch, daß er auf sie geschossen hat?«
»Er wollte auch sie töten, weil er sie dir nicht gönnte.«
»Und du hast sie gerettet? Ich danke dir! Die Bleichgesichter sind sonderbare Leute. Kein Indianer tötet sich, wenn ein Mädchen sich weigert, seine Squaw zu werden, Entweder zwingt er sie dazu, indem er sie raubt, oder er lacht sie aus und nimmt sich eine bessere. Haben denn die Bleichgesichter gar so wenig Mädchen, daß sie eines jungen Gesichtes wegen den Verstand verlieren können? Ich beklage sie!«
Wir hatten während dieser aufregenden Vorkommnisse nicht auf den Player achten können. Jetzt sahen wir, daß er sich von der Umschlingung Wellers leidlich wieder erholt hatte. Er saß noch an der Erde und war von da aus Zeuge des Geschehenen gewesen. Nun stand er auf, kam langsam zu mir und erkundigte sich-
»Weller ist tot, wie ich sehe. Er wollte mich erwürgen; ich weiß, daß mir der Atem ausging; es muß mich jemand gerettet haben. Wer ist das gewesen, Sir?«
»Ich habe Euch Wellers Beine vom Halse genommen.«
»Konnte es mir denken, denn als ich zu ihm trat, sah ich, daß Ihr Besorgnis hegtet und zur Hilfe bereit standet. Ich werde es Euch nie vergessen, daß ich Euch das Leben zu verdanken habe!«
»Vergeßt das immerhin, dagegen aber vergeßt niemals das eine, daß Ihr mir versprochen habt, ein guter Mensch zu werden!«
»Dies Versprechen werde ich halten. Ich befürchte nur, daß der Haziendero und sein Jurist auf eine Bestrafung dringen werden.«
»Das mögen sie thun; ich gebe nichts darauf, und Ihr wißt ja, daß ich mir von ihnen keine Vorschriften machen lasse. Hier aufhalten dürft Ihr Euch freilich nicht lange, weil es sonst geschehen könnte, daß man Euch festnimmt und zwischen vier unbequem enge Wände sperrt.«
»Das denke ich auch. Am liebsten ginge ich mit hinüber nach Texas.«
»Ihr könnt ja mit uns gehen, denn ich hoffe, daß wir mit Euch nicht etwa Unehre einlegen.«
»Glaubt nichts Böses mehr von mir! Ich werde an Euch denken, und das hält mich gewiß von allen Dummheiten ab. Vielleicht finde ich bei einem der Leute, die Ihr hinüberführt, Arbeit. Aber sie sind freilich zu arm, sich anzukaufen und Arbeiter zu dingen.«
»O, sie sind vorsichtig gewesen und haben noch soviel übrig, daß es für ein Stück Land ausreicht. Euch werden sie nicht zurückweisen, da Ihr Yankee seid und Land und Leute kennt; da könnt Ihr ihnen von Nutzen sein. Zum Spielen aber dürft ihr sie keineswegs verleiten, denn wenn ich sie einmal besuchte und so etwas von Euch hörte, würde ich Euch ein wenig zwischen die Fäuste nehmen.«
»Habt da keine Sorge, Sir! Das Spiel ist mir widerwärtig geworden, sonst wäre ich nicht mit hierher gegangen, um mich zwischen Indianer in die Einöde zu vergraben. Das Geld ist zwar leicht gewonnen, aber noch schneller wieder verschwunden; arbeite ich jedoch, so ist mir jeder Dollar lieb, den ich verdiene, und ich wende ihn zehnmal um und gebe ihn dann erst recht noch nicht wieder aus.«
»Seht da, was Ihr für gute Ansichten entwickelt! Wenn Ihr an denselben festhaltet, werdet Ihr es bald zu etwas bringen.«
»Darauf schwöre ich. Wenn ich erst hundert Dollars habe, dann arbeite ich doppelt und dreifach eifrig, daß rasch zwei und dann dreihundert draus werden. Damit könnte man es schon wagen, sich eine kleine Farm zu pachten.«
»Hm! Ich möchte doch wissen, ob Ihr das Geld wirklich dazu anwenden würdet.«
»Ganz gewiß!«
»So will ich Euch einmal etwas sagen. Ich habe gerade dreihundert Dollars übrig, die ich nicht brauche und die ich auf meinen Fahrten nicht gern mit mir herumschleppen möchte. Könntet Ihr sie mir nicht abnehmen? Ich möchte sie Euch borgen.«
»Mir, dem Player, dreihundert Dollars borgen! Sir, das ist kühn!«
»O nein, denn wie ich Euch jetzt beurteile, bin ich überzeugt, daß Ihr sie mir wiedergebt.«
»Aber wenn ich dann, wenn Ihr sie gerade braucht, nicht zahlen kann? Angelegte Gelder lassen sich nicht jeden Augenblick flüssig machen.«
»So warte ich. Ich bin Prairieläufer und an keine Zeit, an keinen Ort gebunden. Ich reise auch in andern Ländern und könnte keinen Kündigungstermin einhalten. Machen wir die Sache kurz. Wollt Ihr das Geld geborgt haben?«
»Ich nehme es gern.«
»So sollt Ihr es ohne Kündigung haben. Ihr gebt es mir wieder, wenn es Euch paßt und ich zufällig bei Euch bin. Soll darin eine Änderung eintreten, so werden wir uns leicht einigen. Sobald ich mit Euch über die Grenze komme, gebe ich Euch das Geld, und Ihr pachtet irgend ein Anwesen. Bin ich dann einmal wieder im Lande, so besuche ich Euch, und wir werden dann sehen, ob ich das Geld brauche oder nicht. So soll es sein, von Zinsen aber keine Rede. Seid Ihr damit einverstanden?«
»Welche Frage! Hier meine Hand. Ich danke Euch von ganzem Herzen. Und so lange ich lebe, werde ich immer daran denken, daß Ihr es seid, Sir, dem ich es zu verdanken habe, wenn ich ein glücklicher Mensch geworden sein werde, der ruhig schlafen kann und sich nicht vor den Folgen seiner Thaten zu fürchten braucht.«
Er hatte in einem wirklich herzlichen Tone gesprochen; es war ihm ernst mit dem Vorsatze, einen neuen Lebensweg einzuschlagen. Ich freute mich darüber, ihm das Geld geben zu können, welches ich natürlich von der Summe nehmen wollte, die ich Melton und Weller abgenommen hatte. Zwar war dieselbe für die Deutschen bestimmt, doch konnten sie die Wenigkeit schon missen, welche für die Partei höchstens zehn Dollars betrug. Als ich ihm die mir dargebotene Hand schüttelte, empfand ich im Innern eine frohe Genugthuung.
Er wollte in seinen Dankesworten noch nicht abbrechen, doch konnte ich ihm weiter keine Aufmerksamkeit schenken, denn dieselbe wurde auf eine bedeutende Pferdeschar gelenkt, welche, von mehreren roten Reitern geleitet, im Galopp von Norden her herangeflogen kam. Es waren die Rosse, nach denen die »listige Schlange« einen Boten geschickt hatte. Sie kamen in der letzten Viertelstunde des Tages an, und als sie ringsum angepflockt waren, brach der Abend herein.
Die Führer dieser Pferdeherde waren so umsichtig gewesen, dürres Holz in Bündeln mitzubringen, so daß einige Feuer angebrannt werden konnten. Der in den Wagen befindliche Proviant ermöglichte es, ein Festmahl zu veranstalten, ein Festmahl freilich nach dortigen Begriffen, denn nach der Ansicht civilisierter Menschen war es sehr einfach und sogar fast knapp, da wir mit den Vorräten sparen mußten.
Nach demselben legte ich mich schlafen; meine Landsleute und die Mimbrenjos thaten dasselbe; die Yumas aber nahmen sich noch nicht die Zeit dazu, sondern sie gingen nach Almaden hinüber, um das Nest auszuplündern. Früh sah ich, daß sie sich nicht weniger als alles, was dort zu finden gewesen war, angeeignet hatten. Für den Indianer hat der geringste Gegenstand, den ein anderer als unnütz liegen lassen oder wegwerfen würde, noch immer seinen, und zwar vielleicht großen Gebrauchswert. Sie hatten auch die beiden alten Frauen mitgebracht. Das Schachtloch war von ihnen mit Steinen verschlossen und der Eingang zur Höhle verschüttet worden. Wahrscheinlich hat sich bis heute noch niemand gefunden, der die Mittel und den Mut besitzt, das wertvolle Innere des öden Felsens auszubeuten.
Ich war der erste, welcher früh erwachte, und weckte den guten Don Endimio de Saledo y Coralba nebst seinen Wagenführern. Ich ordnete das Geschäft mit ihnen, dann wurden die andern Schläfer geweckt, worauf die Arbeit des Verladens begann. »Listige Schlange« leitete dieselbe, da ihm die Packpferde gehörten. Die Jüdin und ihr Vater waren nicht zu sehen; sie mochten in dem Zelte ihres Häuptlings stecken und Angst vor mir haben. Ich saß neben Winnetou und sah der Arbeit zu. Da näherten sich uns zwei Männer, denen man es ansah, daß sie sehr Wichtiges mit uns zu besprechen hatten – der Haziendero und der Juriskonsulto. Daß sie noch einmal kommen würden, um mir Forderungen und Vorwürfe zu machen, hatte ich gewußt. Seit gestern abend, wo ich Melton den Yumas überantwortet hatte, befand sich derselbe unter strenger Bewachung in einem der Zelte.
Die beiden grüßten höchst ceremoniell, der Juriskonsulto mit einer sehr strengen Amtsmiene; dann sagte der letztere:
»Ich sehe, daß Sie sich zur Reise rüsten, Sennor. Wohin soll es gehen?«
»Nach Chihuahua,« antwortete ich.
»Das kann ich nicht zugeben! Ich muß darauf dringen, daß sämtliche Personen, welche sich hier befinden, mit mir nach Ures kommen!«
»Wahrscheinlich als Arrestanten?«
»So ähnlich!«
»So arretieren Sie uns!«
»Das möchte ich nicht gern, denn ich hoffe, daß die Amtswürde, in welcher ich mich befinde, Sie veranlassen wird, freiwillig mitzugehen.«
»Da ich noch nichts von dieser Würde bemerkt habe, kann sie mich auch zu nichts veranlassen. Übrigens denke ich, daß wir uns auf dem Gebiete der Yuma-Indianer befinden, und ich habe die feste Absicht, die Sitten und Gebräuche derselben mir als Gesetz dienen zu lassen. Und selbst wenn es anders wäre, worüber ich mich aber gar nicht mit Ihnen streite, so bin ich ein Deutscher und habe nach der Anweisung, welche Sie selbst mir gaben, ganz und gar nicht die Pflicht, mich nach ihrem Willen zu richten.«
»Ich? Ich selbst hätte Ihnen so etwas gesagt? Das ist nicht wahr!«
»Es ist wahr. Als ich bei Ihnen war, um Sie um Schutz für die deutschen Emigranten zu ersuchen, behaupteten Sie, daß Sie mit denselben nichts zu thun hätten, und verweigerten mir den erbetenen Schutz. Infolgedessen bin ich in die Berge geritten, um mich ihrer anzunehmen, und nun ich sie aus der fürchterlichen Lage befreit habe, in welche sie infolge Ihrer Weigerung gekommen sind, treten Sie vor mich her und behaupten, daß wir uns unter Ihre amtliche Gewalt und Würde zu stellen hätten. Damit richten Sie sich aber an eine sehr falsche Adresse, Sennor. Ich bin nicht der Mann, der nach Laune und Belieben mit sich schalten läßt.«
»Was gehen mich Ihre deutschen Arbeiter an! Befinden sie sich etwa allein hier? Es sind noch andere Leute auch da. Es sind auch Dinge geschehen, in meinem Amtsbereiche geschehen, welche ich gerichtlich verfolgen muß. Ich meine da den Überfall der Hazienda, die Morde hier und noch vieles andere, was ich nicht unbestraft lassen darf. Wo ist Melton?«
»Beim Häuptlinge der Yumas, der höchst wahrscheinlich die Absicht hat, ihn zu bestrafen.«
»Zu bestrafen habe nur ich!«
»Das machen Sie mit der ›listigen Schlange‹ ab. Warum kommen Sie da zu mir?«
»Weil Sie Melton ihm ausgeliefert haben. Sie hatten ihn an mich zu liefern!«
»Schweigen Sie!« unterbrach ich ihn zornig. »Ich habe Ihnen gegenüber gar keine Verpflichtung. Wenn Sie ein kluger Mann wären, würden Sie sich anders benehmen. Sie haben bis jetzt nur Dummheiten gemacht, und wenn Sie sich trotzdem hier noch als Herr und Gebieter aufspielen, so haben Sie nur den einen Erfolg, daß Sie ausgelacht werden. Ich mag von Ihnen kein Wort mehr hören!«
Mein Ton schüchterte ihn ein; er wagte es nicht, weiter zu sprechen, und blickte den Haziendero um Hilfe an. Darum nahm dieser an seiner Stelle das Wort:
»Sennor, treten Sie nicht in dieser Weise auf. Bedenken Sie, daß Sie sich auf meinem Grund und Boden befinden! Sie sind, sozusagen, nur als Gast an diesem Orte!«
»O, was das betrifft, so habe ich Ihre berühmte Gastlichkeit zur vollen Genüge kennen gelernt und danke für sie. Aber da Sie von Ihrem Grund und Boden reden, so behaupte ich, daß Sie ihn verkauft haben. Melton ist der Besitzer von Almaden.«
»Ich werde gegen ihn klagen und mein Eigentum wiederbekommen. Der Kaufvertrag, den ich mit ihm abgeschlossen habe, ist null und nichtig. Ich darf mich mit vollstem Rechte wieder als Eigentümer dieser Besitzung betrachten und verlange, daß jeder, der sich hier befindet, meinen Willen, der auch derjenige meines verehrten Freundes hier ist, respektiert.«
»Nun, was ist denn Ihr Wille?«
»Daß Sie mit nach Ures kommen. Sie sollen nicht nur gegen Melton zeugen, sondern wir haben Klage gegen Sie zu erheben.«
»Klage? Worüber?«
»Das werden Sie dort hören. Ich habe nicht nötig, schon jetzt darüber zu sprechen.«
»Gut, schweigen wir also! Auch ich habe nicht nötig, zu sprechen, weder mit Ihnen noch mit Ihrem verehrten Freunde, und will Ihnen nur das eine sagen, daß Sie, wenn Sie Melton haben wollen, sich nicht an mich, sondern an die ›listige Schlange‹ wenden müssen.«
»Ich verlange ihn aber von Ihnen. Sie haben ihn festgenommen und durften ihn nicht ausliefern!«
Da erhob sich Winnetou vom Boden, zog seinen Revolver und fragte in seinem ruhigen und doch so nachdrücklichen Tone:
»Wissen die beiden Bleichgesichter, wer jetzt vor ihnen steht?«
»Winnetou,« antwortete der Haziendero.
»Ja, Winnetou, der Häuptling der Apatschen,« bestätigte der Juriskonsulto.
»Aber wissen die beiden Bleichgesichter auch, daß Winnetou das unnütze Reden nicht liebt und noch viel weniger ein lächerliches Auftreten vertragen kann? Ich will jetzt mit meinem Freunde Shatterhand allein sein. Ich werde bis drei zählen; wer sich dann noch hier bei uns befindet, wird erschossen!«
Er richtete den Lauf auf die beiden.
»Eins – –«
Da lief der Juriskonsulto davon.
»Zwei – –«
Da rannte auch der Haziendero von dannen.
»So brauche ich gar nicht drei zu sagen,« lächelte der Apatsche. »Hätte mein Bruder ebenso gethan, so konnte er sich die vielen unnützen Worte ersparen.«
Jetzt standen die Memmen in sicherer Entfernung von uns und besprachen sich; dann gingen sie zum Häuptling, welcher vor seinem Zelte stand. Wir sahen, daß sie mit ihm sprachen, aber gar nicht lange, denn da zog er die Lanze, welche mit seinem Totem in der Erde steckte, heraus und schlug sie dem Juriskonsulto über den Rücken; der Getroffene lief schimpfend fort, und Don Timoteo folgte ihm schleunigst, um nicht auch erfahren zu müssen, welche Wirkung ein kräftiger Lanzenhieb hervorzubringen vermag.
Nach einem solchen Verhalten des Haziendero hatte ich keine Lust, ihm auch noch Geld zu geben, zumal das, was ich ihm gegeben hätte, nun den armen Deutschen zu gute kam. Doch ging ich, ehe wir aufbrachen, zu ihm hin und sagte:
»Sennor, hier ist der Kaufkontrakt, den Sie mit Melton unterzeichnet haben, und da sind auch mehrere Briefe, welche beweisen, daß er an der Einäscherung der Hazienda schuldig ist. Mehr brauchen Sie nicht, um wieder zu Ihrem Besitztume zu kommen, und mit Hilfe Ihres Freundes wird Ihnen wohl der Kaufpreis, den Sie erhalten haben, als Entschädigung zugesprochen. Leben Sie wohl, und seien Sie in Zukunft bescheidener und klüger, als Sie in der Vergangenheit und bis zum gegenwärtigen Augenblicke waren!«
Damit war ich mit ihm für immer fertig. Den Deutschen gab ich ihre Verträge auch zurück, welche von ihnen augenblicklich und mit Genugthuung zerrissen wurden. Dann stiegen wir zu Pferde und brachen auf. Als wir fortritten, standen der Haziendero, der Juriskonsulto, die Polizisten und Don Endimio de Saledo y Coralba bei den Wagen. Der alte Pedrillo rief uns ein lautes Lebewohl nach; seine Mitknechte stimmten ein; die andern schwiegen. Hoffentlich ist den ersteren ihr Trinkgeld ehrlich in Ures ausgezahlt worden!
Es läßt sich denken, mit welcher Wonne meine weißen Gefährten die Gegend verließen, in welche sie gebracht worden waren, um das Licht des Tages niemals wieder zu erblicken, und auch ich war herzlich froh darüber, daß das erst so gefährlich scheinende Unternehmen einen so glücklichen Ausgang genommen hatte. Zwar durfte ich als sicher annehmen, daß der »große Mund« sich feindselig gegen uns, wenigstens gegen mich, verhalten werde, aber es wäre mir nicht eingefallen, ihn nun noch zu fürchten, selbst wenn wir nicht unter dem Schutze der »listigen Schlange« gestanden hätten. Daß wir ihn wiedersehen, ihm begegnen würden, war gewiß, doch dachte ich, daß auch der »starke Büffel« kommen werde; wann und auf welchem Wege, das war freilich nicht vorauszusagen.
Da wir zunächst nach Chihuahua wollten, so mußten wir erst einen Tag lang durch die Einöde reiten, kamen dann über einen schmalen Strich Landes, welcher den Yurnas noch gehörte, und dann in ein Gebiet, um welches diese sich mit den Mimbrenjos stritten. Auf letzterem mußten wir Widerwärtigkeiten erwarten, wenn überhaupt solche zu erwarten waren.
Voran ritten die der Gegend kundigsten Leute der Yumas. Ich hielt mich stets zu Winnetou, und meist war auch die »listige Schlange« bei uns beiden. Die beiden jungen Söhne des »starken Büffels«, also der Yumatöter und sein noch namenloser jüngerer Bruder, waren stets in unserer Nähe zu sehen. Melton befand Sich, stark gefesselt, unter so guter Aufsicht, daß ihm jeder Gedanke an das Wiedererlangen der Freiheit vergehen mußte. Hinten, nur von einigen Yumas begleitet, ritten Judith und ihr Vater; ich richtete meine Blicke nicht auf sie, und sie hüteten sich gar wohl, sich mir bemerklich zu machen.
Der Vollständigkeit wegen sei noch erwähnt, daß wir vor dem Aufbruche Weller und den Athleten begraben hatten. Sie lagen beide nebeneinander in der Erde, die ihnen nicht gegeben hatte, was sie suchten, Reichtum dem einen und Liebe dem andern.
Gegen Abend des ersten Tages hatten wir die Einöde, da dieselbe von Almaden aus nach allen Seiten einen Tagesritt breit war, überwunden und lagerten am Rande derselben in einer grasigen Gegend, wo die Pferde die so notwendige Weide fanden. Am nächsten Tage kamen wir durch den erwähnten schmalen Landstreifen, welchen die Yumas für sich in Anspruch nahmen, und dann in die umstrittene Gegend, welche sehr bergig war. Die Yumas wollten nach einem weiten Becken, in dessen Mitte ein kleiner See lag, wo wieder gelagert werden sollte. Wir erreichten den Südrand des Beckens, als die Sonne hinter den westlichen Höhen verschwand.
Der erste Blick zeigte, daß es hier vor Zeiten eine größere Wasseransammlung gegeben hatte, deren Gestalt eine zwischen Nord und Süd länglich gestreckte gewesen war. Das Becken konnte in dieser Richtung eine halbe Wegstunde sein, während die Breite zwischen Ost und West nicht soviel betrug. Drei Thäler mündeten in dasselbe, eines von Nord, eines von Ost und das dritte von Süd. Durch das letztere kamen wir.
Zufälligerweise ritt ich, als wir aus diesem Thale hervorkamen, mit Winnetou bei den Führern an der Spitze des Zuges. Die Yumas hielten ihre Augen nach der Mitte des Beckens gerichtet, welche allerdings einen einladenden Anblick bot, da um den kleinen See dichte Bäume und Sträucher standen, um welche sich ein Ring saftigen Grases zog. Winnetou aber war ebenso wie ich gewöhnt, auf einem solchen Terrain zunächst und vor allen Dingen nach der persönlichen Sicherheit auszuschauen, und darum richteten sich unsere Blicke nach den Mündungen des nördlichen und des östlichen Thales. An der letzteren sah ich einen Reiter, welcher im Begriff stand, hervorzukommen, aber, als er uns erblickte, sofort wieder zurückwich. Um zu wissen, ob Winnetou dieselbe Beobachtung gemacht habe, sah ich diesen an, und gerade in demselben Momente wendete er mir sein Gesicht auch zu. Ein leichtes Augenblinzeln sagte mir, daß er den Reiter auch gesehen hatte.
Jeder andere Indianer hätte sofort Lärm geschlagen; der Gedankengang des Apatschen aber war ein so blitzschneller, daß er in dem Augenblicke, an welchem sein Auge auf den Reiter fiel, sich auch schon sagte, daß es besser sei, jetzt noch zu schweigen.
Unser Zug erlitt also keine Unterbrechung, bis wir bei dem See ankamen, wo wir abstiegen und zunächst die Pferde erst trinken und dann laufen ließen; die Indianer aber sorgten zuerst für sich und dann erst für die Pferde. Melton wurde an einen Baum gebunden, und für Judith richtete man ein Lager im Gebüsch her.
Bei der Verteilung des Proviants mußte ich zugegen sein, denn hätte ich dieselbe nicht geleitet, so wäre von den Roten wahrscheinlich alles auf einmal verzehrt worden. Während ich dadurch an den Ort gebunden war, entfernte sich der Apatsche, um nach seiner vorsichtigen Weise die See Oase zu umschreiten. Als er von diesem Gange zurückkehrte, sah ich ihm an, daß er etwas Wichtiges entdeckt hatte, und ging also hin zu ihm.
»Mein roter Bruder hat noch anderes entdeckt als nur den Reiter, den wir vorhin gesehen haben?« fragte ich ihn.
»Ja,« antwortete er. »Rund um den See grasen unsere Pferde, man kann sie weit sehen, da es noch nicht dunkel, die Gegend um das Wasser aber ganz eben ist. Ich schaute zunächst nach Ost, wo der Reiter verschwunden war; der Eingang des Thales war leer. Dann blickte ich nach Norden und sah Reiter kommen. Sie wollten auch nach dem See; aber als sie unsere Pferde sahen, zogen sie sich schnell zurück.«
»So haben wir es also mit zwei verschiedenen Trupps zu thun, welche jedenfalls nichts von einander wissen.«
»So ist's,« nickte er. »Der eine kommt von Norden, der andere von Osten her; beide wollen nach dem See und sind, als sie uns bemerkten, zurückgewichen.«
»Mein roter Bruder weiß, wer diese Leute sind?«
»Old Shatterhand weiß es auch.«
»Wenigstens kann man es sich leicht denken. Es ist der ›große Mund‹ mit seinen Yumas und der ›starke Büffel‹ mit seinen Mimbrenjos. Wo aber ist der eine und wo der andere? Wir wissen nicht, welcher von ihnen von Norden und welcher von Osten kommt.«
»Wir werden es bald erfahren, denn beide werden Kundschafter senden, sobald es dunkel geworden ist. Man muß ihnen zuvorkommen. Wohin will mein weißer Bruder gehen?«
»Hinüber nach Ost.«
»So gehe ich nach Nord. Wir brauchen nur zehn Minuten zu warten, dann ist es Nacht.«
Wir lagerten uns, um unsern Imbiß zu verzehren, und standen dann, als die schnelle Dämmerung vorüber war, wieder auf, um uns auf den Weg zu machen, die beiden Reitertrupps zu beschleichen. Daß wir uns entfernten, fiel nicht auf. Man glaubte wohl, daß wir nach unsern Pferden sehen wollten, zumal wir die Gewehre nicht mitnahmen. Sobald wir nicht mehr gesehen werden konnten, trennten wir uns. Winnetou ging nord- und ich ostwärts.
Es war anzunehmen, daß diejenigen, welche wir suchten, jetzt noch keine Kundschafter aussenden würden, doch war ich noch nicht weit gegangen, so vernahm ich vor mir ein Geräusch, wie wenn ein Fuß einen Stein von seiner Stelle stößt. Sofort legte ich mich nieder und wartete. Ich hörte die leisen Schritte eines Menschen, welcher gerade auf mich zukam. Jetzt sah ich ihn; Jetzt war er noch acht, noch sechs, noch vier Schritte von mir entfernt. Er bemerkte mich nicht, da er den Blick vorwärts und nicht zu Boden richtete. Als er noch einen Schritt gethan hatte, fuhr ich auf und nahm ihn mit beiden Händen beim Halse. Er ließ die Arme sinken; seine Beine schlotterten und suchten nach festem Halt auf der Erde. Ich zog, oder vielmehr ließ ihn nieder, nahm die rechte Hand von seinem Halse, hielt diesen aber mit der Linken fest und griff mit der Rechten in seinen Gürtel. Er hatte dort ein Messer stecken und sonst keine Waffe bei sich. Ein Kundschafter pflegt sich nicht mit schweren Gewehren zu belästigen. Ich zog das Messer heraus und nahm es zu mir, ließ ihm ein wenig Luft und sagte, natürlich nicht so laut, daß man es weit hören konnte:
»Von welchem Stamm bist du? Sprich die Wahrheit, sonst bekommst du dein eigenes Messer in den Leib. «
»Mim – bren – jo,« antwortete er, nach Atem ringend, in abgerissenen Silben.
Da er mich auch belügen konnte, so fragte ich, um ganz sicher zu gehen:
»Wer führt Euch an?«
»Der ›starke Büffel‹.«
»Wohin wollt Ihr?«
»Nach Almaden zu Old Shatterhand und Winnetou.«
Da gab ich ihm den Hals ganz frei und sagte:
»Sprich ganz leise! Schau mir einmal ins Gesicht! Kennst du mich?«
»Uff! Old Shatterhand!« antwortete er mir, nachdem er sein Gesicht ganz an das meinige gebracht hatte.
»Steh auf, und führe mich zu dem ›starken Büffel‹! Da hast du dein Messer wieder.«
Er erhob sich, kehrte um und ging neben mir her, ohne ein Wort zu sagen. Als wir in der Nähe des Thales angekommen waren, blieb er stehen und sagte:
»Old Shatterhand ist ein Freund der roten Männer und ein Meister in allem. Er muß nicht denken, daß jeder Krieger es ihm gleich thun kann. Wird er dem Häuptling sagen, daß er mich ergriffen und entwaffnet hat?«
»Ich sollte es thun, denn eure Sicherheit erfordert, daß nur der Fähigste zu solchen Diensten ausgewählt wird.«
»Dann wird man mich zu den Weibern schicken, und ich stoße mir das Messer in das Herz!«
»Dann will ich schweigen. Aber merke dir, daß man sich selbst von dem größten Schreck nicht überraschen lassen darf!«
Als wir ein kleines Stück in das Thal hinein gegangen waren, ließ sich das Zirpen einer Grille hören; mein Begleiter antwortete durch ein gleiches Zirpen, wodurch er sich vor dem Posten legitimierte. Bald sah ich trotz der Dunkelheit viele Männer beisammensitzen. Sie hatten natürlich kein Feuer angebrannt. Aus ihrer Mitte erhob sich einer und meinte:
»Zwei kommen! Wer ist der andere?«
»Old Shatterhand,« antwortete mein Begleiter.
»Old Shatterhand, Old Shatterhand!« hörte ich es weiter und weiter flüstern.
Der Frager war kein anderer als der »starke Büffel« der Häuptling der Mimbrenjos. Er gab mir die Hand und sagte im Tone froher Überraschung:
»Mein berühmter weißer Bruder ist's? Das macht mir das Herz leicht, denn ich habe große Sorge um ihn gehabt. Wie aber kommt er in diese Gegend, da wir ihn entweder tot oder in einer andern Gegend glauben mußten?«
Er hatte sich um mich wohl weniger gesorgt als um seine beiden Knaben, durfte sich aber nicht die Blöße geben, dies zu sagen. Um ihn gleich von vornherein zu beruhigen, antwortete ich:
»Tot? Alle, die sich bei mir befinden, sind wohlauf, und es ist keinem ein Leid geschehen. Die Krieger der Mimbrenjos, welche mich begleiteten, und die beiden Söhne des ›starken Büffels‹ haben sich so tapfer gehalten, daß ich ihnen großes Lob zollen muß. Ich werde später von ihnen und ihren Thaten erzählen; jetzt muß ich vor allen Dingen hören, wieviel Krieger der ›starke Büffel‹ mitgebracht hat.«
»Zweihundert und einige mehr,« antwortete er.
»Er wollte die gefangenen Yumas, unter denen sich auch der Häuptling derselben, der ›große Mund‹, befand, zu den Marterpfählen führen. Sind sie mutig gestorben, oder haben sie vor Schmerzen ihre Stimmen erschallen lassen?«
Ich wußte längst, daß sie dem alten, groben, aber sonst ganz wackern Kerl entkommen waren, sprach die Frage aber dennoch aus, um ihn dafür zu bestrafen, daß er mir zugemutet hatte, ich wolle den »großen Mund« absichtlich entfliehen lassen. Er zögerte auch lange mit der Antwort, bis er eingestand:
»Der große Geist hat nicht gewollt, daß wir uns über den Tod dieser Hunde freuen sollten. Es hatte sich einer von ihnen losgemacht und auch die Fesseln der andern geöffnet; sie entflohen und nahmen viele Pferde mit.«
»Das ist eine große Heldenthat von Euch gewesen. Die Yumas werden noch lange darüber lachen. Wie hat der ›starke Büffel‹ gezürnt, wenn ich einmal mit dem ›großen Munde‹ sprach! Nun hat er nicht nur ihn, sondern alle Gefangenen mit ihm laufen lassen!«
»Der große Geist hat es so gewollt. Er ließ einen so tiefen Schlaf über uns kommen, daß wir weder sahen noch hörten.«
»Das ist die Ansicht meines roten Bruders. Ich bin anderer Meinung. So oft ein Fehler von mir geschehen ist, habe ich niemals dem großen Geiste die Schuld gegeben, denn Manitou begeht keinen Fehler. Aber was vergangen ist, soll man als unvermeidlich betrachten und sich die beste Lehre daraus ziehen. Wissen die Krieger der Mimbrenjo, wo der ›große Mund‹ sich jetzt befindet?«
»Nein; aber wir nehmen an, daß er auch hinauf nach Almaden ziehen wird. Als er uns entflohen war, habe ich mich beeilt, frische Pferde und Krieger zu holen, um ihn wieder zu fangen; diejenigen welche ich bei mir hatte, mußten ihn augenblicklich verfolgen. Sie werden hinter ihm her sein, und wenn ich mit diesen neuen Kriegern dazukomme, wird er sich zwischen zwei Haufen befinden, welche ihn erdrücken.«
»So hast du klug und umsichtig gehandelt. Deine erste Schar wird ihm die Herden, welche er sich holte, inzwischen wieder abgenommen haben. Übrigens kann ich dir sagen, daß er sich nicht weit von hier befindet, am nördlichen Ausgange des Thalkessels, in welchem wir lagern.«
»So müssen wir hin, um ihn anzugreifen!«
»Übereile dich nicht! Du mußt erst wissen, was geschehen ist und wie die Dinge jetzt stehen.«
Ich hatte nicht Zeit zu einem langen, ausführlichen Berichte und erzählte ihm also in Kürze, aber so, daß er alles erfuhr, was seit meiner Trennung von ihm vorgekommen war.
Seine Leute drängten sich herbei und lauschten atemlos. Obgleich ich nur Umrisse geben und keinerlei Malerei bringen konnte, ließ er doch von Zeit zu Zeit einen Ausruf des Erstaunens hören, und als ich fertig war, rief er aus:
»Nicht ganz fünfzig unserer Krieger haben das vollbracht! Hört ihr es, nicht ganz fünfzig! Und meine Knaben waren auch dabei!«
Ich hatte bei meinem Berichte weder von Winnetou noch von mir im einzelnen gesprochen, sondern stets das Fürwort »wir« gebraucht. Dadurch wurde allerdings die Vorstellung erweckt, daß einer ganz denselben Ruhm zu beanspruchen habe wie der andere.
»Also der Häuptling ›listige Schlange‹ lagert jetzt da draußen im Thale mit dreihundert Kriegern und unsern Brüdern?! Welch ein Zufall! Hättest du nicht Frieden mit ihnen geschlossen, so wären mit Tagesanbruch alle ihre Skalpe unser Eigentum!«
»Ich hoffe, daß ihr den Vertrag respektiert, den wir mit der ›listigen Schlange‹ abgeschlossen haben. Euer Verlangen nach Skalpen wird vielleicht auf andere Weise erfüllt werden.«
»Wie?«
»Ich habe dir doch gesagt, daß der ›große Mund‹ sich auch in der Nähe befindet. Zwar habe ich ihn noch nicht gesehen, aber er wird und muß es sein. Er wird in Zorn entbrennen, wenn er hört, daß die ›listige Schlange‹ Freundschaft mit uns geschlossen hat, und ich denke, daß er sich weigert, dem Vertrage beizutreten. Dann kommt es unbedingt zum Kampfe.«
»Was denkt mein weißer Bruder, daß die ›listige Schlange‹ dann thun wird?«
»Dieser Krieger ist ehrlich; er wird sein Wort gewiß halten. Aber von den dreihundert Männern, welche bei ihm sind, ist es nicht auch so gewiß, daß sie sich aller Falschheit enthalten werden. Wenigstens vermute ich in Beziehung auf die vierzig Mann, welche wir an der Fuente und den andern Posten festgenommen haben, daß sie deshalb heimliche Rachepläne gegen uns hegen. Man muß abwarten, was geschieht.«
»Nein, nicht abwarten, sondern ihnen zuvorkommen sollte man!«
»Mute mir das nicht zu! Eines Treubruches soll man Old Shatterhand und Winnetou niemals zeihen!«
»So sage, was zu geschehen hat! Sollen wir gleich jetzt mit hinüber nach euerm Lager reiten?«
»Nein. Ich will erst hören, was Winnetou sagt, der den ›großen Mund‹ beschlichen hat. Da letzterer auch Kundschafter senden wird, so ist es besser, du schickst keinen Späher mehr hinüber, denn dieser könnte von dem Späher des Feindes gesehen werden.«
»Wie aber erfahre ich, was geschehen soll?«
»Durch einen Boten, den ich dir sende. Er wird zirpen, wenn er in eure Nähe kommt, und du wirst gewissenhaft das thun, was ich dir durch ihn sagen lasse. Mag es kommen, wie es will, wir sind den Yumas überlegen. Haben sie auch mehr Krieger als wir, so besitzen wir Schießwaffen, von denen sie nur wenige haben, und bei uns giebt es einzelne Männer, von denen jeder es mit zehn und noch mehr Feinden aufnimmt. Jetzt gehe ich. Haltet euch bereit!«
Ich ging. Als ich wieder in das Lager kam, war Winnetou schon da, obgleich er weiter zu gehen gehabt hatte, als ich. Ja, ich erfuhr, daß er noch viel weiter gegangen war, als ich dachte. Wir legten uns abseits nebeneinander, um nicht gehört zu werden, und ich sagte ihm, welchen Erfolg ich gehabt hatte. Als ich ihn dann nach dem seinigen fragte, antwortete er:
»Winnetou hat erst den ›großen Mund‹ mit seinen Kriegern gesehen und dann auch die Mimbrenjos, die ihm folgen.«
»Was?« fragte ich, im höchsten Grade überrascht. »Sind sie schon hier? Sind sie ihm so nahe?«
»Old Shatterhand weiß, daß sie hinter ihm her sind?«
»Ja; der ›starke Büffel‹ sagte es mir. Er sandte, als die Yumas ihm entwischt waren, die Mimbrenjos hinter ihm her und eilte fort, um neue Krieger und neue Pferde zu holen. Hast du sie nur gesehen, oder auch mit ihnen gesprochen?«
»Gesprochen. Ich kam in das Thal und beschlich die Leute, welche sich dort befanden. Es war der ›große Mund‹. Als ich hinter einem Felsen lag, huschte ein anderer vorüber, welcher sie auch belauschen wollte. Ich hielt ihn fest. Er mußte, da er sich ihnen nicht zeigte, ein Feind von ihnen sein; darum nannte ich ihm meinen Namen. Da freute er sich und teilte mir mit, daß die Mimbrenjoschar, zu welcher er gehöre, am Nachmittage dem ›großen Munde‹ ganz nahe gefolgt sei und nur tausend Schritte entfernt liege, um über ihn herzufallen. Ich ließ mich hinführen und sprach mit ihnen.«
»Was hast du ihnen geboten, daß sie thun sollen?«
»Sie sollen ihn nicht überfallen, sondern ruhig liegen bleiben, bis ich entweder selbst komme, oder ihnen einen Boten sende. Dann eilte ich zurück, um mit dir darüber zu sprechen.«
»Das war das Richtige. Wir müssen nun unser Verhalten ganz nach demjenigen des ›großen Mundes‹ richten. Ist er zur Freundschaft geneigt, so soll es mich freuen, wo nicht, so mag er erfahren, daß wir ihn nicht fürchten.«
»Er wird den Frieden nicht anerkennen. Du hast seinen Sohn getötet. Selbst wenn er den Mimbrenjos die Hand zur Versöhnung bieten wollte, dir würde er sie verweigern.«
»Zu seinem eigenen Schaden, denn er wird, wenn der Tag anbricht, sehen, daß er rings umschlossen ist. Ich schlage vor, daß du noch einmal – –«
Ich wurde durch einen lauten Ruf unterbrochen, welcher sich in einiger Entfernung von uns hören ließ. Dort trat nämlich ein Indianer aus den Büschen und ging unter frohen Ausrufungen auf »listige Schlange«, welche am Wasser lag, zu. Der Mann war ein Kundschafter des ›großen Mundes‹, der ihn abgeschickt hatte, um zu erfahren, wer wir seien. Als er gesehen hatte, daß die meisten Anwesenden Yumas waren, kam er aus den Sträuchern, in denen er steckte, hervor, um den Häuptling zu begrüßen. Beide sprachen einige Zeit miteinander und kamen dann auf uns zu; deshalb standen wir auf. Der Kundschafter betrachtete uns mit finsterem Blicke. »Listige Schlange« sagte:
»Der Krieger der Yumas meldet mir, daß der ›große Mund‹ hier angekommen ist und wissen will, wer hier am Wasser liegt. Da er der oberste Kriegshäuptling unsers Stammes ist, muß ich ihn einladen, mit seinen Kriegern hierher zu kommen. Was sagen meine beiden Brüder dazu?«
»Hast du dem Kundschafter gesagt, daß wir Frieden geschlossen haben?« antwortete Winnetou.
»J a.«
»Wir wissen, daß du dein Wort halten wirst, und müssen nun erst hören, ob der ›große Mund, dir zustimmt. Bis wir dies erfahren, müssen wir vorsichtig sein. Er mag mit seinen Leuten kommen und sich mit ihnen hier an das Wasser setzen. Die eine Hälfte desselben, bis zur großen Buche da, wo du gelegen hast, soll ihm und ihnen, die andere aber uns gehören. Wer über die Buche hinausgeht, wird erschossen. Brennt ein Feuer da drüben auf seiner Hälfte an, damit er sich gut umschauen kann! Ich habe gesprochen.«
»Listige Schlange« gab dem Boten noch einige Erläuterungen, schickte ihn fort und versicherte uns dann:
»Mag der ›große Mund‹ beschließen, was er will, meiner seid Ihr sicher!«
»Deiner Krieger auch?«
»Der meisten von ihnen. Mit diesen würde ich, wenn der ›große Mund‹ Euch angreifen sollte, für Euch kämpfen.«
»So rufe, um zu erfahren, woran du bist, deine Leute alle zusammen und frage sie! Wir möchten die Antwort bald hören.«
Die Lage war jetzt eine höchst interessante und gespannte. Man denke sich einen kleinen See von vielleicht zweihundert Schritten Durchmesser, an dessen Südseite in der Mitte die erwähnte Buche stand. Die nach West gelegene Hälfte des Sees und der Ufer hatte Winnetou also den Yumas angewiesen; auf der andern, östlich von der Buche gelegenen Hälfte wollten wir bleiben. Hüben bei uns brannte das Feuer, welches ursprünglich angezündet worden war; drüben wurde jetzt ein zweites angebrannt. Warum der kluge, umsichtige Winnetou dies angeordnet hatte, wird sich bald zeigen. Die Yumas zogen sich nach drüben zurück; wir, das heißt Winnetou, ich, die Deutschen und die Mimbrenjos, blieben hüben. Die Lage war für uns nicht ganz ungefährlich. Drüben dreihundertvierzig Yumas, zu denen bald der »große Mund« mit seinen Leuten kommen mußte, hüben bei uns die paar Mimbrenjos und die Weißen, welche nur notdürftig bewaffnet waren und Frauen und Kinder bei sich hatten! Aber wir wußten die Helfer hinter uns.
Zunächst galt es, sich unserer Pferde zu versichern, was gar nicht auffallen konnte, da dies ganz selbstverständlich war. Jeder holte also schnell sein Pferd; die Weißen hatten keine. Als wir die Tiere jenseits der Bäume, wo es dunkel war, zusammengebracht hatten, sagte der Apatsche:
»Old Shatterhand wird einige Leute nehmen, um mit ihnen die Pferde hinüber ins Thal zu dem ›starken Büffel‹ zu bringen und kann in einer Viertelstunde wieder hier sein. Eher kommt der ›große Mund‹ nicht. Zu den Mimbrenjos, welche hinter diesem auf der Lauer liegen, sende ich einen Boten. Der ›starke Büff6 mag die Pferde unter Bewachung im Thale lassen und, sobald der ›große Mund‹ hierhergekommen ist, sich auch nähern. Er wird dabei auf den andern Haufen der Mimbrenjos treffen, welche mein Bote bringen wird, und mit den Leuten den ganzen See umstellen; sie müssen aber ihre Pferde zurücklassen und sich ruhig verhalten. Wir müssen ihnen ein Zeichen geben, welches nicht mißverstanden werden kann. Nehmen wir das Kriegsgeheul der Sioux. Sobald ich dies ausstoße, ziehen sich alle Mimbrenjos von außen her gegen das westliche Ufer zusammen, wo sich der ›große Mund‹ befindet, und werfen sich auf diesen und seine Leute; denn wir und diejenigen Yumas, welche es mit uns halten, werden uns auf der östlichen Seite befinden. Ertönt aber das Kriegsgeheul nicht, so ist Friede und sie haben bis Tagesanbruch rund um den See und die Bäume liegen zu bleiben.«
Einen besseren Plan gab es nicht. Ich brauchte, um die Pferde fortzuschaffen, sechs oder sieben Mimbrenjos, bei denen sich auch die beiden jungen Brüder befanden, die freudig verwundert waren, als ich ihnen sagte, daß sie ihren Vater sehen würden. Als wir bei demselben ankamen und ich ihm die Lage der Sache erklärt hatte, wollte er sie nicht zurückkehren lassen; aber sie sträubten sich so lange gegen seinen Willen, bis er nachgab. Den Rückweg mußten wir natürlich zu Fuß machen.
Die Yumas ahnten nicht, daß unsere Pferde fort waren; sie glaubten, wir hätten sie nur herüber auf unsere Seite geholt. Wir befanden uns natürlich in der größten Spannung. Von großer Wichtigkeit war es, daß der Bote, den Winnetou fortgeschickt hatte, von den Leuten des »großen Mundes« nicht gesehen wurde und seine Botschaft auch richtig ausrichtete.
Das neue Feuer jenseits der Buche brannte jetzt hell, während das unserige immer kleiner wurde. Winnetou wollte es ausgehen lassen. Letzterer hatte sich vom See entfernt, um ein Stück nordwärts vorzugehen und zu beobachten. Der »große Mund« konnte auf den Gedanken kommen, die Verabredung nicht zu beachten und gleich über uns herzufallen. Diese Absicht mußte der Apatsche bei der Annäherung der Yumas erkennen, und wir konnten uns bei Zeiten darnach richten.
So verging die Zeit, bis wir das Getrappel zahlreicher Pferde und dann auch Menschenstimmen hörten. Zugleich kehrte Winnetou zu uns, die wir vorsichtig hinter Bäumen standen, zurück und meldete.
»Der ›große Mund‹ ist da; er thut, was ich vorgeschlagen habe, und wird sogleich drüben erscheinen.«
Das Stimmengewirr währte nur kurze Zeit, bis jeder sich seines Pferdes entledigt hatte; dann begann es drüben auf der gegnerischen Seite des Sees von Yumas zu wimmeln. Von uns aber war keiner zu sehen, da wir es vorzogen, unter dem Schutze der Bäume zu bleiben und unser Feuer immer tiefer brannte. Drüben hingegen aber war es so hell, daß wir den »großen Mund« deutlich erkannten, als er aus den Büschen trat und von der »listigen Schlange« begrüßt wurde. Er schien den Unterhäuptling seinen Zorn hören zu lassen, denn seine Stimme klang überlaut zu uns herüber, wenn wir auch die Worte nicht deutlich verstehen konnten. Der andere aber verteidigte sich; wir hörten auch ihn sprechen, und zwar in einem kräftigen, energischen Tone, dem es anzuhören war, daß die Schlange ihre Handlungen mit ganz besonderem Nachdrucke vertrat.
Indessen kam der Bote Winnetous zurück. Er war nicht bemerkt worden, hatte die Mimbrenjos gefunden und herbeigeführt; dieselben waren dabei auf die neue Schar des »starken Büffels« gestoßen und hatten, mit dieser vereint, einen weiten Ring von Menschen und Gewehren um das Grün des Sees gezogen, sodaß die Yumas eingeschlossen waren. Jetzt konnten wir das Kommende getrost erwarten, denn es mußte günstig für uns ausfallen.
Drüben hatten sich die beiden Häuptlinge in der Nähe des Feuers niedergesetzt und ihre ältesten Krieger um sich versammelt. Es sollte beraten werden. Wir hatten Zeit, zu warten. Dem »starken Büffel« aber wurde die Zeit zu lang. Anstatt draußen bei seinen Mimbrenjos zu bleiben, kam er herbeigeschlichen, um zu erfahren, ob Krieg oder Friede zu erwarten sei. Ich zankte ihn tüchtig aus und jagte ihn fort, denn wenn sein bekanntes Gesicht von den Yumas gesehen wurde, mußten sie erwarten, daß er nicht allein gekommen war. Und das sollten sie nicht wissen.
Die Beratung dauerte wohl zwei Stunden; es ging sehr heftig bei derselben her. Dann sahen wir, daß die »listige Schlange« drüben aufstand. Er kam zu uns herüber. Er wollte es nicht sehen lassen, daß er sich geärgert hatte, aber seine Augen blitzten, wie es oft noch lange nach einem Gewitter wetterleuchtet.
»Meine Brüder sollen hinüberkommen, um zu hören, was beschlossen worden ist,« meldete er.
»Das kannst du uns hier ja sagen!« warf ich ein.
»Ich soll nicht; der ›große Mund‹ will es selbst sagen.«
»Dagegen haben wir nichts; er mag herüberkommen.«
»Haben meine Brüder Mißtrauen?«
»Natürlich!«
»Mir könnt ihr vertrauen, wenn auch dem ›großen Munde‹ nicht.«
»Wieviel deiner Leute halten zu dir?«
»Der Hälfte bin ich sicher. Die andern hat mir der Zorn des ›großen Mundes‹ abspenstig gemacht.«
»Meinst du, daß es zum Kampfe kommt?«
»Ja, wenn ihr nicht auf die Vorschläge des ›Mundes‹ eingeht,«
»Wir sind bereit, sie zu hören, aber nachlaufen werden wir ihm nicht, zumal wir ihn nicht für einen ehrlichen Mann halten.«
»Herkommen will er auch nicht!«
»So mag er drüben sitzen bleiben, bis er klüger wird, worüber allerdings der Sommer und Winter gar viele vergehen können! Sage ihm das!«
Dieser Bescheid war ihm sehr unlieb. Man sah ihm das an; er sann nach und kam dann auf das Auskunftsmittel:
»Würdet ihr zur Hälfte gehen, wenn er zur Hälfte kommt?«
»Ja. Wir wollen uns dort unter der Buche treffen, doch ohne Waffen. Ich komme mit Winnetou, und er bringt dich mich. Von jeder Seite zwei; mehr dürfen es nicht sein.«
Er ging hinüber und stritt sich eine Viertelstunde mit dem ›großen Munde‹ herum; dann kam er wieder, um uns zu sagen, daß derselbe bei seiner hohen Würde unmöglich zu zweien kommen könne; er müsse wenigstens sechs Begleiter haben.
»Zwei von hüben und zwei von drüben, mehr nicht. Sage ihm das! Wir gehen nicht davon ab und wenn ihm das nicht gefällt, so mag er sehen, was geschieht.«
Die »Schlange« mußte noch zweimal hin und her, ehe sich der Alte entschloß, nachzugeben. Dann kam er mit ihm nach der Buche geschritten, unter welcher sie sich niedersetzten. Ohne Waffen, war ausgemacht; man weiß aber, daß selbst auch dann der Indianer wenigstens ein Messer in irgend einer Falte verborgen hat; darum behielten wir, als wir hingingen, jeder einen Revolver bei uns. Um einem Hinterhalte zu begegnen, hatten wir unsere Vorsichtsmaßregeln getroffen.
Der »große Mund« nahm uns mit haßerfüllten Blicken in Empfang, und als ich mich bei ihm niederließ, zog er den Zipfel der Decke, in welche sein Oberkörper gehüllt war, rasch an sich, damit derselbe ja nicht mit mir in Berührung kommen möchte. Dann sah er finster vor sich nieder. Er mochte denken, daß wir zu beginnen hätten; aber wir wollten ihm infolge seiner »großen Würde« den Anfang machen lassen und schwiegen also ebenso hartnäckig wie er. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf, um uns mit einem dolchähnlichen Blicke zu durchbohren; als wir uns aber weder durchbohren noch zum Reden bringen ließen, fuhr er uns, da er sich nicht länger halten konnte, ganz plötzlich und unerwartet an:
»Meine Ohren sind offen, also redet!«
Winnetou sagte nichts, und ich sagte nichts. Darum kam nach einiger Zeit die Drohung hervorgepoltert:
»Wenn ihr nicht redet, laß ich auf euch schießen!«
Da deutete Winnetou nach unserer Seite hinüber, welcher der Alte den Rücken zukehrte; er drehte sich um und sah sämtliche Mimbrenjos, die sich bei uns befanden, auf der Erde mit ihren Gewehren im Anschlage liegen.
»Uff! uff! Was ist das?« rief er aus. »Wollt ihr mich erschießen lassen!«
»Nein,« antwortete der Apatsche. »Die Gewehre sind so lange auf dich gerichtet, bis wir uns wieder dort bei unsern Kriegern befinden; mehr brauche ich dir nicht zu sagen.«
Es ist keineswegs angenehm, zu wissen, daß man einen Rücken hat, auf den über vierzig geladene Gewehre gerichtet sind. Es braucht nur ein Finger sich ein wenig zu fest an den Drücker zu legen, so ist das Unheil geschehen. Man sah es dem »großen Munde« deutlich an, daß er sich von jetzt an nicht allzusehr behaglich fühlte. Um die ängstliche Situation abzukürzen, versuchte er nun nicht mehr, uns zum Reden zu bringen, sondern ging uns mit gutem Beispiele voran, indem er drolligerweise behauptete:
»Winnetou und Old Shatterhand sind in meine Hände geraten; der heutige Tag wird ihr letzter sein!«
Der Apatsche forderte mich durch einen stillen Blick auf, zu antworten; darum entgegnete ich:
»Und der ›große Mund‹ ist uns in das Netz gegangen; er wird noch in dieser Stunde geschlachtet werden! Soll dieser Tag unser letzter sein, so schicken wir dich voran!«
»Zählt eure Männer und zählt die unserigen! Wer ist dem andern überlegen?«
»Winnetou und Old Shatterhand zählen niemals ihre Gegner. Ob einer oder zehn, ist ihnen gleich. Der ›große Mund‹ mag zählen!«
»Wir werden euch erdrücken!«
»Wurden wir in Almaden erdrückt, wo über dreihundert gegen vierzig waren?«
»Da war ich nicht dabei und werde es genau untersuchen. Wer als Feigling handelt, wird aus der Reihe der Krieger gestoßen.«
Das ging gegen »listige Schlange«, welche sofort zornig ausrief:
»Wer ist feig? Verbünde dich nicht mit Verrätern, so kommen deine Krieger nicht in die Gefahr, mutlos zu erscheinen!«
»Schweig! Ich werde mit Melton sprechen und von ihm erfahren, was geschehen ist und wer die Schuld an allem trägt.«
»Du wirst nicht mit ihm sprechen! Das Bleichgesicht gehört mir und niemand darf ohne meine Erlaubnis mit ihm sprechen!«
»Auch ich, dein Häuptling nicht?«
»Nein. Du bist mein Häuptling nicht. Du bist ein Häuptling wie ich, und weil du der ältere bist, ist dir von den Stämmen der Yumas der Befehl übertragen worden; aber keiner braucht, wenn er nicht will, dir zu gehorchen. Darüber, daß du mich einen Feigling nennst, mag die Beratung der Ältesten entscheiden; sagst du es aber noch einmal, so steche ich dich augenblicklich nieder!«
Er sprach die Drohung in solcher Erregung aus, daß anzunehmen war, er werde sie zur Wahrheit machen. Jetzt hatte der Alte sogar von seinem eigenen Stammesgenossen einen kräftigen Hieb empfangen, that aber so, als ob er ihn nicht gefühlt habe, und wendete sich von der »Schlange« ab zu mir:
»Ich wiederhole, daß ihr in meine Gewalt geraten seid. Alle, die sich bei euch befinden, sind verloren. Es giebt nur eine einzige Möglichkeit, sie zu retten, du lieferst dich und einen Sohn des ›starken Büffels‹ an uns aus, damit ihr an dem Marterpfahle sterbt.«
»Wenn ich das thue, welche Folgen hat es für meine Genossen?«
»Sie können weiterziehen, ohne daß wir sie mit dem Finger berühren.«
»Warum soll gerade ich es sein?«
»Weil du meinen Sohn erschossen hast.«
»Und warum einer der beiden Knaben?«
»Weil sie schuld waren, daß du ihn erschossest. Ich habe gehört, daß der eine sich Yurnatöter nennt?«
»Ich selbst habe ihm den Namen gegeben, und ich hoffe, daß sein Bruder bald einen ähnlichen tragen wird.«
»Damit deine Hoffnung zu Schanden wird, verlange ich gerade diesen Knaben, obwohl ich erst den Yumatöter fordern wollte.«
»Was forderst du noch?«
»Alles, was deine Gefährten bei sich tragen, auch ihre Pferde und Winnetous Pferd und Silberbüchse.«
»Höre, mein geliebter roter Bruder, ich gestehe, daß ich mich in dir geirrt habe, denn ich habe dich bisher für einen Dummkopf gehalten, nun sehe ich ein, daß du ein pfiffiger alter Onkel bist. Aber nun frage uns doch auch einmal, was wir wollen.«
»Ihr? Was könntet ihr wollen?«
»Zunächst dich, der sich mit Melton gegen meine weißen Brüder, die jetzt bei mir sind, verbündet hat. Auch hast du die Hazienda del Arroyo niedergebrannt, weshalb ich auch ein Wort mit dir zu sprechen habe. Also dich wollen wir; dann können deine Leute weiterziehen, ohne daß wir sie anrühren.«
Da fuhr er mich an:
»Hat dir ein Geier den Verstand aus der Hirnschale gefressen? Wie könnt ihr Forderungen stellen, da ihr euch in meiner Hand befindet!«
»So ist alles Reden unnütz. Du denkst, du hast uns, und wir denken, wir haben dich. Die Beratung ist zu Ende.«
Dabei stand ich auf. Da rief er:
»Halt, noch sind wir nicht fertig! Hört noch ein Wort: Wenn ich in einer Viertelstunde nicht den Knaben und Old Shatterhand ausgeliefert bekommen habe, fallen wir über euch her und vernichten euch bis auf den letzten Mann!«
Winnetou war zu stolz, ihm darauf noch zu antworten, und mir fiel es auch nicht ein. Da aber stand der andere Häuptling auch auf und erklärte dem Alten:
»Ich bin ›Listige Schlange‹ und habe noch nie mein Wort gebrochen; ich werde auch den Vertrag halten, den ich mit diesen Männern abgeschlossen habe.«
Da sah ihn der Alte groß an und fragte:
»Wie willst du ihn halten, wenn ich ihn für ungültig erkläre?«
»Das kannst du nicht. Ich bin's, der ihn abgeschlossen hat, und ich bin's, der zu sagen hat, ob er gelten soll oder nicht.«
Da stampfte der Alte, der sich auch erhoben hatte, mit dem Fuße auf den Boden und schrie:
»Und ich befehle aber, daß er nichtig ist! Wer wagt es, sich gegen den ›großen Mund‹ zu empören?«
»Ich, die ›listige Schlange‹, wage es. Meine Krieger habe alle mit meinen Freunden das Kalumet geraucht, das Kalumet, dessen Thon ich unter vielen Gefahren und allen frommen Gebräuchen aus den heiligen Steinbrüchen geholt habe. Jeder Stoß des Rauches ist ein Schwur, welcher gehalten werden muß, und wer einen solchen Schwur bricht, kann nie in die ewigen Jagdgründe gelangen, sondern irrt als Schatten vor den Thoren derselben umher.«
Er hatte diese Worte so laut gerufen, daß sie weithin zu vernehmen waren. Der »große Mund« fragte nun ebenso laut:
»Du nennst die Fremden also deine Freunde? Willst du sie etwa beschützen?«
»Ja. Wenn sie angegriffen werden, verteidige ich sie mit meinem Blute und mit meinem Leben!«
»Gegen mich und meine Krieger, die deine Brüder sind?«
»Wer mich zwingen will, meinen Schwur zu brechen und mein Kalumet zu entweihen, der ist mein Bruder nicht mehr, der beleidigt mich und beschimpft alle Männer meines Stammes. Hört es, ihr Krieger, deren Anführer ich bin! Der ›große Mund‹ hat uns Feiglinge genannt. Wollt ihr das dulden? Er verlangt von uns, unsere Kalumets zu zerbrechen, welche das Kostbarste sind, was wir besitzen. Er fordert, daß wir unsere heiligen Medizinen durch Meineide beschimpfen. Wollt ihr ihm gehorchen?«
Tiefe Stille war die Antwort. Kein Ja und kein Nein ließ sich hören. Da fuhr er fort:
»Hier steht Winnetou, und hier steht Old Shatterhand. Habt ihr gehört, daß einer von ihnen jemals sein Wort gebrochen hat? Sollen sie von uns sagen, daß wir Lügner sind? Old Shatterhand hat mich aus dem Schachte geholt, in welchem ich verschmachten sollte; er that es, obgleich ich sein Feind war; soll ich nun zum Verräter an ihm werden, obgleich ich sein Freund bin? Soll euer Anführer ein Lügner sein oder ein ehrlicher Mann, auf dessen Wort ihr euch verlassen könnt? Entscheidet euch! Ich gehe jetzt mit Winnetou und seinem weißen Freunde. Wer ein ehrlicher Mann und ein tapferer Krieger ist, der mag herüber zu uns kommen; aber wer die Lüge liebt und es duldet, ein Feigling genannt zu werden, der mag drüben bei dem ›großen Munde‹ bleiben. Ich habe gesprochen, und ihr mögt nach meinen Worten handeln. Hat der ›große Mund‹ eine Rache gegen Old Shatterhand, so mag er selbst sie mit ihm auskämpfen, wenn er Mut besitzt. Ich habe gesprochen, und ihr habt es gehört. Howgh!«
Er nahm mich bei der Linken und Winnetou bei der Rechten und ging mit uns nach unserer Seite herüber. Die Wirkung war eine überraschende, eine weit bessere, als ich erwartet hatte, denn seine Leute folgten ihm alle; ich glaube nicht, daß einer fehlte. Das war wohl die Folge davon, daß der Alte ihn einen Feigling genannt hatte.
Der »große Mund« stand wie versteint, als er dies sah; er starrte eine ganze Weile zu uns herüber, drehte sich dann um und kehrte zu seinem Feuer zurück, an welchem er sich bei den Ältesten niederließ. Während bei uns tiefes Schweigen herrschte, ging es drüben lebhaft her. Man sah den erregten Mienen und Bewegungen der Alten an, daß sie sich Mühe gaben, den »großen Mund« zu irgend etwas zu bewegen, wozu er keine Lust hatte. Das dauerte wohl über zwei Stunden lang; dann kam einer der alten Krieger langsam nach der Buche geschritten, blieb dort stehen und rief mit lauter Stimme:
»Hört es, ihr Krieger der Yumas und der Mimbrenjos: Hier steht der ›lange Fuß‹, welcher viele Sommer und Winter durch das Leben geschritten ist und sehr wohl weiß, was ein tapferer Krieger in jeder Lage zu thun hat. Der ›große Mund‹, der berühmte Häuptling der Yumas, hat seinen Sohn, den ›kleinen Mund‹, durch die Kugel Old Shatterhands verloren. Dies Blut muß gerächt werden. Old Shatterhand hat ihm den Arm zerschossen; auch das muß gerächt werden. Hört weiter, ihr Krieger! Bei Old Shatterhand befindet sich ein Mimbrenioknabe, welcher Yumatöter genannt worden ist. Diese Beleidigung des ganzen Stammes kann nur mit dem Tode gesühnt werden. Wir müßten Old Shatterhand und den Knaben töten, wo wir sie immer finden. Aber sie haben die Friedenspfeife mit den Kriegern der ›listigen Schlange‹ geraucht und sind also deren Brüder geworden; darum dürfen wir sie nicht töten, sondern ihre Thaten müssen im offenen Zweikampfe gerächt werden. Wir sind die Beleidigten und bestimmen also, mit welchen Waffen und in welcher Weise gekämpft werden soll. Da der ›große Mund‹ einen verwundeten Arm besitzt und nicht zu kämpfen vermag, so muß ein anderer für ihn kämpfen; dafür erlauben wir auf der andern Seite dem Yunlatöter, daß er seinen kleinen Bruder für sich kämpfen lassen kann. Wer an die Stelle des ›großen Mundes‹ treten will, der mag sich bei uns melden!«
Nach dieser höchst eigentümlichen Verkündigung kehrte er zum Feuer zurück. Es war also Zweikampf beschlossen worden, ohne daß man mich vorher gefragt hatte, ob ich einverstanden sei. Die Roten wollten auch die Waffen und die Kampfweise bestimmen, ohne daß ich etwas dazu zu sagen hatte. Daß der Bruder des Yumatöters für diesen eintreten durfte, das hatte jedenfalls der alte Häuptling bestimmt.
Die Wirkung dieser obrigkeitlichen Bekanntmachung war bei mir die, daß ich nach dem »starken Büffel« schickte und ihn kommen ließ. Da ich aber wünschte, daß er von den zu uns übergegangenen Yumas noch nicht erkannt werde, ließ ich ihn nach einer ganz im tiefen Schatten liegenden Stelle bringen, wo man sein Gesicht gar nicht, seine Figur nicht deutlich sehen und ihn leicht für einen andern halten konnte. Als ich mich nach einiger Zeit nach der Stelle begab, lag er schon wartend da. Ich erzählte ihm, was sich ereignet hatte. Ich war der Meinung gewesen, daß er als Vater erschrecken werde; er aber sagte im ruhigsten Tone von der Welt:
»Das also war die laute Stimme, welche wir sprechen hörten! Sie drang zu uns hinaus, doch konnten wir die Worte nicht vernehmen.«
»Ich habe dich kommen lassen, um zu erfahren, ob dein Sohn die Forderung annehmen soll.«
»Natürlich soll er es! Darf ein Mimbrenjo von sich sagen lassen, daß er sich vor einem Yuma gefürchtet habe?«
»Aber deine Söhne sind noch so jung. Man wird ihm einen kräftigen und gewandten Gegner stellen!«
»Desto schlimmer für die Yumas, denn wir dürfen dann von ihnen sagen, daß sie feig sind, daß ihre erwachsenen Krieger mit Knaben kämpfen und von ihnen besiegt werden.«
»Bist du des Sieges so gewiß?«
»Kein Yurna besiegt einen meiner Knaben!«
»Und welcher soll kämpfen? Der Yumatöter oder sein Bruder?«
»Sein Bruder, damit er auch einen Namen bekommt.«
»Aber bedenke, daß er sich die Waffe und die Fechtweise, welche gewählt wird, gefallen lassen soll!«
»Meine Knaben haben alles gelernt; ich habe keine Sorge um sie, und daß sie dich und Winnetou begleitet haben, ist von großem Vorteile für sie gewesen. Aber wirst auch du die Forderung annehmen?«
»Kann ich anders? Wenn sie von einem Knaben angenommen wird, so darf Old Shatterhand doch nicht weniger mutig sein.«
»Deinen Mut bezweifelt niemand; aber wird der Bär mit einer Maus kämpfen?«
»Ah, so ist es gemeint! Nun, ja; er kämpft mit ihr. Wenn sie ihn beißen will, giebt er ihr die Tatze, das ist auch ein Kampf. Du wirst zusehen wollen. Bleib hier liegen, damit du nicht gesehen und erkannt wirst!«
Darauf begab ich mich zu den beiden Knaben, welche mit so unbefangenen Mienen bei einander saßen, als ob ganz und gar nichts Ungewöhnliches vorgefallen oder zu erwarten sei.
»Ich sprach mit euerm Vater, dem Häuptlinge,« sagte ich ihnen. »Was gedenkt ihr zu thun?«
»Kämpfen,« antwortete der Kleine. »Ich will mir einen Namen holen; darum hat mein Bruder mir den Yuma abgetreten.«
Das war mehr als naiv. Der eine hatte dem andern den Yuma abgetreten; sie betrachteten denselben also schon als ihr Eigentum. Wenn ein erfahrener und bewährter Krieger eine solche Zuversicht besitzt, so ist's begreiflich und auch zu loben; zeigt sie sich aber in so jugendlichem Alter und bei einer so ernsten Veranlassung, so möchte man es für Unverstand halten.
Auf unserer Seite herrschte tiefe Stille. Mann lag neben Mann im Grase, um das Kommende zu erwarten. Schon war es gegen Mitternacht, und es wurde fast ein Uhr, als der »lange Fuß« wieder zu der Buche kam und verkündete:
»Im Rate der Alten ist folgendes beschlossen worden: Erst kämpft Old Shatterhand und dann der Mimbrenjoknabe. Der Kampf Old Shatterhands findet mit der Lanze statt. Noch hat sich kein Gegner gefunden; darum wird die Art und Weise später mitgeteilt werden. Der Mimbrenjo wird im Wasser mit dem Messer kämpfen. Sein Gegner ist der ›schwarze Biber‹. Beide kämpfen, bis einer tot ist; keiner darf vorher das Wasser verlassen.«
Wie schlau! Der Name »schwarzer Biber« ließ vermuten, daß der Betreffende sehr geschickt im Schwimmen und Tauchen sei. Und ich sollte mit der Lanze kämpfen, mit einer Waffe, von welcher die Roten annahmen, daß sie mir am ungeläufigsten sei. Aber da befanden sie sich im Irrtume. Winnetou, der größte Meister im Lanzenwerfen und Lanzenfechten, hatte sich auch da so lange mit mir abgequält, bis wenigstens etwas sitzen geblieben war. Bei einem Westläufer giebt es eben keine freie Stunde; hat er nichts anderes zu thun, so übt er sich. Daher die staunenswerte Fertigkeit und Sicherheit, die man an solchen Leuten zu bewundern hat. Wer da nur zuschaut, hat keine Ahnung von der Mühe und Arbeit, welche dazu erforderlich war.
Also für mich hatte sich kein Gegner gefunden. Vielleicht fand sich überhaupt keiner; das konnte ich mir dann schon gefallen lassen. Aber um den kleinen Mimbrenjo wurde mir bange; es trieb mich zu ihm hin, ihm einige nicht nutzlose Andeutungen zu machen. Als er mich kommen sah, blickte er mir lächelnd entgegen; das Kerlchen fühlte ganz und gar keine Bangigkeit, und als ich ihn fragte:
»Ist mein junger Bruder ein guter Schwimmer?« antwortete er:
»Ich bin stets sehr gern ins Wasser gegangen,«
»Einfach ins Wasser gehen, um zu baden, oder im Wasser mit dem Messer um sein Leben kämpfen, das ist zweierlei.«
»Mein Bruder und ich haben sehr oft mit den Messern gekämpft.«
»Sei nicht zu zuversichtlich! Dein Gegner hat einen für dich schlimmen Namen; er muß sehr gut tauchen können.«
Daran hatte er wohl nicht gedacht, denn er machte ein nachdenklicheres Gesicht.
»Man darf sich auch nicht allein auf die Fertigkeit verlassen; List ist oft besser als Geschicklichkeit. Dein Gegner wird wahrscheinlich viel kräftiger sein als du; das mußt du durch Schlauheit auszugleichen suchen. Vor allen Dingen darfst du dich nicht von ihm fassen lassen, sonst bist du verloren.«
»Fett!« meinte er, indem er mir lächelnd zunickte.
Da hatte man es! Ich wollte ihm gute Lehren geben, und dies eine Wort »Fett« sagte mir, daß er sich schon ganz pfiffig in seine Aufgabe hineingedacht hatte. Dennoch fuhr ich fort:
»Er wird natürlich drüben in das Wasser gehen, während du hier bei uns in dasselbe steigst. Voraussichtlich wird er sich auch drüben mehr aufhalten als hüben. Dort hast du ihn zu suchen.«
»Drüben brennt das Feuer; da ist es heller,« warf er ein.
»Aber am Ufer nicht, welches ringsum mit Büschen bestanden ist. Kennst du die Pflanze, welche ihr Sika nennt?«
»Ja; sie steht hier in Menge am Ufer und zwischen den Büschen.«
»Ihr Schaft oder Stengel ist hohl; das giebt eine schöne Röhre; merke es dir!«
Er sah mich fragend an; er hatte mich nicht verstanden.
»Eine schöne Röhre zum Atemholen,« erklärte ich ihm. »Ich wurde einst von Komantschen verfolgt und flüchtete in den Fluß. Da stand ich, während sie die Ufer absuchten, lange, lange Zeit unter dem Wasser und holte durch eine Sikaröhre Atem. Aber husten darf man nicht. Wenn du dich unter dem Wasser fest an das Ufer schmiegst und durch einen Sikastengel Atem holst, kannst du ruhig warten, bis er kommt. Du hast doch gelernt, die Augen im Wasser offen zu haben?«
»Ja. Man sieht, wenn das Wasser hell ist, mehrere Schritte weit.«
»So mag es genug sein. Es giebt zwar der Listen und Kniffe noch viele; aber man muß im Zweikampfe den Gegner ehrlich behandeln; ich gab dir nur deshalb einen Wink, weil du ein Knabe bist und dein Feind ein erwachsener Krieger sein wird.«
Als ich den Kleinen dann beobachtete, sah ich, daß er sich mehrere Sikas abschnitt. Dann verschwand er hinter den Büschen; sein Bruder folgte ihm bald, und als ich heimlich nachging, sah ich mit Vergnügen, daß er von letzterem mit Öl oder Fett eingerieben wurde. Beides oder wenigstens eins von beiden trägt jeder Indianer stets bei sich.
Wieder verging eine lange Zeit, ohne daß etwas geschah. Die alten Krieger liefen drüben emsig hin und her, wie man sah. Sie suchten jedenfalls nach einem Mann für mich; es fand sich aber keiner. Endlich schien aber doch ein Ergebnis erzielt worden zu sein, denn der »lange Fuß« kam wieder nach der Buche und verkündete:
»Hört, ihr Krieger, was der Rat der Alten beschlossen hat! Das Blut, welches Old Shatterhand vergossen hat, ist das Blut eines Häuptlingssohnes, wofür doppelte Vergeltung geübt werden muß. Darum soll er nicht mit einem, sondern mit zwei Gegnern kämpfen, und zwar zu gleicher Zeit. Jeder erhält fünf Lanzen, und die Entfernung beträgt dreißig Schritte. Die Lanzen werden geworfen. Keiner darf die Stelle, auf welcher er steht, verlassen, doch ist es ihm erlaubt, beim Ausholen und Abwehren einen Schritt vor, hinter oder rechts und links neben sich zu treten. Schilde giebt es nicht. Wer seine fünf Lanzen versandt hat, muß, wenn der Gegner noch welche hat, stehen bleiben, bis diese geworfen sind. Wegen einer Wunde wird der Kampf nicht beendet, sondern derselbe hört nur mit dem Tode auf. Old Shatterhand wird mit ›langes Haar‹ und ›starker Arm‹ kämpfen. Er mag kommen, um seine Lanzen in Empfang zu nehmen.«
Ich blieb trotz dieser Aufforderung im Grase liegen, wo ich lag. Die Schufte thaten doch ganz so, als ob nur sie zu befehlen und wir nur zu gehorchen hätten. Drüben stellten sich zwei Rote auf, deren jeder fünf Lanzen in den Händen hatte. Sie waren also meine geehrten Gegner, welche sich der Aufgabe unterziehen wollten, die Erde von meiner Gegenwart zu befreien. Sie machten herausfordernde Armbewegungen und heulten dazu. Als mich auch dies nicht veranlaßte, hinüberzugehen, kam der »lange Fuß« drüben an das Ufer getreten und rief herüber: »Warum kommt Old Shatterhand nicht? Hat die Angst ihm die Beine so steif gemacht, daß er nicht mehr gehen kann? Hier stehen die tapferen Krieger, welche ihn erwarten.«
Ich blieb ruhig liegen und rührte mich nicht. Er wartete vielleicht zehn Minuten lang und rief dann herüber-
»Es ist so, wie ich sagte: Old Shatterhand hat keinen Mut; er kriecht in das Gras und versteckt sich hinter das Gesträuch. Schande über ihn! Weiß er nicht, was sich für einen Krieger schickt?«
Da nahm, was ich auch gar nicht anders erwartet hatte, Winnetou sich meiner an, indem er hüben hart an das Wasser trat und hinüberrief.
»Welcher Frosch ist da drüben aus dem Wasser gestiegen, um sein Quaken hören zu lassen? Old Shatterhand ist der kühnste Krieger der Savanne; wer darf an seinem Mute zweifeln! Sein Name ist bekannt über die ganze Prairie und in allen Bergen und Thälern. Wer aber hat jemals von einem ›langen Fuß‹ gehört? Wer ist der Mann, und was hat er gethan? Kann jemand es mir sagen? Wie darf dieser unbekannte Mensch sich unterstehen, Old Shatterhand zu sich zu rufen! Meint er, Old Shatterhand sei ein Hund, welcher gehorcht, weil er die Peitsche fürchtet? Was fällt euch ein, uns vorzuschreiben, mit wem wir kämpfen Sollen, und wie der Kampf zu verlaufen hat! Ist einer von euch so mutig gewesen, sich gegen Old Shatterhand zu melden? Kein einziger! Die Zähne klapperten euch vor Angst. Da habt ihr bestimmt, daß er gegen zwei zu kämpfen habe, und die Waffe hervorgesucht, welche er nicht zu führen versteht, denn niemand hat jemals gehört, daß er eine Lanze in der Hand gehabt habe. Scham und Schande über euch! Ihr errötet nicht bis hinter zum Rücken, mit einem Knaben zu kämpfen! Ihr seid wert, von den alten Weibern angespuckt und aus dem Lager getrieben zu werden. Wer sind die stinkenden Käfer, welche sich ›langes Haan und ›starker Arm‹ nennen? Werden sie von ihren Müttern noch auf den Armen getragen, oder haben sie es schon soweit gebracht, am Boden hin und her zu rutschen? Und mit solchen Kindern soll Old Shatterhand kämpfen! Wer seid überhaupt ihr alle, daß ihr uns Vorschriften macht? Hier sind Häuptlinge, berühmte Männer, denen es nicht einfällt, sich durch die Berührung von Leuten zu beschmutzen, welche sich auf einen Berg stellen müssen, um einem Krieger wie Old Shatterhand bis an den Leib zu reichen. Ihr wißt noch nicht einmal, was einem Zweikampf vorherzugehen und was ihn zu begleiten hat. Sind wir etwa kranke Bisons, welche sich von einer Herde von Coyoten zerfleischen lassen müssen? Wollt ihr Rache, wollt ihr Kampf, so sei es; aber der Kampf muß ein ehrlicher sein. Zwei Häuptlinge mögen darüber wachen, nämlich der ›große Mund‹ und ich. Ich will die Lanzen sehen und untersuchen, damit nicht einer die starken und elastischen, der andere aber die morschen und spröden bekommt. Diese Kniffe kennen wir; mit ihnen fangt ihr weder Winnetou noch Old Shatterhand. Und nicht drüben bei euch darf der Kampf stattfinden, sondern zwischen hüben und drüben, da, wo die Buche steht. Der ›große Mund‹ und ich werden die dreißig Schritte abmessen; wir stehen neben den Parteien, und wenn einer gegen die Bestimmungen handelt, so schieße ich ihn augenblicklich nieder. So soll es sein. Ist euch diese ehrliche Weise nicht recht, so seid ihr feiges Gezücht. Der Häuptling mag mir sagen, ob ihr einverstanden seid, kein anderer, denn wer seine Stimme zu Winnetou erhebt, der muß ein Mann sein und darf nicht noch fünfzig Jahre zum Wachsen brauchen! Ich habe gesprochen, ich, der Häuptling der Apatschen. Nun mag der ›große Mund‹ reden, falls ihm nicht die Knochen im Leibe vor Angst zusammenschlagen! Howgh!«
Das war eine lange, kraftvolle Rede, auf welche weder hüben noch drüben ein Laut erfolgte. Sie saßen am Feuer und berieten. Sollte denn die ganze Nacht vergehen, ehe man mit dieser Kinderei zu Ende kam! Da endlich sahen wir den »großen Mund« sich erheben. Er rief herüber:
»Was Winnetou, der Häuptling der Apatschen, vorgeschlagen hat, ist angenommen worden. Er mag zur Buche kommen, wo ich mit ihm zusammentreffen werde!«
Jetzt, da die »listige Schlange« zu uns übergegangen war, brauchten wir nicht mehr an Vorsichtsmaßregeln gegen eine etwaige Hinterlist zu denken. Winnetou ging hinüber, und der Häuptling kam zu ihm. Die fünfzehn Lanzen wurden gebracht. Hatte man vorhin für mich die schadhaftesten ausgesucht, so war dies nun nicht mehr möglich. Winnetou warf einige fort und ließ an deren Stelle bessere kommen; dann wurden sie geteilt und zu je fünf verlost. Hierauf wurde die Distanz abgeschritten und markiert. »Langes Haar« und »Starker Arm« kamen herbei und hielten sich in gleicher Entfernung von meinem Platze, drei Schritte voneinander entfernt. Der Häuptling stellte sich nicht weit von ihnen auf; er hatte eine Pistole in der Hand, um mir eine Kugel zu geben, falls ich gegen die Verabredung handeln sollte. Nun wurde ich gerufen, legte die Jacke ab und ging hin. Winnetou postierte sich mit seiner Silberbüchse in gemessener Entfernung neben mich. Das dumme Ding, welches diese Leute Kampf nannten, konnte beginnen.
Meine Gegner traten sehr zuversichtlich auf; hatte doch sogar Winnetou behauptet, daß noch niemand eine Lanze in meiner Hand gesehen habe.
»Wünschest du, daß ich ihnen eine Lehre gebe?« fragte ich ihn leise.
»Ja; sie verdienen es. Du kennst meinen Doppelwurf; eine Lanze als Finte und sofort hinterher die nächste als Treffer.«
Ich nahm die fünf Waffen vom Boden auf, wo sie lagen; sie waren leicht und dünn, aber von zähem Holze, nur durch Absicht zerbrechlich. Ich konnte alle fünf zugleich umspannen und nahm sie als Bündel in beide Hände, sie zunächst wie ungefähr eine Balancierstange haltend. Bei dieser Haltung ist das Parieren, das Seitwärtsdirigieren der heransausenden Wurfgeschosse für den Anfänger freilich sehr schwer und sogar gefährlich, für den Geübten dafür aber dreifach leicht.
Jetzt gab Winnetou das Zeichen zum Beginne. Ich richtete mich zur Seite und sah scheinbar über den See hinüber, hatte aber in Wirklichkeit die Gegner, denen ich das linke Profil zukehrte, scharf im Auge. Hinter ihnen brannte ihr helles Feuer; hinter mir war es dunkel, da das unserige verlöscht war; ich befand mich also gegen sie im Vorteile, da ich ihre Speere, wenn sie dieselben warfen, viel deutlicher sehen konnte, als sie die meinigen; die ihren kamen aus dem Hellen, die meinen aus dem Dunkeln geflogen.
Auch sie bewegten sich nicht; sie warteten, daß ich beginnen Solle; das fiel mir aber nicht ein. Wer seine Lanzen verschossen hatte, mußte stehen bleiben und auf sich zielen lassen, bis der Gegner auch keine mehr hatte. So lautete das Übereinkommen, und das wollte ich benutzen; sie sollten Todesangst ausstehen.
So vergingen fünf Minuten und wieder fünf. Sie wurden ungeduldig. Sie mochten wirklich glauben, daß ich die Augen zur Seite und nicht auf sie gerichtet hielt, denn ›Langes Haan trat ganz plötzlich einen Schritt zurück, um auszuholen, und warf. Mir war zum Ausweichen auch ein Schritt erlaubt; ich that ihn, und das Geschoß flog an mir vorüber, ohne daß ich zu parieren brauchte. Dann warf der ›Starke Arm‹ zweimal und ›Langes Haan noch einmal. Jeder hatte noch drei Lanzen. Ich hörte, daß sie einander Vorwürfe machten, schlecht gezielt zu haben, und rief ihnen zu:
»Die Krieger der Yumas sind Kinder, welche keine Gedanken und keine Erfahrung haben; sie zielen ganz leidlich, werden mich aber auf diese Weise niemals treffen.«
»Meint Old Shatterhand dies wirklich?« höhnte der »starke Arm«. »Wir wissen, daß er vom Lanzenwerfen nichts versteht, obwohl er ein Meister im Gebrauche anderer Waffen ist. Mein nächster Wurf wird ihn durchbohren. Hat er vor seinem Tode noch etwas zu bestellen?«
»Ja. Gieb, sobald ich gefallen bin, dem ›langen Haan als Vermächtnis von mir zehn tüchtige Ohrfeigen, und laß sie dir dann von ihm wiedergeben, Das wiederholt ihr so zehnmale, bis jeder hundert hat!«
»Das werde ich sofort ausrichten, und zwar an dir, mit dieser Lanze. Da, hast du sie!«
Der Ärger vermehrte seine Kraft, nahm ihm aber die Sicherheit des Zielens und Wägens. Die Lanze sauste an mir vorüber und dann auch diejenige des »langen Haares«.
»Ich sagte es ja,« lachte ich. »Ihr seid Kinder, die sich reizen lassen und weder Überlegung noch Berechnung haben. Ich will euch sagen, wie ihr es machen müßt. Warum seid ihr zu zweien? Warum werft ihr einzeln? Einer Lanze weicht man doch leichter aus als zweien!«
»Uff!« rief das Lange Haar«, und »Uff!« rief auch der »starke Arm«.
Sie sahen einander verwundert an, denn ein so einfacher, so selbstverständlicher Gedanke war ihnen nicht gekommen. Es war nicht klug von mir, sie darauf aufmerksam zu machen, aber ich fürchtete mich nicht, denn ich hatte, ebenso wie Winnetou, auch darin Übung, zwei Lanzen, die zu gleicher Zeit geworfen werden, zu entgehen. Die eine pariert man, und der andern weicht man durch einen Schritt zur Seite aus. Freilich dürfen sie nicht von Kennern geworfen werden, sonst ist man unbedingt verloren. Zielen beide nach demselben Punkte, dem Kopfe, oder der Brust, und wirft dabei der eine auch nur einen Moment später als der andere, so wird die erste wahrscheinlich pariert, die zweite trifft das Ziel aber gewiß.
Das wußten die beiden Yumas glücklicherweise nicht. Sie handelten zwar nach meiner Anweisung, sagten aber einander nicht, wohin zu zielen sei; ihre Lanzen nahmen nicht denselben Flug – ein Schlag mit den meinigen, ein schneller Seitentritt, ich wurde nicht getroffen. Der Ärger darüber verleitete sie, das Manöver sofort zu wiederholen, und zwar mit demselben Erfolge oder vielmehr Mißerfolge. Sie hatten nun keine Lanzen mehr, während ich die meinigen alle noch besaß.
Jetzt ging Winnetou von mir fort und näherte sich ihnen, um sie durch sein Gewehr zum Bleiben zu nötigen, falls sie die Absicht zeigen Sollten, sich meinen Würfen durch die Flucht zu entziehen. Ich aber nahm eine Lanze in die Rechte, die andern vier in die Linke und sagte:
»Jetzt werden die Krieger der Yumas erfahren, ob Old Shatterhand den Gebrauch dieser Waffe kennt. Ihr seid unehrlich gegen mich gewesen; es soll euch aber nichts nützen.
Selbst meinem Bruder Winnetou ist die Unehrlichkeit entgangen, obgleich jeder, der ein Auge oder ein Ohr besitzt, sie sogleich erkennen mußte.«
»Eine Unehrlichkeit?« fragte der Apatsche. »Welche? Ich weiß von keiner!«
»Sind nicht zehn Speere gegen mich gewesen, zehn gegen einen, und ich habe nur fünf gegen zwei?«
»Uff! Das ist richtig!« rief er verwundert aus.
»Rechne nach! Sie hatten zehn gegen mich; ich habe nur zwei und einen halben gegen den Mann, also waren sie viermal besser gegen mich gestellt, als ich gegen sie. Ist das gerecht?«
»Nein; aber niemand hat daran gedacht!«
»Ich dachte daran, sagte aber nichts, da ich die Ungleichheit ausgleichen werde. Jetzt der erste Wurf!«
Winnetou sah mich an und nickte bedeutungsvoll zur Seite. Damit fragte er, ob der erste Wurf, sowie wir zu thun pflegten, ein Versuch sein solle. Ich nickte wieder. Links hinter den Gegnern stand ein Baum, ich weiß nicht mehr, welcher Art, der hatte unter seinem ersten Aste einen Schwamm; den wollte ich treffen. Ich setzte den linken Fuß vor, wog und wägte den Speer in der Rechten, indem ich dieselbe auf- und niedergehen ließ, hob sie hoch empor, nahm den Schwamm scharf ins Auge, gab dem Speer durch eine Daumenbewegung die nötige Selbstdrehung und schleuderte ihn – er kam mitten in den Schwamm zu stecken. Die Yumas lachten hell auf, denn die Lanze war wenigstens vier Schritte weit an ihnen vorübergeflogen. Winnetou blickte nach dem Baume, nickte befriedigt über seinen Schüler und rief den Lachern zu:
»Worüber lachen die Yumas? Haben sie nicht soviel Verstand, einzusehen, daß dies nur ein Probewurf war? Old Shatterhand hat noch vier Speere; zwei davon werden dem ›langen Haare‹ und dem ›starken Arme‹ in die linke Hüfte fahren. Er könnte sehr leicht ihr Herz treffen, ihre Brust durchbohren, will sie aber nicht töten, weil er ein Christ ist und sein Manitou es ihm verbietet!«
Er hatte mir das Ziel gegeben und ich wußte, daß ich es treffen würde – mittels des Doppelwurfes. Der erste Speer muß nämlich die Aufmerksamkeit dessen, den man treffen will, auf sich lenken; der zweite folgt augenblicklich nach und geht, wenn man Übung hat, niemals fehl. Ich ließ zwei Speere fallen, nahm den dritten in die linke, den vierten in die rechte Hand und rief:
»Also in die linke Hüfte hat Winnetou gesagt. Zuerst den ›starken Arm‹. Er mag aufpassen!«
Das Auge des Genannten hing an meiner Rechten. Ich zielte nach seiner rechten Seite, wodurch er mir beim Ausweichen die linke bieten mußte, und warf; dieser Speer war noch nicht an dem Roten vorüber, so folgte schon der zweite, den ich aus der rechten in die linke gegeben hatte; es muß dies sehr schnell geschehen. Die Spitze fuhr bis an den Schaft in die linke Hüfte des Getroffenen, welcher einen Schrei ausstieß und niedersank.
»Nun kommt das ›lange Haar‹ daran!« kündigte ich rasch an, um dem Genannten keine Zeit zur Besinnung zu lassen. Das Experiment wiederholte sich. ›Langes Haar‹ wurde von der Gewalt des Wurfes neben den ›starken Arm‹ hingestreckt. Ich drehte mich um und ging. Hinter mir hörte ich Winnetou rufen:
»So wirft Old Shatterhand die Lanze; jetzt wißt ihr es. Nun mag der ›schwarze Biber‹ mit dem Mimbrenjoknaben kämpfen!«
Mehrere Yumas eilten herbei, um ihren verwundeten Kameraden die Speere aus dem Fleische zu ziehen und sie fortzutragen; die andern heulten nach löblicher Indianersitte; ich aber hatte meine Aufgabe gelöst und legte mich wieder in das Gras. Im Osten begann bereits der Tag zu dämmern.
Für meinen kleinen Mimbrenjo schienen sich keine guten Aussichten zu eröffnen, denn der Mann, der jetzt an das Wasser trat, war ein starker, breitschulteriger Kerl, der es mit zwei oder drei andern aufnehmen konnte.
»Heult nicht, klagt nicht!« schrie er, so laut er konnte. »Der schwarze Biber wird die Speerwunden rächen. Der Yumatöter hat, als er uns mit Old Shatterhand überfiel, meinen Bruder erschossen; dafür werde ich ihm den seinigen erstechen und ertränken. Der Mimbrenjowurm mag kommen, er wird sich in meinen Fäusten und unter meinem Messer winden, bis ich meine Rache vollendet habe!«
Er warf die große, breite Decke ab, die seinen nackten Körper umhüllte, und zeigte Formen, welche nicht nur eine ungeheure Körperkraft verrieten, sondern in ihm auch einen ausgezeichneten Schwimmer vermuten ließen. Winnetou stand noch bei dem »großen Munde«; sie sprachen mit einander. Dann ließ sich der Apatsche laut hören:
»Der Mirnbrenjo geht vorn bei uns, der schwarze Biber aber hinten bei den Yurnas in das Wasser. Sobald sie sich in demselben befinden, können sie thun, was sie wollen; aber nur einer, der Sieger, darf lebend heraus; der andere muß tot sein und seinen Skalp hergeben. Hier habe ich mein Gewehr, und auch Old Shatterhand mag seine Zauberbüchse mit den vielen Schüssen nehmen, um dafür zu sorgen, daß dem Sieger von der Partei des Besiegten nichts geschieht. Wer die Hand gegen ihn erhebt, wird erschossen. Winnetou hat gesprochen!«
Der Mimbrenjo trat nackt an das Ufer; er hatte sein Messer auch in der Hand. Um seine Hüfte wand sich ein dünner Faden, in welchem hinten zwei hohle Pflanzenstengel steckten, die also nur wir, nicht aber die Yumas sehen konnten. Seine Haut glänzte von Öl. Ich sah unter dem Dunkel eines Baumes hervor zwei Augen auf ihn gerichtet, zwei dunkle, jetzt ängstlich blickende Augen – die Augen seines Vaters, dem beim Anblicke des ›schwarzen Bibers‹ jetzt doch bange geworden war.
Da gab Winnetou durch ein Klatschen seiner Hände das Zeichen, und die beiden Schwimmer gingen in das Wasser, doch in sehr verschiedener Weise. Der Biber stürzte sich in dasselbe, daß es hoch über ihn zusammenschlug, und kam dann, als ob er seinen Feind gleich im ersten Augenblicke packen wolle, mit mächtigen Schlägen der Arme und Beine gerade herübergeschwommen. Der Mimbrenjo aber stieg langsam und bedächtig hinab und ging ebenso langsam immer tiefer hinein, bis es ihm bis an den Hals reichte. Dann sah ich der Bewegung des Wassers an, daß er die Stengel hinten aus der Schnur nahm und letztere zerriß. Hierauf hob er die Beine und schwamm, nur diese bewegend und mit einer Hand steuernd, auf den Biber zu, welcher mit drohender Schnelligkeit sich ihm näherte. Das machte den Eindruck einer Ruhe, einer Überlegsamkeit, welche mir wohlthat.
Jetzt waren sie höchstens noch zehn oder zwölf Schläge auseinander, da tauchte der Mimbrenjo nieder; sogleich verschwand auch der Yuma. Jedermann stand am Ufer, einer an den andern gedrängt, um in atemloser Spannung das Ergebnis der nächsten Augenblicke zu erwarten. Eine volle Minute verging, dann kam der Mimbrenjo nach oben und sah sich um. Gleich darauf erschien auch, abgewendet von ihm, der Biber; sie waren ganz nahe beisammen, sahen sich aber nicht. Da rief einer der drüben am Ufer stehenden Yumas, indem er im Eifer beide Arme ausstreckte und sich dadurch kenntlich machte:
»Umdrehen, umdrehen, Biber! Er ist hinter dir!«
Kaum waren die Worte gesprochen, so krachte Winnetous Silberbüchse, und die nie fehlende Kugel warf den Verräter nieder. Dabei erscholl die drohende Stimme des Apatschen:
»So ergeht es jedem, der einem der Kämpfer hilft!«
Die Yumas heulten ob dieser kühnen That des Apatschen grimmig auf, wendeten aber ihre Aufmerksamkeit schnell von ihm ab und nach dem Wasser, wo die Folgen des Zurufes zu sehen waren. Der Biber hatte denselben befolgt, sich umgesehen und den Knaben bemerkt. Er hatte das Messer zwischen den Zähnen, schoß auf den Mimbrenjo zu und packte ihn mit beiden Händen. Der letztere bäumte sich sofort empor, warf, um zum Stoße nach unten Kraft zu bekommen, die Beine hoch empor und verschwand aus und unter den Händen seines Gegners, welcher ihn des schlüpfrig machenden Öles wegen nicht hatte festhalten können. Dieser tauchte nicht nach und mußte das schnell büßen. Wir hörten, daß er einen Schrei ausstieß und sich mit mehreren hastigen Schlägen entfernte. Dann warf er sich auf den Rücken, hielt sich mit den Beinen und einer Hand oben und untersuchte mit der andern seinen Unterleib, aus welchem er blutete. Er hatte von dem Mimbrenjo einen Stich bekommen und, wie sich bald herausstellte, vor Schreck darüber sein Messer aus dem Munde fallen lassen.
Noch tastete er an der Wunde herum, so stieß er abermals einen Schrei aus, denn er erhielt von unten in den Rücken einen zweiten Stich, schwamm nun weit fort und tauchte unter. Nun war er nur noch von Zeit zu Zeit zu sehen; er suchte unter dem Wasser nach seinem Gegner und kam nur herauf, wenn ihm der Atem ausging. Der Mimbrenjo aber ließ sich gar nicht mehr sehen.
Es verging weit über eine halbe Stunde; der Morgen brach darüber an; noch immer blieb der Mimbrenjo verschwunden, und noch immer tauchte der Biber nach diesem auf und nieder. Er kam nun doch zu der Ansicht, daß sich der Gegner irgendwo versteckt haben müsse, und das konnte nur am Ufer sein. Er näherte sich demselben also und schwamm langsam an ihm hin, jede Stelle genau untersuchend, wenn auch nicht mit den Händen, so doch mit den Augen. Ich folgte, wie jeder andere, seinen Bewegungen mit größter Spannung, jeden Augenblick erwartend, daß der Mimbrenjo auf ihn losfahren werde.
Da schien eine Stelle seine Aufmerksamkeit, seinen Verdacht zu erregen; er hielt an, um sie genauer zu betrachten, ruderte sich auch langsam näher. Da verschwand plötzlich sein Kopf, dann seine Arme, sein Oberkörper im Wasser; die Beine schlugen krampfhaft um sich und folgten dem Körper nach. Wellen schäumten auf, und es bildete sich ein Strudel; es fand ein Kampf unter der Oberfläche statt. Welchen Erfolg hatte man zu erwarten?
Da kam der Mimbrenjo nach oben. Er ruderte mit den Beinen und einem Arme dem Ufer zu und zog mit dem andern Arme etwas hinter sich her. Dann deckten ihn die Büsche, deren Gezweig tief herniederhing. Ich wendete mich zurück und rief mit halblauter Stimme:
»Er hat den Biber getötet und bringt ihn nach dem Ufer, um ihm dort den Skalp zu nehmen, was im Wasser sehr schwer sein würde. Haltet die Waffen bereit! Ich fürchte, daß die Yumas ihren Grimm nicht zu zähmen vermögen und losbrechen werden.«
Da kam der Knabe wieder unter den Büschen hervor und zu uns herübergeschwommen, erreichte das Land und stieg heraus.
»Halt!« schrie drüben der ›große Mund‹. »Nur der Sieger darf heraus, und der andere muß tot sein!«
Da schwang der Knabe das Messer, welches er in der rechten und den Skalp, den er in der linken Hand gehalten hatte und rief antwortend:
»Der ›große Mund‹ mag sich den Biber ansehen, der dort im Busche liegt, ob er noch lebt. Hier ist die Haut seines Schädels, die ich ihm genommen habe!«
Der kleine Sieger wurde von den Seinigen begrüßt. Er hatte nicht die geringste Verletzung oder gar Wunde. Die Yumas aber wußten sich vor Wut nicht zu fassen. Sie brüllten wie die wilden Tiere und rannten vom Wasser, an welchem sie gestanden hatten, weg, um ihre Waffen zu holen. Ich rannte auch, nämlich am Ufer hin zu Winnetou, der noch bei dem »großen Munde« stand und die scharfen Augen offen hielt.
»Deine Krieger laufen zu den Waffen,« sagte ich. »Verbiete es ihnen!«
»Das fällt mir nicht ein!« antwortete er finster, indem er mit der Hand in den Gürtel nach der Pistole griff.
»Wenn ein einziger Schuß oder Hieb von ihnen fällt, seid ihr verloren!«
»Wollen sehen! Wir zählen ebenso viele Krieger wie ihr.«
»Nein. Komm, und sieh.«
Ich nahm ihn beim Arme und riß ihn zwischen den Büschen und Bäumen hindurch hinaus ins Freie, wo jetzt, am hellen Morgen, der Ring der Mimbrenjokrieger, welcher den See umschlossen hielt, deutlich zu sehen war.
»Was ist das! Wer sind die Leute?« fragte er erschrocken.
»Es ist der ›starke Büffel‹ mit seinen Hunderten von Kriegern. Während wir euch am Wasser haben, halten sie euch von außen eingeschlossen. Siehst du nicht ein, daß der Kampf euch den Untergang bringen muß? Sei klug! Hörst du deine Leute heulen! In einer Minute ist's vielleicht schon zu spät!«
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als ob er seine Gedanken mit Gewalt zusammenstreichen müsse, und fragte:
»Giebt es für uns Gnade oder den Marterpfahl?«
»Gnade.«
»Ach vertraue dir. Komm schnell!«
Wir rannten durch das Gebüsch dem Wasser wieder zu, und es war hohe Zeit, daß wir kamen, denn die Yumas standen am obern Teil des Sees zum Angriffe bereit, der nur deshalb unterblieben war, weil sie ihren Häuptling nicht gesehen hatten. Er eilte zu ihnen hin, um sie über die Lage der Dinge aufzuklären, und ich schickte den »starken Büffel« hinaus, seinen Leuten zu sagen, daß die Entscheidung jetzt auf einem Augenblicke stehe. Sie hatten bisher am Boden gelegen oder gekauert, standen nun aber auf und boten so einen weit mehr einschüchternden Anblick als vorher.
Der »große Mund« mußte seine ganze Redekunst aufwenden, um seine Leute vom Losbruche zurückzuhalten. Sie ergaben sich erst dann in ihr Schicksal, als sie selbst die lebendige Mauer von Kriegern sahen, von welcher sie umgeben waren. Der »starke Büffel« kam, als er seine Leute aufgeklärt hatte, wieder herein zu mir, deutete auf die Yumas und fragte:
»Denkst du, daß sie sich wehren werden?«
»Nein. Ich habe mit ihrem Häuptling gesprochen.«
»So ergeben sie sich?«
»Ich denke es. «
»So sterben sie nun doch am Marterpfahle!«
»Das glaube ich nicht. Denn bietest du ihnen nichts als den Marterpfahl, so werden sie sich nicht ergeben, sondern wehren bis auf den letzten Mann.«
»Das mögen sie thun!«
»So kostet es viel, sehr viel Blut.«
»Sprich doch nicht immer vom Blut! Mögen sie erschossen werden!«
»Und viele deiner Krieger auch!«
»Schwerlich! Der Kampf wird nur einige Augenblicke währen. Bedenke, welche Macht wir gegen sie haben. Ich mit meinen Mimbrenjos, Winnetou und du mit deinen Bleichgesichtern, und die ›listige Schlange‹ mit dreihundert Kriegern, die zu dir halten!«
»Ja, sie werden zu mir halten, aber gegen dich.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, daß ich dem ›großen Munde‹ sowie allen seinen Leuten Gnade versprochen habe.«
»Gnade? Wie durftest du das! Befanden sie sich in meiner Hand oder in der deinigen?«
»Zunächst in der meinigen. Willst du sie etwa wieder zum Marterpfahle führen und unterwegs entfliehen lassen? Öffne deine Augen, um zu sehen, wie es steht! Ich helfe nicht, sie niederzumetzeln, und Winnetou auch nicht; da kennst du uns. Der Häuptling ›listige Schlange‹ wird, wenn er deine Absicht erkennt, augenblicklich dem ›großen Munde‹ helfen. Denke ja nicht, daß er eines Zerwürfnisses wegen seinen bisherigen Feinden, den Mimbrenjos, hilft, seine Brüder, die Yumas abzuschlachten! Ein Friedensschluß aber bringt allen Segen, euch und ihnen, und du machst gute Beute dabei.«
»Beute? Hast du ihnen denn nicht auch versprochen, daß keine Beute gemacht werden solle? Das sollte mich sehr wundern!«
»Nur Gnade, also das Leben, habe ich ihnen versprochen, weiter nichts. Gegen das Beutemachen habe ich nichts einzuwenden, ja ich rate dir sogar dazu. Nimm ihnen ihre Waffen und Pferde, so sind sie geschwächt für lange Zeit. Was der ›große Mund‹ in der letzten Zeit gesündigt hat, darf nicht ohne Strafe bleiben.«
»So sprich mit der ›listigen Schlange‹, was sie dazu sagt!«
Das that ich denn auch und fand den Boden dazu sehr gut vorbereitet. Ich hatte schon längst bemerkt, daß der junge und ehrliebende Häuptling eifersüchtig auf den alten war. Dazu kam die Kränkung, welche er während der vergangenen Nacht von ihm erfahren hatte, und die Trennung der Krieger des einen Stammes von denen des andern. Wenn die Mimbrenjos Beute nahmen, so wurde der »große Mund« in seinem Vermögen und Ansehen schwer geschädigt; das sah »listige Schlange« sehr wohl ein. Diejenigen, welche sich von dem Alten getrennt hatten, mußten dann ihm zufallen; sein Anhang wuchs, und es konnte leicht kommen, daß er bald an Stelle des »großen Mundes« zum Kriegshäuptling ernannt wurde, was ihn, wie er wohl hoffte, auch in den Augen der Jüdin einige Stufen höher hob. Darum antwortete er, als ich ihn fragte, was er wohl meine, was mit dem »großen Munde« und seinen Leuten geschehen werde:
»Thut, was ihr wollt, nur tötet sie nicht. Auch ihrer Gefangennahme würde ich mich widersetzen, denn sie sind meine Brüder.«
»Du weißt, was der ›große Mund‹ begangen hat, und giebst wohl zu, daß er Strafe verdient hat?«
»Das geht mich nichts an, denn ich habe ihm bei dem, was du bestrafen willst, beistehen müssen. Nehmt ihm alles ab, und laßt ihn dann mit seinen Leuten laufen!«
Diesen Bescheid brachte ich dem »starken Büffel«, welcher mir die fatale Bitte vorlegte, zu dem Alten zu gehen und die Kapitulation abzuschließen. Es war mir aber interessant, ihn zu beobachten, wenn er jetzt sein Schicksal aus meiner Hand nehmen mußte, der ich von ihm auch schon für den Marterpfahl bestimmt gewesen war.
Als ich zu ihm kam, befand er sich inmitten seiner Krieger, welche mich mit nicht sehr freundlichen Blicken betrachteten. Sie hatten ihre Waffen noch; darum war es beinahe ein Wagnis, daß ich den »großen Mund« nicht hatte zu mir kommen lassen, sondern zu ihm gegangen war.
»Du willst mir sagen, was beschlossen worden ist?« fragte er.
»Zunächst will ich dir sagen, daß ich für euch gesprochen habe, obgleich du es nicht um mich verdient hast. Du stehst allein, denn ›listige Schlange‹ hat sich von dir gewendet, weil du ihn einen Feigling nanntest. Der ›starke Büffel‹ bestand darauf, euch an den Marterpfahl zu führen; ich redete es ihm aus. Dann wollte er euch wenigstens als Gefangene mit sich führen, um euch den Weibern der Mimbrenjos zu zeigen; auch darauf hat er verzichtet. Weiter aber darfst du nichts verlangen.«
»Die Freiheit aber bekommen wir?«
»Ja. Ihr könnt gehen, wann ihr wollt und wohin ihr wollt.«
»So werden wir augenblicklich fortreiten!«
»Reiten? Eure Pferde gehören den Siegern.«
»Sie wollen also Beute haben?«
»Natürlich! Oder meinst du, daß dir alles geschenkt werden muß, was du auf dem Gewissen hast? Die Yumas sind gute Menschen und wackere Krieger; das habe ich an der ›Listigen Schlange‹ erfahren; aber wenn sie von ihrem obersten Häuptlinge auf falsche Wege geführt werden, so dürfen sie sich nicht wundern, daß mit seinem Zelte auch die ihrigen eingerissen werden. Raub, Mord, Brandstiftung, Verwüstung von Ländereien, gewaltsame Vergrabung vieler Menschen tief unter die Erde, das sind Dinge, die du dir gewiß nicht ungestraft gefallen lassen würdest. Da aber du sie begangen hast, sollen sie wohl belohnt werden? Du hörst, daß ich nicht im Hasse, im Zorne mit dir rede, sondern mit Freundlichkeit. Du bist alt; es thut mir wehe, zu sehen, daß deine letzten Tage keine schönen sein werden. Führe deine tapfern Krieger auf besseren Wegen, wie sie die ›listige Schlange‹ geht; dann kannst du, wenn Manitou dich ruft, fröhlich nach den ewigen Jagdgründen gehen, und dann können deine Männer mit mehr Stolz und mit größerer Freude als jetzt auf ihr Leben und ihre Thaten blicken. Old Shatterhand meint es gut mit dir und ebenso gut mit ihnen. Der erste Schritt, den ihr vorwärts thut, wird euch freilich schwer werden, denn er besteht darin, daß ihr euch jetzt in das Unvermeidliche fügt. Der ›starke Büffel‹ hat euch die Freiheit und das Leben geschenkt; soll er auch noch auf die Beute verzichten? Das könnt ihr nicht verlangen!«
»Er hat sie schon groß genug gemacht!« murrte er.
»Wo denn und wie?«
»Du nahmst uns die Herden des Haziendero ab. Es gelang uns, zu entkommen, und wir holten sie uns wieder. Da wir hier herauf mußten, haben wir sie mit einigen Leuten zurückgelassen. Jetzt sehen wir, daß die Mimbrenjos uns gefolgt sind, und da ist es sicher, daß sie die Herden wieder haben. «
»Ich habe mit dem ›starken Büffel‹ noch nicht darüber gesprochen; aber wenn es so ist, dann darfst du doch nicht von Beute sprechen, denn die Tiere gehören nicht den Mimbrenjos, sondern dem Haziendero und werden demselben zurückgegeben werden. Frage dich selbst, und gieb eine ehrliche Antwort, was du an Stelle des ›starken Büffels‹ thun würdest. Du würdest nicht von der Beute lassen. Ja, du würdest keine Gnade geben, sondern die Gefangenen nach deinen Weideplätzen schleppen. Du verlangst also von ihm noch viel, viel mehr, als du selbst thun würdest, wenn du dich an seiner Stelle befändest. Seid also klug, denn wenn ihr euch weigert, nimmt er wohl gar das Wort zurück, welches er mir gegeben hat, und führt euch als Gefangene fort! Und noch eins: Ihr befindet euch auf streitigem Lande. Wie nun, wenn er jetzt von euch verlangt, daß es von jetzt an nur den Mimbrenjos gehören soll? Ihr müßtet euch fügen, denn ihr seid in seiner Gewalt. Laßt es also nicht noch zu solchen Forderungen kommen, sondern bringt lieber das kleine Opfer, um größern Schaden zu vermeiden.«
Eine so freundlich eindringliche Redeweise waren die rohen Menschen nicht gewöhnt; darum machte dieselbe einen desto tiefern Eindruck auf sie. Es war ein kleiner diplomatischer Zug von mir gewesen, den Zorn der Krieger auf ihren Häuptling zu lenken als auf denjenigen, der sie verführt hatte; das war eine gerechte Strafe für ihn und konnte meinem Freunde »listige Schlange«, der sich so treu erwiesen hatte, von Vorteil sein. Kurz und gut, ich brachte es dahin, daß sie sich wenigstens ohne äußern Widerstand darein fügten, ihr Eigentum in die Hände der Mimbrenjos übergehen zu lassen, und freute mich darüber, dem »starken Büffel« dieses Resultat melden zu können. Sie gaben ihre Waffen ab und mußten dann zusehen, wie ihre Pferde zusammengetrieben wurden. Eine Milderung, welche der »starke Büffel« auf meine Befürwortung hin noch eintreten ließ, lag darin, daß sie alles behalten konnten, was sie in den Taschen bei sich trugen. Dann hielten sie es für geraten, abzuziehen, wobei sich gleich zeigte, daß meine lobende Erwähnung der »listigen Schlange« auf einen guten Boden gefallen war, denn viele von den Kriegern des Alten gingen nicht mit ihm, sondern traten zu der Schlange über und baten, von jetzt an zu seinem Stamme gezählt zu werden. Er sagte ihnen das zu, und ich brachte es soweit, daß sie ihre Waffen und Pferde wieder erhielten, worüber sie sich selbstverständlich außerordentlich freuten.
Der »große Mund« war darüber sehr erbost; er sah seinen Einfluß schon jetzt schwinden und konnte sich sagen, daß derselbe in Zukunft wohl noch mehr abnehmen werde. Darum ging er nicht, wie ich erwartet hatte, ohne Abschied von dannen, sondern kam vor dem Abmarsche noch zu uns, um uns eine Rede zu halten, welche besonders an meine Adresse gerichtet war. Er brachte dabei seine Ältesten mit, um ihnen zu zeigen, daß er, wenn auch nicht mehr die materielle, so doch noch die innere Kraft besitze, sich als unsern Feind zu betrachten.
Als er mit seinen sechs oder sieben hervorragendsten Kriegern kam, saßen wir gerade bei der Beratung über die weitere Richtung unsers Zuges; es waren also die angesehensten Personen, die sich bei uns befanden, beisammen. Ich sah ihn kommen, dachte mir sogleich, was er wolle, und gab den Befehl, die beiden Söhne des »starken Büffels« herbeizuholen und den Platz, sobald der Alte mit seinen Begleitern bei uns stehe, durch Mimbrenjos einzuschließen. Als er bei uns anlangte, lud ich ihn ein, sich zu uns zu setzen; er lehnte das aber durch eine abwehrende Bewegung seiner Hand ab, nahm die Haltung eines Redners an und sprach, während die Mimbrenjos den anbefohlenen Kreis um uns zu bilden begannen, in sehr erhobenem Tone:
»Das Glück des Krieges ist ein Weib, welches heute lacht, morgen weint und übermorgen wieder lacht. Das Weib ist dem ›großen Munde‹ stets hold gewesen, so lange er es mit Feinden zu thun hatte, welche Söhne unsers Landes waren, die ich also kannte und von denen ich wußte, welche Waffen sie führten, wie sie sich verteidigen würden und wie ich also meine Angriffspläne zu entwerfen und auszuführen hatte. Ich wurde als großer Krieger bekannt; mein Ruhm wuchs von Tag zu Tag; meine roten und weißen Feinde fürchteten mich, und meine Freunde fühlten sich sicher und geborgen unter meinem Schutze. Da aber kamen fremde Männer, die nicht in dies Land gehören. Sie hatten kein Recht, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen; aber sie thaten es doch, Old Shatterhand und Winnetou. Man hätte die Eindringlinge sofort töten oder wenigstens über die Grenze treiben sollen. Sie führten Waffen bei sich, mit denen die unserigen nicht zu vergleichen sind. Wer kann gegen die Silberbüchse des Apatschen und den Bärentöter Old Shatterhands aufkommen! Und der letztere besitzt dazu gar noch ein Zaubergewehr, mit welchem er immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen. Was sind dagegen unsere Pfeile und Lanzen, unsere Messer und die wenigen Flinten, welche die Yumas besitzen! Auch führen die Leute den Krieg in einer Weise, welche wir nicht kennen. Sie sind voller Heimtücke und List und treten immer gerade da auf, wo man sie am wenigsten erwartet. Sie stehen noch dazu mit bösen Geistern im Bunde, welche sich gegen die roten Männer feindselig verhalten, weil dieselben ehrliche und gute Menschen sind. Darum sind alle meine Pläne, seit diese beiden Menschen in das Land kamen, zunichte geworden; ich habe mich besiegen lassen müssen und muß jetzt die Füße nehmen, um ohne Pferde und Waffen heimzukehren. Aber Winnetou und Old Shatterhand werden nicht hier bleiben, und dann wird das Glück sich mir wieder zuwenden. Diejenigen, welche jetzt Sieger sind, werden dann die Besiegten sein und unter unsern Fäusten heulen wie die Hunde, welche sehen, daß sie geschlachtet werden sollen. Denn ich sage es, ich, der ›große Mund‹, der oberste Häuptling der Yumakrieger: Ich werde das, was jetzt geschehen ist, nicht vergessen und diejenigen, welche heute über mich triumphieren, unter meine Füße treten und vernichten. Und dann wird es keine Gnade und Barmherzigkeit geben, und diejenigen, welche mir heute abtrünnig geworden sind, werden die ersten sein, welche unter unsern Messern sterben. Old Shatterhand und Winnetou aber mögen sich hüten, jemals in meine Nähe zu kommen, denn ich würde sie ergreifen und bei lebendigem Leibe schinden lassen, so daß ihr Jammer und Wehklagen durch alle Thäler und über alle Berge tönen müßte. Die ältesten meines Stammes werden mir das bezeugen, denn sie sind mit mir einverstanden. Ich habe gesprochen, Howgh!«
»Howgh!« riefen auch die Ältesten, um zu zeigen, daß sie wirklich seiner Ansicht seien.
Sie drehten sich um, um sich zu entfernen, sahen aber, daß sie eingeschlossen waren. Darum fragte der Alte in zornigem Tone:
»Warum hat man uns mit bewaffneten Kriegern umzingelt? Will man etwa Verrat gegen uns üben und den Vertrag nicht halten, den man mit uns abgeschlossen hat?«
»Wir sind keine Verräter,« antwortete Winnetou. »Die Krieger, welche euch umgeben, sollen nur eine Aufforderung an euch sein, noch ein wenig zu verweilen, um das zu hören, was wir auf deine Worte zu erwidern haben. Mein Bruder Old Shatterhand mag sprechen, denn der Häuptling der Apatschen ist ein Freund der Thaten, aber nicht der Worte!«
Ich folgte der Aufforderung, indem ich aufstand und, zu dem Alten gewendet, sprach:
»Der ›große Mund‹ hat uns eine Rede zu hören gegeben, welche voller Unvorsichtigkeit und Irrtum ist. Unvorsichtig ist er gewesen, indem er mißachtet hat, daß wir mit großer Schonung gegen ihn und seine Leute verfahren sind. Wir haben ihnen das Leben und die Freiheit geschenkt; aber er sagt uns in das Gesicht, daß er uns schinden werde. Ich habe vorhin sehr gute Worte zu ihm gesprochen und ihn ermahnt, bessere und freundlichere Wege einzuschlagen, und höre jetzt, daß die Mahnung keine Frucht tragen werde, denn er, der Besiegte, droht den Siegern damit, daß er nichts vergessen werde und sie unter seine Füße treten und vernichten wolle. Sieht er denn nicht, daß er sich noch in unserer Hand befindet, er und seine Ältesten, welche seiner Drohung beigetreten sind? Was hindert uns, unser Wort zurückzunehmen, da auch er sich wortbrüchig zeigt und den versprochenen Frieden nicht halten will? Er hat ein großes Lob über sich losgelassen, aber welches Lob sollen wir und sollen auch seine Leute ihm dafür zollen, daß er sein und ihr Leben durch seine unvorsichtigen Drohungen wieder in die größte Gefahr bringt?«
»Ihr müßt Wort halten!« rief er mir dazwischen.
»Nein, wir müssen nicht! Old Shatterhand und Winnetou müssen überhaupt niemals müssen; das merke dir! Wir hätten das vollste Recht, dich infolge deiner Drohung sofort niederzuschießen, dich, deine Ältesten und alle deine Leute. Wir thun dies aber nicht, weil wir deiner lachen. Deine Drohungen sind wie das Quaken eines Wasserfrosches, welcher nur im Sumpfe leben kann und, wenn die Sonne diesen austrocknet, sterben muß. Du bist alt und schwach geworden, und die Wut über deine Ohnmacht läßt dich Worte reden, welche ein Mann nur deshalb nicht bestraft, weil sie kindisch sind und keine Thaten hervorbringen können. Wir werden euch also trotz eurer Drohungen laufen lassen, weil die Lächerlichkeit derselben uns nicht zu erzürnen vermag, wohl aber unser Mitleid erregt. – Und voller Irrtümer ist deine Rede gewesen, sagte ich. Du hast behauptet, Winnetou und ich gehörten nicht in dies Land. Weißt du denn nicht, daß er der berühmteste Häuptling der Apatschen ist, welche von Arizona oben bis hinauf zur großen Mapimi und dann hinunter bis über den Rio Pecos wohnen? Gehören die Mimbrenjos, welche du als deine Sieger hier siehst, nicht auch zu den Stämmen der Apatschen? Ist Winnetou nicht der vornehmste aller Apatschen, und du sagst, er sei ein Fremder im Lande! Ich sage dir, daß er ein größeres Recht besitzt als du, sich hier zu befinden. Und ebenso groß ist auch sein Recht, sich den Mimbrenjos vom großen Stamme der Apatschen, welche du befeindest, gegen dich anzuschließen. Wie kannst du verlangen, daß er über die Grenze getrieben werden soll! Wahr ist es, daß ihr gegen unsere Gewehre nicht aufkommen könnet; aber es sind das nur drei Stück. Wenn sich ein ganzer Stamm der Yumas vor drei Flinten fürchtet, so giebst du deinen Kriegern ein Zeugnis, dessen sie sich schämen müssen. Wie oft haben wir überhaupt die Gewehre gegen euch gebraucht? Haben wir euch mit ihnen besiegt? Nein, sondern mit ganz anderen Waffen. Auch das ist Lüge, daß wir mit bösen Geistern im Bunde stehen, und daß ihr ehrliche und gute Menschen seid. Das Gegenteil ist richtig. Ihr thut nichts als Böses; wir aber verteidigen das Gute, und darum stehen wir unter dem Schutze des großen, guten Manitou. Und letzteres ist die Ursache unseres Sieges, denn das Gute siegt stets, und das Böse muß untergehen. Daß wir stets das Gute gethan haben und nicht wie du zum Bösen hielten, hältst du für Hinterlist. Ja, wie haben euch überlistet, vielfach überlistet, aber das ist ein Beweis dafür, daß der Gute klug und der Böse dumm und unklug handelt. Wir zeigen uns auch jetzt wieder gut, indem wir euch trotz eurer Drohung laufen lassen, aber so ganz und gar straflos soll dieselbe denn doch nicht bleiben, denn eine Antwort muß auf deine Prahlereien folgen, sonst glaubst du am Ende gar, daß wir durch dieselben eingeschüchtert worden sind. Mein junger, roter Bruder mag zu mir kommen.«
Die Aufforderung war an den jüngeren Sohn des ›starken Büffels‹ gerichtet. Er folgte derselben; ich nahm ihn bei der Hand und fuhr fort-:
»Der ›große Mund‹ hat es uns zum Vorwurfe gemacht, daß wir einem Sohne des Häuptlings der Mimbrenjos den Namen Yumatöter gegeben haben; er hat dafür sogar den Tod von dessen Bruder verlangt und diesen mit dem ›schwarzen Biber‹ kämpfen lassen. Der Jüngling, den ich hier an meiner Hand halte, hat mir große Dienste erwiesen; er ist treu, klug und auch kühn gewesen, und ich habe ihm viel von meinem Erfolge zu verdanken. Darum soll ihm jetzt der verdiente Lohn werden. Er soll einen Namen erhalten, der an seine Thaten erinnert, und damit in die Reihen der erwachsenen Krieger treten. Er hat den ›schwarzen Biber‹ getötet und ihm den Skalp genommen; darum, und auch als Antwort darauf, daß der ›große Mund‹, uns den Namen Yumatöter so übelgenommen hat, erteile ich hiermit diesem meinem jungen, roten Bruder und Freunde den Namen Yuma-Tsill und bitte Winnetou und alle Krieger der Mimbrenjos, demselben ihre Beistimmung zu geben!«
Laute freudige Zurufe ertönten ringsum. Winnetou erhob sich, nahm die andere Hand des Knaben in die seinige und erklärte:
»Old Shatterhand hat mir aus dem Herzen gesprochen. Der junge, tapfere Krieger soll Yuma-Tsil heißen; er ist mein Bruder, und seine Freunde oder Feinde werden auch meine Freunde oder Feinde sein. Ich habe gesprochen.«
»So sind also die Wünsche der beiden Söhne unseres Freundes, des ›starken Büffels‹, erfüllt,« fuhr ich fort. »Sie wünschten, Namen zu haben, und sind deshalb mit Winnetou und mir gegangen; sie haben gute, vortreffliche Namen bekommen, welche in Zukunft bekannt und berühmt sein werden bei allen Freunden und Feinden. Der alte ›große Mund‹ aber mag jetzt mit seinen Ältesten fortgehen. Ob wir ihn und seine Leute fürchten, haben wir ihm dadurch gesagt, daß wir die beiden Söhne des Mimbrenjohäuptlings Yumatöter und Yumaskalp genannt haben. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Ich winkte; der Kreis öffnete sich, und die Yumas entfernten sich, jedenfalls wütend darüber, daß sie auf ihre Verabschiedung eine solche Antwort erhalten hatten.
Es versteht sich von selbst, daß dann die Namengebung durch ein allgemeines Rauchen des Kalumets und die sonstigen Gebräuche gefeiert und bekräftigt wurde. Die Knaben, welche nun zu den erwachsenen Kriegern zählten, waren unendlich glücklich und auch ganz besonders stolz darauf, daß sie ihre Namen Winnetou und mir zu verdanken hatten.
Ihr Vater fühlte sich ebenso stolz und glücklich wie sie, floß von Dankesworten über und bat um Verzeihung dafür, daß er zuweilen nicht nur grob, sondern sogar mißtrauisch gegen mich gewesen war. Um mir einen Beweis seiner Dankbarkeit zu geben, bat er mich, daß ich mich nicht mehr von der »listigen Schlange« und deren Yumakriegern begleiten lassen möge, denn er selbst wolle mir für meine weißen Kameraden genug gute Reit- und Packpferde zur Verfügung stellen und uns mit einer Kriegerschar bis über die Grenze und dann noch soweit führen, wie ich nur immer wünschen möge.
Ich ging natürlich sehr gern auf diesen Vorschlag ein und traf noch heute die Vorbereitungen zum Aufbruche, welcher am nächsten Morgen erfolgte.
Von der ›listigen Schlange‹ gab es einen herzlichen Abschied; seine Braut, die Jüdin, bekam ich dabei nicht zu sehen; sie blieb vor mir verborgen.
Nach einem langen und beschwerlichen Ritte erreichten wir die Grenze von Texas, und ich verteilte das Geld. Auch der Player bekam die Summe, welche ich ihm versprochen hatte. Damit war die traurige Vergangenheit für sie alle verschwunden, und sie konnten einer zwar einfachen, aber doch bessern und früchtereichen Zukunft entgegenblicken. – – –