Karl May
Satan und Ischariot I
Karl May

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VIERTES KAPITEL

Vergeltung

Winnetou kehrte sehr bald zurück; dennoch hatte er den Lagerplatz genau studiert und dabei beobachtet, daß zwei Kundschafter fortgeschickt worden waren.

»Die fangen wir natürlich?« fragte ich, er aber antwortete nicht, da er es für selbstverständlich hielt, die Leute festzunehmen.

Wir ritten also, um nicht gehört zu werden, erst noch ein Stück vom Walde fort und bogen dann nach der Südseite desselben ein, welcher entlang die Kundschafter kommen mußten. Nach ungefähr einer Viertelstunde lenkten wir dem Walde wieder zu und stiegen, als wir ihn erreichten, ab. Nachdem wir die Pferde angebunden hatten, gingen wir eine kleine Strecke zurück und legten uns an einer geeigneten Stelle nieder. Die zwei Roten mußten aller Voraussetzung nach hier vorüberkommen.

Wenn dies letztere wirklich der Fall war, so konnten sie uns nicht entgehen, denn wir mußten sie sehen, weil es mittlerweile heller geworden war. Der Mond war aufgegangen, doch sahen wir ihn nicht, da er noch hinter dem Walde steckte, welcher seinen Schatten eine Strecke weit über seine Grenze warf.

Wir mochten ungefähr zehn Minuten gewartet haben, als wir von rechts her Schritte hörten. Die Erwarteten kamen, und zwar hielten sie sich so nahe an dem Waldesrande, daß wir ihre Gestalten deutlich sahen, wenn wir ihre Gesichter auch nicht erkennen konnten. Sie gingen hintereinander. Die Figur des vordersten kam mir bekannt vor; sie war höher und breiter als die des andern, der hinter ihm ging.

»Ich den ersten und du den zweiten,« raunte ich Winnetou zu.

Jetzt waren sie da; sie gingen vorüber, langsam und indem sie vorsichtig vor sich hinspähten. Als sie vorbei waren, huschten wir hervor. Ich that zwei, drei schnelle Sprünge, kam an dem hinteren vorüber, den ich dabei niederschlug, um Winnetou leichteres Spiel zu machen, und faßte den vorderen mit beiden Händen um den Hals, stieß ihm das Knie in das Kreuz und riß ihn so hintenüber zu Boden. Als ich dann rasch auf seine Brust kniete und mein Gesicht dem seinigen näher brachte, erkannte ich ihn. Es war der »große Mund«, der Häuptling der Yumas in eigener Person. Er trug die rechte Hand in der Binde und wäre, selbst wenn ich ihn nicht so fest beim Halse gehabt hätte, nicht im stande gewesen, sich mit seinem linken Arme nachdrücklich gegen mich zu wehren.

Ein Blick auf Winnetou zeigte mir, daß diesem der Hieb, den ich dem andern Indianer gegeben hatte, sehr zu statten gekommen war. Er kniete ihm auf dem Rücken, hatte ihm den Lasso abgenommen und band ihm mit demselben die Hände hinten zusammen. Der Rote wehrte sich dagegen mit keiner Bewegung, da er sich in einem Zustande kurzer Betäubung befand. Dann kam Winnetou zu mir, wand dem Häuptlinge, während ich denselben festhielt, den Lasso von den Hüften und fesselte ihn ebenso, wie er seinen Gefährten gebunden hatte. Dabei sah er natürlich auch die Züge des Gefangenen und rief, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, überrascht aus:

»Uff! Hat mein weißer Bruder gesehen, wen wir da ergriffen haben?«

»Ja,« antwortete ich, indem ich nun den Hals des großen Mundes frei gab. »Wir haben einen guten Fang gemacht.«

Der Genannte bekam jetzt wieder Luft. Er that einen tiefen Atemzug und knirschte, indem er mich aus seinen Augen förmlich anblitzte:

»Old Shatterhand! Hieher kann dich nur der böse Geist geführt haben.«

»Nicht der böse Geist, sondern der Krieger, den du hier bei mir siehst,« antwortete ich, indem ich auf den Apatschen deutete. »Siehe ihn an! Kennst du ihn?«

Eben trat der Mond hinter der Kante des Waldes hervor und warf sein Licht in die Gruppe, welche wir bildeten, wobei er meinen roten Freund hell beleuchtete.

»Winnetou! Uff, uff! Der Häuptling der Apatschen!« stieß der Yuma hervor.

»Ja, Winnetou ist's,« fuhr ich fort. »Du wirst nun wohl einsehen, daß du nicht wieder loskommen kannst. Wer sich in der Gefangenschaft Winnetous befindet, erlangt nur dann die Freiheit, wenn dieser sie ihm freiwillig zurückgiebt.«

»Du irrst,« antwortete er in drohendem Tone. »Ich werde in wenigen Minuten wieder frei sein.«

»Wieso?«

»Meine Krieger werden mich befreien. Wir sind ihnen vorangegangen, und sie werden uns gleich nachfolgen. Ihr seid verloren. Wenn ihr uns aber sofort wieder losbindet, bin ich bereit, euch laufen zu lassen.«

»Deine Worte sind die dümmsten, welche du jemals gesprochen hast,« lachte ich.

»Ich sage die Wahrheit!« behauptete er.

»Wenn du zu unerfahrenen Männern sprächst, so könnte deine List vielleicht Erfolg haben; da du aber Winnetou und mich vor dir hast, so ist es eine reine Lächerlichkeit, uns auf eine so alberne Weise einschüchtern zu wollen. Haben deine Krieger Pferde oder nicht?«

»Sie haben welche; das weißt du ja auch. Um so schneller werden sie hier sein.«

»Sie haben Pferde, und ihr reitet ihnen nicht, sondern ihr lauft ihnen voran? Der ›große Mund‹ hält uns doch nicht etwa für Kinder! Daß ihr nicht reitet sondern geht, würde uns alles sagen, selbst wenn wir nichts wüßten. Wir wissen aber, daß die Yumas lagern und daß ihr beide gegangen seid, nach mir und den Mimbrenjos zu suchen. Ihr seid Kundschafter, und eure Krieger werden euch nicht nachfolgen, sondern ruhig liegen bleiben, um eure Rückkehr zu erwarten.«

»Du beleidigst mich. Wie kannst du einen Häuptling einen Kundschafter nennen!«

»Wenn er einer ist, warum dann nicht? Die Wiedererlangung meiner Person war dir von solchem Werte, daß du dich selbst aufgemacht hast, nach uns zu suchen.«

»Und ich sage nochmals, daß du dich irrst. Bindet uns los, wo nicht, so werden meine Krieger in wenigen Augenblicken hier sein und uns befreien. Dann kann ich sie nicht hindern, euch zu töten.«

»Wir fürchten euch nicht,« entgegnete Winnetou. »So wie ihr euch jetzt in unserer Gewalt befindet, werden wir auch alle eure Krieger ergreifen.«

»Sie werden sich wehren und euch vernichten,« drohte der große Mund.

»Deine Rede ist leer wie ein Pulverbeutel, in welchem sich kein Körnchen mehr befindet. Ich sage dir, ich, Winnetou, daß du selbst deinen Kriegern den Befehl geben wirst, sich nicht gegen uns zu wehren!«

»Nie!«

»Nie? Schon wenn der Tag graut, wirst du es thun. Ich weiß das so genau, daß ich das, was ich mit meinem Bruder Old Shatterhand jetzt noch zu sprechen habe, nicht heimlich zu ihm sage. Du magst es hören.«

Sich zu mir wendend, fuhr er fort:

»Wer soll mit den beiden Gefangenen zu unsern Freunden reiten, um sie zu holen? Einer von uns muß hier bleiben, um die Yumas zu beobachten und die Umgebung ihres Lagers noch genauer, als wir es vorhin konnten, zu erkundschaften.«

»Winnetou mag bestimmen,« antwortete ich.

»So bleibe ich, und du reitest. Bei eurer Rückkehr wirst du mich an dieser Stelle wiederfinden. Die Gefangenen werden sich auf mein Pferd setzen und sich auf demselben festbinden lassen. Jeden Versuch der Gegenwehr würden wir mit unsern Messern beantworten.«

Ich holte unsere Pferde herbei. Die beiden Yumas sahen ein, daß sie sich fügen mußten. Selbst der Gedanke, um Hilfe zu rufen, konnte ihnen nicht beikommen, da wir soweit entfernt von ihrem Lager waren, daß man selbst das lauteste Gebrüll dort nicht gehört hätte.

Der »große Mund« mußte Winnetous Pferd besteigen und wurde dort festgeschnürt. Der andere stieg hinter ihm auf und wurde mit ihm zusammengebunden. Dann wurden ihre Füße unter dem Bauche des Pferdes mit ihren eigenen Lassos in der Weise festgebunden, daß je ein rechter oder linker Fuß des Häuptlings mit dem linken oder rechten seines Untergebenen zusammengefesselt war. Auf diese Weise war dafür gesorgt, daß sie selbst beim unvorhergesehenen Eintritte des günstigsten Zufalles nicht loskommen konnten. Selbst in dem Falle, daß es ihnen gelungen wäre, ihre Oberkörper und Arme frei zu machen, hätten sie noch unten mit den Füßen in der Weise fest zusammengehangen, daß sie nicht aus dem Sattel und vom Pferde herabkonnten. Ich nahm das Pferd beim Zügel, bestieg das meinige und ritt davon, in östlicher Richtung natürlich, da sich nach dieser die Mimbrenjos befanden.

Da ich keine Zeit verlieren wollte, ritt ich Galopp und konnte das sehr wohl, weil der Mond den Weg, den ich einzuschlagen hatte, beleuchtete. Die Gefangenen verhielten sich lange schweigsam; dann aber konnte der Häuptling die wichtige Frage, welche ihm auf den Lippen lag, nicht länger zurückhalten:

»Wer sind die Männer, zu denen Old Shatterhand reitet?«

»Meine Freunde,« antwortete ich kurz.

»Um das zu wissen, brauchte ich nicht zu fragen. Ich wollte erfahren, ob sie Bleichgesichter oder rote Männer sind.«

»Rote.«

»Von welchem Stamme?«

»Mimbrenjos.«

»Uff!« rief er erschrocken aus. »Wurden sie von Winnetou angeführt?«

»Nein. Er befindet sich nur als Gast bei ihnen.«

»Wer ist denn der Häuptling?«

Es wäre mir sonst gewiß nicht beigekommen, ihm Auskunft zu erteilen; in diesem Falle aber hatte ich Grund, es zu thun, denn ich wußte ja, daß er mit dem »starken Büffel« verfeindet war und der Name desselben ihm also die Hoffnung, welche er vielleicht noch hegte, nehmen mußte. Darum antwortete ich bereitwillig:

»Nalgu Mokaschi.«

»Uff! Der ›starke Büffel‹! Muß es doch gerade dieser sein!«

»Du erschrickst? Weißt du nicht, daß ein Krieger vor keiner Gefahr und vor keinem Menschen erschrecken darf?«

»Ich erschrecke nicht!« versicherte er in stolzem Tone. »Der ›starke Büffel‹ ist mein ärgster Feind. Wie viele Krieger hat er bei sich?«

»Weit mehr als du.«

»Ich weiß, daß er meinen Tod verlangen wird. Wirst du mich beschützen?«

»Ich? Deine Frage ist die eines Unsinnigen. Du wolltest mich am Marterpfahle sterben lassen, und nun fragst du mich, ob ich dich beschützen werde! Hätte ich mich nicht selbst befreit, du hättest mich auf keinen Fall losgelassen.«

»Nein. Aber ich habe dich gut behandelt. Du hast weder gehungert noch gedürstet, während du dich in meiner Gewalt befandest. Mußt du mir dafür nicht dankbar sein?«

»Wer kann sagen, daß Old Shatterhand jemals undankbar gewesen sei!«

»So rechne auch ich auf deine Dankbarkeit.«

»Das sollst du auch. Ich bin bereit, ganz dasselbe für dich zu thun, was du für mich gethan hast.«

»Was meinst du mit diesen Worten?«

»Der ›starke Büffel‹ wird deinen Tod fordern; er wird dich nach den Wigwams der Mimbrenjos schaffen, wo du den Tod am Marterpfahle erleiden wirst.«

»Du wirst das zugeben?«

»Ja. Aber ich werde dafür sorgen, daß du unterwegs gut behandelt wirst und weder Hunger noch Durst zu leiden hast.«

Er fühlte die Ironie, welche in diesen Worten lag, und schwieg. Ich wußte aber, daß dies Schweigen nicht lange dauern werde. Die Indianer Mexikos sind in Beziehung auf ihren Heldenmut nicht mit denen der Vereinigten Staaten zu vergleichen. Ein Apatsche, Comantsche oder gar Dakota hätte es als eine Entehrung seiner selbst gehalten, jetzt überhaupt ein Gespräch mit mir zu beginnen. Er hätte sich schweigend und scheinbar in sein Schicksal ergeben, dabei aber begierig nach jeder Gelegenheit, loszukommen, ausgeschaut. Hätte sich keine solche gefunden, so wäre er in den martervollsten Tod gegangen, ohne ein Wort hören zu lassen oder auch nur eine Miene zu zeigen, aus welcher man seinen glühenden Wunsch nach Freiheit hätte erraten können. So stoisch aber sind die südlichen Indianer nicht; ja, sie geben sich den Anschein oder glauben vielleicht auch, es zu sein, aber wenn der Ernst an sie herantritt, ist es mit der geheuchelten Gleichgültigkeit und Empfindungslosigkeit zu Ende. Der Yumahäuptling wußte, daß er bei dem »starken Büffel« keine Gnade finden werde; er sann auf Rettung und sagte sich schließlich das, was ich voraussah, nämlich daß er sie nur bei mir oder durch mich finden werde. Die Folge davon war, daß er nach einigen Minuten wieder begann:

»Ich habe vernommen, daß Old Shatterhand ein Freund der roten Männer ist?«

»Ich bin ein Freund der Roten und der Weißen, aber ein Feind jedes bösen Menschen, mag die Farbe seines Gesichtes nun hell oder dunkel sein.«

»Hältst du mich für einen bösen Mann?«

»Ja.«

»Aber wenn ich besser würde?«

»Das ist unmöglich, denn du hast keine Zeit dazu. Wer am Marterpfahle gestorben ist, kann sich nicht mehr bessern.«

»So gieb mir Zeit!«

»Warum? Wozu? Mir ist es höchst gleichgültig, ob du dich besserst oder nicht. Wenn du Zeit fändest, dich zu ändern, so könnte es mir keinen Nutzen bringen.«

»So hat man mich falsch berichtet, und das, was ich über euch Christen gehört habe, ist nicht wahr.«

»Was hat man dir gesagt?«

»Daß ein Christ, ohne daß er einen Nutzen davon hat, alles thut und das größte Opfer bringt, wenn er dadurch aus einem bösen Manne einen guten machen kann.«

»Das ist freilich wahr; aber ich will dir aufrichtig gestehen, daß ich in diesem Falle ein schlechter Christ bin. Wenn ich etwas für einen Menschen thue, oder gar ein Opfer für ihn bringe, muß ich einen Nutzen davon haben. Indem ich dies sage und darüber nachdenke, fällt mir ein, daß ich doch vielleicht einen Grund finden könnte, mich deiner anzunehmen.«

»So sprich! Teile mir den Grund mit!«

»Ich bin bereit, das Schicksal, welches deiner wartet, möglichst zu erleichtern, werde vielleicht gar für deine Befreiung sprechen, aber ich fordere dafür von dir die Wahrheit.«

»Welche Wahrheit?«

»Ich werde dich nach Melton und nach Weller fragen, und von der Aufrichtigkeit deiner Antworten wird dein Schicksal abhängen.«

»So frage! Ich bin bereit, dir alles zu sagen.«

»Nicht jetzt, sondern später, denn wir werden gleich am Ziele angekommen sein.«

Es war so, wie ich sagte. Der Galopp der beiden windesschnellen Pferde hatte uns rasch vorwärts gebracht; wir näherten uns der Stelle, an welcher die Mimbrenjos lagerten; ich zügelte darum die Tiere und ritt im Schritte weiter. Bald tauchten mehrere Indianer vor und neben uns auf, welche ihre Gewehre auf uns anlegten und Halt geboten.

»Old Shatterhand!« rief ich ihnen zu. Da senkten sie ihre Waffen und ließen mich vorüber.

Die Mimbrenjos hatten kein Lagerfeuer angezündet und sich in den Schatten des Waldes zurückgezogen. Als sie meine Stimme und meinen Namen hörten, kamen mir, da die Sicherheitsposten stehen bleiben mußten, einige von ihnen entgegen, um mich zu führen, sonst hätte ich die Stelle, an welcher ihr Häuptling saß, nicht so leicht gefunden. Dieser glaubte, als er zwei Pferde erblickte, daß ich mit Winnetou zurückkäme; als ich aber vor ihm anhielt und aus dem

Sattel stieg, sah er zwei fremde Gestalten auf dem andern Pferde sitzen und fragte:

»Du kehrst ohne den Häuptling der Apatschen zurück? Wo ist er, und wer sind die beiden roten Männer, die du mit dir bringst? Warum steigen sie nicht auch ab?«

»Sie können nicht. Es ist hier im Schatten der Bäume dunkel, und so kannst du nicht sehen, daß sie auf das Pferd gebunden sind.«

»Gebunden? So sind es gefangene Yumahunde?«

»Ja.«

»Das ist gut! Sie werden die Freiheit niemals wiedersehen, und ich hoffe, daß der räudigste dieser Hunde, der ›große Mund‹, ebenso wie sie in unsere Hände gerät. Nehmt sie herab, und bindet sie an Bäume!«

Er wollte sich nach diesem Befehle von den Gefangenen ab- und mir wieder zuwenden; da forderte ich ihn auf:

»Du sprichst von dem Häuptlinge der Yuma. Willst du die Gefangenen nicht einmal genauer betrachten!«

Er trat an Winnetous Pferd heran und blickte an der Gestalt des vorderen Reiters empor. Da fuhr er einen Schritt zurück und rief aus:

»Uff! Sehe ich richtig, oder täuscht mich der Schatten, in welchem ich stehe? Ist das der Räudige, mit dessen Namen ich soeben meine Zunge verunreinigt habe?«

»Er ist's.«

»Der ›große Mund‹! Ihr tapfern Krieger der Mimbrenjos, vernehmt es, daß der ›große Mund‹ gefangen ist!«

»Der ›große Mund‹, der ›große Mund‹!« ging es durch die Reihen der Roten. Sie drängten sich herbei, um ihn zu sehen, und ihre Lippen überflossen von Schimpfworten und Verwünschungen, welche man zwar hören, aber nicht wiedergeben kann. Sie hätten ihn trotz seiner Bande vom Pferde gerissen, wenn ich sie nicht daran gehindert hätte.

»Zurück!« gebot ich ihnen. »Der Gefangene gehört mir; nicht ihr seid es, sondern ich bin es, der ihn ergriffen hat.«

»Aber du gehörst zu uns,« warf der »starke Büffel« ein; »daher gehört er uns ebenso wie dir. Doch soll ihm jetzt nichts geschehen. Nehmt ihn herab und bindet ihn und den andern an einen Baum. Bewacht ihn aber gut, damit er alle Hoffnung, uns etwa zu entkommen, fahren läßt!«

»Nein,« entgegnete ich. »Nehmt beide herab, aber bindet jeden auf ein anderes Pferd! Wir müssen augenblicklich zu den Yumas aufbrechen, welche dort oben hinter der Ecke des Waldes lagern. Winnetou befindet sich in ihrer Nähe, um sie zu beobachten.«

»Ueberfallen wir sie?«

»Wahrscheinlich nicht. Ich denke, daß ein Kampf gar nicht nötig ist. Ich hatte nicht Zeit, mit Winnetou darüber zu beraten, aber er ist ganz meiner Meinung, daß wir die Feinde gefangen nehmen werden, ohne daß euer oder unser Blut vergossen wird.«

»Desto besser, denn dann werden sie alle am Marterpfahle sterben, und es wird in den Wigwams der Mimbrenjos darüber große Freude und Wonne sein. Habt ihr es gehört, ihr Krieger, Old Shatterhand befiehlt, aufzubrechen!«

Zwei Minuten später saßen sie alle im Sattel, und es ging im Galoppe den Weg zurück, den ich soeben gekommen war. Ich hatte mich bei dem Aufbruche nicht um die Gefangenen gekümmert, konnte aber vollständig überzeugt sein, daß sie sich in mehr als aufmerksamer Obhut befanden. Mit dem »starken Büffel« voranreitend, erzählte ich ihm, was geschehen war.

»Mein Bruder Old Shatterhand hat sich in großer Gefahr befunden,« sagte er, als ich zu Ende war. »Die Krieger der Mimbrenjos wissen, daß der Puma selbst in der Nacht keinen Reiter angreift; sie hättest du nicht täuschen können. Den Hunden der Yumas aber bist du entgangen, weil ihre Schädel mit verfaultem Grase gefüllt sind. Du meinst also, gerade wie Winnetou, daß wir nicht zu kämpfen brauchen?«

»Ja.«

»Die Yumas sind feige Kröten; aber ihre Zahl ist nicht gering, und so bin ich überzeugt, daß sie sich verteidigen werden.«

»Wer sich verteidigt, ist angegriffen worden; wir werden sie aber gar nicht angreifen.«

»Und dennoch werden sie sich ergeben?«

»Ja.«

»Dann sind sie wert, angespieen und verlacht zu werden. Ich bin alt geworden und habe manches erlebt, was andere nie erfahren; noch nie aber habe ich gesehen, daß jemand sich ergeben hat, ohne dazu gezwungen worden zu sein.«

»Du wirst alles weitere später hören, wenn wir mit Winnetou sprechen. Jetzt wollen wir eilen, zu ihm zu kommen!«

Es ging wie im Fluge am Walde hin, bis wir den Ort erreichten, an welchem ich mich von Winnetou getrennt hatte. Da stand er, auf uns wartend, aufrecht im Mondenscheine, damit wir ihn sogleich sehen möchten. Wir stiegen ab. Die Pferde wurden längs des Waldrandes an die Bäume gebunden; die Gefangenen kamen unter sorgfältige Bewachung, die Roten lagerten sich in den Schatten, und bald herrschte eine solche Stille, daß es wohl nur einem ausgezeichneten Späher der Yumas gelungen wäre, uns hier ausfindig zu machen.

Winnetou, der »starke Büffel« und ich saßen zusammen, um das, was zu geschehen hatte, zu besprechen. Keiner der andern wagte es, uns so nahe zu kommen, daß er unsere Worte, welche übrigens nicht überlaut gesprochen wurden, hören konnte. Der Indianer ist ein freier Krieger und keineswegs in der Weise wie ein Soldat diszipliniert, zeigt aber gegen seinen Anführer eine Achtung, welche nicht geringer ist als diejenige, welche ein General von seinen Untergebenen zu fordern hat.

Der »starke Büffel« war viel älter als Winnetou oder ich, und doch viel ungeduldiger. Wir hatten kaum bei einander Platz genommen, so begann er auch schon:

»Die Hunde der Yumas sind uns in den Weg gelaufen; wir werden uns beeilen, sie nicht in ihre Höhlen und Löcher zurückkehren zu lassen.«

Winnetou antwortete ihm nicht sogleich, und auch ich schwieg. Der Alte war blutgierig, mir aber wäre der Tod so vieler Menschen entsetzlich gewesen. Ich war entschlossen, auf ein gütliches Uebereinkommen zwischen den Mimbrenjos und Yumas hinzuarbeiten, durfte dies aber dem Häuptlinge der ersteren jetzt noch nicht merken lassen; er wäre sonst wohl kopfscheu geworden und im stande gewesen, auf eigene Faust und nach seinem persönlichen Ermessen zu handeln. Wie ich Winnetou kannte, konnte ich überzeugt sein, daß er mit mir wenigstens darin übereinstimmen würde, daß ein Blutvergießen möglichst zu vermeiden sei. Da wir mit der Antwort zögerten, fuhr der »starke Büffel« fort:

»Haben meine beiden Brüder meine Worte gehört? Warum reden sie nicht? Old Shatterhand will nicht kämpfen. Was soll sonst geschehen? Kann etwa Winnetou mir das sagen?«

»Ich kann es sagen,« antwortete der Apatsche.

»Mein Ohr ist offen und begierig, es zu hören.«

»Die Yumas werden sich ergeben, ohne mit uns gekämpft zu haben.«

»Das glaube ich nicht. Wenn sie es thäten, wären sie größere Feiglinge, als ich trotz meiner Verachtung für sie anzunehmen vermag.«

»Kann nicht auch ein tapferer Mann gezwungen sein, sich ohne Kampf zu ergeben? Ein guter Krieger ist nicht nur tapfer, sondern auch vorsichtig, bedachtsam und klug. Wer kann von Winnetou sagen, daß er jemals mutlos oder gar feig gewesen sei? Und doch ist es vorgekommen, daß er sich seinen Gegnern ohne Kampf ergeben hat. Hätte er gekämpft, so wäre er getötet worden, ohne seinen Feinden schaden zu können. Er gab sich aber gefangen, entfloh später und konnte sich an ihnen rächen und sie bestrafen. Was war nun besser, die blinde Tapferkeit oder die weitsehende Bedachtsamkeit?«

»Die letztere,« war der Mimbrenjo gezwungen, einzugestehen.

»Und hat Old Shatterhand nicht ebenso gehandelt? Als die Yumas ihn ergriffen, hätte er sich solange wehren können, bis er unter ihren Streichen sterben mußte. Er that es aber nicht, sondern ließ sich festnehmen und binden. Sieh ihn an! Ist er nicht frei? Hat er nicht jetzt ihren Häuptling gefangen genommen? Ist er etwa feig gewesen? Nein, sondern nur klug! So werden auch die Yumas handeln, wenn sie einsehen, daß Widerstand vergeblich sein würde.«

»Ist Winnetou im stande, ihnen diese Einsicht zu geben?«

»Ja, wenn die Krieger der Mimbrenjos ihm dabei helfen.«

»So mag er sagen, welche Gedanken er hegt.«

»Wir schließen die Yumas ein. Während Old Shatterhand fort war, habe ich den Platz des Lagers genau betrachtet. Die Yumas sind sehr müde; sie schlafen am Waldesrande im Grase; sie verlassen sich auf ihre beiden Kundschafter und haben keine Wachen ausgestellt. Nur bei den Pferden, welche in der Nähe grasen, befinden sich zwei Krieger, welche aufzupassen haben, daß die Tiere sich nicht zu weit entfernen. Ist es da nicht leicht, die Schläfer einzuschließen?«

»Von der Seite des Waldes ist es leicht, nicht aber von der andern. Im Walde ist es dunkel; da kann man sich heranschleichen und festsetzen, ohne bemerkt zu werden. Draußen aber ist es hell; weil der Mond scheint. Die Leute, welche bei den Pferden sind, würden uns kommen sehen und Lärm machen.«

»Ja, der Mond scheint hell, aber die Augen des ›starken Büffels‹ sehen dennoch das Richtige nicht. Die Yumas können unsere Annäherung unmöglich bemerken. Wir lassen die Pferde zurück und schleichen uns zu Fuße so nahe heran, wie es möglich ist. Wenn wir draußen im Grase auf dem Bauche kriechen, wird uns niemand sehen.«

»Uff! Wenn Winnetou es so meint, so kann ich ihm nicht unrecht geben. Aber was soll geschehen, wenn wir sie umzingelt haben?«

»Wir fordern sie auf, die Waffen zu strecken.«

»Und mein Bruder glaubt wirklich, daß sie das thun werden?«

Der »starke Büffel« sprach diese Frage mit einem nicht ganz unterdrückten Lachen aus. Winnetou antwortete in seiner ruhigen Weise:

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon.«

»So will ich dem Häuptlinge der Apatschen sagen, was geschehen wird. Die Yumas werden zwar sehen, daß sie eingeschlossen sind, aber sie werden sich durchschlagen, was ihnen leicht werden wird.«

»So mag der ›starke Büffel‹ sagen, inwiefern es ihnen so leicht sein wird! Können sie nach dem Walde hin entkommen?«

»Nein, denn dort stecken unsere Krieger im Schutze der Bäume und jeder von ihnen kann zehn Feinde töten, ehe der elfte an ihn kommt. Sie müssen also nach der andern Seite.«

»Aber dort befinden sich doch auch Krieger von uns!«

»Das thut nichts, denn diese werden zwar einige Yumas töten, die andern aber entkommen lassen müssen. Selbst der beste Läufer kann keinen Reiter ereilen.«

»Uff! So denkt der ›starke Büffel‹, daß die Yumas reiten werden?«

»Ja. Sobald sie sich eingeschlossen sehen, werden sie sich auf ihre Pferde werfen und nach der Ebene hinaus durchbrechen.«

»Aber sie werden keine Pferde haben,« behauptete Winnetou mit der ihm so eigenen Sicherheit.

Da begann es im Kopfe des starken Büffels zu dämmern. Er ließ den Atem wie einen leisen, verwunderten Pfiff über seine Lippen gehen und fragte:

»Will Winnetou ihnen die Pferde wegnehmen lassen? Das wird schwer, sehr schwer sein!«

»Es ist so leicht, daß ein Kind es auszuführen vermag. Haben die Yumas keine Pferde, so können sie nicht durchbrechen. Sie werden es zwar versuchen, jeden Versuch aber mit Blut bezahlen.«

»So machen sie keinen Versuch mehr, ergeben sich aber auch nicht. Was gedenkt Winnetou dann zu thun?«

»Sie aufzufordern, ihre Waffen abzuliefern. Der ›große Mund‹ wird seinen Leuten befehlen, sich zu ergeben.«

»Willst du ihn dadurch, daß du ihm sonst mit dem Tode drohst, zu dem Befehle zwingen?«

»Das können wir versuchen.«

»Es wird nicht gelingen, obgleich er ein Feigling ist. Er weiß, daß wir ihn nicht so schnell töten, sondern mit uns nehmen werden, um ihn am Pfahle sterben zu lassen. Er wird sich einbilden, uns unterwegs entkommen zu können.«

»Mein roter Bruder giebt ihm so kurze Gedanken, wie er wirklich nicht besitzt. Wird der ›große Mund‹ wirklich alle seine Krieger von uns erschießen lassen, um allein von uns fortgeschleppt zu werden? Oder wird es ihm nicht lieber sein, wenn sich auch seine Männer als Gefangene bei ihm befinden? Sind sie bei ihm, so ist die Flucht viel leichter, als wenn er allein ist.«

»Aber auch unsere Aufmerksamkeit wird größer sein. Wäre die Flucht ihm nicht nur möglich, sondern gewiß, so würde ich glauben, daß er sich den Schein aneignete, auf unsere Forderung einzugehen.«

»So ist es ja nur nötig, ihm diese Sicherheit zu geben und ich kenne einen, dem das sehr leicht fallen würde; Old Shatterhand ist es.«

»Old Shatterhand, mein weißer Bruder? Wie sollte er es anfangen, dem ›großen Munde‹ weiß zu machen, daß er entkommen wird, wenn er sich uns mit allen seinen Kriegern ergiebt, aber sterben muß, wenn er sich dessen weigert?«

»Frage ihn selbst! Während ich jetzt mir dir redete, hat er darüber nachgedacht. Er weiß, daß der ›große Mund‹ ihn betrügen will, und daß es darum sehr leicht sein wird, ihn selbst zu betrügen.«

Es war wirklich bewundernswert, wie Winnetou meine Gedanken zu erraten vermochte. Ich hatte ihm nicht die geringste Andeutung gemacht, auch wußte er nicht, was ich unterwegs mit dem ›großen Munde‹ geredet hatte, und doch sprach er mit einer Sicherheit von meinen Gedanken, als ob sie die seinigen seien.

»Hat Winnetou recht gesprochen?« fragte mich der Mimbrenjo.

»Ja,« antwortete ich. »Der ›große Mund‹ wird seine Leute auffordern, sich uns zu ergeben.«

»Und du, du willst ihn dazu vermögen?«

»Ja, durch Gegenlist, da er die Absicht haben wird, mich zu überlisten. Ich verspreche ihm, ihn und seine Leute heimlich freizulassen.«

»Er wird es nicht glauben.«

»Er wird es glauben, denn er weiß, daß Old Shatterhand noch nie ein Versprechen gebrochen hat.«

»Aber dieses müßtest du ja brechen und zum Lügner werden! Oder wolltest du dein Versprechen halten und ihn und seine Leute gegen unsern Willen fliehen lassen?«

»Ja.«

»Und dazu soll ich dir die Hand reichen! Bist du aus meinem Freunde und Bruder mein Feind geworden?«

»Nein, denn ich werde die Yumas und ihren Häuptling nicht entkommen lassen.«

»Und soeben hast du das Gegenteil behauptet! Ich habe nicht gewußt, daß dein Mund zwei Zungen hat. Welcher soll ich glauben?«

»Ich habe nur eine Zunge, und dieser mußt du glauben.«

»Aber sie spricht bald schwarz und bald weiß!«

»Sie spricht die Wahrheit, weiter nichts. Was ich dir sage, ist wahr, und was ich dem ›großen Munde‹ sagen werde, ist auch wahr. Die Hauptsache aber ist die, daß er sich selbst überlisten wird. Ich werde ihm die Freiheit versprechen und die Erfüllung dieses Versprechens an eine Bedingung knüpfen. Er wird zum Scheine auf die Bedingung eingehen, sie aber nicht erfüllen; dann bin ich meines Wortes entbunden und brauche ihn nicht freizulassen.«

»Weißt du denn genau, daß er sein Versprechen nicht erfüllen wird?«

»Ja.«

»Welches Versprechen ist es?«

»Mir der Wahrheit gemäß zu sagen, wie und warum der Ueberfall der Hazienda del Arroyo zustande gekommen ist. Er wird versprechen, es mir zu sagen, aber sein Wort nicht halten. Den Schein wird er sich freilich geben. Er wird mir eine Erzählung liefern, welche aber nicht die Wahrheit enthält. Uebrigens ist es nicht nötig, schon jetzt davon zu sprechen. Es genügt, daß ich weiß, was geschehen wird und was ich zu thun und zu sagen habe. Mein Freund Winnetou hat mit seinem scharfen Blicke meine Gedanken gesehen, und ebenso habe ich gesehen, daß sein Plan der allein richtige ist. Laßt uns keine Zeit verlieren, ihn auszuführen! Mitternacht ist schon vorüber, und noch bevor der Morgen graut, müssen die Yumas umzingelt sein.«

»Ihr habt gesprochen, und es ist euer Wille, also mag es geschehen. Winnetou und Old Shatterhand wissen stets, was sie thun, und so will ich nicht dagegen sein, obgleich ich es nicht ganz zu begreifen vermag. Howgh!«

Howgh ist das Wort der Bekräftigung, der Besiegelung. Ist es ausgesprochen worden, so gilt die Angelegenheit als entschieden und ist nicht mehr zu ändern.

Nun wurden die nötigen Vorkehrungen getroffen. Fünf Mann sollten hier auf dieser Stelle mit den beiden Gefangenen zurückbleiben und ein scharfes Auge auf dieselben haben. Sie erhielten den Befehl, sie gegebenenfalls lieber zu töten, als sie entkommen zu lassen. Sechzig Rote sollten sich hinter dem Lagerplatz der Yumas in die Büsche schleichen und keinen von ihnen hindurchlassen. Die übrigen mußten hinaus in die Ebene, um von dieser Seite her den Ring um das Lager so eng wie möglich zu schließen. Im Walde sollte Winnetou befehligen, während draußen auf der Prairie der ›starke Büffel‹ das Kommando zu führen hatte. Alles übrige blieb mir überlassen. Das schien nicht viel zu sein und konnte doch höchst wichtig werden, da der geringste Zufall, den ich nicht zu beherrschen vermochte, alles verderben konnte.

Zunächst galt es, die sechzig unbemerkt hinter das Lager zu bringen. Das war Winnetous Sache, der sich an ihre Spitze setzte, um sie zu führen. Bevor er aber ging, forderte er mich auf:

»Mein Bruder mag mich begleiten, da ich am liebsten mit ihm zu den Pferden gehe. Nähme ich einen andern mit, so müßte ich die Wächter töten.«

Das war mir lieb, und so schloß ich mich ihm an. Es war eigentlich ein Spaß, die zwei bei den Pferden befindlichen Yumas zu überwältigen, mußte aber doch mit großer Vorsicht gethan werden, weil das geringste verdächtige Geräusch uns verraten und die Ausführung unsers ganzen Planes zunichte machen konnte.

Wir schritten am Rande des Waldes hin, bis wir uns nahe an der Ecke desselben befanden; da wurde zwischen die Bäume eingedrungen und nun mit der allergrößten Bedachtsamkeit weitergegangen. Wir befanden uns jetzt an der westlichen Seite des Waldes und kamen bald an die Stelle, wo draußen am Rande die Yumas lagen. Indem wir nun noch langsamer als bisher vordrangen, ließ Winnetou in kurzen Zwischenräumen je einen Mann zurück. Als der letzte von ihnen seinen Platz erhalten hatte, bildeten die sechzig Mimbrenjos einen Bogen im Walde um das vor demselben liegende Lager, und jeder einzelne nistete sich an seinem Platze so ein, daß er möglichst wenig zu sehen war und doch das Lager scharf beobachten konnte. Ihre Verhaltungsmaßregeln hatten sie vorher erhalten.

Nun stand ich mit Winnetou allein unter den ersten Bäumen und konnte das Lager übersehen. Auf dieser Seite gab es keinen Mondschein; es war darum dunkler als da, wo wir gelagert hatten, doch konnten wir fast jeden einzelnen Roten liegen sehen.

Einige hatten sich gerade da, wo sie von den Pferden gestiegen waren, vor Müdigkeit hingeworfen, die andern aber, und das waren die meisten, lagen in einer Reihe nebeneinander und hatten ihre Waffen zwischen sich liegen. Rechts davon weideten die Pferde, und zwei Rote gingen da auf und ab, hin und her, um diejenigen Tiere, welche sich zu weit entfernten, zurückzutreiben. Winnetou deutete auf diese beiden und flüsterte mir zu:

»Wir lassen ihnen das Leben. Mein Bruder mag den einen nehmen und ich den andern.«

Er wollte forthuschen; ich hielt ihn aber zurück und fragte:

»Hat Winnetou vielleicht bemerkt, daß diese Posten von Stunde zu Stunde abgelöst werden?«

»Ja.«

»So käme die Entdeckung zu früh für uns. Wir müssen warten.«

»Old Shatterhand hat recht. Erst wenn der Ring ganz um das Lager geschlossen ist, können wir der Entdeckung mit Gleichgültigkeit entgegensehen. Mein weißer Bruder mag also zurückkehren und dem ›starken Büffel‹ sagen, daß er sich nun mit seinen Leuten aufmachen solle.«

»Gut! Ich werde ihn begleiten. Da ich weiß, wo die beiden Enden deiner Linie sich befinden, kann ich ihm sagen, wo er die seinige anzuschließen hat.«

»Dann kommst du wieder zu mir?«

»Ja. Wo finde ich dich?«

»Hier an dieser Stelle werde ich dich erwarten.«

Auf dem Rückwege kam ich an allen unsern Leuten vorüber und überzeugte mich, daß keiner der sechzig eine fehlerhafte Stellung eingenommen hatte. Hier konnten die Yumas unmöglich durchkommen.

Als ich bei dem ›starken Büffel‹ ankam, gab er den Befehl zum Aufbruche. Ein jeder nahm sein Pferd beim Zügel, und es wurde eine Einzelreihe gebildet, an deren Spitze ich mich mit dem Häuptlinge befand. Auch jetzt ging es zunächst bis in die Nähe der Waldesecke; dann ritten wir einen weiten Halbkreis, dessen Durchmesser der Waldesrand und dessen Mittelpunkt das Lager der Yumas bildete. Von Zeit zu Zeit ließen wir einen Mann mit seinem Pferde stehen, bis auch dem letzten seine Stelle angewiesen war.

Der Halbkreis war so weit vom Lager entfernt, daß von dort aus keine Kugel herüberreichen konnte. Jeder hatte nun zunächst sein Pferd anzupflocken und dann zweihundert Schritte weit vorwärts zu kriechen, um da liegen zu bleiben und den Tag zu erwarten. Die Pferde waren mitgenommen worden, um den Feind, falls ihm ja der Durchbruch an einer Stelle gelingen sollte, sofort verfolgen zu können. Die Pferde der sechzig, welche im Walde steckten, waren zurückgeblieben, wo sie von den fünf, welche die Gefangenen zu beobachten hatten, mit beaufsichtigt wurden. Das war nicht schwer, da sie alle angebunden waren.

Durch das Avancieren auf zweihundert Schritte wurde die Kette geschlossen. Die beiden Endglieder des äußern Halbkreises kamen mit denjenigen der im Walde steckenden Linie in Berührung. Als diese Verbindung hergestellt war, befanden sich die Pferde der Yuma noch innerhalb unsers Kreises, und es galt, sie aus demselben hinauszuschaffen, wo sie uns dann sicher waren.

Ich legte mich also nieder und kroch auf den Händen und Fußspitzen nach der Stelle, an welcher Winnetou auf mich warten wollte. Er stand da, sah mich kommen und wartete gar nicht ab, bis ich ihn erreichte, sondern kam mir, natürlich auch kriechend, entgegen.

»Die Wächter sind vor wenigen Minuten abgelöst worden,« meldete er mir. »Sie legten sich sogleich nieder und werden schnell eingeschlafen sein.«

»So können wir beginnen. Wo schaffen wir die beiden hin?«

»In den Wald zu unsern Leuten, welche sie bewachen werden.«

»Das möchte ich nicht. Die Leute haben ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Lager zu richten. Wenn sie dazu noch Gefangene bewachen sollen, ist es leicht möglich, daß eine Unvorsichtigkeit begangen wird. Ueberlaß die Männer mir! Ich werde sie zu ihrem Häuptlinge bringen, wo sie uns nichts schaden können, während es ihnen, wenn wir sie hier unsern Leuten übergeben, leicht ist, uns durch einen Hilferuf zu verraten.«

»Mein weißer Bruder hat recht. Er mag den Mann nehmen, welcher dort mit dem Schimmel kommt.«

Einer der beiden Wächter brachte einen Schimmel, welcher sich zu weit entfernt hatte, langsam zurückgetrieben. Seiner jetzigen Richtung, seinem Gange war anzusehen, wohin er sich ungefähr wenden würde; ich kroch, mich tief an die Erde schmiegend, dorthin und blieb zwischen zwei Pferden liegen. Der Mann kam, blieb in der Nähe stehen und sah, mir den Rücken zukehrend, gen Himmel. Welche Betrachtungen er anstellte, ob astronomische oder poetische, das weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß sie ihm verhängnisvoll wurden.

Ich kroch unter dem einen Pferde durch bis hart hinter ihn hin, stand auf, nahm ihn mit der Linken bei der Gurgel und gab ihm mit der festgeballten Rechten einen Hieb an die Schläfe; er brach zusammen und ich zog ihn fort.

Dabei sah ich mich nach dem andern Wächter um; er war nicht mehr zu sehen, sondern von Winnetou auch schon beim Schopfe genommen worden. Der Apatsche kam gleich auch gekrochen, gerade so wie ich seinen Yuma nach sich herziehend. Wir schleppten sie zu den beiden uns nächststehenden Mimbrenjoposten, um sie diesen zu übergeben und ihnen ernstlich anzudeuten, die beiden sofort zu erstechen, falls sie laut werden wollten. Dann galt es, die Pferde zu entfernen. Das war nicht schwer, denn sie hatten, soweit sie sich bisher bewegen durften, das Gras schon abgefressen und sehnten sich nach neuem Futter. Wir trieben, uns immer möglichst am Boden bewegend, zunächst zwei Pferde fort, über unsere Postenlinie hinaus, wo sie tüchtig zu grasen begannen; als die andern das sahen, folgten erst einige und dann alle freiwillig nach. Und als sie bemerkten, daß sie nicht zurückgetrieben wurden, entfernten sie sich noch weiter, sogar so weit, daß sie endlich die Linie unserer angepflockten Pferde erreichten, wo sie halten blieben, da unsere Tiere, die nicht fortkonnten, eine Reihe von Sammelpunkten für sie bildeten.

Der Streich war also geglückt. Der Apatsche kehrte auf seinen Posten zurück. Jetzt, da die Pferde fort und die Feinde rundum eingeschlossen waren, konnten sie immerhin erwachen; die Unserigen waren bereit, den Kampf, falls derselbe notwendig werden sollte, zu beginnen. An mir lag es nun zunächst, die beiden überrumpelten Wächter fortzuschaffen. Sie waren betäubt gewesen, jetzt aber aufgewacht. Ihre Hüter waren ganz gute Krieger, hatten es aber nicht fertig gebracht, sie zu binden, sondern sie saßen mit gezückten Messern bei ihnen, um sie zum Stilleliegen und Schweigen zu zwingen. Es bedurfte meiner Hilfe, den beiden die Arme auf den Rücken zu befestigen. Das Material war vorhanden, da auch sie ihre Lassos bei sich hatten. Ich verbot ihnen bei Todesstrafe jeden Laut und zwang sie, mir zu folgen. Sie thaten das ohne Widerstreben, da sie sich nicht wehren konnten und Angst vor dem Revolver hatten, welchen sie in meinen Händen sahen.

Wir bewegten uns natürlich auf der Halbkreislinie, welche von unsern Posten gebildet wurde, und gelangten dann nach der südlichen Seite des Waldes, wo ihr Häuptling sich mit seinem Mitgefangenen unter der scharfen Obhut der fünf Mimbrenjos befand. Er mochte sich nicht wenig wundern und innerlich ergrimmt darüber sein, als er sah, daß ich wieder zwei seiner Leute gefesselt brachte, sagte aber kein Wort. Es kam mir nun darauf an, ihm zu zeigen, daß wir seine Yumas umzingelt hatten und es diesen nicht gelingen konnte, durch den Kreis der Mimbrenjos zu entkommen. Ich mußte ihm also unsere Aufstellung zeigen; darum band ich ihm, damit er gehen könne, die Füße los, dafür aber die Arme trotz seiner verwundeten Hand doppelt fest, befestigte außerdem einen Riemen, dessen anderes Ende ich an meinen Gürtel knüpfte, um seinen Leib und sagte dann zu ihm:

»Der ›große Mund‹ wird sich nach seinem Lager sehnen; er mag mit mir kommen; ich will es ihm zeigen.«

Er warf einen Blick beinahe freudiger Ueberraschung auf mich, da er im ersten Momente denken mochte, daß seine vorige Appellation an mein christliches Mitgefühl jetzt Früchte zu tragen beginne; dann aber dachte er sogleich an die Vorbereitung, welche ich soeben getroffen hatte, mich seiner Person zu versichern, und er antwortete, indem seine Brauen sich wieder finster zusammenzogen:

»Wohin willst du mich schleppen? – Doch zu unserm Lager nicht!«

»Ganz nicht, doch in die Nähe desselben, ich hoffe aber, dir noch im Laufe des Vormittags deinen Wunsch erfüllen zu können.«

»Warum ist es jetzt unmöglich?«

»Weil deine Krieger mich mit ihren Waffen empfangen würden und ich noch keine Lust habe, mir einige Löcher in den Körper schießen oder stechen zu lassen.«

»Sie werden dir nichts thun, sondern dir dafür, daß du mich ihnen wiederbringst, sogar dankbar sein.«

»Es sollte mich freuen, diese Dankbarkeit zu sehen, und eben darum auch will ich lieber bis zum Vormittage warten. Jetzt ist es trotz des Mondscheins nicht hell genug, meine Seele an dem Entzücken der Deinigen laben zu können.«

»Deine Seele ist noch finsterer als die Nacht, wenn kein Mond sie erhellt. Deine Worte haben einen freundlichen Klang, aber sie bergen eine Tücke in sich, die ich nicht zu durchdringen vermag!«

»Man soll jemand, der einem eine Ueberraschung bereiten will, nicht deshalb gleich der Heimtücke zeihen. Komm nur mit, so wirst du sehen, was ich dir zeigen will!«

Er konnte in seiner gezwungenen Lage nichts thun, als mir folgen, wäre aber wohl auch ohne Zwang, nur von der Neugierde getrieben, mitgegangen. Ich führte ihn bis dahin, wo der erste Posten am Rande des Waldes stand und von da aus in den letzeren hinein, ihn bedrohend:

»Merke jetzt, was ich dir sage! Du hast von jetzt an, bis ich dir das Reden erlaube, kein Wort zu sprechen; ja selbst beim ersten lauten Hauche wird dir sofort die Klinge meines Messers in das Herz fahren. Hier, fühle einmal die Spitze derselben!«

Ich zog mein Messer und stieß ihm die Spitze durch das Gewand, welches seine Brust bedeckte, so daß seine Haut ein kleines Loch bekam. Er erschrak aufs heftigste und bat, infolge meiner soeben ausgesprochenen Drohung allerdings mit sehr unterdrückter Stimme:

»Stich nicht, stich nicht! Ich werde still sein; du sollst keinen Laut von mir hören!«

»Das hoffe ich um deinetwillen, denn ich würde meine Worte unbedingt und augenblicklich wahr machen. Geh jetzt weiter; halte dich eng an mich, und paß genau auf das auf, was du siehst und was du hörst!«

Er hatte den ersten Posten am Boden liegen sehen. Wir gingen zum zweiten. Da es hier unter den Bäumen dunkel war und der Mann mich nicht erkennen, also möglicherweise für einen Feind halten konnte, rief ich ihn einige Schritte vorher in gedämpftem Tone an:

»Ich bin's, Old Shatterhand, hat sich vielleicht etwas ereignet?«

»Nein; sie schlafen noch.«

So ging ich mit dem »großen Mund« von einem Posten zum andern, mit jedem einige Worte wechselnd, sodaß der Häuptling genau erfuhr, in welcher Weise seine Leute hier umzingelt waren. Am andern Ende der im Walde liegenden Wächterlinie traf ich auf den Apatschenhäuptling. Als er den Yuma sah, erriet er sofort meine Absicht und sagte:

»Du kommst, dich zu überzeugen, daß keiner der Hunde hier durchzuschlüpfen vermag? Sie sind noch schlimmer als Hunde, denn Hunde sind wenigstens wachsam, die Yumas aber schlafen. Es ist eine Schande, der Anführer so untauglicher Leute zu sein. Ihr Erwachen wird ihnen Entsetzen bringen, denn wenn sie sich nicht ergeben, werden wir sie vom ersten bis zum letzten niederschießen.«

Ich merkte dem »großen Mund« an, daß er etwas sagen wollte; vielleicht war es eine Bitte, welche sich jetzt schon auf seine Zunge drängte; aber er erinnerte sich meiner Drohung und schwieg. Wir gingen weiter, aus dem Walde ins Freie hinaus, von Posten zu Posten, bis wir auch diesen größern Halbkreis abgeschritten hatten. Dabei trafen wir auf den »starken Büffel«, welcher hier zu befehligen hatte. Er war weniger scharfsinnig als Winnetou und erriet nicht, zu welchem Zwecke ich den »großen Mund« mitgenommen hatte. Darum fragte er mich in beinahe unfreundlichem Tone:

»Warum schleppt Old Shatterhand diesen Hund mit sich! Willst du ihm Gelegenheit zum Entkommen geben? Laß ihn doch bei seinen fünf Wächtern! Du hast nur zwei Augen und zwei Hände, sie aber besitzen deren zehn.«

»Meine beiden Augen sind ebensogut wie ihre zehn, und du weißt, daß meine Arme mehr vollbracht haben, als die ihrigen. Was zürnest du! Hast du nicht vorhin selbst gesagt, daß Old Shatterhand stets weiß, was er thut!«

»Aber wenn du kommst, um dich zu überzeugen, daß wir wachsam sind, ist es von keinem Nutzen, den Gefangenen mitzubringen!«

»Ich komme eben nicht um dieser Ueberzeugung willen, sondern aus einem andern Grunde. Meinst du, daß es wohl einem einzigen dieser Yumas gelingen mag, durch unsere Umschlingung zu entkommen?«

»Was fragst du noch, da du doch ebensogut wie ich wissen mußt, daß es unmöglich ist; wenn sie es versuchen, so schießen wir.«

»Das wollte ich wissen. Sollte dich ja ein Gefühl des Mitleides ankommen, so unterdrücke es! Je mehr eure Kugeln sofort unter ihnen aufräumen, desto weniger haben wir dann später nachzuholen.«

»Mitleid!« lachte er höhnisch-zornig auf. »Hat der Hund hier Mitleid mit meinen Kindern gehabt? Wärest du nicht erschienen und ihr Retter geworden, so hätte er sie getötet. Wie kann es dir da beikommen, von Mitleid zu mir zu sprechen. Solange ein Mimbrenjo lebt, wird ein Yuma keine Gnade bei ihm finden!«

Er wendete sich ab, spie aber dem »großen Munde« dabei ins Gesicht und entfernte sich. Nach dem Eindrucke, den das Verhalten des grimmigen Häuptlings auf den Yuma gemacht haben mußte, hielt ich es für an der Zeit, letzterem das Sprechen zu erlauben. Darum sagte ich:

»Du darfst jetzt wieder reden. Du weißt nun, daß der Krieger der Mimbrenjos mehr sind, als du Yumas bei dir hattest. Ich habe dir gezeigt, welche Stellung sie einnehmen; alle ihre Gewehre sind schußbereit. Viele deiner Leute werden gleich bei der ersten Salve sterben, und die übrigen können sich nur dadurch retten, daß sie sich ergeben.«

»Sie werden sich durchschlagen!«

»Durch die Maschen dieses engen Netzes! Das glaubst du selbst nicht!«

»Ich bin überzeugt davon. Wenn sie plötzlich und unerwartet auf ihren Pferden im Galoppe hervor- und hindurchbrechen, werden wohl einige von euern Kugeln getroffen werden, die andern aber entkommen.«

»Auf ihren Pferden? Wo haben sie denn diese?«

»Dort,« antwortete er, nach der Gegend, in welcher man beim Scheine des Mondes die Tiere weiden sah, hinüberdeutend.

»Dort, ja dort! Wo aber ist euer Lager? Hast du denn nicht schon unterwegs bemerkt, daß eure Pferde mit List entfernt worden sind?«

»Uff!« rief er betroffen aus, da er diese Bemerkung wirklich jetzt erst machte.

»Sieh hinüber, und überzeuge dich, daß unsere Krieger zwischen deinen Yumas und deren Pferden liegen! Mit deiner Hoffnung, daß die Eingeschlossenen doch unsere Reihen sprengen werden, ist es also nichts.«

Er blickte schweigend zu Boden nieder, und ich hütete mich wohl, den Eindruck meiner Worte durch eine nicht notwendige Bemerkung abzuschwächen. Es verging eine Weile; dann hob er den Kopf und sagte:

»Wenn die Mimbrenjos wirklich sofort schießen, so ist das Mord, denn meine Krieger sind ganz ahnungslos.«

»Hast du nicht die Dörfer der Mimbrenjos überfallen und zerstört? Sie wußten nichts von eurem Raubzuge; sie waren ahnungslos. Hast du nicht die beiden Söhne und die Tochter des ›starken Büffels‹ töten wollen? Sie wußten nicht, daß du dich in dem Thale befandest; sie waren ahnungslos. Hast du nicht die Hazienda del Arroyo überfallen, ausgeraubt, eingeäschert und dabei mehrere Bewohner derselben ermorden lassen? Sie wußten nichts von eurer Annäherung; sie waren ahnungslos. Die Ahnungslosigkeit ist bei dir kein Grund zur Schonung, folglich nun bei mir auch nicht.«

Er schwieg. Was hätte er mir auch entgegnen können! Ich aber fügte noch hinzu, um ihn ganz niederzudrücken:

»Was ihr verübtet, das war, vom Raube ganz abgesehen, der reine Mord; aber wenn wir euch töten, so ist es nicht Mord, nicht einmal Totschlag, sondern eine ganz gerechte Belohnung oder Bestrafung eurer Missethaten. Kannst du vielleicht ein einziges Wort dagegen vorbringen?«

Er sagte nichts, und so schwieg auch ich. Der Mond stand jetzt im Zenith und übergoß auch das Lager der Yumas mit silbernem Lichte. Man sah von da aus, wo wir standen, ihre Gestalten liegen. Der Häuptling blickte mit ängstlich forschenden Augen bald nach rechts, nach links, bald geradeaus. Er strengte alle sein Gedanken an, einen Ausweg zu finden; er forschte nach, ob es eine Rettung für ihn und seine Leute gebe; ich unterbrach sein Grübeln nicht, denn dieses mußte ihn dahinführen, wohin ich ihn haben wollte. Da sah ich, daß er plötzlich den Kopf höher streckte.

»Uff! Jetzt, jetzt!« rief er aus.

Ich folgte mit meinem Blicke der Richtung seiner Augen, welche nach dem Lager ging, und sah, daß dort ein Yuma aufgestanden war und sich umschaute. Er sah die Pferde nicht da, wo sie sich eigentlich befinden sollten, sondern weit entfernt. Er sah auch unsere Pferde. Obgleich dieselben einzeln standen und einen Halbkreis bildeten, dessen Regelmäßigkeit auffallen mußte, schien er doch keinen Verdacht zu schöpfen, sondern sie für Yumapferde zu halten, denn er weckte niemand, sondern verließ das Lager nach der Richtung hin, wo sich der größte Trupp der Pferde jetzt befand. Er glaubte die beiden Wächter dort und wollte sie auf ihre Achtlosigkeit aufmerksam machen.

»Er ist verloren!« stieß der Häuptling hervor. »Sogleich wird ein Schuß fallen und ihn niederstrecken!«

»Nein,« entgegnete ich. »Er wird nicht getötet werden.«

»So meinst du, daß man ihn hindurchlassen wird?«

»Man wird ihn gefangen nehmen, wie ich dich gefangen genommen habe.«

»So wird er sich wehren und Lärm machen!«

»Dazu kommt er nicht. Du weißt doch, wo Winnetou steht. Der Yuma muß nahe an ihm vorbei, wenn er seine jetzige Richtung beibehält, und der Apatsche wird ihn so von hinten nehmen, wie ich es mit dir gemacht habe. Paß auf!«

Es geschah so, wie ich gesagt hatte. Der Yuma ging unbefangen weiter; dann sahen wir hinter ihm den Apatschen blitzschnell auftauchen; ebenso schnell waren beide verschwunden; sie lagen im Grase, wo wir sie nicht sehen konnten. Kurze Zeit später aber erhob sich Winnetou wieder; er hatte den Yuma gepackt und verschwand mit ihm unter den Bäumen.

»Er hat ihn, er hat ihn überwältigt!« zürnte der große Mund.

»Und zwar ganz im stillen, ohne daß deine Leute etwas bemerkt haben! Du siehst, wie vortrefflich auf unserer Seite gearbeitet wird. Und doch wäre es mir lieber, wenn der Mann Zeit gefunden hätte, Lärm zu machen.«

»Warum?«

»Weil wir uns dann jetzt schon in der Entscheidung befänden. Wozu das lange Harren und Warten! Ich werde das Zeichen zum Angriffe geben.«

Ich hielt zwei Finger an den Mund, als ob ich pfeifen wolle; da bat er rasch, so rasch er nur konnte:

»Halt! Thue es noch nicht! Warte noch ein wenig!«

»Wozu? Das Verhängnis ist doch nicht von euch abzuwenden.«

»Vielleicht doch! Du hast ja selbst davon gesprochen, als wir uns unterwegs zu den Mimbrenjos befanden.«

»Ich entsinne mich nicht.«

Ich stellte mich natürlich nur so, um seine Besorgnis zu steigern. Er fuhr dringend fort:

»Du kannst es doch nicht vergessen haben; du mußt dich darauf besinnen!«

»Was hätte ich denn gesagt?«

»Du verlangtest die Wahrheit von mir!«

»Die Wahrheit? Ah so! Aber wenn ich sie finde, so kann das niemand retten, weil du das nicht thun wirst, was ich von dir verlange.«

»Was ist das?«

»Deine Krieger auffordern, die Waffen zu strecken und sicb zu ergeben.«

Er blickte beschämt zu Boden. Ich steigerte mit Absicht seine Verlegenheit, indem ich hinzufügte:

»Es wurde dir ins Gesicht behauptet, daß du schon beim Morgengrauen dazu bereit sein würdest; du aber verlachtest uns. Jetzt graut der Tag noch nicht, und schon hat dein Sinn sich geändert. Darum kann ich an diese Aenderung unmöglich glauben; ich traue dir nicht; ich vermute eine List dahinter und werde das Zeichen geben; der Kampf mag beginnen.«

»Warte noch, warte noch, und höre, was ich dir zu sagen habe!«

»So sprich, aber schnell! Ich habe keine Lust, die Zeit unnütz zu verschwenden.«

»Ist die Möglichkeit vorhanden, daß meine Krieger geschont werden und, wenn sie sich gefangen geben, die Freiheit wieder erlangen?«

»Ich sage nur: vielleicht.«

»Und daß auch ich mein Leben behalte und wieder freigelassen werde?«

»Das ist weit schwieriger. Deine Leute sind weniger schuldig, als du. Deine Missethaten sind so groß und schwer, daß es eines ganz außergewöhnlichen Grundes bedürfte, deine Rettung zu ermöglichen. Der ›starke Büffel‹ aber wird dich auf keinen Fall und aus keiner Ursache begnadigen. An ihn dürftest du dich nicht wenden.«

»Aber an dich und Winnetou?«

»Immer nur vielleicht.«

»Vielleicht und nur vielleicht! Mach es kurz, und spanne mich nicht auf die Folter! Wenn du das Wort ›vielleicht‹ aussprichst, mußt du doch eine Möglichkeit im Sinne haben!«

»Das ist freilich wahr. Ich will ganz genau und der strengen Wahrheit gemäß wissen, wie du mit den beiden Bleichgesichtern, welche Melton und Weller heißen, bekannt geworden bist, warum du auf ihre Veranlassung hin die Hazienda del Arroyo überfallen hast, und welche Absichten sie in Beziehung auf die weißen Auswanderer verfolgen. Bist du bereit, mir dies alles zu sagen?«

»Bist du bereit, mich dafür zu retten?«

»Wenn es mir möglich ist, ja.«

»So werde ich dir sagen, was du wissen willst.«

»Gut! Ich werde dir also jetzt meine Fragen vorlegen, welche du mir streng der Wahrheit gemäß zu beantworten hast, und dann – – –«

»Jetzt nicht, jetzt nicht!« fiel er mir eifrig in die Rede. »Jetzt ist keine Zeit dazu. Erwacht wieder einer meiner Krieger, so steht nicht zu erwarten, daß er wieder so ruhig ergriffen wird. Wenn er Lärm macht, erwachen die andern, und dann schießen eure Krieger.«

»Das ist wohl richtig!«

»Und wenn die Mimbrenjos einmal Blut gesehen haben, dann wird es dir viel schwerer als jetzt, ja vielleicht unmöglich werden, uns zu retten!«

»Davon bin auch ich überzeugt,« meinte ich sehr kaltblütig.

»Darum eile! Verhüte vor allen Dingen das Blutvergießen! Dann werde ich dir alles sagen. Ich schwöre es dir!«

»Deinem Schwur kann ich nur dann Glauben schenken, wenn du ihn mit der Friedenspfeife besiegelst.«

»Dazu haben wir ja keine Zeit! Die Friedenspfeife können wir später rauchen.«

»Sehr wohl; aber ich kann dir nur schwer trauen. Bedenke, wie schwer mir deine Rettung fallen wird, da der ›starke Büffel‹ sich mit allen Kräften dagegen stemmen wird!«

»Er braucht ja nichts davon zu wissen, indem du uns des Nachts die Banden zerschneidest.«

»Hm! Vielleicht würde ich es thun, weil ich als Christ den Tod selbst meines grimmigsten Feindes am Marterpfahle verabscheue.«

»So eile nur, eile, und laß mich nicht länger warten! Mach keine Worte mehr!«

Er hatte es jetzt eiliger, als ich vorher für möglich gehalten hatte; ich aber fuhr gelassen fort:

»Ich muß vorher bestimmt wissen, woran ich bin. Du verlangst, daß ich dich und deine Leute heimlich loslasse und dafür versprichst du mir, daß sie sich jetzt freiwillig gefangen geben?«

»Ja doch, ja!«

»Und klärst mich über die beiden genannten Bleichgesichter der Wahrheit gemäß so vollständig auf, daß ich alle ihre Absichten durchschauen kann?«

»Ja, das beschwöre ich! Doch verlange ich, daß auch du Wort hältst! Wirst du uns wirklich freilassen?«

»Ja.«

»So sind wir einig, und du magst nun schleunigst dafür sorgen, daß die Ermordung meiner Krieger verhütet wird!«

»Ich thue es, und zwar nur in der Voraussetzung, daß du keine Hintergedanken hegst.«

»Meine Seele ist frei von jedem falschen Gedanken; nur rette uns!«

»So komm zu dem ›starken Büffel‹ und Winnetou, damit du ihnen sagst, daß du deinen Kriegern den Befehl, sich zu ergeben, senden willst.«

»Senden? Du meinst, daß ich einen Boten an sie schicken soll? Dem werden sie nicht gehorchen, ich muß selbst zu ihnen!«

»Selbst? Das kann ich nicht erlauben.«

»Du mußt, wenn es dein Ernst ist, mich und meine Leute zu retten!«

»Ich muß? Merke dir, daß Old Shatterhand niemals müssen muß! Ich habe versprochen, dich heimlich zu befreien, indem ich deine Fesseln aufmache; aber ich habe nicht gesagt, daß ich dich jetzt zu deinen Kriegern gehen lassen werde.«

»Dann kannst du uns nicht retten, denn meine Krieger gehorchen nur mir selbst und werden die Worte eines Boten nicht achten.«

»Dafür kann ich nicht, sondern du bist selbst schuld daran, wenn sie für einen Befehl, den du ihnen sendest, keinen Gehorsam haben. Du hättest ihnen mehr Achtung und Ehrerbietung für dich, mehr Folgsamkeit einprägen sollen!«

Er hatte bei der Forderung, ihn selbst gehen zu lassen, jedenfalls einen Hintergedanken gehabt. Jetzt sah er ein, daß ich unerbittlich war, und lenkte ein:

»Wie kannst du verlangen, daß sie einem Mimbrenjo-Boten gehorchen!«

»Bist du etwa der einzige Gefangene, den wir gemacht haben? Der Krieger, welcher mit dir ergriffen wurde, ist mit mir und dir geritten und hat die Schar unserer Leute gesehen. Die beiden Pferdewächter, welche ich brachte, sind mit mir die ganze Außenseite unserer Posten abgeschritten und wissen also fast ebensogut wie du, daß deine Yumas verloren sind, wenn sie uns zwingen, zu unsern Gewehren zu greifen. Wenn ich diese drei Männer in euer Lager sende und sie deinen Befehl überbringen, so muß man ihnen unbedingt Glauben schenken. Wo nicht, so habe ich das meinige gethan, und trage keine Schuld daran, daß so viele Yumas in den Tod gehen werden.«

»Gut; ich bin einverstanden; führe mich zu diesen dreien!«

»Warte vorher einen Augenblick!«

Ich ging mit ihm zu dem nächsten Posten und gab ihm den Auftrag, den »starken Büffel« und Winnetou vorsichtig aufzusuchen, um ihnen mitzuteilen, daß der »große Mund« bereit sei, seine Krieger aufzufordern, sich zu ergeben. Dann kehrte ich mit dem Häuptlinge nach der andern Seite des Waldes, wo die Gefangenen sich befanden, zurück.

Er mußte ihnen seinen Befehl natürlich in meiner Gegenwart geben, und indem er ihnen seine Gründe auseinandersetzte, gab ich genau acht, daß kein hinterlistiges Wort mit unterlief. Leise, sodaß die Mimbrenjowächter es nicht hören konnten, teilte er ihnen mein Versprechen mit, ihm und allen Gefangenen, nur um jetzt Blutvergießen zu verhüten, heimlich die Freiheit zu geben, und fügte mit Betonung hinzu:

»Und ihr alle wißt, daß Old Shatterhand stets hält, was er verspricht. Er hat noch nie sein Wort gebrochen!«

»Ich halte es und werde jede Silbe erfüllen, die ich ausgesprochen habe.« bekräftigte ich.

Dann wurden den dreien ihre Füße freigegeben, sodaß sie laufen konnten, während ihre Arme noch gefesselt blieben, zwei von den fünf Wächtern gingen mit, als ich nun mit den drei Yumas und ihrem Häuptlinge nach dem von unsern Posten eingeschlossenen Platze zurückkehrte.

Dort sah ich Winnetou mit dem ›starken Büffel« stehen und ging zu ihnen hin. Letzterem war es schwer geworden, der Botschaft, welche ich ihm gesendet hatte, Glauben zu schenken. Er kam mir hastig einige Schritte entgegen und fragte:

»Ist es wahr, daß der Hund von Yuma uns seine Leute mit ihren Waffen ausliefern will?«

»Ja.«

»Dann hast du entweder ein Wunder gethan, oder es steckt ein Betrug dahinter, den du nicht zu entdecken und zu durchschauen vermagst! Old Shatterhand mag sich in acht nehmen!«

Da meinte Winnetou in seinem ruhigen und darum so überzeugenden Tone:

»Es giebt keinen Yuma, dem es gelingen könnte, Old Shatterhand zu betrügen. Der ›große Mund‹ bleibt natürlich bei uns. Die drei andern Yumas sollen den Befehl wohl nach dem Lager bringen?«

»Ja,« antwortete ich.

»Wissen sie genau, was sie dort zu sagen haben?

»Nur zweierlei habe ich ihnen noch zu befehlen.«

»Was denn noch?« fragte der ›große Mund‹ schnell, indem er eine Bedingung vermutete, auf welche er möglichenfalls nicht eingehen konnte.

»Etwas sehr Einfaches, was wir bisher nur deshalb nicht erwähnt haben, weil es ganz selbstverständlich ist. Du hattest es vorhin so eilig und wirst mir also beistimmen, wenn ich fordere, daß deine Krieger nicht zögern, dir zu gehorchen?«

»Welche Frist gewährst du ihnen?«

»Eigentlich gar keine. Der Gehorsam muß ein augenblicklicher und unbedingter sein. Wenn er eine Frist fordert, ist er kein Gehorsam mehr. Es ist nicht meine Absicht, hier so lange liegen zu bleiben, bis es deinen Leuten gefällt, mir mitzuteilen, daß sie gesonnen sind, dir Gehorsam zu leisten. Ich gebe ihnen eine halbe Stunde Zeit.«

»Gieb ihnen eine ganze!«

»Nein, eine halbe. Das ist schon viel zu lange für das, was ich Gehorsam nenne. Sobald die halbe Stunde vergangen ist und die Yumas haben noch nicht gesprochen, werden wir ohne weiteres Säumen unsere Gewehre sprechen lassen. Von dieser Bedingung gehe ich nicht ab und denke, daß du einverstanden sein wirst.«

»Ich muß. Aber du sprachst von zweierlei. Was ist das zweite?«

»Es betrifft die Auslieferung der Waffen. Ich werde, sobald deine Männer erklärt haben, daß sie dir gehorchen wollen, in der Nähe ihres Lagers von unsern Leuten einen Kreis bilden lassen. Dahin hat jeder Yuma einzeln, verstehe wohl, einzeln zu kommen und alle seine Waffen abzugeben, um dann sofort wieder zurückzukehren. Das ist eine Maßregel, welche du nicht unbillig finden wirst.«

»Ich gehe auf dieselbe ein.«

»Nun wohl! Ich erkläre dir aber, daß ich jeden Yuma, bei dem wir dann irgend eine Waffe oder etwas, was als Waffe gebraucht werden kann, finden, als Verräter erklären und niederschießen lassen werde!«

»Das ist hart, sehr hart! Wie steht es aber mit den Pferden und den sonstigen Gegenständen, welche meine Leute besitzen?«

»Die Pferde gehören natürlich uns und sind unsere rechtmäßige Beute. Geben wir später einen von euch frei, so steht es nur in unserm Ermessen, ihm sein Pferd zu schenken oder nicht. Die Munition, Pulver, Blei, Kugelformen oder gar Patronen gehören zu den Waffen und sind mit diesen abzuliefern. Alles andere, was ihr besitzt, werden wir genau untersuchen. Ich denke nicht, daß wir uns an eurem Eigentume bereichern wollen; was aber aus dem Ueberfalle der Hazienda del Arroyo stammt, werden wir an uns nehmen und dem Haziendero, welcher der rechtmäßige Eigentümer ist, zurückgeben. Hast du noch eine Frage?«

»Nein.«

»So mögen die drei Boten gehen; du aber setzest dich hier nieder und wirst nicht eher aufstehen, als bis dir einer von uns dreien, Winnetou, der ›starke Büffel‹ oder ich, die Erlaubnis dazu erteilt!«

Die Yumas entfernten sich, um ihre weniger schwierige als unangenehme Mission auszuführen. Der »große Mund« hockte auf die Erde nieder, und auf einen Wink von mir nahmen die zwei Wächter zu beiden Seiten Platz, um ihn nicht aus ihren Augen zu lassen.

Ich sah nach der Uhr, denn es war meine Absicht, nach Verlauf der halben Stunde, falls wir noch keinen Bescheid erhalten haben sollten, erst einige Schreckschüsse abgeben und dann scharf schießen zu lassen.

Die Boten erreichten, wie wir sahen, das Lager und weckten die Schläfer. Es entstand zunächst ein kurzes Durcheinander; dann gruppierten sich die Yumas in einem engen Kreis um unsere Abgesandten, worauf nach einer kleinen Weile ein wütendes Geschrei oder vielmehr Geheul erscholl. Die Boten hatten ihren Auftrag ausgerichtet; er hatte die Wirkung, welche zunächst zu erwarten gewesen war, nämlich eine ungeheure Aufregung, welche den einzigen bedenklichen Moment für uns bildete. Ging sie vorüber, ohne daß die Yumas sich zu unbesonnenen Feindseligkeiten hinreißen ließen, so war uns der Erfolg gesichert.

Ich war mit Winnetou und dem Häuptling der Mimbrenjos eine kleine Strecke von dem »großen Munde« weggegangen, damit dieser nicht hören könne, was zwischen uns gesprochen wurde. Als sich der wütende Lärm im feindlichen Lager erhob, sagte der »starke Büffel«:

»Jetzt werden sie auf uns eindringen. Man hört es ihrem Geschrei an. Aber wir werden sie empfangen.«

»Das ist nur für den Augenblick. Wenn sie erfahren, daß sie vollständig umzingelt sind, werden sie besonnener werden,« antwortete ich.

»Das glaube ich schwer. Old Shatterhand muß alles bedenken; er darf nichts vergessen.«

»Was könnte ich denn vergessen haben?«

»Daß die Yumas sich bisher sicher fühlten. Sie schliefen in dem Gedanken ein, daß sie uns mit Tagesanbruch überfallen und vernichten würden. Jetzt, da sie erwachen und noch schlaftrunken sind, erfahren sie das Gegenteil, daß sie umzingelt sind und sich ergeben sollen. Da ist es fast gewiß, daß sie in der Aufregung die Unbesonnenheit begehen, zu den Waffen zu greifen.«

»Sie werden schnell zur Besinnung kommen, denn ich habe ihnen eine Botschaft gesandt, welche sie schnell beruhigen und mit Hoffnung erfüllen wird.«

»Sie haben keine Hoffnung; sie müssen alle sterben. Hast du ihnen vielleicht Hoffnung auf Freiheit gemacht?«

»Ja.«

»Ihnen allen und auch ihrem Häuptlinge?«

»Diesem ganz besonders.«

»Bist du toll! Meine Zustimmung bekommst du nie dazu!«

»Die brauche ich nicht.«

»Wieso? Hast du etwa allein zu befehlen? Hat Winnetou und habe ich nicht auch etwas zu sagen?«

Er war wieder einmal zornig, was bei ihm öfters geschah. Ich antwortete ihm in aller Gemütlichkeit:

»Ja, auch ihr habt mit zu bestimmen; aber ich habe versprochen, diesmal nicht auf euch zu horchen. Ja, ich habe noch viel, viel mehr versprochen.«

»Noch mehr! Was?«

»Den ›großen Mund‹ und alle seine Leute heimlich zu befreien, indem ich ihre Fesseln durchschneide.«

»Das, das hast du versprochen, das?!« fuhr er mich wütend an. »Wie konntest du wagen, dies zu tun! Wie konntest du ohne unsere Zustimmung – – –«

Er kam nicht weiter, denn Winnetou ergriff ihn so fest beim Arme, daß er vor Schmerz die Rede vergaß, und ermahnte ihn:

»Warum schreit mein roter Bruder wie ein altes Weib, welchem die Zähne schmerzen! Soll der ›große Mund‹ hören, was wir sprechen? Hat er jemals vernommen, daß Old Shatterhand ohne Ueberlegung handelt? Wenn er ein gutes Versprechen gegeben hat, so wird er es halten; ist es aber ein schlechtes, so hat er es gegeben, weil er weiß, daß er es nicht zu halten braucht.«

»Aber Old Shatterhand pflegt jedes Versprechen zu halten!«

»Wenn die Bedingungen erfüllt werden, unter denen er es gegeben hat.«

»So! Bedingungen!« brummte der noch immer zornige Häuptling. Und dann fuhr er mich bissig an: »Behalte deine Bedingungen für dich; ich mag sie nicht wissen!«

Damit wendete er sich von uns ab und warf sich in ziemlicher Entfernung von uns ins Gras nieder. Ueber Winnetous Züge glitt ein Lächeln, doch sagte er nichts. Ich glaubte ihm eine Mitteilung schuldig zu sein, und bemerkte:

»Ich habe das Versprechen gegeben, weil ich ganz genau wußte – – –«

»Pshaw!« unterbrach er mich. »Was Old Shatterhand thut, ist gut; er hat nicht nötig, sich bei mir zu entschuldigen. Ich weiß, daß er den Yuma betrügen wird, weil dieser ihn betrügen will. Der ›starke Büffel‹ ist ein sehr tapferer Häuptling, aber seinem Auge fehlt die Schärfe, und seine Gedanken reichen nur soweit, wie er den Tomahawk werfen kann. Sein Zorn ist schnell groß und schnell wieder klein. Sein Herz ist gut; er wird Old Shatterhand um Verzeihung bitten.«

Wenn Winnetou sprach, so mußte jeder Zorn weichen und jedes etwaige Gekränktsein sich beschwichtigen. Er beobachtete das Lager, in welchem sich die Aufregung jetzt gelegt hatte. Die Yumas standen in ruhiger Verhandlung beisammen und wendeten sich bald nach dieser, bald nach jener Seite, um unsere Aufstellung zu betrachten. Noch war die halbe Stunde nicht vergangen, so kehrte einer der drei Boten zurück und meldete:

»Die drei ältesten Yumakrieger wünschen ›Old Shatterhand, Winnetou und den ›starken Büffel‹ zu sprechen. Dürfen sie kommen?«

»Ja, aber unbewaffnet.«

»Und werden sie, auch wenn ihr nicht einig werdet und sie lieber kämpfen wollen, nach dem Lager zurückkehren dürfen, ohne daß ihnen etwas geschieht?«

»Sie sind Abgesandte; sie können gehen, woher sie gekommen sind.«

Der Mann lief nach dem Lager, um diesen Bescheid zu überbringen, und bald darauf sahen wir die drei Angemeldeten kommen. Sie hatten ihre Decken und sogar die Oberkleider abgelegt, damit wir sehen sollten, daß sie nicht etwa eine Waffe versteckt bei sich trugen. Der »starke Büffel« hatte, als er sah, um was es sich handelte, sich uns wieder zugesellt.

Die drei gingen an ihrem Häuptlinge vorüber, ohne einen Blick auf ihn zu werfen, was aber keineswegs ein Zeichen der Verachtung war. Sie kamen jetzt als Bevollmächtigte ihrer Kameraden, weshalb es in diesem Augenblicke keinen Häuptling für sie gab. Bei uns dreien stehen bleibend und sich leicht verneigend, grüßten sie uns, dann wendete sich der eine, welcher wahrscheinlich der älteste von ihnen war, mit den höflichen Worten an mich:

»Der ›große Mund‹, der Häuptling der Yumas, ist gefangen und hat uns befohlen, uns auch zu ergeben. Old Shatterhand hat die Bedingungen mit ihm besprochen. Soweit das Gedächtnis unserer ältesten Krieger reicht, ist ein solcher Fall nicht vorgekommen; darum sind die Yumas zusammengetreten, um ohne ihren Häuptling einen Entschluß zu fassen, und haben uns zu dir gesandt, um uns zu überzeugen, ob der Befehl, den wir erhalten haben, nicht abzuändern ist. Wirst du mit deinen beiden berühmten roten Brüdern uns die Erlaubnis geben, die Krieger zu sehen, welche uns eingeschlossen haben und wie sie aufgestellt worden und bewaffnet sind?«

»Kein Anführer zeigt dem Feinde das, was ihr zu sehen begehrt,« antwortete ich ihnen. »Auch ist soeben die Zeit vorüber, welche ich euch gegönnt habe; ich hätte also das Recht, das Feuer beginnen zu lassen; aber ich achte eure Gründe und weiß, daß es für euch keine Rettung giebt; darum sei euch euer Wunsch erfüllt. Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, wird euch unter seine Obhut nehmen, damit euch unterwegs kein Leid geschieht. Geht also jetzt, und kehrt spätestens nach einer Viertelstunde wieder, um mir euern Entschluß mitzuteilen. Das ist die letzte Frist, welche ich euch geben kann.«

Sie wendeten sich ab, um Winnetou zu folgen, der ihren Führer machte. Sie gingen unsere ganze Linie, auch die im Walde liegende, ab. Als sie zurückkehrten, kämpfte das Tagesgrauen schon mit dem Mondeslichte. Auch in den Gesichtern der drei Männer gab es einen Kampf, dessen äußere Spuren sie nicht sehen lassen wollten und doch nicht ganz zu unterdrücken vermochten; es war der Kampf zwischen Stolz und Notwendigkeit. Sie blieben mit gesenkten Blicken eine Weile schweigend vor uns stehen; dann sagte derjenige, welcher schon vorher gesprochen hatte:

»Old Shatterhand befand sich in unserer Gewalt, und es ist ihm doch nichts geschehen. Wird er jetzt nun seine ganze Strenge gegen uns walten lassen?«

»Daß mir nichts geschehen ist, das habe ich nicht euch zu verdanken. Was nützen die Worte? Die Krieger der Yumas mögen mir sagen, was sie beschlossen haben!«

»Wir haben erkannt, daß der ›große Mund‹, unser Häuptling, nicht anders beschließen konnte, als er beschlossen hat. Die Läufe eurer Gewehre sind von allen Seiten auf uns gerichtet, und unsere Pferde, deren Schnelligkeit uns hätte forttragen können, habt ihr uns genommen, während wir schliefen.«

»So ergebt ihr euch?«

»Wir sind deine Gefangenen.«

Er betonte das Wort »deine« besonders, jedenfalls nicht ohne Grund. Er wollte mein Gefangener sein, weil ich versprochen hatte, sie freizulassen.

»So geht jetzt, um die Waffen abzuliefern, doch einzeln. Es darf keiner eher kommen, als bis der vorherige abgefertigt ist.«

»Dürfen wir nicht wenigstens unsere Heiligtümer behalten?«

»Der große Geist hat gewollt, daß ihr in unsere Hände fallt; sein Angesicht ist von euch gewendet, und so sind eure Heiligtümer wertlos geworden; aber ich will euch nicht so tief erniedrigen und kränken. Ihr sollt eure Kalumets und Medizinen behalten dürfen.«

Das war wenigstens eine Erleichterung für ihre niedergeschlagenen Seelen. Ist schon der zufällige Verlust der Medizin ein schwer auszugleichender Schaden, so bedeutet es geradezu eine unauslöschliche Schande, wenn ein Indianer seinem siegreichen Feinde die Medizin und dazu gar das Kalumet übergeben muß.

Sie schickten sich an, nach dem Lager zurückzukehren. Als sie zehn oder fünfzehn Schritte gegangen waren, blieb der Sprecher stehen, wendete sich um und sah zu mir zurück. Es lag in seinem Blicke eine deutliche Aufforderung für mich, zu ihm zu kommen, da er mir etwas zu sagen habe. Ich wußte, was es war, und ging ihm nach.

»Old Shatterhand mag verzeihen, daß ich noch einmal rede!« sagte er. »Ich weiß, daß die beiden andern Anführer es nicht hören dürfen.«

»Sprich, aber fasse dich kurz!«

»Ist es wahr, daß Old Shatterhand versprochen hat, uns heimlich freizulassen?«

»Ja, wenn euer Häuptling sein Versprechen erfüllt.«

»Welches?«

»Er hat mir nicht erlaubt, es euch zu sagen.«

»Aber wenn er es nicht erfüllt?«

»So werde ich annehmen, daß ich das meinige nicht gegeben habe.«

»Dann werden wir ihm sagen, daß er sein Wort zu halten hat. Howgh!«

Er wollte nach diesem bekannten Bekräftigungsworte gehen, blieb aber nochmals stehen und fragte:

»Wohin werdet ihr uns bringen?«

»Darüber ist noch nichts beschlossen.«

»Welche Qualen werdet ihr unterwegs über uns verhängen?«

»Keine, denn ihr habt mich auch nicht gequält. Ihr werdet weder hungern noch dürsten, weil ich bei euch auch nicht gehungert und gedürstet habe.«

»Werden wir unter eurer Bewachung frei reiten oder gehen können?«

»Nein, denn ich bin bei euch an Armen und Beinen gefesselt gewesen. Zum Essen wird man euch die Hände freigeben. Du siehst, daß sich alles belohnt und alles bestraft. Wer Gutes thut, wird Gutes ernten. Nun aber ist's genug; es mag nun endlich einmal zum Schlusse kommen.«

Während die drei Alten ihren Rückweg fortsetzten, wurden dreißig Mimbrenjos bestimmt, den schon erwähnten Kreis, in welchem die Waffen niedergelegt werden sollten, zu bilden. Sie stellten sich wohlbewaffnet ungefähr fünfzig Schritte vom Lager auf, und kaum war dies geschehen, so kam der Sprecher als erster, um das Geforderte abzugeben. Ich stand dabei und ließ, um die Sache abzukürzen, schnell noch einige Mimbrenjos kommen, welche den Inhalt seiner Taschen zu untersuchen hatten. Als dies Winnetou sah, kam er mit noch einigen andern herbei, um die Manipulation dadurch abzuschließen, daß der Alte gebunden und in das Gras gelegt wurde. So wurde jeder Nachfolgende erst entwaffnet, dann von mir auf den Inhalt seiner Taschen untersucht, und nachher von Winnetou gefesselt. Das Entwaffnen ging sehr rasch. Das Fesseln ebenso. Die Yumas hatten selbst genug Riemen und Lassos bei sich. Schwerer aber war es, meines Amtes zu walten. Es war nicht leicht zu unterscheiden, ob ein Gegenstand von der Hazienda stammte oder das rechtmäßige Eigentum seines Trägers war, zumal sehr oft eine Sache, von welcher ich hätte beschwören mögen, daß sie auf der Hazienda geraubt worden sei, als Medizin bezeichnet wurde, und ich hatte ja versprochen, jedem seine Medizin zu lassen. Der »starke Büffel« hatte nicht eine besondere Beaufsichtigung übernommen, sondern war bald da und bald dort, bald bei mir und bald bei Winnetou, um möglichst dahin zu wirken, daß die von ihm so grimmig gehaßten Yumas eine scharfe Behandlung erfuhren.

Ein großer Teil des Vormittages war vergangen, als wir endlich fertig waren. Die Yumas lagen gefesselt nebeneinander, wie Säcke auf einem Kartoffelacker. Die abgenommenen Waffen bildeten einen großen Haufen, und sollten noch vor Mittag verteilt werden. Und von den Gegenständen, von denen ich glaubte, daß sie Eigentum des Haziendero gewesen seien, hatte ich auch eine leidliche Menge zusammenbekommen. Sie wurden einem ehrlichen Mimbrenjo in Aufbewahrung gegeben.

Dann wurde gegessen, das erste Mal am heutigen Tage. Jeder wurde satt, da beide Teile Proviantvorräte mitgebracht hatten. Da wir während der Nacht nicht geschlafen hatten, wurde beschlossen, während der heißen Mittagsstunden zu schlafen. Gegen Abend sollte aufgebrochen werden. Wohin, das verstand sich ganz von selbst, nämlich nach dem Orte, an welchem die zurückgelassenen Yumas mit den Verwundeten und den geraubten Herden lagerten. Die ersteren sollten gefangen genommen und die letzteren dem Haziendero zurückgebracht werden.

Bei der Verteilung der Waffen ging es ziemlich lebhaft her. Jeder wollte das Beste haben, womöglich eine Flinte, aber nur nicht Pfeil und Bogen, und da die Gewehre der Yumas nicht viel taugten, so gab es oft Zank und Streit, zu dessen Schlichtung es oft eines Machtwortes bedurfte.

Der Kreis, welchen unsere Krieger gebildet hatten, war natürlich längst aufgelöst worden. Wir lagerten am Waldesrande im Schatten, und wer nicht wachen mußte, der schlief, um Kräfte für den weiten Ritt zu sammeln, denn es sollte nicht eher als am Ziele angehalten werden. Bei der großen Zahl unserer Gefangenen hatten zehn Mann zu wachen; weniger wären zu wenig gewesen. Sie wurden jede Stunde abgelöst. Die zehn wurden wieder abwechselnd von Winnetou, dem »starken Büffel« und mir beaufsichtigt, die wir einander auch allstündlich ablösten.

Ich hatte die erste Wache gehabt und wurde von Winnetou abgelöst. Als mich dann der Häuptling der Mimbrenjos weckte, fühlte ich mich fast müder als vorher und stand, um nicht etwa wieder einzuschlafen, auf, um mir Bewegung zu machen. Die zehn Posten, welche an der Reihe waren, patrouillierten auf und ab und hatten die Gefangenen so scharf im Auge, daß gewiß keiner von diesen etwas Verdächtiges auszuführen vermochte. Man hatte dem »großen Munde«, weil er Häuptling war, einen etwas zur Seite liegenden Platz gegeben, wo er bewegungslos lag und zu schlafen schien; als ich aber das zweite Mal an ihm vorüberging, öffnete er die Augen und nannte meinen Namen. Ich trat zu ihm und fragte, welchen Wunsch er habe. Er zeigte mir ein sehr erstauntes Gesicht und antwortete:

»Welchen Wunsch? Kann Old Shatterhand wirklich diese Frage aussprechen? Es giebt nur einen Wunsch, den ich haben kann – die Freiheit!«

»Das glaube ich dir. Ich hatte ihn auch, als ich dein Gefangener war.«

»Du hast sie erlangt. Wann werde ich sie bekommen? Noch heute?«

»Noch heute?« fragte ich erstaunt. »Du hast geschlafen und träumst wohl noch!«

»Ich träume nicht. Nur zehn Krieger wachen außer dir. Wehrt es dir jemand, meine Fesseln zu zerschneiden? Thue es, so springe ich aufs nächste Pferd, galoppiere davon und bin verschwunden, ehe es einem einfällt, mir zu folgen.«

Das war ein grandioses Verlangen, eine Zumutung, über welche ein anderer vor Bewunderung oder auch Zorn hätte außer sich geraten können; mir aber kam es so komisch vor, daß ich in ein so lautes Gelächter ausbrach, daß mehrere Schläfer erwachten und alle Posten zu mir herblickten.

»Was lachst du so?« sagte er zornig. »Glaubst du, ich treibe Scherz?«

»Das möchte ich allerdings annehmen. Jetzt, am hellen Tage, wo alle sehen würden, daß ich es bin, soll ich dich befreien?«

»Was schadet es dir? Kein Mensch würde es wagen, dich dafür zu bestrafen. Du hast es mir versprochen!«

»Ich versprach, dich und deine Krieger zu befreien, nicht dich allein. Du wirst nur mit ihnen freikommen.«

»So schaff so schnell wie möglich die Gelegenheit dazu! Du bist es uns schuldig, dein Versprechen zu halten.«

»Gewiß! Aber wie steht es denn mit dem deinigen?«

»Ich halte es, wenn du das deinige erfüllt hast.«

»Du meinst gewiß, daß dies sehr klug von dir ausgesonnen sei, wirst aber da die Freiheit nicht wiedersehen. Ich laß dich nicht eher frei, als bist du mir meine Frage beantwortet hast.«

»Und ich beantworte sie dir nur als freier Mann!«

Schon öffnete ich die Lippen zum abermaligen Lachen, wurde aber augenblicklich wieder ernst, denn der »starke Büffel«, welcher in der Nähe lag und den ich schlafend glaubte, sprang in diesem Augenblicke auf und rief, indem er sein grimmigstes Gesicht zeigte, mir die Worte zu:

»Hat Old Shatterhand wohl Zeit, mir eine Frage zu beantworten?«

»Ja,« nickte ich.

»So mag er mit mir kommen, um sie zu hören!«

Ich ging zu ihm. Er führte mich eine Strecke weit fort, sodaß man uns nicht hören konnte, blieb dann stehen, blitzte mich mit zornigen Augen an und fragte:

»Old Shatterhand hat mit dem ›großen Munde‹ gesprochen. Die Worte habe ich zwar nicht verstanden, aber ich errate, was es gewesen ist.«

»Wenn dies wirklich der Fall ist, so ist es mir unbegreiflich, daß du nicht an deinem Platze liegen geblieben bist. Der Schlaf ist dir ebenso notwendig, wie uns andern allen.«

»Wie kann ich schlafen, wenn ich sehe und höre, daß der Verrat sich in unserer Mitte befindet!«

»Der Verrat? Will mein roter Bruder mir sagen, wen er für einen Verräter hält?«

»Du bist es, du selbst!«

»Ich? Ein Verräter? Wenn der ›starke Büffel‹ Old Shatterhand, dem nie jemand die geringste Untreue nachzusagen vermochte, für einen Verräter hält, so kann der Grund nur darin liegen, daß der große Geist ihm das Gedächtnis genommen und die Sinne verwirrt hat. Ich schenke dir mein Mitleid, und da ich dein Freund und Bruder bin, thut es meiner Seele weh, dich solange von unserm Rate ausschließen zu müssen, bis dein verwirrter Verstand sich wieder in Ordnung befindet.«

Darauf ließ ich ihn stehen und ging weiter. Er aber kam mir nach, ergriff mich beim Arme und rief im zornigsten Tone:

»Was hast du gesprochen? Den Verstand willst du mir rauben und meinen Geist vernichten? Meinst du, weil deine Kraft so stark und deine Gewandtheit so überlegen ist, kannst du nicht bloß deine Feinde besiegen, sondern darfst auch sogar deine Freunde beleidigen? Zieh' dein Messer, und kämpf' mit mir! Eine solche Kränkung kann nur mit Blut abgewaschen werden!«

Nicht nur seine Worte, sondern auch seine verzerrten Gesichtszüge sagten mir, daß sich der alte Cholerikus im Stadium wirklichen Grimmes befand. Er hatte sein Messer aus dem Gürtel gerissen und stand in der Stellung eines Kämpfers vor mir. Ich antwortete im ruhigsten Tone:

»Wornit eine solche Beleidigung gesühnt werden muß, das kann nur ich bestimmen, nicht du darfst es, denn ich bin es, der beleidigt worden ist. Du nanntest mich einen Verräter. Giebt es für einen Krieger eine größere Beleidigung? Wenn ein Fremder mir dies Wort entgegenwirft, so schlage ich ihn nieder, daß er für immer liegen bleibt; thut es aber ein Freund, so muß ich annehmen, daß er plötzlich verrückt geworden ist. Fühlst du dich dadurch an deiner Ehre gekränkt, so kann ich nicht dafür, denn du allein bist es, welcher mir den Grund geliefert hat, so von dir zu denken.«

»Aber ich habe recht! Du willst den ›großen Mund‹ freilassen!«

»Aber ich habe auch eine Bedingung gestellt, welche er nicht erfüllen wird, und weiß also, daß ich ihn nicht loszulassen brauche.«

»Was hast du da mit ihm zu reden! Muß es mir nicht verdächtig vorkommen, daß du, während du meinst, wir schlafen, bei ihm stehst und mit ihm verhandelst!«

Da legte ich ihm die Hand so schwer auf die Achsel, daß ich ihn um einen halben Fuß niederdrückte, und sagte im ernstestem Tone:

»Wer hat den Häuptling der Mimbrenjos mir zum Wächter bestellt? Wenn Old Shatterhand wacht, können die andern ruhig schlafen; das magst du dir merken. Daß du mich einen Verräter nennst, verzeihe ich dir, denn ich weiß, daß du dein Unrecht einsehen wirst. Und damit mag die Sache ein Ende haben.«

Ich wollte abermals gehen; er jedoch hielt mich wieder zurück und schrie:

»Nein, das ist nicht ihr Ende. Du hast mit mir zu kämpfen! Nimm dein Messer, sonst steche ich ohne Gegenwehr!«

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Indianer, welche als Wilde einen leiseren Schlaf als civilisierte Menschen besitzen, durch das Geschrei des Alten aufgeweckt worden waren. Winnetou war auch erwacht und kam herbei, um ihn zu fragen:

»Warum fordert mein roter Bruder Old Shatterhand zum Kampfe auf?«

»Weil er mich beleidigt hat. Er sagte, mein Verstand sei verwirrt.«

»Warum sagte er das?«

»Weil ich ihn einen Verräter genannt habe.«

»Welchen Grund hatte der Häuptling der Mimbrenjos dazu?«

»Old Shatterhand stand bei dem ›großen Munde‹ und sprach mit ihm.«

»War es eine Verräterei, welche er mit ihm besprach?«

»Ja. Old Shatterhand hat selbst gesagt, daß er ihn heimlich loslassen will.«

»Und das ist der einzige Grund, den du hast? Ich sage dir, mein Bruder Shatterhand weiß stets, was er thut, und wenn alle roten, weißen und schwarzen Menschen der Erde zu Verrätern würden, er allein bliebe treu!«

»Das glaubst du, aber ich weiß das Gegenteil. Was ich sagte, ist wahr; er aber hat mich beleidigt; er muß mit mir kämpfen!«

Es war wirklich eine Art Genuß, den Blick zu sehen, mit welchem Winnetou den Alten von oben bis unten maß, und dann den Ton zu hören, in welchem er ihn fragte:

»Will mein roter Bruder zum Gelächter der Seinigen werden?«

Das ergrimmte den »starken Büffel« noch mehr; er brüllte jetzt förmlich:

»Willst etwa auch du mich erzürnen? Sieh meine Gestalt, meine Arme, meine Schultern, meine Muskeln! Meinst du, daß ich unterliege?«

»Ja! Wenn Old Shatterhand will, wird seine Klinge dir gleich beim ersten Stiche ins Herz fahren; aber er wird nicht wollen.«

»Er wird wollen; er muß wollen; ich fordere es von ihm, und wenn er zögert, mit mir zu kämpfen, so ist er ein Feigling und ich steche ihn ohne Zögern nieder!«

Jetzt zogen sich die Brauen Winnetous zusammen, und seine Züge nahmen jenen, ich möchte sagen, aus Erz gegossenen Ausdruck an, den ich sehr wohl kannte und der mir sagte, daß der Apatsche seine Seele nun verschlossen habe. Er zog die eine Schulter ein wenig höher, auch eine Bewegung, welche ich gar wohl kannte, und entschied:

»Der starke Büffel ist entschlossen, sich zu blamieren; Old Shatterhand wird mit ihm kämpfen. Welche Bedingungen stellt mein roter Bruder?«

»Kampf auf Leben und Tod.«

»Wann?«

»In diesem Augenblicke!«

»Nach welchen Regeln sollen die Messer geführt werden?«

»Nach gar keiner Regel. Ich steche, wie es mir beliebt.«

»Was hat zu geschehen, wenn einer sein Messer verliert? Darf der andere ihn niederstechen?«

»Wenn er kann, so mag er es thun; der erstere aber wird sich mit den Fäusten wehren und den andern erschlagen oder erwürgen.«

»So weiß ich ganz genau, wer, wenn der andere will, noch heute die ewigen Jagdgründe betreten wird. Meine beiden Brüder werden mir erlauben, der Schiedsrichter zu sein; ich bin bereit, und sie können den Kampf auf Leben und Tod beginnen.«

Die Augen des alten Isegrimm leuchteten vor Kampfeslust. Er kannte mich, dachte aber in diesem Momente weder an das, was er über mich erfahren, noch mit mir erlebt hatte. Wenn er zornig war, so gab es bei ihm kein Bedenken; war der Zorn verraucht, so war er der liebenswürdigste Mensch, nämlich so liebenswürdig, wie ein Indianer zu sein vermag. Freilich hatte ihm sein Zorn schon schlimme Streiche gespielt, und er hätte seinen Einfluß und sein Ansehen bei seinem Stamme wohl längst schon verloren gehabt, wenn er nicht sonst ein tüchtiger Anführer und riesenstarker Mann gewesen wäre. Denn wenn ich ihn den »Alten« genannt habe, so verband ich mit dieser Bezeichnung keineswegs die Begriffe des Schwachen und Hinfälligen. Er zählte vielleicht sechzig Jahre, besaß den Bau und die Körperkraft eines Hünen, und befand sich noch im Vollbesitze der ganzen Beweglichkeit, welche andere in solchem Alter verloren haben. Er war also ein mir ebenbürtiger Gegner und mir jetzt eigentlich weit überlegen, weil er den Kampf wirklich ernst nahm, während es ganz selbstverständlich nicht in meiner Absicht liegen konnte, ihn zu verletzen, oder gar zu töten. Er besaß die Waffen, welche mir entzogen waren.

Am liebsten hätte ich mich geweigert, auf den Zweikampf einzugehen, aber ich wußte, daß dies für mich lebensgefährlich sei; er wäre in seinem Zorne mit dem Messer auf mich eingedrungen, und dann hätte ich mich doch und zwar ernstlich wehren müssen. Darum zeigte ich meine Bereitwilligkeit dadurch an, daß ich mich ihm gegenüberstellte und mein Messer zog, doch nicht mit der rechten, sondern mit der linken Hand. Ich that dies, um meine rechte Faust frei zu haben; er aber beachtete diesen Umstand nicht.

Die Mimbrenjos hatten gesehen und gehört, um was es sich handelte, und kamen herbei. Die gefangenen Yumas konnten nicht kommen, doch suchten sie sich unter ihren Fesseln eine solche Lage zu geben, daß sie zusehen konnten. Auf allen Gesichtern war der Ausdruck größter Spannung zu bemerken, nur auf denen der beiden Söhne des Häuptlings nicht. Sie wollten es nicht sehen lassen, aber ich sah es doch, daß sie sich in großer Sorge befanden. War ich Sieger, so tötete ich ihren Vater, und blieb dieser in der Oberhand, so war es um mich geschehen, dem sie ihre Dankbarkeit und sogar Verehrung zollten.

So standen wir einander auf fünf Schritte gegenüber, jeder sein Messer in der Hand und das Auge scharf auf den Gegner gerichtet. Winnetou fragte, ehe er das Zeichen zum Beginne gab:

»Hat mein roter Bruder, der Häuptling der Mimbrenjos, für den Fall seines Todes einen Wunsch auszusprechen?«

»Ich sterbe nicht!« lachte der Gefragte grimmig auf. »Gieb das Zeichen, und sofort wird mein Messer Old Shatterhand fressen!«

»Oder hat mein weißer Bruder mir einen Auftrag zu erteilen?« fragte der Apatsche jetzt mich.

»Ja. Wenn der starke Büffel mich erstochen hat, so sage ihm, daß ich der Retter seiner Kinder gewesen bin und seinem Sohne einen Namen gegeben habe. Vielleicht ist er dann vorsichtiger im Umgange mit Freunden, denen er Dankbarkeit schuldet.«

Ich war der Ansicht gewesen, daß diese Erinnerung den Alten zu Verstand bringen werde, hatte mich aber geirrt, denn er fuhr in noch höherem Zorne auf:

»Ein Verräter kann niemals auf Dank Anspruch erheben. Ich will Blut sehen, Blut!«

Der Kampf war also nicht rückgängig zu machen, und wenn ich vorher entschlossen gewesen war, so zart wie möglich mit ihm umzugehen, so fühlte ich jetzt auch mein Blut in Wallung geraten und nahm mir vor, ihm eine etwas derbere Lehre zu geben. Ich nickte also Winnetou zu, und dieser erhob die Hand und sagte mit lauter Stimme:

»Keiner der Zuschauer weiche von seinem Platze, bis ich es ihm erlaube! Der Kampf mag beginnen. Howgh!«

Er zog jetzt auch sein Messer, um jeden, der sich uns etwa nähern würde, niederzustechen, doch war daran unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht zu denken.

Wer wird beginnen? Das war jetzt die Frage. Ich nicht! Doch war ich fest entschlossen, den Häuptling gleich beim ersten Angriff unschädlich zu machen. Ich hoffte, daß mir dies gelingen werde. Zaudern durfte ich nicht, denn je länger ich mich dem Messer des Gegners aussetzte, desto größer wurde für mich die Gefahr, von demselben getroffen zu werden.

Der starke Büffel stand still und aufrecht wie eine Säule. Wollte er auch nicht der erste sein? So ruhig und bewegungslos sein Körper war, in seinem Innern sah es anders aus. Das lebhafte Flackern seiner Augen verriet mir, daß er nur so still stand, um meinen Blick zu ermüden, und sich dann plötzlich auf mich zu werfen. Ich hatte mich nicht geirrt, denn plötzlilch flammte es zwischen seinen Lidern förmlich auf, und ich ließ das Messer fallen, überzeugt, daß er jetzt auf mich einspringen werde. Er hob wirklich schon den Fuß, setzte ihn aber wieder auf die Erde und rief aus:

»Habt ihr gesehen, daß Old Shatterhand sich fürchtet? Das Messer ist ihm entfallen, weil die Angst ihm die Finger öffnete!«

Anstatt ihm zu antworten, bückte ich mich nieder, so thuend, als ob ich das Messer aufheben wolle; ich wußte aber, daß er als erfahrener und gewandter Krieger die Blöße, welche ich mir dabei gab, zum Angriffe benutzen werde. Er that auch sofort den entscheidenden Sprung, entscheidend, weil mit demselben seine Niederlage entschieden war. Nämlich da ich mich bückte, hatte er, um mich zu treffen, seine hohe Gestalt auch zu beugen und den Stoß nach einem Punkte zu richten, welcher in der Höhe des Rückens eines sich bückenden Mannes, also ungefähr anderthalb Ellen über der Erde lag. Ich machte aber eine blitzschnelle Wendung zur Seite und richtete mich ebenso rasch auf. Dadurch kam ich, während er in gebeugter Haltung nach der Stelle stieß, an welcher ich mich soeben befunden hatte, aufrecht neben ihn zu stehen, konnte also meine ganze Kraft in Anwendung bringen, und schlug ihm die geballte Rechte von hinten ins Genick, daß er nicht etwa niederfiel, sondern förmlich wie ein Sack, wie eine leblose Masse zu Boden schlug. Mit einem schnellen Griffe riß ich ihm das Messer aus der Hand; mit einem zweiten Griffe wendete ich ihn aus der Bauch- in die Rückenlage, um ihm auf die Brust zu knieen und das eigene Messer an die Gurgel zu legen; aber ich führte die Bewegung nicht aus; seine Augen machten, daß ich mitten in dieser Bewegung inne hielt. Sie waren weit geöffnet und starrten mit gläsernem Ausdrucke gerade aufwärts. Auch der Mund stand offen. Das dunkle, wetterharte Gesicht schien plötzlich versteinert zu sein. Kein Glied seines Körpers zuckte. Ich richtete mich aus meiner halben Beugung auf und sagte zu Winnetou:

»Der Häuptling der Apatschen sieht den ›starken Büffel‹ am Boden liegen, und das Messer desselben in meiner Hand. Er mag entscheiden, wer der Sieger ist!«

Der Apatschekam heran und kniete vor dem Mimbrenjo nieder, um ihn zu untersuchen. Als er sich dann erhob, war sein Gesicht mehr als ernst und seine Stimme schien zu zittern, indem er verkündete:

»Der Häuptling der Apatschen hat gesagt, daß der ›starke Büffel‹ noch heute die ewigen Jagdgründe betreten werde, und er hat recht gehabt. Die Faust Old Shatterhands ist wie ein Felsen; sie zerschmettert selbst dann, wenn er nicht töten will.«

Das war nur zu wahr gesprochen, denn ich hatte den »starken Büffel« wirklich nicht erschlagen wollen. Ein kräftiger Mensch kann einen andern sehr wohl durch einen Fausthieb betäuben, wenn ihm die Faust dann auch für einige Stunden schmerzt, aber erschlagen, geradezu erschlagen, das kann nur dadurch geschehen, daß man eine höchst empfindliche Stelle trifft oder eine solche, welche im Augenblicke des Hiebes eine lebensgefährliche Blöße bildet. Die Zuschauer standen stumm, auch die beiden Söhne des Besiegten, zu welchem ich mich auch niederkniete, um zu sehen, ob Winnetou sich getäuscht habe oder nicht.

Seine stieren Augen waren diejenigen eines Toten; sein offen stehender Mund deutete auf Lähmung; sein Herz klopfte leise. Er lebte also noch. Ich versuchte, seine Augenlider zusammen zu drücken; da bewegte er die Lippen und ließ einige unartikulierte Töne hören. Auch seine Augen bewegten sich, indem sie wie nach jemand suchten und dann auf mir haften blieben. Es kehrte ihnen dabei der Ausdruck zurück, der Ausdruck des Schreckens. Die Lippen schlossen und öffneten sich abwechselnd, um Worte auszusprechen, was aber nicht gelang, und durch den Körper und alle Glieder ging eine – ich möchte sagen, wurmförmige Bewegung, welche bewies, daß der für den Augenblick Gelähmte alle seine Kraft anstrengte, die Lähmung zu überwinden. Ich stand also auf und meldete den Roten, welche mit großer Spannung darauf warteten:

»Er ist nicht tot; er lebt. Seine Seele ist noch in ihm; ob aber der Körper ihr wieder gehorchen wird wie zuvor, das kann ich nicht sagen, das muß abgewartet werden.«

Da stieß der am Boden Liegende einen langen, durchdringenden Schrei aus, schnellte, wie von einer Feder geworfen, empor, schlug mit den Armen um sich und rief.

»Ich lebe, ich lebe, ich lebe! Ich kann reden, ich kann mich bewegen! Ich bin nicht tot, nicht tot!«

Da nahm Winnetou mir das Messer aus der Hand, hielt es ihm entgegen und fragte:

»Erklärt der ›starke Büffel‹ sich für besiegt? Old Shatterhand konnte ihn erstechen, hat es aber nicht gethan.«

Da hob der Mimbrenjo langsam den Arm, richtete ihn steif auf mich und antwortete, indem sein Gesicht einen Ausdruck annahm, welchen ich denjenigen des Grauens nennen möchte:

»Das Bleichgesicht hat den lebendigen Tod in seiner Faust. Es wäre entsetzlich gewesen, Leben zu besitzen und doch tot zu sein. Ich will ganz tot sein, wirklich tot. Old Shatterhand mag mir mein Messer ins Herz stoßen, aber so, daß ich dann nicht mehr sehen und nicht mehr hören kann!«

Er stellte sich vor mich in der Haltung eines Mannes, welcher den Todesstoß erwartet, hin. Ich nahm ihn bei der Hand, führte ihn dorthin, wo seine Söhne standen, und sagte zu dem jüngeren:

»Dein älterer Bruder hat einen Namen von mir erhalten; dir mache ich eine ebenso große Gabe: Ich schenke dir deinen Vater. Nimm ihn hin; aber sage ihm, daß er nicht wieder an Old Shatterhand zweifeln möge!«

Der Alte sah mir mit starrem Forschen in das Gesicht, schlug dann die Augen nieder und sprach:

»Das ist fast schlimmer als der Tod! Du giebst mein Leben einem Kinde! Die alten Weiber werden auf mich deuten, und von einem zahnlosen Munde wird es zum anderen gehen, daß ich von dir besiegt worden bin und nun einem Knaben gehöre, welcher keinen Namen hat. So wird mein Leben ein Leben voller Schande sein!«

»Mit nichten! Im Zweikampfe besiegt zu sein, ist keine Schande, und dein jüngerer Sohn wird sehr bald einen so berühmten Namen haben, wie sein älterer Bruder. Deine Ehre ist dir nicht genommen. Frag Winnetou, und frag die Aeltesten deines Stammes, sie werden es dir bestätigen!«

Um weiteren Einwendungen zu entgehen, entfernte ich mich. Mein Verhalten war allerdings ein ebenso harter Schlag für ihn, wie derjenige, der ihn ins Genick getroffen hatte. Er ging nach seinem Platze, um sich dort traurig niederzuhöcken. Auch die andern suchten ihre Plätze auf, fanden aber den Schlaf nicht so schnell wieder, wie er ihnen unterbrochen worden war. Als nach der festgesetzten Zeit Winnetou mich ablöste, fragte er mich:

»Hat mein Bruder Shatterhand schon einmal einen solchen Hieb gegeben, welcher nicht betäubte und doch der Seele die Macht über den Körper raubte?«

»Nein.«

»Es war schrecklich anzusehen! Hätte diese Lähmung dauern können?«

»Jawohl. Für Wochen, Monate und Jahre.«

»Dann mag mein weißer Bruder den Hieb ins Genick nie wieder thun, sondern die Feinde lieber gleich erschlagen! Der ›starke Büffel‹ wird dich nicht wieder zum Kampfe zwingen. Ich errate, was du mit dem ›großen Munde‹ gesprochen hast. Er verlangte heute schon die Freiheit?«

»Ja.«

»Er hat dir aber nicht gesagt, was du wissen willst?«

»Nein.«

»Er wird es auch nicht sagen, sondern dich belügen. Daß er verlangt hat, jetzt schon frei zu sein, ist eine Frechheit, wie kein Aasvogel sie besitzt. Er verdient, dafür am Marterpfahle zu sterben. Welches Schicksal hast du über ihn beschlossen?«

»Dasjenige, für welches mein Bruder Winnetou sich entschieden hat.«

»Du weißt dasselbe, denn du kennst meine Gedanken. Old Shatterhand und Winnetou schmachten nicht nach Blut; aber retten können sie den ›großen Mund‹ nicht. Wollten wir ihm die Freiheit geben, so würde die Schuld von allen Missethaten, welche er später begeht, auf uns fallen. Er ist der Todfeind der Mimbrenjos. Sie mögen ihn mit sich nehmen, um ihn nach ihren Gesetzen und Gebräuchen zu richten.«

So hatten wir also wieder einmal dieselbe Meinung gehegt und dies auch beiderseits erraten. Wir waren in Wirklichkeit das, was man mit einem landläufigen Ausdrucke »ein Herz und eine Seele« nennt.

Der so unerwartet mir aufgezwungene Zweikampf war nicht im stande, mich um meine Ruhe zu bringen; ich schlief darauf so fest, daß ich nicht selbst erwachte, sondern geweckt werden mußte. Zur bereits angegebenen Zeit wurde aufgebrochen. Unser Ritt verlief ohne irgend ein erwähnenswertes Ereignis.

Es war gegen Abend, als wir die enge Schlucht erreichten, welche auf den Lagerplatz der bei den Herden zurückgebliebenen Yumas mündete. Es war doch möglich, daß sie einen Wächter in die Schlucht gestellt hatten; wir mußten also vorsichtig sein und einen Kundschafter vorsenden, welcher aber wegen des weithin hörbaren Hufschlages nicht zu Pferde sein durfte. Der Wichtigkeit dieses Postens wegen und weil ich die Schlucht schon kannte, übernahm ich selbst das Späheramt. Als mein junger Freund, der Yumatöter, dies hörte, kam er zu mir und sagte in ehrfurchtsvollem Tone:

»Wird Old Shatterhand mir verzeihen, wenn ich es wage, eine Bitte zu haben?«

»Sprich!«

»Old Shatterhand will gehen, die Feinde auszukundschaften. Ich habe die Gegend auch kennen gelernt. Darf ich mit ihm gehen?«

»Ich bedarf freilich eines Begleiters, um ihn als Wächter zurückzulassen, aber du hast genug gethan und dir einen Namen erworben. Der Weg zu großen Thaten steht dir nun frei, da du ein Krieger bist. Du bedarfst dazu meiner nicht mehr, und ich will lieber einem anderen den Weg zur Berühmtheit öffnen. Schick deinen jüngeren Bruder her! Er soll mich begleiten!«

Der kleine Yumatöter hätte jedenfalls lieber gesehen, daß ich ihm seinen Wunsch erfüllte, daß ich ihm denselben aus Rücksicht für seinen Bruder abschlug, veranlaßte ihn zu der frohen Antwort:

»Mein berühmter weißer Bruder besitzt ein Herz voller Güte und Gewogenheit. Mein kleinerer Bruder wird sich dieses Vertrauens würdig machen und lieber sterben, als einen Fehler begehen.«

Der Zug mußte halten bleiben, denn es konnte einer der Yumas, welche wir überrumpeln wollten, nicht nur als Posten in der Schlucht stehen, sondern aus irgend einem Grunde sich in derselben befinden und soweit in dieselbe eingedrungen sein, daß wir, falls wir weiter ritten, auf ihn stoßen würden. Auch war unsern Gefangenen nicht zu trauen. Sie konnten sehr leicht auf den Gedanken kommen, sich den Ihrigen, falls wir uns ihnen zu weit näherten, durch lautes Schreien bemerkbar zu machen und sie dadurch zu warnen. Es wurde also Halt gemacht und abgestiegen, und ich ging mit dem Indianerknaben zu Fuße weiter.

Er schritt hinter mir her und sagte kein Wort. Ich sah zuweilen zurück und vergnügte mich an der Miene, welche er zeigte. Er war sich des ihm gewordenen Vorzuges und der Wichtigkeit unserer Aufgabe sehr bewußt; daher der Ausdruck des Glückes und des Selbstgefühles in seinen noch jugendlich weichen Zügen.

Der Unterschied zwischen mir, dem erwachsenen Krieger, und ihm, dem unbekannten Knaben, ließ ihn gar nicht daran denken, mir zur Seite zu schreiten; aber ich bemerkte sehr wohl, daß er zuweilen ganz unwillkürlich einige rasche Schritte machte, um dann doch gleich wieder zurückzubleiben. Er hatte etwas auf dem Herzen; er wollte mir etwas sagen, durfte es aber unmöglich wagen, das Gespräch zu beginnen. Ich zog daher meine Schritte ein wenig ein und sagte:

»Mein junger Bruder mag an meiner Seite gehen!«

Er gehorchte sofort, denn ein höfliches Zaudern wäre hier Ungehorsam gewesen.

»Mein kleiner Bruder wünscht, zu mir sprechen zu dürfen,« fuhr ich fort. »Er mag zu mir reden!«

Er warf aus seinen klugen Augen einen dankbaren Blick zu mir herauf, sagte aber nichts. Es war also eine Frage, nicht eine Mitteilung, welche er auf dem Herzen hatte. Eine Frage durfte er jetzt noch nicht aussprechen, da ich ihm nur das Reden im allgemeinen, nicht aber das Fragen erlaubt hatte.

»Ich weiß, was meinem roten Bruder auf den Lippen schwebt,« sprach ich weiter. »Soll ich es ihm sagen?«

»Old Shatterhand spricht, wenn er will!«

»Es betrifft deinen Vater, den ›starken Büffel‹. Habe ich recht?«

»Old Shatterhand trifft stets das Richtige.«

»Du wolltest mich gern fragen, warum ich sein Leben dir geschenkt habe?«

»Ich wünschte es, durfte es aber nicht wagen.«

»Ich habe die Worte aus deinem Gesichte gelesen. Du darfst zu mir reden, als ob ich auch ein Knabe wäre.«

»Wenn Old Shatterhand mir dies erlaubt, so darf ich ihm sagen, daß mein Vater sterben wird!«

»Warum denkst du das?«

»Ich sehe es ihm an, und mein älterer Bruder ist derselben Meinung. Er wird sich töten, weil er die doppelte Schande nicht ertragen kann.«

»Es ist keine Schande, von mir niedergeworfen zu werden. Ich habe Winnetou auch besiegt, ehe er mein Bruder war. Nun frage ihn, ob er sich dessen schämt. Sprich mit deinem Vater darüber. Sein Stolz verbietet ihm, mit mir davon zu reden; du aber bist sein Sohn, den er anhören darf. Du sprachst aber von einer doppelten Schande. Damit meintest du ferner, daß ich ihn dir geschenkt habe?«

»Ja.«

»Meinst du wirklich, daß dies eine Schande ist?«

»Eine große! Warum hast du sie ihm angethan?«

»Ich habe so gehandelt, um ihm die Schande zu ersparen, von mir das Ieben geschenkt zu erhalten. Das, was du eine Schande nennst, ist keine Schande, sondern im Gegenteile eine Bewahrung vor derselben.«

»Ich bin ein Knabe und weiß das nicht; aber wenn Old Shatterhand es sagt, muß es wahr sein.«

»Es ist wahr. Ich wiederhole: Daß dein Vater von mir besiegt wurde, war keine Schande. Alle roten Männer wissen, daß es schwer ist, mich zu besiegen. Aber er hatte es in seinem Zorne auf meinen Tod abgesehen; er hätte mich nicht geschont, sondern sicherlich erstochen; es wäre also eine Schande gewesen, wenn er das Leben aus meiner Hand geschenkt erhalten hätte. Jetzt ist sein Leben dein Eigentum, und da du sein Kind bist, kann er es als Geschenk von dir annehmen, ohne erröten zu müssen. Begreifst du mich nun?«

Er dachte erst eine kleine Weile nach und antwortete dann:

»Mein Herz war schwer um meines Vaters willen; nun aber ist es wieder leicht geworden. Die Worte Old Shatterhands sind weise und klug und sehr leicht zu begreifen. Wie er gehandelt hat, so hätte kein anderer Krieger gehandelt. Mein Vater kann ohne Scham weiter leben; ich werde es ihm sagen. Dafür aber, daß mein berühmter weißer Bruder das Leben meines Vaters in meine Hand gegeben hat, soll ihm das meinige gehören. Old Shatterhand sage ein Wort, so bin ich bereit, sofort in den Tod zu gehen!«

»Ich wünsche nicht, daß du stirbst, sondern daß du lebst, um nicht nur ein tapferer Krieger, sondern auch ein guter Mensch zu werden. Zu einem guten Menschen kann ich dich nicht machen; du mußt dich selbst bestreben, gut zu sein und nie ein Unrecht zu begehen; aber ein tapferer Krieger zu werden, dazu kann ich dir behilflich sein. Ich werde dafür sorgen, daß du stets in meiner Nähe bist, solange ich mich in diesen Gegenden befinde.«

Da ergriff er einen Finger meiner Hand – die ganze Hand wagte er nicht zu ergreifen – drückte denselben an seine Brust und sagte in einem Tone, dem man anhörte, daß seine Worte aus einem überquellenden Herzen kamen:

»Ich habe meinem großen weißen Bruder vorhin mein Leben zugesagt, nun wollte ich, ich hätte viele Leben; sie alle würden Old Shatterhand gehören!«

»Ich weiß, ich weiß! Du bist ein dankbarer Knabe, und wer dankbar ist, der wandelt auf dem Wege, an welchem auch alle andern Tugenden blühen. Pflücke sie beizeiten, denn je länger dieser Weg wird, desto seltener sind sie zu finden und desto mehr sind sie von Dornen umgeben, welche die pflückende Hand verscheuchen!«

Der kleine Mann holte laut und tief Atem. Meine Worte waren ihm in das Herz gedrungen und dort auf einen fruchtbaren Boden gefallen. Ein solches Atmen, welches ein sicheres Zeichen der Bewegung ist, habe ich immer gern gehört.

Der Tag neigte sich schnell zur Rüste. In der Schlucht war es schon ziemlich düster geworden. Wir mußten um so schärfer aufpassen. Vorteilhaft war es, daß der Knabe schon gelernt hatte, mit unhörbaren Schritten zu gehen. Indianer werden schon in früher Jugend in dieser Kunst – denn sie ist wirklich eine Kunst – geübt.

Es stellte sich heraus, daß sich kein feindliches Wesen in der Schlucht befand. Wir erreichten den Ausgang derselben beim letzten Tagesscheine, welcher uns erlaubte, uns leidlich zu orientieren.

Als ich Gefangener der Yumas war, hatten wir nahe der Schlucht gelagert. Unterdessen hatten die vielen geraubten Tiere das Gras abgeweidet, und die Hirten waren dadurch gezwungen gewesen, sich von derselben zu entfernen. Wir sahen sie weit draußen, soweit, daß die Pferde und Kühe die Größe kleiner Hunde hatten. Die Indianer, welche sie beaufsichtigten, schienen dreijährige Kinder zu sein.

Einer von ihnen nur war bedeutend größer, denn er war uns näher; ja, er kam auf uns, das heißt auf den Ausgang der Schlucht zu. Um den Grad der Intelligenz des Knaben kennen zu lernen, fragte ich ihn:

»Du siehst den Yuma, welcher sich uns nähert. Wird er vollends herkommen oder unterwegs umkehren?«

»Er wird kommen, um sich hier aufzustellen, und die Krieger zu erwarten, welche dir nachgejagt sind.«

»Ist das nicht überflüssig?«

»Nein. Er soll ihnen, falls sie kommen, sagen, wo seine Kameraden sich befinden, da sich dieselben von hier entfernt haben.«

»Die Leute würden ihre Kameraden doch auch ohne eine solche Anweisung finden, da die letzteren jedenfalls Wachtfeuer brennen werden.«

»Sie werden so vorsichtig sein, keine zu brennen. Sie wissen nicht, ob es gelungen ist, dich wieder zu ergreifen, und Old Shatterhand ist für seine Feinde ein gefährlicher Krieger.«

»Hm! Warum kommt dieser Mann erst jetzt? Warum hat man nicht schon am Tage einen Posten hierhergestellt?«

»Weil diejenigen, die erwartet werden, am Tage die Herden da draußen sehen können und also keines Wegweisers bedürfen.«

»Das ist sehr richtig. Du hast mir überhaupt gute Antworten gegeben. Aber das Wissen genügt nicht; man muß auch zu handeln verstehen.«

»Old Shatterhand mag mir sagen, was ich thun soll! Ich werde gehorchen.«

»Ich möchte den Yuma als Gefangenen haben.«

Das schon an sich dunkle Gesicht des Knaben wurde infolge des Blutandranges, welchen meine Worte veranlaßten, noch dunkler, doch antwortete er:

»Wenn Old Shatterhand seine Hand ausstreckt, kann der Yuma ihm nicht entgehen.«

»Hast du nicht auch eine Hand?«

Er blickte glänzenden Auges zu mir auf, sagte aber:

»Es ist die Hand eines Knaben, welcher in Gegenwart eines großen Kriegers nicht handeln darf.«

»Der große Krieger erlaubt es dir. Du sollst deinem Vater zeigen, daß du an meiner Seite gewesen bist.«

»Dann werde ich ihn erschießen!«

»Nein. Seine Kameraden würden den Schuß hören. Ich sage dir, daß ich ihn gefangen haben will.«

»Old Shatterhand mag sagen, was er von mir verlangt; ich werde es thun.«

»Du sollst selbst wissen, was du zu thun hast. Die That wäre nicht ganz die deinige, wenn du meines Rates zu derselben bedürftest. Ueberlege also schnell, ehe es zu spät ist!«

Er blickte, um die Entfernung zu messen, hinaus nach der Stelle, wo der Yuma sich jetzt befand, und musterte dann unsere Umgebung. Sein Gesicht hatte dabei einen unternehmenden, ja entschlossenen Ausdruck.

»Ich weiß, was ich thue,« meinte er dann. »Wir stehen hier am Ausgange der Schlucht, hinter deren Felsenecke wir hervorblicken. Der Yuma wird nicht draußen stehen bleiben, sondern in die Schlucht hereinkommen.«

»Das halte auch ich für sehr wahrscheinlich.«

»Ich sehe ein Versteck für mich, in welchem ich mich verberge, bis er vorüber ist. Dann schleiche ich mich hinter ihm drein und schlage ihm den Kolben meines Gewehres auf den Kopf, daß er niederstürzt. Mit meinem Lasso werde ich ihn binden.«

»Wenn das Versteck gut ist, ist auch der Plan nicht schlecht. Wo befindet es sich?«

»Gleich hinter uns auf dem Felsen.«

Wir standen, wie er soeben gesagt hatte, hinter dem Felsen am Ausgange der Schlucht. Wenige Schritte rückwärts trat die Steinwand in etwas mehr als Manneshöhe vielleicht zwei Ellen zurück. Wer da oben lag und sich recht niederdrückte, konnte allerdings von einem Vorübergehenden nicht gesehen werden. Darum sagte ich:

»Kannst du denn hinauf? Der Stein ist glatt.«

»Das ist nichts!« antwortete er verächtlich. »Ich würde noch viel höher kommen.«

»Aber wenn du herunterspringst, wird er dich hören!«

»Ich springe nicht, sondern ich gleite leise.«

»Dann rasch hinauf! Es ist jetzt noch Zeit.«

»Wohin wird Old Shatterhand sich inzwischen verstecken?«

»Das ist meine Sache. Rechne nicht auf mich; ich kann dir nicht beistehen. Wenn du nicht klug, schnell und entschlossen handelst, wird er dich töten.«

Darauf antwortete er stolz:

»Der Yuma wird noch keinen Mimbrenjo getötet haben und auch in Zukunft keinen töten. Ich fange ihn und laß ihn am Pfahle sterben.«

Er war ein guter Kletterer und kam schnell wie ein Eichhörnchen auf den erwähnten Felsen, an welchen er sich so schmiegte, daß ich ihn nicht sehen konnte. Wer ahnungslos vorüberkam, konnte ihn erst recht nicht bemerken.

Nun war es hohe Zeit, mich zurückzuziehen, denn der Yuma hatte, um zu uns zu kommen, höchstens noch dreihundert Schritte zu gehen. Ich eilte also eine Strecke zurück bis zu einem hervorstehenden Felsen, hinter welchen ich mich stellte. Das Unternehmen war für den kleinen Helden trotz meiner Anwesenheit nicht ungefährlich. Wenn der Yuma ihn vorzeitig bemerkte und es zum Kampfe kam, konnte ich nicht schnell genug Hilfe bringen, weil ich nicht schießen durfte, da der Schuß draußen von den Yumas gehört worden wäre. Ich sah darum den nächsten Augenblicken mit besonderer Spannung entgegen, zumal ich der Urheber der That war und ihre Folgen zu verantworten hatte. Natürlich wünschte ich dem Knaben zu seinem Vorhaben von ganzem Herzen Glück. Er hatte meine Botschaft bei seinem Vater ausgerichtet und mir rechtzeitig Hilfe gebracht. Dafür wäre ich ihm gern, wie seinem Bruder, mit einem Namen dankbar gewesen.

Erleichtert wurde die Ausführung des Vorhabens dadurch, daß es mittlerweile noch dunkler geworden war, besonders hier in der Schlucht, und daß ein Umstand eintrat, welchen wir nicht einmal als Zufälligkeit mit in Betracht gezogen hatten. Der Yuma blieb nämlich, als er die Schlucht erreicht hatte, an der Ecke derselben, an welcher wir vorhin unsere Beobachtungen gemacht hatten, stehen und kam gar nicht herein. Er befand sich dort auf dem Posten, welcher ihm angewiesen worden war, und begann, langsam hin und her zu gehen. Dabei kam er wiederholt an den Felsen, auf welchem der Knabe lag, aber nicht so nahe, daß er von oben herab mit dem Kolben erreicht werden konnte.

Ich sagte mir, daß der kleine Mimbrenjo warten werde, bis der Yuma ihm einmal nahe genug gekommen sei, und fügte mich in Geduld. So vergingen fünf Minuten und noch fünf; es wurde so dunkel, daß ich kaum noch zwanzig Schritte weit sehen konnte. Ich lauschte mit angestrengtem Gehör und nahm mir eben vor, mich der betreffenden Stelle mehr zu nähern, um nötigen Falles schneller bei der Hand sein zu können, da vernahm ich ein Geräusch oder einen Ton, wie wenn man mit einem Stocke auf einen Kürbis schlägt. Das war der Hieb, welchen der Yuma hatte bekommen sollen. Ich blieb stehen und horchte weiter. Ein röchelndes Stöhnen ließ sich hören; dann wiederholte sich das erste Geräusch.

Der Yuma hatte einen zweiten Kolbenschlag erhalten. Jetzt brauchte ich keine Sorge mehr um den Knaben zu haben und wartete, was er nun thun werde. Nach sehr kurzer Zeit hörte ich Schritte, und dann rief der Mimbrenjo mit halblauter Stimme meinen Namen. Er war bis auf wenige Schritte zu mir herangekommen; ich ging zu ihm und fragte:

»Nun, wie hat mein junger Bruder seine Aufgabe ausgeführt? Ist sie gelungen?«

»Ja. Der Yuma ging unter meinem Verstecke hin und her; da gab ich ihm einen Hieb, welcher ihn niederwarf. Er stöhnte und wollte sich erheben; da sprang ich herab und gab ihm einen zweiten Schlag, worauf er still wurde und liegen blieb. Dann band ich ihn mit meinem Lasso. Ob er noch lebt, oder ob ich ihn erschlagen habe, das weiß ich nicht.«

»Das wird sich gleich zeigen. Komm, laß uns sehen!«

Wir begaben uns an Ort und Stelle, wo ich den Yuma untersuchte. Er war bei voller Besinnung. Die Hiebe hatten ihn nur für einige Augenblicke betäubt, während welcher Zeit er gebunden worden war. Um Hilfe hatte er dann nicht gerufen, weil er nicht wußte, wie viele Gegner er vor sich hatte, und sich dagegen wohl sagte, daß er zu entfernt von seinen Kameraden liege, als daß dieselben sein Rufen hören könnten. Was er besaß, war natürlich Beute seines Besiegers, doch war die Beute eine sehr geringe. Seine Taschen befanden sich in dem Zustande vollständigster Leere, und bewaffnet war er nur mit einem Messer und einem Bogen mit Köcher, in welch letzterem sich drei oder vier schlechte Pfeile befanden. Ich hätte meinem kleinen Helden eine reichere Beute gegönnt, denn bei den Roten heißt es, je mehr Beute desto größer die Heldenthat.

Unsere Rekognoscierung hatte einen günstigen Verlauf genommen und ein ebenso günstiges Ergebnis gehabt. Wir mußten nun zurückkehren und den Gefangenen mitnehmen, da wir ihn nicht liegen lassen durften. Es war mit Sicherheit anzunehmen, daß er abgelöst würde, und bevor das geschah, mußten wir wieder hier sein, um seinen Nachfolger zu empfangen, von welchem leicht zu denken war, daß er beim Nichtantreffen seines Vorgängers Lärm schlagen werde. Ich fragte darum den Yuma: »Höre auf meine Stimme! Kennst du mich?«

»Old Shatterhand!« antwortete er im Tone des Schreckens. »Ja, ich kenne dich!«

»Wenn dir dein Leben lieb ist, so sprich nicht laut, und antworte mir auf meine Fragen die Wahrheit! Sind, seit ich fort bin, noch mehr Yumas zu euch gestoßen?«

»Nein.«

»Ist etwas Wichtiges passiert?«

»Nein.«

»Wann wirst du abgelöst?«

»Zweimal nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen.«

»Du wirst jetzt mit uns kommen. Damit du gehen kannst, werde ich dir die Füße freigeben. Machst du Miene, uns zu entlaufen, so steche ich dich auf der Stelle nieder!«

Ich löste ihm den Lasso von den Beinen, schnürte ihm die Arme an den Leib und band ihn dann mit mir zusammen, sodaß ich ihn sicher hatte. Dann gingen wir trotz der Dunkelheit viel schneller zurück, als wir am Tage hergekommen waren, weil wir da langsam hatten gehen müssen, um vorsichtig nach Indianern auszuschauen.

Als ich Winnetou gemeldet hatte, in welcher Weise die Yumas von uns gesehen worden waren, meinte er:

»Es wird ein Leichtes sein, sie zu ergreifen, nur dürfen wir die Gefangenen nicht mitnehmen, weil diese uns verraten könnten. Was meint mein Bruder Shatterhand, wie viele Mimbrenjos werden genügen, die Feinde so zu überfallen, daß kein einziger von ihnen entkommt?«

»Die Hälfte ist mehr als genug, doch ist es besser, einige mehr als weniger, da man immer mit Zufälligkeiten rechnen muß.«

»Und die andere Hälfte genügt, die Gefangenen hier zu bewachen?«

»Ja.«

»Wer soll diese befehligen?«

»Der ›starke Büffel‹, denn Winnetou und ich müssen bei dem Ueberfalle zugegen sein. Es ist sogar notwendig, daß wir beide die Yumas erst umschleichen, um zu erfahren, wie sie lagern oder sich aufgestellt haben. Das müssen wir beide selbst thun, weil es schwierig ist, da sie keine Feuer brennen haben.«

»Lieber möchte ich den ›starken Büffel‹ bei mir behalten, weil ich ihm nicht so wie früher zutraue, vorsichtig und bedachtsam zu sein. Seit dem Zweikampfe mit meinem Bruder Shatterhand ist er ein anderer Mann geworden. Sein Auge ist nur nach innen gerichtet und hat keine Aufmerksamkeit mehr für das, was um ihn vorgeht.«

»Das hindert nicht, ihm die Aufsicht über die Gefangenen zu übergeben. Er hat sich nicht um sie gekümmert, weil es nicht nötig war; nun aber wird er achtsam sein. Gerade der Zweikampf war eine Folge seines Hasses gegen die Yumas. Er glaubte, ich wolle sie oder zunächst ihren Häuptling entkommen lassen. Er will sie am Marterpfahle sterben lassen und wird gewiß keinen Fehler begehen, infolgedessen auch nur einer von ihnen zu entfliehen vermag. Ich werde mit ihm sprechen.«

Der »starke Büffel« hatte mein Gespräch mit Winnetou nicht gehört, weil er sich nicht nahe bei uns befand. Ich ging zu ihm und nahm seinen Sohn mit dem Gefangenen mit.

»Warum sitzt der Häuptling der Mimbrenjos nicht bei Winnetou?« fragte ich ihn. »Winnetou hat ihm Wichtiges mitzuteilen.«

»Was kann es Wichtigeres für mich geben, als mein Ruhm, welcher verloren ging!« antwortete er düster.

»Ist der Ruhm deiner Söhne für dich nicht ebenso wichtig, wie der deinige?«

»Sprichst du vom Yumatöter?«

»Nein, von dem jüngern Sohne.«

»Der hat weder Namen noch Ruhm; an ihn habe ich nicht zu denken.«

»Du irrst. Er wird ein berühmter Krieger werden. Er hat mir den Beweis geliefert.«

»Weil er mit dir gegangen ist? Zu sehen, ob die Yumas sich in der Schlucht befinden, das ist kein Heldenstück. Einen Feind ausspähen, das kann jeder Mimbrenjoknabe.«

»Aber einen Feind niederschlagen und gefangen nehmen, kann das auch jeder eurer Knaben? Der deinige hat es gethan. Hier vor dir steht der Yuma, welchen er gefangen hat.«

»Rede die Wahrheit! Du selbst hast ihn gefangen und dann meinem Knaben geschenkt, wie du demselben auch schon mein Leben geschenkt hast.«

»Nein. Er hat es gethan, er allein. Ich ging fort; er lauerte dem Yuma auf, schlug ihn nieder und band ihn mit dem Lasso. Als ich wiederkam, war alles geschehen, sodaß ich nichts mehr dabei zu thun hatte.«

Da ging dem Alten doch das Herz auf. Er erhob sich, legte seinem zweiten Sohne die Hand auf das Haupt und sprach:

»Du bist mein jüngerer Sohn, brauchst aber deinen älteren Bruder nicht um seinen Namen und seine Tapferkeit zu beneiden, denn Old Shatterhand ist bei uns und wird dir die Wege zeigen, auf denen du auch einen solchen Namen zu erlangen vermagst. Der Gefangene ist dein und wird am Marterpfahle von dir den Todesstreich erhalten.«

»Sorge dafür, daß sie alle auch wirklich an den Marterpfahl kommen,« bedeutete ich ihm. »Wir müssen die Gefangenen jetzt deiner Aufsicht übergeben, und lassen dazu die Hälfte deiner Krieger bei dir zurück.«

»Mit der andern Hälfte wollet ihr die andern Yumas fangen? Und ich soll hier bleiben und nicht mit euch gehen? Warum wollet ihr mich nicht mitnehmen?«

»Weil einer von uns dreien, du, Winnetou und ich, hier bleiben muß und wir wissen, daß deine Wachsamkeit größer als die unserige ist. Die Gefangenen gehören dir, also mußt du sie auch bewachen.«

»Mein weißer Bruder hat recht. Solange ich hier bin, wird es keinem der Hunde gelingen, uns zu entkommen. Ihr könnt ohne Sorge gehen.«

»Das thun wir auch. Halte dich bereit, uns nachzukommen, sobald wir dir einen Boten senden!«

Nun wurden diejenigen, welche uns begleiten sollten, bestimmt; dann stiegen wir zu Pferde und ritten, bis wir am Ausgange der Schlucht angekommen waren, wo wir abstiegen und die Pferde einigen Wächtern übergaben. Geritten waren wir, um schneller anzukommen, sonst wäre die Ablösung vor uns dagewesen, hätte den Posten vermißt und Lärm geschlagen. Die Ankunft der Ablösung mußte nun jeden Augenblick erfolgen. Da der Mann die Pferde vielleicht hören konnte, ging ich ihm mit Winnetou entgegen. Die Richtung wußte ich ja. Einige hundert Schritte von der Schlucht blieben wir stehen, um zu warten. Es dauerte kaum zwei Minuten, so hörten wir ihn kommen. Wir gingen auseinander, ich nach links, Winnetou nach rechts, und als der Yuma zwischen uns hindurch wollte, wurde er von beiden Seiten gepackt und in die Schlucht zu den Wächtern der Pferde geschafft.

Darauf ging ich mit Winnetou, die Yumas zu beschleichen. Sie hatten noch immer keine Feuer brennen; dennoch waren wir schon nach einer halben Stunde wieder zurück, um unsere Leute zu holen und ihnen ihre Anweisungen zu geben. Die Feinde hatten es uns leicht gemacht. Sie saßen alle in der ungefähren Mitte ihres jetzigen Weideplatzes beisammen, und nur vier von ihnen patrouillierten außerhalb des Platzes hin und her, um die Tiere zusammenzuhalten. Wenn es uns gelang, die vier ohne Lärm aufzuheben, so konnten wir die andern leicht umzingeln, so daß sie sich ohne Gegenwehr ergeben mußten. Im andern Falle aber waren wir gezwungen, auf sie zu schießen.

Glücklicherweise stellte sich heraus, daß dies nicht notwendig war. Die vier wurden unschwer überwältigt; einem von ihnen teilte ich alles mit, was geschehen war und schickte ihn, als wir die andern umzingelt hatten, zu diesen, um ihnen den Stand der Dinge klar zu machen und ihnen zu sagen, daß wir nur zehn Minuten auf ihren Entschluß, sich zu ergeben, warten, im Weigerungsfalle aber dann auf sie schießen würden. Sie waren so klug oder auch so feig, die zehn Minuten gar nicht verstreichen zu lassen, bevor sie sich uns auslieferten.

Nun wurden zunächst einige Feuer angebrannt und die Pferde herbeigeholt; dann schickten wir dem »starken Büffel« einen Boten, um ihm sagen zu lassen, daß er mit seinen andern Mimbrenjos und den Gefangenen kommen solle. Als dies geschehen war, entwickelte sich ein sehr reges Lagerleben. Wir betrachteten das geraubte Vieh als Eigentum des Haziendero, nahmen uns aber dennoch die Freiheit, einige Stücke davon zu schlachten, um Fleisch zu haben. Das kleine Opfer konnten wir verlangen, da wir gesonnen waren, ihm den Raub zurückzubringen. Zwischen mir und Winnetou wurde beschlossen, gleich morgen mit den Herden nach der Hazienda aufzubrechen. Als wir dies dem Häuptlinge der Mimbrenjos sagten, fragte er:

»Was soll indessen mit den Gefangenen geschehen?«

»Sie sind dein. Mache mit ihnen, was du willst,« antwortete Winnetou.

»So werde ich sie sofort nach den Weideplätzen meines Stammes bringen, wo wir über sie Gericht halten werden.«

»Dazu brauchst du Leute; ich aber kann doch mit Old Shatterhand die Herden nicht allein nach der Hazienda treiben!«

»Ich werde euch fünfzig Männer mitgeben, welche euch helfen.«

Das hatten wir erwartet und nahmen das Anerbieten natürlich augenblicklich an. Für mich galt es nun, mit dem »großen Munde« zu sprechen, um das Nötige über den Mormonen und seine Absichten zu erfahren. Ich war freilich überzeugt, daß er sich hüten werde, mir die Wahrheit zu sagen, hoffte aber, indirekt wenigstens soviel zu erfahren, daß ich das übrige durch Schlüsse zu ergänzen vermochte. Ich brauchte das Gespräch mit ihm gar nicht zu beginnen, ihm gar nicht merken zu lassen, wieviel mir an der Sache lag; ich war vielmehr überzeugt, von ihm angeredet zu werden, sobald er mich in seiner Nähe sehen würde. Darum gab ich mir den Anschein, die Fesseln der Gefangenen untersuchen zu wollen, und kam dabei auch zu ihm.

Als ich seine Riemen betastete, fragte er in zornigem Tone, doch so, daß nur ich es hörte:

»Warum hast du meine Krieger überfallen?«

»Weil sie unsere Feinde sind.«

»Aber warum thust du es, da du doch dein Versprechen halten und sie wieder freigeben mußt?«

»Ich mußte ihnen doch die geraubten Tiere abnehmen, da ich sie dem Haziendero zurückbringen will.«

»Dem Don Timoteo Pruchillo?«

»Ja.«

»Der ist ja gar nicht mehr Haziendero!« lachte er.

»Wer denn?«

»Das Bleichgesicht, welches ihr Melton nennt.«

»Melton? Wie kommt der dazu, Haziendero zu sein?«

»Er hat die Hazienda dem Don Timoteo abgekauft. Willst du etwa ihm die Tiere bringen?«

»Fällt mir nicht ein! Ich schaffe sie zu Timoteo Pruchillo.«

»Den findest du nicht. Er ist aus dem Lande hinaus.«

»Woher weißt du das?«

»Von Melton, der es so mit Weller beschlossen hatte.«

»Also befindet sich Melton jetzt als Besitzer auf der Hazienda?«

»Nein.«

»Wo ist er denn?«

»Auf – in – –«

Er hielt stockend inne; er hatte mir eine Antwort geben wollen, sich aber anders besonnen, und als ich meine Frage wiederholte, äußerte er:

»Ich weiß es nicht.«

»Soeben wolltest du es mir doch sagen! Dann sage mir, was aus den weißen Einwanderern geworden ist!«

»Sie müssen – – sie sind – – sie befinden sich – –«

Er stockte wieder.

»So rede doch!« forderte ich ihn auf.

»Ich weiß auch dieses nicht.«

»Aber ich hörte es dir an, daß du es weißt!«

»Ich kann es unmöglich wissen. Alle die Männer und Leute, von denen du redest, waren meine Gefangenen. Du weißt, daß ich sie freigelassen habe. Wie kann ich wissen, was sie dann gethan haben und wo sie sich befinden!«

»Du mußt es wissen, denn du hast die Pläne Meltons kennen gelernt. Er hat dich aufgefordert, die Hazienda zu überfallen.«

»Wer hat dir diese Lüge gesagt?«

»Es ist keine Lüge, sondern die Wahrheit. Als Melton mit den Einwanderern unterwegs war, hast du ihn mit Weller aufgesucht und das Nötige verabredet.«

»Auch das ist eine Lüge!«

»Leugne nicht! Ich selbst habe euch beobachtet.«

»So haben deine Augen dich getäuscht.«

»Meine Augen täuschen mich nie. Dein Leugnen bringt dir keinen Nutzen. Ich will und muß unbedingt wissen, was nach dem Ueberfalle und der Einäscherung der Hazienda mit den Einwanderern geschehen ist.«

»Und ich kann es dir nicht sagen, da ich es selbst nicht weiß.«

»Du weißt es. Du hast versprochen, mir Auskunft zu erteilen.«

»Und du hast versprochen, uns frei zu lassen; anstatt aber dieses Versprechen zu erfüllen, nimmst du immer mehr von uns gefangen!«

»Ich werde es erfüllen, wenn du das deinige hältst.«

»Ich habe es gehalten und dir alles gesagt, was ich weiß.«

»Es ist nicht wahr, doch streiten wir uns nicht! Wir wären quitt gewesen, wenn jeder sein Wort gehalten hätte; nun sind wir ebenso quitt, weil keiner es gehalten hat. Ich bin heute die letzte Nacht bei euch. Morgen früh trenne ich mich von dem ›starken Büffel‹, welcher euch nach seinen Weideplätzen transportieren wird, wo ihr den Martertod sterben werdet.«

Ich that so, als ob ich gehen wolle. Das half. Morgen fort von hier! Er hoffte, durch mich frei zu werden! Und ich war nur noch heute abend da! Von dem »starken Büffel« hatte er keine Gnade zu erwarten.

»Warte noch!« rief er, als ich mich schon einige Schritte entfernt hatte.

»Nun?« fragte ich, mich ihm wieder zuwendend.

»Wirst du uns wirklich freilassen, wenn ich dir alles sage?«

»Ja. Aber du weißt ja nichts!«

»Ich weiß es. Melton hat mir geboten, zu schweigen.«

»So öffne endlich den Mund. Was ist mit den Einwanderern geschehen?«

»Halt erst du dein Wort! Weißt du, was ich dir, als du uns gefangen nahmst, gesagt habe? Daß ich dir deine Fragen nur als freier Mann beantworten werde.«

»Und ich meinesteils habe dir mitgeteilt, daß ich dir die Freiheit nicht eher gebe, als bis du meine Fragen beantwortet hast.«

»Ich bleibe bei meiner Entscheidung, und so mußt du dich anders besinnen.«

»Auch ich werde meinen Entschluß nicht ändern, und so bleibt es bei dem, was ich gesagt habe: Der ›starke Büffel‹ wird euch morgen fortschaffen.«

Ich wendete mich abermals zum Gehen. Dieses Mal ließ er mich weiter fort; dann rief er mir nach:

»Old Shatterhand mag noch einmal herkommen!«

Ich ging hin und bedeutete ihm in entschlossenem Tone:

»Ich sage jetzt mein letztes Wort: Erst mußt du reden, dann lasse ich dich frei; das Umgekehrte geschieht auf keinen Fall. Jetzt entscheide dich kurz! Willst du sprechen?«

»Ja, ich hoffe aber, daß du dann auch sogleich dein Wort hältst!«

»Was ich sage, das gilt. Also, hat Melton dich zum Ueberfalle der Hazienda aufgefordert?«

»Nein.«

»Haben die beiden Bleichgesichter, welche Weller heißen, mit Melton im Einverständnis gestanden?«

»Nein.«

»Aber Melton hat die Hazienda gekauft?«

»Ja.«

»Welche Absicht verfolgt er mit den Einwanderern?«

Er zögerte eine längere Weile, als ob er sich eine Ausrede aussinnen oder den nötigen Mut schöpfen wolle, eine schon ausgesonnene Lüge auszusprechen, und erst als ich meine Frage wiederholte, antwortete er:

»Er will sie verkaufen.«

»Verkaufen? Was? Menschen verkaufen! Das ist ja gar nicht möglich!«

»Es ist möglich. Das mußt du sogar noch besser wissen, als ich es weiß, denn du bist ein Bleichgesicht, und nur Bleichgesichter kaufen und verkaufen Menschen. Oder willst du leugnen, daß die schwarzen Leute auch Menschen sind? Hat man nicht mit ihnen als Sklaven Handel getrieben?«

»Hier ist von Schwarzen keine Rede. Ich spreche von Bleichgesichtern, welche man nicht als Sklaven kauft.«

»Und doch werden sie gekauft! Ich habe gehört, daß es Kapitäne giebt, welche so böse Menschen sind, daß sie keine Matrosen bekommen. Wenn nun so ein böser Kapitän Matrosen braucht, so stiehlt oder kauft er welche.«

»Ah! Hm! Willst du etwa sagen, daß die weißen Einwanderer an einen solchen Kapitän verkauft worden sind?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von Melton. Die Auswanderer gehören ihm; er kann also mit ihnen machen, was ihm gefällt. Er hat sie aus ihrem Lande geholt und dort sehr viel Geld für sie bezahlt.«

»Das ist nicht sein Geld, sondern dasjenige des Haziendero gewesen.«

»So hat er diesem die Hazienda und mit ihr die Weißen abgekauft. Er hat das Geld wieder haben wollen, und da sie es ihm nicht geben konnten, hat er sie an den Häuptling eines Schiffes verkauft.«

»Woher weißt du das?«

»Von ihm selbst. Ehe ich ihm die Freiheit wiedergab, sagte er mir, daß er sie verkaufen werde.«

»Wo befand sich denn der Häuptling des Schiffes?«

»In Lobos. Jetzt habe ich dir alles gesagt, was ich weiß; dein Wunsch ist erfüllt, und ich verlange, daß du auch den meinigen erfüllst.«

»Verlangst du das wirklich? Du bist ein kluger, ein sehr kluger Mann; aber du hast nicht in Betracht gezogen, daß es Leute giebt, welche noch viel klüger sind.«

»Was meinst du mit diesen Worten? Ich verstehe sie nicht.«

»Wer einen, der klüger ist als er selbst, mit Lügen täuschen will, muß sehr vorsichtig sein und sich jedes Wort vorher reiflich überlegen. Das magst du dir merken! Wer dies nicht thut, der wird durchschaut und betrügt nicht etwa den andern, sondern sich selbst. Die Geschichte, welche du mir erzählt hast, ist eine Lüge vom Anfang bis zum Ende. Der Häuptling des Schiffes existiert nur in deinem Kopfe. Uebrigens mußt du wissen, daß kein Schiffshäuptling Frauen und Kinder als Matrosen kauft.«

»Du glaubst mir also nicht? Dann ist es schade um jedes Wort, welches ich gesprochen habe. Was ich dir sagte, habe ich von Melton selbst erfahren. Mein Versprechen ist also erfüllt, und nun wirst du das deinige halten!«

»Allerdings. Ich habe dir mein Wort gegeben, dich zu befreien, wenn du mir die Wahrheit sagst; ich halte also mein Versprechen, mein Wort, wenn ich dich nicht befreie, weil du mich belogen hast.«

»Wie? Du willst mir nicht helfen, mich nicht befreien?«

»Nein.«

Hätte er gekonnt, er wäre vor Wut aufgesprungen, so aber richtete er sich trotz seiner Fesseln nur in sitzende Stellung auf und zischte mich an:

»Du nennst mich einen Lügner, bist aber selbst der größte, der schändlichste, den es giebt! Hätte ich meine Hände frei, so erwürgte ich dich!«

»Ich glaube sehr gern, daß du wenigstens den Versuch machen würdest, doch nicht weil ich Lügen sage, sondern weil ich nicht dumm genug bin, den deinigen Glauben zu schenken. Ein Kerl wie du bist, kann mich nicht betrügen!«

»Du selbst bist ein Betrüger, ein – –«

»Schweig!« unterbrach ich ihn: »Ich habe mit dir nichts mehr zu reden. Nur das eine will ich dir noch sagen, daß du doch nicht verschwiegen gewesen bist, allerdings ganz gegen deinen Willen. Ich weiß, woran ich bin; du aber wirst morgen als Gefangener mit dem ›starken Büffel‹ ziehen müssen.«

»Du weißt nichts, gar nichts, und wirst auch nie etwas erfahren!« lachte er höhnisch-grimmig auf.

Ich ging, blieb aber in einiger Entfernung steheni denn ich hatte, während ich mit dem ›großen Munde‹ sprach, hinter dem Strauche, an welchem ich lag, eine Bewegung bemerkt. Es steckte jemand dahinter; ich vermutete, wer es war, und als ich nach dem Platze schaute, an welchem der ›starke Büffel‹ gesessen hatte, sah ich ihn nicht mehr dort. Als ich nun den Strauch scharf in das Auge nahm, bemerkte ich eine Gestalt, welche sich in tiefgebückter Haltung von demselben zurückzog. Hätte ich mir auf die Schärfe meiner Augen etwas einbilden wollen, so wäre ich gleich darauf überführt worden, daß es noch viel schärfere gab, denn als ich mich dann neben Winnetou, der entfernt saß, niedersetzte, sagte er, indem ein halbes Lächeln um seine Lippen zuckte:

»Mein weißer Bruder hat mit dem ›großen Munde‹ gesprochen. Sah er den Busch, an welchem dieser Häuptling der Yumas lag?«

»Ja.«

»Und auch den, der dahinter steckte!«

»Ja.«

»Der ›starke Büffel‹ ist noch immer von Mißtrauen erfüllt gewesen, wird aber nun eingesehen haben, daß er unrecht hatte.«

So scharf dachte Winnetou. Er hatte nur gesehen, daß ich mit dem Yuma sprach, aber kein einziges Wort gehört, und dennoch wußte er genau, daß es zwischen mir und dem ›großen Munde‹ zur Entscheidung gekommen war. Wir kannten eben einander und liebten einander so, daß sich der eine in die Seele des andern hineinzudenken vermochte.

Eben kam der starke Büffel zwischen den einzelnen Gruppen seiner Leute daher; er schien an uns beiden vorüber zu wollen, Winnetou aber forderte ihn auf:

»Mein roter Bruder mag sich zu uns setzen. Wir haben Wichtiges mit ihm zu besprechen.«

»Ich bin bereit, dieses Wichtige zu hören,« antwortete der Mimbrenjo, indem er der Aufforderung Folge leistete.

»Mein weißer Bruder Shatterhand,« fuhr Winnetou fort, »hat von dem ›großen Munde‹ Dinge erfahren, welche wir sofort beraten müssen.«

Auch diese Worte waren ein Beweis von der scharfen Logik des Apatschen. In freundlicher Ironie aber that er nun die folgende Frage:

»Der ›starke Büffel‹ war nicht auf seinem Platze zu sehen. Er war wohl gegangen, nachzuschauen, ob irgendwo ein Busch zu finden sei?«

»Ich verstehe den Häuptling der Apatschen nicht,« meinte der Mimbrenjo in sichtlicher Verlegenheit.

»Wo man sich verbergen kann, um zu hören, was Old Shatterhand mit dem ›großen Munde‹ zu reden hat?«

»Uff! So hat Winnetou mich gesehen?«

»Ich sah den ›starken Büffel‹ erst hin- und dann wieder herkriechen. Er wird nun wissen, daß er meinen weißen Bruder unschuldig beleidigt hat. Old Shatterhand ist kein Verräter, sondern ein ehrlicher Mann. Wer einem andern unrecht gethan hat und dies einsieht, ist, wenn er es verschweigt, kein guter Mensch!«

Die indirekte Aufforderung, welche in dieser letzteren Bemerkung lag, erhöhte die Verlegenheit des Mimbrenjo. Er kämpfte eine kleine Weile mit seinem Stolze, dann gewannen die freundschaftlichen Gefühle, welche er für mich hegte, die Oberhand, und er gestand:

»Ja, ich habe meinem guten Bruder Old Shatterhand ein schweres Unrecht zugefügt. Ich nannte ihn einen Verräter. Das ist die schlimmste Beleidigung, welche man einem gewöhnlichen Krieger zufügen kann; wie soll ich sie aber erst nennen, wenn sie gegen Old Shatterhand gerichtet wird! Sie kann mir ganz unmöglich vergeben werden!«

»Ich verzeihe dir,« beruhigte ich ihn. »Du hast einen zornmütigen Kopf, aber ein gutes Herz. Wenn du dein Unrecht eingestehst, kann ich es dir nicht länger anrechnen.«

»Ja, ich gestehe es ein und werde das allen laut sagen, welche die Beleidigung mit angehört haben. Ich werde nie wieder an dir zweifeln!«

»Das hoffe ich nicht nur um unserer Freundschaft willen, sondern ganz besonders auch deinetwegen. Es ist nun vorüber; sprechen wir nicht mehr davon!«

»Ja, schweigen wir darüber; es wird nicht wieder geschehen. Du bist gerechtfertigt, obgleich ich vieles von dem, was zwischen dir und dem Yuma gesprochen wurde, nicht verstanden habe.«

»Davon bin ich überzeugt. Verstanden hätte ich nur von jemand werden können, welcher meine eigenen Gedanken gehabt hätte, und die besaß doch nur ich allein.«

»Du hast die Erzählung von dem Häuptling des Schiffes nicht geglaubt?«

»Nein.«

»So sind die weißen Einwanderer nicht verkauft worden?«

»Nein, wenigstens nicht in dem Sinne, in welchem der Yuma es meinte. Nicht verkauft, aber betrogen, schändlich betrogen sind sie worden von Melton und den beiden Wellers.«

Da Winnetou nur ahnte, aber nichts Positives wußte, teilte ich ihm mein Gespräch mit. Er hörte aufmerksam zu, fiel darauf in ein kurzes, nachdenkliches Schweigen und fragte dann:

»Wer hat die Fremden kommen lassen, der Haziendero oder Melton?«

»Der erstere.«

»Er ist es also auch, der für sie bezahlt hat?«

»Ja.«

»Denkst du, daß er es ehrlich mit ihnen gemeint hat?«

»Ich bin überzeugt davon. Er ist selbst betrogen worden.«

»Melton hat ihm die Hazienda abgekauft?«

»Das möchte ich jetzt annehmen. Er hat sie aber vorher überfallen, ausrauben und niederbrennen lassen, um billig in ihren Besitz zu kommen.«

»Hat er die Auswanderer auch mitgekauft?«

»Ich denke es, denn es gab in ihrem Kontrakte einen Satz, welcher besagte, daß sie auch dem Nachfolger des Haziendero verbindlich seien. Und das ist es, was mich für sie mit großer Besorgnis erfüllt. Wenn Melton ihr Herr geworden ist, so ist es um ihr Wohlsein möglichst schlimm bestellt.«

»Eines vermag ich nicht zu durchschauen. Er hat die Hazienda verwüsten lassen, um sie wertlos zu machen, und sie dann doch gekauft. Sie muß also trotz der Verwüstung einen Wert besitzen, nämlich für ihn, aber nicht für den Haziendero.«

»Das ist unbedingt richtig; aber auch ich sehe in diesem Punkte nicht klar. Nachdem alles verbrannt und vernichtet ist, kann er auf Jahre hinaus weder Ackerbau noch Viehzucht treiben; es muß also eine andere Art der Benutzung sein, welche er im Sinne hat, eine Benutzung, zu welcher er die Auswanderer zwingen will. Ich bin überzeugt, daß sein Plan schon fertig war, als er den Haziendero überredete, fremde Arbeiter kommen zu lassen. Es handelt sich auf jeden Fall um eine Büberei, gegen welche ich die Fremden, welche Kinder meines Vaterlandes sind, in Schutz nehmen möchte.«

»Old Shatterhand ist mein Bruder, folglich sind auch sie meine Brüder. Winnetou wird ihnen seinen Kopf und seinen Arm anbieten.«

»Ich danke dir! Deine Hilfe ist mehr wert, als die vieler Krieger. Es liegt Gefahr im Verzuge. Wir dürfen nicht weilen, dürfen aber ja nicht mit den Herden reisen, welche wir dem Haziendero zurückbringen wollen. Mit ihnen würden wir über vier Tage brauchen, um die Hazienda zu erreichen.«

»Nein; wir reiten allein. Was wird der ›starke Büffeh thun? Wird er uns begleiten?«

»Ich würde mit euch reiten,« antwortete der Gefragte; »aber meine Brüder werden einsehen, daß es besser ist, wenn ich bei den gefangenen Yumas bleibe. Meine Krieger bedürfen doppelt nötig eines Anführers, da ich sie teilen muß. Die Gefangenen müssen fortgeschafft werden, und es gilt, die Herden nach der Hazienda zu bringen. Fünfzig meiner Leute werden genügen, letzteres zu thun, ich gebe ihnen einen erfahrenen Krieger als Anführer mit. Wenn sie auf der Hazienda angekommen sind und ihr habt ihrer nötig, so haben sie euch sowie mir zu gehorchen. Mit den andern schaffe ich die Yumas fort. Je weiter ich sie von der Hazienda entferne, desto weniger braucht ihr besorgt zu sein, daß sie mir vielleicht entfliehen und zurückkehren, um das Vieh wieder zu holen und euch Schaden zu bereiten.«

Das war höchst verständig gesprochen. Er hatte recht. Und außerdem war mir an der Begleitung des jähzornigen Alten nicht sehr viel gelegen. Ich hegte die Ueberzeugung, daß ich mit Winnetou weit leichter und eher ans Ziel kommen würde, als mit diesem so leicht erregbaren Manne. Darum stimmte ich ihm sofort bei, und auch der Apatsche meinte:

»Mein roter Bruder hat sehr gute Worte gesprochen. Vielleicht bedürfen wir der fünfzig Krieger, wenn sie die Herden abgeliefert haben. Vielleicht auch müssen wir, wenn wir ihnen voraus sind, ihnen eine Nachricht geben. Dazu müssen wir noch einen Krieger haben, welcher uns beide begleitet und als Bote dienen kann.«

Und ich fügte bei:

»Da werde ich doch lieber den ›starken Büffel‹ bitten, uns seine beiden Söhne mitzugeben. Sie sind klug und tapfer und haben mir bewiesen, daß sie zu Botendiensten sehr geeignet sind. Ist dies meinem Freunde Winnetou recht?«

»Was Old Shatterhand sagt, soll geschehen,« antwortete der Gefragte.

Auch der Mimbrenjo erklärte sich einverstanden. Er war sogar stolz darauf, daß seinen Söhnen, trotz ihrer Jugend, eine solche Auszeichnung zu teil wurde, und versprach, für sie die zwei schnellsten und ausdauerndsten seiner Pferde auszusuchen. Das war uns natürlich lieb, da die Jünglinge sonst wohl kaum fähig gewesen wären, mit uns, das heißt, ihre Pferde mit den unserigen, Schritt zu halten.

Nachdem noch einige Einzelheiten besprochen worden waren, legten wir uns schlafen, um frühzeitig munter zu sein. Kaum graute der Morgen, so versahen wir uns mit Proviant, da wir nicht wußten, ob wir in der ausgeraubten Hazienda etwas finden würden, und stiegen zu Pferde. Die Mimbrenjos grüßten uns zum Abschiede mit aufrichtiger Herzlichkeit. Ihrem Häuptlinge mußten wir versprechen, ihn nach ausgeführtem Plane aufzusuchen, im Falle aber, daß wir vorher seiner Hilfe bedürfen sollten, uns an niemand wie an ihn zu wenden. Die gefangenen Yumas aber sahen uns mit finsteren Blicken ziehen. Ihr Anführer, der »große Mund« rief uns nach:

»Da reiten die Verräter und dreifachen Lügner. Wäre ich nicht gefangen, ich würde sie wie schmutziges Wasser ausschütten!«

Ja, er war gefangen, und es stand nicht zu erwarten, daß er wieder freikommen werde; dennoch sollten wir diesen gefährlichen Menschen sehr bald wiedersehen! – –


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