Karl May
Der Oelprinz
Karl May

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Am Petroleumsee

Wenn das Kriegsbeil zwischen zwei Indianerstämmen ausgegraben ist, was so viel heißt, daß nun auf Tod und Leben zwischen ihnen gekämpft werden soll, dann werden zunächst und vor allen Dingen von beiden Seiten Kundschafter ausgeschickt, welche zu erfahren suchen, wo der feindliche Stamm sich gegenwärtig befindet und wie viele erwachsene Krieger er zu stellen vermag. Den jetzigen Aufenthalt zu erkunden, ist deshalb schon notwendig, weil die sogenannten »wilden« Stämme gar nicht seßhaft sind, sondern, stets umherstreifend, ihren Aufenthaltsort, allerdings innerhalb gewisser Grenzen, je nach ihren Bedürfnissen und Absichten immerwährend verändern.

Damit ist die Aufgabe der Kundschafter aber noch nicht erfüllt; sie müssen, und das ist das Schwierigere, auch zu erforschen suchen, in welcher Weise der Feind den Krieg zu führen beabsichtigt, ob er gut verproviantiert ist, wenn er aufbricht, welchen Weg er einzuschlagen und an welchem Orte er auf den Gegner zu treffen gedenkt. Dazu gehören erfahrene Männer, welche neben der unbedingt notwendigen Tapferkeit auch die nötige Umsicht, Vorsicht und List besitzen.

In Fällen, welche von keiner großen Bedeutung sind und dabei weniger Gefahr bieten, bedient man sich als Kundschafter jüngerer Krieger, damit dieselben Gelegenheit finden, ihren Mut und ihre Geschicklichkeit zu zeigen und sich einen Namen zu machen. Handelt es sich aber um mehr als das, so werden ältere, bewährte Männer auserwählt; ja, es kann sogar vorkommen, daß der Häuptling selbst auf Kundschaft geht, wenn er die Angelegenheit für dem entsprechend wichtig hält.

Da, wie ganz selbstverständlich, von beiden Seiten Späher ausgesandt werden, so kommt es vor, daß dieselben aufeinander treffen. Dann heißt es, alles aufzubieten, was Verschlagenheit und Kühnheit vermögen, um die feindlichen Kundschafter unschädlich zu machen, also sie zu töten. Wenn das gelingt, so bleibt der Gegner ohne Nachricht, wird also durch den Angriff überrascht und mit größerer Leichtigkeit besiegt.

Es läßt sich da leicht denken, daß bei einem solchen Zusammentreffen der beiderseitigen Späher oft weit mehr List, Gewandtheit und Verwegenheit aufgeboten wird, als bei dem späteren eigentlichen Kampfe. Es geschehen dabei Thaten, deren Erzählung noch später, nach langen Jahren, von Mund zu Munde geht.

Wie schon mehrfach erwähnt, waren gerade in gegenwärtiger Zeit zwischen einigen Stämmen sehr ernste Feindseligkeiten ausgebrochen, nämlich zwischen den Nijoras und den damals nördlich von ihnen hausenden Navajoindianern. Der Chellyarm des Rio Colorado bildete die Grenze zwischen diesen beiden Stämmen. Die Gegend, welche er durchfließt, war also das sehr gefährliche Gebiet, in welchem die Gegner voraussichtlich aufeinander treffen würden, und das also vorher von den Kundschaftern durchspäht werden mußte.

Die Gefährlichkeit dieser Gegend betraf nicht etwa nur die Indianer, sondern auch die Weißen, denn die Erfahrung lehrt, daß, sobald Rote gegeneinander kämpfen, die Bleichgesichter von beiden Seiten als Feinde betrachtet werden. Sie befinden sich dann, um ein Bild zu gebrauchen, wie zwischen den Klingen einer Schere, welche in jedem Augenblicke sich zusammenziehen können.

Das Gloomy-water, nach welchem der Ölprinz wollte, lag am Chellyflusse. Grinley kannte die Gefahr, welche jeden Weißen, der gerade jetzt dorthin wollte, erwartete, glaubte aber, den Ritt doch riskieren zu können, weil er bisher von Angehörigen beider Stämme nie feindlich behandelt worden war. Vielleicht hätte er trotzdem davon abgesehen, wenn er nicht durch die Zeit und die Verhältnisse dazu gedrängt worden wäre. Wenn er seinen Zweck erreichen wollte, mußte er sich beeilen; er durfte den Bankier weder zur Besinnung kommen, noch irgend welchen Umstand eintreten lassen, durch den dieser etwa gewarnt werden konnte.

Was Rollins und seinen Buchhalter betrifft, so hatten diese zwar gehört, daß ein Bruch zwischen den Nijoras und Navajos stattgefunden habe, besaßen aber nicht die nötigen Erfahrungen und Kenntnisse, um zu wissen, was auch ihnen dadurch drohte. Und der Ölprinz hütete sich gar wohl, sie darüber aufzuklären.

Die fünf Männer befanden sich vielleicht noch einen Tagesritt vom Chelly entfernt, als sie, über eine offene, grasige Prairie reitend, welche zuweilen durch Buschwerk unterbrochen wurde, sich plötzlich einem Reiter gegenüber sahen, den sie nicht eher hatten bemerken können, weil sich ein solches Gesträuch zwischen ihm und ihnen befunden hatte. Er war ein Weißer, hatte ein Felleisen hinter sich aufgeschnallt und ritt einen kräftigen indianischen Pony, welchem man es aber ansah, daß er tüchtig angestrengt worden war. Beide Teile blieben überrascht voreinander halten.

»Hallo!« rief der Fremde. »Das hätten Rote sein sollen!«

»Dann wäre es um Euern Skalp geschehen gewesen,« antwortete der Ölprinz, wobei er ein erzwungenes Lachen hören ließ, um seine eigene Verlegenheit zu verbergen, denn auch er war über dieses so unerwartete Zusammentreffen erschrocken.

»Oder um die eurigen,« entgegnete der andre. »Bin nicht der Mann, der sich seine Kopfhaut so leicht über die Ohren ziehen läßt.«

»Auch nicht, wenn fünf gegen einen stehen?«

»Auch dann nicht, wenn es Rote sind. Habe noch mehr gegen mich gehabt und meinen Skalp dennoch behalten.«

»So möchte man Respekt vor Euch haben, Sir. Darf man vielleicht wissen, wer Ihr seid?«

»Warum nicht? Brauche mich nicht zu schämen, es zu sagen.« Und auf das Felleisen hinter sich deutend, erklärte er: »Wundere mich eigentlich über Eure Frage. Ihr scheint keine rechten Westleute zu sein. Müßtet es doch diesem Dinge da ansehen, daß ich Kurier bin.«

Er war also einer jener kühnen Männer, welche, ihr Felleisen mit Briefen und ähnlichen Dingen gefüllt, auf ihren schnellen Pferden furchtlos über die Prairien und Felsenberge ritten. Jetzt freilich trifft man keinen solchen Kurier mehr an.

»Ob wir Westmänner sind oder nicht, geht Euch nichts an,« gab ihm der Ölprinz zurück. »Euer Felleisen habe ich freilich gesehen, aber ich weiß, daß durch diese Gegend hier noch niemals ein Kurier gekommen ist. Diese Leute pflegen sich doch stets auf der Albuquerque-San Franciscostraße zu halten. Warum seid Ihr von dieser abgewichen?«

Der Mann richtete seine klugen Augen halb verächtlich auf den Fragesteller und antwortete:

»Bin eigentlich nicht verpflichtet, Euch Auskunft zu geben, und habe auch keine Lust, es zu thun, aber da ich sehe, daß Ihr im Begriffe steht, ganz ahnungslos in Euer Verderben zu rennen, sollt Ihr erfahren, daß ich wegen der Navajos und Nijoras von meiner Richtung abgewichen bin. Sie hätte mich gerade durch die Gegend geführt, die ein kluger Mann jetzt am liebsten den Roten überläßt, nämlich durch das Gebiet am Chellyflusse. Wißt Ihr denn nicht, wer sich gerade jetzt dort in den Haaren liegt?«

»Meint Ihr vielleicht der einzige Kluge zu sein, den es hier im Westen gibt?«

Der Ölprinz hätte wohl besser gethan, höflich zu sein, aber der Schreck über die plötzliche Begegnung hatte ihn zornig gemacht, und diesem einzelnen Manne gegenüber hielt er es nicht für nötig, das ihm eigene rücksichtslose Wesen zu verleugnen. Der Kurier blickte prüfend von einem zum andern, ohne die Grobheit, welche er anzuhören bekam, in gleicher Weise zu beantworten, nickte dann leise vor sich hin und sagte, indem er auf den Bankier und den Buchhalter deutete, in ruhigem Tone:

»Ich möchte behaupten, daß wenigstens diese beiden Männer noch nicht viel Blut haben fließen sehen. Wenn Ihr so sehr klug seid, daß Ihr keines Rates bedürft, so will ich wenigstens sie auffordern, vorsichtig zu sein. Vielleicht wissen sie gar nicht, was sie thun und wagen. Es steckt doch kein vernünftiger Mensch den Kopf in eine Presse, welche soeben zugeschraubt werden soll!«

Diese ernsten Worte hatten den Erfolg, daß der Bankier sich erkundigte:

»Was wollt Ihr sagen, Sir? Welche Presse meint Ihr?«

»Die, welche sich da hinter mir am Chelly befindet. Ihr scheint schnurstracks in dieselbe hineinreiten zu wollen. Kehrt um, Mesch'schurs, sonst geratet ihr zwischen die Skalpmesser der beiden Stämme, die einander abschlachten wollen, und was da von euch übrig bleiben wird, das können die Geier und Prairiewölfe fressen. Hört auf mich; ich meine es gut mit euch!«

Ein Blick in sein offenes Gesicht, in seine ehrlichen Augen genügte zu der Überzeugung, daß er die Wahrheit redete. Darum fragte Rollins:

»Meint Ihr wirklich, daß die Gefahr so groß ist?«

»Ja, das meine ich. Habe heut früh Spuren gesehen, welche mir zeigten, daß sich die Kundschafter schon gegenseitig beschleichen. Das ist stets etwas, was sich jeder kluge Mann zur Warnung dienen läßt. Müßt ihr denn unbedingt und gerade jetzt nach dieser Gegend? Könnt ihr diesen unvorsichtigen Ritt nicht aufschieben bis auf bessere, friedlichere Zeiten?«

»Hm, das könnten wir thun. Wenn Ihr behauptet, daß die Gefahr so groß ist, so halte ich es allerdings für besser –«

»Nichts da!« fiel ihm der Ölprinz in die Rede. »Kennt Ihr diesen Mann hier? Wollt Ihr ihm mehr glauben und vertrauen als uns? Wenn er sich vor einer Spur im Grase fürchtet, so ist das seine Sache, aber nicht die unsrige.«

»Aber Kuriere pflegen erfahrene Leute zu sein; er scheint die Wahrheit zu sprechen, und wenn es sich ums Leben, also um alles handelt, so ist es nicht geraten, tollkühn zu sein. Ob unser Geschäft heut oder einige Tage später zu stande kommt, das macht wohl keinen Unterschied.«

»Es macht einen! Ich habe gar keine Lust, mich ewig hier herumzudrücken, Sir.«

»Ah, es handelt sich um ein Geschäft!« lächelte der Kurier.

»Well, da gehöre ich nicht dazu. Habe meine Pflicht gethan und euch gewarnt; mehr kann man nicht von mir verlangen.«

Bei diesen Worten ergriff er die Zügel, um seinen Pony wieder in Bewegung zu setzen.

»Wir verlangen gar nicht mehr,« fuhr ihn der Ölprinz an. »Wir haben überhaupt gar nichts von Euch verlangt, und Ihr konntet also Eure Meinung recht gut für Euch behalten. Macht Euch fort von uns!«

Der Kurier ließ sich auch durch dieses Verhalten nicht aus der Fassung bringen, sondern antwortete im Tone eines Lehrers, der seinem Schüler eine Ermahnung gibt:

»So ein Grobian wie Ihr ist mir noch nicht vorgekommen; es reiten doch recht verschiedene Menschen im Westen hin und her!«

Und sich an den Bankier wendend, fuhr er fort:

»Ehe ich dem Befehle dieses großmächtigen Gentleman Gehorsam leiste und mich ›fort von Euch mache‹, muß ich Euch noch eins sagen, nämlich: Wenn es sich in dieser Gegend um ein Geschäft handelt, so ist es allemal ein gefährliches, auch in ganz gewöhnlichen, friedlichen Zeiten; wenn es aber selbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen keinen Aufschub erleiden darf, so ist es nicht bloß ein gefährliches, sondern geradezu ein verdächtiges. Nehmt Euch also in acht, Sir, daß es Euch dabei nicht an Kopf und Kragen geht!«

Er wollte fort; da zog der Ölprinz sein Messer und schrie ihn an:

»Das war eine Beleidigung, Mensch! Soll ich dir diesen spitzen Stahl zwischen die Rippen geben? Sag noch ein einziges Wort, so thue ich es!«

Da blitzten aber auch schon die Läufe zweier Revolver in den Händen des Kuriers und noch mehr blitzten seine Augen, als er ihm, verächtlich lachend, antwortete:

»Versuch's doch einmal, my boy! Thu augenblicklich das Messer fort, sonst schieße ich! Hier sind zwölf Kugeln, Mesch'schurs. Wer von euch nur die bloße Hand gegen mich bewegt, dem schieße ich ein Loch durch seine arme Seele. Also fort mit dem Messer, Mensch! Ich zähl' bis drei! Eins – – zwei – – –«

Es war ihm anzusehen, daß es ihm ernst war, seine Drohung wahr zu machen; darum ließ es Grinley wohlweislich nicht bis zur Drei kommen, sondern steckte sein Messer ein, ehe sie ausgesprochen wurde.

»So ist's richtig!« lachte der Kurier. »Ich wollte Euch auch nicht geraten haben, es darauf ankommen zu lassen. Für heut ist's genug; aber sollten wir uns vielleicht noch einmal begegnen, so werdet Ihr noch viel mehr von mir lernen!«

Nun ritt er fort und hielt es nicht der Mühe wert, sich einmal umzusehen. Grinley griff nach seinem Gewehre, um es auf ihn zu richten; da legte der Buchhalter ihm die Hand auf den Arm und sagte in beinahe strengem Tone:

»Macht keine weiteren Dummheiten, Sir! Wollt Ihr den Mann erschießen?«

»Keine weiteren Dummheiten?« wiederholte der Ölprinz Baumgartens Worte. »Habe ich denn schon welche gemacht?«

»Allerdings!«

»Wieso?«

»Eure Grobheit, Euer ganzes Verhalten war eine. Der Mann meinte es offenbar gut mit uns, und ich kann wirklich keinen Grund ersehen, der Euch veranlassen konnte, ihn in solcher Weise zu behandeln!«

Grinley wollte ihm eine zornige Antwort geben, besann sich aber eines andern und erwiderte:

»Bin ich grob gegen ihn gewesen, so seid Ihr es jetzt gegen mich; lassen wir das sich gegenseitig aufheben. Der Kerl war, indem er Euch warnte, ein Hasenfuß.«

»Aber als Ihr mit dem Messer an ihn wolltet, benahm er sich gar nicht wie ein solcher, sondern Ihr waret es, der beigeben mußte!«

»Das ist gar keine Schande. Der Teufel mag ruhig zusehen, wenn ihm zwei sechsfach geladene Läufe auf die Brust gerichtet werden! Doch genug hiervon; reiten wir weiter!«

Buttler und Poller hatten sich während dieser ganzen Scene äußerst ruhig verhalten, doch war ihnen anzusehen, daß sie sich über das Erscheinen und Verhalten des Kuriers, besonders über seine Warnungen, nicht wenig ärgerten. Sie warfen im Weiterreiten ebenso wie der Ölprinz besorgt forschende Blicke auf Rollins und Baumgarten, um an ihren Mienen abzulesen, welchen Eindruck diese Warnungen gemacht hatten.

Die Stimmung war eine ganz andre als vorher; es wurde nicht gesprochen, und jeder schien mit seinen Gedanken zu thun zu haben, bis nach einiger Zeit die Sonne verschwand und ein zum Nachtlager passender Ort gefunden wurde. Um ein Abendessen brauchten sie sich nicht zu sorgen, weil der Ölprinz auf dem Pueblo hinreichend mit Proviant versehen worden war. Sie verzehrten es schweigend, und erst als es völlig dunkel geworden war, fiel das erste Wort aus Baumgartens Munde:

»Brennen wir ein Feuer an?«

»Nein,« antwortete Grinley.

»Also seid Ihr doch auch besorgt von wegen der Indianer?«

»Besorgt? Nein! Ich kenne diese Gegend und die Roten, die es in derselben gibt, viel besser als der Kurier, der wohl zum erstenmal hierhergekommen ist. Von Sorge oder gar Angst kann keine Rede sein, doch braucht die Vorsicht immerhin nicht vernachlässigt zu werden. Wenn der Mann Spuren gesehen hat, so ist es nicht notwendig, daß sie gerade von Kundschaftern herrühren. Dennoch wollen wir lieber kein Feuer machen. Ihr sollt mir später nicht den Vorwurf machen, etwas unterlassen zu haben, was zu unsrer Sicherheit erforderlich war.«

»Hm!« brummte der Bankier nachdenklich. »Ihr seid also überzeugt, daß es die Gefahr nicht gibt, von welcher der Kurier sprach?«

»Für uns nicht; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Um Euch vollständig zu überzeugen und ganz zu beruhigen, will ich, obgleich es ganz und gar nicht nötig ist, ein Übriges thun und morgen Poller und Buttler voranschicken.«

Die beiden Genannten hatten dies erwartet; sie sagten nichts dazu.

»Warum? Was sollen sie?« fragte der Bankier.

»Unsre Eclaireurs machen, also voranreiten, um dafür zu sorgen, daß Ihr nicht in Gefahr kommt. Ihr seht also, daß ich allen Möglichkeiten Rechnung trage, und werdet Euch hoffentlich wieder beruhigt fühlen.«

»Schön! Wir brechen also morgen früh nicht alle auf?«

»Nein. Ich bleibe mit Euch und Mr. Baumgarten hier. Nur Buttler und Poller reiten fort. Sie werden scharf aufpassen und, falls sie eine Gefahr für uns entdecken, sofort zurückkehren, um uns zu warnen.«

»Das beruhigt mich, Mr. Grinley. Dieser Kurier hatte mir doch einigermaßen Angst gemacht.«

Er ahnte nicht, daß die Veranstaltung, welche ihn beruhigte, ganz den gegenteiligen Zweck hatte, den Betrug vorzubereiten, welchem er zum Opfer fallen sollte.

Da die beiden Genannten frühzeitig aufbrechen sollten, so wurde das Gespräch nicht fortgesetzt, sondern man legte sich schlafen; je einer mußte wachen; die Reihenfolge ergab, daß Baumgarten die erste und der Bankier die zweite Wache hatte. Als der letztere dann den Ölprinzen, welcher folgte, geweckt und sich niedergelegt hatte, blieb dieser wohl eine halbe Stunde lang unbeweglich sitzen; dann beugte er sich zu dem Bankier und Buchhalter nieder, um zu erfahren, ob sie schliefen. Als er bemerkte, daß ihr Schlaf ein fester war, weckte er Poller und Buttler leise; die drei standen auf und entfernten sich eine Strecke, so weit, daß sie nicht gesehen und gehört werden konnten; sie hatten heimlich miteinander zu reden.

»Dachte es, daß du uns wecken würdest,« sagte Buttler. »Hol der Teufel den Kurier, der uns leicht das ganze Spiel verderben konnte! Hättest dich übrigens anders verhalten sollen!«

»Willst auch du mir Vorwürfe machen?« brummte sein Bruder.

»Wunderst du dich darüber? Der Kerl hatte Haare auf den ähnen und hat dich, wie man so sagt, auf der ganzen Linie geschlagen.«

»Oho!«

»Pshaw! Gib es nur zu; es ist doch wahr! je erregter du wurdest, desto ruhiger blieb er; schon da war er dir überlegen; diesen Eindruck haben Rollins und Baumgarten unbedingt auch gehabt. Und dann gar die Messergeschichte! Es war eine riesige Blamage, als wir uns nicht rühren durften!«

»Du doch auch nicht!«

»Allerdings nicht. Es reizte mich freilich wohl, dem Kerl die Zähne zu zeigen; aber es war ihm völliger Ernst. Er hätte wahrhaftiglich geschossen. Fünf gegen einen. Was müssen Rollins und Baumgarten von uns denken!«

»Laß sie denken, was sie wollen! Sie haben das erschütterte Vertrauen wiedergefunden. Reden wir von besserem! Ich habe euch die Lage des Petroleumsees genau beschrieben. Getraut ihr euch, ihn zu finden?«

»Unbedingt.«

»Wenn ihr zeitig aufbrecht und durch nichts aufgehalten werdet, seid ihr schon des Nachmittags dort. Die Höhle werdet ihr ebenso leicht finden wie das Gloomy-water

»Versteht sich.«

»In ihr findet ihr alles, was nötig ist: die vierzig Fässer Öl, die Werkzeuge und alles andre. Nun merkt wohl auf! Ihr müßt mit der Arbeit sofort, wenn ihr angekommen seid, beginnen, weil es dann längerer Zeit bedarf, die Spuren dieser Arbeit zu verwischen. Ihr rollt die Fässer einzeln bis hart an das Wasser und schafft sie, wenn das Petroleum in den See gelaufen ist, wieder in die Höhle. Den Eingang zu dieser verschließt ihr gerade in derselben Weise, wie ihr ihn findet; er darf selbst für das schärfste Auge nicht zu entdecken sein. Dann löscht ihr alle Spuren aus, welche durch das Rollen der Fässer entstanden sind. Hoffentlich werdet ihr mit dem allen bis zum Abende fertig.«

»Wenn die Arbeit am See beendet ist, was dann?« fragte Buttler.

»Dann schlaft ihr aus und reitet uns am nächsten Morgen entgegen, um uns zu sagen, daß ihr den See gefunden habt und der Weg dorthin ganz ungefährlich ist. Dabei ist die Hauptsache, daß ihr euch ganz begeistert über den Petroleumfund zeigt.«

»Daran soll es nicht fehlen, Wollen schon dafür sorgen, daß die beiden von unsrer Begeisterung angesteckt werden. Du thust hoffentlich dann auch deine Pflicht!«

»Natürlich!«

»Wieviel war es, was du geben wolltest?«

»Ihr bekommt miteinander fünfzigtausend Dollar, in welche ihr euch teilt,«

Bei diesen Worten ergriff er die Hand seines Bruders, und drückte sie, zum Zeichen, daß dieses Versprechen nur eine Lockspeise für Poller sein solle. Für diesen war ja nicht das Geld, sondern das Messer oder eine Kugel bestimmt. Poller ahnte dies nicht, traute den beiden Betrügern und rief freudig, aber in ganz leisem Tone aus.

»Fünfzigtausend, die wir teilen! So bekomme ich also fünfundzwanzigtausend?«

»Ja,« nickte Grinley.

»Das ist herrlich! Ich gehöre Euch mit Leib und Seele! Wenn man es nur sofort und bar haben könnte!«

»Leider ist das unmöglich. Er zahlt ja in Anweisungen auf Frisco.«

»Wir reiten also dann alle drei nach San Franzisco?«

»Alle drei.«

»Na, diesen Weg will ich ganz gern machen. Für fünfundzwanzigtausend Dollar reitet man gern noch viel weiter.«

»Well! Nun noch eine Ermahnung. Ich bin wegen der Indianer keineswegs so ruhig, wie ich mich gestellt habe. Nehmt euch in acht; laßt euch nicht sehen, damit ihr ganz gewiß zum Gloomy-water kommt und die Vorbereitungen treffen könnt. Es wäre ja entsetzlich, wenn ich mit den beiden dort anlangte, und es wäre nur pures Wasser zu sehen.«

»Das kann gar nicht stattfinden,« meinte Buttler.

»Gar wohl, wenn ihr nicht vorsichtig seid.«

»Nein, denn wenn uns etwas passierte, würden und könnten wir euch nicht entgegenkommen, und daraus müßtest du doch ersehen, daß die Sache nicht in Ordnung ist.«

»Das ist richtig. In diesem Falle würde ich mich dann hüten, die beiden nach dem See zu führen.«

»Was würdet ihr dann thun?«

»Natürlich nach euch forschen, um euch beizustehen, wenn es nötig ist.«

»Das hoffen wir. Du bist uns nötig, grad ebenso, wie wir dich brauchen. Keiner darf den andern sitzen lassen. Nun aber wollen wir wieder zum Lager zurück. Die beiden könnten, wenn einer von ihnen aufwacht und uns vermißt, Verdacht schöpfen.«

Als sie zu Rollins und Baumgarten kamen, fanden sie, daß diese noch fest schliefen, und ließen sich leise bei ihnen nieder. Die Nacht verging ohne Störung, und als der Morgen anbrach, traten Buttler und Poller ihren Tagemarsch an.

Rollins und Baumgarten hatten geglaubt, daß diese zwei nur eine gewisse Strecke voranzureiten und sie ihnen dann zu folgen hätten, doch der Ölprinz belehrte sie eines andern:

»Das würde unklug und unzulänglich sein. Sie gehen als Späher, haben sich also überall umzusehen und müssen langsam reiten; wir würden sie also bald einholen und wären gezwungen, wieder und wieder zurückzubleiben. Da ist es doch entschieden besser, daß wir ihnen Zeit lassen, den ganzen Weg zu machen und den Weg in einem ununterbrochenen Ritte auszukundschaften.«

»Und wann folgen wir?«

»Morgen früh.«

»So spät!«

»Es ist das nicht zu spät. Ihr habt ja selbst verlangt, daß keine Vorsicht versäumt werden möge. Treffen die beiden unterwegs Feinde, so kehren sie zurück, um es uns zu melden. Kommen sie bis heute abend nicht wieder, so ist das ein sicheres Zeichen, daß wir nichts zu befürchten haben, denn es ist ihnen nichts aufgestoßen. Dann können wir morgen, nachdem unsre Pferde sich heute gut ausgeruht haben, die Strecke bis zum Ziele mit doppelter Schnelligkeit zurücklegen.«

Das leuchtete ihnen ein, da sie keine Erfahrungen besaßen und also Grinley, ohne ihn zu kritisieren, für alles sorgen ließen.

Der Tag verging, und es wurde Abend, ohne daß Buttler und Poller zurückkehrten, was die drei Zurückgebliebenen in eine heitere, zuversichtliche Stimmung versetzte. Der Bankier konnte während der ganzen Nacht nicht einen Augenblick lang schlafen; er befand sich in fieberhafter Aufregung. Also morgen, morgen war der große Tag, an dem er das größte und bedeutendste Geschäft seines Lebens abzuschließen hatte, ein so glänzendes Geschäft, wie es ihm in keinem Traum vorgekommen war! Ölprinz sollte er werden, Besitzer einer unerschöpflichen Petroleumquelle! Sein Name sollte neben den Namen der größten Millionäre genannt werden; ja, er würde wohl in kurzer Zeit zu den berühmten sogenannten »Vierhundert« von New York gehören! Das ließ ihm keine Ruhe. Er hatte, als der Tag graute, wohl kaum einen Versuch gemacht, die Augen zu schließen, und weckte Grinley und Baumgarten, um sie zum Aufbruche zu mahnen.

Sie waren gern bereit dazu, und als die Sonne am Horizonte erschien, hatten sie mit ihren ausgeruhten Pferden schon einige Meilen zurückgelegt.

Die Gegend, durch welche sie kamen, war bergig; die Höhen trugen dichte Wälder, und die Thäler hatten sich mit saftigem Grase geschmückt. In dem letzteren fanden sie von Zeit zu Zeit die Fährte ihrer vorangerittenen Gefährten. Es wurde Mittag, wo den Pferden eine Ruhestunde gegönnt werden mußte.

»Wir werden bald einen dazu passenden Ort finden,« sagte der Ölprinz, »einen tiefen Thalkessel, dessen Sohle die Sonne auf der südlichen Seite nicht treffen kann. Dort ist es kühl. In einer Viertelstunde sind wir dort.«

Sie befanden sich jetzt auf einer ziemlich steil ansteigenden Lehne; als sie dieselbe hinter sich hatten, senkte sich das mit Nadelbäumen bestandene Terrain so schnell abwärts, daß sie absteigen und ihre Pferde führen mußten, um sie zu schonen.

»Nun noch zweihundert Schritte,« sagte Grinley, »dann seht ihr das Thal gerade vor euch liegen. Es ist nicht groß, und mitten in demselben liegt ein riesiger Felsblock, neben welchem eine mehrhundertjährige Blutbuche steht.«

Als sie diese Entfernung zurückgelegt hatten, blieben seine Begleiter halten, ganz überrascht von dem Anblicke, welcher sich ihnen bot. Gerade vor ihren Füßen senkte sich das Gestein beinahe lotrecht abwärts; sie standen am Rande des Thalkessels, welcher von hohen Felswänden eingeschlossen wurde, aber zwei schmale Ausgänge hatte. Sie befanden sich auf einer, einem Altane gleichenden niedrigen Stelle der Westwand. Der eine Eingang lag an der Süd- und der andre an der Nordseite. Der Felsenteil, welcher den Altan trug, trat ziemlich weit in das Thal hinein, so daß der Steinblock, von welchem der Ölprinz vorhin gesprochen hatte, gar nicht weit von ihnen lag. Die Blutbuche neben ihm war ein Baum von solch schönem Baue, daß sein Anblick einen Maler in Entzücken versetzt hätte.

»Welch herrlicher Baum!« rief Baumgarten aus. »So einen – – –«

»Pst!« warnte ihn da Grinley, indem er ihn am Arme faßte. »Still! Wir sind nicht allein hier. Seht Ihr die beiden Indianer dort an der Nordseite des Felsblockes? jenseits desselben scheinen ihre Pferde zu grasen.«

Es war so. Zwei Indianer saßen am Felsen, da, wo er Schatten warf. Dort waren sie vor den heißen Strahlen der Sonne geschützt. Sie waren mit den Kriegsfarben bemalt, so daß man ihre Züge nicht zu erkennen vermochte. Der eine von ihnen trug zwei weiße Adlerfedern im Schopfe. Und nun erst fiel den drei Beobachtern ein dunkler Strich im Grase auf, welcher beim südlichen Eingange begann und wie eine gerade gezogene Schnur nach dem Felsblock führte.

»Dieser Strich ist die Fährte, welche die beiden Roten gemacht haben,« erklärte Grinley seinen Begleitern. »Sie sind von Süden her hereingekommen und werden, wenn sie sich ausgeruht haben, nach Norden hinausreiten.«

»Da können wir aber doch nicht weiter, nicht hinab!« bemerkte der Bankier besorgt. »Seit unsrer Gefangenschaft im Pueblo traue ich keinem Indsman mehr. Wer mögen die beiden sein?«

»Ich kenne sie und weiß sogar den Namen des einen. Es ist Mokaschi, der Häuptling der Nijoras.«

»Was bedeutet dieser Name?« erkundigte sich der Buchhalter.

»Mokaschi heißt Büffel. Der Häuptling war, als die Bisons noch in großen Herden durch die Savannen und über die Pässe zogen, ein berühmter Büffeljäger. Daher sein Name.«

»Wenn Ihr ihn kennt, so kennt er vielleicht auch Euch?«

»Ja, denn ich bin früher einige Male bei seinem Stamme gewesen.«

»Wie ist er Euch gesinnt?«

»Freundlich, wenigstens früher, und diese Gesinnung wird sich in Friedenszeiten auch nicht ändern. Jetzt aber ist das Beil des Krieges ausgegraben, und da darf man nicht trauen.«

»Hm, was ist da zu thun?«

»Weiß wirklich nicht. Reiten wir vollends hinab, so empfängt er uns vielleicht freundlich, vielleicht auch nicht. Auf alle Fälle aber erfährt er unsre Anwesenheit, die ihm besser verborgen bleiben sollte.«

»Können wir ihm denn nicht auf einem Umwege ausweichen?«

»Allerdings; aber dieser Umweg würde so bedeutend sein, daß wir heut nicht an unsern Petroleumsee gelangten. Noch viel weniger würden wir auf Buttler und Poller treffen, die uns wahrscheinlich entgegengeritten kommen. Es ist wirklich höchst fatal, daß diese beiden Nijoras gerade hier – – -halt,« unterbrach er sich, »was ist denn das?«

Er sah etwas, was die drei Beobachter in die höchste Spannung versetzen mußte. Es erschienen nämlich am südlichen Eingange, woher die Spur der Nijoras kam, zwei Indianer, nicht beritten, sondern zu Fuße. Auch ihre Gesichter waren mit Kriegsfarben bemalt; der eine von ihnen trug eine Adlerfeder im Haare, war also nicht gerade ein hervorragender Häuptling, mußte sich aber durch seine kriegerischen Eigenschaften ausgezeichnet haben. Bewaffnet waren sie mit Gewehren.

»Sind das auch Nijoras?« fragte Rollins.

»Nein, sondern Navajos,« antwortete der Ölprinz leise, als ob die Roten ihn hören könnten.

»Kennt Ihr sie vielleicht?«

»Nein. Der mit der Feder ist ein noch junger Krieger, welcher diese Auszeichnung jedenfalls erst nach der Zeit, in welcher ich zum letzten Male bei den Navajos war, erhalten hat.«

»Alle Donner! Sie legen sich ins Gras. Warum thun sie das?«

»Erratet ihr das nicht? Sie sind ja Feinde der Nijoras. Hier treffen Kundschafter beider Stämme zusammen. Das gibt Blut! Die Navajos sind auf die Spur der Nijoras gestoßen und ihnen heimlich gefolgt bis hier ins Thal herein. Paßt auf, was geschehen wird!«

Er zitterte vor Aufregung, und seinen beiden Begleitern ging es ebenso; der Platz, auf welchem sie standen, lag so, daß sie den Vorgang beobachten konnten, ohne gesehen zu werden.

Die zwei Navajos krochen langsam auf den Spitzen der Hände und Füße auf der Fährte der Nijoras nach dem Felsenblocke hin.

»Alle Teufel!« meinte der Ölprinz. »Mokaschi und sein Begleiter sind verloren, wenn sie nur noch eine Minute sitzen bleiben!«

»Herrgott!« fragte der aufgeregte Buchhalter. »Können wir die Blutthat nicht verhüten?«

»Nein, nein – – und – – aber – – ja,« antwortete Grinley mit fliegendem Atem –- »benutzen müssen wir die Sache.«

Die beiden Navajos befanden sich noch zehn Schritte vom Felsblocke entfernt. Erreichten sie ihn, so war es um die Nijoras, welche hinterrücks überfallen wurden, geschehen.

»Benutzen? Wieso?« erkundigte sich der Bankier, der kaum zu atmen wagte.

»Sollt es sofort sehen.«

Er nahm sein Doppelgewehr mit einer schnellen Bewegung vom Sattel und legte es an.

»Um Gottes willen, Ihr wollt doch nicht etwa schießen!« wollte Baumgarten ihm sein Vorhaben vereiteln, aber da krachte auch schon der erste Schuß und eine Sekunde später der zweite. Der eine Navajo, welcher die Feder trug, wurde vom ersten Schusse in den Kopf getroffen und war sofort tot; den andern erreichte die zweite Kugel; er that einen Satz in die Luft, noch einen und brach dann zusammen.

»Herr, mein Gott! Ihr habt sie erschossen!« schrie Rollins vor Entsetzen laut auf.

»Zu meinem und Eurem Nutzen,« antwortete der Ölprinz in kaltem Tone, indem er das Gewehr absetzte und auf dem Felsen soweit vortrat, daß er von unten gesehen werden konnte.

Der Erfolg der beiden Schüsse auf die Nijoras war ein blitzschneller. Sie sprangen im ersten Schrecke aus ihrer sitzenden Stellung auf, warfen sich aber sofort wieder nieder, platt ins Gras, um ein so wenig wie möglich sichtbares Ziel zu bieten. Sie glaubten, die Schüsse seien auf sie gerichtet gewesen, denn sie konnten, da der Felsblock dazwischen lag, die beiden toten Navajos nicht liegen sehen. Da sie sich aber den, welcher geschossen hatte, hinter diesem Blocke dachten, so krochen sie langsam und vorsichtig am Fuße desselben hin, um die eine Ecke zu erreichen, von wo aus sie dann den oder die Schützen zu bemerken hofften. Da rief der Ölprinz von seinem Altane herab:

»Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, darf sich unbedenklich aufrichten; er braucht sich nicht zu verstecken, denn seine Feinde sind tot.«

Mokaschi richtete den Blick zu ihm empor, stieß, als er ihn sah, einen Ruf der Überraschung aus und fragte:

»Uff! Wer hat geschossen?«

»Ich.«

»Auf wen?«

»Auf die zwei Navajos.«

»Wo?«

»Hinter Eurem Felsen. Geht hin! Sie sind tot.«

Aber der vorsichtige Rote folgte dieser Aufforderung keineswegs sofort, sondern er kroch weiter, bis zur Ecke hin und lugte hinter derselben hervor, erst im höchsten Grade vorsichtig; dann hob er den Kopf immer höher, zog sein Messer, um auf alles vorbereitet zu sein, und sprang mit zwei, drei schnellen Sätzen zu den Leichen hin. Als er sah, daß kein Leben mehr in ihnen war, richtete er sich auf und rief dem Ölprinzen zu:

»Du hast recht; sie sind tot. Komm herab!«

»Ich bin nicht allein; es sind noch Männer bei mir.«

»Bleichgesichter?«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Zwei.«

»Bring sie mit!«

»Wollen wir ihm den Willen thun?« fragte Rollins den Ölprinzen.

»Natürlich,« antwortete dieser.

»Hat das keine Gefahr?«

»Nun nicht die geringste. Ich habe den beiden Nijoras das Leben gerettet, und sie sind uns also zum größten Dank verpflichtet.«

»Aber, Sir, es ist ein Mord, ein Doppelmord!«

»Pshaw! Laßt Euch das nicht anfechten. Zwei Indianer mußten auf alle Fälle sterben. Sagte oder that ich nichts, so traf es die Nijoras. Rief ich ihnen eine Warnung zu, so gab es einen Kampf zwischen Vieren, den wohl schwerlich einer von ihnen überlebt hätte. Die Vier hätten einander zerfleischt. Da habe ich das schwarze Los den beiden Navajos zugeworfen und mir dadurch die Dankbarkeit und Freundschaft Mokaschis erworben. Jetzt brauchen wir keine Sorge mehr zu haben. Unser Petroleumunternehmen muß gelingen, denn die Nijoras werden uns beschützen. Also kommt und folgt mir getrost!«

Sie thaten dies, konnten sich aber eines Grauens vor diesem Manne nicht erwehren, der um eines Vorteiles willen zweien Menschen, die ihm nichts gethan, so schlanker Weise das Leben genommen hatte. Ihr Weg führte sie außerhalb des Thales bis zum südlichen Eingang desselben nieder. Als sie durch denselben passierten, sahen sie nicht, daß hinter einem Gebüsch zwei funkelnde Augen auf sie gerichtet waren. Sie verschwanden hinter dem engen Durchlasse, und nun richtete sich ein Roter hinter dem Gesträuch auf und knirschte.

»Uff! Der Alte war der Mörder! Ich konnte meinen Brüdern nicht helfen, aber ich werde sie rächen. Man wird nach unsern Spuren forschen, mich aber nicht finden.«

Sich wieder niederduckend, verschwand er im Gesträuch. Er war ein Navajo. Jedenfalls hatte er als Sicherheitsposten hier bleiben müssen, während seine unglücklichen Gefährten in das Thal gedrungen waren.

Der Ölprinz ritt mit Rollins und Baumgarten getrosten Mutes auf den Häuptling zu, der sie an dem Felsblocke erwartete. Mokaschi hatte vorhin Grinleys Gesicht der Entfernung wegen nicht deutlich erkennen können; jetzt, als er es in der Nähe sah, zog sich seine Stirn unter den Querstrichen der Kriegsfarben finster zusammen.

»Wo kommen die drei Bleichgesichter her?« fragte er.

Der Ölprinz hatte einen weit freundlichern Empfang erwartet; er antwortete enttäuscht, indem er vom Pferde stieg, was auch seine Begleiter thaten.

»Unser Pfad hat am Rio Gila begonnen.«

»Wo wird er denn enden?«

»Am Wasser des Chelly.«

»Seid ihr allein?«

»Ja.«

»Kommen noch mehr der Bleichgesichter nach?«

»Nein. Und wenn welche kommen sollten, so sind sie nicht Freunde von uns.«

»Wißt ihr, daß die Pfeife des Friedens von uns zerbrochen worden ist?«

»Ja,«

»Und dennoch wagt ihr euch hierher?«

»Eure Feindschaft ist doch nur gegen die Navajos, nicht aber gegen die Weißen gerichtet!«

»Die Bleichgesichter sind schlimmer als die Hunde der Navajos. Als es noch keine Weißen gab, herrschte Frieden unter allen roten Männern. Nur den Bleichgesichtern haben wir es zu verdanken, daß der Tomahawk unser Leben frißt. Sie werden nicht geschont.«

»Willst du damit sagen, daß ihr unsre Feinde seid?«

»Ja, eure Todfeinde.«

»Und doch habt ihr beide meinen zwei Kugeln euer Leben zu verdanken! Wollt ihr uns dafür am Marterfeuer braten?«

Über das Gesicht des Häuptlings zuckte ein verächtliches Lächeln, als er hierauf antwortete:

»Du sprichst vom Marterfeuer, als befändest du dich bereits in unsrer Gewalt, und doch sind wir nur zu zweien, während ihr zu dreien seid. Du scheinst den Mut eines Frosches zu haben, welcher der Schlange in den Rachen springt, wenn sie den Blick auf ihn richtet.«

Dieses beleidigende Verhalten war jedenfalls nicht bloß eine Folge der jetzt herrschenden feindseligen Verhältnisse. Sehr wahrscheinlich war das Ansehen Grinleys schon früher ein ganz andres bei den Nijoras gewesen, als er seinen Begleitern gesagt hatte. Er fühlte, daß sie unbedingt auf diesen Gedanken kommen mußten und wollte dem entgegenwirken, indem er fragte:

»Mokaschi, der tapfere Häuptling, kennt mich wohl nicht mehr?«

»Mein Auge hat noch nie ein Gesicht vergessen, selbst wenn es dasselbe nur ein einziges Mal und kurz zu sehen bekam.«

»Ich habe den Kriegern der Nijoras nie ein Leid gethan!«

»Uff! Warum sprichst du so? Hättest du einen meiner Krieger nur mit einer Bewegung der Fingerspitze gekränkt, so lebtest du nicht mehr.«

»Warum trittst du denn so feindlich gegen mich auf? Ist dein Leben so wenig wert, daß du den Retter desselben nicht einmal willkommen heißest?«

»Sag mir erst, wann du die Navajos, welche du vorhin tötetest, gesehen und wie lange du sie verfolgt hast!«

»Ich sah sie zwei Minuten, bevor ich sie erschoß, um dich zu retten.«

»Was hatten sie dir gethan?«

»Nichts.«

»Du hattest keine Rache gegen sie?«

»Nein.«

»Und doch hast du sie getötet!«

»Nur um dich zu retten!«

»Hund!« donnerte da Mokaschi, indem seine Augen funkelten, den Weißen an. »Es haben mir viele Jäger und Krieger ihr Leben zu verdanken, und ich habe es nicht ein einziges Mal erwähnt, obgleich Jahre darüber vergangen sind. Du aber stehst erst wenige Augenblicke vor mir und hast dich bereits fünfmal meinen Retter genannt. Wenn du so dich selbst bezahlst, darfst du keinen Lohn von mir erwarten. Habe ich verlangt, von dir gerettet zu werden?«

Grinley fühlte sich außerordentlich eingeschüchtert, wagte aber dennoch den Einwurf:

»Nein; aber ohne mich wärest du jetzt tot.«

»Wer sagt dir das? Es ist ein Lüge. Du siehst hier neben dem Felsen unsre Pferde stehen, welche uns die Annäherung jedes fremden Menschen verraten. Eben hörten wir sie schnauben und griffen schon nach unsern Messern, als deine Schüsse fielen. Die Navajos hatten dir nichts gethan. Du hast nicht mit ihnen gekämpft, sondern sie aus dem Hinterhalte erschossen. Du bist kein Krieger, sondern ein Mörder. Dort hegen ihre Leichen. Darf ich mir ihre Skalpe nehmen? Nein, denn sie sind von deinen heimtückischen Kugeln gefallen. Wärest du nicht gekommen, so hätte ich sie, durch das Schnauben unsrer Pferde aufmerksam gemacht, mit dem Messer empfangen und dürfte mich mit ihren Skalplocken schmücken. Kennst du den, in dessen Haar die Feder steckt? Sein Name lautet Khasti-tine, obgleich die Zeit seines Lebens erst zwanzig Sommer und Winter beträgt. Diesen Ehrennamen erhielt er infolge seiner Klugheit und Tapferkeit. Und so einen Krieger hast du gemordet! Und mich hast du um den Ruhm gebracht, ihn besiegt zu haben! Und da verlangst du anstatt Rache Lohn von mir!«

Dem Ölprinzen wurde himmelangst, und seinen Begleitern war es nicht weniger bange. Der Häuptling fuhr fort:

»So wie du sind die Bleichgesichter alle. Wieviel gute gibt es unter ihnen? Auf einen Old Shatterhand, in dessen Herzen die Liebe wohnt, kommen hundertmal hundert andre, welche uns das Verderben bringen. Bleibt hier stehen, bis ich wiederkomme! Wenn ihr es wagt, euch zu entfernen, seid ihr verloren!«

Er gab dem andern Nijora einen Wink und schritt mit ihm, die Fährte sorgfältig untersuchend, neben derselben hin dem Eingange zu, hinter welchem die beiden verschwanden.

»O wehe! Das klang viel, viel anders, als wir erwarteten!« klagte der Bankier. »Ihr habt uns da eine Suppe eingebrockt, die so dick geraten ist, daß wir, wenn wir sie essen müssen, an ihr ersticken können!«

»Ein Mörder!« stimmte der Buchhalter bei. »Der Häuptling hatte recht. Warum habt Ihr doch nur geschossen! Dieser Khasti-tine, ein so junges Blut und doch schon so berühmt! Schaudert Euch nicht selber ob dieser That?«

»Schweigt!« herrschte ihn der Ölprinz an. »Es ist doch so, wie ich sagte; ich habe den Häuptling vom Tode errettet. Das vom Schnauben der Pferde ist Ausrede, ist Lüge!«

»Möchte es bezweifeln. Der Mann sieht genau so aus, als ob er wisse, was er sagt. Standen wir nicht wie Schulbuben vor ihm? Es wird am besten sein, uns aus dem Staub zu machen, ehe er wiederkommt!«

»Wagt das nicht, Mr. Baumgarten! Er scheint noch mehr Krieger in der Nähe zu haben. Wenn wir uns entfernten, würde er sich mit ihnen an unsre Fersen heften, und dann wären wir verloren, während es so noch möglich ist, daß er uns laufen läßt. Warten wir also!«

Es verging über eine Viertelstunde, ehe die Nijoras wiederkamen. Als sie herangekommen waren, sagte Mokaschi:

»Die Rache steht bereits hinter dir, und das Verderben wird dich ereilen, ohne daß ich die Hand an dich lege. Es sind nicht zwei, sondern drei Navajos gewesen. Der dritte hat im Eingange Wache gehalten und wohl alles gesehen, ohne die Mordthat verhindern zu können. Er wird seine Moccassins auf deine Fährte setzen und dir folgen, bis sein Messer dir im Herzen sitzt. Dein Skalp sitzt nicht fester auf deinem Haupte, als ein Regentropfen, den der Wind vom Zweige schüttelt. Ich habe keinen Teil an dir, weder im Guten noch im Bösen. Warum wollt ihr nach dem Chellyflusse? Was sucht ihr dort?«

»Ein Stück Land,« erklang es kleinlaut aus dem Munde des seiner Sache vorher so sichern Ölprinzen.

»Gehört es dir?«

»Ja.«

»Wer hat es dir geschenkt?«

»Niemand.«

»Und dennoch behauptest du, daß es dir gehöre!«

»Ja. Es ist ein Tomahawk-Improvement.«

»Es thut mir leid, daß ich das hören muß.«

»Warum?«

»Weil das ein Räuber- und Diebeswort ist! Ein Stück Land am Chellyflusse! Es ist dein! Und hier steht Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, welche die rechtmäßigen Herren und Besitzer der ganzen Chellygegend sind! Ihr räudigen Hunde! Was würden die Bleichgesichter jenseits des großen Meeres sagen, wenn wir hinüberkämen und behaupteten, daß ihr Land unser sei? Wir aber sollen es uns gefallen lassen, daß sie über uns herfallen und uns alles nehmen! Ein Stück Land am Chellyflusse, welches dir gehört, obgleich du es von uns weder gekauft noch geschenkt erhalten hast! Meine Faust sollte dich niederschlagen, doch ist sie zu stolz, dich zu berühren. Macht euch fort von hier, fort nach dem Landfetzen, nach welchem eure Seelen schreien! Setzt euch darauf und ihr braucht gar nicht lange zu warten, so wird er euch die blutige Ernte bringen!«

Er streckte die Hand gebieterisch nach dem nördlichen Ausgange aus. Sie stiegen schnell auf ihre Pferde und trabten eiligst fort, im tiefsten Herzen froh, den Ort, der ihnen so gefährlich werden konnte, mit heiler Haut verlassen zu dürfen.

Um die Worte und das Verhalten des Häuptlings zu verstehen, muß man wissen, auf welche Weise sich die Weißen in den Besitz von Ländereien zu setzen pflegten. Nach dem sogenannten Heimstättengesetz kann nämlich jedes Familienhaupt und jeder einundzwanzigjährige Mann, welcher entweder Bürger ist oder Bürger werden zu wollen erklärt, eine noch unbesetzte Parzelle Land von 160 Acres ohne alle Bezahlung erwerben; nur muß er sie fünf Jahre lang bewohnen und bebauen. Außerdem wurden Millionen Acres namentlich an die Eisenbahnen verschleudert.

Und was die Tomahawk-Improvements betrifft, so brauchte nach ihnen jemand, um als Eigentümer einer ihm zusagenden Strecke Landes zu gelten, dasselbe nur dadurch als das seinige zu bezeichnen, daß er mit der Axt einige Bäume anhieb, eine Hütte baute und etwas Getreide säete. Was die Indianer, die Herren dieser Ländereien, dazu sagten, darnach wurde nicht gefragt!

Die drei Weißen ritten, als sie das Thal verlassen hatten, eine ganze Weile schweigend nebeneinander durch den lichten Wald. Der Ölprinz fühlte recht wohl, daß er von dem Häuptling der Nijoras weit mehr als von dem Kurier blamiert worden war. Er war wütend über die Behandlung, welche er erfahren hatte, und sann nun darüber nach, wie es ihm gelingen könne, sein bei dem Bankier und dem Buchhalter wohl mehr als wankend gewordenes Ansehen wieder zu befestigen. Dann sagte er, die lange Stille endlich unterbrechend:

»So sind diese roten Halunken! Undankbar im höchsten Grade! Man kann noch so lange in Frieden mit ihnen gelebt und ihnen noch so viele und große Wohlthaten erwiesen haben, eines schönen Tages brechen sie doch die Treue und haben vollständig vergessen, welchen Dank sie einem schuldig sind.«

»Yes,« nickte Rollins. »Das war eine böse Lage, in welcher wir uns befanden. Wir können froh sein, daß wir so mit einem blauen Auge aus derselben entkommen sind. Ich dachte bereits, daß es uns an das Leben gehen würde.«

»Freilich wäre es uns an das Leben gegangen, wenn der Häuptling mir nicht im stillen recht gegeben hätte, weil er doch unbedingt einsehen mußte, daß ich sein Retter war, Es wird mir aber niemals wieder einfallen, einem Indianer Gutes zu erweisen.«

»Richtig! Diese roten Kerls sind es nicht wert, daß man sich ihrer annimmt.«

Aus diesen Worten des Bankiers war zu ersehen, daß er weniger geneigt war, den Ölprinzen wegen seines Verhaltens zu verurteilen. Er gehörte zu jenen echten Yankees, denen ein Menschenleben nichts gilt. Die Gefahr, in welcher er sich befunden hatte, war vorüber und ebenso der Eindruck, welchen die Ermordung der beiden Navajos für den Augenblick auf ihn gemacht hatte. Anders aber bei Baumgarten. Dieser war als Deutscher innerlich ganz anders angelegt; er hielt das Verhalten Grinleys für ein Verbrechen, konnte nicht über die Verurteilung desselben hinüberkommen und fragte daher den Ölprinzen jetzt in ernstem, vorwurfsvollem Tone:

»Habt Ihr denn jemals einem Indianer Gutes erwiesen, Sir?«

»Ich? Welch eine Frage! Hunderte von diesen roten Halunken haben mir ihr Leben zu verdanken, und Tausende haben Fleisch, Brot, Pulver, Blei und noch vieles andre von mir bekommen.«

»Auch die Nijoras?«

»Diese erst recht.«

»Der Häuptling that aber gar nicht so, als ob dies der Fall wäre!«

»Weil er ein undankbarer Schuft ist.«

»Hm! Warum habt Ihr ihn denn nicht daran erinnert?«

»Aus reiner Noblesse, Sir.«

»Unsinn! In einer Lage, wie die war, in welcher wir uns befanden, ist Noblesse die größte Dummheit, die es meiner Ansicht nach geben kann.«

»Das sagt Ihr, weil Ihr den Westen nicht kennt.«

»Meinetwegen! Dennoch würde ich an Eurer Stelle den Häuptling daran erinnert haben, daß er und sein Stamm mir Dankbarkeit schuldeten. Ihr habt keinen Laut hören lassen. Vielleicht leben die Wohlthaten, von denen Ihr redet, nur in Eurem Kopfe.«

»Sir! Wollt Ihr mich beleidigen?« fuhr da der Ölprinz auf. »Mich vielleicht gar zum Lügner machen?«

»Fällt mir gar nicht ein. Ich sage meine Meinung, und das Recht, dies zu thun, hat wohl jedermann!«

»Ja, wenn er dabei nicht die Ehre eines andern kränkt. Ihr solltet Euch mir gegenüber doch etwas vorsichtiger und rücksichtsvoller ausdrücken!«

»So? Warum das? Warum grad Euch gegenüber?«

»Weil ihr mir nicht nur viel verdanken -werdet, sondern auch schon zu verdanken habt. Ich stehe im Begriffe, euch zu steinreichen Leuten zu machen!«

»Nicht mich, sondern nur Mr. Rollins, und dafür werdet Ihr mehr als gut bezahlt.«

»Ich habe Euch aus der Gefangenschaft im Pueblo errettet!«

»Das mag sein, doch will ich Euch aufrichtig sagen, daß mir, je mehr ich über diese Angelegenheit nachdenke, desto mehr Fragen aufstoßen, die ich mir nicht zu beantworten vermag.«

Grinley warf ihm von der Seite her einen scharf forschenden Blick zu; er wollte zornig auffahren, besann sich aber eines andern und fragte in ruhiger Weise.

»Welche Fragen könnten das wohl sein? Darf ich sie erfahren?«

»Ich halte es nicht für nötig.«

»Nicht? Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich sie Euch beantworten könnte.«

»Das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern sogar gewiß. Ihr könntet; aber ob Ihr auch würdet, das bezweifle ich.«

»Wenn ich kann, so will ich auch, Sir; darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Mag sein; dennoch wollen wir nicht weiter davon sprechen. Nur weil Ihr so stark betont, daß wir Euch so viel zu verdanken haben und auch zu verdanken haben werden, will ich Euch sagen, daß wohl noch nicht aller Tage Abend ist.«

»Wie meint Ihr das?«

»Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir mit Euch quitt werden, so daß Ihr dann keinen Dank mehr von uns zu fordern habt.«

»Möchte wissen, wie das der Fall sein könnte!«

»Sehr einfach- In Bezug auf das Geschäft, welches abgeschlossen werden soll, habt Ihr keinen Dank zu fordern, denn Ihr werdet bezahlt; das habe ich schon erwähnt. Und daß Ihr uns aus dem Pueblo errettet habt, ist Euch von uns zwar auf das Konto geschrieben worden, doch werden wir diesen Posten vielleicht sehr bald ausstreichen müssen, da Ihr die beiden Navajos erschossen habt.«

»Was geht das dieses Konto an?«

»Fragt doch nicht so, als ob Ihr ein Neuling wärt! Es ist doch keineswegs ausgeschlossen, daß wir den Navajos begegnen.«

»Was wäre das weiter?«

»Sie würden den Tod der beiden Kundschafter rächen.«

»Pshaw! Durch diese Behauptung beweist Ihr eben, daß Ihr den Westen gar nicht kennt. Wie wollen sie wissen, was geschehen ist?«

»Wie? Habt Ihr denn nicht gehört, was Mokaschi sagte? Es sind drei Navajos gewesen, nicht bloß zwei. Der dritte wird uns folgen.«

Das Gesicht des Ölprinzen wollte ernst und nachdenklich werden, aber er zwang ein höhnisches Lachen hervor und antwortete.

»Da sieht man, was für ein kluger Kerl Ihr seid! Glaubt Ihr denn, daß Mokaschi da seine wirkliche Meinung gesagt hat?«

»Ja.«

»Wirklich? So muß ich Euch sagen, daß aus Euch niemals ein richtiger Westmann werden könnte. Mokaschi ist auf Kundschaft gegen die Navajos ausgerückt. Daß er das selbst gethan und nicht gewöhnliche Krieger geschickt hat, ist ein Zeichen, daß er der Sache die größte Wichtigkeit beilegt. Er ist auf drei Feinde gestoßen, welche auch Kundschafter sind, und muß alles thun, dieselben unschädlich zu machen. Zwei habe ich erschossen; der dritte lebt noch und hat die Nijoras gesehen. Er wird nicht uns verfolgen, sondern seinen Stamm auf das schleunigste aufsuchen, um zu melden, daß Mokaschi sich hier befindet. Dieser muß das auf alle Fälle zu verhindern suchen; er wird also sich auf die Fährte des Navajo machen, um ihn einzuholen und zu töten. Sehr Ihr das ein oder nicht?«

»Hm!« brummte Baumgarten. »Vielleicht ist es so, wie Ihr sagt, vielleicht aber auch nicht.«

»Es ist so und nicht anders; das versichere ich Euch und – – –«

Er sprach nicht weiter, sondern hielt sein Pferd an und bückte aufmerksam in die Ferne. Während sie sich jetzt auf einer kleinen, offenen Prairie befanden, war dort der Rand eines Waldes zu sehen. Von diesem dunklen Hintergrunde stachen zwei Reiter ab, welche halten geblieben waren, weil sie die drei auch bemerkt hatten.

»Zwei Männer,« meinte Grinley. »Es sind, wie es scheint, Weiße. Da ist hundert gegen eins zu wetten, daß wir Buttler und Poller vor uns haben. Drei gegen zwei, da brauchen wir uns nicht zu fürchten. Vorwärts also!«

Sie ritten weiter, auf die andern zu. Als diese das sahen, trieben sie ihre Pferde auch wieder vorwärts. Bald erkannte man sich gegenseitig. Ja, die beiden Genannten waren es. Als sie auf Hörweite herangekommen waren, rief der Ölprinz ihnen zu.

»Ihr seid es? Das ist ein gutes Zeichen. Habt ihr den Weg frei gefunden?«

»Ja,« antwortete Buttler, »so frei wie im tiefsten Frieden. Wir sind nicht auf die Spur auch nur eines einzigen Indianers gestoßen.«

»Und habt das Gloomy-water gefunden?«

»Yes, mit Leichtigkeit.«

»Nun? Und das Öl?«

»Großartig, geradezu großartig!« antwortete der Gefragte, indem sein Gesicht vor Wonne zu strahlen schien. Er wendete sich an den Bankier und fuhr fort:

»Habt die Güte, uns einmal anzuriechen! Wie findet Ihr unsern Duft? Ist das etwa Rosenöl, Sir?«

Die beiden dufteten infolge der Arbeit, welche sie zu bewältigen gehabt hatten, natürlich sehr stark nach Petroleum. Rollins' Züge nahmen sofort einen entzückten Ausdruck an. Er antwortete:

»Rosenöl nun freilich nicht, mir aber grad so lieb, als ob es welches wäre. Wie lange dauert es, Mesch'schurs, bis man ein Pfund Rosenöl beisammen hat! Das Erdöl aber läuft so bereitwillig aus der Erde, daß man täglich Hunderte von Fässern füllen kann. Der Duft, den ihr verbreitet, ist mir weit angenehmer, als alle andern Gerüche der Welt. Meint Ihr das nicht auch, Mr. Baumgarten?«

»Ja,« nickte dieser, dessen Gesicht nun auch einen heitern, zuversichtlichen Ausdruck angenommen hatte.

»Well! Ihr wolltet bis jetzt noch immer nicht recht an die Sache glauben; ich habe Euch das oft angesehen. Gebt Ihr es zu?«

»Will es nicht leugnen, Sir.«

»Aber nun? jetzt wird sich Euer Mißtrauen doch wohl in das Gegenteil verkehren?«

Da fiel der Ölprinz ein:

»Auch ich habe natürlich bemerkt, daß Mr. Baumgarten mir weniger Vertrauen schenkte, bin aber zu stolz gewesen, mich dadurch beleidigt zu fühlen. Jetzt wird er einsehen, daß er einen Ehrenmann vor sich hat, der das Vertrauen wohl verdient, welches er beansprucht hat. Aber bleiben wir nicht hier auf der offenen Prairie halten. Es gibt Indianer da, welche uns leicht bemerken könnten.«

»Indianer?« fragte Buttler, indem sie vorwärts ritten, dem Walde entgegen, aus welchem er mit Poller gekommen war. »Seid ihr etwa auf welche getroffen?«

»Ja.«

»Alle Wetter! Wann?«

»Vor kurzer Zeit.«

»Was für welche?«

»Nijoras. Sogar der Häuptling derselben.«

»Und gut mit ihnen auseinandergekommen?«

»So leidlich. Hätte schlimmer werden können.«

Er erzählte den Vorgang, und es verstand sich ganz von selbst, daß Buttler und Poller sich mit seinem Verhalten einverstanden erklärten, Mittlerweile erreichten sie den Wald, welcher ihrer Unterhaltung ein Ende bereitete, denn die Bäume desselben standen so dicht, daß man einzeln hintereinander reiten mußte, was dem Bankier gar nicht lieb war, da er darauf brannte, Weiteres und Ausführliches über den Petroleumsee zu erfahren.

Nach einiger Zeit ging das Gehölz zu Ende und es öffnete sich von neuem eine grasige Savanne. Nun konnten sich die Reiter zusammenhalten, und Rollins fragte nach dem Gloomy-water und allen Verhältnissen desselben. Buttler und Poller erfüllten seine Neugierde in einer Weise, welche seine Erwartung noch mehr steigerte und ihn in die größte Aufregung versetzte. Als er behauptete, den Augenblick der Ankunft kaum erwarten zu können, beruhigte ihn Buttler durch die Mitteilung:

»Was das betrifft, so wird Eure Geduld nicht mehr lange auf die Probe gestellt werden, denn wir haben höchstens noch anderthalb Stunden zu reiten.«

»Anderthalb? Und vor einer halben Stunde haben wir euch getroffen; das macht zwei ganze. So habt ihr den Petroleumsee erst seit zwei Stunden verlassen?«

»So ungefähr.«

»Warum nicht eher? Eine Botschaft wie die, welche ihr mir brachtet, kann man nicht früh genug erfahren.«

Diese Frage kam höchst ungelegen, denn er durfte doch nicht erfahren, welche langwierige Arbeit sie am Gloomy-water zu verrichten gehabt hatten, doch Poller brachte sich aus der Verlegenheit, indem er die Auskunft gab:

»Es war unsre Aufgabe, für eure Sicherheit zu sorgen. Dazu gehörte vor allen Dingen auch, daß wir die ganze Umgegend des Sees absuchten. Das war nicht leicht, denn das Terrain ist ein schwieriges, und wir konnten nur langsam verfahren, weil wir vorsichtig sein mußten. Darum sind wir erst vor einigen Stunden fertig geworden.«

»Und ihr habt nichts gefunden, was auf eine Gefahr für uns schließen läßt?«

»Nichts, gar nichts. Ihr braucht nicht die mindeste Sorge zu haben, Sir.«

Rollins fühlte sich nicht nur beruhigt, sondern so froh und zuversichtlich gestimmt, wie noch selten in seinem Leben. An dem Orte, den er in der Zeit von nicht viel über einer Stunde erreichen würde, lag für ihn ein Kapital in der Höhe von vielen, vielen Millionen! Er hätte seine Begleiter alle umarmen mögen, begnügte sich aber damit, seinem Buchhalter die Hand zu drücken und zu ihm zu sagen:

»Endlich, endlich am Ziele! Und endlich, endlich nun aus den Ungewißheiten heraus! Seid Ihr nicht auch darüber froh?«

»Natürlich, Sir,« lautete die einfache Antwort.

»Natürlich, Sir!« wiederholte Rollins, indem er mit dem Kopfe schüttelte. »Das klingt so kalt, so teilnahmlos, als ob die Sache Euch gar nichts anginge!«

»Denkt das nicht! Ihr wißt ja, daß ich in allen Euern Angelegenheiten stets so sorge, als ob es die meinigen wären. Ich freue mich auch, pflege aber so etwas gewöhnlich nicht übermäßig laut zu äußern.«

»Well, kenne Euch ja, Mr. Baumgarten. Hier aber könnt Ihr schon etwas lauter sein. Habe Euch noch nichts gesagt, doch konntet Ihr wohl denken, daß ich, da ich Euch mitgenommen habe, mit Euch gewisse Absichten verfolge. Ihr sollt an diesem neuen Unternehmen mehr beteiligt sein, als Ihr bis jetzt gedacht habt. Meint Ihr, daß ich die Absicht habe, mit meiner Familie Arkansas zu verlassen und mich hier im wilden Westen anzusiedeln? Kann mir nicht einfallen. Werde zunächst freilich alles thun, was hier nötig ist; mein fester und eigentlicher Wohnsitz aber wird doch unser Brownsville bleiben. Werde Ingenieure anstellen müssen und über ihnen einen geschäftlichen Direktor, auf den ich mich verlassen kann. Wer meint Ihr wohl, wer dieser Mann sein wird?«

Er blickte dabei den Buchhalter mit bezeichnendem Schmunzeln von der Seite an und fuhr, als dieser nicht gleich antwortete, fort:

»Oder habt Ihr die Absicht, auch Zeit Eures Lebens in Brownsville zu bleiben?«

»Über diese Frage nachzudenken, habe ich bisher noch keine Veranlassung gehabt, Mr. Rollins.«

»Well, so habt die Güte, jetzt darüber nachzudenken! Wie nun, wenn der Direktor, von welchem ich sprach, Mr. Baumgarten heißen soll?«

Da richtete sich der Deutsche scharf im Sattel auf und fragte:

»Ist das Euer Ernst, Sir?«

»Yes! Ihr wißt, daß ich in so wichtigen Angelegenheiten keinen Scherz zu treiben pflege. Die Stelle ist eine verantwortliche und schwierige. Darum würde ich Euch neben dem Gehalte mit an dem Gewinne beteiligen. Wollt Ihr sie annehmen?«

»Von ganzem Herzen gern!«

»So schlagt ein! Hier ist meine Hand.«

Baumgarten gab ihm die seinige und sagte:

»Ich will keine vielen, überflüssigen Worte machen, Mr. Rollins; Ihr kennt mich und wißt, daß ich nicht undankbar bin. Mein größter Wunsch jetzt ist, der Stellung, die ich bekleiden soll, gewachsen zu sein.«

»Das seid Ihr; ich weiß es.«

»Und ich möchte dies weniger zuversichtlich behaupten. Es ist ja wahr, was Mr. Grinley so oft schon ausgesprochen hat: Ich kenne den Westen nicht, und doch gehören solche Leute her, welche Haare auf den Zähnen haben.«

»Werde schon dafür sorgen, daß Ihr solche Kerls ins Werk bekommt.«

»Es wird Kämpfe geben.«

»Kämpfe? Was für welche?«

»Mit den Indianern. Oder meint Ihr, sie werden es sich ruhig gefallen lassen, daß wir uns hier in der Weise, wie ein großartiges Ölunternehmen es mit sich bringt, festnisten?«

»Werden wenig dagegen thun können.«

»Hm! Sie werden behaupten, der Platz gehöre ihnen, und – – –«

»Macht Euch doch keine so unnützen Gedanken!« fiel ihm da der Ölprinz in die Rede. »Ihr habt doch gehört, was Mokaschi sagte? Nämlich, daß ich getrost zu meinem ›Landfetzen‹ gehen soll, um ihn in Besitz zu nehmen.«

»Das war wohl kaum sein Ernst.«

»O doch.«

»Schön! Aber gehört die Stelle wirklich den Nijoras? Ist es nicht möglich, daß auch andre Rote, zum Beispiel die Navajos, auf den Besitz derselben Anspruch erheben?«

»Was diese Kerls sagen und behaupten, kann uns höchst gleichgültig sein. Ich habe mein Tomahawk-Improvement, welches ich Euch abtrete. Das Dokument darüber steckt hier in meiner Tasche. Ihr habt es in Brownsville prüfen lassen; es ist für gut, für echt befunden worden und wird Euch gehören, sobald Ihr mir die Anweisung auf San Francisco aushändigt. Ist dies geschehen, so seid Ihr nach den Vereinigten-Staatengesetzen rechtmäßige Besitzer des Gloomy-waters und kein Roter kann Euch von dort vertreiben.«

»Sehr richtig, Sir. Aber wenn die Roten sich nicht nach diesem Vereinigten-Staatengesetze richten?«

»So werden sie dazu gezwungen. Ihr engagiert natürlich nur Leute, die mit der Büchse und dem Messer umzugehen verstehen; das wird den Indsmen Respekt einflößen. Übrigens könnt Ihr versichert sein, daß Euer Etablissement sehr bald eine weiße Bevölkerung anziehen wird, die zahlreich genug ist, nicht nur jeden Angriff siegreich zurückzuschlagen, sondern die Roten ganz aus der Gegend zu verdrängen. Stellt nur erst eure Maschinen auf! Ihr wißt, daß die Maschine die größte und siegreichste Feindin der Indianer ist.«

Damit hatte er recht. Wo der Weiße sich mit den eisernen Händen und Füßen des Dampfes sehen läßt, muß der Rote weichen: das unerbittliche Schicksal will es so. Die Maschine ist eine unüberwindliche Gegnerin, doch nicht so grausam, wie das Gewehr, das Feuerwasser, oder die Blattern und andre Krankheiten, denen zahllose Indianer zum Opfer gefallen sind und noch fallen werden, wie die Bisons der Savanne, die soweit ausgerottet sind, daß nur noch wenige als Rarität in zoologischen Gärten gehalten werden.

Noch vor Ablauf der angegebenen Frist von anderthalb Stunden befanden die fünf Reiter sich zwischen Höhen, welche von dunklen Nadelbäumen dicht bestanden waren. Nur hier und da ließ sich etwas Laubholz sehen, dessen helles Grün den düsteren Eindruck jener minderte. Als Rollins eine Bemerkung darüber machte, meinte der Ölprinz:

»Kommt nur erst zum Gloomy-water. Dort wird es noch finsterer als hier.«

»Ist's noch weit bis dort?«

»Nein, Die nächste Schlucht führt ans Ziel.«

Bald war die Schlucht erreicht und man bog in dieselbe ein. Zu beiden Seiten stiegen dunkle Felsen hoch empor, an ihren Lehnen und auf ihren Gipfeln schwarze Hölzer tragend. Auf dem Grunde rieselte ein dünnes, schmales Wässerchen, auf welchem Fettaugen schwammen. Grinley warf, als er das bemerkte, Buttler und Poller einen befriedigten Blick zu. Er hatte nicht heimlich mit ihnen reden können und sich darum bisher im stillen besorgt gefragt, ob sie ihre Aufgabe auch wohl so, wie er es erwartete, gelöst haben würden. Jetzt begann er sich beruhigt zu fühlen, deutete auf das Wasser und sagte zu dem Bankier:

»Seht einmal her, Mr. Rollins! Das ist der Abfluß des Gloomy-water. Was meint Ihr wohl, was auf demselben schwimmt?«

»Petroleum?« antwortete der Gefragte, indem er niederblickte.

»Ja, Petroleum.«

»Wirklich, wirklich! Schade darum, ewig schade, daß es fortfließt!«

»Laßt es laufen; es ist wenig genug. Das beste an meinem Funde ist ja eben der Umstand, daß der See nur diesen einen, so geringen und gar nicht nennenswerten Abfluß hat. Später könnt Ihr ja dafür sorgen, daß Euch selbst dieses kleine Quantum nicht entgeht.«

»Freilich, freilich! Aber Mr. Grinley, merkt Ihr nicht auch den Geruch?«

»Natürlich! Ich als der Entdecker dieses famosen Ortes muß ihn doch viel eher als Ihr bemerkt haben.«

»Er wird um so stärker, je weiter wir vorwärts kommen.«

»Wartet nur, bis wir an den See kommen. Ihr werdet Euch wohl wundern!«

Der Erdölgeruch wurde auch wirklich mit jedem Schritte stärker. Da traten die Wände der Schlucht plötzlich auseinander und vor den erstaunten Augen des Bankiers und seines Buchhalters öffnete sich eine länglich runde Thalmulde, deren Grund der Petroleumsee soweit ausfüllte, daß zwischen dem Ufer desselben und den Felsen, welche den nur schwer zu erklimmenden Rand des Thales bildeten, ein nur schmaler Bodenstreifen übrig blieb, auf welchem aus dichten Sträuchern riesige Schwarztannen emporragten. Eben solche Bäume stiegen an den Felsen ringsum bis zu dem Hochwalde hinauf, welcher da oben als Wächter zu stehen schien, um keinen einzigen Sonnenstrahl herabzulassen.

Hier unten herrschte trotz des hellen Tages Dämmerung. Kein Lüftchen bewegte die Zweige; kein Vogel war zu sehen; kein Schmetterling gaukelte über Blumen. Alles Leben schien erstorben zu sein. Schien? 0 nein, es schien nicht nur, sondern es war wirklich erstorben, denn auf dem See schwammen zahllose tote Fische, deren mattglänzende Leiber ganz eigenartig von der dunklen, ölig schimmernden Oberfläche abstachen. Dazu der außerordentlich starke Geruch des Öles. Dieser unbewegte und unbeleuchtete See, welcher wie ein im Tode erstarrtes Auge vor den Beschauern lag, führte seinen Namen Gloomy-water, finsteres Wasser, mit dem vollsten Rechte. Der Eindruck, welchen sein Anblick hervorbrachte, war ein derartiger, daß Rollins und Baumgarten eine ganze Weile an seinem Ufer hielten, ohne ein Wort zu sagen.

»Nun, das ist das Gloomy-water,« unterbrach der Ölprinz die herrschende Stille. »Was meint Ihr dazu, Mr. Rollins? Gefällt es Euch?«

Aus seinem Staunen wie aus einem Traume erwachend holte dieser tief Atem und antwortete:

»Wie er mir gefällt? Welche Frage! Ich glaube, die alten Griechen hatten ein Wasser, über welches die Verstorbenen nach der Unterwelt fuhren. So wie der See hier muß dieses Wasser ausgesehen haben, gewiß so und nicht anders.«

»Weiß nichts von diesem griechischen Gewässer, möchte aber doch behaupten, daß es mit unserm Gloomy-water nicht zu vergleichen ist, denn ich glaube nicht, daß es dort Petroleum wie hier gegeben hat. Steigt ab, Sir, und untersucht das Öl; wir wollen einen Rundgang um den See machen!«

Die Reiter verließen ihre Sättel; sie mußten die Pferde anbinden, denn diese schnaubten und stampften und wollten fort. Der penetrante Petroleumgeruch war ihnen zuwider. Grinley trat hart an das Wasser heran, schöpfte mit der Hand, beroch und betrachtete es und sagte dann in triumphierendem Tone zu dem Bankier:

»Hier habt Ihr die Dollars zu Millionen schwimmen, Sir; überzeugt Euch selbst!«

Rollins schöpfte ebenso, ging weiter und schöpfte wieder; er untersuchte das Wasser an verschiedenen Stellen; er sagte kein Wort; er schüttelte und schüttelte nur immer wieder den Kopf. Er schien sprachlos geworden zu sein; aber seine Augen leuchteten und in seinen Zügen arbeitete die außerordentliche Erregtheit, welche sich seines Innern bemächtigt hatte. Seine Bewegungen waren hastig und dabei unsicher, fast taumelnd; seine Hände zitterten und er schien alle Kraft zusammennehmen zu müssen, um endlich mit beinahe überschnappender Stimme ausrufen zu können:

»Wer hätte das gedacht! Wer hätte das nur denken können! Mr. Grinley, ich finde alles, alles, was Ihr gesagt habt, hier übertroffen!«

»Wirklich? Freut mich, Sir, freut mich ungeheuer!« lachte der Ölprinz. »Seid Ihr nun endlich überzeugt, daß ich ein ehrlicher Mann bin, der es aufrichtig mit Euch gemeint hat?«

Rollins streckte ihm beide Hände entgegen und antwortete:

»Gebt Eure Hände her; ich muß sie Euch schütteln und drücken. Ihr seid ein Ehrenmann, wie ich noch keinen gefunden habe. Verzeiht es uns, daß wir in unserm Vertrauen einigemal unsicher geworden sind! Wir waren nicht schuld daran!«

»Weiß es, weiß es, Sir,« nickte Grinley in biederer Weise. »Diese Fremden machten Euch an mir irre. Hättet nicht auf sie hören sollen; ist jetzt aber alles gut, alles! Untersucht das Öl, Sir!«

»Habe schon, habe es untersucht.«

»Nun, und –«

»Es ist das schönste, das reinste Erdöl, welches zu haben ist. Woher kommt es? Hat der See einen Zufluß?«

»Nein, nur diesen kleinen Abfluß. Es muß eine unterirdische Quelle da sein, eine oder vielleicht zwei: eine für das Wasser und eine für das Erdöl. Ihr seht, man braucht das letztere nur so abzuschöpfen und in die Fässer zu füllen.«

Rollins wußte vor Entzücken weder aus noch ein. Baumgarten war nüchterner und bemerkte auf die letzten Worte:

»Ja, man braucht nur abzuschöpfen; aber was dann, wenn abgeschöpft worden ist? Wann und wie stark läuft es nachher wieder zu?«

»Natürlich schnell, so schnell, daß gar keine Unterbrechung der Arbeit eintreten wird.«

»Das möchte ich nicht ohne Kritik annehmen. Es kann doch nur soviel zulaufen, wie abläuft. Nun seht den spärlichen Abfluß hier, welcher unser Wegweiser gewesen ist. Ich glaube, das Wässerchen führt pro Stunde keinen Liter Öl mit sich fort; das ist die Ausbeute, die ganze Ausbeute, die wir zu erwarten haben.«

»Meint Ihr? Nicht mehr? Nicht mehr als bloß einen Liter in der Stunde?« fragte der Bankier im Tone bitterster Enttäuschung.

Der Mund blieb ihm vor Schreck offen stehen; sein Gesicht war leichenblaß geworden.

»Ja, Mr. Rollins, so ist es,« antwortete der Buchhalter. »Ihr müßt doch zugeben, daß der Zufluß nicht größer als der Abfluß sein kann? Und wenn er größer wäre, zehnmal größer, hundertmal! Was sind hundert Liter Öl in der Stunde? Nichts, gar nichts. Rechnet die Höhe des Anlage- und des Betriebskapitals, die Abgelegenheit dieser Gegend, die hier vorhandenen Gefahren, die Schwierigkeit des Absatzes! Und hundert Liter pro Stunde!«

»Kann es denn nicht doch mehr sein? Ist es nicht möglich, daß Ihr Euch irrt?«

»Nein und abermals nein. Wie alt ist dieser See? Die Jahre sind nicht zu zählen. Seit seiner Entstehung sind Jahrhunderte oder Jahrtausende vergangen; es fließt so wenig ab. Wenn mehr Öl zuflösse, wie hoch müßte es dann auf dem Wasser stehen! Nein, es ist nichts, gar nichts hier zu holen!«

»Nichts, gar nichts!« wiederholte der Bankier, indem er mit beiden Händen nach dem Kopfe griff. »Also alle Hoffnung, alle Freude vergeblich! Den weiten, weiten Weg umsonst gemacht! Wer soll das aushalten; wer kann das ertragen!«

Auch der Ölprinz war über die Worte des Buchhalters erschrocken. Mit welchen Mühen und unter welchen Gefahren hatte er das Petroleum faßweise und nach und nach hierher geschafft und versteckt! Was hatte es ihm gekostet! Und nun er so nahe am Erfolge stand, sollte das alles vergeblich gewesen sein! Es flimmerte ihm vor den Augen; er fühlte sich ratlos, konnte kein Wort hervorbringen und richtete seine Blicke hilfesuchend auf seinen Stiefbruder Buttler.

Dieser hatte schon wiederholt gezeigt, daß er ihm an Schlauheit überlegen war, und auch jetzt zeigte es sich, daß der frühere Anführer der »Finders« sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Er gab ein kurzes, überlegenes Lachen zu hören und sagte zu dem Bankier:

»Was lamentiert Ihr denn, Mr. Rollins? Ich kann Euch nicht begreifen! Wenn es mit dem, was Ihr jetzt denkt und sagt, seine Richtigkeit hätte, so würde es Grinley nicht eingefallen sein, so große Hoffnungen auf das Gloomy-water zu setzen.«

»Meint Ihr?« fragte Rollins schnell, indem er neuen Mut bekam.

»Ja, das meine ich. Und wenn das Öl hier nur so in Fässern zu schöpfen wäre, so würde er Euch den Platz nicht angeboten, sondern selbst behalten haben. Es ist eben die Sache, daß die Gewinnung des Öles einige kostspielige Vorbereitungen erfordert, zu denen er nicht die Mittel besitzt.«

»Vorbereitungen? Welche?«

»Hm! Es wundert mich Sehr, daß Ihr das nicht selbst findet. Habt Ihr vielleicht einmal Physik studiert?«

»Nein.«

»Hm! Schade drum! Brauchte Euch dann keine lange Erklärung zu geben. Will aber versuchen, es Euch deutlich zu machen. Ich setze den Fall, Euer Pferd liegt da im Grase und Ihr steigt in den Sattel. Wird es mit Euch aufstehen können?«

»Ja.«

»Ihr denkt also nicht, daß Ihr ihm zu schwer seid?«

»Nein; es steht auf.«

»Well. Setze aber den andern Fall, daß anstatt des Pferdes ein Schoßhündchen hier läge. Würde das Euch auch in die Höhe bringen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ihm zu schwer wäre.«

»Nun wohl, wendet das doch einmal auf das Petroleum an!«

»Wieso?« fragte Rollins, der das, was Buttler meinte, nicht zu erraten vermochte.

»Mein Beispiel soll sagen, daß ein schwerer Körper, der auf einem leichteren lastet, diesen niederhält. Das begreift Ihr wohl?«

»Jetzt allerdings.«

»Und auch Ihr, Mr. Baumgarten?«

»Ja,« nickte der Genannte, welcher den Worten Buttlers mit Aufmerksamkeit gefolgt war. Dieser fuhr fort: »Wißt Ihr nun aber auch, was schwerer ist, das Petroleum oder das Wasser?«

»Das Wasser,« antwortete der Buchhalter.

»Very well! Nun denkt Euch einmal, wie schwer die Wassermenge ist, welche sich hier im See befindet!«

»Tausende von Zentnern.«

»Und auf dem Grunde des Sees gibt es eine Petroleumquelle, das heißt ein kleines Loch, aus welchem das Öl heraus will; aber auf diesem Loche liegen viele tausend Zentner von Wasser. Kann da das Öl heraus?«

»Nein.«

Baumgarten ging in die Falle. Er war Kaufmann; von den physikalischen Gesetzen verstand er wenig; er wußte nicht, daß das Öl, gerade weil es leichter als das Wasser ist, emporsteigen müsse. Grinley begann von neuem aufzuatmen. Auf Buttlers Gesicht ließ sich ein siegesgewisses Lächeln sehen. Er sprach weiter:

»Also das Öl, welches aus der Erde strömen möchte, kann nicht in die Höhe. Wir sehen hier nur das geringe Quantum, welches oben durch irgend eine kleine Ritze aus der Erde sickert. Nun schafft aber einmal eine Pumpe her und pumpt das Wasser aus dem See, oder sorgt auf irgend eine andre Weise für den Abfluß desselben. Dann werdet Ihr sehen, daß ein Ölstrahl hundert Fuß hoch und noch höher in die Luft steigt. Das gibt dann einen Ölspring wie in Pennsylvanien, der an einem Tage mehrere hundert Fässer füllt. Hätte Grinley das Geld zu einem solchen Pumpwerke, so wäre es ihm nicht eingefallen, sich an Euch zu wenden. Da habt Ihr die Sache, wie sie steht. Macht, was Ihr wollt; aber besinnt Euch nicht lange. Wir finden allemal und zu jeder Zeit einen Unternehmer, welcher Geist und Mut genug besitzt, für einen solchen Lumpenpreis Millionen einzuheimsen.«

Das wirkte. Der Bankier jubelte von neuem und Baumgarten ließ alle seine Bedenken fallen. Öl war vorhanden, das sah man ja; man brauchte ihm nur einen Ausweg zu bahnen. Es wurde hin und her gesprochen, natürlich in einer Weise, welche den beiden Käufern die Köpfe verdrehte. Rollins entschloß sich auf den Handel einzugehen, und es geschah nur um der Form willen, daß er meinte, man müsse doch vorher den ganzen Umfang des Sees in Augenschein nehmen.

»Thut das, Mr. Rollins,« sagte Grinley. »Poller mag Euch führen.«

Der Genannte entfernte sich mit Rollins und Baumgarten. Als sie fort waren, stieß der Ölprinz erleichtert hervor:

»Tausend Donner, war das eine fatale Lage! Fast wären die Kerls noch zu guter Letzt zurückgetreten! Dein Einfall war ausgezeichnet.«

»Ja,« lachte Buttler. »Wäre ich nicht gewesen, so hättest du deinen Petroleumsee für dich behalten können. Nun aber bin ich überzeugt, daß sie auf den Leim gehen werden.«

»Man sollte es kaum für möglich halten, daß eine solche physikalische Erklärung so harmlos hingenommen wird!«

»Pshaw! Rollins ist zu dumm und der Deutsche zu ehrlich.«

»Sie werden an der Höhle vorüberkommen. Es ist doch nichts zu sehen?«

»Nein. Die Arbeit hat uns freilich mehr als Schweiß gekostet. Dafür magst du aber auch Sorge tragen, daß der Handel noch heut zu stande kommt. Wir dürfen keine Stunde versäumen, denn es ist den Roten nicht zu trauen. Wir dürfen nicht länger als höchstens bis morgen früh hier bleiben. Wie fertigen wir denn die beiden Dummköpfe ab, mit dem Messer oder mit der Kugel?«

»Hm, ich möchte beides vermeiden.«

»Sie also leben lassen? Was fällt dir ein!«

»Versteh nicht falsch! Ich will sie bloß nicht sterben sehen; die Erinnerung daran ist unbehaglich. Was sagst du dazu, daß wir sie in die Höhle stecken?«

»Kein übler Gedanke. Wir binden sie und sperren sie hinein. Da gehen sie zu Grunde, ohne daß wir es anzusehen brauchen. Ich bin einverstanden. Aber wann?«

»Sobald wir das Geld haben, bekommt jeder einen Kolbenhieb auf den Kopf.«

»Auch Poller?«

»Der noch nicht. Wir haben ihn wahrscheinlich noch nötig. Bis wir diese gefährliche Gegend hinter uns haben, ist es besser, zu dreien, als nur zu zweien zu sein. Dann können wir uns seiner zu jeder Zeit entledigen.«

Ja, diese Gegend war allerdings für sie gefährlich. Sie ahnten nicht, daß sie beobachtet wurden. Gar nicht weit von ihnen, an der Stelle, wo die Schlucht auf den See mündete, lag ein Indianer hinter dem Gesträuch und beobachtete alles, was vor seinen Augen geschah. Es war der Navajo, welcher der Ermordung seiner beiden Gefährten hatte zusehen müssen, ohne sie verhindern zu können, Grinley und Buttler streckten sich jetzt in das Gras nieder. Als der Indianer dies bemerkte, sagte er zu sich selbst:

»Sie bleiben hier; sie werden diese Gegend jetzt noch nicht verlassen. Ich habe Zeit zu unsern Kriegern zu gehen und sie herbeizuholen.«

Er kroch hinter dem Busche hervor und verschwand in der Schlucht, ohne einen Eindruck seiner Füße im Boden zurückzulassen.

Einige Zeit später hatten die drei Weißen den See umgangen und kehrten zu Buttler und Grinley zurück.

»Nun, Mesch'schurs,« fragte der letztere, »Ihr habt alles gesehen. Was gedenkt Ihr zu thun?«

»Kaufen,« antwortete der Bankier.

»Ihr seid also überzeugt, daß Ihr ein Geschäft machen werdet?«

»Ja, wenn auch nicht so groß, wie Ihr Euch vorstellt.«

»Laßt diese Redensart, Sir! Ich gehe keinen Dollar von meiner Forderung herunter, habe überhaupt keine Lust, meine Zeit zu verlieren. Ich halte es nämlich doch für möglich, daß die Roten hinter uns her sind, und möchte ihnen nicht gern meinen Skalp überlassen.«

»So wollen wir schleunigst fort,« sagte Rollins ängstlich.

»Ja, aber nicht eher, als bis der Handel perfekt ist. Es war ausgemacht, ihn hier am See abzuschließen. Sobald wir unterschrieben und die Papiere ausgetauscht haben, brechen wir auf.«

»Soll mir recht sein. Mr. Baumgarten, habt Ihr vielleicht noch ein Bedenken?«

Ehe der Gefragte antworten konnte, fiel Grinley in scharfem Tone ein:

»Wenn Ihr auch jetzt noch von Bedenken redet, Mr. Rollins, so muß ich das nun wirklich als eine Beleidigung ansehen. Sagt kurz, ob Ihr wollt oder nicht!«

Dadurch eingeschüchtert, erklärte der Bankier:

»Ich will; das versteht sich ganz von selbst.«

»Nun wohl; so können wir zum Abschlusse schreiten. Die Dokumente sind längst aufgesetzt und nur noch zu unterschreiben. Sucht Eure Tinte und Feder hervor!«

Rollins holte das Erforderliche aus seiner Satteltasche, erhielt nach geschehener Unterschrift den Besitztitel und den Kaufkontrakt und unterzeichnete dann die bereit gehaltene Anweisung auf San Francisco. Als Grinley dieselbe in die Hand bekam, betrachtete er sie mit gierigem Blicke und sagte, indem er ein ganz eigentümliches, nach innen gehendes Lachen hören ließ:

»So, Mr. Rollins, jetzt seid ihr Herr und Besitzer dieses großartigen Petroleumdistriktes. Ich wünsche Euch viel Glück! Und da Euch nun alles hier gehört und ich keinen Gebrauch mehr davon machen kann, will ich Euch ein Geheimnis entdecken, dessen Kenntnis Euch von großem Nutzen sein wird.«

»Was für ein Geheimnis?«

»Eine verborgene Höhle.«

»Weiter nichts?«

»Oho! Ihr sagt weiter nichts, als ob dies gar nichts wäre! Aber diese Höhle kann Euch oder Euern Leuten in der ersten Zeit als Vorratskammer dienen und als Versteck bei Indianerangriffen. Es ist sogar möglich, daß sie mit dem unterirdischen Petroleumbassin, welches hier unbedingt vorhanden ist, in Verbindung steht.«

»Ach, Petroleumbassin? Ist's möglich?«

»Sehr sogar. Ich habe sie noch nicht untersucht.«

»So sagt schnell, wo sie ist! Ich muß sie sehen; ich werde sie später erforschen lassen.«

»Kommt; ich werde sie Euch zeigen.«

Sie gingen eine kurze Strecke am Ufer hin, bis da, wo der Felsen näher an das Wasser trat. Am Fuße dieses Felsens lag ein ziemlich hoher Geröllhaufen, dessen Spitze Buttler und Poller abzuräumen begannen. Bald wurde ein Loch sichtbar, welches in den Felsen führte.

»Das ist die Höhle; das ist sie!« rief der Bankier aus. »Machen wir den Zugang weiter; schnell! Helft mit dabei, Mr. Baumgarten!«

Die beiden bückten sich nieder, um sich an der Arbeit zu beteiligen. Buttler stand auf und blickte Grinley fragend an. Dieser nickte. Sie ergriffen ihre Gewehre; jeder von ihnen that einen Kolbenschlag – – der Bankier und Baumgarten stürzten, an ihre Köpfe getroffen, vornüber; sie wurden an Händen und Füßen gefesselt und, als der Eingang weit genug geworden war, in die Höhle geschafft und weit hinten in derselben niedergelegt. Wären sie nicht betäubt gewesen, so hätten sie die vielen Fässer gesehen, mit denen die Höhle fast ganz ausgefüllt war.

Hierauf wurde das Geröll wieder aufgeschichtet, bis das Loch nicht mehr zu sehen war. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß die drei Mörder ihren Opfern außer den Kleidern alles, was dieselben besaßen, abgenommen hatten. Dann begaben sie sich zu ihren Pferden zurück.

»Endlich!« sagte der Ölprinz. »Noch kein Geschäft hat mir so viel Mühe und Sorge gemacht, wie dieses. Und noch ist es nicht vollständig gelungen. Es gilt nun erst, die Anweisung nach San Francisco zu schaffen. Hoffentlich kommen wir glücklich dort an! Wir brechen natürlich doch gleich auf?«

»Ja,« antwortete Poller. »Vorher aber müssen wir uns doch teilen.«

»Worin?«

»In die Gegenstände, die wir den beiden abgenommen haben.«

»Ist das denn sofort nötig?«

»So sehr nicht; aber es ist jedenfalls besser, es weiß ein jeder, was ihm gehört.«

Grinley hätte ihn am liebsten sogleich niedergeschlagen, aber er sagte sich, daß ihm das, was er jetzt bekam, später doch wieder abgenommen würde. Darum entschied er im Tone der Gutwilligkeit:

»Meinetwegen, die Pferde bleiben natürlich ungeteilt, und über die andern Gegenstände werden wir uns nicht zanken. Wir sind Freunde und Brüder, die sich wegen Kleinigkeiten nicht veruneinigen werden.«

Sie setzten sich nieder und breiteten die geraubten Waffen, Uhren, Ringe, Börsen und andren Gegenstände vor sich aus, um ihren Wert zu taxieren und sie nach demselben unter sich zu verteilen.

Während dies geschah, kamen durch die Schlucht, die nach dem See führte, acht Indianer geschlichen. Es waren Navajos; an ihrer Spitze huschte der Kundschafter, welcher schon vorhin hier gewesen war. Am Eingange zum Thale angekommen, blieben sie halten und lauschten hinter den Büschen hervor, Sie sahen die drei Weißen sitzen.

»Uff!« flüsterte der Älteste von ihnen, indem er sich an den Kundschafter wandte, »es ist wirklich so, wie mein Bruder berichtet hat: der See ist voll Petroleum. Wo ist dasselbe hergekommen?«

»Die Bleichgesichter werden es wissen,« antwortete der andre.

»Hat mein Bruder nicht fünf Weiße gezählt? Ich sehe nur drei.«

»Vorhin gab es fünf; es fehlen zwei. Diese drei sind diejenigen, welche ich bei Mokaschi, dem Häuptling der Nijoras sah.«

»Welcher von ihnen hat unsern Bruder Khasti-tine ermordet?«

»Der, welcher jetzt zwei Flinten in den Händen hat.«

Er meinte damit den Ölprinzen.

»Er wird eines bösen Todes sterben; aber auch die beiden andern kommen an den Marterpfahl. Uff! Sie teilen die Sachen, welche vor ihnen liegen. Bald erhält der eine etwas und bald der andre. Der vierte und der fünfte sind verschwunden. Die Sachen haben ihnen gehört. Sollten sie getötet worden sein?«

»Wir werden es erfahren. Wann ergreifen wir sie?«

»Jetzt gleich. Sie achten auf nichts als auf ihren Raub und werden so erschrecken, daß sie sich gar nicht wehren. Meine Brüder mögen mir schnell folgen.«

Er schnellte sich, die sieben andern hinter ihm her, auf die drei Weißen zu. Dieser Überfall kam so plötzlich und wurde so rasch ausgeführt, daß sie gebunden waren, ehe sie nur einen Schrei ausgestoßen oder ein Glied zu ihrer Verteidigung gerührt hatten. Vor Angst versagte ihnen die Sprache.

Auch die Roten sprachen zunächst kein Wort. Fünf von ihnen setzten sich zu den Gefangenen nieder; die andern drei entfernten sich, um das Thal abzusuchen. Als sie zurückkehrten, meldete einer von ihnen:

»Die zwei Bleichgesichter bleiben verschwunden. Wir haben keinen von ihnen gesehen.«

»Sind sie nicht am Felsen emporgestiegen?« fragte der Älteste.

»Nein; dann hätten wir ihre Spuren gesehen.«

»Wir werden sogleich erfahren, wo sie zu suchen sind.«

Er zog sein Messer, setzte es dem Ölprinzen auf die Brust und drohte:

»Du bist der Schurke, welcher Khasti-tine, unsern jungen Bruder, ermordet hat. Sagst du mir nicht augenblicklich, wo die zwei Bleichgesichter hingekommen sind, welche vorhin noch bei euch waren, so stoß' ich dir dieses Eisen in das Herz!«

Dieser Befehl versetzte Grinley in großen Schrecken. Gehorchte er, so holten die Indianer den Bankier und seinen Buchhalter ganz gewiß aus der Höhle; das aber durfte nicht geschehen. Gehorchte er nicht, so stand zu erwarten, daß der Rote seine Drohung ausführen und ihn erstechen werde. Was thun? Da half ihm wieder der listigere Buttler aus der Not; dieser rief dem Indsman zu:

»Du irrst dich. Der Mann, den du erstechen willst, ist nicht der Mörder von Khasti-tine, Wir sind ganz unschuldig an dem Tode desselben.«

Der Indianer ließ von dem Ölprinzen ab und wendete sich an Buttler:

»Schweig! Wir wissen gar wohl, wer der Mörder ist.«

»Nein, ihr wißt es nicht!«

»Dieser unser Bruder hat es gesehen.«

Er deutete auf den Kundschaften

»Er irrt sich,« behauptete Buttler trotzdem. »Er hat uns bei dem Häuptling der Nijoras gesehen; aber als die beiden Schüsse fielen, standen wir so, daß sein Blick uns gar nicht treffen konnte.«

»So willst du wohl leugnen, bei der Ermordung unsrer beiden Brüder zugegen gewesen zu sein?«

»Nein. Ich habe noch nie eine Lüge gesagt und auch jetzt fällt es mir gar nicht ein, gegen die Wahrheit zu sprechen. Die beiden weißen Männer, nach denen du gefragt hast, sind die Mörder.«

»Uff!« rief der Rote. »Wir sehen sie nicht; sie sind also fort. So suchst du euch zu retten, indem du die Schuld auf sie wirfst!«

»Sie sind fort, sagst du? Wohin sollen sie sein? Ihr seid Kundschafter, also Krieger, welche scharfe Augen besitzen. Habt ihr denn ihre Spuren gesehen, welche gewiß zu finden wären, wenn sie sich wirklich entfernt hätten?«

»Nein. Du willst also sagen, daß sie noch hier sind?«

»Ja.«

»Wo?«

»An einem Orte, wo ihr sie nicht sehen könnt.«

»Welchen Ort meinst du?«

»Diesen.«

Er deutete auf das Wasser.

»Uff! Sie befinden sich in diesem See?«

»Ja.«

»Sie sind also ertrunken?«

»Ja.«

»Lüg nicht! Es gibt keinen Menschen, der in dieses ölige Wasser ginge.«

»Freiwillig nicht; das ist richtig. Sie wollten nicht hinein, aber sie mußten doch.«

»Wer hat sie gezwungen?«

»Wir. Wir haben sie ersäuft.«

»Ihr – habt – sie – – ersäuft?« fragte der Indianer. Er war ein Wilder und fühlte doch einen so großen Abscheu vor einer solchen That, daß er die Worte nur in Absätzen herausbrachte. »Ersäuft? Warum?«

»Zur Strafe. Sie waren unsre Todfeinde.«

»Und doch befanden sie sich bei euch! Niemand pflegt in Gesellschaft seiner Todfeinde zu reiten.«

»Wir haben von ihrer Feindschaft nichts gewußt; wir merkten es erst, als wir hier ankamen.«

»Was hattet Ihr ihnen gethan?«

»Nichts. Sie wollten diesen Ölsee allein besitzen und darum uns ermorden. Als wir dies bemerkten, haben wir sie unschädlich gemacht, indem wir sie in das Wasser warfen.«

»Wehrten sie sich nicht?«

»Nein. Wir schlugen sie ganz plötzlich mit den Kolben nieder.«

»Warum sieht man sie nicht?«

»Weil wir ihnen Steine an die Füße gebunden haben; da sind sie auf den Grund gegangen.«

Der Rote schwieg eine Weile. Er überlegte, ob es geraten sei, die Angaben Buttlers zu glauben. Dann sagte er:

Ach will glauben, daß du die Wahrheit redest. Aber mir graut vor euch. Ihr habt Söhne Eurer eignen Rasse ersäuft, so wie man räudige Hunde in das Wasser wirft. Ihr habt sie heimlich getötet, ohne mit ihnen zu kämpfen. Ihr seid böse Menschen!«

»Konnten wir anders handeln? Sollten wir etwa warten, bis sie ihren Plan ausführten und uns hinterrücks niederschossen? Das wollten sie nämlich thun; wir haben sie belauscht.«

»Wie ihr über diese Sache denkt, das geht mich nichts an; kein roter Mann ersäuft einen andern Indianer und wenn es sein größter Feind wäre. Seid ihr schon einmal an diesem Wasser gewesen?«

»Ja, ich,« antwortete der Ölprinz jetzt.

»Wann?«

»Vor mehreren Monden.«

»War schon damals dieses Öl vorhanden?«

»Ja. Darum ging ich fort, um noch einige Weiße herbeizuholen und es ihnen zu zeigen. Ich wollte mit ihnen eine Gesellschaft zur Gewinnung des Öles gründen. Diese beiden aber wollten uns ermorden, um die alleinigen Besitzer zu sein.«

»Uff! Vorher hat es hier niemals Öl gegeben. Es muß erst kürzlich aus der Erde hervorgebrochen sein. Aber wie konntet ihr euch als Besitzer des Sees dünken! Er gehört den roten Männern. Die Bleichgesichter sind Räuber, welche zu uns kommen, um uns alles zu nehmen, was uns gehört. Der Tomahawk ist ausgegraben. Wäret ihr daheim geblieben! Indem ihr hierhergekommen seid, seid ihr in den Tod geritten.«

»In den Tod? Seid ihr ehrliche Krieger oder seid ihr Mörder? Wir haben euch doch nichts gethan!«

»Schweig! Ist nicht Khasti-tine mit seinem Gefährten ermordet worden?«

»Leider; aber nicht wir sind es, die sie getötet haben.«

»Ihr waret dabei: Ihr hättet die That verhüten sollen.«

»Das war unmöglich. Die beiden Kerle schossen so schnell, daß wir keine Zeit fanden, auch nur ein einziges Wort dagegen zu sagen.«

»Das rettet euch nicht. Ihr habt euch in der Gesellschaft der Mörder befunden; ihr werdet sterben. Wir werden euch zu unserm Häuptling bringen; da werden die Alten über euch zur Beratung sitzen, welchen Tod ihr zu erleiden habt.«

»Aber wir haben doch die beiden Mörder bestraft; dafür solltet ihr uns dankbar sein.«

»Dankbar?« hohnlachte der Rote. »Meinst du, daß du uns damit einen Dienst erwiesen hast? Es wäre uns lieber, sie lebten noch; da könnten wir uns ihre Skalpe holen und sie am Marterpfahle sterben lassen. Um diese Freude habt ihr uns gebracht. Willst du dich dessen rühmen? Euer Schicksal ist bestimmt; der Tod erwartet euch. Ich habe gesprochen!«

Er wendete sich ab, zum Zeichen, daß er kein Wort mehr sagen werde. Nun wurden ihnen die Taschen geleert. Die Indianer nahmen alles an sich, was sich in denselben befand. Nur als der Anführer die Anweisung sah, faßte er sie vorsichtig mit den Fingerspitzen an, schob sie wieder in die Tasche Grinleys zurück und sagte:

»Das ist Zauberei, ein redendes Papier; kein roter Krieger nimmt ein solches in die Hände, denn es würde später alle seine Gedanken, Worte und Thaten verraten.«

Das war dem Ölprinzen natürlich lieb. Er hoffte zu entkommen, das war dann mit der Anweisung natürlich weit besser, als ohne dieselbe.

Mittlerweile war der Tag so weit vorgeschritten, daß es am See schon dunkel zu werden begann. Die Indianer wären hier über Nacht geblieben, doch trieb sie der Ölgeruch davon. Die Gefangenen wurden auf ihre Pferde gefesselt; dann ritten sie davon, durch die Schlucht zurück und dann ein Stück in den Wald hinein, wo es Wasser gab. Hier saßen sie ab, banden die Gefangenen an drei Bäume und trafen ihre Vorbereitungen zum Lagern. Sie schienen sich an dieser Stelle vollständig sicher zu fühlen; aber hätten sie gewußt, was hinter ihnen geschah, so wären sie gewiß so weit wie möglich fortgeritten.

Mokaschi nämlich, der Häuptling der Nijoras, war, als die fünf Weißen ihn verlassen hatten, so vorsichtig gewesen, die Spuren der Navajokundschafter noch einmal genauer zu untersuchen. Er hatte vorher schon gesehen, daß außer den zwei Ermordeten noch ein dritter dagewesen war; nun wollte er wissen, wo dieser hingekommen war.

Nach längerem Suchen fand er die Fährte; sie führte auf einem Umwege auf die Spur der Bleichgesichter und dann hinter denselben her.

»Dieser Navajo will sich an den Mördern rächen. Er folgt ihnen; daraus ist zu schließen, daß der Kriegertrupp, zu welchem er gehört, sich in derselben Richtung befindet. Wir werden ihm nachreiten und diese Navajos gefangen nehmen.«

So sagte der Häuptling und ritt zunächst in die gerade entgegengesetzte Richtung, bis er eine tief versteckte Lichtung im Walde erreichte, wo ungefähr dreißig Nijorakrieger lagerten, Das waren die Kundschafter, welche dem eigentlichen großen Kriegertruppe voranritten. Mit diesen Leuten kehrte er zu der Fährte der Weißen und des Navajo zurück und folgte derselben. Dabei gebrauchte er die Vorsicht, einen einzelnen seiner Leute weit vorauszusenden.

Sie kamen bis in die Nähe der Schlucht, welche auf den Ölsee mündete. Dort versteckten sie sich. Nach kurzer Zeit sahen sie den Navajokundschafter aus der Schlucht kommen und eiligst fortspringen. Einer der Nijoras machte eine Bewegung, als ob er auf ihn schießen wolle; der Häuptling machte eine abwehrende Handbewegung und flüsterte ihm zu:

»Laß ihn laufen! Er wird bald wiederkommen und andre Navajos mitbringen. Die fangen wir dann.«

Schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit zeigte es sich, daß er ganz richtig vermutet hatte, denn der Kundschafter kehrte mit sieben andern zurück, mit denen er in die Schlucht hineinritt. Sie wollten am Ende derselben von den Pferden steigen und die Weißen überfallen.

Die Nijoras warteten. Mokaschi wunderte sich nicht wenig, als er die Navajos dann mit nur drei Weißen aus der Schlucht kommen sah. Er hatte sie in dem Augenblicke, an welchem er sie aus derselben herauskommen sah, überfallen wollen, gab aber seinen Leuten nun einen Wink, noch versteckt zu bleiben. Er wollte erst sehen, warum zwei Weiße fehlten. Darum ließ er die Feinde fort und ging dann mit noch einigen seiner Leute durch die Schlucht nach dem »finstern Wasser«. Sie suchten so schnell, aber auch so vorsichtig wie möglich den ganzen Rand desselben ab, doch ohne eine Spur der fehlenden Bleichgesichter zu entdecken.

»Fort können sie nicht sein,« sagte Mokaschi. »Sie leben nicht mehr, und da wir ihre Leichen nicht sehen, sind sie gewiß in das Wasser geworfen worden.«

Er verließ mit seinen Begleitern den See und kehrte zu dem Verstecke der andern zurück. Dort blieben die Pferde unter der Aufsicht von zwei Wächtern zurück; mit den übrigen achtundzwanzig Männern machte er sich zu Fuße hinter den Navajos her. Diese waren jedenfalls nicht weit entfernt, da der Abend hereinzubrechen begann, und also anzunehmen war, daß sie bald lagern würden.

Es war gerade noch so hell, daß man ihre Spuren erkennen konnte; sie führten in den Wald hinein, wo sie dann nicht mehr zu sehen waren. Mokaschi ließ sich dadurch nicht stören. Um die Gesuchten zu finden, brauchte er nur die bisherige Richtung einzuhalten.

Es dauerte auch gar nicht lange, so bemerkte er erst einen Brandgeruch und gleich darauf den Schein eines kleinen indianischen Lagerfeuers. Er blieb halten und flüsterte seinen Leuten zu:

»Diese Navajos sind keine Krieger, sondern junge Knaben, welche keinen Verstand besitzen. Welcher Kundschafter brennt des Nachts ein Feuer an! Meine Brüder mögen sie umzingeln und, sobald ich den Kriegsruf hören lasse, sich auf sie werfen. Wir müssen sie lebendig haben, um sie an den Marterpfahl binden zu können.«

Die Nijoras huschten wie unhörbare Schatten unter den Bäumen hin. Mokaschi schlich sich möglichst nahe zum Feuer heran und nahm sich einen Navajo ins Auge, den er fassen wollte. Als er sich nach einigen Minuten sagen konnte, daß seine Leute bereit seien, stieß er den bekannten, schrill durch den Wald schneidenden Ruf aus und sprang mitten unter die Navajos hinein, um den Betreffenden zu packen. In demselben Augenblicke wiederholten seine Krieger das Kriegsgeschrei und warfen sich von allen Seiten auf die Feinde, welche eine solche Überrumpelung für ganz unmöglich gehalten hatten und so überrascht, so erschrocken waren, daß sie für den Augenblick gar nicht an Widerstand dachten. Sie wurden überwältigt, ohne daß auch nur einer von ihnen Zeit fand, nach dem Messer, Gewehre oder Tomahawk zu greifen.

»Gott sei Dank!« raunte der Ölprinz seinen beiden Gefährten zu. »Wir sind nun gerettet!«

»Oder nicht!« antwortete Poller.

»O, gewiß. Mokaschi hat uns ja schon einmal fortreiten lassen. Aus welchem Grunde sollte er uns jetzt festhalten?«

»Aus gar keinem. Diese roten Halunken fragen eben gar nicht nach Gründen.«

»Wartet es ab! Ihr werdet sehen, daß ich recht habe.«

Niemand hatte auf dieses kurze, leise Gespräch geachtet. Die Navajos lagen gebunden auf der Erde; die Nijoras teilten sich in ihre Waffen. Mokaschi stand hoch aufgerichtet am Feuer und gebot:

»Die Söhne der Navajos mögen mir sagen, welcher von ihnen ihr Anführer ist!«

»Ich bin es,« antwortete der älteste.

»Wie ist dein Name?«

»Ich werde das ›schnelle Roß‹ genannt.«

»Dieser Name mag zutreffend sein. Auf der Flucht vor dem Feinde wirst du noch schneller als der Mustang der Prairie sein.«

»Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, lügt. Noch niemals hat ein Feind meinen Rücken zu sehen bekommen!«

»Du nennst meinen Namen; also kennst du mich?«

»Ja, ich habe dich gesehen. Du bist ein kluger und tapferer Krieger. Ich wollte, daß ich mit dir kämpfen dürfte. Dein Skalp würde dann an meinem Gürtel hangen.«

»Meinen Skalp wird nie ein Feind besitzen, am allerwenigsten einer, wie du bist. Hat der große Geist euch denn ohne Gehirn erschaffen? Wißt ihr nicht, daß die Späher der Nijoras ebenso gegen euch unterwegs sind, wie ihr gegen sie? Welcher Kundschaftet geht durch den Wald und über das Gras, ohne sich nach den Spuren seiner Feinde umzusehen? Ein kluger Späher trachtet vor allen Dingen darnach, verborgen zu bleiben; ihr aber brennt ein Feuer an, als ob es euch gerade darauf ankomme, uns herbeizulocken! Ihr werdet freilich nie wieder Gelegenheit haben, solche Fehler zu begehen, denn ihr werdet am Pfahle sterben und vorher so gemartert werden, daß vor Schmerzen eure Stimmen über alle Berge schallen.«

Da antwortete das »schnelle Roß«:

»Martert uns! Wir werden als Krieger sterben, keinen Laut hören lassen und mit keiner Wimper zucken. Die Krieger der Navajos haben gelernt, die größten Schmerzen zu verachten. Was werdet ihr mit diesen Weißen thun?«

Als der Ölprinz diese Frage hörte, antwortete er:

»Mokaschi, der edle und berühmte Häuptling, wird uns freilassen.«

Aber dieser edle und berühmte Häuptling fuhr ihn an:

»Hund! Wer wurde gefragt, ich oder du? Wie kannst du es wagen, vor mir zu reden, noch ehe ich den Mund geöffnet habe!«

»Weil ich weiß, daß du das thun wirst, was ich gesagt habe.«

»Was ich thun werde, wirst du bald erfahren. Einmal habe ich euch ziehen lassen, um euch zu zeigen, daß ich euch verachte; zweimal aber kann dies nicht geschehen. Ihr waret fünf Bleichgesichter. Wo sind die zwei, welche fehlen?«

»Tot,« antwortete Grinley bedeutend kleinlauter als vorher.

»Tot? Wer hat sie getötet?«

»Wir.«

»Warum?«

»Weil wir bemerkten, daß sie uns nach dem Leben trachteten. Sie wollten uns heimlich ermorden.«

Mokaschi zog die Brauen erstaunt empor und rief aus:

»Uff! Euch heimlich ermorden? Diese Leute! Wer hat euch diese Lüge gesagt?«

»Es ist keine Lüge, sondern Wahrheit. Sie sprachen miteinander, als sie glaubten, daß wir es nicht hörten; aber ich belauschte sie.«

»Hund, das ist eine Lüge! Ich habe die Augen, die Gesichter dieser zwei Männer genau betrachtet; sie waren gute und ehrliche Menschen; ihr aber seid Mörder und Diebe, die man ausrotten muß wie wilde und giftige Tiere. Wo befinden sich ihre Leichen? Ich habe sie nicht gesehen.«

»Im Wasser.«

»Auch sah ich keine Spur von Blut. Also habt ihr sie nicht vorher getötet, ehe sie in das Wasser geworfen wurden?«

»Nein.«

»So sind sie ersäuft worden?«

»Ja.«

Es kostete dem Ölprinzen große Anstrengung, dieses ja auszusprechen. Die Wirkung zeigte sich sofort: Der Häuptling versetzte ihm einen Fußtritt, spie ihm ins Gesicht und rief:

»Ungeheuer, du scheußliches! Du bist kein Mensch, sondern ein Ungeziefer, und sollst eines Todes sterben, welcher deiner würdig ist. Seine Gefährten, die ihn nicht beleidigt haben, nicht nur zu erschlagen, sondern sogar zu ersäufen! Du bist hinterrücks über sie hergefallen, wie du auch Khasti-tine heimtückisch ermordet hast!«

Als das »schnelle Roß« dies hörte, richtete er sich auf, soweit seine Fesseln dies erlaubten, und sagte:

»Welche Worte hat Mokaschi da gesprochen? Wer hat Khasti-tine ermordet?«

»Dieses Bleichgesicht, welches wagt, zu glauben, daß ich es freilassen werde.«

»Uff! Der Elende sagte, die beiden Ersäuften seien die Mörder.«

»Lüge! Er selbst hat sich gegen mich gerühmt, die beiden Späher der Navajos getötet zu haben. Der feige Schurke bebt nun vor Angst und schiebt die Schuld den zwei ehrlichen Männern zu, welche er ermordet hat. Diese zwei erschossenen Späher und die beiden ermordeten Bleichgesichter sollen fürchterlich gerächt werden, obgleich keiner von ihnen zu meinem Stamme gehört hat. Seht diese drei weißen Mörder vor euch liegen, ihr roten Krieger, sie werden Qualen erleiden müssen, ohne sterben zu können, und dann am Ende ersäuft werden, wie sie ihre Opfer auch ersäuft haben. Howgh; ich habe es gesagt!«

Er spie dem Ölprinzen nochmals in das Gesicht, gab Buttler und Poller je einen sehr kräftigen Fußtritt und wendete sich dann von ihnen ab.

Es wurde ein Bote fortgeschickt, welcher die Pferde holen mußte; als diese kamen, wurde getrocknetes Fleisch aus den Satteltaschen genommen und das Mahl gehalten. Die gefangenen Navajos bekamen auch zu essen; die drei Weißen aber erhielten keinen Bissen.

»Verteufelte Geschichte!« flüsterte Buttler seinem Stiefbruder zu. »Dieses Ersäufen bricht uns den Hals. Es wäre doch vielleicht besser gewesen, die Wahrheit zu sagen.«

»Nein,« antwortete der Ölprinz. »Die roten Kerls hätten den Bankier und den Deutschen befreit, ohne daß unsre Lage dadurch verbessert worden wäre. Vor allen Dingen wären wir um die Anweisung gekommen.«

»Pshaw! Was nützt sie uns, wenn wir am Marterpfahle braten!«

»So weit ist es noch nicht.«

»Wird aber so weit kommen! Hast ja gehört, was der Häuptling sagte!«

»Gesagt wird manches, was dann doch nicht zur Ausführung kommt.«

»So hast du noch Hoffnung?«

»Natürlich! Befinde mich nicht zum erstenmal in einer solchen Klemme; bin immer mit einem blauen Auge davongekommen. Und selbst wenn ich an den Marterpfahl gebunden werde, halte ich noch immer die Hoffnung fest, bis sie mir den Todesstoß versetzen. Es hat, wie du weißt, schon mancher am Pfahle gehangen und ist doch gerettet worden.«

»Der hatte Freunde, die ihn befreiten; wen aber haben wir?«

»Hm!«

»Keinen Menschen, welcher um unsertwillen wagen würde, hier mit den Roten anzubinden. Wenn die Befreiung nicht uns selbst gelingt, so sind wir verloren.«

Er hatte nur zu recht. Wenn sie es wert gewesen wären, Freunde zu besitzen, so hätten sie jetzt die Hilfe aus der Not viel, viel näher gehabt, als sie glauben oder auch nur ahnen konnten. Es waren Helfer da, nämlich Old Shatterhand und Winnetou.

Diese beiden Männer waren seit dem Augenblicke, an welchem sie nach ihrem Zusammentreffen den Ölprinzen mit seinen Begleitern belauscht hatten, entschlossen gewesen, diesen fünf Männern nach dem Gloomy-water zu folgen. Dadurch aber, daß sie vorher nach dem Pueblo mußten, um die dortigen Gefangenen zu befreien, hatte Grinley einen Vorsprung von zwei Tagereisen bekommen. Eine dieser Tagereisen war diesem freilich dadurch verloren gegangen, daß er Buttler und Poller nach dem See vorausgeschickt hatte und einen ganzen Tag lang liegen geblieben war. Und die zweite Tagereise wurde beinahe dadurch wieder eingebracht, daß Winnetou und Old Shatterhand die besten Pferde der Puebloindianer mitgenommen hatten; der Ritt ging also schneller als sonst von statten. Überdies folgte man keineswegs den Spuren des Ölprinzen; Winnetou wußte einen Weg, welcher mit Umgehung verschiedener Terrainschwierigkeiten rascher an das Ziel führte, und so kam es, daß der Reitertrupp heute kurz vor Abend höchstens noch zwei Stunden zu reiten hatte, um den See zu erreichen. Das war eine Leistung, welche um so mehr anerkannt zu werden verdiente, als sich ja Frauen und Kinder dabei befanden.

Seit dem Pueblo bis hierher war man auf keine einzige Fährte getroffen. Jetzt aber vereinigten sich die Richtungen Old Shatterhands und des Ölprinzen. Da verstand es sich ganz von selbst, daß der erstere auf die Spur des letzteren treffen mußte. Dies geschah an einer Stelle, wo sie über eine Lichtung führte, welche mehr eine Waldwiese als eine Prairie zu nennen war. Man sah sie als ziemlich breite und gerade Linie über dieselbe gehen. Der Zug hielt an. Winnetou und Old Shatterhand stiegen von ihren Pferden, um diese Fährte anzusehen. Die andern blieben im Sattel sitzen; sie waren gewohnt, den beiden ebenso berühmten wie scharfsinnigen Männern den Vortritt zu lassen. Selbst Sam Hawkens, so erfahren und listig wie er war, pflegte sich erst dann der Sache anzunehmen, wenn er von den beiden dazu aufgefordert wurde.

Die Spur schien sehr schwer zu lesen zu sein, denn Old Shatterhand folgte ihr vorwärts, Winnetou schritt sie rückwärts ab, und es verging beinahe eine Viertelstunde, ehe sie wieder um- und zueinander zurückkehrten. Sie stießen gerade da, wo die Reiter hielten, wieder zusammen, so daß also die andern hörten, was sie sich mitzuteilen hatten.

»Was sagt mein roter Bruder zu dieser Spur?« fragte Old Shatterhand seinen Freund. »Ich habe noch selten eine Fährte gefunden, welche so schwer zu verstehen ist.«

Winnetou blickte gerade vor sich hin, in die Luft hinein, als ob die Erklärung dort zu lesen sei, und antwortete mit der ihm eigenen Bestimmtheit, der man es stets anhörte, daß jede Täuschung ausgeschlossen sei:

»Wir werden morgen dreierlei Menschen sehen- Bleichgesichter und Krieger von zwei roten Nationen.«

»Ja, das meine ich auch. Die Roten werden Navajos und Nijoras sein. Diese drei Parteien befinden sich in diesem Augenblicke am Gloomy-water, um einander zu beschleichen.«

»Mein weißer Bruder hat das richtige erraten, wie immer und stets. Erst sind hier fünf Pferde geritten; das waren die Bleichgesichter, denen wir folgen. Dann kam ein einzelner Reiter und später folgte ein Trupp, welcher wohl aus dreimal zehn Männern bestehen kann.«

Nach diesen Worten blickte er nach Westen, um sich über den Stand der Sonne zu unterrichten, und fuhr dann fort:

»Es wäre wohl vorteilhaft, noch heute das Gloomy-water zu erreichen; aber die Zeit ist zu kurz und die Gefahr dabei zu groß. Was sagt Old Shatterhand dazu?«

»Ich gebe dir recht. Ehe wir am Wasser ankämen, würde es Nacht sein, also zu spät, um noch etwas vornehmen zu können. Wir würden nichts sehen, dafür aber im Gegenteile von den Feinden bemerkt werden. Und schließlich ist zu bedenken, daß unser Trupp nicht nur aus Kriegern oder Männern zusammengesetzt ist.«

»Sehr richtig! Wir können erst morgen früh, wenn es hell geworden ist, an das Wasser und werden also baldigst Lager machen.«

»Wo?«

»Winnetou kennt einen Ort, welcher eine Stunde vom Gloomy-water entfernt ist. Dort kann man sogar ein Feuer anbrennen, welches weder gesehen noch gerochen werden kann. Meine Brüder mögen mir dorthin folgen!«

Damit war für ihn die Sache entschieden und geordnet; er ritt weiter, ohne sich umzusehen, ob die andern ihm auch folgten. Old Shatterhand aber blieb halten, denn er sah mit leisem Lächeln, daß die Westmänner jetzt von den Pferden stiegen, um nun auch ihrerseits die Fährte zu untersuchen. Es war jenes gutmütig-überlegene Lächeln, mit welchem zum Beispiel ein Klaviervirtuos die »berühmten« Klosterglocken oder das ebenso bekannte Gebet einer Jungfrau spielen hört.

Sie suchten hin und her, teilten sich leise ihre Meinungen mit und schienen nicht einig werden zu können. Da mahnte Old Shatterhand endlich:

»Macht, daß ihr fertig werdet, Mesch'schurs! Winnetou ist schon weit fort und wird soeben dort im Wald verschwinden.«

»Ja, Sir,« antwortete Sam Hawkens, indem er sich kratzte, »ihr beide habt gut reden, ihr seid Meister; unsereiner aber wird aus der Sache nicht so schnell klug wie ihr, wenn ich mich nicht irre.«

»Was ist denn noch Unklares dabei?«

»Das von den zwei roten Parteien.«

»Das ist doch sehr leicht zu ersehen.«

»Finde es nicht so leicht. Zuerst gab es fünf Reiter; das war natürlich der Ölprinz mit seinen Leuten. Zuletzt kamen ungefähr dreißig Pferde; die wurden von Indianern geritten. Das ist die eine Partei. Nicht?«

»Ja.«

»Und die andre Partei?«

»Ist der einzelne Indianer, welcher den Weißen gefolgt ist.«

»Kann der nicht zu den dreißig Roten gehören?«

»Nein.«

»Er kann doch von ihnen vorausgeschickt worden sein.«

»Nein, denn in diesem Falle wäre er zu ihnen zurückgekehrt, um ihnen Nachricht zu bringen, was aber nicht geschehen ist. Wir wissen, daß der Tomahawk des Kampfes ausgegraben worden ist; wenn es in der hiesigen Gegend zum Streite kommt, so kann es nur zwischen den Nijoras und Navajos geschehen. Diese beiden Nationen senden vorher Kundschafter gegeneinander aus. Die dreißig Reiter, welche hier geritten sind, bilden einen Spähertrupp. Sie sind auf die Spur des einzelnen gestoßen, welcher sie dann folgten, um über seine Kameraden herzufallen.«

»Kameraden? Sollte er welche haben?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Keine kriegführende rote Nation schickt einen einzelnen Mann auf Kundschaft aus; die Späher gehen in Trupps; er hat sich aus irgend einem Grunde von dem seinigen entfernt und kehrt jetzt zu ihm zurück. Sie verfolgen ihn.«

»Und gerade auf der Spur der Weißen?«

»Warum nicht? Das kann sowohl Zufall als auch Absicht sein. Kein Späher darf eine Fährte, welche er findet, unberücksichtigt lassen; er muß ihr so weit folgen, bis er sich über sie klar geworden ist. Ich möchte sogar so kühn sein, zu bestimmen, welchen Stämmen diese Kundschafter angehören.«

»Das kann ich ooch!« fiel da der Hobble-Frank eifrig ein.

»Wirklich?« fragte Old Shatterhand.

»Ja. Für unsereenen is es doch nich etwa schwer, zu beschtimmen, ob Herodot zu den Makkabäern oder Simson zu den Japanesen gehört hat.«

»Schön; dann mal los!«

»Na, die dreißig sind Nijoras gewesen; der eene aber war een Navajo. Wenn das nich wahr is, will ich nich der berühmte Hobble-Frank sein.«

»Und die Gründe zu dieser Annahme?«

»Die sind so klar wie meine Hutkrempe. Es ist doch erwiesen, daß die Navajos tapfer sind. Nich?«

»Ja.«

»Tapferer wohl als die Nijoras?«

»Möglich.«

»Na, was zeigt denn nu von größerer Tapferkeet? Wenn dreißig hier beisammen sind oder wenn een eenzelner sich ganz alleene in so eene gefährliche Gegend wagt?«

»Das letztere.«

»Also! Er hat mehr gewagt als die andern; darum is er een Navajo und die andern sind Nijoras. Is das die richtige Guitarre oder nich?«

»Auch ich bin überzeugt, daß er ein Navajo ist und die dreißig Nijoras sind, doch aus andern Gründen. Es gibt aber keine Zeit, dieselben auseinanderzusetzen. Man sieht Winnetou schon nicht mehr. Machen wir, daß wir ihn einholen!«

Die Westmänner stiegen wieder auf und ritten im Trabe weiter, bis sie den Apachen erreichten. Noch ehe die Sonne ganz verschwunden war, lenkte dieser links von der Fährte ab, in den Wald hinein, wo sie bald an eine Bodenvertiefung kamen, als ob hier ein Schacht, ein Stollen zusammengestürzt sei. Er zeigte hinab und sagte:

»Da unten werden wir lagern. Stellen wir hier oben eine Wache her, so dürfen wir unten ein Feuer anzünden, ohne daß ein Feind uns zu entdecken vermag.«

Es ging nicht sehr steil zur Tiefe, so daß die Pferde unschwer hinabgeführt werden konnten. Sie fanden an den Zweigen der dort stehenden Büsche genug Futter für die Nacht. Oben blieb ein Wächter stehen, und unten wurde ein Feuer angezündet, an welchem das Abendessen bereitet wurde.

Der Gegenstand des Gespräches war natürlich der morgende Tag, doch wurde dasselbe nicht lange fortgeführt, weil nach dem langen Ritte alle so ermüdet waren, daß sie sich sehr bald niederlegten. Ehe Old Shatterhand und Winnetou dies thaten, hatten sie noch eine kurze Verständigung. Der erstere sagte:

»Es ist möglich, daß es morgen zu einem Kampfe kommt, bei welchem wir die Frauen und Kinder nicht gefährden dürfen, auch möchte ich die Auswanderer nicht dabei haben. Sie sind unerfahren und würden uns nur hinderlich sein. Wollen wir sie nicht lieber hier zurücklassen? Der Ort ist sicher und eignet sich sehr gut zum Verstecke.«

»Für den Fall eines Kampfes hat mein Bruder recht. Aber wie nun, wenn wir das Gloomy-water schnell verlassen müssen? Vielleicht bleibt uns keine Zeit, hierher zurückzukehren und diese Leute zu holen.«

»Hm, ja! Es steht allerdings zu erwarten, daß wir uns beeilen müssen. Ich befürchte, daß die Indsmen die fünf Weißen gefangen nehmen.«

»Winnetou denkt, daß dies schon geschehen ist.«

»Dann müßten wir aber denn doch schnell hinterher sein, um dieselben zu befreien. Wären wir gezwungen, vorher hierher zurückzukehren, so würden wir eine kostbare Zeit versäumen. Aber es ist auch gefährlich, mit den Frauen und Kindern so stracks nach dem See zu gehen.«

»Es gibt nur ein Mittel, diese Gefahr zu vermeiden und doch nicht die Zeit zu versäumen.«

»Ich weiß es. Es muß einer von uns beiden sehr zeitig voranreiten, um die Gegend des ›dunklen Wassers‹ auszuspähen.«

»So ist es,« nickte Winnetou.

»Wer soll es thun? Ich bin gern bereit dazu.«

»Nein; ich werde dies thun. Mein Bruder Old Shatterhand muß hier bleiben, weil er mit diesen Leuten besser verkehren kann als ich. Winnetou ist ein Krieger; er wird diese weißen Squaws und Babies beschützen, weil er es versprochen hat, aber ihnen mit Worten die Zeit zu vertreiben, dazu fehlt ihm das Geschick. Ich werde fortreiten, noch ehe es ganz Tag geworden ist. Mein Bruder mag mir dann mit den andern langsam nachkommen. Er braucht nur meiner Spur zu folgen, so wird er, falls Gefahr vorhanden ist, meine Warnungszeichen finden, oder ich komme auch selbst zurück.«

Dabei blieb es. Als Old Shatterhand am nächsten Morgen erwachte, war der Apache fort. Nach vielleicht einer Stunde wurde aufgebrochen. Die Westmänner untersuchten ihre Waffen, ob dieselben in gutem Zustande waren, doch hüteten sie sich wohl, den Auswanderern zu sagen, daß der heutige Ritt vielleicht ein gefährlicher sei; dieselben wurden nur angehalten, die tiefste Stille zu bewahren.

Winnetou hatte dafür gesorgt, daß seine Fährte leicht zu erkennen war. Man folgte derselben langsam, um ihm die zum Spähen erforderliche Zeit zu lassen, und hatte darum die Gegend des Sees erst nach fast zwei Stunden erreicht. Da sah man ihn geritten kommen.

»Alle Wetter, das ist kein gutes Zeichen!« sagte Sam Hawkens.

»Und ich denke grad das kongruente Gegenteel,« erklärte der Hobble-Frank. »Er wird uns sagen, wie die Sache schteht; da wissen wir nachher, woran wir sind mit dem neuen Klavier. Käme er nich, da würden unsre Köppe in ihren unklaren Dimensionen schtecken bleiben.«

»Nein. Stände es gut, so würde er am See auf uns warten.«

»Schtreite nur nich so, alter Waschbär! Wir werden gleich erfahren, was richtig is, ob Connewitz oder ob Schtötteritz.«

Jetzt war der Apache angekommen. Der Zug hielt an und Winnetou erklärte:

»Ich kehre nicht zurück, weil eine Gefahr vorhanden ist; sie ist vorüber; ich komme nur, weil es für mich jetzt nichts mehr zu thun gab. Meine Brüder mögen mir folgen!«

Als einige sich an ihn machten, um ihn auszufragen, sagte er:

»Winnetou wird an Ort und Stelle reden, aber nicht vorher.«

Man ritt weiter. Die Fährte derer, welche gestern hier geritten waren, war stellenweise noch ziemlich deutlich zu sehen; nur da, wo es steinigen Boden gab, bedurfte es eines Auges wie dasjenige des Apachen, sie noch zu erkennen. So wurde der Eingang der Schlucht erreicht, welche zum See führte. Da hielt Winnetou an und berichtete.

»Durch diese kurze Schlucht muß man reiten, um nach dem Gloomy-water zu gelangen. Winnetou hat erforscht, was gestern hier geschehen ist.«

Er deutete nach der Höhe des Berges und fuhr fort:

»Da oben haben sieben Kundschafter der Navajos kampiert. Der achte, welcher zu ihnen gehörte, ist der einzelne Reiter, dessen Spur wir gestern gesehen haben. Er ist hinter den Weißen her und hat, als sie sich am See befanden, seine sieben Krieger herbeigeholt, um sie zu überfallen.«

»Ist das geschehen?« fragte Hawkens.

»Ja. Die Weißen sind überwältigt worden. Aber inzwischen sind die dreißig Nijoras gekommen und haben sich hier hinter den Bäumen versteckt. Meine Brüder können die Spuren derselben noch ganz deutlich sehen. Sie haben gewartet, bis die Navajos mit den weißen Gefangenen vom See zurückkehrten und sind ihnen dann gefolgt.«

»Um sie zu überfallen?«

»Ja.«

»Warum thaten sie das nicht gleich hier? Diese Stelle ist wie geschaffen zu einem Überfalle.«

»Winnetou hat darüber nachgedacht, ohne aber die richtige Antwort zu finden. Vielleicht entdecken wir später den Grund, weshalb die Nijoras noch gewartet haben. Die Navajos sind mit ihren Gefangenen da links in den Wald hinein bis zu einer Stelle, an welcher es Wasser gibt. Dort lagerten sie sich und dort wurden sie von den Nijoras angegriffen.«

»Also hat es Kampf und Blut gegeben?«

»Von Blut hat mein Auge keinen Tropfen entdecken können und ein wirklicher Kampf hat auch nicht stattgefunden. Die Navajos sind so überrascht gewesen, daß sie wohl gebunden worden sind, ehe sie an Widerstand gedacht haben.«

»Pfui Schande!« rief da der Hobble-Frank aus. »Und ich habe diese Feiglinge tapfere Leute genannt! Wenn ich gewußt hätte, daß sie sich so mir nischt und dir ooch nischt bei den Haaren ergreifen lassen, da hätte ich ihnen eenen ganz andern Namen gegeben. Wer sich fangen läßt, ohne sich ooch nur zur Wehre zu setzen, der hat sich für alle Zeit um meine ganze konvexe Hochachtung gebracht!«

Winnetou beachtete diese in deutscher Sprache vorgebrachte Rede nicht; er fuhr in seiner Erklärung fort:

»Die Navajos und die Weißen befinden sich also in der Gewalt der Nijoras. Diese sind während der Nacht an derselben Stelle lagern geblieben und am Morgen mit ihren Gefangenen fortgeritten.«

»Wohin?« fragte Sam Hawkens.

»Das weiß ich nicht. Ich habe ihrer Spur nicht folgen können, weil ich ja auf euch warten mußte.«

»Wir müssen ihnen nach! Es handelt sich nicht um den Ölprinzen und die beiden Kerls, welche bei ihm sind. Die mögen meinetwegen skalpiert werden. Aber der Bankier und sein Buchhalter müssen befreit werden. Mir ist nur eins unerklärlich: Am See gibt es doch Wasser und Futter genug für die Pferde. Warum sind die Roten nicht dort geblieben? Warum haben sie da im Walde gelagert, wenn ich mich nicht irre?«

Old Shatterhand hatte bis jetzt noch nichts gesagt, sondern seine Aufmerksamkeit neben den Erklärungen des Apachen auch dem seichten Abflußwässerchen zugewendet, welches aus der Schlucht gerieselt kam. Jetzt, bei Sams letzten Worten, deutete er auf dieses Wasser und antwortete:

»Mir scheint, daß hier die Erklärung fließt!«

»Wieso?«

»Riecht ihr denn nichts? Betrachtet doch das Wasser! Es schwimmen ölige Augen darauf.«

Jetzt blickten alle zu dem Bächlein nieder, sogen die Luft ein und fanden, daß dieselbe nach Petroleum roch.

»Hat mein Bruder etwa Öl im See gesehen?« fragte Old Shatterhand den Apachen.

»Ja,« nickte dieser.

»So hat der Ölprinz das ausgeführt, was wir belauschten. Reiten wir hinein. Ich muß sehen, wie es steht.«

»Aber dabei verlieren wir Zeit,« warf Sam Hawkens ein. »Wir wollen doch den Nijoras nach!«

»Die entgehen uns nicht. Die werden durch die Gefangenen aufgehalten. Wir holen sie jedenfalls noch rechtzeitig ein. Jetzt vor allen Dingen will ich das Gloomy-water sehen.«

Er lenkte sein Pferd nach der Schlucht und die andern folgten ihm. Der Petroleumgeruch wurde von Schritt zu Schritt stärker, bis sie den See vor sich liegen sahen. Der Anblick desselben wirkte so, daß alle ihre Augen wortlos auf die dunkle, unheimliche Fläche richteten. Nur bei einer Person war die Wirkung eine entgegengesetzte, nämlich bei Frau Rosalie Ebersbach. Als diese den See erblickte, stieß sie einen Ruf des Erstaunens aus, rutschte von ihrem Pferde herab, eilte an das Ufer, hielt einen Finger in das Wasser, besah und beroch denselben und rief aus:

»Dunner Sachsen, is das eene großartige Entdeckung! Herr Hobble-Frank, riechen Sie doch gleich 'mal da an meinen Finger! Schpüren Sie, was das is?«

Sie hielt ihm den Finger unter die Nase. Er zog den Kopf zurück und antwortete.

»Lassen Sie mich mit Ihrem Spitz- und Zeigefinger in Ruhe! Den brauch' ich nich, um zu erfahren, woran ich bin. Wenn ich 'was riechen will, schtecke ich die Nase da in den See. Da habe ich die Petroleumwonne aus der erschten Hand.«

»Also Sie geben ooch zu, daß es Petroleum is?«

»Natürlich! Oder denken Sie etwa, daß ich es für Himbeerlikör halte? Da kennen Sie meine Nase schlecht; die is oft feiner, als ich selber bin.«

»Aber so eene Menge, so eene Menge!« rief sie, noch immer ganz fassungslos. »Ich hab' freilich schon gehört, daß das Petroleum in Amerika aus der Erde geloofen kommt, hab's aber nich gegloobt. Nu aber liegt's vor meinen eegenen und leibhaftigen Oogen. Ich bleibe hier; ich bleibe hier; mich bringt keen Mensch von dieser Schtelle fort.«

»So? Was wollen Sie denn da?«

»Ich fange eenen Petroleumhandel an. Da is ja een Geschäft zu machen, wie es gar nich größer sein kann. Hier kostet das Öl nich eenen Pfennig und drüben in Sachsen muß man fürs Liter beinahe zwee Groschen bezahlen. Es bleibt dabei: ich laß mich hier nieder und handle mit Petroleum!«

Sie schlug die Hände sehr energisch zusammen, ein Zeichen, daß dieser Entschluß ein unerschütterlicher sei. Frank antwortete lachend:

»Schön! Setzen Sie sich immer in den Besitz dieser schönen Gegend! Aber gleich schon am erschten Tage kommen die Indianer und roofen Ihnen die Haare alle eenzeln aus. Denken Sie denn, Sie können sich hier so gemütlich niederlassen wie derheeme off den Großvaterschtuhl oder off die Ofenbank? Handeln wollen Sie? Wer kooft Ihnen hier was ab? Wovon leben Sie? Und wonach riechen Sie? Wenn Sie nur drei Tage lang hier sitzen bleiben, hat Ihre ganze komparative Persönlichkeet eenen Duft angenommen, den Sie mit dem ganzen transatlantischen Ozean nich nunterwaschen können.«

Diese Warnung hatte den Erfolg, daß Frau Rosalie ein bedenkliches Gesicht machte und sich ihrem Manne zuwandte, um dessen Meinung zu hören. Die andern hatten sich indessen von ihrem Staunen erholt; sie knieten am Ufer, untersuchten das Öl und teilten sich in lauten Ausrufen ihre Bemerkungen mit. Am ruhigsten waren selbstverständlich Winnetou und Old Shatterhand. Sie hatten sich von den andern entfernt, um einen Gang um den See zu machen und die Ufer desselben genauer abzusuchen, als es vorher von dem Apachen hatte geschehen können.

Derjenige, auf welchen diese Petroleummasse den größten Eindruck machte, war der Kantor. Die andern waren schon längst von ihrem Staunen zurückgekommen, da stand er noch immer da und starrte mit weitgeöffneten Augen und ebenso offenstehendem Munde auf das Wasser. Als der Hobble-Frank dies bemerkte, trat er zu ihm, gab ihm einen Klaps auf den Rücken und sagte:

»Ihnen is wohl der ganze menschliche Verschtand schtehen geblieben? Fassen Sie sich! Nehmen Sie sich zusammen und erinnern Sie sich daran, daß so een See voll Kaffee viel besser schmecken würde, als seine jetzigen Inhaltsbeschtandteele! Wahrhaftig, Sie scheinen Ihre ganze Mutterschprache verloren zu haben! Wenn Sie nich reden können, so versuchen Sie wenigstens, einige Töne zu singen, Herr Kantor!«

Da kehrte dem musikalischen Herrn die Sprachfähigkeit zurück. Er holte tief, tief Atem und antwortete:

»Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Franke! Ich fühle mich ganz grandios berührt. Es ist ein ganz unbeschreiblicher Anblick. Mich überkommt ein Gedanke, ein Gedanke, ebenso grandios und unbeschreiblich wie dieser See, sage ich Ihnen.«

»Welcher Gedanke, Herr Emeritikus?«

»Emeritus, lieber Freund. Sie haben eine Silbe zu viel.«

»Wie? Was? Eene Silbe hätte ich zu viel? Eene ganze Silbe? Wer Ihnen das weiß gemacht hat, der hat das A-B-C noch nich im Koppe. Ehe ich eene Silbe zu viel ausschpreche, gehn eher Sonne, Mond und Schterne zu Grunde. Ich habe mein Silbenmaß schtets bei mir; es is mir angeboren. Ich mach's ganz so wie die Pflaumenhändler: ich laß eher eene weg, als daß ich eene zu viel gebe; darauf können Sie sich verlassen. Das wollte ich nur so nebenbei bemerkt haben. Die Hauptsache war der grandezziose Gedanke, der Ihnen gekommen is. Darf ich den erfahren?«

»Ja, Ihnen will ich ihn mitteilen, vorausgesetzt, daß Sie es nicht ausplaudern.«

»O, was das betrifft, so dürfen Sie meiner größten und verschwiegensten Dislokation versichert sein. Is dieser Gedanke so een großes Geheimnis?«

»Außerordentlich! Wenn ein andrer Komponist ihn erführe, er würde ihn sofort für sich verarbeiten. Sie wissen doch von meiner Heldenoper? Was?«

»Ja – – zwölf Akte.«

»So ist es, Und wissen Sie, was ich in dieser Oper bringen werde?«

»Natürlich weeß ich das.«

»Nun, was?«

»Musik werden Sie bringen.«

»Natürlich! Das ist ja selbstverständlich. Ich meine in Beziehung auf den Inhalt dieser Musik und auch betreffs der Scenerie, der Ausstattung.«

»Da muß ich sagen, daß ich mich zwar mit allen Wissenschaften beschäftigt habe, aber die musikalische Ausschtattung soll erscht noch drankommen. Also weiter! Was wollen Sie bringen?«

Der Kantor näherte seinen Mund dem Ohre Franks, hielt seine hohlen Hände wie ein Sprachrohr an dasselbe und flüsterte hinein:

»Einen solchen Petroleumsee werde ich bringen.«

Frank fuhr zurück und fragte:

»Etwa off die Bühne?«

»Jawohl, ganz selbstverständlich.«

»Herrjemineh, eenen Petroleumsee off die Bretter, welche die Erde bedeuten! Is das die Möglichkeet?«

»Nicht wahr, Sie staunen?« fragte der Emeritus triumphierend. »Da wird sogar Ben Akiba zu Schanden.«

»Ben Akiba? In wiefern der?«

»Er hat behauptet, es sei alles schon dagewesen; aber einen Petroleumsee auf der Bühne hat es noch nicht gegeben.«

»Das mit der Bühne mag richtig sein; das mit Ben Akiba aber is unbedingt falsch.«

»Wieso?«

»Es is eene Verwechslung identischer Persönlichkeeten. Wissen Sie, wer das gewesen is, der gesagt hat, es sei schon alles 'mal dagewesen?«

»Eben dieser Ben Akiba.«

»Nee. Wenn Sie das sagen, da halten Sie die ungerade Fünfe vor eene gerade Neune. Das Wort, daß alles schon dagewesen is, hat Benjamin Franklin gesagt, als er den Blitzableiter erfand und nachher an eene Scheune kam, wo schon seit langer Zeit eener droff gewesen war. Ben Akiba war een ganz andrer Mann, een persischer Feldherr, und hat den griechischen Kaiser Granikus in der Seeschlacht bei Gideon und Ajalon besiegt.«

»Aber, lieber Herr Frank, Gideon und Ajalon, das kommt ja in der Bibel vor, im Buche der Richter, wo Josua – – –«

»Schweigen Sie ergebenst!« unterbrach ihn Frank in beleidigtem Tone. »Wo das vorkommt, das is meine Sache, aber nich die Ihrige. Reden Sie mir nich in meine Wissenschaft, wie ich Ihnen nich in die Ihrige rede. Ich lasse Ihnen doch ooch Ihren Willen. Ob Sie in Ihrer Oper eenen Petroleumsee bringen oder Ihre Oper hier im Petroleumsee, das is mir ganz egal; das können Sie machen, wie Sie wollen; den Ben Akiba aber nehme ich für mich in Anschpruch; der is mein; den laß ich mir nich von Ihnen komponieren!«

Er wendete sich entrüstet ab und schloß sich Droll, Sam, Dick Stone und Will Parker an, welche sahen, was Winnetou und Old Shatterhand thaten und nun auch zu suchen begannen. Der letztere bemerkte dies, kam eiligst herbei und bat:

»Nehmt euch in acht, Mesch'schurs, daß ihr mir die Spuren nicht verderbt! Was wollt ihr denn entdecken?«

»Wir wollen die Stelle suchen, an welcher die fünf Weißen überrumpelt worden sind,« antwortete Hawkens.

»Die könnt ihr nicht mehr entdecken. Die Spuren davon sind durch unsre Pferde ausgetreten worden; sie liegt da vorn in der Nähe des Einganges. Wir aber wollen etwas andres, etwas weit Wichtigeres entdecken.«

»Was, Sir?«

»Die Höhle, in welcher, wie ich euch ja erzählt habe, die Petroleumfässer versteckt gewesen sind.«

»Die wird doch wohl zu finden sein!«

»Nicht so leicht, wie ihr denkt. Die Kerls haben die Spuren außerordentlich gut ausgewischt.«

»Sollte man es denken! Eine Höhle, wo so viele Fässer aufbewahrt worden sind, muß groß sein und also einen weiten Eingang haben. Die Fässer sind herausgeschafft, an das Wasser gerollt und nachher, als sie leer waren, wieder hineingeschafft worden. Das muß doch Spuren geben!«

»Natürlich. Sie sind aber leider geradezu meisterhaft verwischt worden.«

»Laßt uns mit suchen, Sir! Dann wird sie sich schon finden.«

»Gut; aber verderbt mir nichts.«

Die sonst so scharfsinnigen Westmänner forschten das ganze Seethal durch; es verging Stunde um Stunde, ohne daß sie ihren Zweck erreichten. Winnetou, der unübertroffene Meister im Spüren, gab endlich alle Hoffnung auf und sagte zu Old Shatterhand:

»Mein weißer Bruder mag sich nicht mehr bemühen. Die Höhle kann wohl nur durch einen Zufall entdeckt werden.«

Aber Shatterhand war hartnäckiger. Er ärgerte sich. Sollte es heißen, daß er nicht im stande gewesen sei, einen Ort zu finden, dessen Dasein vollständig erwiesen war? Er betrachtete es nachgerade als Ehrensache, seinen Zweck doch noch zu erreichen, und antwortete:

»Was der Zufall kann, müssen wir doch auch können. Wozu haben wir gelernt, zu denken?«

Er schloß die Augen, um sich durch nichts irre machen zu lassen, und stand eine Weile still und unbeweglich. Winnetou beobachtete ihn, sah, daß eine eigentümliche Bewegung über sein Gesicht ging und fragte –

»Mein Bruder hat den Weg gefunden?«

»Ja,« meinte Old Shatterhand, indem er die Augen wieder öffnete; »wenigstens hoffe ich es. Wenn ich mich nicht irre, so war es gar nicht schwierig, ja sogar sehr leicht, die Höhle zu finden. Die vollen Fässer waren schwer, und vierzig waren es. Wo vierzig Fässer hin und her gerollt werden, wird das Gras so fest niedergedrückt, daß es mit den Händen unmöglich aufgerichtet werden kann; es wird mehrere Tage liegen bleiben. Die Arbeit, welche hier geschehen ist, ist aber erst gestern, höchstens vorgestern verrichtet worden. Das Gras müßte also noch niederliegen. Gibt dies mein roter Bruder zu?«

»Old Shatterhand hat recht,« stimmte der Apache bei.

»Die Stelle muß also da liegen, wo es kein Gras gibt, kein Gras nämlich auf dem ganzen Wege vom Ufer nach dem Felsen, in welchem sich die Höhle befindet.«

»Uff, uff!« rief Winnetou aus, indem sein bronzenes Angesicht erglühte, vielleicht vor Freude, vielleicht aber auch vor Scham, nicht auch auf diesen Gedanken gekommen zu sein.

»Ferner,« fuhr Old Shatterhand fort, »beim Auslaufenlassen der Fässer ist unbedingt Öl verschüttet worden, auch muß der Rand des Ufers beschädigt worden sein. Beides müßte man sehen, wenn dieser Rand aus Rasen bestände. Besteht er aber aus Erde oder Gestein, so kann leicht nachgeholfen werden. Nun suche mein roter Bruder das ganze Ufer ab; er wird überall Gras und Rasen finden, zwei Stellen ausgenommen, die wir sofort untersuchen werden.«

Die eine dieser Stellen war nicht allzuweit vom Eingange des Thales entfernt. Dorthin gingen die beiden, gefolgt von den Westmännern, welche begierig waren, zu erfahren, ob der Scharfsinn Old Shatterhands auch dieses Mal das richtige getroffen hatte.

Ein vielleicht drei Ellen breiter, aus Schlammsand und Steingeröll bestehender grasloser Streifen zog sich da von dem Felsen nach dem Wasser hin. Der Jäger kniete in der Nähe des Ufers nieder und beroch den Boden.

»Gefunden!« rief er aus. »Hier riecht das Gestein nach Öl; es ist welches verschüttet worden.«

Er scharrte mit den Händen den Boden auf; die untere Schicht war voller Öl; man hatte, um dies zu verbergen, die obere darauf geworfen.

»Also hier sind die Fässer geleert worden,« sagte er. »Wurde dabei das Ufer beschädigt, so war es leicht und schnell ausgebessert, da es aus Geröll bestand. Ich wette mein Leben, daß dort, wo dieser Streifen an den Felsen stößt, die Höhle zu suchen ist. Laßt sehen!«

Er folgte dem Streifen, welcher am Felsen in einen hohen Geröllhaufen auslief; die andern kamen hüben und drüben nachgegangen. Er blieb vor dem Haufen stehen, betrachtete denselben nur einen Augenblick und erklärte dann:

»Ja, wir sind am Ziele. Hinter diesem Steinhaufen befindet sich die Höhle.«

Der Hobble-Frank wollte sich gern auch als berühmten Westmann aufspielen und fragte darum:

»Das sehen Sie mit diesem einen Blick, Herr Shatterhand?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Das müßte ich doch ooch erkennen können. Darf ich 'mal hinschen?«

»Thun Sie es!«

Frank betrachtete den Haufen von allen Seiten, schien aber nichts zu finden.

»Nun?« fragte Old Shatterhand. »Was sehen Sie, lieber Frank?«

»Eenen Haufen, der so wie alle Haufen is; das heeßt een Schteenhaufen, der aus eenem Haufen von Schteenen beschteht.«

»Sehen Sie denn nur die Steine?«

»Ja, nur.«

»Weiter gar nichts?«

»Nich das Geringste.«

»Bedenken Sie, daß unter diesen Umständen der kleinste Gegenstand von der größten Bedeutung sein kann!«

»So, also nach eenem kleenen Gegenschtande soll ich suchen. Ich finde aber nischt.«

Auch die andern bei ihm Stehenden suchten gerade so vergeblich wie er. Nur der Apache ließ ein leises, befriedigendes »Uff!« vernehmen. Sein Auge war auf einen toten Laufkäfer gefallen, der halb unter einem Steine lag.

»Sonderbar!« lächelte Old Shatterhand. »Nur Winnetou sieht, was ich meine. Frank, sehen Sie denn den schwarzen Käfer nicht, dessen halber Leib da unter dem Steine hervorblickt?«

»Ja, den Käfer, den habe ich freilich schon längst entdeckt.«

»Nun, und – – –?«

»Nu – – und – –? Ja, was denn nu, und was denn und? Es is eben een Käfer, weiter nischt.«

»Weiter nichts? Sogar sehr viel, denn er sagt mir, daß wir bei der Höhle sind.«

»Wie? Der? Was kann der sagen? Selbst wenn er bei Lebzeiten eene verschtändliche Schprache besessen hätte, er is jetzt tot.«

»Ja, er ist tot. Woran mag er wohl gestorben sein?«

»Weeß ich's? Vielleicht an Diphtheriteris oder Trommelfellentzündung.«

»Nehmen Sie ihn weg und betrachten Sie ihn!«

Frank mußte den Stein aufheben, um den Käfer wegnehmen zu können.

»Er is von dem Schteene zerquetscht worden,« erklärte er, indem er ihn betrachtete.

»Ganz richtig! Wie aber hat dies geschehen können? Hat sich das Tierchen etwa selbst unter den Stein gedrängt, so daß es von diesem zermalmt wurde?«

»Nee, dazu hätte das Käferchen die Kraft nich besessen. Der Schteen is off ihn droff geworfen worden.«

»Schön! Endlich haben Sie es! Wenn geworfen wird, ist jemand da, welcher wirft; das sehen Sie doch ein?«

»Ja, das sehe ich – – –«

Er hielt inne, besann sich einige Augenblicke, schlug sich dann mit der Hand an die Stirn und rief aus:

»Jetzt habe ich endlich den Ochsen bei den Hörnern erwischt! jetzt begreife ich's! Sollte man's denken, daß so een gescheiter Kerl, wie ich bin, so riesenhaft dumm sein kann! Diese Schteene sind unter- und übereenander geworfen worden, wobei der Käfer sein irdisches Dasein verloren hat. Dieser aus eenern Haufen von Schteenen beschtehende Schteenhaufen is erscht weggeschafft und nachher wieder offgerichtet worden. Warum und wozu? Weil er den verschlossenen Eingang zu der Höhle bildet und –«

Hobble-Frank hielt wieder inne und horchte.

»Was gibt's?« fragte Old Shatterhand.

»Ich habe 'was gehört,« antwortete Frank.

»Wo? In der Höhle?«

»Ja.«

»Was?«

»Een Geräusch wie von eener unterirdischen Schtimme. Es klang so dumpf. Herr meine Güte, es wird doch nich etwa een Bär drin sein!«

»Schwerlich.«

»Es klang aber beinahe so!«

»Von einem Bären kann keine Rede sein. Wäre einer da, so wäre das Loch vorhanden, durch welches er ein und aus geht.«

»Das is eben gestern zugemacht worden.«

»Das würde er sich wohl verbeten haben,«

»Horchen Sie einmal! Ich hör's schon wieder.«

Old Shatterhand kniete nieder und horchte. Kaum hatte er das gethan, so sprang er wieder auf und rief aus:

»Herr Gott, es sind Menschen drin! Sie rufen um Hilfe. Schafft die Steine weg, schnell, schnell!«

Sofort waren zehn und mehr Arme bereit, diesen Befehl auszuführen. Schon nach einigen Augenblicken kam das Loch zum Vorscheine.

»Ist da jemand drin?« fragte Old Shatterhand in englischer Sprache hinein.

»Yes,« antworteten zwei Stimmen zu gleicher Zeit.

»Wer seid ihr?«

»Ich heiße Rollins,«

»und ich Baumgarten,« erwiderten die beiden.

»Rollins und Baumgarten!« erklang es aus aller Munde. Das war eine große Überraschung; man hatte ja geglaubt, daß diese beiden mit von den Nijoras ergriffen worden seien, nachdem sie vorher von den Navajos gefangen genommen worden waren. Sie waren ganz glücklich, wieder Menschen zu hören und das Tageslicht zu erblicken, welches durch das sich immer mehr vergrößernde Loch zu ihnen drang. Doch war der Gedanke auch nicht ausgeschlossen, daß der Ölprinz mit Buttler und Poller sich draußen befand. Darum fragte der Bankier, wer vor der Höhle sei. Da antwortete der Hobble-Frank, das gern und stets bereite Kerlchen:

»Wir sind es, die Helfer in der Not: Old Shatterhand, Winnetou, Droll, Sam, Dick und Will. Und wer ich bin, das sollt ihr gleich sehen; ich komme hinein!«

Er zwängte sich durch das Loch, aus welchem ein Freudenruf erschallte. Nun dauerte es nicht lange mehr bis der ganze Steinhaufen entfernt war. Der Eingang besaß die Höhe eines Mannes von mittlerer Größe und war so breit, daß ein Petroleumfaß bequem hinein- oder herausgerollt werden konnte. Als die Retter eintreten wollten, rief Frank ihnen zu:

»Bleibt draußen! Wir kommen hinaus. Ich muß den armen Teufeln nur erst die Fesseln zerschneiden.«

Ja, sie kamen, leichenblaß und angegriffen von der ausgestandenen Angst, ebensosehr auch von dem Petroleumgeruche, welcher in der Höhle herrschte. Sie reichten denen, welche sie von Forners Rancho her kannten, die Hände und blickten dann mit hochachtungsvollen Blicken zu Winnetou und Old Shatterhand auf.

»Das ging um euer Leben, Mesch'schurs,« sagte der letztere. »Wir haben diese Höhle lange vergeblich gesucht und faßten schon den Entschluß, den See zu verlassen. Hätten wir dies gethan, wo wäre der Tod des langsamen Verschmachtens euer Los gewesen. Ihr habt natürlich Durst und Hunger?«

»Keins von beiden,« antwortete Baumgarten. »Danke Euch, Sir! Wir haben nicht an Essen und Trinken gedacht, sondern nur an den elenden Tod, der uns getroffen hätte, wenn ihr nicht gekommen wäret.«

»Habt ihr denn nicht gedacht, daß eure Bekannten hier euch folgen würden?«

»Wie konnten wir das? Wir glaubten sie ja noch im Pueblo gefangen. Ich darf euch wohl versichern, daß der Dank, den wir euch – – –«

»Still davon!« unterbrach ihn Old Shatterhand. »Hebt euern Dank für später auf! jetzt möchte ich vor allen Dingen einiges erfahren, was wir wissen müssen, wenn wir nichts versäumen wollen. Hoffentlich seid ihr nicht so sehr angegriffen, daß ihr nicht antworten könnt?«

»O, nun wir uns wieder in freier Luft befinden, ist alles gut.«

»Schön! Ich habe das Nötige über euch schon erfahren und möchte nur nach dem fragen, was in den letzten Tagen mit euch geschehen ist. Übrigens seid ihr mir nicht ganz unbekannt. Winnetou und ich haben euch schon gesehen.«

»Ah! Wann und wo?« erkundigte sich der Bankier.

»Einen Tagesritt hinter dem Pueblo, wo ihr des Abends am Bache saßet. Wir krochen unter den Bäumen so nahe zu euch hin, daß wir euer Gespräch hören konnten.«

»Good luck! So erfuhrt ihr wohl, daß es sich um einen Petroleumsee handelte?«

»Ja.«

»Und daß wir nach dem Gloomy-water wollten?«

»Wo es kein Petroleum gibt, ja, das hörten wir.«

»Ihr meintet, daß es hier keins geben könne? Warum ließet ihr euch da nicht sehen? Warum warntet ihr uns nicht?«

»Warum? Weil es sich fragt, ob ihr uns geglaubt hättet. Ihr seid ja auch schon vorher von andrer Seite gewarnt worden, ohne daß es gefruchtet hat. Übrigens hatten wir keine Zeit, uns sogleich mit eurem famosen Ölprinzen abzugeben. Wir mußten nach dem Pueblo, um die Gefangenen zu befreien.«

»Das ist euch gelungen, Sir?«

»Wie ihr seht, ja.«

»Wer hat euch da geholfen? Ihr hattet noch andre bei euch, Westmänner, erfahrene Prairieleute?«

»Nein; wir waren allein.«

»Allein?« rief Rollins aus, indem er vor Erstaunen die Augen weit öffnete. »Ihr beide allein? Und da habt ihr die Gefangenen befreit?«

»Ja,« antwortete Old Shatterhand, innerlich belustigt über die ungeheure Verwunderung des Bankiers.

»Das ist aber doch gar nicht möglich! Zwei Männer! Niemand weiter dabei! Wie habt Ihr das nur angefangen, Sir?«

»Das laßt Euch später einmal erzählen, Mr. Rollins. Jetzt möchten wir von Euch erfahren, wie Ihr vom Pueblo entkommen seid und was dann bis jetzt geschehen ist. Setzt Euch nieder und erzählt!«

Die ganze Gesellschaft nahm im Grase Platz, und der Bankier berichtete über die Erlebnisse der letzten Tage. Man kann sich denken, in welcher Weise er sich schließlich über Grinley, Buttler und Poller aussprach; da fiel ihm aber Old Shatterhand in die Rede:

»Raisonniert nicht bloß über sie, sondern auch über euch, Sir! Ein solches Vertrauen, wie ihr diesen Kerls entgegengebracht habt, ist mir unbegreiflich. Und die – ich will sagen Harmlosigkeit, mit welcher ihr in die euch gestellte Falle gelaufen seid, ist mir recht unverständlich. Nehmt es mir nicht übel, aber ihr seid an dem, was euch betroffen hat, selber schuld. Ihr vertraut euch, beide allein, unerfahren und ohne allen Schutz, solchen Halunken an! Das ist stark!«

»Ich hielt Grinley für einen ehrlichen Menschen,« verteidigte sich Rollins kleinlaut.

»Pshaw! Dem spricht der Schurke doch gleich aus den Augen. Und wenn es sich um eine so hohe Summe, um ein solches Unternehmen handelt, trifft man doch ganz andre Vorbereitungen!«

»Das wollte er nicht. Es sollte alles heimlich betrieben werden.«

»Aha! Ist denn Mr. Baumgarten hier Sachverständiger in Beziehung auf Petroleum?«

»Nein.«

»Was seid ihr doch für Menschen! Ihr hättet doch wenigstens einen Fachmann mitnehmen müssen!«

»Grinley meinte, dies sei fürerst nicht nötig. Da das Petroleum offen auf dem Wasser schwimme, so bedürfe es nur eines Blickes, um mir zu beweisen, daß das Geschäft ein wahrhaft glänzendes für mich sei.«

»Und als ihr dann kamt und das schöne Öl so schwimmen saht, da waret ihr wohl ganz entzückt?«

»Natürlich! Ihr gebt doch zu, Sir, daß es hier ein ganz außerordentliches Placer für Öl ist?«

Old Shatterhand warf einen fast betroffenen Blick auf den Sprecher, ehe er antwortete:

»Es scheint, ihr wißt selbst jetzt noch nicht, woran ihr eigentlich seid. Ihr haltet diesen See für ein natürliches Ölbassin?«

»Allerdings. Darin hat Grinley die Wahrheit gesagt; aber nachdem er meine Anweisung in den Händen hatte, sind wir niedergeschlagen und eingesperrt worden, um zu Grunde zu gehen. Wahrscheinlich will er nun den See an einen zweiten verkaufen.«

»Habt ihr euch denn nicht in der Höhle umgeblickt?«

»Wie konnten wir das? Als wir aus unsrer Betäubung erwachten, war es finster um uns her. Aber es roch so gewaltig nach Petroleum, daß in der Höhle wahrscheinlich der eigentliche Quell des Petroleums zu suchen ist.«

»Das ist richtig; nur handelt es sich nicht um einen Quell, sondern um viele Quellen, welche aus hölzernen Dauben gefertigt sind.«

»Dauben? Ich verstehe Euch nicht.«

»Na, habt ihr euch denn auch jetzt nicht drin umgesehen?«

»Nein. Wir haben vor lauter Wonne für nichts andres Augen gehabt, als für das Loch, durch welches das Licht des Tages drang.«

»So geht einmal hinein und schaut, was ihr drin finden werdet! Ich bin zwar selbst noch nicht in der Höhle gewesen, glaube aber, ihren Inhalt gut zu kennen. Vorher aber möchte ich Euch fragen, ob Ihr denn, als Ihr hier ankamt, das Petroleum betrachtet habt?«

»Natürlich habe ich das gethan.«

»Und wie habt Ihr es gefunden?«

»Ausgezeichnet gradezu!«

»Ja, ich auch,« lachte Old Shatterhand. »Es hat gar nicht die Eigenschaften des Rohpetroleums, welches erst in Lampenöl, Schmieröl und Naphtha gespalten werden muß; es ist schon raffiniert. Ist Euch das nicht aufgefallen?«

»Nein. Wollt Ihr etwa sagen, daß es kein Rohpetroleum ist?«

»Ja, grad das meine ich.«

»Was sollte es denn sonst sein?«

»Diese Frage werdet Ihr Euch, wenn Ihr nochmals in der Höhle gewesen seid, wohl selbst beantworten. Wie lange glaubt Ihr wohl, daß das Öl sich hier im See befindet?«

»Wer kann das wissen? Wohl seit Jahrhunderten schon oder gar noch länger.«

»Wer das wissen kann? Ich zum Beispiel weiß es ganz genau. Von Jahrhunderten ist keine Rede. Da wäre die Quelle längt ausgebeutet worden.«

»Es hat sie niemand gekannt. Grinley ist der einzige Mensch, der jemals hier an diesem See gewesen ist.«

»Wenn das wahr ist, so bin ich kein Mensch, und Winnetou ist auch keiner; denn wir sind schon vor Jahren hier gewesen.«

»Ihr – – auch – –?« fragte Rollins verwundert. »Ihr wart hier? Und habt keinen Gebrauch von diesem Ölreichtum gemacht?«

»Nein.«

»Aber das begreife ich nicht, Sir! Warum denn nicht?«

»Weil noch kein Öl zu sehen war, kein einziger Tropfen, sage ich Euch.«

»So ist es erst später gekommen?«

»Ja, vorgestern.«

»Vor – ge – – stern?« wiederholte der Bankier dieses Wort. »Ich verstehe Euch wieder nicht, Sir.«

»Nicht? Na, da muß ich deutlicher werden. Ihr habt doch Augen und seht also die große Menge toter Fische schwimmen?«

»Natürlich.«

»Was mag wohl schuld an ihrem Tode sein?«

»Das Öl, ganz selbstverständlich. Kein Fisch kann im Petroleum leben.«

»Schön! Wie lange werden diese Tiere wohl tot sein?«

»Vielleicht zwei Tage, länger nicht, sonst wären sie mehr von der Verwesung ergriffen.«

»Und wo haben sie sich bei Lebzeiten befunden? Sind sie etwa hier unter den Bäumen herumspaziert?«

Da antwortete Rollins im Tone des Gekränktseins:

»Ich möchte doch bitten, zu bedenken, daß ich kein Knabe, sondern ein Mann bin. Ich bin auch nicht geistesschwach und weiß sehr wohl, daß diese Fische hier im See gelebt haben.«

»Sehr gut, Mr. Rollins! jetzt habe ich Euch da, wohin ich Euch haben wollte. Die Fische sind seit zwei Tagen tot, haben also bis vorgestern hier im See gelebt. Im Petroleum können sie nicht leben. Seit wann also wird sich das Öl hier auf dem Wasser befinden?«

Erst jetzt ging dem Bankier das Licht auf, welches ihm angezündet werden sollte. Er sprang von seinem Sitze empor, starrte auf Old Shatterhand nieder, ließ seinen Blick auch über die andern schweifen, bewegte die Lippen, als ob er reden wolle, brachte aber kein einziges Wort hervor.

»Nun, Sir, wollt Ihr mir keine Antwort geben? Wenn es seit vorgestern hier eine Sorte von Petroleum gibt, welches in einer Raffinieranstalt künstlich gereinigt worden ist, so möchte man doch wohl fragen, wie dieser hochinteressante und unbegreifliche Fall zu erklären ist. Die Antwort werdet Ihr da in der Höhle finden. Geht hinein, Mr. Rollins.«

»Das werde ich; das werde ich!« rief der Bankier aus. »Es kommt mir ein Gedanke, der so außerordentlich ist, daß ich ihn gar nicht auszudenken vermag. Kommt mit, Mr. Baumgarten! Ihr seid bisher mein Gefährte gewesen und müßt auch jetzt, in diesem Augenblicke, bei mir sein.«

Er zog den Buchhalter von seinem Sitze empor und verschwand mit ihm in der Höhle. Die außerhalb derselben Befindlichen horchten. Es waren einige Rufe zu hören; dann vernahm man das Zusammenstoßen und Rollen von Fässern; hierauf stürzte der Bankier heraus und rief in großer Aufregung:

»Welch ein Schwindel! Welch ein raffinierter Betrug! Das Öl ist in diese Gegend transportiert worden, um mir mein Geld abzulocken!«

»Seht Ihr das nun ein?« fragte ihn Old Shatterhand. »Was habt Ihr denn in der Höhle gefunden?«

»Eine ganze Menge leerer Petroleumfässer.«

»Weiter nichts?«

»Einige Werkzeuge, weiter nichts. Es ist gar keine Quelle vorhanden!«

»So ist es, Sir. Gleich als ich die Kerls von dem Öle, welches hier gefunden worden sein sollte, sprechen hörte, war ich überzeugt, daß dies ein Schwindel sei. Buttler und Poller sind nicht vorausgeschickt worden, um die Sicherheit des Weges zu erforschen, sondern um die Fässer auslaufen zu lassen und sie dann wieder in der Höhle zu verbergen. Der Betrug ist mit vieler Mühe und von langer Hand vorbereitet worden, denn es will etwas sagen, so gegen vierzig schwere Ölfässer nach und nach hierher zu schaffen.«

»Sind aber auch gut bezahlt worden, hihihihi,« lachte Sam Hawkens. »Wollt Ihr das Öl ausschöpfen und wieder hineinfüllen, oder nur die leeren Fässer mitnehmen, Mr. Rollins?«

»Lacht mich nicht auch noch aus!« rief dieser. »Mein Geld, mein schönes, schönes Geld! Ich muß es unbedingt wieder haben. Ihr müßt mir dazu verhelfen, Mr. Shatterhand!«

»Einstweilen handelt es sich nicht um das Geld, sondern um die Anweisung,« antwortete der Jäger. »Meint Ihr, daß dieselbe in San Francisco wirklich honoriert wird?«

»Ganz gewiß, wenn es den Kerls gelingt, den Indianern zu entkommen und Frisco zu erreichen. Ihr machtet doch vorhin während meiner Erzählung die Bemerkung, daß sie von den Nijoras gefangen genommen worden seien?«

»So ist es. Erst wurden sie von den Navajos überfallen und dann mit diesen von den Nijoras ergriffen.«

»Wahrscheinlich haben diese die Weißen beraubt. Meint Ihr nicht, Sir?«

»Jedenfalls.«

»Und also dem Ölprinzen die Anweisung abgenommen? In diesem Falle würde sie wahrscheinlich nicht präsentiert.«

»Ich glaube auch, daß dies nicht geschehen würde, möchte aber behaupten, daß sie ihm den Zettel nicht nehmen. Es gibt ja Indianerstämme, welche in der Zivilisation so weit vorgeschritten sind, daß sie lesen und sogar schreiben können, zu diesen gehören aber die hiesigen Völker nicht. Der wilde Indianer hält jede Schrift für einen Zauber, mit dem er sich nicht befassen mag; darum ist es wahrscheinlich, daß die Nijoras dem Ölprinzen die Anweisung lassen. Gelingt es ihm, ihnen zu entkommen, so wird er ganz gewiß nach Frisco gehen und das Geld erheben.«

»So wäre es am besten, ihm zuvorzukommen. Was meint Ihr dazu, Sir, daß ich mich mit Mr. Baumgarten sofort nach San Francisco aufmache, um die dortige Bank zu verständigen? Wenn der Halunke dann kommt, wird er festgenommen.«

»Unter den jetzigen und hiesigen Verhältnissen werdet Ihr das am liebsten bleiben lassen. Ihr würdet nicht weit kommen. Es wäre übrigens auf keinen Fall nötig, die weite Reise nach San Francisco zu machen, sondern es genügte jedenfalls, nur nach Prescott zu gehen, die dortige Behörde zu verständigen und von da aus die betreffende Bank durch die Post unterrichten zu lassen.«

»Richtig, sehr richtig! Also gehen wir nach Prescott!«

»Nicht so eilig, Mr. Rollins 1 Von hier nach Prescott hättet Ihr wenigstens zehn Tage zu reiten, da die Entfernung in der Luftlinie ungefähr fünfzig geographische Meilen betragen wird. Und, was die Hauptsache ist, kennt Ihr denn den Weg?«

»Nein. Vielleicht hätte einer von euch, der ihn kennt, Lust, gegen eine gute Bezahlung mit uns zu gehen.«

»Es ist wohl keiner unter uns, der den Lohnführer machen würde. Es ist auch zu bedenken, daß der Weg nach Prescott durch Gegenden geht, welche bei den jetzigen Verhältnissen nicht nur unsicher, sondern sogar gefährlich genannt werden müssen. Drei Personen, ihr beide und ein Führer? Selbst wenn er ein tüchtiger Mann wäre, stände zu erwarten, daß ihr nicht lebendig an das Ziel gelangen würdet.«

»So soll ich also nichts thun, sondern mein Geld verlieren?«

Da trat Schi-So, der Navajojüngling, zu Old Shatterhand heran und sagte:

»Sir, werdet Ihr mir erlauben, die Frage zu beantworten, welche Mr. Rollins soeben ausgesprochen hat?«

»Thue es!« nickte der Jäger. Er nannte ihn »du«, weil er ein Freund seines Vaters war und ihn schon als Knaben gekannt hatte. Schi-So wendete sich an den Bankier und sagte in zuversichtlichem Tone:

»Ihr braucht keine Sorge zu haben, Sir. Ihr werdet die Anweisung zurückerhalten.«

»Wirklich?« fragte Rollins erfreut. »Auf welche Weise?«

»Durch mich.«

»Durch Euch? Wollt Ihr sie ihm etwa abnehmen?«

»Ja.«

»Wie wollt Ihr denn an ihn kommen? Ihr wißt doch, daß er sich in den Händen der Nijoras befindet.«

»Ich bin ein Navajo; die Nijoras sind jetzt unsre Feinde; sie haben acht Navajokrieger gefangen genommen, deren Bruder ich bin; ich habe die Pflicht, alles zu versuchen, diese Gefangenen zu befreien. Da gerät auch der Ölprinz in meine Hand. Ich nehme ihm die Anweisung ab und gebe sie Euch.«

Der Bankier sah den jungen Indianer, welcher mit einer solchen Bestimmtheit und Sicherheit sprach, erstaunt an und fragte ihn:

»Die Navajos wollt Ihr befreien, mein kleiner Sir? Wißt Ihr denn die Zahl der Nijoras?«

»Es sind nur dreißig.«

»Nur?! Und Ihr, Ihr allein wollt es mit ihnen aufnehmen?«

»Ich fürchte mich nicht vor ihnen. Übrigens werde ich gar nicht allein sein. Ich suche die Krieger meines Stammes auf.«

»Wißt Ihr denn, wo diese sich befinden?«

»Sie sind hier. Es gibt acht Navajospäher; daraus ist zu schließen, daß unsre Krieger nicht fern von hier zu suchen sind.«

»Aber ehe Ihr sie findet, vergeht die Zeit und die Nijoras werden indessen entkommen!«

»Die entkommen nicht,« fiel da Old Shatterhand ein. »Wir sind ja hier. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Entschlusse?«

Er hatte diesen Entschluß noch mit keinem Worte bezeichnet, dennoch antwortete der Apache, ihn erratend, sofort:

»Er ist gut. Wir werden den Nijoras folgen, die Navajos befreien und dem Ölprinzen den Zettel abnehmen. &‹

»Danke Euch, danke Euch!« rief Rollins jubelnd aus. »Wenn Ihr dies sagt, so ist es gewiß, daß ich die Anweisung zurückerhalte und also mein Geld rette. Aber wann brechen wir auf? Natürlich sofort, meine Herren?«

»Sobald wie möglich,« antwortete Old Shatterhand. »Erst wollen wir uns diese Höhle auch einmal ansehen, und dann wird Winnetou mich nach der Stelle im Walde führen, wo die Nijoras mit ihren Gefangenen gelagert haben.«

Nun erst wurde das Innere der Höhle untersucht. Sie war keine künstlich hergestellte, sondern eine natürliche, ausgewaschen durch die vom Hochwalde durch den Felsen sickernde Feuchtigkeit, welche von hier aus ihren Abfluß in den See gefunden hatte. Daher der Sand und Steingrus, welcher in einem schmalen Streifen von der Höhle aus nach dem »finstern Wasser« führte. Man fand vierzig leere Petroleumfässer, einige Hacken und ein Beil, weiter nichts. Zwei der Fässer wurden zerschlagen; ihre Trämmer sollten mitgenommen werden, weil sie ein vorzügliches Feuermaterial lieferten, falls man in eine Gegend kam, wo kein Holz zu finden war.

Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand fort, um die Lagerstätte der Nijoras zu untersuchen. Die andern lagerten sich in das Gras, um auf die Rückkehr dieser beiden zu warten. Sie bildeten da verschiedene kleine Gruppen, so wie die einzelnen sich gerade zusammenfanden. Bei allen war das Thema des Gespräches eines und dasselbe: die Erlebnisse der letzten Tage und daß man die Rettung aller nur Old Shatterhand und Winnetou zu verdanken hätte. Das Lob dieser beiden Männer floß von allen Lippen.

Besonders wußte der Hobble-Frank von ihnen zu erzählen. Er saß bei den deutschen Auswanderern und erzählte in seiner drastischen Weise einige Episoden aus seinem Zusammenleben mit Old Shatterhand und Winnetou. Der Kantor hörte mit großer Aufmerksamkeit zu und benützte eine Pause, welche Frank machte, zu der Bemerkung:

»Das ist es, was ich brauche! Solche Thaten will ich auf die Bühne bringen; die geben den Effekt, welchen ich beabsichtige! Aber es gibt eine Schwierigkeit dabei, die zu überwinden Sie mir vielleicht helfen können, Herr Franke.«

»Was für eene is das denn? Ich liebe nämlich grad die Schwierigkeeten. Für so was Leichtes kann ich mich nich gut kondensieren. Was aber schwer is, was Mühe macht und Anschtrengung kostet, das is zu jeder Zeit mein Lieblingsfach gewesen. Darum habe ich es schtets mehr mit den geistig offwärtsschtrebenden, als mit den körperlich abwärtsgerichteten Wissenschaften und Künsten gehalten. Also wenden Sie sich getrost an mich, Herr Kantor emeriticus! Ich bin der richtige Mann und Held für Sie. Was meenen Sie für eene Schwierigkeet? Ich werde sie mit der größten Leichtigkeet und Kohäsion beseitigen.«

»Hm! Haben Sie vielleicht einmal Old Shatterhand oder Winnetou singen hören?«

»Singen? Nee!«

»Aber diese beiden Männer können doch singen? Oder meinen Sie nicht?«

»Ob sie singen können! Was das für eene indigoflammierte Frage is! Schämen Sie sich denn nich, so was zu denken oder gar so alluvialisch auszuschprechen? Ich sage Ihnen, diese zwee beeden Männer könnes alles, mag es heeßen, wie es will, also ooch singen.«

»Werden Sie nur nicht so grob, Herr Franke! Ich habe es ja nicht bös gemeint. Was denken Sie, würde Old Shatterhand vielleicht einmal singen, wenn ich ihn darum bäte?«

»Hm!« brummte Frank, indem er ein zweifelndes Gesicht machte.

»Und Winnetou?«

»Der off alle Fälle nich. Er is in allen Sachen groß, und so bin ich überzeugt, daß er ooch een ganz bedeutender Sänger und Koloraturierer is; aber wenn ich offen schprechen soll, so kann ich ihn mir gar nich singend vorschtellen.«

»Wirklich nicht?«

»Nee. Denken Sie sich doch 'mal diesen berühmten Häuptling mit geschpreizten Beenen und weit offgeschnapptem Munde im Konzertsaale schtehend und die schkandinavische Arie singend: ›Guter Mond, du gehst so schtille hinter Nachbars Birnboom hin!‹ Können Sie ihn sich off diese Weise ausmalen?«

»Was Sie da sagen, ist nicht ganz ohne. Aber die Indianer singen doch jedenfalls auch!«

»Natürlich. Ich habe schon verschiedene singen hören.«

»Wie klang es denn? Was sangen sie? War es einstimmig oder mehrstimmig? Es ist mir sehr wichtig, das von Ihnen zu erfahren.«

»Hören Sie, das is nu wieder so eene epileptische Frage! Wenn eener singt, so is es doch allemal eenschtimmig. Oder denken Sie etwas, daß een eenzelner Mann achtschtimmig singen kann? Und wenn zwölfe singen, so is es zwölfschtimmig; das muß doch jeder Schangdarm einsehen. Wie es geklungen hat, wollen Sie wissen? Na, nich ganz so wie bei den großen Komponisten Mozart, Galvani und Correggio. Es is nich leicht, es zu beschreiben. Denken Sie sich eenen großen Schmiedeblasebalg, in welchem een Eisbär, een Truthahn und drei junge Schweine schtecken; fangen Sie an, den Balg zu ziehen und zu drücken, dann werden Sie wahrscheinlich etwas zu hören bekommen, was grad so klingt wie eene echte, indianische Zivilschtandsoperette. Haben Sie mich verschtanden?«

»Jawohl. Ihr Beispiel ist ja deutlich genug.«

»Na, was wollen Sie denn mit Old Shatterhand und Winnetou? Warum sollen diese singen?«

»Weil ich wissen möchte, was für Stimmen sie haben.«

»Gute Schtimmen natürlich, sehr schöne Schtimmen sogar. Denn das Gegenteel davon zu denken, das wäre eene Beleidigung für sie.«

»Ob gut oder nicht, das meine ich nicht. Ich wollte wissen, ob sie Tenor, Bariton oder Baß singen.«

»Müssen Sie das denn so notwendig wissen?«

»Ja. Sie sollen doch die Haupthelden meiner Oper sein; also muß ich ihre Stimmlage wissen.«

»Unsinn! Ihre Schtimmlage! Die Schtimme liegt allemal in der Kehle. Wo soll sie denn sonst liegen? Ich habe noch keenen Menschen gesehen, der mit dem Magen oder mit den Ellbogen gesungen hat. Das sollten Sie doch wissen, wenn Sie eene zwölfaktige Oper komprimieren wollen. Und ooch das muß ich an Ihnen rügen, daß Sie das vorher wissen wollen. Das is doch gar nich notwendig. Old Shatterhand und Winnetou sollen offtreten und singen; gut; warten Sie das eenfach ab, so werden Sie gleich hören, ob sie Tenor, Baß oder Bariton singen. Es is doch gar nich notwendig, sich schon vorher darum zu kümmern.«

»Sie irren sich! Ich habe doch das, was gesungen werden soll, vorher zu komponieren!«

»Natürlich! Das is ja Ihre Schuldigkeet als Komponist.«

»Also muß ich doch wissen, ob ich den Gesang in den Baß oder den Tenor legen soll.«

»Legen Sie ihn in die Partitur; da gehört er hin! Der Kapellmeester wird ihn nachher finden, wenn er sich off Musik verschteht, was ich doch hoffen will.«

»Aber,« erklärte der Kantor eifrig, »eben bevor ich an der Partitur arbeite, muß ich doch wissen, in welcher Stimmlage – –«

»So lassen Sie mich doch mit Ihrer Schtimmlage in Ruhe!« unterbrach ihn Frank, zornig werdend. »Ich habe doch schon gesagt, daß die in der Gurgel liegt! Sie besitzen doch ooch so eene Art von Menschenverschtand; also is es doch eegentlich gar nich notwendig, daß Sie sich das zweemal sagen lassen. Merken Sie sich das, daß die wahre Weisheet nie wiederholt zu werden braucht!«

Der Kantor öffnete den Mund zu einer Gegenrede; darum fuhr Frank sehr schnell fort.

»Schweigen Sie! Lassen Sie mich ausschprechen! Der Rat, den ich Ihnen gebe, is ausgezeichnet und wird Ihnen sehr viel Zeit, Sorge und Arbeit erschparen. Komprimieren Sie immer Ihre Heldenoper; um Baß oder Tenor brauchen Sie sich dabei gar nich zu kümmern, denn wenn der Vorhang offgezogen wird und die Darschteller zu singen anfangen, wird es sich ganz von selber zeigen, ob sie für den Tenor geeignet, oder zum Kontrabaß geboren worden sind. Es muß doch jedenfalls nur den Sängern ihre Sache sein, ob sie hoch oder niedrig singen wollen. Ich wenigstens ließe mir keenen Tenor vorschreiben, wenn ich eenen Violonbaß in der Gurgel hätte. Das können Sie mir glooben. Ich bin der richtige Mann, der das beurteelen kann, denn als ich damals in Moritzburg als Forschtgehilfe differierte, bin ich Mitglied des dortigen Gesangvereins gewesen und habe sogar den Vertrauensposten animiert, allemal nach der Übungsschtunde die Notenbücher und den Taktschtock einzuschließen, was doch 'was zu bedeuten hat.«

Hobble-Frank wäre in seiner eifrigen Rede gern fortgefahren; aber da kehrten Winnetou und Old Shatterhand zurück, und der letztere gebot den Lagernden, sich zum Aufbruche zu rüsten; er teilte den Westmännern mit:

»Wir sind den Spuren der Nijoras eine Strecke weit gefolgt. Sie scheinen nach dem Chellyflusse zu wollen, was uns sehr lieb sein muß, da derselbe auch in unsrer Richtung liegt.«

Als dann alle aufgestiegen waren, setzte sich der Trupp in Bewegung. Den Eingang der Höhle wieder zuzuschütten, hätte keinen Zweck gehabt; man ließ sie offen.

Nachdem man die Schlucht passiert hatte, lenkte Winnetou, welcher an der Spitze ritt, nach dem Walde, in welchem die Nijoras die Nacht zugebracht hatten. Man kam auf ihre Fährte; sie führte zur Höhe empor und dann jenseits in ein langes Thal hinab, welches auf eine ebene Savanne mündete, welche eine solche Ausdehnung besaß, daß man ihre Grenzen nicht sehen konnte. Die Spur der Indianer führte in schnurgerader Richtung in diese Ebene hinein.

Hier brauchte man nicht besorgt zu sein, unerwartet auf Feinde zu treffen, denn es wäre jede Annäherung schon von weitem zu bemerken gewesen. Darum duldeten es die beiden Führer, daß ihre Gefährten sich ganz nach ihrem Belieben bewegten und sich laut miteinander unterhielten.

Der Kantor war durch die Auskunft, um welche er den Hobble-Frank gebeten hatte, nicht befriedigt worden; darum machte er sich an die Seite desselben und fragte:

»Herr Franke, würden Sie mir einen Gefallen erweisen?«

»Warum denn nich? Aber was für eenen denn?«

»Ich habe bemerkt, daß Sie bei Old Shatterhand gut stehen. Ihnen erfüllt er vielleicht den Wunsch, mit welchem er mich abweisen würde.«

»So? Wenn Sie das denken, da haben Sie das Richtige getroffen. Ich erfreue mich der ganz besondern Freundschaft und Egalität dieses berühmten Mannes.«

»Dann ersuchen Sie ihn doch einmal, ein Lied zu singen, und wenn es auch nur eine einzige Strophe wäre! Wollen Sie das?«

»Nee, lieber Freund, ich will nich!«

»Nicht? Warum nicht?«

»Ich will ihn bitten, sich bei eenem Grizzlybären schlafen zu legen oder eenen wilden Büffel bei den Hörnern anzufassen; das würde er thun, denn er is der Mann dazu. Aber singen? Nee, das kann ich ihm nich zumuten; da würde er mich schön heimleuchten, hörnse 'mal. Versuchen Sie es selber; ich will mir da die Finger nich verbrennen. Übrigens, Sie reden nur immer von der Musik Ihrer Oper, aber nich von dem Texte dazu. Haben Sie den schon?«

»Nein.«

»Na, da is aber keene Zeit zu verlieren. Wenden Sie sich schleunigst an eenen Dichter, der das nötige Talent besitzt!«

»Ich gedenke selbst den Text fertig zu bringen.«

»So? Sie selber?« fragte Frank, indem er ihn mit einem kurzen Seitenblicke maß. &›Haben Sie denn die Wissenschaft vom richtigen Verschmaße schtudiert? Können Sie die Helden, welche Sie aus den Kulissen schieben wollen, in die eenzelnen Zeilen und Wörter zerlegen, daß sie sich ooch richtig reimen?«

»Ich hoffe es. Übrigens würde ich hier vergeblich nach einem Dichter suchen.«

»So? I der tausend! Sie denken also wohl, es is keener da?«

»Ja.«

»Hören Sie, da geben Sie sich eener optischen Täuschung hin, die ich Ihnen kurieren muß. Es is nämlich een Dichter unter uns.«

»Wirklich?«

»Ja. Und was für eener!«

»Wer denn?«

»Das erraten Sie nich?«

»Nein.«

»Hm, Sie können mir leid thun! Sie brauchen ihn bloß anzublicken, um ihm sofort anzusehen, daß er eene höchst seltene dichterische Formation im Kopfe trägt. Seine geistig edlen und melodisch delikaten Gesichtszüge beweisen das.«

Der Kantor ließ seinen Blick prüfend von einem Reiter zum andern schweifen und erkundigte sich dann:

»Wen meinen Sie denn?«

Da wies Frank mit dem Zeigefinger auf sich selbst und ließ mit bedeutender Wucht das eine kleine Wörtchen hören.

»Mich.«

»Ah, sich selbst meinen Sie? Sie können dichten?«

»Und aber wie!«

»Unglaublich!«

»Ach was, unglooblich! Ich kann alles! Das müssen Sie doch nu endlich bald bemerken! Sagen Sie mir een Wort, so mache ich sofort zwanzig Reime droff! In höchstens zwee oder drei Schtunden dichte ich Ihnen eenen Operntext zusammen, der sich gewaschen hat. Ich beherrsche meine Mutterschprache in eener so konsumierten Weise, daß die Reime nur so nach allen Seiten fliegen. Wenn Sie daran zweifeln, gebe ich Ihnen die Erloobnis, mich zu prüfen.«

»Sie zu prüfen? Das würden Sie mir übel nehmen.«

»Fällt mir gar nich ein! Wie kann der Löwe oder der Adler dem Schperling etwas übel nehmen! Ich bin überhaupt nich übelnehmisch, wie sich bei meinem edlen Charakterbild von selber verschteht. Also schtellen Sie mir eene Offgabe; sagen Sie mir getrost, was ich dichten soll. Es fällt mir gar nich ein, Sie deshalb tot zu beißen.«

»Nun wohl, machen wir einen Versuch. Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf; man erblickt einen großen Urwald; in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen. Was würden Sie ihn dabei singen lassen?«

»Singen? Gar nischt natürlich!«

»Nichts? Warum? Er muß doch etwas singen. Wenn der Vorhang aufgeht, will das Publikum doch etwas hören!«

»Da wäre dieses Publikum schöne dumm! Winnetou – eenen Feind beschleichen – und dazu singen! Sehen Sie denn nich ein, daß der Feind das hören und also ausreißen würde?«

»Ja, hier im wilden Westen, Aber wir reden doch von der Bühne. Er muß singen, unbedingt singen!«

»Na, wenn er wirklich muß, wenn es so unbedingt notwendig is, daß er seine Schtimme erschallen läßt, so mag er also meinetwegen singen.«

»Aber welche Worte? Das Publikum kennt ihn noch nicht; sein Gesang muß also sagen, wer er ist.«

»Schön! Bin schon fertig. Er kriecht also an der Erde hin und singt dazu:

Ich bin der große Winnetou, In Amerika geboren, Habe Oogen, aber nu! Rechts und links zwee scharfe Ohren, Krieche off dem Bauch im Grase, Rieche alles mit der Nase.«

Als er diese Reime deklamiert hatte, richtete er auf den Kantor einen triumphierenden Blick, als ob er nun die höchste Anerkennung erwarte. Als der Emeritus aber schwieg, fragte er:

»Na, was sagen Sie dazu? Sind Sie erschtaunt oder nich?«

»Nicht,« gestand der Gefragte.

»Nich? Ich hoffe doch, daß Sie das, was Sie gehört haben, hochachtungsvoll zu schätzen wissen? Geben Sie Ihr Urteil ab!«

»Ich würde Sie kränken!«

»Nee. Es gibt keen Geschöpf unter mir, welches mich kränken könnte. Ich schwebe geistreich oben drüber!«

»Gut, so sollen Sie erfahren, daß Sie Knüttelverse gemacht haben. Daß Winnetou in Amerika geboren ist, daß er Augen hat, daß er alles mit der Nase, nicht aber mit den Ohren riecht, daß diese letzteren sich links und rechts an seinem Kopfe befinden, daß er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauche kriecht – – das ist ja so selbstverständlich, daß man es gar nicht zu sagen und noch viel weniger zu singen braucht. Also bitte, machen Sie einen andern Reim!«

Als der Hobble dieses Urteil hörte, wurden seine Augen immer größer, seine Brauen stiegen empor; er räusperte sich, als ob er glaube, nicht richtig gehört zu haben, öffnete dann den Mund und brach los –

»Was sagen Sie da? Was haben Sie geschprochen? Was für Zeug hätte ich gemacht? Knüttelversche meenen Sie?«

»Ja; so pflegt man solche Verse zu nennen, Herr Franke,« antwortete der Kantor unbefangen.

»Knüttelversche, Knüttelversche! Hat man schon jemals so 'was gehört! Ich, der berühmte Prairiejäger, Westmann und Hobble-Frank habe Knüttelversche gemacht! Da hört denn doch alles und verschiedenes off! Das hat mir noch keen Mensch gesagt, keen eenziger Mensch! Erscht fordern Sie mich off, zu sagen, wer Winnetou is und was er will, und als ich es dann sage, sagen Sie, es wäre überflüssig gewesen, das zu sagen! Ich aber sage Ihnen, daß Sie sich sagen mögen, daß Sie selber überflüssig sind, een ganz überflüssiger Mensch! Warum sind Sie nich mehr im Amte? Weil Sie überflüssig sind, een abgeschiedener und vorübergeschwundener Emeritikus. Ich aber befinde mich noch mitten in meinem Berufe als Prairiejäger, als Mitarbeiter des berühmten Schtuttgarter ›Guten Kameraden" also als anerkannter Litterat und permutierter Operndichter. Schteigen Sie also vom Pferde und lösen Sie mir die Riemen meiner Schuhe off, Sie unglücklicher Harfenist und zwölf Akte langer Pauken-, Saiten- und Triangelschpieler! Ich sollte Ihnen eegentlich eene Schtrafrede halten, off griechisch eene Philippine genannt, daß Ihnen alle Ohren wackeln, halte dies aber tief unter meiner kalcinierten Würde und Behendigkeet. Darum will ich schweigen und wortlos den Schtaub von meinen Füßen bürschten, was so viel zu bedeuten hat, daß ich Ihnen meine Freundschaft und Identität offkündige, Ihnen den legierten Reichstagsabschied gebe und mich fernerhin nur in solchen Regionen bewegen werde, wo der Luftballon meines Gedankenfluges von Ihrem Ooge weder erreicht noch akklimatisiert werden kann. Leben Sie also wohl für das gegenwärtige irdische Dasein! Ich wohne für Sie von jetzt an im Lande der seligen Geister und olympischen Schpielkameraden, an die Sie nie nich herankommen können!«

Er gab seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, in die Savanne hinein.

»Halt, Frank, wo willste hin?« rief Droll ihm nach.

»Über euern geistigen Horizont hinaus,« antwortete er zurück.

»Da halte dich nur fest und fall'drüben nich über den Horizont hinab!«

Der kleine, zornige Kerl wäre wohl noch weiter fortgeritten, wenn ihm nicht Old Shatterhand befehlend zugerufen hätte, zurückzukehren. Er gehorchte und machte sich an Drolls Seite.

»Was war denn los?« fragte dieser. »Du machst ja een ganz rabiates Gesicht. Hast du dich wieder 'mal geärgert?«

»Schweig! Empöre dich nich gegen meine Nachsicht und renitente Duldsamkeet! Ich bin off eene Weise verkannt worden, daß mir alle meine Haare ins Gebirge schteigen.«

»Von wem?«

»Vom frühern Kantorei- und Orgelschpieler.«

»Er hat dich beleidigt?«

»Im höchsten Grade nach Reaumur, Pestalozzi, Gall und Fahrenheit!«

»Womit?«

»Das brauchst du nich zu wissen. Bekümmere dich um deine eegne Häuslichkeet und laß mich und meine inkapabeln Schtaatsbürgerrechte ungeschoren!«

Droll lachte leise vor sich hin und schwieg. Er sah ein, daß es am besten sei, den Hobble seinem Zorne, der immer bald zu verrauchen pflegte, ruhig zu überlassen.

Die Savanne, auf welcher sie ritten, nahm kein Ende, oder vielmehr die Ebene; denn wenn man unter Savanne ein Grasland versteht, so hatte man sie schon nach einer Stunde hinter sich; das Gras und mit ihm jede andre Vegetation war verschwunden, und der Boden bestand meist aus hartem Fels, auf welchem kein Gewächs zu leben vermochte. Man befand sich auf dem Plateau des Koloradoflusses, welches an diesem und seinen Nebenflüssen in steile Schluchten und Canons abfällt.

Hier mußte man sehr scharfe Augen besitzen, wenn man die Spur der Nijoras nicht verlieren wollte. Es war wirklich außerordentlich und wurde von den übrigen auch bewundert, mit welcher Sicherheit Winnetou, der an der Spitze ritt, Zeichen fand und deutete, welche keiner der übrigen Reiter, Old Shatterhand natürlich ausgenommen, zu entdecken vermochte.

Um die Mitte des Tages wurde der Frauen und Kinder wegen Halt gemacht. Man gönnte ihnen eine Ruhe von zwei Stunden; dann ging es wieder vorwärts, bis gegen Abend der Apache anhielt und wieder von dem Pferde stieg. Old Shatterhand that dasselbe.

»Warum hier halten?« fragte Sam Hawkens. »Wollen wir an dieser öden Stelle, die sich gar nicht dazu eignet, die Nacht verbringen?«

»Nein,« antwortete der Apache. »Die Vorsicht gebietet uns, hier zu warten, bis es dunkel ist.«

»Warum?«

»Weil wir nur noch eine halbe Stunde bis zum Chelly zu reiten haben. Dort gibt es Wald, in welchem die Nijoras wahrscheinlich kampieren werden. Da die Gegend eben ist, würden sie uns kommen sehen und sich verstecken, um uns zu überfallen. Darum müssen wir warten, bis es Nacht geworden ist und sie uns nicht bemerken können.«

»Aber dann können wir auch sie nicht sehen!«

»Wir werden sie finden, wenn nicht heut, so morgen ganz gewiß.«

Die andern stiegen nun auch ab und lagerten sich im Kreise. Am nördlichen Horizonte sah man einige Geier schweben. Sie zogen sehr enge Kreise. Old Shatterhand machte auf diese Vögel aufmerksam und sagte:

»Wo Geier sind, gibt es entweder Aas oder sonstiges Futter. Sie fliegen nicht fort, sondern bleiben an derselben Stelle; es gibt also dort Beute für sie. Ich vermute, daß die Nijoras dort ihr Lager haben.«

»Mein weißer Bruder hat es erraten,« stimmte Winnetou bei. »Diese Vögel zeigen uns den Weg. Wir werden das Lager noch heut beschleichen.«

»Müssen dabei aber sehr vorsichtig sein. Diese dreißig Nijoras haben den weiten Weg von dem Gloomy-water bis zum Chelly in einer Tour zurückgelegt. Wenn Kundschafter dies thun, weiß man, was es zu bedeuten hat: Sie sind dahin zurückgekehrt, von wo sie ausgegangen sind. Ich vermute also, daß dort am Chelly alle Krieger des Nijorastammes versammelt sind, um den Zug gegen die Navajos zu beginnen.«

»Dann wären ihnen die Gefangenen abgeliefert worden,« meinte Hawkens, »und es wäre nun doppelt schwer und gefährlich, sie zu befreien.«

»Sie werden frei,« sagte Winnetou in seiner bestimmten Weise; »nur darf auf unsrer Seite keine Unvorsichtigkeit vorkommen.«

Als es soweit war, daß man nach einer Viertelstunde die Dämmerung erwarten konnte, wurde weiter geritten. Noch ehe es zu dunkeln begann, sah man, daß der Horizont sich im Norden wie ein schwarzer Strich abzeichnete.

»Das ist der Wald des Chellyflusses,« erklärte Old Shatterhand. »Bleibt hier halten! Ich werde allein weiterreiten, bis ich ihn durch mein Fernrohr absuchen kann. Ein einzelner Reiter kann von dort aus nicht so leicht bemerkt werden wie ein ganzer Trupp.«

Er trabte fort und hielt dann an. Man sah, daß er sein Rohr nach dem Walde richtete. Dann kehrte er zurück und sagte.

»Ihr müßt wissen, daß der Chellyfluß jetzt Wasser hat. Er fließt da, wohin wir wollen, in einem tiefen Thale. Die steilen Seiten desselben tragen Wald; da aber die verdunstende Feuchtigkeit nur in dem Thale, nicht über dasselbe hinaus zu wirken vermag, reicht dieser Wald nur bis zum Rande des Thales herauf, nicht aber in die Ebene hinein. Er bildet oben einen sehr schmalen Saum, den ich mit meinem Fernrohre ab- gesucht habe. Wenn die Nijoras da oben lagerten, hätte ich sie sehen müssen. Sie werden sich also unten in der Tiefe, am Flusse, befinden. Reiten wir also vorwärts!«

Die Dämmerung ist in jenen Gegenden sehr kurz; es wurde schnell dunkel, und nun konnte man sicher sein, vom Rande des Flußthales aus nicht gesehen zu werden. Nur eine kleine Viertelstunde später hörte man an den Huftritten der Pferde, daß der Boden grasig geworden war, und gleich darauf erreichte man den Saum des Waldes. Hier wurde angehalten und abgestiegen.

Ein Feuer anzubrennen, davon konnte keine Rede sein. Man mußte der Nähe der Indianer wegen im Dunkeln und zugleich so fern von ihnen bleiben, daß, falls vielleicht ein Pferd wieherte, sie dies nicht hören konnten. Dazu war natürlich notwendig, zu wissen, an welcher Stelle sie sich befanden. Old Shatterhand und Winnetou waren überzeugt, gar nicht fern von der Gegend zu sein, über welcher die Geier geschwebt hatten; die Indianer mußten also ziemlich nahe sein. Die beiden Genannten gingen fort, um zu rekognoszieren. Sie drangen in den Wald ein, und es verging weit über eine halbe Stunde, ehe einer von ihnen, nämlich Old Shatterhand, zurückkehrte.

»Wir befinden uns gerade an der richtigen Stelle; es ist wirklich zu loben, mit welchem Scharfsinne der Apache uns geleitet hat. Der Rand des Waldes ist hier kaum dreißig Schritte breit; dann steigt er in das Thal hinab. Wir sind ziemlich weit hinuntergestiegen, was bei dieser Dunkelheit keine leichte Sache war, und sahen dann Feuer; wir zählten drei, doch ist es möglich, daß noch mehrere brennen, welche wir nicht sehen konnten. Aus dieser Zahl der Feuer ist zu schließen, daß sich nicht nur die dreißig Kundschafter, sondern alle Kriegsmannschaften der Nijoras da unten befinden. Wir werden, wenn wir den Gefangenen loshelfen wollen, einen schweren Stand haben.«

»Und wo ist Winnetou?« fragte Sam.

»Ich kehrte zurück, um euch Bericht zu erstatten. Wenn wir beide länger fortblieben, konntet ihr euch leicht beunruhigen. Der Apache ist vollends hinunter, um sich genau umzusehen. Ich denke, daß wir ihn vor Verlauf einer Stunde nicht zurückerwarten können. Das Terrain ist sehr schwierig, und ein Lager zu umschleichen, in welchem so viele Feuer brennen, das erfordert große Behutsamkeit und lange Zeit.«

Es zeigte sich, daß er noch zu wenig gesagt hatte, denn es vergingen fast zwei volle Stunden, bis der Apache sich wieder sehen ließ. Er setzte sich zu Old Shatterhand nieder und sagte:

»Winnetou hat außer den drei Feuern noch zwei weitere gesehen; es sind also fünf, an denen wohl über dreihundert Nijoras lagern.«

»Also ganz, wie wir dachten. Wer ist der Anführer? Hast du ihn entdeckt?«

»Ja. Es ist Mokaschi, den du auch kennst.«

»Der ›Büffel‹, ein Krieger, den ich achte. Wenn wir als Freunde kämen, würde er uns gewiß nicht feindlich empfangen.«

»Da wir die Gefangenen befreien wollen, sind wir seine Feinde und dürfen uns nicht vor ihm und seinen Leuten sehen lassen. Mein Auge hat die Gefangenen erblickt.«

»Alle?«

»Ja, acht Navajos und die drei Bleichgesichter. Sie liegen an einem der Feuer und sind von einem doppelten Kreise von Kriegern umgeben.«

»O wehe! Da ist es schwer, sie herauszuholen!«

».Es ist nicht nur schwer, sondern geradezu unmöglich. Wir können heut nichts thun, sondern müssen warten bis morgen.«

»Ich stimme meinem roten Bruder bei. Es wäre Tollheit, unser Leben zu wagen, wenn der Erfolg so außerordentlich unsicher ist.«

»Erlaubt mir, zu sagen, daß ich diesen Entschluß nicht begreife,« sprach Hawkens. »Meint ihr, daß wir morgen mehr erreichen werden als heut?«

»Gewiß.«

»Inwiefern? Die Aussichten werden da auch nicht besser sein als heut.«

»O doch.«

»Meint ihr? In welcher Weise könnte das sein?«

»Ihr habt doch mit uns die Ansicht, daß die Nijoras gegen die Navajos ziehen wollen?«

»Natürlich!«

»Glaubt Ihr, daß sie sich da mit den elf Gefangenen belästigen werden?«

»Hm! Es ist freilich nicht anzunehmen, daß sie diese mit sich schleppen werden.«

»Also! Sie lassen sie unter Bewachung zurück. Wir warten dies ab und haben dann viel leichteres Spiel als heut.«

»Das leuchtet mir freilich ein. Daran habe ich gar nicht gedacht, wenn ich mich nicht irre. Wenn man aber nur wüßte, wann sie fortreiten werden.«

»Ich vermute, morgen.«

»Das wäre gut. Wenn sie aber noch da bleiben, kommen wir in die Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden.«

»Das müssen wir riskieren.«

»Freilich; aber das ist viel leichter gesagt als gethan. Es gibt hier oben kein Wasser. Die Pferde haben darunter weniger zu leiden, da sie Gras finden. Aber wir! Am Gloomy-water konnten wir nicht trinken, des Öles wegen; heut hat es während des ganzen Rittes auch keinen Tropfen gegeben. Wenn wir auch morgen nicht trinken können, so wird es mir um die Ladies und um die Kinder bang; von uns selbst will ich da gar nicht sprechen.«

»O, von uns muß grad ooch geschprochen werden,« fiel da der Hobble-Frank ein. »Wir sind einstweilen noch keene unschterblichen Seelen, sondern Menschen, deren Schterblichkeet een erwiesenes Faktotum is. Jedes schterbliche Wesen aber muß Wasser haben, und ich geschtehe der Wahrheet gemäß ein, ich habe eenen solchen Durscht, daß ich für een paar Schlucke Wasser oder een Glas Lagerbier gern drei Mark bezahlen würde.«

Da konnte sich der Kantor nicht enthalten, ihm in bedauerndem Tone zu versichern:

»Das thut mir außerordentlich leid, Herr Franke. Wenn ich Wasser hätte, würde ich es gern mit Ihnen teilen.«

Er war ein sehr gutmütiger Mensch und er bereute es schon seit langem, den Hobble-Frank heut geärgert zu haben. Diesem aber, der nicht weniger gutmütig war, erging es ebenso. Er sagte sich im stillen, daß er eigentlich doch wohl zu grob gegen den Kantor gewesen sei; er war also versöhnlich gestimmt, hielt es aber nicht für seiner Würde gemäß, dies merken zu lassen, und antwortete also auf die Versicherung des Emeritus:

»Wissen Sie denn, ob ich es von Ihnen annehmen würde?«

»Ich hoffe es!«

»Hoffen Sie das nich! So groß mein Durscht is, mein Charakter is noch viel größer. Wenn Sie mir das ganze Weltmeer hierher brächten, ich rührte doch keenen Tropfen an. Wissen Sie, mit den ›Knüttelverschen‹ haben Sie sich ihren besten Freund vor den Kopp geschtoßen. Das is een sehr schwerer Verlust für Sie, und Sie können die feste, pekuniäre Überzeugung haben, daß ich Ihnen für Ihr ganzes Leben unersetzlich bleiben werde. Es is traurig für Sie, aber wahr, und ich kann Ihnen beim besten Willen nich helfen.«

Das ging dem Kantor so nahe, daß er den Gedanken daran nicht wieder los wurde. Er konnte, als gegessen worden war und man sich zur Ruhe gelegt hatte, nicht einschlafen. Er fragte sich, auf welche Weise es möglich sei, Frank zu versöhnen, und da kam ihm eine Idee, die er für ganz vorzüglich hielt, obgleich er auf eine unklugere gar nicht hätte kommen können. Frank hatte über Durst geklagt und drei Mark für ein paar Schlucke Wasser zahlen wollen. Wie nun, wenn er ihm den Durst stillte? Das mußte ihn doch sicher rühren, zumal das Herbeischaffen des Wassers nicht nur schwierig, sondern auch wohl nicht ganz gefahrlos war. Unten im Thale war der Fluß, und er, der Kantor, hatte einen ledernen Trinkbecher. Aber es war jedenfalls verboten, da hinabzusteigen. Wenn er es thun wollte, mußte es heimlich geschehen. Er richtete sich halb auf und lauschte, Sie schliefen alle außer Dick Stone, welcher jetzt die Wache hatte; er befand sich in diesem Augenblicke bei den Pferden.

Der Emeritus hatte den Sattel als Kopfkissen unter sich liegen. In der Satteltasche steckte der Becher. Er nahm denselben heraus und kroch leise fort, zwischen die Bäume hinein. Was er beabsichtigte, that er aus zwei Gründen, nämlich Franks wegen und sodann weil er selbst auch einmal »ein Held des Westens« sein wollte. Der Gedanke, da hinunter zu den Feinden zu steigen und Wasser heraufzuholen, mutete ihn stolz an. Wie würde man sich wundern, wenn er ihn glücklich ausführte. Glücklich? Konnte er überhaupt unglücklich sein? Gewiß nicht, wenn er nur die nötige Vorsicht beobachtete.

Er kroch also weiter und weiter, bis er dachte, daß Dick Stone ihn nun weder mehr hören noch sehen könne. Da erhob er sich und tastete sich fort. Da ging der ebene Boden zu Ende; der Wald senkte sich in das Thal hinab. Nun begannen erst die Schwierigkeiten. Er drehte sich um und begann hinabzuklettern, verkehrt, auf allen Vieren, mit den vorsichtig tastenden Füßen voran. Das ging langsam, außerordentlich langsam. Er konnte erst dann einen Fuß weitersetzen, wenn er vorher mit dem andern den Boden untersucht hatte. Es gab scharfe Steine und dornige Ranken, an denen er sich die Hände verletzte. Er achtete nicht darauf. Je weiter er kam, desto mehr wuchs seine Begierde, das Unternehmen zu Ende zu bringen. Zuweilen verlor er den Halt unter den Füßen und rutschte streckenweit hinab. Das geschah natürlich nicht ohne Geräusch; er aber hörte vor lauter Eifer das Rollen der losgetretenen Steine und das Knicken und Knacken der brechenden Zweige gar nicht.

Jetzt sah der Emeritus die Lagerfeuer leuchten; er glaubte, das Spiel bereits gewonnen zu haben, und hastete weiter und weiter. Er kam den Feuern immer näher und näher. Er sah nicht, daß man dort aufmerksam wurde, daß fünf oder sechs Indianer, welche das Geräusch hörten, aufsprangen und ihm entgegenhuschten. Sie blieben dann stehen und warteten. Er atmete so laut, daß sie es ganz deutlich hören konnten.

»Uff!« flüsterte einer von ihnen. »Das ist kein Tier, sondern ein Mensch!«

»Ob mehrere?« fragte ein andrer.

»Nein, nur einer. Ergreifen wir ihn, ohne ihn zu töten!«

Jetzt war er ganz nahe bei ihnen. Sie bückten sich nieder, um ihn gegen die Feuer vor ihre Augen zu bekommen. Sie sahen ihn; sie überzeugten sich, daß er allein war, und streckten nun die Hände nach ihm aus. Als er sich so plötzlich ergriffen fühlte, erschrak er in der Weise, daß er keinen Laut hervorbrachte, obgleich er schreien wollte. Man rief ihm einige Worte zu, die er aber nicht verstand; desto besser aber verstand er die Sprache der Messer, deren Spitzen ihm, wie er fühlte, auf die Brust gesetzt wurden. Es fiel ihm gar nicht ein, sich zu wehren; er folgte, als er fortgezogen wurde, ohne allen Widerstand. Man kann sich denken, welches Aufsehen sein Erscheinen im Lager erregte; aber dieses Aufsehen war kein lärmendes. Ein Weißer hatte sich herbeigeschlichen und war ergriffen worden. Er konnte nicht allein hier in der Gegend sein; er mußte Gefährten bei sich haben, die sich in der Nähe befanden; man mußte also jeden Lärm vermeiden.

Es hatte sich sofort ein Kreis von Roten um ihn gebildet; keiner von ihnen sprach ein Wort. Bei ihm, in der Mitte dieses Kreises, stand Mokaschi, der Häuptling. Dieser that vor allen Dingen das, was ein jeder umsichtige Anführer thun mußte: er schickte einige Späher aus, welche die Umgebung des Lagers absuchen mußten. Dann fragte er den Gefangenen nach seinem Namen und seinen Absichten. Der Kantor verstand kein Wort und sagte, was er sagen zu müssen glaubte, in deutscher Sprache. Da meinte der Häuptling:

»Er kennt unsre Sprache nicht, und wir verstehen die seinige nicht. Wir wollen ihn den drei gefangenen Bleichgesichtern zeigen, vielleicht ist er ihnen bekannt.«

Der Kreis öffnete sich und der Emeritus wurde nach dem Feuer geführt, an welchem die Gefangenen lagerten. Als diese ihn erblickten, rief Poller überrascht aus.-

»Der deutsche Kantor! Der verrückte Kerl! Dieser hirnverbrannte Mensch muß aus dem Pueblo, wo er gefangen war, entkommen sein!«

Er hatte das in einem Gemisch von Englisch und Indianisch gesagt, welches der Kantor nicht verstand. Doch bemerkte dieser, daß die Worte ihm galten, er erkannte den einstigen Führer der Auswandererkarawane und sagte in deutscher Sprache, deren Poller mächtig war:

»Hallo! Das ist ja unser Wegweiser, der Dux, wie wir Komponisten sagen! Und gar mit gefesselten Extremitäten! Herr Poller, wie sind Sie denn in diese fatale Lage gekommen? Ich freue mich natürlich außerordentlich, Sie wiederzusehen.«

»Diese Kerls haben uns gefangen genommen,« antwortete der Gefragte, natürlich deutsch.

Da aber fiel der Häuptling schnell und in drohendem Tone ein:

»Ihr sollt nicht reden, was ich nicht verstehe! Wollt ihr etwa unsre Messer in die Leiber haben? Kennst du diesen Mann?«

»Ja.«

»Wer ist er?«

»Ein Mann aus Deutschland.«

»Deutschland? Ist dies das Land, in welchem Old Shatterhand geboren wurde?«

»Ja.«

»So ist er wohl auch ein berühmter Jäger?«

»Nein. Er versteht es nicht, eine Waffe zu führen. Er will Musik machen und singen. Er ist verrückt.«

Darauf hin betrachtete der Häuptling den Kantor mit viel weniger feindseligen Augen. Es gibt wilde Völkerschaften, welche die Wahnsinnigen nicht nur nicht bedauern oder gar verachten, sondern ihnen sogar Verehrung zollen. Sie sind der Ansicht, daß ein Geist, ein überirdisches Wesen von dem Irren Besitz ergriffen habe. Auch mehrere Stämme der Indianer huldigen dieser Anschauung und wagen es nicht, sich an einem Wahnsinnigen, selbst wenn er zu einem feindlichen Volke gehört, zu vergreifen. Darum erkundigte sich der Häuptling weiter:

»Weißt du es genau, daß dieser Mann nicht mehr bei seinen Sinnen ist?«

»Sehr genau,« antwortete Poller, welchem der Gedanke kam, daß er daraus vielleicht Vorteil ziehen könne. »Ich bin ja lange Zeit mit ihm und seinen Begleitern geritten.«

»Wer waren diese?«

»Auch Deutsche, welche herübergekommen sind, sich Land zu kaufen, welches den roten Männern gehört.«

»Das hat ihnen der böse Geist eingegeben; denn wenn sie Land kaufen, so wird es uns gestohlen, und nicht wir, sondern die Länderdiebe bekommen das Geld. Jeder, der in diese Gegend kommt, um Land zu kaufen, ist unser Feind. Will dieser Mann auch welches haben?«

»Nein. Er will die roten Männer und Helden kennen lernen und dann in sein Vaterland zurückkehren, um Lieder über sie zu singen.«

»So ist er uns ja gar nicht gefährlich. Ich werde ihm erlauben, zu singen, so viel er will. Wo aber sind seine Begleiter?«

»Ich weiß es nicht.«

»So frage ihn!«

»Das kann ich nicht.«

»Warum?«

»Weil du uns verboten hast, zu sprechen, was du nicht verstehst. Er redet nur die Sprache seines Landes; in dieser also müßte ich mit ihm reden, und dann bekäme ich, wie du gesagt hast, eure Messer in den Leib.«

»Wenn dies wahr ist, so mußt du freilich in seiner Sprache mit ihm reden; ich erlaube es dir.«

»Daran thust du wohl; denn ich vermute, daß du dann sehr wichtige Dinge durch mich erfahren wirst.«

»Welche Dinge?«

»Die Auswanderer, zu denen er gehört, sind nicht allein. Es sind berühmte Jäger bei ihnen, welche sich vielleicht hier in der Nähe befinden. Sie müssen da sein, denn ich könnte nicht begreifen, wie er, der nichts versteht und wahnsinnig ist, ganz allein hierherkommen könnte.«

»Uff! Berühmte Jäger! Meinst du etwa Bleichgesichter?«

»Ja.«

»Welche?«

»Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker, Droll, Hobble-Frank und vielleicht auch noch andre.«

»Uff, uff, uff! Das sind lauter berühmte Namen. Diese Männer sind zwar nie unsre Feinde gewesen, aber jetzt, wo der Tomahawk des Krieges ausgegraben ist, muß man zehnfach vorsichtig sein, Ich will wissen, wo sie sich befinden. Aber hüte dich, mir eine Lüge zu sagen! Sobald eine Unwahrheit aus deinem Munde kommt, seid ihr verloren.«

»Sorge nicht! Du hast uns feindlich behandelt; aber ich werde dir trotzdem beweisen, daß wir eure Freunde sind. Ich kann dir diesen Beweis sogar schon jetzt gleich liefern, indem ich dir sage, daß wir uns bemüht haben, diese weißen Krieger für euch unschädlich zu machen.«

»Wie könntet ihr dies angefangen haben?«

»Wir haben sie in das Pueblo des Häuptlings Ka Maku gelockt.«

»Uff! Ka Maku ist unser Bruder. Sind sie zu ihm gekommen?«

»Ja. Er hat sie alle gefangen genommen, die weißen Jäger, die Auswanderer und ihre Frauen und Kinder.«

»Auch diesen wahnsinnigen Mann hier?«

»Ja.«

»Und jetzt befindet er sich bei uns! Er kann den weiten Weg unmöglich allein gemacht haben. Ich muß wissen, welche Leute bei ihm sind und wo sich dieselben in diesem Augenblicke befinden.«

»Soll ich ihn fragen?«

»Ja. Doch hüte dich, mich betrügen zu wollen! Was du mir auch sagen magst, ich werde dir kein Wort eher glauben, als bis ich mich von der Wahrheit desselben überzeugt habe.«

Nun wendete sich Poller an den Kantor und forderte ihn auf zu erzählen.

Nach einigem Widerstreben berichtete dieser, ohne daran zu denken, wie Poller gehandelt hatte und daß er ihn als Feind zu betrachten habe. Der frühere Führer der Auswanderer hörte mit Staunen von Old Shatterhand und Winnetou. Die Erzählung des Emeritus wurde von dem Häuptling unterbrochen, welcher mißtrauisch war und das lange Zwiegespräch, von welchem er kein Wort verstand, nicht dulden wollte. Poller aber beruhigte ihn mit der Versicherung:

»Ich erfahre da Dinge, welche für dich sehr wichtig sind. Ich muß diesen Verrückten ausfragen, was lange Zeit erfordert, weil sein Verstand nicht mehr ganz bei ihm ist. Laß mich also nur sprechen; du wirst dann später sehen, daß ich jetzt als Freund von euch handle.«

Endlich war der Kantor mit seiner Erzählung fertig; Poller wußte alles und wendete sich an den Häuptling:

»Das Wichtigste sollst du gleich zuerst erfahren: Da oben auf der Höhe befinden sich die zwei berühmtesten Männer des wilden Westens. Wirst du erraten, wen ich meine?«

»Etwa Old Shatterhand?«

»Ja.«

»Und Winnetou, der Häuptling der Apachen?«

»Auch dieser.«

»Uff, uff! Du redest die Wahrheit?«

»Es ist so, wie ich sage. Sie sind gekommen, euch zu überfallen.«

»Da werden sie sterben müssen. Woher kommen sie, wo stecken sie, und wie viele Leute sind bei ihnen?«

Poller gab ihm genaue Auskunft, denn es fiel ihm gar nicht ein, den Häuptling zu belügen und irre zu führen. Er rechnete auf die Dankbarkeit der Roten. Die hervorragendsten Krieger derselben standen in der Nähe und hörten Pollers Worte. Als dieser mit seinen Mitteilungen zu Ende war, blickte der Häuptling eine Zeit lang sinnend vor sich nieder und sagte dann, zu den Indianern gewendet:

»Meine Brüder haben gehört, was dieses Bleichgesicht gesprochen hat. Aber die Zungen der Weißen haben zwei Spitzen, von denen die eine mit Trug und die andre mit Falschheit endet. Wir müssen uns überzeugen, ob unsre Ohren die Wahrheit oder die Lüge vernommen haben. Es mögen also Kundschafter, die ich jetzt auswählen werde, zur Höhe steigen.«

Er ging von Feuer zu Feuer, um die Krieger zu bezeichnen, welche er für befähigt hielt, Leute wie Winnetou und Old Shatterhand zu beschleichen; dann sah man diese, nur mit ihren Messern bewaffnet, sich vorsichtig entfernen. Hierauf kam der Häuptling zu Poller zurück und sagte, auf den Kantor zeigend:

»Da dieses Bleichgesicht von einem Geiste, welcher nichts verlangt, als singen zu dürfen, besessen ist, so soll ihm von uns nichts Böses geschehen. Er wird ungefesselt hin und her gehen können, wie es ihm beliebt; aber sobald es ihm einfallen sollte, zu entfliehen, bekommt er eine Kugel. Sag' ihm das!«

Poller gehorchte natürlich. Als der Emeritus es hörte, sagte er in triumphierendem Tone:

»Sehen Sie, daß ich recht hatte? Für einen jünger der Kunst gibt es keine Gefahr; die Musen beschützen mich. Merken Sie sich, daß wir Komponisten keine gewöhnlichen Menschen sind!«

Poller ärgerte sich über dieses große Selbstbewußtsein und antwortete also:

»Von Ihren Musen kann hier keine Rede sein. Ja, Sie stehen unter einem besondern Schutze, aber unter einem ganz andern.«

»So? Unter welchem denn?«

»Unter dem der Verrücktheit.«

»Ver – – rückt – – heit?« dehnte der Musikbeflissene. »Darf ich fragen, wie Sie das meinen?«

»Warum nicht? Kein Indianer thut einem Wahnsinnigen etwas zu leide; darum können Sie hier fast ganz frei spazieren gehen.«

»Wahnsinnig? Spazieren gehen? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß – – –«

Er sah dabei Poller starr in das Gesicht.

»Ja, grad das will ich sagen,« nickte dieser.

»Daß – – daß ich für wahnsinnig gehalten werde?«

»Gewiß, ganz gewiß ist das der Fall!«

»Wie, was? Ist das möglich? Diese roten Leute halten mich für wahnsinnig!«

»Ja, für verrückt, für vollständig verrückt.«

»Aber warum denn, aus welchem Grunde denn?«

»Weil sie nicht begreifen können, daß ein vernünftiger Mensch über das Meer und nach dem wilden Westen gehen kann, nur um über die Leute, welche er da sieht, Musik zu machen.«

»Musik zu machen? Bitte sehr, Herr Poller; Sie bedienen sich da eines vollständig falschen Ausdruckes. ›Musik macht‹ ein Bierfiedler oder Leierkastenmann; ich aber bin Komponist; ich werde eine Heldenoper von zwölf Akten komponieren, und Sie werden die Ehre haben, in derselben auch mit vorzukommen.«

»Danke sehr, und bitte, mich dabei auszulassen! Übrigens haben die Indsmen gar nicht so sehr unrecht; denn wenn ich aufrichtig sein will, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie allerdings einen Klapps zu haben scheinen, und zwar einen nicht sehr kleinen.«

»Wie? Meinen Sie das wirklich?«

»Ja; aber Sie brauchen es mir nicht übel zu nehmen, denn bei den Indianern ist es eine Ehre, für verrückt gehalten zu werden.«

»Danke für die Ehre; danke sehr! Lieber will ich doch wie Sie gefesselt an der Erde liegen, aber für einen vernünftigen Menschen gehalten werden. Sagen Sie das dem Häuptling!«

»Fällt mir nicht ein. Der Umstand, daß Sie sich frei bewegen dürfen, kann uns von außerordentlichem Nutzen sein. Mißbrauchen Sie ihn aber nicht und kommen Sie ja nicht auf den Gedanken, sich zu entfernen! Man würde Sie auf der Stelle töten.«

»Pah! Das fällt keinem Menschen ein. ich stehe unter dem Schutze der Kunst.«

»Lassen Sie doch, zum Kuckuck, Ihre Kunst aus dem Spiele! Denken Sie von sich meinetwegen, was Sie wollen; aber denken Sie dabei auch an diejenigen, denen Sie nützlich sein können! Sehen Sie, wie der Häuptling nach uns sieht, wie er uns beobachtet? Wir dürfen nicht zu viel miteinander reden, sonst schöpft er Verdacht. Passen Sie später ein wenig auf mich auf. Wenn ich Ihnen winke, so habe ich Ihnen etwas mitzuteilen. Da nähern Sie sich mir so unbefangen wie möglich, sehen mich gar nicht an und bleiben in meiner Nähe stehen, bis Sie gehört haben, was ich Ihnen mitteilen will. Es wird das von großem Nutzen für Ihre Freunde sein. Wollen Sie das?«

»Ganz gern, Herr Poller. Wir Jünger der Kunst leben zwar in höhern Regionen und gehören später der Nachwelt und der Geschichte an; aber ich bin keineswegs stolz darauf, und wenn ich im gewöhnlichen Leben einem Menschen nützlich sein kann, so weigere ich mich keinesfalls, von meiner Höhe herniederzusteigen.«

Poller wäre am liebsten recht grob geworden, hielt es aber für geraten, sich zu beherrschen und sagte:

»Man hat Sie entwaffnet; sehen Sie doch zu, heimlich, recht heimlich zu einem Messer zu kommen! Ich hoffe doch, daß Sie pfiffig genug sind, mir diesen Wunsch zu erfüllen?«

»Pfiffig? Na, und ob! Ein Komponist ohne Pfiffigkeit ist eine absolute Unmöglichkeit. Wozu aber wollen Sie denn das Messer haben?«

Diese Frage war nun freilich kein Beweis von Pfiffigkeit, das hätte Poller ihm gar zu gern gesagt; aber er befürchtete, ihn damit zu beleidigen und gab ihm also die Auskunft:

»Um mich und Ihre Gefährten zu befreien.«

»Die sind doch nicht gefangen!«

»Das weiß ich sehr wohl; aber man weiß doch nicht, was geschehen kann. Ich habe dem Häuptling vollständig falsch berichtet, dennoch kann der kleinste Zufall seine Späher auf die richtige Spur bringen. Dann ist es sehr leicht möglich, daß Ihre Freunde ergriffen werden, wenn nicht etwas noch Schlimmeres geschieht. In diesem Falle würden sie nur dadurch zu retten sein, daß Sie mir heimlich ein Messer verschaffen. Ihnen zu erklären, wozu ich es haben will, dazu fehlt jetzt die Zeit. Wir dürfen nicht länger miteinander sprechen. Also wollen Sie?«

»Ja. Wenn ich meinen Freunden damit nutzen kann, soll es mir nicht darauf ankommen, einmal den Spitzbuben zu machen, indem ich den Roten ein Messer stehle.«

Poller hatte recht gehabt, denn der Häuptling stand jetzt von dem Platze, an welchem er saß, auf, und kam herbei, die beiden auseinander zu treiben. Doch wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, weil eben jetzt die Kundschafter zurückkehrten. Sie meldeten ihm, daß sich alles genau so verhalte, wie Poller sagte.

»Das ist sein Glück!« meinte er. »Hätte er mich belogen, so wäre er noch in dieser Nacht getötet worden. Er hat die Bleichgesichter verraten und wird meinen, daß ich ihm dafür gnädig sein werde; da aber irrt er sich, denn ein Verräter ist schlimmer als der schlimmste Feind.«

Er ließ sich das, was die Späher erkundet hatten, auf das genaueste beschreiben und sagte dann:

»Wir werden sie im Schlafe überraschen und also wohl nicht mit ihnen zu kämpfen brauchen. Zwei Krieger von uns auf einen von ihnen, auf Winnetou aber drei und auf Old Shatterhand vier; drei auch für den Posten, welcher Wache hält, damit er schnell und sicher überwältigt wird. Wir nehmen nicht die Gewehre, sondern nur die Messer und Tomahawks mit und Riemen dazu, die Gefangenen zu binden. So große und berühmte Krieger tötet man nicht, denn es ist ein großer Ruhm für uns, sie gefangen zu den Unsrigen zu bringen, und eine noch viel größere Schande für sie, in unsre Hände gefallen zu sein, ohne gekämpft und eine Wunde erhalten zu haben.«

Er suchte sich die zuverlässigsten und stärksten seiner Leute aus und brach mit ihnen auf. Der Mond stand über dem Thale; sein bleicher, matter Schein drang aber nicht durch die Wipfel der Bäume, unter und zwischen denen die Schar der auserwählten Roten jetzt verschwand, um lautlos und in der vorsichtigsten Weise den Bergeshang hinaufzuklettern.

Oben herrschte die tiefste Ruhe. Schi-So hatte bis vor kurzem Wache gestanden und war von Droll abgelöst worden. Der letztere ging, um nach dem anstrengenden Ritte wach zu bleiben, leisen Schrittes und langsam hin und her. Die andern schliefen alle fest, außer dem Hobble-Frank. Dieser hatte einen aufregenden Traum, in welchem er sich mit dem Kantor zankte, und zwar in einer solchen Weise, daß er sich auf ihn stürzte, um ihn zu packen. Darüber wachte er auf. Er öffnete die Augen, sah den bleichen Mond über sich und war froh, daß der Streit nur ein Traum und keine Wirklichkeit gewesen war. Er drehte sich auf die andre Seite, um nach dem Emeritus zu sehen, welcher sich nicht weit von ihm niedergelassen hatte – – er war nicht mehr da. Sollte er sein Lager nach einer andern Stelle verlegt haben? Das war unwahrscheinlich. Frank setzte sich auf und blickte umher; er sah ihn nicht. Er zählte die Schläfer; es fehlte einer. Da weckte der Hobble seinen Nachbar, was zufälligerweise Sam Hawkens war, und flüsterte ihm zu:

»Nimm's nich übel, Sam, daß ich dich aus dem Schlafe kompensiere; ich sehe den Kantor nich. Wo mag er sein? Soll ich die andern wecken?«

Sam gähnte ein wenig und antwortete dann ebenso leise:

»Wecken? Nein, der Schlaf ist allen nötig. Da du mich nun doch geweckt hast und selbst auch munter bist, wollen wir die Sache allein abmachen. Der unvorsichtige Mann wird wieder mal eine Strecke fortgelaufen sein, um sich im stillen an seiner berühmten Oper zu zermartern. Komm, wollen ihn suchen!«

»In welcher Richtung?«

»Hier in den Wald und den Abhang hinunter, wo die Roten kampieren, hat er sich jedenfalls nicht gewagt.«

»Nee, er is jedenfalls da links in die Ebene hinausfiltriert, um den Mondschein aus der Despektive anzusingen. Nach dieser Seite wollen wir gehn. Nehmen wir die Gewehre mit? Brauchen werden wir sie schwerlich.«

»Brauchen oder nicht brauchen, ein Westmann läßt sein Gewehr nie liegen, ich nehme meine Liddy auf jeden Fall.«

Ehe sie sich entfernten, erkundigten sie sich bei Droll, welcher nun auch bemerkte, daß der Emeritus fehlte, und versicherte:

»Er muß schon fort sein, ehe ich meinen Posten angetreten habe; macht, daß ihr ihn findet, sonst kann's leicht eene Dummheet geben.«

»Werden ihn schon bringen, wenn ich mich nicht irre,« nickte Sam. »Wenn wir einen Halbkreis gehen, müssen wir unbedingt auf seine Spur kommen. Der Mond scheint zwar nicht hell, aber ich denke, daß wir sie dennoch bemerken werden – soll ihm diesmal schlecht ergehen, wenn wir ihn erst haben.«

Hawkens und Frank gingen eine Strecke westwärts am Waldessaume hin, um dann ostwärts einen Halbkreis zurückzuschlagen, dessen Mittelpunkt das Lager war. Sie waren gezwungen, tief gebückt zu gehen, um die Spur erkennen zu können. Da sie den Gesuchten nicht sehen konnten, nahmen sie an, daß er sich ziemlich weit entfernt hatte.

Droll folgte ihnen mit seinen Blicken, bis er sie nicht mehr sah; er war besorgt wegen des unvorsichtigen Kantors und lenkte also unwillkürlich die Schärfe seiner Sinne in die Ebene hinaus und stand auch so, daß er derselben das Gesicht zukehrte. Daher sah er nicht, daß jetzt drei Indianer aus dem Waldessaume hervortraten und sich mit unhörbaren Schritten nach ihm hinbewegten. Plötzlich fühlte er zwei Hände an seinem Halse. Er wollte rufen, brachte aber nur ein kurzes Röcheln hervor; dann streckte ihn ein Hieb mit dem stumpfen Tomahawk besinnungslos zu Boden.

Sam Hawkens und der Hobble hatten wohl zwei Drittel ihres Weges zurückgelegt, ohne eine Spur des Gesuchten zu finden, da vernahmen sie plötzlich einen lauten Kriegsschrei von Winnetou, und nur einen Augenblick später erklang die Stimme Old Shatterhands –

»Wacht auf, der Feind ist – – –«

Weiter kam er nicht; die Worte endeten in einem Gurgeln, welches bis zu ihnen drang.

»Herrgott, nun sind wir überfallen worden! Schnell hin!« rief Frank und machte eine Drehung, um sich nach dem Lager zurückzuwenden. Da wurde er von Sam ergriffen und zurückgehalten.

»Bist du toll?« raunte ihm dieser mit unterdrückter Stimme zu. »Horch! Es ist schon vorbei. Wir können nichts mehr thun.«

Es ertönte jetzt ein vielstimmiges indianisches Siegesgeheul. Der Hobble-Frank versuchte, sich loszureißen und rief:

»Ich muß aber hin, ich muß! Wollen wir unsre Freunde abmurksen lassen, ohne ihnen beizuschtehen?«

»Leise, leise, du Unglücksrabe!« ermahnte Sam. »Ich sage dir, daß wir ihnen nur nützen können, wenn wir nicht hingehen. Es hat gar keinen Kampf gegeben; sie sind im Schlafe überfallen worden; das kann uns beruhigen.«

»Beruhigen? Bist du denn bei Troste und Verschtand? Daß unsre Kameraden überfallen worden sind, das soll uns beruhigen? Soll ich ihnen nich zu Hilfe kommen? Laß mich los, sonst kannst du eene Kugel durch deine Phrenologie kriegen!«

Er rang mit Sam; dieser hielt ihn aber fest und belehrte ihn:

»Bedenke den Mondschein! Die Feinde sehen uns doch kommen und schießen uns nieder, ehe wir für unsre Kameraden auch nur einen Finger rühren können. Es ist ihnen nichts geschehen, grad weil sie im Schlafe überrumpelt worden sind; sie liegen gefesselt dort bei einander, und wenn wir es klug anfangen, können wir sie wahrscheinlich retten.«

»Retten? Das läßt sich eher hören. Ich gebe mein Leben hin, sie wieder frei zu machen!«

»Das ist hoffentlich gar nicht notwendig. Jetzt freut es mich, daß du mich geweckt hast, um den Kantor zu suchen. Wäre dies nicht geschehen, so lägen wir auch mit bei den Gefährten, an Händen und Füßen gebunden. So aber sind wir frei, und wie ich den alten Sam Hawkens kenne, wird er nicht eher ruhen, als bis sie wieder losgekommen sind, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!«

Der Hobble war noch nicht überzeugt. Er befand sich in großer Aufregung und stand, nach dem Lager hinhorchend, mit vorgebeugtem Oberkörper da, wie bereit, augenblicklich fortzurennen. Darum hielt Hawkens ihn noch immer fest und redete auf ihn ein, bis Frank sich endlich beruhigte. Sam zog ihn dann mit sich fort. Am Walde angekommen, schlichen sie im Dunkel desselben längs des Randes hin; aber sie waren noch nicht weit gekommen, so blieben sie stehen, denn es erscholl ein sehr lauter Ruf.

»Ustah arku etente – kommt herauf, ihr Männer!«

»Halt, wir müssen stehen bleiben,« flüsterte Hawkens. »Die Leute, welche der Häuptling ruft, werden da am Abhang heraufkommen, und wir stoßen mit ihnen zusammen, wenn wir weitergehen. Horch!«

Die Stimme des Anführers war bis hinab in das Thal gedrungen. Bald hörte man das Rollen von Steinen, das Brechen und Knacken von Zweigen und das Geräusch von vielen kletternden Fußtritten. Die so plötzlich Überfallenen und Überwundenen sollten hinab in das Thal geschafft werden, wozu mehr Indianer erforderlich waren, als sich oben befanden. Um solche Leute, wie hier gefangen genommen worden waren, zu transportieren, genügten fünfzig oder sechzig Krieger nicht. Es mußten doch auch alle ihnen abgenommenen Sachen und ihre Pferde hinabgeschafft werden.

Nun gab es ein Gewirr von befehlenden, fragenden, antwortenden Stimmen; dann hörten die beiden Lauscher Huftritte und Menschenschritte näherkommen. Sie sahen einen langen Zug von Menschen und Pferden vorübergehen; da er vom Monde beleuchtet wurde, konnten sie die einzelnen Gestalten deutlich unterscheiden. Ihre Freunde waren alle an den Händen und Füßen gefesselt, an den letzteren so, daß sie kurze Schritte machen konnten; keiner außer dem Kantor fehlte. Winnetou ging ebenso wie Old Shatterhand zwischen vier stämmigen Indianern.

Als dieser Zug vorüber war, drohte der Hobble mit der Faust hinter ihm her und knirschte:

»Wenn ich nur könnte, wie ich wollte, da riß ich diese roten Halunken in Schtücke, daß sie wie Sägeschpähne durch alle Lüfte flögen! Aber ich werde ihnen schon noch een Licht darüber offschtecken, was der Hobble-Frank zu bedeuten hat, wenn sein Grimm zornig und sein Zorn grimmig geworden is! Da sind sie hin, und wir schtehen hier wie zwee zerbrochene Regenschirme oder als ob uns die Filzschuhe an die Beene gewachsen wären! Wollen wir ihnen denn nich nach?«

»Nein.«

»Warum denn nich?«

»Weil das ein Umweg wäre. Sie mußten sich zum Transporte der Gefangenen den bequemsten Weg auswählen, sind darum längs der Höhe hin und werden dann an einer geeigneten Stelle hinuntergehen. Wir aber schleichen uns den Abhang hier hinab, da, wo sie heraufgekommen sind.«

»Und nachher?«

»Nachher werden wir ja sehen, was wir thun können.«

»Schön, also vorwärts, Sam! Es juckt mich in allen Fingern, die Kerls bei der Parabel festzunehmen.«

Sie stiegen langsam und vorsichtig geraden Weges in das Thal hinab. Als sie unten angekommen waren, wurde ihnen das Anschleichen durch die brennenden Feuer erleichtert, nach denen sie sich richten konnten. Sie bewegten sich ein wenig oberhalb des Indianerlagers hin, bis sie an eine Stelle kamen, wo zwei hohe, flache und dünne Felsenstücke so gegeneinander lagen, daß sie eine Art Feldhütte oder ein Dach bildeten, unter welchem leidlich Platz für zwei Personen war. Vorn standen einige kleine Koniferen, deren niedrige Zweige den Eingang fast ganz verdeckten. Sie krochen hinein und legten sich so, daß sie sich mit den Köpfen unter den Bäumchen befanden und zwischen den Stämmen derselben hervorblicken konnten.

Als sie es sich so bequem wie möglich gemacht hatten, stieß Frank seinen Gefährten an und flüsterte ihm zu:

»Siehst du, daß sich meine große Komprimationsgabe nich geirrt hat! Dort sitzt der Pflaumentoffel am Feuer. Er is es also wirklich gewesen, der uns verraten hat, dieser zwölfaktige Emeritikus!«

»Ja, du hast recht gehabt; er ist es wirklich gewesen.«

»Aber er scheint nich gefangen zu sein. Warum haben sie ihn nich gefesselt?«

»Das ist auch mir unbegreiflich.«

»Siehst du, wer dort liegt?«

»Ah, der Ölprinz! Und die beeden andern werden Buttler und Poller sein.«

Außerdem konnten die beiden etwa hundertfünfzig Indianer zählen; also waren ebensoviele nach oben gestiegen, um die Weißen festzunehmen und dann herabzuschaffen. Am Flusse schliefen oder grasten die Pferde; sie waren abgezäumt, und man hatte die Sättel in mehrere Haufen zusammengelegt. Jetzt waren die lagernden Roten aufgesprungen; sie blickten erwartungsvoll thalaufwärts. Von dorther erscholl ein Jubelgeheul, und sie beantworteten es. Der oben erwähnte Zug näherte sich dem Lager.

Erst erschien ein kleiner Trupp von Roten; dann kamen Old Shatterhand und Winnetou mit ihren acht Wächtern. Diesen beiden Männern sah man es nicht an, daß sie sich gefangen oder gar gedemütigt fühlen müßten. Ihre Haltung war stolz und aufrecht, und mit freien, offenen Blicken musterten sie den Platz und die Personen, welche an den Feuern standen öder lagen. Auch den andern Westmännern sah man keine Niedergeschlagenheit an; die deutschen Auswanderer jedoch blickten ängstlich um sich her, und noch niedergedrückter sahen ihre Frauen aus, welche alle Mühe hatten, das Weinen der Kinder zu unterdrücken. Eine Ausnahme machte Frau Rosalie Ebersbach, welche auch gebunden war, aber in ihren Fesseln stolz einherschritt und mit geradezu herausfordernder Miene um sich blickte.

Dem Kantor mochte jetzt doch endlich ein Licht über den Fehler aufgehen, den er begangen hatte; sobald er die Situation einigermaßen übersah, trat er auf Old Shatterhand zu und sagte –

»Herr Franke klagte über Durst; darum kletterte ich hier herunter, um ihm heimlich eine Freude – – –«

»Schweigen Sie!« herrschte ihn der Jäger an und wendete sich von ihm ab.

Einige Indianer nahmen den Emeritus zwischen sich, denn er sollte nicht mit seinen Reisegefährten sprechen. Die Nijoras bildeten einen Kreis um die Gefangenen; ihr Häuptling stand mit den bedeutendsten Kriegern in demselben und ergriff nun das Wort, indem er sich an Winnetou wendete:

»Winnetou, der Häuptling der Apachen, ist gekommen, uns zu töten; er wird dafür am Marterpfahle sterben müssen.«

»Pshaw

Nur dieses eine Wort antwortete der Apache; dann setzte er sich nieder. Er war zu stolz, sich zu verteidigen. Der Häuptling zog die Brauen zornig zusammen und richtete sein Wort nun an Old Shatterhand:

»Die weißen Männer werden alle mit dem Apachen sterben müssen; das Kriegsbeil ist ausgegraben und sie haben uns töten wollen.«

»Wer hat das gesagt?« fragte Old Shatterhand.

»Dieser Mann.«

Dabei zeigte er auf den Kantor.

»Er spricht eine Sprache, welche du nicht verstehst; wie hast du da mit ihm reden können?«

Der Häuptling deutete auf Poller und antwortete:

»Durch diesen, welcher den Dolmetscher gemacht hat.«

»So ist der Dolmetscher ein Lügner und Fälscher gewesen. Du weißt, wer ich bin. Darf jemand Old Shatterhand einen Feind der roten Männer nennen?«

. »Nein; aber jetzt ist der Kampf ausgebrochen, und ein jedes Bleichgesicht ist unser Feind.«

»Auch ohne euch beleidigt zu haben?«

»Ja.«

»Gut, so wissen wir, woran wir sind! Schau diese drei Bleichgesichter, welche du vor uns gefangen hast; sie sind Lügner, Betrüger, Diebe und Mörder. Nur um sie zu ergreifen, sind wir in diese Gegend gekommen, nicht um euch zu belästigen oder gar zu bekämpfen. Gib sie heraus, so ziehen wir weiter, ohne uns in eure Angelegenheiten zu mischen!«

»Uff! Ist Old Shatterhand plötzlich ein Kind geworden, daß es ihm in den Sinn kommt, ein solches Verlangen an uns zu stellen? Diese Bleichgesichter sollen wir ihm ausliefern? Sie gehören uns, sollen unsern Siegeszug schmücken und dann am Marterpfahle sterben. Dasselbe soll mit Old Shatterhand geschehen und allen, die jetzt mit ihm von uns ergriffen worden sind. Welcher Häuptling der roten Männer gibt solche Gefangenen heraus! Und wenn ich es thun wollte, würde Old Shatterhand noch viel mehr von uns verlangen.«

»Was?«

»Wir haben eure Pferde erbeutet und alles, was ihr bei euch hattet. Das gehört nun uns. Das köstlichste aber, was wir erhalten haben, ist Winnetous Silberbüchse, dein berühmter Bärentöter und das Zaubergewehr, mit welchem du, ohne laden zu brauchen, so viele Male schießen kannst, wie du willst. Würdest du nicht das alles von uns fordern, wenn wir euch ziehen ließen?«

»Allerdings.«

»So siehst du, daß ich recht hatte. Wir geben die Beute nicht heraus und werden auch euch festhalten, denn euer Tod am Marterpfahle wird unsern Stamm berühmter machen, als jemals ein Stamm der roten Männer gewesen ist, und wir werden nach unserm Tode in den ewigen Jagdgründen zu den obersten der Seligen gehören, weil eure abgeschiedenen Seelen uns dort bedienen müssen.«

Old Shatterhand machte trotz seiner enggefesselten Hände eine geradezu unnachahmlich stolze Armbewegung und fragte:

»Pshaw! Ist dies dein fester Entschluß?«

»Ja.«

»Aber wir sind nicht eure Feinde!«

»Wir halten euch dafür, folglich seid ihr es!«

»So hast du gesprochen, und ich werde auch mein letztes Wort sagen. Höre es: Ihr könnt uns nicht festhalten und werdet auch die Beute herausgeben. Unsre Seelen werden die eurigen nicht bedienen, denn wenn es uns beliebt, senden wir euch jetzt, in diesem Augenblicke, in die ewigen Jagdgründe, wo ihr dann uns bedienen müßt, anstatt wir euch. Ich habe gesprochen.«

Er wollte sich abwenden; da trat der Häuptling ihm um einige Schritte rasch näher und herrschte ihn an:

»Wagst du, so mit mir, dem obersten Häuptlinge der Nijoras zu reden! Seid ihr unsre Gefangenen oder sind wir die eurigen? Zähle deine Leute; sie sind gefesselt und nur wenige Männer; wir aber sind frei, bewaffnet und zählen über dreimal zehn mal zehn tapfere Krieger!«

»Pshaw! Old Shatterhand und Winnetou sind nicht gewöhnt, ihre Feinde zu zählen, und ob wir gefesselt sind oder nicht, das ist uns gleich. Wir haben nicht eure Feinde sein, sondern friedlich von euch ziehen wollen; du aber hast uns die Feindschaft aufgezwungen. Wohlan, wir nehmen sie an. Das Kriegsbeil mag ausgegraben sein zwischen mir und dir, zwischen uns und euch. Nicht die Zahl der Köpfe oder die gefesselten Hände werden entscheiden, sondern die Vortrefflichkeit der Waffen und die Macht des Geistes!«

Er warf einen kurzen Blick auf Winnetou und dieser neigte zustimmend, doch kaum bemerkbar, das Haupt. Die beiden verstanden sich ohne Worte. Der Häuptling der Nijoras beachtete dies in seinem Zorne nicht; er rief mit vor Wut bebender Stimme.

»Wo sind eure Waffen und wo ist der Geist, von dem du sprichst? Eure drei berühmten Gewehre hängen hier an meiner Schulter, und – – –«

»Der Geist, von dem ich sprach, wird sie dir nehmen!« fiel Old Shatterhand ihm in die Rede.

In diesem Augenblicke stand er bei ihm, erhob die gefesselten Hände und schmetterte ihn mit einem Hiebe der beiden Fäuste besinnungslos zu Boden. Schon stand auch Winnetou bei ihm, riß dem Leblosen das Messer aus dem Gürtel und schnitt mit demselben die Armriemen Old Shatterhands durch, worauf dieser ihm die seinigen zerschnitt. Nun hatten sie die Hände frei. Noch etwa zwei Schnitte und auch ihre Fußriemen fielen. Das war so schnell geschehen, daß die Roten gar keine Zeit gefunden hatten, eine Bewegung zu machen, es zu verhindern; sie standen vielmehr ganz starr vor Staunen darüber, daß zwei Männer es wagten, mitten zwischen dreihundert Feinden in dieser Weise aufzutreten. Es galt, den Augenblick zu benutzen und sie abzuhalten, von allen Seiten heranzudringen. Darum riß Old Shatterhand ihren Häuptling mit der linken Hand von der Erde zu sich empor, zückte mit der Rechten das Messer und rief:

»Weicht zurück! Wenn ein einziger Nijora es wagt, nur einen Fuß gegen uns zu bewegen, so wird mein Messer augenblicklich in das Herz eures Häuptlings fahren! Und seht Winnetou, den Häuptling der Apachen, an! Soll er euch die Kugeln meines Zaubergewehres in die Köpfe geben?«

Winnetou hatte nämlich den Henrystutzen ergriffen und hielt ihn schußbereit in den Händen. Die Macht solcher Persönlichkeiten ist eine außerordentliche, zumal auf wilde, abergläubische Menschen. Dennoch war es ein höchst gefährlicher Augenblick. Wenn nur ein einziger Nijora den Mut besaß, zum Angriffe zu schreiten, so mußte er erschossen werden, und dann war die Rache sicherlich entfesselt und es mußte ein Niedermetzeln der Gefangenen folgen. Noch waren aller Mienen starr vor außerordentlicher Betroffenheit, und noch wollte keiner eine Bewegung wagen; aber schon in der nächsten Sekunde konnte dieser Zauber seine Macht verlieren; da erschien eine Hilfe, die der kühne Jäger wohl kaum für möglich gehalten hätte, denn unter den Bäumen des Waldes heraus erscholl eine laute Stimme:

»Zurück, ihr Nijoras! hier stehen auch noch Bleichgesichter. Weicht ihr nicht sofort, so fressen euch unsre Kugeln. Um euch zu warnen, holen wir uns zunächst die Feder des Unterhäuptlings! Dann aber treffen wir die Köpfe. Also Feuer!«

Der Unteranführer, welcher gemeint war, stand in der Nähe von Old Shatterhand; er trug als Zeichen seiner Würde in seinem Schopfe eine Adlerfeder; die finstern, kampfeslustigen Blicke, welche er auf die beiden kühnen Männer warf, sagten mehr als deutlich, daß er nicht willens war, sich einschüchtern zu lassen. Aber da krachte in dem Dunkel des Waldes, da, wo die beiden erwähnten Steine lagen, der Schuß, und die Kugel riß ihm die Feder vorn Kopfe. Das wirkte augenblicklich. Die Drohung, welche er gehört hatte, konnte in der nächsten Sekunde in Erfüllung gehen: jetzt war es nur auf seine Feder abgesehen gewesen; nun aber galt es seinem Leben. Er ahnte nicht, daß es nur zwei Personen waren, welche dort im Dunkel steckten; es mußten vielmehr, da sie so keck auftraten, ihrer viele sein. Darum stieß er einen Schrei des Schreckens aus und sprang vom Feuer weg. Die andern Nijoras folgten seinem Beispiele, indem sie sich ebenso rasch entfernten.

»Gott sei Dank!« raunte Old Shatterhand dem Apachen zu. »Wir haben gewonnen. Das war Sam Hawkens, den wir hörten. Der Hobble-Frank wird bei ihm sein. Ziele du auf den Häuptling; ich brauche das Messer, um die andern von den Fesseln zu befreien.«

Er ließ den Häuptling, auf welchen Winnetou die Mündung des Gewehres richtete, zur Erde fallen und wendete sich zu seinen Gefährten, um ihnen die Riemen zu durchschneiden. Das geschah außerordentlich schnell, so daß die Indianer gar keine Zeit zu dem Gedanken fanden, ihn daran zu hindern. Sie hatten alles, was den Gefangenen abgenommen worden war, mit heruntergebracht, also auch die Waffen, und hier beim Feuer auf einen Haufen geworfen; die Weißen brauchten sich also nur zu bücken, um in den Besitz ihrer Messer und Gewehre zu kommen. Sie standen nun frei und bewaffnet da, noch ehe zwei Minuten seit dem Beginne der gefährlichen Scene vergangen waren.

»Jetzt die Pferde, und dann mir nach in den Wald!« gebot Old Shatterhand.

Er selbst nahm sein und Winnetous Pferd beim Zügel, während der Apache den Häuptling der Nijoras aufhob, um mit ihm in das Dunkel zu verschwinden, dahin, von wo sie Sam Hawkens Stimme vernommen hatten. Der Platz am Feuer war leer; die Roten starrten auf denselben hin, kaum im stande, sich selbst zu begreifen, daß sie sich so hatten überraschen lassen.

Die beiden Helden dieser befreienden That hatten nicht Zeit gefunden, auf ein Vorkommnis zu achten, dessen Folgen ihnen später sehr ärgerlich werden sollten. Dem Kantor emeritus war nämlich plötzlich eingefallen, daß er in der oberen Westentasche, welche ihm nicht geleert worden war, sein Federmesser stecken hatte. Er wollte den Fehler, den er begangen hatte, wieder gut machen und ging, während alle andern nur für Old Shatterhand und Winnetou Augen hatten, zu Poller hin, setzte sich neben denselben nieder und sagte:

»Eben denke ich daran, daß ich ein Federmesser habe. Sie wollen meinen Kameraden mit helfen. Hier ist es.«

»Schön, schön!« antwortete Poller ganz entzückt. »Legen Sie sich lang neben mich her, und schneiden Sie mir die Riemen an den Händen entzwei, doch so, daß niemand es sieht. Wenn Sie mir dann das Messer geben, besorge ich das weitere selbst.«

»Aber Sie müssen dann auch meine Gefährten von ihren Fesseln befreien!«

»Natürlich, natürlich! Also machen Sie nur schnell, schnell!«

Der Kantor kam dieser Aufforderung nach und gab Poller das Messer in dem Augenblicke, in welchem Old Shatterhand das Durchschneiden der Riemen, mit denen die Weißen gefesselt waren, selbst in die Hand nahm. Darum sagte er:

»Sehen Sie dorthin! Nun ist Ihre Hilfe nicht nötig. Shatterhand wird Sie auch frei machen. Sie können mir mein Messer wieder geben.«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete Poller. »Machen Sie sich schnell wieder zu Ihren Leuten hin; wir drei kommen dann gleich nach!«

Der Kantor stand also auf und sprang, als er sah, was die andern auf Old Shatterhands Befehl machten, zu seinem Pferde, um dasselbe auch schnell fortzuziehen.

Jetzt nun war die Situation so, daß nur Buttler, Poller und der Ölprinz am Feuer lagen; die Indianer hatten sich, um ihren Feinden keine sicheren Ziele zu bieten, gegen den Fluß hin in das Dunkel zurückgezogen, während die Weißen am Fuße der Thalwand unter den Bäumen steckten. Aus diesem Verstecke heraus rief Old Shatterhand den Roten zu:

»Die Krieger der Nijoras mögen sich ja ruhig verhalten. Beim geringsten Zeichen der Feindseligkeit oder wenn auch nur einer von ihnen es wagen wollte, zu uns herüberzuspähen, werden wir ihren Häuptling töten. Wenn es Tag geworden ist, soll über denselben verhandelt werden. Wir sind Freunde aller roten Männer und werden uns nur dann an ihm vergreifen, wenn wir gezwungen werden, uns zu verteidigen.«

Die Indianer nahmen als ganz natürlich an, daß er Wort halten würde, obgleich es ihm selbst dann, wenn sie angegriffen hätten, nicht eingefallen wäre, einen Mord zu begehen. Und für einen Mord hielt er es selbst in diesem Falle, einem wehrlosen Gefangenen das Leben zu nehmen, denn wehrlos war jetzt der Häuptling, weil man ihn an den Händen und Füßen gefesselt hatte.

Sam Hawkens und der Hobble-Frank waren unter den Steinen hervorgekrochen. Der erstere sagte in seiner eigentümlichen Weise:

»Das haben die roten Gentlemen wohl nicht gedacht! Dreihundert solche Kerle lassen sich von zwei Männern in das Bockshorn jagen. So etwas ist noch gar nicht dagewesen! Aber selbst dann, wenn es nicht gelungen wäre, hätte es dasselbe Ende genommen, nur ein wenig später, denn wir lagen hier, um euch zu befreien, hihihihi!«

»Ja,« stimmte der Hobble bei, »wir hätten euch herausgeholt, das schtand bei uns bombenfest. Ob es zehn oder dreihundert Indianer waren, das hielten wir ganz ebenso für Wurscht als wie für Schnuppe.«

»Ja, ihr seid zwei außerordentliche Helden,« meinte Old Shatterhand, halb zornig und halb belustigt. »Wo habt ihr denn gesteckt? Mir scheint, ihr seid spazieren gegangen, während ihr schlafen solltet?«

»Schpazieren gerade nich. Ich hatte eenen Troom, der meine physikalische Seele in innere Offregung versetzte; ich wachte darum off und bemerkte zu meinem Erschtaunen, daß der Herr Kantor fort war. Da weckte ich meinen Busenfreund Sam, und wir gingen, den abwesenden Herrn in die Anwesenheet zurückzuführen, Inzwischen geschah der Überfall, den wir nich verhindern konnten. Wir verschteckten uns und sahen, daß ihr an uns vorübergeschafft wurdet. Da schtiegen wir ins Thal herunter und verschteckten uns, um euch im Momente des geeigneten Oogenblickes aus der Gefangenschaft zu befreien. Es war een Glück für uns, daß der Herr Emeritus sich entfernt hatte, denn wäre dies nich der Fall gewesen, so hätten wir ihn nich gesucht und wären doch mit gefangen genommen worden.«

»Das wird wohl ein Irrtum sein,« entgegnete Old Shatterhand. »Ich bin überzeugt, daß der Überfall gar nicht hätte stattfinden können, wenn dieser Unglücksmann ruhig liegen geblieben wäre. Wo steckt er denn jetzt? Ich bemerke ihn nicht.«

»Hier bin ich,« antwortete der Kantor hinter einem Baum hervor.

»Schön! Sagen Sie mir doch um aller Welt willen, wie es Ihnen einfallen konnte, sich von unserm Lagerplatze zu entfernen!«

»Ich wollte Wasser holen, Herr Shatterhand.«

»Wasser! Hier unten vom Flusse?«

»Ja.«

»Sollte man so etwas für möglich halten! War denn Ihr Durst gar so groß, daß Sie ihn nicht bis morgen früh bezwingen konnten?«

»Aber nicht für mich.«

»Für wen denn?«

»Für meinen guten Freund Herrn Hobble-Frank. Er klagte über Durst, und ich hatte mich mit ihm im Streite überworfen; das wollte ich wieder gut machen, indem ich ihm behilflich war, seinen Durst zu löschen.«

»Welch ein Unsinn! Eines ganz und gar albernen Zankes wegen haben Sie unser aller Leben in Gefahr gebracht! Wahrlich, wenn wir uns nicht hier mitten in der Wildnis befänden, würde ich Sie auf der Stelle fortjagen. Das kann ich aber leider nicht, weil Sie da unbedingt zu Grunde gehen würden.«

»Ich? Glauben Sie das ja nicht! Wer eine so hohe, künstlerische Mission zu erfüllen hat, wie die meinige ist, welche zwölf volle Akte betragen wird, der kann nicht zu Grunde gehen.«

»Lassen Sie sich doch nicht auslachen! Ich werde Sie in Zukunft des Abends anbinden müssen, damit Sie keine ferneren Dummheiten machen können. Und an dem ersten zivilisierten Ort, den wir erreichen, lasse ich Sie sitzen. Dann dürfen Sie meinetwegen nach Stoff für Ihre berühmte Oper suchen, bei wem und so viel Sie wollen. Ist es Ihnen denn gelungen, den Fluß hier unten zu erreichen?«

Der Emeritus verneinte und berichtete seine Festnahme, wie es ihm ergangen, bis zu dem Umstande, daß er Poller sein Messer geliehen habe.

»Alle Wetter!« rief Old Shatterhand, »ist dieser Mann ein Unglücksrabe, da müssen wir schnell dafür sorgen, daß sie uns nicht entkommen. Ich werde es wagen, an das Feuer zu gehen, um sie wieder zu binden. Ich will dabei nur hoffen, daß es den Nijoras nicht einfällt, mich – – –«

Er wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen, welches die Nijoras in diesem Augenblicke erhoben. Als er nach dem Feuer blickte, sah er die Ursache desselben. Nämlich Poller, Buttler und der Ölprinz hatten sich plötzlich von ihren Plätzen erhoben und rannten fort, dorthin, wo sich die Pferde der Indianer befanden.

»Sie reißen aus; sie reißen aus!« schrie der Hobble-Frank. »Rasch off die Pferde und ihnen nach, sonst – – –«

Er vollendete seinen Satz nicht, in der Eile, seinen Worten die That folgen zu lassen, doch Old Shatterhand hielt ihn fest und gebot:

»Hierbleiben! Und still! Horcht!«

Man sah und hörte, daß die Indianer nach ihren Pferden rannten; aber die drei Flüchtlinge waren rascher als sie, denn man vernahm trotz des Wutgeheules ganz deutlich den Hufschlag der Pferde, deren sie sich bemächtigt hatten und auf denen sie davongaloppierten.

»Da sind sie fort, futsch, für uns verloren in alle Ewigkeit!« lamentierte Frank. »Ich wollte ihnen nach. Warum sollte ich denn nich?«

»Weil es nichts genützt hätte und auch sehr gefährlich war,« antwortete Old Shatterhand.

»Gefährlich? Meenen Sie etwa, daß ich mich vor diesen drei Halunken fürchte? Da kennen Sie mich, wie es scheint, noch immer nich!«

»Ich meine die Roten, Wir haben noch nicht mit ihnen verhandelt und müssen also sehr vorsichtig sein. Wollten wir die Fliehenden jetzt verfolgen, so fielen wir wahrscheinlich den Nijoras in die Hände. Wir müssen hier verborgen bleiben, bis wir uns mit ihnen auseinandergesetzt haben.«

»Und die drei Schurken entkommen lassen?«

»Würde es uns gelingen, sie jetzt, in der Nacht, zu ergreifen? Wenn die Möglichkeit dazu vorhanden ist, so können wir dies den Roten überlassen. Hört! Sie reiten den Entkommenen nach. Wir brauchen uns also nicht zu bemühen.«

»Ach was! Selber is der Mann! Diese Indianer werden sich keine große Mühe geben.«

»Damit würden sie nur beweisen, daß sie klug sind. Wenn wir warten, bis es Tag geworden ist, können wir die Spuren sehen und ihnen folgen.«

»Aber der Vorschprung, den die Kerls dann haben!«

»Den holen wir wohl ein. Es ist dann ganz leicht, sie festzunehmen, weil sie sich nicht verteidigen können; sie haben nur das Federmesser, welches unser sehr pfiffiger Herr Kantor ihnen geborgt hat, und das ist doch wohl nicht als eine sehr furchtbare und gefährliche Waffe zu betrachten.«

Alle sahen ein, daß er recht hatte, und auch Frank gestand dies zu. Nach einiger Zeit hörte man wieder den Hufschlag von Pferden; dann war es still. Die Indianer kamen resultatlos von der Verfolgung zurück, denn wenn sie die Flüchtlinge ergriffen gehabt hätten, wären sie jedenfalls sehr laut gewesen.

Da es voraussichtlich morgen einen anstrengenden Tag gab, mußte sich die Gesellschaft wieder schlafen legen; Winnetou und Old Shatterhand aber blieben wach, um die Nijoras zu beobachten, da ein Versuch ihrerseits, ihren gefangenen Häuptling zu befreien, doch immerhin möglich war. Aber sie blieben während der ganzen Nacht ruhig und als es Morgen wurde und die Schläfer erwachten, sah man sie drüben am Ufer des Flusses sitzen; sie waren wahrscheinlich alle munter geblieben.

Bis jetzt hatte niemand ein Wort mit Mokaschi gesprochen, und auch er hatte den Mund nicht geöffnet; ja, er hatte so still und unbeweglich gelegen, als ob Old Shatterhands Hieb ihn getötet habe. Aber er lebte und blickte mit sehr scharfen Augen um sich her; es war Zeit, ihm zu sagen, was man von ihm verlangte. Darum wollte Old Shatterhand das Wort nehmen. Winnetou erriet dies, bat ihn durch einen Wink zu schweigen, und wendete sich, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, selbst an den Häuptling Mokaschi.-

»Der Häuptling der Nijoras ist ein starker Mann, ein großer Jäger und ein sehr tapferer Krieger; er hat die stärksten Büffel mit einem einzigen Pfeile getötet; darum wird er Mokaschi genannt. Ich möchte gern als sein Freund und Bruder zu ihm sprechen und bitte ihn, mir zu sagen, wer ich bin!«

Das war scheinbar eine sonderbare Aufforderung, doch hatte sie ihren guten Grund und Zweck; das mochte Mokaschi denken, und darum antwortete er bereitwillig:

»Du bist Winnetou, der Häuptling der Apachen.«

»Du hast ganz richtig gesprochen. Warum hast du nicht einen besondern Stamm der Apachen genannt, zu dem ich gehöre?«

»Weil alle Stämme dieses großen Volkes dich als Häuptling anerkennen.«

»So ist es. Weißt du, zu welchem Volke der Stamm der Navajos gehört?«

»Sie sind Apachen.«

»Und was sind die Nijoras, die dich ihren Häuptling nennen?«

»Auch Apachen.«

»Dein Mund sagt die Wahrheit. Wenn aber diese ebenso wie jene zu dem großen Volke der Apachen gehören, so sind sie Brüder. Hat ein Vater mehrere Kinder, so sollen sie sich lieben und einander beistehen in jeder Sorge, Not und Gefahr, aber sich nicht zanken oder gar bekämpfen. Da unten im Südosten wohnen die Komanchen, die Todfeinde der Apachen; ihre Krieger ziehen alljährlich aus, die Apachen zu bekämpfen; darum sollten unsre Stämme fest zusammenhalten gegen diese Diebe und Mörder. Aber sie thun dies nicht; vielmehr entzweien sie sich untereinander, reiben sich gegenseitig auf und sind dann zu schwach, wenn es gilt, den gemeinschaftlichen Feind zurückzuweisen. Wenn meine Seele daran denkt, wird mir mein Herz schwer von Sorgen wie ein Fels, der nicht von dannen zu wälzen ist. Die Nijoras und die Navajos nennen mich einen Häuptling der Apachen; sie sind auch Apachen; darum sollten ihre Ohren auf die Worte meines Mundes hören. Du hast mich und meine weißen Brüder gefangen genommen, obgleich wir euch nichts gethan haben und obwohl ich eines Stammes oder Volkes mit dir bin. Kannst du mir einen Grund angeben, den ich anerkennen muß?«

»Ja.«

»Welchen?«

»Dein Herz hängt mehr an den Navajos als an meinem Stamm.«

»Du irrst. Ich bin euer aller Bruder.«

»Aber deine Seele gehört den Bleichgesichtern, welche unsre Feinde sind.«

»Auch das ist ein Irrtum. Ich liebe alle Menschen, gleichviel ob sie eine rote oder eine bleiche Farbe haben, wenn sie das Gute thun. Und ich bin der Feind aller bösen Menschen, ohne zu fragen, ob sie Indianer oder Weiße sind. Das Beil des Krieges ist ausgegraben und nun zieht der Bruder gegen den Bruder, um sein Blut zu vergießen; das ist nicht gut, sondern bös, und darum bin ich heute nicht euer Freund. Doch dürft ihr auch nicht meinen, daß ich euer Feind sei. Ich helfe weder euch noch den Navajos, sondern ich möchte euch mahnen, den Tomahawk des Krieges wieder zu vergraben und Frieden walten zu lassen.«

»Das ist nicht möglich, Das Beil, welches die Hand des Kriegers einmal ergriffen hat, darf nicht eher zur Ruhe kommen, als bis es Blut gekostet hat, Wir hören auf keinen Mund, welcher vom Frieden redet.«

»Auch auf den meinigen nicht?«

»Nein.«

»So sehe und höre ich, daß jedes meiner Worte vergeblich sein würde; Winnetou aber pflegt nicht unnütz zu reden; ich will also schweigen. Fechtet euren Streit mit den Navajos aus; aber hütet euch, mich und meine weißen Brüder mit hineinzuziehen! Du hast uns als Feinde behandelt; das wollen wir vergessen. Nun befindest du dich in unsern Händen; dein Leben ist in unsre Gewalt gegeben. Soll man in den Zelten eurer Feinde erzählen: Old Shatterhand und Winnetou, diese beiden Männer, haben Mokaschi gefangen genommen, obgleich er dreihundert Krieger bei sich hatte? Sollst du mit deinen Kriegern an allen Lagerfeuern verlacht und verspottet werden? Willst du, daß man von dir sage: Er hat sogar die weißen Squaws und Kinder, welche sich in seiner Gewalt befanden, wieder hergeben müssen?«

Winnetou sprach diese Fragen mit sehr gutem Grunde aus. Es war für Mokaschi unbedingt eine große Schande, unter solchen Verhältnissen und trotz seiner großen Kriegerschar festgenommen worden zu sein. Er sollte seine vorherigen Gefangenen ungehindert ziehen lassen und dafür selbst freigegeben werden. Ging er nicht darauf ein, so mußte dann das Versprechen, daß seine Schande verschwiegen bleiben solle, ihn doch noch willfährig machen. Er sah jetzt finster vor sich hin und antwortete nicht. Darum fuhr Winnetou fort:

»Deine Krieger haben vernommen, daß du sofort getötet wirst, wenn sie uns angreifen. Hast du es auch gehört, als mein Bruder Shatterhand es ihnen hinüberrief?«

Mokaschi nickte.

»So weißt du also, was du zu erwarten hast. Du sollst aber dein Leben behalten und deine Freiheit zurückbekommen. Dafür verlangen wir freien Abzug von hier und alle Sachen zurück, welche uns genommen worden sind und die wir noch nicht wieder haben.«

»Die gehören nun uns!«

»Nein. Wir werden nicht eine einzige Nadel in euren Händen lassen.«

»So mag es zum Kampfe kommen!«

»Aber du wirst zuerst sterben!«

»Ich bin ein Krieger und fürchte den Tod nicht. Meine Leute werden mich rächen!«

»Du irrst. Wir befinden uns hier unter dem Schutze der Felsen und Bäume; auch haben wir nie die Zahl unsrer Feinde gezählt; ob ihr dreihundert seid oder weniger, das ist uns gleich, und deine Krieger wissen, was für Gewehre wir besitzen. Ich sage dir, daß wir ganz gewiß nicht unterliegen werden.«

»So mögen meine Leute mit mir sterben. Sie tragen ja ebenso wie ich die Schande, von welcher du vorhin gesprochen hast.«

»Wenn du klug bist und sie dir gehorchen, wird diese Schande nicht auf euch liegen bleiben. Wir versprechen dir, nicht davon zu sprechen.«

Da leuchteten die Augen Mokaschis freudig auf, und er rief:

»Das versprichst du mir?«

»Ja.«

»Und wirst Wort halten?«

»Hat Winnetou sein Wort jemals gebrochen?«

»Nein. Aber sage mir, wie ihr euch dann gegen uns verhalten werdet, wenn wir euch ziehen lassen!«

»So, wie ihr euch gegen uns verhaltet. Folgt ihr uns, um uns von neuem zu bekämpfen, so werden wir uns wehren.«

»Wohin werdet ihr euch wenden?«

»Das wissen wir noch nicht.«

»Etwa zu den Navajos?«

»Wir müssen den drei entflohenen Gefangenen folgen. Wo diese hingeritten sind, dahin reiten wir auch. Sind sie zu den Navajos, so suchen auch wir diese auf.«

»Und steht ihnen gegen uns bei?«

»Wir werden sie zum Frieden ermahnen, so wie ich es bei dir gethan habe. Ich sagte dir ja schon, daß wir nicht eure Feinde sind, aber auch nicht die ihrigen. Entscheide dich schnell! Wir müssen bald aufbrechen, sonst bekommen die drei Bleichgesichter einen zu großen Vorsprung.«

Mokaschi schloß die Augen, um alles für und wider zu überlegen; dann schlug er sie wieder auf und erklärte:

»Ihr sollt alles zurückbekommen, was euch gehört, und dann fortreiten können.«

»Ohne daß ihr uns verfolgt?«

»Wir werden nicht mehr an euch denken; dafür aber werdet ihr nicht davon reden, wie ich hier in eure Hände geraten bin!«

»Einverstanden! Ist mein Bruder Mokaschi bereit, mit uns hierüber die Pfeife des Friedens zu rauchen?«

»Ja.«

»Halt!« fiel da Old Shatterhand ein. »Mein Bruder Winnetou hat etwas Wichtiges vergessen. Er hat nicht an die acht Navajos gedacht, welche sich in den Händen der Nijoras befinden.«

»Ich habe an sie gedacht,« antwortete der Apache.

»Wir müssen auch ihre Freiheit verlangen.«

Da fuhr Mokaschi zornig auf:

»Was gehen diese euch an? Sind sie eure Gefährten? Haben wir sie in eurer Gesellschaft gefangen? Ihr sagt, daß ihr weder ihre noch unsre Feinde seid, und ich habe das geglaubt. Soll ich nun daran irre werden? Ich habe euch den Willen gethan, soweit es eure Personen und eure Sachen betrifft. Diese Navajos aber, unsre Feinde, sind euch fremd: sie gehen euch nichts an, und ihr habt sie nicht von uns zu fordern. Wenn ihr dies dennoch thut, so nehme ich mein Versprechen zurück, und der Kampf zwischen uns und euch mag beginnen, obgleich ihr mir gedroht habt, daß ich der erste sein werde, welcher sterben muß.«

Die Menschlichkeit trieb Old Shatterhand, dennoch auf seinem Verlangen zu beharren; Winnetou aber glaubte, auf eine andre Weise zu demselben Ziele kommen zu können; er gab ihm daher einen heimlichen Wink und sagte zu dem Nijora:

»Mein Bruder Mokaschi hat recht; wir dürfen diese Navajos nicht von euch verlangen, denn sie sind nicht unsre Gefährten gewesen; aber du weißt, daß ich sie ebenso wie euch als meine Brüder betrachte, und darum werde ich eine Bitte für sie aussprechen.«

»Winnetou mag reden, und ich werde hören.«

»Was beabsichtigt ihr, mit diesen Gefangenen zu thun?«

»Sie werden am Marterpfahle sterben, gerade so wie alle andern Navajos, die noch in unsre Hände fallen.«

»So bitte ich dich, sie nicht schon jetzt sterben zu lassen.«

»Wann?«

»Wenn der Kampf beendet und das Kriegsbeil wieder vergraben worden ist.«

»Das würde auch geschehen, ohne daß du es erbittest. Du bist der berühmteste Krieger der Apachen und mußt also den Gebrauch aller Stämme kennen. Kein Gefangener wird während des Kriegszuges gemartert, sondern erst dann, wenn die Sieger in ihre Dörfer heimgekehrt sind. So wird es auch bei uns geschehen.«

»Ich wußte es, Wir sind nun einig und werden die Pfeife des Friedens und der Besiegelung darüber rauchen.«

»So bindet mich los und kommt mit mir unter den Bäumen hervor und in das Freie hinaus, damit meine Krieger sehen, daß wir das Calumet rauchen. Da werden sie wissen, daß sie für mich nichts zu fürchten haben und daß der Friede zwischen uns und euch geschlossen worden ist.«

Sein Wunsch wurde sogleich erfüllt. Man löste ihm die Fesseln und dann setzten sich alle hinaus ins Freie, wo gestern die Feuer gebrannt hatten. Dort stopfte Winnetou seine Friedenspfeife, zündete sie an und ließ Mokaschi die ersten Züge aus derselben thun. Dann ging sie von Hand zu Hand weiter. Sogar die Frauen und die Kinder mußten sie wenigstens in den Mund nehmen, sonst hätte sich nach indianischen Begriffen der Vergleich nicht mit auf sie erstreckt und sie hätten überfallen oder gar getötet werden können, ohne daß man das Recht gehabt hätte, deshalb auf die Roten den Vorwurf der Treulosigkeit zu schleudern.

Als diese Zeremonie vorüber war, reichte Mokaschi allen, selbst auch den Kindern, die Hand und ging dann zu seinen Leuten hinüber, um ihnen das Übereinkommen mitzuteilen.

»Ich hätte die acht Navajos zu gern frei gehabt,« sagte Old Shatterhand. »Nun müssen wir sie in den Händen der Nijoras lassen!«

»Mein Bruder mag sich nicht um sie sorgen; es wird ihnen nichts geschehen,« versicherte Winnetou.

»Das ist nicht so sicher, wie du zu denken scheinst.«

»Es ist sicher. Die Nijoras werden gezwungen sein, auch diese Gefangenen frei zu geben.«

»Wer soll sie zwingen? Die Navajos?«

»Ja.«

»Wieso denn?«

»Wir werden sie dazu auffordern.«

»So denkst du, daß wir uns nun direkt zu den Navajos wenden werden?«

»Wir werden das thun müssen, weil der Ölprinz zu ihnen ist.«

»Hm! Es gibt allerdings Gründe, dies anzunehmen. Die drei Kerls haben keine Waffen; sie können kein Wild erlegen; Feuerzeug fehlt ihnen auch; sie werden hungern müssen und also gezwungen sein, Menschen aufzusuchen; andre Menschen als die Navajos gibt es aber da, wohin sie kommen, nicht. Freilich fragt es sich, wie sie von diesen aufgenommen werden.«

»Gut.«

»Das ist zu bezweifeln und doch auch möglich. Wenn sie sagen, daß sie Feinde der Nijoras, bei diesen gefangen gewesen, ihnen aber entflohen sind, so wird der Empfang ein leidlicher sein.«

»Mein Bruder mag berücksichtigen, daß sie auch noch andres sagen können. Sie werden von den Navajokundschaftern sprechen und vielleicht erzählen, daß Khasti-tine, der Anführer derselben, von den Nijoras ermordet worden ist. Sie werden dich und mich erwähnen und alles versuchen, um sich bei den Navajos einzuschmeicheln.«

»Und von ihnen Hilfe zu erlangen, nämlich Waffen und alles, was sie sonst noch brauchen. Denkst du, daß sie das bekommen werden?«

»Es kommt darauf an, was sie erzählen werden. Nitsas-Ini aber, der große Häuptling der Navajos, ist ein sehr kluger Mann; er wird jedes Wort, was er von ihnen hört, prüfen, ehe er es glaubt. Doch, schau hinüber zu den Nijoras! Sie besteigen ihre Pferde.«

Es war so, wie er sagte. Mokaschi hatte seinen Leuten gesagt, daß Friede geschlossen sei. Sie waren zwar nicht sehr damit einverstanden, mußten sich aber fügen, weil das Calumet darüber geraucht worden war. Aus Ärger über diesen für sie gar nicht glänzenden Abschluß des Abenteuers wollten sie am liebsten jetzt gar nichts mehr sehen; sie stiegen also auf ihre Pferde und ritten davon. Einige aber waren zurückgeblieben und brachten alle Gegenstände, welche die Weißen noch zu verlangen hatten. Es fehlten zwar einige Kleinigkeiten, doch hatten dieselben einen so geringen Wert, daß gar kein Wort darüber verloren wurde. Warum solche Nichtigkeiten erwähnen, wo es sich vorher um ganz andre Dinge, sogar um Tod und Leben gehandelt hatte!


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