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Mancher meiner geneigten Leser wird am Schlusse des vorigen Kapitels gedacht haben: »Jetzt sollte der Verfasser eigentlich schließen, denn nach schriftstellerischen Regeln ist die Erzählung nun zu Ende, da die sämtlichen Konflikte gelöst worden sind und der Gerechtigkeit Genüge geschehen ist.« Dem habe ich zu entgegnen, daß ich nicht eigentlich schriftstellere, sondern Erlebnisse niederschreibe und es unmöglich hindern kann, wenn sich das Leben und die Wirklichkeit nicht nach schriftstellerischen Regeln richten und sich selbst vom scharfsinnigsten Kritikus nicht den Gang der Ereignisse vorschreiben lassen. Es giebt ewige Gesetze, welche hoch über allen tausend Regeln der Kunst erhaben sind.
Ja, ich hätte höchst wahrscheinlich meine Erzählung mit dem Aufenthalte in Wagunda schließen können, wenn mich nicht das Schicksal einige Jahre vorher und in einem weit von Sudan entfernten Lande mit einem Manne zusammengeführt hätte, dem es wider alles Erwarten bestimmt gewesen war, mir hier im tiefen Süden wieder zu begegnen. Wer die heilige Schrift kennt, hat jedenfalls auch gelesen: »Herr, deine Wege sind wunderbar, und du führest alles herrlich hinaus!«
Ich hatte damals mit meinem wackern Diener Halef, von dem alle meine Freunde gehört haben, zu Pferde eine Reise durch das »Reich des silbernen Löwen« gemacht, von welcher ich in einem spätern Bande erzählen werde. Wir kamen, müde von den Anstrengungen des monatelangen Rittes, aber reich an Erfahrungen, mitten im Gebiete räuberischer Kurdenstämme über die persisch-türkische Grenze und machten in dem kleinen Orte Khoi einen kurzen Halt, um den müden Pferden einige Tage Ruhe zu gönnen. Zu jener Zeit lebte, wie ich bemerken muß, Rih, mein herrlicher, unvergleichlicher Rapphengst noch, der mir später unter dem Leibe erschossen wurde, indem ihn eine tödliche Kugel traf, welche eigentlich mir gegolten hatte, und wenn dieses edle und ausdauernde Tier von der Reise angegriffen war, so läßt sich leicht denken, daß dieselbe das Pferd Hadschi Halefs, obgleich es auch einen guten Stammbaum besaß, noch viel mehr mitgenommen hatte. Es war in den letzten Tagen vor Ermattung oft ins Stolpern geraten, und so sahen wir uns in anbetracht des beschwerlichen Weges, den wir noch bis jenseits des Tigris zurückzulegen hatten, gezwungen, in Khoi den erwähnten Aufenthalt zu nehmen, obgleich dieser Ort ganz und gar nichts bot, was uns sonst zum Bleiben hätte verlocken können.
Wenn wir, schon als wir die ersten Hütten erreichten, von den Bewohnern derselben angestaunt wurden, so lief, als wir vor dem elenden Khan hielten, gar eine ganze Menge von Menschen zusammen, um uns ihre Bewunderung zu zollen. Freilich konnten wir nicht so unbescheiden sein, diese Bewunderung auf uns selbst zu beziehen; sie galt vielmehr meinem Hengste, dem man es trotz seines herabgekommenen Zustandes gleich beim ersten Blick ansehen mußte, daß er jenen unschätzbaren Wert besaß, infolgedessen so ein Pferd niemals verkäuflich ist. Er trug eines jener kostbaren Geschirre, welche Reschma genannt werden, und zog auch aus diesem Grunde aller Augen auf sich. Ich hatte es von einem hochgestellten Perser, dem einen Dienst zu erweisen mir gelungen war, als Geschenk erhalten, und da er mir in wahrhaft edler Freigebigkeit sein bestes Reschma ausgesucht hatte, welches nach kurdischem Begriffe ein Vermögen repräsentierte, so war es kein Wunder, daß alles und alle, Männer, Weiber und Kinder, aus den nahegelegenen Häusern gelaufen kamen, um Pferd und Ausstattung in Augenschein zu nehmen.
Der Khan war ein roher, mit Lehm verschmierter Steinbau ohne Oberstock und mit so kleinen Fenstern, daß das Licht des Tages kaum Zutritt in das Innere finden konnte. Wenn ich mich sträflicherweise der Bezeichnung Fenster bediene, so darf man ja nicht etwa an Glasscheiben denken, sondern nur an einfache Maueröffnungen, durch weiche der Wind blasen konnte, wie es ihm beliebte, und die zugleich dem löblichen Zwecke dienten, dem Rauche Abzug zu gewähren, denn Schornsteine gab es nicht. Auch das Thor, welches in den Hof führte, war nur ein breites Mauerloch ohne Thürflügel, und in diesem Hofe sah es aus, als ob dort seit langen Jahren die Exkremente des ganzen wilden und zahmen kurdischen Tierreiches zusammengetragen und von den hohen Herren und lieblichen Herrinnen der Schöpfung breitgetreten worden seien.
Dem entsprechend war das Aussehen des Wirtes, welcher unter der Thür erschien, um uns nach orientalischer Weise unter tiefen Verbeugungen und blumenreichen Redensarten zu begrüßen. Dabei wendete er sich nicht an Hadschi Halef Omar, sondern an mich, der als Besitzer des besseren Pferdes der Herr sein mußte:
»Willkommen, o Herr, in meinem Hause, welches dir seine zwölf gastlichen Thore mit Wonne öffnet! Allah breite tausend Segen über dich und zehntausend Segen als Teppich unter deine Füße! Nie sah ich im Leben einen edlern und vornehmern Gast. Wünsche alles, was dein Herz begehrt, und ich werde es dir augenblicklich bringen. Mein Gesicht strahlt vor Freude über deine Ankunft wie die Sonne des Paradieses; meine Gestalt trieft von der Bereitwilligkeit, dir zu dienen; meine Hände zittern vor Begier, deine Befehle zu erfüllen, und meine Füße werden eilen wie die Flügel des Falken, alle deine Botschaften im Nu zu bestellen. Die Seele, welche meinen Körper bewohnt, soll – – – –«
»Laß sie; sie mag drin stecken bleiben!« unterbrach ich ihn. »Ich bin nicht Freund von vielen Worten. Hast du gute Wohnung für uns beide?«
»Az kolahme tah – ich bin dein Diener. Ihr werdet bei mir wohnen, als wäret ihr die Lieblingsfrauen des Propheten.«
»Und das Essen?«
»Bu kalmehta ta ßiu taksihr nakehm – um dir zu dienen, werde ich nichts sparen. Ich bin bereit, alle meine Herden für euch zu schlachten!«
»Laß sie leben, laß sie leben! Wir kommen nicht hierher, um Herden zu verschlingen. Die Hauptsache ist, daß unsere Pferde ein gutes Unterkommen finden.«
»Oh, Chodih, sie werden Plätze finden, welche mit den Palästen Mekkas zu vergleichen sind!«
»Gut! Zeige uns diese Paläste!«
»So komm und setze deine Schritte in die Stapfen meiner frohbewegten Füße! Du wirst zufrieden sein mit mir, der ich der zuverlässigste aller deiner Diener bin!«
Wir stiegen von den Pferden und dieser »zuverlässigste aller meiner Diener« setzte sich nach dem Hofthore zu in Bewegung. Seinen struppigen Kopf schmückte ein Tuch, welches eigentlich kein Tuch mehr war, sondern ein wirres Gefitz von zerrissenen Fäden. Und eine Hose wie seine Hose war keine Hose! Das unerklärliche Ding, welches ganz betrügerischerweise diesen Namen führte, war ein ausgefranster Lappen, welcher sich die ganz vergebliche Mühe gab, bis zum Knie herunterzureichen, und was die Unterschenkel betraf, so hatte es den Anschein, als ob sie von dunkeln Trikotstrümpfen bedeckt seien; bei näherer Betrachtung aber zeigte es sich, daß dieser Trikotstoff der landwirtschaftlichen Goldgrube des schon erwähnten Hofes entstammte. Auch eine Jacke hatte dieser edle Kurde an, von welcher rechts der dritte und links der vierte Teil eines Ärmels vorhanden war; hinten war sie zu, wirklich zu, außer den Löchern, die es gab; vorn war sie offen, wirklich offen, denn sie war hier, wenn ich die Wahrheit sagen soll, gar nicht mehr da. Ich erblickte an ihrer Stelle eine Brustbedeckung, welche sehr wahrscheinlich das vorstellen sollte, was der Türke als Gömlek und der Araber als Kamis zu bezeichnen pflegt, doch war es mir unmöglich, das, was ich sah, zu klassifizieren, weil es eine zu große Ähnlichkeit mit der Bedeckung der Unterschenkel hatte.
War mir gleich, als der Mann erschien, sein irrer Blick aufgefallen, so ging er jetzt mit so wankenden, ja taumelnden Schritten vor uns her, daß ich annahm, es wohne nicht nur die Seele in ihm, die er vorhin nicht herauslassen durfte, sondern auch noch jener »selig« machende Geist, welcher sein Dasein der Gärung verdankt, um schoppen- oder gläserweise »hinter den Binden« seiner Anhänger zu verschwinden.
Unsere Pferde führend, folgten wir ihm in den Hof. Natürlich gab es sonst nirgends als grad beim Eingange in denselben eine Vertiefung, in welcher sich die flüssigeren Teile des schon erwähnten Goldes angesammelt hatten. Der Wirt kannte selbstverständlich als Besitzer und Inhaber des allgegenwärtigen Kompostes diese gefährliche Stelle und versuchte, mit Hilfe einer Schwenkung um sie herumzukommen; aber die Centripedalkraft dieses Punktes war so viel größer als die Stärke der beabsichtigten Centrifuge, daß sie den Hotelbesitzer von Khoi unwiderstehlich an sich zog; er fiel der Mutter Erde in die weichen Arme. Ich streckte die Hand aus, um ihn herauszuziehen; er aber schien die nötige Übung zu besitzen, sich in diesem speziellen Falle selbst zu helfen, denn er wies mich zurück und krabbelte langsam heraus, indem er mir zulachte:
»Taklif, b'ela k'nahrek, be'in ma, batal – mache dir keine Umstände; unter uns sind sie unnötig!«
Er hatte sehr recht, denn als er wieder auf den Beinen stand, sah er keineswegs schmutziger aus als vorher.
»Sihdi,« sagte Halef in moghrebinischem Arabisch, welches der Wirt jedenfalls nicht verstand, zu mir, »dieser Kerl ist ein Abu kull'Chanazir, ein Vater aller Schweine, bei dem wir unmöglich bleiben können. Wollen wir uns nicht eine andere Wohnung suchen?«
»Sein Khan ist der einzige hier im Orte, lieber Halef.«
»So laßt uns lieber im Freien bleiben!«
»Das geht nicht. Wir befinden uns im jetzigen Gebiete der Kelhurkurden, welche die berüchtigtsten Pferdediebe sind. Denke an meinen kostbaren Rih! Anstatt uns auszuruhen, könnten wir keinen Augenblick schlafen.«
»Das ist leider richtig; wir müssen ein Obdach haben, welches verschlossen werden oder wo sich wenigstens kein solcher Räuber einschleichen kann, denn außer den Pferden wäre auch unser Leben in der größten Gefahr. Eine reinliche Stelle werden wir freilich hier nicht finden können; suchen wir uns also eine aus, wo es am wenigsten schmutzig ist und wo uns dieser Gidd el Wasach nicht so oft vor die Nase kommt! Ich habe schon viele Menschen gesehen, deren Anblick mich mit Ekel erfüllte, aber so einen Liebling des Düngers doch noch nicht!«
Der betrunkene »Liebling« taumelte über den Hof hinüber, wo es wieder eine Maueröffnung gab, an welcher er, sich an der Wand festhaltend, stehen blieb. Sich nach uns umwendend, sagte er:
»Hier, Chodih, ist der Ort, wo eure Pferde sich wie an den Pforten des Paradieses fühlen werden. Führt sie hinein und sagt mir, welches Futter ich für sie holen soll!«
Ich warf einen Blick in den Raum, der so finster war, daß mein Auge sich erst an die Dunkelheit gewöhnen mußte; dann aber sah ich in diesen »Palästen von Mekka« eine solche Fülle Unrates aller Arten, daß ich, ohne, wie man sich auszudrücken pflegt, der Sache einen Mantel umzuhängen, antwortete:
»Bist du bei Sinnen? Hier ist der Schmutz so tief, daß die Pferde drin versinken würden!«
Er starrte mich eine Weile ganz verständnislos an und rief dann aus:
»Schmutz? Schmutz bei mir? So etwas hat mir noch kein Mensch gesagt! Das ist eine Beleidigung, wegen der ich dich eigentlich zum Müssajefet fordern müßte!«
Diese Drohung kam mir so urkomisch vor, daß ich darüber in ein herzliches Gelächter ausbrach; Halef aber wurde, ganz entgegengesetzt von mir, durch sie so in Zorn versetzt, daß er den Mann anfuhr:
»Wie? Du wagst es, von einem Müssajefet zu sprechen? Weißt du, wer der hohe Herr ist, dem dies zu sagen du unternommen hast?«
»Nein,« antwortete der harmlose Wirt.
»Es ist der berühmte Emir Hadschi Kara Ben Nemsi aus Germanistan!«
»Den kenne ich nicht. Und wer bist denn du?«
»Ich bin der ebenso berühmte Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Wir brauchen nur einen Finger gegen dich zu erheben, so wirft dich der Schreck sofort über den Haufen!«
»Oho! Ich gehöre nicht zum verachteten Stande der Guranen, sondern zu den Assireten, die mit den Waffen umzugehen wissen. Es ist kein Schreck so groß, daß er mich umwerfen könnte!«
»Du wankst ja aber schon!«
»Das ist nicht der Schreck, sondern – – sondern – –«
»Sondern der Raki,« fiel Halef ein.
»Raki? Ich habe heut noch keinen Schluck getrunken. Du willst mir doch hoffentlich nicht die Schande anthun, mich für einen Sekran zu halten!«
»Ja, grad das thue ich!«
»Du irrst!«
»Beweise es! Ein gläubiger Anhänger des Propheten darf niemals trunken sein, und wenn er es dennoch ist, so hat jeder gute Moslem die heilige Pflicht, ihm die Sure 'l Imtihan vorzuhalten. Kannst du sie auswendig?«
»Nein.«
»So werde ich sie dir schnell vorsagen und du sprichst sie ebenso schnell nach! Also, paß auf!«
Diese Sure ist die hundertundneunte des Kuran; sie lautet: »Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehrt und ihr verehret nicht das, was ich verehre, und werde auch nie verehren das, was ihr verehret und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.« In der deutschen Übersetzung klingt das einfach; im Arabischen aber ist es selbst für einen Nüchternen schwierig, die Sure schnell und ohne Fehler herzusagen; ein Betrunkener gar bringt es niemals fertig. Darum pflegt man dem, den man eines Rausches zeiht, diese Sure vorzuhalten. Geht er nicht darauf ein, so gibt er dadurch zu, daß er betrunken ist, was für eine solche Schande gilt, daß niemand sich weigern wird, die Worte zu recitieren. Auch der Wirt weigerte sich nicht; er gab sich vielmehr die größte Mühe, sie Halef nachzusprechen, mußte aber immer wieder von vorn anfangen, ohne das Ende zu erreichen.
»Giebst du nun zu, daß du betrunken bist?« fragte mein kleiner Hadschi zornig. »Du wirst in der Dschehenna dafür büßen müssen!«
»Ich? Fällt mir nicht ein! Ich bin nur ein wenig heiter; aber wenn ihr hinein in die Stube geht, so werdet ihr einen sehen, der weder stehen noch sitzen und auch die Augen nicht mehr offen halten kann.«
»So ist dein Haus eine Maghare er Redila, eine Höhle des Lasters, welche Allah verfluchen möge, und in deiner Stube liegt der Schmutz der Seele ebenso hoch, wie hier der Unrat des Gestankes liegt. Hast du keinen andern, bessern Ort für unsere Pferde?«
»Einen noch besseren? Wünschest du vielleicht den siebenten Himmel Muhammeds für eure Tiere? Ist dieser Stall nicht köstlich zu nennen gegen den, in welchem ich meine eigenen Pferde habe? Hier herein lasse ich nur die Pferde vornehmer Gäste, welche bei mir einkehren.«
»So weiß ich wirklich nicht, was wir thun sollen! Sihdi, weißt du es etwa?«
»Es wird uns wohl nichts übrig bleiben, als diesen Stall reinigen zu lassen,« antwortete ich. »Zunächst aber wollen wir einmal sehen, was wir selbst hier zu erwarten haben. Hast du vielleicht einen Extraraum für vornehme Gäste?«
»Nein,« antwortete der Wirt, an den ich diese Frage gerichtet hatte. »Vor Allah sind alle Menschen gleich; darum setzen sich auch die Vornehmen dorthin, wo die Niedrigen sitzen.«
»Das ist drin in der Stube, wo sich der Betrunkene befindet?«
»Ja.«
»Die wollen wir uns doch einmal ansehen!«
Wir banden die Pferde für kurze Zeit im Hofe an und ließen uns von ihm in die Gaststube führen. Diese war lang und breit, aber sehr niedrig. Sie nahm den größten Teil des Hauses von der Thür bis zur Giebelseite ein. Die Diele bestand aus festgeschlagenem Lehm; es gab einige sehr primitiv in den Boden gerammte Tische und Bänke und an der Hinterwand lehnten mehrere über mannshohe Weidengeflechte, deren Länge der Breite der Stube gleich war. Diese Flechtwerke werden in Kurdistan viel als transportable Wände gebraucht, um je nach Bedarf aus einem größeren Raum mehrere kleinere oder umgekehrt zu machen.
Es war nur ein einziger Gast zu sehen, welcher an einem der Tische in der Weise hockte, daß er das Gesicht auf die Arme gelegt hatte. Vor ihm stand eine thönerne Flasche mit zwei kleinen, ebenso thönernen Trinkgefäßen, aus denen jedenfalls der Raki getrunken worden war, welcher den Wirt zum Rausche und zur hundertundneunten Sure geführt hatte. Seiner Ansicht nach sollte der Gast noch betrunkener sein als er. Ich richtete also gleich beim Eintritte mein Auge auf diesen Mann. Er hob den Kopf ein wenig und sah uns an; sein scharfer, forschender Blick war nicht der eines Betrunkenen; so kam es mir vor, obgleich er den Kopf gleich wieder auf die Arme legte. Hatte ich mich getäuscht? Befand sich der Wirt im Irrtum? Oder verstellte sich dieser Mann? Wenn dies letztere der Fall war, so mußte dem eine Absicht zu Grunde liegen, welche keine gute sein konnte. Wenn man mich fragt, wie ich zu diesem Verdachte kommen konnte, so antworte ich. Wenn man sich auf jahrelangen Reisen so oft in Gefahr befunden hat wie ich, so gewöhnt man sich, den geringsten Umstand zu beachten, das kleinste Vorkommnis schnell zu erfassen und alles, was sich nicht sofort erklären läßt, mit Mißtrauen zu betrachten. Dieser Gewohnheit habe ich es mit zu verdanken, daß ich zwar die Narben vieler Wunden an mir trage, aber doch noch am Leben bin.
Gekleidet war dieser Mann in echt kurdischer Weise-. Seinen Kopf bedeckte eine eigentümliche runde Ledermütze, deren Rand so viel und tiefwinkelig eingeschnitten war, daß die dadurch entstandenen Spitzen vorn bis ins Gesicht, an den Seiten über die Ohren und hinten bis über den Nacken herabhingen. Sie glich einer großen Spinne, deren Körper auf dem Scheitel sitzt, während sie ihre vielen und langen Beine über die andern Teile des Kopfes streckt. Den Oberkörper bedeckte eine dunkle Weste, welche oben so ausgeschnitten war, daß der sehnige, braune Hals frei blieb; sie hatte oben enge und unten weit werdende Ärmel, aus denen die nackten, knochigen Arme bis zum Ellbogen hervorblickten. Die Lederhose steckte unten in kurzen, stark gearbeiteten Stiefeln. Was der Mann im Gürtel hatte, das konnte ich wegen seiner vornüberliegenden Stellung nicht sehen, doch lehnte neben ihm eine lange, orientalische Flinte an der Kante des Tisches. Sein Haar war weiß; er mochte ungefähr sechzig Jahre alt sein, doch machte er, obgleich ich ihn daraufhin nicht genau betrachten konnte, ganz und gar nicht den Eindruck eines alten, hinfälligen Mannes.
Mein Halef bekümmerte sich nicht um diesen Gast; er ließ seine Blicke in der Stube umherschweifen, nickte zufrieden, als er am Herde ein Feuer brennen sah, dessen Rauch, der niedrigen Decke langsam folgend, dann durch die Fensteröffnungen entwich, und sagte.
»Weißt du, Effendi, mit Hilfe der Weidenwände dort könnten wir uns hier eine abgesonderte Stube herrichten. Was meinst du dazu?«
»Der Gedanke ist nicht übel.«
»Und ein zweiter Gedanke, den ich habe, ist noch weniger übel, Effendi: Wir könnten auch die Pferde mit hereinnehmen. Da ständen sie gut, wir hätten sie bei uns und brauchten nicht aufzupassen.«
Als der Wirt dies hörte, sagte er schnell:
»Die Pferde mit herein in die Stube? Allah muß euch ganz besondere Köpfe gegeben haben, da so absonderliche Gedanken drin geboren werden. Wie könnt ihr denken, daß ich den schönsten Raum des Hauses, der eine Zierde des ganzen Ortes ist, zum Pferdestalle machen lasse?«
»Wir bezahlen es!« antwortete Halef.
»Bezahlen? Ich mag euer Geld nicht. Ich habe mehr, viel mehr Geld im Hause, als ihr besitzen könnt.«
»So bist du wohl ein sehr reicher Mann?«
»Das nicht, denn das Geld gehört nicht mir, sondern der Regierung des Pascha, für den ich es als der angestellte Charadschi dieses Kreises einkassiert habe. Es sind über zehntausend Piaster. Habt ihr etwa so viel in euern Taschen?«
»Dummkopf!« antwortete Halef, der gern mehr von sich sagte, als ich ihm erlauben konnte. »Wir sind reicher als selbst dein Pascha, und was wir besitzen, ist unser Eigentum; dir aber gehört nichts von dem, was du hier liegen hast. Wieviel verlangst du von uns, wenn wir uns hier eine eigene Stube bauen?«
»Wie lange wollt ihr bleiben?«
»Vier Tage.«
»So zahlt ihr für die Stube täglich zehn Piaster und für das Essen – –«
»Das bereiten wir uns selbst,« fiel ihm der Hadschi in die Rede. »Wenn du einwilligst, daß wir die Pferde mit hereinnehmen, zahlen wir dir zwanzig Piaster für den Tag. Greif schnell zu, denn so viel hat dir noch nie ein Gast eingebracht!«
Der noch immer betrunkene Mann willigte nach einigem Hin- und Herreden ein und teilte mittelst einer Scheidewand den hinteren Teil der Stube für uns ab, worauf Halef die Pferde holte und bei uns unterbrachte. Hierauf erhandelten wir uns für zwei Piaster ein Huhn, mit welchem Halef, nachdem er es geschlachtet hatte, zum Herde ging, um es dort am Spieß zu braten, denn aus den Händen des Wirtes etwas zu essen, das war uns die reine Unmöglichkeit.
Ich breitete inzwischen hinter der Flechtwand meine Decke aus, um es mir darauf bequem zu machen. Durch die Lücken dieser Wand konnte ich die Leute beobachten, welche in die Stube kamen, um die Gäste zu sehen, die so vornehm waren, daß sie ihre Pferde nicht im Schmutze stehen lassen wollten. Sie wendeten sich an den Hadschi mit neugierigen Fragen, welche dieser in seiner drollig stolzen und vielfach übertreibenden Weise beantwortete. Als dabei mein Name genannt wurde, richtete sich der angeblich betrunkene Gast plötzlich auf und erkundigte sich:
»Ist das der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, welcher damals den Stamm der Haddedihn von allen seinen Feinden befreite?«
»Ja,« antwortete Halef; »er ist dieser berühmte Krieger, den noch nie ein Feind zu besiegen vermochte und der sogar den Löwen ganz allein und nur des Nachts aufsucht, um ihn mitten in das Auge zu treffen.«
»Also derselbe, welcher dafür von Mohammed Emin, dem Scheik der Haddedihn, den unübertrefflichen Rapphengst Namens Rih geschenkt bekam?«
»Ja.«
»Ist es dieser Hengst, den du dort hinter diese Wand gebracht hast?«
»Er ist's. Warum fragst du nach ihm?«
»Weil ich so viel von diesem Pferde und seinem jetzigen Herrn gehört habe, aus keinem andern Grunde.«
Nach diesen Worten legte er sich wieder vorn nieder und verblieb längere Zeit in dieser Stellung, bis er dann einmal aufstand und unsicher wie ein Betrunkener zur Thür hinauswankte. Kaum zehn Minuten später kam eine Frau, welche, wie ich gleich merkte, die Wirtin war, eiligst herein und fragte ihren Mann:
»Soeben ist der Fremde fortgeritten. Hat er dich gefragt?«
»Gefragt? Wornach?« antwortete der Wirt. »Fortgeritten? Er hat doch kein Pferd! Und fort soll er sein? Sein Gewehr lehnt ja noch hier!«
»Er saß auf einem unserer Pferde.«
»So wird ihm etwas Notwendiges eingefallen sein, was er zu verrichten hat. Er wird sich nicht weit entfernt haben und bald wiederkommen, denn er will ja einige Wochen hier bei uns in Khoi wohnen.«
Damit war für ihn die Sache abgemacht; mir aber kam sie, obgleich sie mich gar nichts anging, doch befremdlich vor. Als der Fremde seine Fragen an Halef richtete, hatte er so klar, fest und bestimmt wie kein Betrunkener gesprochen, und als er sich dann entfernte, war es mir vorgekommen, als ob sein schwankender Gang kein natürlicher, sondern ein nachgeahmter sei. Aber ich hatte ja gar nichts mit dieser Angelegenheit zu thun, und so konnte es mir vollständig gleichgültig sein, ob ein Gast, der sich vom Wirte für kurze Zeit ein Pferd auslieh, diesen vorher besonders darum fragte oder nicht. Übrigens kam bald darauf Halef mit dem gebratenen Huhn zu mir, und während wir aßen und dann die Pferde fütterten und tränkten, geriet das Intermezzo vollends in Vergessenheit.
Gegen Abend machten wir einen Spaziergang vor den Ort hinaus, weil dieser nichts Sehenswertes an sich bot; als wir bei einbrechender Dunkelheit zurückkehrten, saß der Wirt mit einigen Nachbarn schon wieder beim Raki und war betrunkener als vorher; er schien anzunehmen, daß Muhammed nur den Wein und nicht auch den noch viel schlimmern Schnaps verboten habe, und die andern waren ihm ganz gleichgesinnt. Ich habe unzählige Male, nicht an mir selbst, sondern an andern erfahren, was für ein böser Dämon der Branntwein ist; es können Jahre vergehen, ehe ich mir die Lippen einmal mit einigen Tropfen Cognac oder Rum netze und dies auch nur dann, wenn ich dieses Zeug aus Gesundheitsgründen als Arznei nehme; hier aber saßen Gewohnheitstrinker beisammen, welche stumm und stupid darauf lostranken, bis der Krug leer war; dann gingen die andern heim und der Wirt torkelte, denn anders konnte man es nicht mehr nennen, zur Thür hinaus, wohin, das sollte ich bald darauf erfahren, denn nur einige Minuten später hörten wir ihn draußen im Hofe schreien, als ob er am Spieße stäke. Wir eilten hinaus, um zu erfahren, was mit ihm geschehen sei. Da stand er mit gerungenen Händen und schrie wütend auf seine Frau und andere Personen ein, welche durch seinen Lärm herbeigerufen worden waren. Der noch vor wenigen Augenblicken so schwere Rausch war plötzlich und vollständig von ihm gewichen, und zwar hatte ihn der Schreck so nüchtern gemacht; ich hörte nämlich, daß die zehntausend Piaster verschwunden seien und er klagte nun die Anwesenden der Reihe nach an, sie ihm gestohlen zu haben. Als sie alle ihre Unschuld beteuerten, rannte er nach dem Stalle, holte eine Peitsche und schlug mit derselben auf Frau und Gesinde ein. Ich riß sie ihm aus der Hand und sagte:
»Wie kannst du dein eigenes Weib und diese Leute für etwas züchtigen, was sie gar nicht gethan haben!«
»Nicht?« antwortete er. »Wie kannst du das behaupten? Eins von ihnen ist's gewesen!«
»Wenn du den Schuldigen treffen willst, so prügele dich nur selbst.«
»Wie? Mich selbst! Bist du bei Sinnen?«
»Ich bin bei Sinnen; du aber bist es nicht. Du selbst hast dich bestohlen, aber nicht mit deinen eigenen Händen, sondern durch fremde!«
»Du redest, was man nicht verstehen kann. Ich werde mich doch nicht selbst bestehlen!«
»Und doch hast du es gethan, indem du den Dieb, wie ich vermute, geradezu veranlaßt hast, das Geld zu nehmen. Hattest du es versteckt?«
»Ja.«
»Kannte deine Frau den Ort?«
»Nein.«
»War er diesen Leuten hier bekannt?«
»Auch nicht.«
»Du bist ein höchst unvorsichtiger Mensch, den der Raki plauderhaft macht!«
»Ich habe nicht geplaudert!«
»So? Hast du nicht uns beiden, die wir dir vollständig fremde Menschen sind, erzählt, daß du über zehntausend Piaster im Hause habest?«
»Aber wo das Geld lag, das habe ich euch nicht verraten!«
»Uns nicht, aber sehr wahrscheinlich einem andern. Kennst du den Fremden, der auf deinem Pferde fortgeritten ist?«
»Ich hatte ihn, bevor er kam, noch nie gesehen; aber jetzt weiß ich, daß er ein reicher Mann aus Serdascht ist, der einige Wochen hier bleibt, um Galläpfel für seine Kunden in fernen Ländern einzukaufen.«
»Wirklich? Ein Bewohner von Serdascht kommt von dort herüber, um Galläpfel zu erstehen? Deine Leichtgläubigkeit und Unkenntnis ist grenzenlos. Dazu frage ich dich, ob jetzt die Zeit zu solchen Einkäufen ist?«
Er fühlte, daß ich recht hatte und schwieg.
»Ist er mit dem Pferde zurückgekehrt?« erkundigte ich mich weiter.
»Nein.« »Und mit dem Gelde natürlich auch nicht!«
Da riß ihn der Schreck stramm empor und er rief:
»Der – der – – der – –! Hältst du ihn für den Dieb?«
»Ja.«
»Warum?«
»Er stellte sich betrunken, war es aber nicht. Weißt du noch, was du im Rausche alles mit ihm gesprochen hast?«
»Nicht alles.«
»Hast du ihm von dem Gelde gesagt?«
»Ja, denn er war ein sehr erfahrener Mann und sagte mir, wie er das seinige zu verstecken pflegt.«
»Und da hast du es ihm nachgemacht?«
»Ja.«
»So hat er also gewußt, wo es verborgen war?«
»Ganz genau nicht, denn es waren mehrere Orte, die er mir riet.«
»So hat er an diesen Orten gesucht, bis er den richtigen fand und sich auf dein Pferd gesetzt, um schnell fort- und niemals wiederzukommen.«
»Aber, Effendi, er hat ja sein Gewehr noch hier!«
»Ia Heiwana – o du Einfalt! Das mußte er ja liegen lassen, denn hätte er es mit aus der Stube genommen, so würde dadurch seine Absicht, durchzubrennen, verraten worden sein. Und wenn jemand zehntausend Piaster und dazu ein Pferd stiehlt, kommt dabei der Wert dieses alten Schießeisens gar nicht in Betracht.«
Die Betrunkenheit des Wirtes war, wie bereits gesagt, von ihm gewichen; aber er schien auch in nüchternem Zustande nicht mit hervorragenden Geisteskräften experimentieren zu können, denn die Wahrheit meiner Ansichten wollte ihm selbst jetzt noch nicht einleuchten. Er sah mich eine ganze Weile wortlos an und wendete sich dann ab, um das bißchen Denkvermögen, welches ihm noch geblieben war, weiter anzustrengen. Hierauf schien ihm eine plötzliche Eingebung gekommen zu sein, denn er drehte sich wieder zu mir um und sagte:
»Effendi, da fällt mir etwas ein, etwas sehr Wichtiges sogar! Über dem Loche, welches der Dieb machen mußte, um zu dem Gelde zu kommen, lag ein Messer. Was sagst du dazu?«
»Du hast es natürlich an dich genommen?«
»Nein; ich habe es liegen lassen.«
»Mensch, dir scheint ja alles zu fehlen, was zum Nachdenken gehört. Mit diesem Messer ist das Loch gegraben worden, und derjenige, dem es gehört, muß, wenn es ihm nicht darum zu thun war, dadurch den Verdacht von sich abzulenken, unbedingt der Dieb sein. Laß uns schnell hingehen, um es anzusehen!«
»Nein, nein! Es braucht kein Mensch zu wissen, wo ich mein Versteck habe. Ich hole es allein.«
Er rannte fort, ohne sich zu sagen, daß nun, da das Geld gestohlen worden war, der Ort, an welchem es gelegen hatte, nicht mehr verheimlicht zu werden brauchte. Als er wieder kam, gingen wir in die Stube, weil es da heller als im dunkeln Hofe war. Kaum hatte er einen Blick auf das Messer geworfen, so rief er aus:
»Effendi, du hast recht gehabt, sehr recht, denn dieses Messer gehört ihm; ich weiß das ganz genau; ich habe es, als er damit aß, wiederholt genau betrachtet und es mir sogar von ihm zeigen lassen, weil der Griff von uralter persischer Arbeit ist. Sere men – bei meinem Haupte, er ist der Dieb! O Allah, O Prophet aller Propheten! Ich bin zu Grunde gerichtet! Wäre jemand von meinen Leuten der Dieb, so müßte er mir das Geld wieder geben; nun aber dieser Halunke es gestohlen hat, werde ich es niemals wiederbekommen, und es ist doch nicht mein. Ich habe es abzuliefern; ich muß es ersetzen und werde dadurch ein armer Mann! Was soll ich thun? Was rätst du mir?«
»Hm! Man hat doch gesehen, nach welcher Richtung er geritten ist. Wenn es Tag wäre, könnte man seine Spuren sehen und ihn verfolgen; ich würde ihn auf meinem Pferde einholen, obgleich er bis jetzt einen ganz bedeutenden Vorsprung gewonnen hat.«
»Thue das, Effendi, thue das!«
»Ich würde es wohl thun, wenn es nicht wegen der jetzigen Dunkelheit unmöglich wäre. Wir müssen also warten, bis es am Morgen wieder hell wird; bis dahin haben wir auch Zeit, die Sache weiter zu besprechen und zu überlegen.«
»Überlegen? Welch ein Gedanke von dir! Bis dahin ist der Kerl ja noch viel weiter entflohen als jetzt! Nein, nein! Ich habe keine Zeit; ich lasse ihm keine Zeit! Ich muß mein Geld wiederhaben, mein Geld, mein Geld! Ich weiß, was ich zu machen habe; es ist das allerbeste, was ich thun kann: Ich eile sofort zum Nezanum und mache Anzeige. Der ist ein kluger und erfahrener Mann, viel pfiffiger, klüger und erfahrener als wir beide, nämlich du und ich, zusammen sind und wird sofort wissen, wie ich sicher wieder zu meinem Eigentum komme. Paß auf, ich werde es in der kürzesten Zeit wieder haben!«
Er rannte fort. Halef ließ ein lustiges Lachen hören und sagte zu mir:
»Sihdi, da hast du gehört, wie dieser Wirt über sich und auch über deine Geistesgaben denkt. Solltest du jemals auf den Gedanken kommen, dich als Nezanum von Khoi zu melden, so weißt du, was für einen dummen Kerl der jetzige zum Nachfolger bekäme. Danke Allah für diese Aufrichtigkeit und wandle mit fügsamer Bescheidenheit deinem zukünftigen Amte entgegen!«
Ich bemitleidete natürlich den Wirt und hätte gern etwas für ihn gethan, obgleich sein Vertrauen zu mir kein allzu übermäßiges genannt werden konnte; unter den gegebenen Verhältnissen aber konnten wir nichts thun, als uns in unsere Abteilung zurückzuziehen und seine Rückkehr abzuwarten. Es verging fast eine Stunde, da hörten wir draußen Pferde schnauben. Halef ging hinaus und berichtete mir dann:
»Sihdi, man denkt gar nicht daran, die Vorzüge unseres Geistes mit zu Hilfe zu nehmen. Soeben ist der ›pfiffige‹ Nezanum mit dem Wirte und einigen andern Männern fortgeritten und zwar nach Westen zu, weil man den Dieb nach dieser Richtung hat reiten sehen. Ich wünsche ihnen eine glückliche Reise. Du hast mir wiederholt gesagt, daß die Erde die Gestalt einer Kugel habe. Wenn du gern erfahren willst, ob der Kerl von ihnen erwischt wird, so bin ich gern bereit, mit dir hierzubleiben und zu warten, bis sie aus Osten wiederkommen.«
In diesen ironischen Worten war das ganze Urteil des kleinen Hadschi Halef enthalten, welcher, was Mutterwitz und Scharfsinn betraf, es jedenfalls mit sämtlichen Unterthanen des Nezanum aufnehmen konnte. Da wir glaubten, heute nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, machten wir unsere Lagerstätten bereit und gaben unsern Pferden das Zeichen, sich auch niederzulegen, was sie in langgewohntem Gehorsam auch gleich thaten. Aber wir sollten doch noch nicht zur Ruhe kommen, denn wir hatten die Augen noch nicht geschlossen, so stellte sich ein neuer Gast ein, welcher draußen im Hofe nach dem Wirte rief und, weil er nicht sofort Antwort erhielt, herein in die Stube kam. Er trat mit lauten Vorwürfen, daß man seiner nicht achte, wie es seinem Range zukomme, ein, unterbrach aber den Fluß seiner Strafrede, als er beim Schein des noch brennenden Feuers niemand in der vordern Abteilung bemerkte. Da kam er zu uns herein und fragte, als er auch hier nichts sah, weil es bei uns dunkler war:
»Ist jemand hier in diesem Loche?«
»Ja,« antwortete Halef.
»So macht euch doch auf, ihr Taugenichtse! Ich habe weder Lust noch Zeit, zu warten, bis es euch gefällt, mich zu bedienen!«
Ich kannte meinen Halef zu genau, um nicht zu wissen, was nun folgen würde. Er besaß ein höchst reges Ehrgefühl und ließ sich niemals ungestraft grob behandeln. Er schwieg zunächst.
»Nun, wird es bald?« fuhr der Fremde fort. »Wenn ihr nicht augenblicklich kommt, treibe ich euch mit der Peitsche in die Höhe!«
Halef schwieg noch immer und auch mir fiel es nicht ein, ein Wort zu sagen. Da kam der Fremde einige Schritte näher, und ich hörte, daß er mit der Peitsche um sich schlug. Aus einem Geräusche neben mir entnahm ich, daß Halef aufsprang. Er war so klein, daß er mir kaum bis an die Schultern reichte; aber er besaß mehr Körperkraft, als man ihm zutraute und war dabei von einem Mute und einer Tapferkeit, daß ich ihn oft verwegen hatte nennen müssen. Gegen Feinde im Kampfe wußte er sich seiner guten Waffen vortrefflich zu bedienen; für Beleidiger aber gebrauchte er lieber seine Peitsche aus Nilpferdhaut, die er sich von unserm Ritte durch Ägypten mitgebracht hatte und seitdem fast stets im Gürtel trug. Kurz und gut, kaum hatte ich das Geräusch der Peitsche des Fremden gehört und gleich darauf bemerkt, daß Halef aufsprang, so fielen klatschende Hiebe, von wem, wußte ich nicht gleich, und zwar so schnell hintereinander, daß ich sie nicht zählen konnte, und die Stimme des Fremden ertönte in zeterndem Tone:
»Allah'l Allah! Wer wagt es da, auf mich zu schlagen! Wer ist es, der – – el wail lak, meded, aman, meded Allah, ej wah, o jazyk – wehe dir, oh, zu Hilfe, wehe dir, wehe!«
Nun wußte ich allerdings, wer der Schlagende und wer der Empfangende war. Der kleine, wackere Hadschi prügelte den Fremden durch, was ich leider nicht sehen konnte. Und zwar fielen die Hiebe so hageldicht, daß der Getroffene gar keine Zeit fand, sie mit seiner Peitsche zu parieren. Komisch war dabei, daß Halef seine Arbeit in tiefstem Schweigen verrichtete, während der Fremde überlaut schrie. Seine Interjektionen gehörten der arabischen und türkischen Sprache an, was mich annehmen ließ, daß er kein Kurde sei. Als er zu der Erkenntnis gekommen war, daß er der ihm so schweigend gebrachten, aber um so fühlbareren Aufnahme nicht gewachsen sei, versuchte er, aus unserer Abteilung zu entwischen, was ihm auch gelang, da er von Halef nicht daran verhindert wurde. Eben als er unsere Scheidewand hinter sich hatte, kam die Wirtin, von seinem Geschrei herbeigerufen, mit einigen Gesindepersonen zur Thür herein. Als er sie sah, rief er ihr entgegen:
»Wer bist du? Bist du etwa das Weib des Sahib el Locanda?«
»Ja,« antwortete sie.
»Wo ist dein Mann? Rufe ihn mir!«
»Er ist nicht daheim.«
»So schicke sofort zum Nezanum dieses Ortes! Ich muß augenblicklich mit ihm sprechen.«
»Auch er ist nicht daheim.«
»Ich muß ihn aber haben! Ich bin geschlagen worden und verlange, daß die Verbrecher, welche dies thaten, sofort und auf das allerstrengste bestraft werden.«
»Wer hat dich geschlagen?«
»Die Hunde, welche dort hinter der Flechtwand stecken. Du bist die Herrin. Rufe sie hervor; sie müssen dir gehorchen!«
Da antwortete die Wirtin verlegen:
»Sie werden mir nicht gehorchen, sie gehören nicht in dieses Haus. Sie sind Fremde, welche einige Tage bei uns wohnen.«
»Fremde? Um so schlimmer! Von einem Fremden kann ich mir die Schläge noch viel weniger gefallen lassen als von einem Hiesigen. Wer sind sie denn?«
»Der eine ist ein Emir und Effendi aus dem Abendlande und der andere ein Hadschi mit einem so langen Namen, daß man ihn unmöglich im Gedächtnis behalten kann.«
»Mag er noch tausendmal länger sein, als er ist, die Schufte müssen bestraft werden. Jeder gewöhnliche Mann weiß, das Schläge nur mit Blut abzuwaschen sind; ich aber bin kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein Liebling Allahs, ein Nachkomme des Propheten und Forscher auf dem Wege, der zum Himmel führt. Rufe sie also heraus, damit ich Rechenschaft von ihnen fordere!«
»Ich kann sie wohl rufen, ob sie aber kommen werden, das weiß ich nicht.«
Sie näherte sich der Scheidewand, brauchte aber ihre Absicht nicht auszuführen, denn Halef, der Furchtlose, kam ihr zuvor. Die Peitsche noch immer in der Hand, ging er hinaus, schritt grad auf den Fremden zu, stellte sich nahe vor ihn hin, sah ihm in das Gesicht und sagte:
»Hier bin ich, der Hadschi mit dem langen Namen. Wenn du Rechenschaft fordern willst, so bin ich bereit, sie dir zu geben, aber nur in meiner Weise, die wahrscheinlich nicht die deinige ist. Du hast sie aber schon kennen gelernt!«
Der »Liebling Allahs« war ein junger Mann von vielleicht dreißig Jahren mit einem langen Vollbarte und schönen, asketisch strengen Gesichtszügen, wie ich jetzt durch ein Loch der Flechtwand sah, weil er im Schein des Feuers stand; seine kleinen, etwas schiefblickenden Augen waren aber geeignet, diese Schönheit nicht zu erhöhen, sondern herabzumindern. Von hoher, stolzer Gestalt, ragte er um mehr als Kopfeslänge über den kleinen Hadschi hinaus. Die Farbe seines Turbans zeigte allerdings, daß er sich zu den Nachkommen des Propheten zählte. In seinem Gürtel steckten Messer und Pistolen, doch weil er Halefs Hiebe so ohne jede Gegenwehr hingenommen hatte, glaubte ich, daß dieses kriegerische Aussehen nicht ganz mit seinen innern Eigenschaften harmoniere. Er sah, als Halef ausgesprochen hatte, mit finstern Augen auf ihn nieder und antwortete-
»Ich sehe eine Peitsche in deiner Hand. Bist du es etwa, der es gewagt hat, mich zu schlagen?«
»Ja, geschlagen habe ich dich, aber gewagt war nichts, gar nichts dabei.«
»Schweig, Hund! Willst du mich abermals beleidigen?«
Da hob der Kleine die Peitsche drohend empor und sprach.
»Sagst du noch ein einziges Mal das Wort Hund zu mir, oder ein anderes, welches mir nicht gefällt, so ziehe ich dir diese Riemen des Nilpferdes über das Gesicht, daß du dich zehn Jahre lang vor keinem Menschen sehen lassen kannst! Wer bist du denn, daß du dich unterfängst, in dieser Weise mit mir zu sprechen? Wie heißest du, und wie lautet der Name deines Vaters, deiner beiden Großväter und der vier Väter dieser Vatersväter?«
»Das sollst du gleich hören. Wisse, ich bin Ssali Ben Aqil, der berühmte Wanderprediger des wahren Glaubens, der uns eine Auferstehung und Wiederkehr des Propheten verheißt.«
»Berühmt nennst du dich?« lächelte Halef. »Ich bin in den Ländern vieler Menschen gewesen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, aber den Namen Ssali Ben Aqil, so fromm und klug er klingt, habe ich noch nie gehört. Ich aber bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!«
Als der Wanderprediger diesen Namen hörte, fuhr er einen Schritt zurück, machte eine Gebärde größter Überraschung und rief aus:
»Hadschi Halef Omar! Gehörst du jetzt zum Stamm der Haddedihn?«
»Ja.«
»So bist du der kleine Kerl, der mit jenem Ungläubigen, jenem Christen geritten ist, welcher im ›Thale der Stufen‹ die vereinten feindlichen Stämme besiegte, die den Stamm der Haddedihn verderben wollten?«
»Ja.«
»Weißt du, wo dieser Christ sich jetzt befindet?«
»Ja.«
»Wo?«
»Dort hinter der Scheidewand.«
Da trat Ssali Ben Aqil noch einen Schritt weiter zurück, warf vor Erstaunen die Arme empor – fast hätte ich behaupten mögen, daß dieses Erstaunen ein freudiges sei – und fragte:
»Wie wird er genannt?«
»Er ist der berühmte und unbesiegbare Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi.«
»Ssahi, ßahi – richtig, richtig; genau so habe ich diesen Namen gehört!«
Ich sah, daß er weitersprechen wollte, aber er verschluckte das, was ihm auf den Lippen lag, drehte sich um und ging einige Male nachdenklich in der Stube hin und her. Es war jedenfalls ein wichtiger Gedanke, ein Entschluß, der ihn bewegte und mit dem er auch bald fertig war, denn er wendete sich Halef wieder zu und sagte in ganz anderer Weise, als er bis jetzt gesprochen hatte:
Wörtlich: »Der Fromme, Sohn des Scharfsinnes«.
»Höre, Hadschi Halef Omar, auf meine Worte! Du hast mich geschlagen; das ist eine Beleidigung, welche nur durch den Tod gesühnt werden kann; aber ich will sie dir verzeihen, weil ich vorher geschlagen habe, freilich ohne dich zu treffen. Ich habe von deinen und des christlichen Emirs Thaten so viel gehört, und ich bewundere sie so sehr, daß es mir eine Wonne des Paradieses sein würde, wenn ich den Emir jetzt sehen und mit ihm sprechen könnte. Ich bitte dich, zu ihm zu gehen und ihm das zu sagen. Willst du mir diesen Wunsch meines Herzens erfüllen?«
Seine Augen ruhten bei dieser Frage stechend und gespannt auf dem Gesichte des Kleinen, Dieser Prediger des Islam gefiel mir nicht; er war ein Mann, vor dem man sich zu hüten hatte, und hinter seiner plötzlichen Freundlichkeit lauerte jedenfalls eine Absicht, welche diesem Verhalten ganz entgegengesetzt war; aber mein wackerer Halef war alles, nur kein Menschenkenner; sein gutes Herz verzieh sehr leicht, und wenn man gar von seinen »berühmten und großen« Thaten sprach, so hatte man ihn ohne Widerstand gewonnen. Er war dabei freilich keineswegs ein solcher Aufschneider wie der alte Selim, der »Schleuderer der Knochen« und »größte Held des Weltenalls«; aber er hatte zahlreiche Abenteuer erlebt und mit mir glücklich bestanden, und bei der Bildungsstufe, auf welcher er stand, und der Art und Weise des Orientalen überhaupt war es gar kein Wunder, daß er mehr von sich hielt, als von andern Menschen, und leicht in den Fehler verfiel, Leuten, die ihm schmeichelten, sein Vertrauen zu schenken. So antwortete er auch jetzt, ohne sich sein Verhalten zu überlegen:
»Ja, ich werde ihn dir erfüllen und den Effendi holen.«
»Wird er aber auch kommen, wenn du ihn darum ersuchst?«
»Ganz gewiß! Er wird mich niemals dadurch kränken, daß er ein Versprechen nicht erfüllt, welches ich gegeben habe.«
Ich sah ein, daß mir schon um Halefs willen nichts anderes übrig blieb, als mich dem Fremden zu zeigen. Dazu kam das Interesse, welches man an jedem Menschen nimmt, der einem ungewöhnlich oder gar rätselhaft erscheint. Der Prediger war uns feindlich gesinnt; das stand bei mir fest; er verfolgte eine Absicht, welche, wenn sie in Erfüllung ging, uns nichts Gutes bringen konnte; das stand ebenso fest; aber diese Absicht zu durchschauen, das reizte mich, und da es auch stets immer besser ist, einem Übel oder gar einer Gefahr entgegenzugehen, feig zu warten, bis man davon gepackt wird, so stand ich auf und trat hinaus, ohne Halef Zeit zu lassen, mich darum zu bitten.
Als Ssali Ben Aqil mich erblickte, trat er einige Schritte auf mich zu, kreuzte die Hände über der Brust, verbeugte sich tief und sagte:
»Allah grüße und segne dich, Emir! Noch in der Stunde meines Todes werde ich den Augenblick, an welchem ich dir heut begegne, zu den schönsten meines Lebens rechnen!«
Er blieb nach diesen Worten in gebückter Haltung stehen, um meine Antwort zu erwarten. Er wußte, daß ich ein Christ war; er durfte als Moslem mir nicht in dieser Weise den Segen Allahs wünschen; er that es dennoch, obgleich er nicht nur Moslem, sondern sogar Chatib des Islam war; das mußte mich doppelt bedenklich machen. Ich ließ ihm natürlich nichts merken und antwortete in freundlichem Tone:
»Erhebe dein Haupt! Unter Männern ziemt es sich, daß sie einander in die Augen schauen.«
»Aber du bist berühmter als ich!« entgegnete er, indem er sich langsam und mit demutvollem Augenaufschlage emporrichtete.
»Was verstehst du unter berühmt? Nur Einer ist berühmt, Gott, denn sein Name erschallt durch alle Lande, und sein Lob ertönt auf allen Sonnen und Sternen, jetzt und in Ewigkeit. Wenn ein Mensch ein weniges mehr gethan hat als ein anderer, so darf er sich dessen doch nicht rühmen, denn es war ihm von Gott befohlen, und er erhielt von ihm die Kraft dazu.«
»Aus deinen Worten klingt mir die Stimme der Weisheit und Demut entgegen, doch bin ich mir gar wohl bewußt, wie hoch du über mir stehst. Wirst du mir verzeihen, daß mein plötzliches Kommen dich in der wohlverdienten Ruhe störte?«
»Die Störung geschah in etwas ungewöhnlicher Weise, über welche ich aber nicht richten will, weil du dich mit meinem guten Hadschi Halef Omar darüber verständigt hast. Als deine Peitsche fragte, hat die seinige geantwortet, und so ist die Störung vorübergegangen, ohne daß du dich beklagen darfst, keine Antwort erhalten zu haben.«
Sein Auge schoß einen schnellen, scharfen Blitz auf mich, doch mit der freundlichsten Miene erwiderte er:
»Ich hörte, daß du mehrere Tage hierzubleiben gedenkst; du brauchst also morgen früh nicht zeitig aufzubrechen, und du kannst also den Schlaf um die Stunde verlängern, die ich ihm jetzt im Anfange raube. Laß mich dein freundliches Herz erkennen, und sei mein Gast, wenn ich jetzt hier zum Abend speise!«
»Wir haben schon gegessen,« wehrte ich ab.
Er antwortete, indem er einen vielsagenden Blick über die schmutzige Umgebung gleiten ließ:
»Emir, ich verstehe dich, doch enthalten meine Satteltaschen genug Gaben der Reinlichkeit, daß ihr, du und dein Hadschi Halef Omar, getrost daran teilnehmen könnt. Erlaube, daß ich sie hole und mit diesem Weibe des Wirtes mein Verbleiben hier bespreche!«
Er ging hinaus und winkte der Frau und dem Gesinde, ihm zu folgen. Als ich mich nun mit Halef allein befand, fragte er:
»Sihdi, hättest du es für möglich gehalten, daß so ein grober, rücksichtsloser Ben el Maswahka sich so schnell in einen freundlichen und ergebenen Sibt el Adab verwandeln könne?«
»Ja, denn er hat jedenfalls seine guten Gründe dazu. Du aber, lieber Halef, bist ein Sohn und Enkel der Unvorsichtigkeit gewesen, als du ihm versprachest, mich hierher zu holen.«
»Ich? Warum?«
»Weil dieser Mann aus irgend einem Grunde, den ich bald zu erfahren hoffe, ein Feind von uns ist und in der kurzen Zeit, während welcher er vorhin hier auf- und niederschritt, über einen Plan nachgedacht hat, der uns nur Böses bringen kann.«
»Er hat dir aber doch den Segen Allahs gewünscht!«
»Er, ein Lehrer des Islam, mir, einem Christen! Bedenke das, Halef!«
»Kull' Schejatin – alle Teufel! Das habe ich vor Freude über seine Umwandlung ganz übersehen. Aber was kann er Böses gegen uns wollen? Wir kennen ihn nicht und haben ihn nie beleidigt!«
»Aber er kennt uns und mancher Mensch hat mehr unbekannte als bekannte Feinde. Bedenke, daß wir uns dadurch, daß wir den Haddedihn damals zum Siege verhalfen, ihre sämtlichen Gegner zu Feinden gemacht haben und daß wir auf unsern spätern Streifzügen oft gezwungen waren, uns der Angriffe von Personen zu erwehren, deren Angehörige uns nach den Gesetzen der Rache hassen müssen, wann und wo sie uns nur treffen. Es ist ja nicht unmöglich, daß dieser Ssali Ben Aqil der Sippe eines solchen Menschen angehört.«
»Das ist wahr, wie immer alles, was du sagst, Sihdi. Wollen uns wieder niederlegen und ganz so thun, als ob dieser Liebling Allahs, wie er sich nannte, gar nicht gekommen wäre!«
»Nein; das dürfen wir auf keinen Fall. Selbst wenn er nicht durch frühere Vorkommnisse zur Feindschaft gegen uns gezwungen wäre, würden die Hiebe, die du ihm erteiltest, ihn zur Rache zwingen. Käme dazu noch die große Beleidigung, daß wir seine Einladung zurückweisen, so könnten wir mit doppelter Sicherheit darauf rechnen, seine unversöhnliche Gegnerschaft herausgefordert zu haben.
Und das ist bei einem so fanatischen Anhänger des Islam zehnmal gefährlicher als bei jedem andern Menschen.«
»So mag wenigstens unser Verhalten ein so stolzes und zurückhaltendes sein, daß er froh ist, wenn wir uns recht bald wieder entfernen!«
»Auch das nicht, denn er würde dadurch zu der gleichen Zurückhaltung genötigt sein, und ich könnte also nicht das aus ihm heraushorchen, was ich doch von ihm erfahren will. Er muß überzeugt sein, daß wir ihm glauben und vertrauen; darum werden wir zu ihm freundlich und für seine Einladung dankbar sein. Es ist am besten, du schweigst so viel wie möglich und lässest nur mich mit ihm sprechen.«
Das war von meinem stets redfertigen Halef zwar sehr viel verlangt, aber ich sagte es in einem so bestimmten Tone, daß er darauf verzichtete, etwas dagegen einzuwenden. Diese Instruktion war grad noch zur rechten Zeit gegeben, denn eben, als ich die letzten Worte gesprochen hatte, kam Ssali Ben Aqil wieder herein, gefolgt von einem Chadim, welcher die wohlgefüllten Satteltaschen trug.
»Hier, Emir, bringe ich ein Ascha,« sagte er, »von dem du ohne Scheu genießen kannst, denn auch ich bin ein Freund der Reinlichkeit, weil ich die großen Städte besucht habe, wo man nicht gewohnt ist, den Gast durch Schmutz zum Hunger zu verdammen.«
Er nahm dem Knechte, der sich darauf entfernte, die Taschen ab und legte den Inhalt derselben, eingewickeltes Fleisch, Fladenbrod und Früchte, auf den Tisch. Das sah so sauber und einladend aus, daß Halef sich setzte und sein Messer zog. Ich folgte diesem Beispiele, und während wir zu essen begannen, erkundigte ich mich bei Ssali, indem ich an seine letzte Bemerkung anknüpfte:
»In den großen Städten bist du gewesen? Willst du mir die Namen derer nennen, die du gesehen hast?«
»Ich habe das ganze Reich des Padischah und auch das Land des Schah von Persien gesehen, denn ich ziehe von Ort zu Ort, um zu verkünden, daß die Zeit nahe ist, in welcher der Rechtgeleitete, erscheinen wird.«
»Woher weißt du das?«
»Eine innere Stimme, welche während des Tages und während aller Nächte zu mir spricht, sagt es mir. Doch, du als Christ kannst das ja nicht verstehen. Laß uns lieber von den Städten sprechen, in denen ich längere Zeit geblieben bin, um den Kuran, die Auslegungen desselben und alle Regeln der Anbetung zu studieren!«
»Welche sind dies?«
»Erst ging ich nach Persien als dem Lande, dessen Schulen meiner Heimat am nächsten lagen. Ich studierte in Teheran und Isfahan, bin aber der Hunde von Schiiten wegen, welche Allah verfluchen möge, schon nach einem Jahre wieder fortgegangen. Ich wanderte nach Stambul, wo ich sehr fromme und sehr kluge Lehrer fand, aber doch nicht, was ich suchte. Hierauf schloß ich mich der großen Hadsch nach den heiligen Städten Mekka und Medina an. In Mekka erwarb ich mir dieses Hamail, welches ich am Halse hängend trage, wie es jeder Hadschi, der es besitzt, zu tragen hat, und in Medinah blieb ich dann längere Zeit als Schüler eines berühmten Muderris, der die hervorragenden Auslegungen fast auswendig kannte.«
Da war Halef so unvorsichtig, zu bemerken:
»Grad so ein Hamail wie du hat auch mein – –«
Er wollte sagen, daß ich auch ein Hamail besaß. Das konnte ich nur in Mekka erworben haben, welches kein Christ besuchen darf. Darum fiel ich ihm schnell in die Rede, indem ich Ssali fragte:
»Würdest du mir erlauben, dein Hamail einmal zu betrachten?«
Er löste das Band und gab mir das Buch mit den Worten hin: »Eigentlich darf dieser heilige Kuran von der Hand keines Ungläubigen berührt werden; wenn ich ihn dir dennoch gebe, magst du daraus ersehen, wie hoch du in der Achtung meines Herzens stehst.«
Der Kuran ist mir grad so genau bekannt, wie unsere Bibel. Wenn ich um dieses Exemplar bat, so that ich dies also nicht des Inhaltes wegen, sondern aus einem andern Grunde. Ich wollte nämlich wissen, ob Ssali wirklich ein Scherif war. Als ich die betreffende Bemerkung nicht eingetragen und untersiegelt fand, fragte ich:
»Weißt du, daß die Tabellen, in denen der Name jedes Scherifs verzeichnet steht, alljährlich mit der großen Hadsch nach Mekka gesendet werden?«
»Ja.«
»Und daß der Name jedes Scherifs, der dort ein Hamail erwirbt, in dasselbe eingetragen werden muß?«
»Natürlich weiß ich das; ich bin ja ein Scherif!«
»Warum. steht dann dein Name nicht hier in diesem Kuran?«
Jetzt merkte er erst, wo ich hinausgewollt hatte, und antwortete verlegen und schnell darüber hinweggehend:
»Weil ich vergessen habe, ihn einschreiben und mit dem Siegel des Großscherifs versehen zu lassen. Als ich von dem Muderris in Medina nichts mehr lernen konnte, zog ich nach Kahira. Die Universität der Azharmoschee dort ist die berühmteste in allen Landen; es gab dort über achttausend Talaba, unter denen ich mehrere fand, die nach der Wahrheit strebten und mich zu einem Muderris führten, welcher der einzige war, der von dem bald zu erwartenden Mahdi lehrte. Ich wurde sein Schüler, und ihm habe ich es zu verdanken, daß ich jetzt der Welt die Kunde von dem kommenden ›Rechtgeleiteten‹ bringen kann.«
Er sprach jetzt in einem so stolzen und überlegenen Tone, daß ich es mit nicht versagen konnte, diesen Ton ein wenig herabzustimmen; darum warf ich die Erkundigung ein:
»Ich erkenne, was für ein hochbedeutender Mann du bist. Darf ich erfahren, welche Gegend oder welcher Ort den großen Vorzug besitzt, deine Geburt gesehen zu haben und deine Heimat zu sein?«
Diese Frage schien ihm ungelegen zu kommen, und es bedurfte einer, wenn auch nur kurzen Überlegung, ehe er antwortete:
»Ich bin in el Damijeh in Ägypten geboren.«
»Sonderbar! Ich habe dich für einen Kurden gehalten.«
»Warum?«
»Zunächst wegen einiger Kehllaute in deiner Aussprache, die nur aus einer kurdischen Kehle zu hören sind, und sodann hast du vorhin selbst gesagt, daß Kurdistan deine Heimat sei.«
»Ich? Wann?« fragte er mehr besorgt und betroffen als erstaunt.
»Du teiltest uns mit, daß Persien das Land sei, welches deiner Heimat am nächsten liege; am nächsten zu Persien aber liegt Kurdistan.«
»O, Emir, solche Bemerkungen darf man nicht so genau nehmen, als ob sie im Kuran ständen. Ich stamme wirklich aus el Damijeh. ja, durch Kurdistan bin ich auch schon einige Male geritten; aber ich bin in diesem Lande nicht halb so bekannt wie du.«
»Nimmst du dies wirklich an? Warum?«
»Weil mir deine Erlebnisse erzählt worden sind.«
»Welche?«
»Alle. Ich denke dabei jetzt nur an eure Kämpfe mit den Bebbeh-Kurden.«
»Diese Kerls sind die größten Schurken, die es giebt!«
Ich bediente mich mit Absicht dieses kräftigen Ausdruckes, indem ich ihn dabei scharf aber verstohlen beobachtete. Ich sah die Röte des Zorns in seine Wangen steigen, doch beherrschte er sich und fragte scheinbar ruhig:
»Hast du auch ihren Scheik gekannt?«
»Meinst du Gasahl Gaboya?«
»Ja.«
»Ich habe ihn nur zu gut kennen gelernt; er war der allergrößte unter diesen Schuften.«
Da sah ich, daß er alle seine Macht über sich zusammennehmen mußte, um seinen Zorn zu bemeistern; dennoch klang seine Stimme rauh und fast heiser, als er weiterfragte:
»Warst du es nicht, der ihn niedergeschossen hat?«
»Ich nicht; aber er wagte es, sich im Kampfe an mich zu machen, und wurde von einem meiner Gefährten niedergeschossen.«
Daß Hadschi Halef dieser Gefährte war, verschwieg ich, denn ich hatte nun erfahren, was ich wissen wollte. Dieser Ssali Ben Aqil war allerdings ein muhammedanischer Theologe; in dieser Beziehung hatte er uns nicht belogen; aber ebenso gewiß war er der Abstammung nach ein Bebbehkurde, höchst wahrscheinlich sogar ein Verwandter des gefallenen Gasahl Gaboya. Ich hatte mich also vor ihm sehr in acht zu nehmen, denn nirgends wird die Blutrache so streng gehandhabt wie grad bei einigen Kurdenstämmen. Als ob er meine Gedanken erraten hätte, machte Ssali auf meine Antwort die Bemerkung:
»Der Scheik der Bebbeh ist also doch im Kampfe mit dir gefallen, ob von deiner Kugel oder nicht, das ist gleichgültig; du bist der Blutrache verfallen, und ich wundere mich außerordentlich darüber, daß du dich wieder in diese Gegend wagst.«
»O, ich war seitdem schon öfters hier!«
»Wirklich? Da ich dich unmöglich für einen leichtsinnigen Menschen halten kann, mußt du einen Mut besitzen, der ganz unvergleichlich ist. Bitte Allah, daß er dich nicht in die schrecklichen Hände der Thar fallen lasse! Wenn dich ein Verwandter von Gasahl Gaboya sähe, wärst du verloren.«
»Ja, einer von beiden würde verloren sein, entweder er oder ich.«
»Du, du, nicht er, Emir! Du verkennst die Sache, weil du ein Fremder bist, nicht nur ein Fremder, sondern sogar ein Christ. Von euch Christen weiß man es ja, daß ihr euch in jeder Beziehung überhebt und für besser haltet als Andersgläubige, daß ihr denkt, an euch sei alles schöner, frömmer, heiliger und unverletzlicher als an andern Menschen. Du wirst das nicht zugeben wollen, obgleich du es durch dein Verhalten beweisest. Ein Moslem kennt die Schrecklichkeit der Blutrache ganz genau; wenn er das gethan hätte, was du hier verübt hast, so würde er es niemals wagen, hier in dieser Gegend wieder zu erscheinen. Du als Christ kennst den Kuran nicht und auch nicht die Gesetze und Regeln, nach denen die hiesigen Völkerschaften leben. Du glaubst, deine Haut sei als diejenige eines Christen ebenso unverletzlich, wie die Haut eines Drachen, durch den keine Waffe dringt; ja du meinst sogar im Stolze deines Christentums, daß kein Kurde es wagen darf, sich an dir zu vergreifen und dir ein Leid zu thun, denn ihr pocht auf eure Kanasil, die euch behüten, schützen, tragen und leiten müssen, wie eine Mutter ihr kränkstes, schwächstes Kind bewacht. Aber dein Stolz wird dir bald vor die Füße fallen, wenn du, vor der Blutrache stehend, zu der entsetzlichen Erkenntnis kommst, daß du ihr rettungslos verfallen bist. Nicht einen von beiden wird es treffen, wie du soeben sagtest, sondern dich, nur dich allein. Du kannst dir nicht helfen, und dein Gott kann dir nicht helfen; die Erde unter deinen Füßen wird wanken; der Boden, darauf du stehst, wird weichen, und du wirst hinunterfahren in den ewigen Jammer der Dschehenna, in welcher alle Christen und andern Ungläubigen zu endloser Qual und nie aufhörenden Martern versammelt werden. Wir aber, wir Gläubigen, werden über euch thronen als Richter über Himmel und Hölle, über Leben und Tod, unberührt von eurem Heulen und Wehklagen darüber, daß ihr so eingebildet und unverständig gewesen seid, die göttliche Gesandtschaft Muhammeds und die bis zum Himmel emporgewachsenen Vorzüge des Islam vor eurem lügenhaften Christentum zu leugnen!«
Er hatte erst in gewöhnlichem Tone und dann in immer wachsender Begeisterung gesprochen; seine Augen leuchteten, und der Fanatismus glänzte, ja, triefte ihm förmlich vom Gesichte. Ich mußte mir im stillen eingestehen, daß er alles besaß, was zu einem Wanderprediger des Muhammedanismus gehörte: Überzeugung, Rednergabe, Phantasie, Überhebung, Mangel an Bildung und Urteil und, last, not least, eine vollständige Unwissenheit über die Lehren und Verhältnisse Andersgläubiger. Als er gesprochen hatte und ich ihm nicht sofort antwortete, fügte er hinzu:
»Du schweigst; du bist von der Wahrheit meiner Worte niedergeschmettert. ja, der heilige Islam ist eine Sonne, gegen welche die armen, elenden Schemat ed Duhun der andern Glaubenslehren verschwinden müssen wie Irrlichter, welche nur vom Gestank der Sümpfe leben. Man nennt dich einen berühmten Emir und hochgelehrten Effendi aus dem Abendlande, und du erhebst den Kopf allüberall, weil du dem Bilad el Alman entstammst, aber deine ganze Berühmtheit und Gelehrsamkeit ist vor meiner überwältigenden Rede in stumme Wortlosigkeit versunken, und die bewaffneten Heerscharen deines Volkes würden, wenn sie hierher nach Kurdistan kämen, um mit uns zu kämpfen, in den Staub niederfallen und um Gnade bitten müssen.«
Es war gar nicht meine Absicht gewesen, mit ihm über Glaubenssachen anzubinden, denn ich hatte das Gefühl, daß er mir die Gelegenheit aufzwingen würde, mit ihm noch in anderer Beziehung anzubinden; da er aber meinem Schweigen eine solche Erklärung gab, mußte ich gegen seine Ansichten nun das Wort ergreifen:
»Ssali Ben Aqil, du scheinst ganz von Sinnen und megnuhn zu sein! Denn anders kann ich es mir nicht erklären,daß du meinem Schweigen eine solche Deutung giebst. Ist dir vielleicht das Sprüchwort: ›Se dere'i, karvan dibehuhre‹ bekannt?«
»Ja,« antwortete er ahnungslos, warum ich grad diese Redensart anzog.
»Und auch das andere: ›Ei ku tif beke ber ba'i, tif dike ru'i chu‹?«
»Auch das.«
»Schau, wie gut du das Kurdische verstehst, obgleich du vorgiebst, in el Damijeh geboren zu sein! Du glaubst, deine Rede habe mich niedergeschmettert; aber die Karawane ist trotz dieses Bellens ruhig weitergezogen. Du hast gegen mich gespeit, aber nicht mich, sondern nur dich selbst getroffen.«
»Emir, wie kannst du solche Worte zu mir sagen.« fuhr er auf; »zu mir, der alle Lehren und Gesetze des Islam kennt!«
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und entgegnete:
»Du willst doch wohl sagen, daß du nur die Lehren des Kuran, weiter gar nichts, gar nichts kennst, und auch diese nicht richtig verstanden hast! Ich sage dir aus meiner ›Niedergeschmettertheit‹ heraus: Wenn einer von uns beiden zuviel Einbildung, grundlosen Stolz und Überhebung besitzt, so bin nicht ich dieser eine, sondern du bist es. Mit deiner Kenntnis des Kuran ist es schlecht, sehr schlecht bestellt, wie du gleich erfahren wirst, und auch die Gesetze und Regeln, nach denen die hiesigen Völker leben, kenne ich besser als du. Du behauptest, daß wir Christen uns auf unsere Konsuls verlassen und von ihnen wie unmündige Kinder beschützt werden müssen. Wenn man dir wirklich von uns erzählt hat, so sage mir doch nur einen einzigen Fall, welcher beweist, daß ich mich an die Hilfe eines Konsuls gewendet oder gar auf sie gepocht habe! Sage mir auch nur einen einzigen Fall, daß ich mich wie ein krankes, schwaches Kind betragen habe! Ich darf ganz im Gegenteile behaupten und kann es auch beweisen, daß gar mancher, mancher Moslem heut noch lebt und sich wohl befindet, der ohne meine Hilfe, also ohne die Hilfe des Christen, verloren gewesen und zu Grunde gegangen wäre. Grad die Kurden vom Stamme der Bebbeh wissen ganz genau, ob ich so ein Schwächling bin, wie du die Christen beschreibst. Gehe hin zu ihnen, und frage sie, so wirst du erfahren, welche Furcht und Angst ihr ganzer Stamm vor mir gehabt hat! Es giebt unter ihnen – – –«
»Schweig!« fuhr er mich da zornig an. »Die Bebbeh sind Helden, die keine Furcht kennen. Am allerwenigsten aber haben sie vor dir – –«
»Halte den Mund!« unterbrach auch ich ihn in befehlendem Tone. »Bist du etwa ein Bebbeh, daß du dich ihrer so annimmst? Soll ich denken, daß du nicht in Ägypten, sondern hier geboren bist? Grund genug hast du mir schon dazu gegeben! Ich warne dich! Gieb mir ja keine Gelegenheit, dich und deine Absichten zu durchschauen, denn das könnte übel für dich ausfallen! Du hast gewagt, mir zu sagen, daß weder Gott noch ich selbst mir helfen könne; aber Gott hat durch mich schon manchem Muhammedaner geholfen, dem sonst nicht zu helfen gewesen wäre, und bis jetzt habe ich dir noch keine Veranlassung gegeben, anzunehmen, daß ich nicht wisse, wie man sich gegen muhammedanische An- und Übergriffe zu verteidigen hat. Wie kommst du ferner dazu, zu behaupten, daß wir Christen der Hölle verfallen seien? Welcher Dummkopf hat dir das weißgemacht? Etwa einer deiner Professoren? Dann ist der Islam zu bedauern, daß er nicht bessere Lehrer aufzuweisen hat! Wenn ihr es nicht wißt, nun so wissen wir Christen es um so besser und kennen den Kuran um so genauer, daß Muhammed wiederholt erklärt hat, der Himmel stehe auch den Christen offen. Blicke in das Hamail, welches du wohl am Halse, nicht aber im Kopfe zu haben scheinst, so wirst du die Stellen finden, die ich meine! Und endlich hast du behauptet, daß ihr Muhammedaner im jenseitigen Leben hoch über uns thronen werdet als Richter über Himmel und Hölle, über Leben und Tod. Wer dir diesen Gedanken beigebracht hat, in dessen Kopfe ist niemals eine Spur von Hirn zu finden gewesen. Wenn du nicht hier säßest und ich deine Worte nicht mit eigenen Ohren gehört hätte, würde ich es für unmöglich halten, daß ein denkender Mensch solchen Unsinn aussprechen könne und solcher Überhebung fähig sei. Wer sich eine Behauptung, wie diese ist, zu schulden kommen läßt, dem muß der Kuran ein vollständig unbekanntes Buch sein, und ebenso wenig darf er sagen, daß er jemals eine Auslegung desselben in den Händen gehabt habe! Du, du willst also einst auch mit Richter sein über Tod und Leben, über Himmel und Hölle? Armer Teufel! Noch weißt du selbst nicht, ob du glücklich über Es Ssireth, die Brücke des Todes, gelangen wirst. Und sagt nicht Muhammed und sagen nicht die Kalifen und alle Ausleger des Kuran, daß nur Isa Ben Marryam allein es ist, der am jüngsten Tage vom Himmel kommen und von der Moschee der Omajjaden in Damaskus aus alle Lebendigen und Toten richten wird? Also Christus, den wir als Gottes Sohn verehren! Christus, der Sohn Mariens, der unser Mittler und Fürsprecher ist im Leben und im Sterben! Also nicht euer Muhammed, sondern unser Christus wird richten, denn nur Gott allein kann richten, und Christus ist ja Gott, während Muhammed zwar euer Prophet, aber doch ein Mensch gewesen ist. Wo bleibst da du, Ssali Ben Aqil, der du von dir behauptest, daß auch du mit richten werdest über Himmel und Hölle, über Tod und Leben! Wenn du dereinst vor Isa Ben Marryam erscheinst, was wird er dich fragen, und was kannst du ihm antworten? Er wird dein Richter, dein gerechter aber strenger Richter sein. Wirst du ihm, dem göttlichen Gründer des Christentums, etwa auch sagen, daß die Christen, seine Gläubigen, in die Hölle zu ewigem Jammer und endloser Qual verdammt werden müssen, weil sie nicht Muhammed, sondern ihn verehrt haben?«
Er hatte während meiner Rede einige Male vergeblich angesetzt, mich zu unterbrechen; jetzt aber war er stumm geworden und saß vor mir, ohne ein Wort zu sprechen. Drum fuhr ich fort:
»Nun, du schweigst? Ich habe dir alle deine Behauptungen widerlegt. Wenn du gegen meine Worte etwas sagen kannst, so sprich!«
Da er auch jetzt im Schweigen verharrte, ergriff der kleine Halef das Wort:
»Sihdi, es geht ihm, wie es mir ergangen ist und wie es jedem ergeht, der sich unterfängt, mit dir gegen deinen Glauben zu reden. Weißt du noch, lieber Effendi, welche Mühe ich mir in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft und sogar auch später gab, dich vom Christentume abzubringen und zum Islam zu bekehren?«
»Ja,« antwortete ich lächelnd. »Ich weiß es gar wohl!«
»Schau, deine Lippen verziehen sich zur Lustigkeit, und die Spitzen deines Bartes nehmen die Haltung des mitleidigen Wohlwollens an! Du bedauerst mich, und ich gebe zu, daß du dazu berechtigt bist. Wer dich von deinem Glauben abbringen will, der gleicht dem Himahr, welcher dem Nisr weißmachen will, daß es im dunkeln, schmutzigen Stalle herrlicher zu leben sei als droben in den hellen, freien, reinen Lüften, wo das Gold des Sonnenscheines sich mit dem Purpur der Morgen- und der Abendröte vermählt.«
»Mensch!« fuhr ihn da der Wanderprediger an, »soll das etwa heißen, daß du mich mit einem Esel vergleichst?«
»Ah, habe ich von dir gesprochen?« fragte Halef in ruhigem Tone. »Ich glaubte, nur diejenigen gemeint zu haben, die da meinen, meinen Sihdi, der alle Bücher und Schriften von jedem Glauben auswendig kennt, mit den paar armseligen Brocken, die sie im Kopfe haben, belehren zu können. Wenn du dich zu diesen Leuten zählst, so ist das deine eigene Schuld, und ich habe nichts dagegen!«
»Sag, ob du ein Moslem bist!«
»Ich bin einer.«
»Und doch redest du ihm, dem Christen das Wort!«
»Allah'l Allah! Ich würde sogar mehr als ein Wort für ihn reden; ja, ich würde sogar meine Flinte und mein Messer für ihn sprechen lassen! Er ist der Adler, von dem ich gelernt habe, mit ihm hoch über den Wolken zu fliegen. Dort gefällt es mir; wenn es den andern Geschöpfen unten lieber ist, so fällt es mir nicht ein, mich mit ihnen darüber zu streiten; aber ich dulde auch nicht, daß sie mir meine reine Luft nicht gönnen!«
Er sagte das in einem Tone, der fast wie eine Drohung klang, und der kleine, furchtlose Kerl war ganz der Mann dazu, seinen Worten den gehörigen Nachdruck zu geben. Das wußte Ssali, der ja von ihm ebenso wie von mir gehört hatte, und darum hielt er es für geraten, seine Gegnerschaft wenigstens jetzt nicht weiter zu treiben. Auch kam es ihm, wie ich später bemerkte, sehr darauf an, uns keine Veranlassung zu geben, eine unvorteilhafte Meinung über ihn zu fassen, und so überwand er sich, in versöhnlicher Weise zu bemerken:
»Es ist mir gar nicht eingefallen, deinen Effendi anzugreifen; er mag der Christ bleiben, der er ist, während ich mich wie vorher zu Muhammed bekenne, den Allah über alle Himmel erheben wird.«
»Du hast aber nicht bloß von der Religion gesprochen, sondern ihm und mir mit der Blutrache gedroht!«
»Gedroht? Das habe ich nicht. Ich verehre ihn und bewundere eure Thaten, darum habe ich mir erlaubt, eine Warnung auszusprechen, die aus einem wohlmeinenden Herzen kam.«
»So denke in Zukunft daran, daß es unmöglich ist, sich über ein wohlmeinendes Herz zu freuen, wenn dieses Herz sich einer unhöflichen und zorneseiligen Zunge bedient! Du hast uns eingeladen, mit dir zu essen; wir sind also deine Gäste, und mit Gästen streitet man nicht.«
»Du hast recht. Ich hatte nicht die Absicht, euch zu kränken oder gar zu beleidigen; aber wenn ich trotzdem ein Wort gesprochen habe, welches euch nicht gefallen hat, so verzeiht es mir! Ich bin von der Reise ermüdet, und ein müder Mann denkt oft nicht an das, was er spricht.«
Das klang so mild und versöhnlich, daß es wohl auf gar manchen den beabsichtigten Eindruck hervorgebracht hätte, den es aber auf mich ganz und gar verfehlte. Wer sich so beherrschen konnte, aus der religiösen Begeisterung in eine demütigende Bitte um Verzeihung zu fallen, der war ein Mensch, vor dem man sich zu hüten hatte. Ich zeigte mich also äußerlich freundlich, war aber dabei innerlich reservierter als vorher und nahm nach einiger Zeit seine vorgeschützte Ermüdung als Vorwand, das Zusammensein mit ihm abzubrechen. Wir zogen uns in unsere Abteilung zurück, und er ging hinaus, um nach seinem Pferde im Stalle zu sehen und sich dann auch zur Ruhe zu begeben.
Als er wieder hereingekommen war, nahm er ein Stück brennenden Holzes von dem noch immer nicht ausgegangenen Feuer und trat damit hinter die Flechtwand, wo wir uns indessen schon niedergelegt hatten. Er leuchtete uns an und sagte, sich entschuldigend:
»Verzeiht, daß ich euch störe! Ich habe euch nur Belletak sa'ide gewünscht, ohne euch, wie man es bei Gästen thut, Allah zu empfehlen! Fi amahn Allah – in Gottes Schutz! Er gebe euch einen langen, ruhigen Schlaf!«
»Ma ßah Allah kahn wamah lam jaßah lam jekun – was Gott will«, geschieht; was er nicht will, das geschieht nicht,« antwortete ich ihm.
Er nickte uns hierauf freundlich zu und verließ uns, ohne den Sinn meiner Antwort herausgehört zu haben. Ich sah durch die Zwischenräume des Flechtwerkes, daß er sich mit Hilfe seines Sattels und seiner Decke in der Nähe des Herdes ein Lager bereitete und sich auf demselben ausstreckte.
Warum war er noch einmal zu uns gekommen? Wirklich aus Höflichkeit? Gewiß nicht! Wollte er etwa nur sehen, wo und wie wir lagern? Sehr wahrscheinlich! Wenn dies der Fall war, so hatte er eine Absicht, die uns in Gefahr brachte. Darum gab ich ihm die Antwort, deren Bedeutung er nicht erriet. Sollte ich Halef sagen, was ich vermutete? Nein. Das liebe, gute Kerlchen bedurfte mehr als ich des Schlafes, und so beschloß ich, ihn nicht zu beunruhigen und lieber selbst die ganze Nacht wach zu bleiben. Er war weniger bedroht als ich, denn er lag an der Mauer, während mein Platz derjenige war, den ein heranschleichender Feind zuerst erreichen mußte. Es dauerte nicht lange, so verriet mir sein leiser, regelmäßiger Atem, daß er eingeschlafen war; da schob ich mich von meiner Stelle fort, um einem etwa geplanten Überfall durch meinen Angriff zuvorzukommen.
Da, wo ich nun lag, gab es in der Wand ein größeres Loch, durch welches ich meine Beobachtungen leichter machen konnte. Zu beiden Seiten des Herdes war trockenes Schilf zum Anzünden und dürres Holz zur Unterhaltung des Feuers aufgeschichtet. Das letztere brannte, da nun nichts mehr nachgelegt wurde, bald nieder. Ehe es ganz ausging, sah ich, daß Ssali seine Arme aus der Decke, die ihn umhüllte, hervorzog und, den Kopf ein wenig hebend, mit scharfen Augen nach uns herblickte. Dieser Umstand befestigte mich in dem Verdachte, den ich hegte. Hierauf wurde es ganz finster, und ich konnte mich nur noch auf meine Ohren, nicht mehr auf die Augen verlassen.
In Lagen wie diejenige, in der wir uns befanden, vergeht die Zeit mit quälender Langsamkeit. Die Minuten wurden mir zu Stunden; aber ich ließ nicht nach in meiner Aufmerksamkeit, welche endlich, endlich ganz nach Erwarten belohnt wurde, denn ich hörte das, wenn auch nur ganz leise zu vernehmende Geräusch, welches hervorgebracht wird, wenn ein Gewand, ein Kleidungsstück auf dem Boden hinstreift. Wäre mein Gehör nicht während meines Aufenthaltes im wilden Westen so außerordentlich geschärft worden, so hätte ich jetzt sicherlich nichts wahrgenommen.
Wie gut, daß ich mißtrauisch gewesen war und Verdacht gefaßt hatte! Der Bebbeh-Kurde – denn daß er das war, stand nun bei mir fest – fühlte sich als Vertreter der Blutrache und kam jetzt, um sie auszuführen. Welch ein Ruhm und welch eine Ehre für ihn, wenn er seinem Stamme dann die Meldung bringen konnte, daß er Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar getötet habe! Eine solche Blutthat stand nach der Ansicht dieser Leute mit seinem geistlichen Berufe nicht im geringsten Widerspruche.
Er glitt durch die Wandöffnung zu uns herein und wendete sich dann nach rechts, wo ich erst gelegen hatte und wo Halef noch lag, während ich mich jetzt links davon befand. Ich konnte ihn nicht sehen, täuschte mich aber trotzdem nicht, denn das leise, leise Streichen des Gewandes war keine Hallucination, und wenn ich ja noch gezweifelt hätte, so gab es jetzt ein zwar sehr kurzes, aber noch deutlicheres Geräusch, welches mir bewies, daß ich mich in keinem Irrtume befand: es war das Knacken eines Gelenkes, welches bei einem gut geschulten Anschleicher, der er aber nicht war, unmöglich vorkommen kann. Dies ist wieder einmal ein Beweis, wie außerordentlich schwer ein tadelloses Anschleichen ist, denn an dem leisen Knacken auch nur eines Fingergelenkes kann das Leben hängen!
Als er die Wendung nach rechts gemacht hatte, folgte ich ihm, auf die beiden Kniee und die linke Hand gestützt, denn die rechte mußte ich vorsichtig tastend ausstrecken, um mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Ich berührte dabei die Sohle seines Schuhes, den er unverzeihlicherweise nicht ausgezogen hatte. Mich noch mehr zur Seite aber weiter vor schiebend, fühlte ich dann einen Zipfel seines Haiks; also nicht einmal diesen hatte er abgelegt. Diesen Zipfel zwar festhaltend, dabei aber immer nachgebend, fühlte ich jede seiner Bewegungen, bis er sich ganz nahe der Stelle befand, wo er mich liegen glaubte. Bisher war er auf allen vieren gekrochen; jetzt richtete er sich knieend auf; meine Zeit war gekommen. Ich erhob mich ebenso wie er, streckte mich aus und griff mit beiden Händen zu. Ich erwischte ihn mit der Rechten beim Oberarm und mit der Linken im Genick. Der Schreck über diese unerwartete, plötzliche Berührung entriß ihm einen lauten Schrei; ich zog ihn vollends an mich heran und nahm ihn mit beiden Händen um den Hals, und zwar so fest, daß ihm nicht der geringste Widerstand möglich war. Die Arme sanken ihm schlaff herab, und wenn ich ihn nicht in den Händen gehabt hätte, wäre er niedergefallen.
Halef war von dem Schrei erwacht; der kleine, geistesgegenwärtige Mann sprang sofort auf, zog seine Pistole aus dem Gürtel, wie ich an dem Knacken des Hahnes hörte, und rief:
»Was giebt's? Wer schreit da? Sihdi, wo bist du?«
»Hier,« antwortete ich. »Beunruhige dich nicht! Hast du noch Kibritat einstecken?«
»Ja, hier in der Tasche.«
»So eile hinaus zum Herde, und mache schnell Feuer!«
»Warum? Wo ist Ssali Ben Aqil?«
»Hier. Ich habe ihn fest; er wollte uns ermorden.«
»Allah, wallah! Hast du ihn wirklich sicher, ganz sicher?«
»Ja. Sorge dich nicht! Aber Licht müssen wir haben.«
»Gleich, gleich! Ich eile; es soll im Augenblicke hell werden! Ermorden! Uns! Dieser Schurke! Wir schicken ihn dafür in die Hölle; vorher aber bekommt er von mir hundert Peitschenhiebe dahin, grad dahin, wo sie ihm am wenigsten gefallen!«
Während er diese Worte des Zornes ausstieß, eilte er hinaus zum Herde. Ssali bewegte sich unter mir und griff nach meinen Händen; ich schlug ihm also die Faust an den Kopf, daß er die Besinnung verlor. Da flammte draußen das brennende Schilf auf und warf seinen Schein durch die vielen Ritzen des Flechtwerkes. Grad vor mir sah ich das Messer des Kurden liegen; er hatte uns also erstechen wollen. Ich hob es auf, schob es in meinen Gürtel und schleifte dann den Bewußtlosen hinaus an den Herd, wo inzwischen auch das Holz zum Brennen gekommen war. Während wir dort dem Ertappten die Füße zusammen- und die Hände auf den Rücken banden, erkundigte sich Halef:
»Aber, Sihdi, wie war es möglich, daß dieser Mensch uns, die wir doch seine Gäste waren, nach dem Leben trachten konnte?«
»Ich vermute, daß er ein Kurde ist und zum Stamme der Bebbeh gehört!«
»Maschallah, Wunder Gottes! Ein Bebbeh! Also Blutrache! Und doch hat er uns, bevor er sich schlafen legte, dem Schutze Allahs befohlen!«
»Um uns zu täuschen. Er wünschte uns aber auch einen langen Schlaf und hat damit höchstwahrscheinlich den Todesschlaf gemeint.«
»Jil'an dakno – verflucht sei sein Bart! Als ich mich niederlegte, hatte ich keine Lust, außerhalb dieser Erde aufzuwachen! Du hast dir und mir das Leben gerettet; wir sind dir also beide zum größten Dank verpflichtet. Wie aber ist es gekommen, daß es dir möglich war, die Mordthat zu verhüten?«
»Ich bin wach geblieben, denn ich ahnte, was der Kerl für eine Absicht hatte.«
»Und hast mir nichts davon mitgeteilt, Sihdi!«
»Weil dir der Schlaf so nötig war, lieber Halef.«
»O, Effendi, was bist du doch für ein Mann! Du kannst streng und stolz sein wie der Herrscher aller Herrscher in Istambul, und doch im nächsten Augenblicke auch wieder voller Milde, Güte und Freundlichkeit wie das Herz eines liebenden Weibes! Hoffentlich aber hört deine Freundlichkeit auf, wenn es sich um die Bestrafung dieses Mörders handelt!«
»Du befindest dich im Irrtum, wenn du ihn für einen Mörder hältst, denn es ist ihm ja nicht gelungen, uns das Leben zu nehmen.«
»Ja, ja; ich weiß, ich weiß! Da kommt wieder bei dir zum Vorscheine, was du den guten Christen nennst. Wer dir bloß nach dem Leben trachtet, der ist ein ganz braver Mensch. Wer aber bei dir als Mörder gelten soll, der muß dich erst zehnmal totgeschlagen und dann noch zwanzigmal totgeschossen haben, und selbst dann möchte ich wetten, daß du ihn noch unbestraft entkommen lässest, weil dein Ingil dir befiehlt, selbst deinen Feinden Liebe zu erweisen! Schau, da schlägt er die Augen auf! Nun wollte ich, ich dürfte die Peitsche nehmen und ihm hundert Piaster aufzählen, aber nicht silberne sondern lederne, die aus der Haut des Nilpferdes geschnitten worden sind. Doch, wie ich dich kenne, werde ich darauf wohl verzichten müssen. Es ist kein Blut geflossen und nach deiner Ansicht also gar nichts Böses geschehen. Allah, Allah! Was seid ihr Christen doch für sonderbare, unbegreifliche Menschen!«
Während der gute Halef in dieser Weise über mich und das Christentum klagte, war er im Innern selbst ein guter Christ, und die Seufzer, mit denen er meine Milde bejammerte, noch ehe ich sie hatte zeigen können, waren eigentlich nichts als ihm selbst unbewußte Aufforderungen an mich, Gnade walten zu lassen.
Ssali kam zu sich. Er sah uns erst, als er sich gefesselt fühlte, erstaunt an; dann, als ihm einfiel, was er beabsichtigt hatte und was geschehen war, stieß er einen Ruf des Schreckes aus, ohne ihm aber ein Wort folgen zu lassen. So lag er stumm, mit zusamengekniffenen Lippen vor uns; desto beredter aber waren seine Blicke, welche er voll Haß und Grimm auf uns richtete. Da fragte ich ihn:
»Willst du auch jetzt noch behaupten, daß du in Damijeh geboren seist?«
Er antwortete nicht sogleich; dann aber zischte er wütend zwischen den Zähnen hervor:
»Die List gebot mir, die Unwahrheit zu sagen; aber denke ja nicht, daß ich nun aus Angst vor dir weiterlüge! Allah schien dich in meine Hand gegeben zu haben; ich habe mich in ihm geirrt.«
»Dies ist wohl nicht das erste Mal, daß du dich in Gottes Fügung irrst. Du bist ein Kurde?«
»Ja.«
»Vom Stamme der Bebbeh?«
»Ja.«
»Der Scheik Gasahl Gaboya war ein Verwandter von dir?«
»Er war der Bruder meiner Mutter.«
»Ich begreife! Du erfuhrst hier, wer wir sind, und die Blutrache zwang dich, das Leben von uns zu fordern.«
»Ja, sie zwang mich, so wie sie jetzt dich zwingt, mir das Leben zu nehmen.«
»Ich bin ein Christ und kenne die Blutrache nicht!«
»Vielleicht die Blutrache nicht, aber doch die Rache!«
»Auch diese nicht. Gott ist der Vergelter.«
Da veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes; er sah mich ganz erstaunt an und fragte:
»Dürfen die Christen einander ungestraft nach dem Leben trachten?«
»Nein. Ein Mensch, welcher dem andern nach dem Leben trachtet, ist überhaupt kein Christ, wenn er sich auch als einen solchen bezeichnet. Unser Kitab el Mukad'das, befiehlt uns: ›Du sollst nicht töten!‹ und ein wirklicher, wahrer Christ hält sich streng nach diesem Befehle. Wer aber Menschenblut vergießt, wird durch die Obrigkeit bestraft, welche von Gott dazu eingesetzt worden ist.«
Ein Hoffnungsstrahl blitzte über sein Gesicht, als er schnell fragte:
»So werdet ihr mich der Obrigkeit ausliefern?«
»Nein.«
Seine Züge wurden sofort wieder finster, und enttäuscht klangen seine Worte:
»Also werdet ihr doch selbst richten! Du hast mein Messer aufgehoben; ich sehe es in deinem Gürtel. Nimm es und stoß zu!«
Ich schüttelte den Kopf und entgegnete:
»Du hast mich nicht verstanden. Die Rache ist mir verboten; dafür aber gebietet mir der christliche Glaube, meinen Feind zu lieben, wie mich selbst. Ich töte dich nicht und liefere dich auch nicht der Obrigkeit aus.«
Da glitt ein Ausdruck über seine Züge, der sich nicht beschreiben läßt. Erstaunen, Hoffnung, Zweifel, Verwunderung, Befürchtung, das alles sprach sich darin aus, bis der Haß wieder die Oberhand bekam und der Gefangene zornig herausstieß:
»Du spottest meiner! ja, man sagt, daß es euch befohlen sei, sogar euern Feinden Gutes zu erweisen; aber welchem Menschen wäre es möglich, dies zu thun! Es ist eine Lüge, daß euer heiliges Buch dies von euch fordert, und euer Christus wäre ein Ssanam el heiwana, wenn er von euch etwas verlangte, was kein Mensch zu erfüllen vermag!«
»Du sprichst als Moslem, der nicht die Liebe kennt; wir Christen aber kennen und üben sie. Du hast mein Leben gewollt, es aber nicht bekommen; dafür schenke ich dir das deinige.«
Indem ich dies sagte, nahm ich sein Messer, zerschnitt damit die Fesseln, hielt es ihm dann hin und fügte hinzu:
»Diese Klinge durfte mich nicht treffen; also gebe ich sie dir zurück. Nimm sie hin!«
Da sprang er empor. Seine Augen öffneten sich weit; sein Mund – ich möchte beinahe sagen, er sperrte ihn auf, und seine beiden Hände zuckten vorwärts, ohne aber das Messer zu ergreifen.
»Allah ja'lam el geb – Gott kennt das Verborgene; ich aber weiß nicht, was ich denken soll!« rief er aus. »Ist das immer noch Spott, oder ist es Ernst?«
»Es ist Ernst.«
»Schwöre mir das bei Allah zu!«
Christus verbietet uns zu schwören. Ein Christ spricht nur die Wahrheit; da bedarf es keines Schwures.«
»So schenkt ihr mir das Leben?«
»Ja.«
»Wirklich das Leben?«
»Wirklich!«
»Aber wenn ich nun in meiner Rache fortfahre?«
»So wird Gott uns behüten, wie er uns vorhin behütet hat. Du sagtest dort am Tische, weder Gott noch ich selbst werde mir helfen können; jetzt siehst du, daß er mir geholfen hat; auf ihn verlaß ich mich auch fernerhin. Du bist frei und kannst mit deiner Rache machen, was du willst!«
Da riß er das Messer aus meiner Hand, trat einige Schritte zurück, sah bald mich, bald Halef mit ungewissen Blicken an und sagte dann, halb spöttisch, halb gerührt:
»Ich danke dir, Effendi, ich danke dir! Wenn das, was du jetzt gesprochen und gethan hast, wirklich aus deinem Herzen kam, so bist du entweder plötzlich verrückt geworden, oder das Christentum ist doch besser, viel besser, als ich gedacht habe. Da ich aber ein vorsichtiger Mann bin und weder dir noch deinem Glauben traue, werde ich mich jetzt schnell entfernen und nicht so lange warten, bis dir der verlorengegangene Verstand zurückgekehrt ist. Sollte er aber nicht zurückkehren, so vermehre Allah euer Wohlsein um soviel, wie ihr an Verstand verloren habt!«
Er raffte seine Decke zusammen und eilte zur Thür hinaus. Einige Minuten später ritt er davon, ohne, wie wir später hörten, der Wirtin etwas bezahlt zu haben. Als der Hufschlag seines Pferdes in der Stille der Nacht verklungen war, machte Halef ein teils ärgerliches und teils lustiges Gesicht und sagte:
»Da ist er hin, ganz so, wie ich gedacht habe, ohne Strafe und ohne Hiebe! Und dabei glaubt er nicht einmal, daß es dein Ernst gewesen ist! O Sihdi, Sihdi, was muß ich alles an dir erleben! Du erfreust deine Feinde mit Barmherzigkeit und betrübst deine Freunde mit Wehmut über das Leder der Peitsche, die sie nicht schwingen dürfen! Ich hätte fürs Leben gern einmal bis hundert gezählt; nun aber ist mir durch deine Güte der Ort verloren gegangen, auf den ich zählen wollte. Wenn du in dieser Weise fortfährst, deine Feinde zu belohnen, wird jeder kluge Mann es vorziehen, dein Gegner anstatt dein Freund zu sein!«
»Räsonniere immerhin! Ich weiß doch, lieber Halef, daß ich ganz nach deinem Herzen gehandelt habe. Früher warst auch du ein Anhänger der Thar und konntest nicht genug Blut zu sehen bekommen; jetzt aber thut es dir wehe, einen Wurm zu treten.«
»O, Effendi, da hast du recht, sehr recht, denn je größer der Wurm ist, desto weher thut es mir, und wenn er gar in Menschengestalt erscheint, so ist der Islam mit allen Khalifen und Auslegungen vergessen, und ich denke nur an dich, aus dem ich doch einst einen Moslem machen wollte. Wenn das so fortgeht, wirst du mich noch dahin bringen, von einem eurer Priester die heilige Ma'mudija zu erbitten. Komm, laß uns zum zweitenmal schlafen gehen! Man wird uns nicht wieder stören wie beim erstenmal, denn dieser Ssali Ben Aqil kehrt nicht zurück; er hat erfahren, daß es leichter ist, uns freundlich zum Essen einzuladen, als die Gesetze der Blutrache an uns auszuführen. Wenn er einst dem Engel des Todes so leicht entkommt, wie er unserer Vergeltung entgangen ist, wird er den siebenten Himmel Muhammeds erreichen.«
Wir warfen noch einige Griffe Holz in das Feuer und legten uns dann wieder nieder, ohne daß ein Mensch im Hause erfahren hatte, wie nahe wir dem Tode gewesen waren. Es ist kaum glaublich, mit welchem Gleichmute man, wie wir, aus einem Erlebnisse in das andere reitend, Ereignisse hinnimmt, welche an andern Orten und bei andern Menschen das größte Aufsehen erregen und die ganze Bevölkerung in Alarm setzen würden. Aber grad dieser Gleichmut ist es, auf den dabei so viel ankommt und mit dessen Hilfe es gelingt, Gefahren zu überwinden, denen man ohne ihn erliegen würde.
Als Halef annahm, daß wir nun nicht wieder gestört würden, hatte er sich geirrt, denn wir mochten noch nicht zwei Stunden geschlafen haben, als uns ein Lärm erweckte, welcher sich draußen erhoben hatte. Es war ein vielstimmiges Schreien und Brüllen, aus welchem wir zuweilen den Ruf »ia harik, ia harik!« heraushörten. Es brannte also irgendwo im Orte, und so wenig uns das eigentlich anging, wir sprangen doch auf und rannten hinaus, um unsere Hilfe anzubieten, wenn sie nötig war.
Wir sahen, daß es sich um einen bedeutenden Brand handelte, und eilten der betreffenden Gegend zu. Denkt man sich eine Feuersbrunst des Nachts in einem kleinen abgelegenen Städtchen Deutschlands, und zwar zur Zeit, als es noch keine Feuerwehren gab, so hat man einen ganz, ganz kleinen Begriff von dem großen Wirrwarr, in den wir mit hineingerissen wurden, und von den Scenen, die wir vor und um uns sahen. Es brannte am entgegengesetzten Ende des Ortes; dorthin rannte und strömte alles, oder vielmehr: man wurde gerannt und geströmt. Wir steckten nach kurzer Zeit in einem dichten Knäuel von Menschen, aus dem es absolut kein Entkommen gab. Dieser Knäuel wogte bald nach rechts, bald nach links, bald vor- und oft auch wieder rückwärts. jeder, der einen Mund hatte, schrie so laut, wie er nur schreien konnte; aber was da brannte, wo es brannte und bei wem es brannte, das schien niemand zu wissen; wir konnten es nicht erfahren. Wir waren »eingekeilt in fürchterlicher Enge«, hatten keinen Willen, konnten uns nicht selbständig bewegen und mußten uns die größte Mühe geben, nur beisammenzubleiben.
In diesem Gedränge dachte ich an unsere Pferde, die wir im Eifer, uns hilfsbereit zu zeigen, ohne Schutz und Aufsicht im Khan gelassen hatten. Wie nun, wenn ihnen etwas geschah! Man hatte meinen Rih gesehen und bewundert, und hier in dieser Gegend war fast jeder Mensch ein geborener Pferdedieb. Mir wurde angst; ich teilte Halef meine Besorgnisse mit, und wir gaben uns nun alle Mühe, uns Bahn zu brechen, um nach dem Khan zurückzukehren. Aber je mehr wir schoben, drängten und stießen, desto mehr wurden wir gedrückt und gequetscht, gestoßen und geschlagen. Wir fühlten bald, wie man sich auszudrücken pflegt, unsere Knochen nicht mehr, und schon gaben wir es auf, unsern Willen durchzusetzen, als uns plötzlich Hilfe wurde, und diese Hilfe kam durch die Tulumba.
Tulumba – was ist das? Natürlich das, was bei einer Feuersbrunst das unumgänglich Notwendigste ist, nämlich die Spritze. Eine Spritze! Gab es denn in jenem kleinen, abgelegenen Orte Kurdistans eine Spritze, wirklich eine Spritze? wird man mich ungläubig fragen. Ja, es gab eine, und was für eine! O Talumba! Ich habe dich in der Türkei gesehen; ich bin dir in Persien begegnet, und du hast mich in Kairo sogar einmal mit dem Esel, auf dem ich zufälligerweise saß, umgerissen, so daß der Esel auf mich und ich unter ihn zu liegen kam; aber die Gestalt, in welcher du mir hier in Khoi erschienen bist, hätte mich beinahe irre gemacht an dir und deiner wohlbekannten Körperkonstitution oder vielmehr -konstruktion. Tulumba, o Tulumba, mir graut seitdem vor dir! Befandest du dich inkognito dort? Hattest du dich verkleidet, um nicht erkannt zu werden? Oder war es nur Verstellung von dir? Mag dem sein, wie ihm wolle, das Kismet mag mich kurz und gut davor bewahren, daß du mir in dieser Gestalt und dieser Weise im Leben noch einmal begegnest! O Tulumba, schreckliche Tulumba!
Es soll Menschen geben, welche Zweck und Mittel, Hauptsache und Nebensache, Fördernis und Hindernis zu verwechseln pflegen. Wer das nicht für möglich hält, der mag nach Khoi gehen und sich die dortige Tulumba zeigen lassen; dann wird und muß er daran glauben! Um das zu begreifen, denke man sich einen – – doch nein, man denke sich nichts, sondern man mache die Erfahrung in der Weise, wie ich sie gemacht habe und wobei einem zunächst das Denken sofort und gründlich vergeht. Also wir beide, Halef und ich, hatten vergeblich versucht, aus dem harten, dichten Menschenklos, in welchem wir zwei verschwindend kleine Grieben bildeten, herauszukommen; diese unsere Bemühungen hatten nur den gar nicht bezweckten Erfolg gehabt, daß wir immer weiter hinein und schließlich etwas auseinander gerieten. Halef war jetzt nun eine kleine Strecke hinter mir, so daß sich vielleicht fünf oder sechs Personen zwischen uns befanden. Ich drehte mich, immer fortgeschoben werdend, häufig nach ihm um und konnte mich nur mit Hilfe von Gebärden mit ihm verständigen, weil bei dem allgemeinen, ohrenbetäubenden Gebrüll Worte nicht zu verstehen waren.
Dieses Brüllen war so entsetzlich, daß ich überzeugt war, es könne unmöglich noch gesteigert werden. Ein Lärm in deutscher und ein Gebrüll in kurdischer Sprache, das giebt übrigens einen ganz bedeutenden Unterschied, gar nicht zu gedenken, daß viele Schreier sich auch der türkischen, arabischen und persischen Sprache bedienten. Plötzlich verwandelten sich diese fürchterlichen Tonwellen in die entsetzlichsten Tonwogen; das Brüllen wurde zum Toben, und zwar nicht allgemein, sondern grad hinter mir. Ich drehte mich um und bemerkte in der Menge eine eigenartige, von dem steten Vorwärtsdrängen abweichende Bewegung, die ich mir nicht erklären konnte. Man stelle sich an ein stehendes Wasser und sehe einen Fisch, der an der Oberfläche in gerader Richtung schwimmt! Das Wasser wird vorn an der Spitze seines Kopfes gehoben werden und nach hinten dann nach rechts und links auslaufende Strahlen werfen. Die Köpfe der Menschenmenge hinter mir als eine solche Wasserfläche gedacht, bemerkte ich ganz dieselbe nach beiden Seiten auslaufende Strahlenbewegung, konnte aber den Fisch nicht sehen, welcher auch ganz so, wie der erwähnte, das Wasser mit seiner Schnauze hob; das heißt mit anderen Worten, die Menschen vor sich in die Höhe warf; denn es wurden in langsam fortschreitender, grad auf mich zu gerichteter Bewegung alle von der Spitze dieser Bewegung getroffenen Personen über die Köpfe der Menge emporgeschleudert. Wer oder was war der Karpfen oder der Hecht, der auf der Fläche der dichtgedrängten Menschenköpfe diese sonderbaren Wellen warf? Ich wußte es nicht und konnte es nicht erfahren, denn ein jeder, den ich fragte, war mit sich selbst und seiner Rettung so sehr beschäftigt, daß er keine Zeit oder Lust hatte, mir Antwort zu geben.
Der unsichtbare Fisch kam, von einem gradezu sinnverwirrenden Toben menschlicher Stimmen begleitet, langsam aber sicher näher. Fast hatte er Halef erreicht, der ihn nicht bemerkte; da hob ich beide Arme empor, um eine warnende Bewegung zu machen, kam aber damit zu spät, denn grad in diesem Augenblicke wurde auch der kleine Hadschi emporgeschleudert. Er hatte sich unter einem breit- und tiefästigen Horbaume befunden und flog so hoch, daß er, die Hände unwillkürlich nach Hilfe ausstreckend, einen der Äste ergriff und an demselben hängen blieb. Natürlich brüllte er nun auch, was er nur brüllen konnte; ich hörte es zwar nicht, aber ich sah es an seinem Munde, der jetzt nicht mehr ein Mund, sondern ein Maul zu nennen war und so weit aufgerissen wurde, daß sich alle zweiunddreißig Zähne präsentierten, denn Halef besaß ein Gebiß, um welches er beneidet werden konnte.
Indem ich ihn beobachtete, dachte ich nicht an mich; da fuhr mir plötzlich etwas zwischen die Beine. Ehe ich darnach fassen und mich überzeugen konnte, was es war, wurde ich auch emporgehoben und erhielt einen plötzlichen, kräftigen Schwung, sicherlich vier Ellen hoch, aus welcher Höhe ich verkehrt auf die Köpfe der Menschenmenge niederstürzte, wo ich, ohne den Erdboden wieder zu erreichen, von zwanzig, dreißig, vierzig Händen, die sich nach mir ausstreckten, ergriffen, gestoßen, gezogen, geschoben und gezerrt wurde, daß ich beinahe auch wie Halef den Mund weit aufgerissen hätte, um mit zu brüllen. So wurde ich eine kleine Weile, auf den Köpfen der Menschen liegend, hin und her gerissen, bis mir der Gedanke kam, mich auf ungewöhnliche Weise in Sicherheit zu bringen. Ich war in den Prairien Nordamerikas oft mit andern Jägern mitten in die Herden wilder Büffel hineingeritten und, während die Herde vorwärts stürmte, von dem Rücken des einen Bison auf den Rücken des andern gesprungen, was man thut, um sich das zum Fleischmachen passendste Tier auszusuchen. Daran dachte ich jetzt. Ich befreite mich von den Händen, die mich grad gepackt hielten, richtete mich halb auf und turnte mich mit allen vieren auf den Köpfen hin, wobei ich gar keine Rücksicht darauf nahm, wohin ich meine Hände und Füße setzte und zahlreiche Püffe und Stöße austeilte, aber deren auch soviel und mehr zurückbekam, als ich mir nur wünschen konnte. Wie dann später mein Gewand aussah, kann man sich wohl denken! Doch: mit der Nadel in der Hand, flickt man öfters sein Gewand!
Mein Rettungsweg war nach der Pappel gerichtet, in deren Zweigen Halef jetzt in olympischer Ruhe und Sicherheit thronte; es war gar nicht weit dorthin, aber die Stöße, welche ich austeilte und wiederbekam, erschwerten mir die Passage in der Weise, daß ich endlich mit wenigstens fünfzehn Minuten »Verspätigung« bei meinem Hadschi Halef Omar einfuhr. Einfuhr ist hier das ganz richtige Wort, denn ich flog gradezu in das Gezweig hinein und mußte mich fest anklammern, um nicht auf der andern Seite wieder hinauszufliegen.
Halef schrie mir etwas zu, was ich aber nicht verstand. Ich war von der gehabten Anstrengung fast erschöpft; ich schnappte förmlich nach Atem und fühlte das Schlagen des Pulses durch den ganzen Körper. Als ich nach einigen tiefen Atemzügen ruhiger geworden war und mir einen festen Sitz genommen hatte, fand ich Zeit, den Blick unter mich zu richten, und da sah ich denn endlich den sonderbaren, geheimnisvollen »Fisch«, der sich stet und kräftig in das Menschenmeer hineinarbeitete und Halef und mich mit seiner Schnauze so hoch emporgeworfen hatte. Dieser Fisch war die Tulumba, die Feuerspritze. Sie war jetzt an der Pappel vorüber; wir beobachteten, wie sie sich weiterarbeitete, und konnten ihre Konstruktion erkennen.
Ich war, als ich diese Konstruktion sah, zunächst ziemlich verblüfft, brach aber dann in ein herzliches Lachen aus, welches leider in dem allgemeinen Getöse vollständig verloren ging. Auch Halef lachte, wie ich seinem lustig verzogenen Gesichte ansah.
Wenn ein Feuer ausbricht, muß man es mit Wasser löschen; das ist jedenfalls ein guter Gedanke. Wenn ein Feuer ausbricht, so strömen die Menschen scharenweise zusammen; das ist ein Gedanke, welcher jedenfalls auch viel Wahrheit für sich hat. Ein abendländischer Spritzenfabrikant würde den ersten Gedanken für den Hauptgedanken erklären. Der orientalische Meister aber, aus dessen Händen die Tulumba hervorgegangen war, hatte eine Logik gezeigt, die alle occidentale Logik weit übertraf. Er hatte den Zeigefinger an die Nase gelegt und sich gesagt: »Was nützt es, wenn man aus einer Tulumba Wasser in das Feuer spritzen kann und es wegen des Menschenandranges nicht möglich ist, sie an den Ort zu bringen, wo es brennt!« Er hielt also pfiffigerweise den Transport des Wasserspeiers für wichtiger als das Spritzen selbst und hatte infolgedessen bei der Konstruktion das Hauptgewicht darauf gelegt, die Hindernisse zu bewältigen, welche der Fortbewegung der Tulumba im Wege standen. Er als Erfinder hatte wahrscheinlich auch einmal von den »sechs einfachen Instrumenten«, Hebel, Rolle, Rad, schiefe Ebene, Keil und Schraube, gehört und dabei eine besondere Vorliebe grad für den Keil gefaßt. War es da ein Wunder, daß ihm die geplante Tulumba in keilförmiger Gestalt im Traum erschienen war und er diesen Wink des Traumgottes ausgeführt hatte? Ja, er war sogar noch klüger und umsichtiger als dieser Gott gewesen, denn er hatte die keilförmige Konstruktion mit einer hebelnden Bewegung versehen, durch welche es ermöglicht wurde, jeden der Tulumba nicht ausweichenden Menschen einfach in die Luft zu schleudern, worauf es dann in dem Belieben des Betreffenden stand, entweder in der Luft kleben zu bleiben oder sich mit den bekannten Fallgesetzen auf vertraulichen Fuß zu stellen.
Ich fühle mich außer stande, die Möglichkeit in Abrede zu stellen, daß sich unter meinen Lesern der Besitzer einer deutschen Spritzenfabrik befindet. Sollte es dieser Herr für zu seinem weiteren Fortkommen unbedingt notwendig halten, die Konstruktion der Tulumba von Khoi kennen zu lernen, so füge ich für ihn die Zeichnung dieser Feuerspritze bei, wobei ich zugleich den Zweck verfolge, meine geometrischen Talente bewundern zu lassen.
Zum Verständnisse dieser Zeichnung diene folgendes: a b ist eine Wagenachse, an welcher sich in a und b zwei sehr hohe Räder drehen; auf ihr ruht das aus starkem, festem Holz gefertigte Gestell c a d b, dessen Widerstandsfähigkeit durch den Balken c d erhöht wird. Das Ganze bildet also einen zweiräderigen Wagen mit je einem langen, schmalen Balkendreieck vorn und hinten, die sich die Wage halten. Es bedarf also gar keiner Anstrengung, das hintere Dreieck zu senken und dadurch das vordere zu heben, oder umgekehrt. Die Mannschaft der Tulumba befindet sich im Innenraume des hinteren Dreieckes, kann also mit den zu beseitigenden Inhabern des Ehrentitels »Publikum« nicht in direkte Karambolage kommen. Diese Feuerwehrmänner – es waren ihrer zwanzig – schieben das Gestell vorwärts, ohne alle Rücksicht in die Menschenmenge hinein. Sie heben dabei von Zeit zu Zeit die hinteren Balken hoch, wodurch sich der vordere Teil tief senkt und den im Wege stehenden an und zwischen die Beine gerät, denn die Spitze geht in einen schmalen, scharfen Balken aus. Ziehen sie nun hinten plötzlich nieder, so werden diejenigen, welche von der Spitze ergriffen worden sind, je nach der Gewalt des Ruckes mehr oder weniger hoch emporgeworfen, während die keilförmige Gestalt die andern auf die Seite drängt. Man kann sich das Geschrei, die Quetschungen und Püffe denken, die es giebt, wenn so ein Keil in die dichte Menschenmenge hineingerannt wird! Auf den Gedanken, eine solche Tulumba zu bauen, kann man freilich auch nur kommen, wenn man es mit einer kurdischen Bevölkerung zu thun und ein kurdisches Gehirn im Kopfe hat.
Es ist selbstverständlich, daß die Spritze nur höchst langsam vorwärts kommt, denn es muß sehr oft angehalten werden, und es kommt häufig vor, daß sich das widerspenstige Publikum zur Wehre setzt. Geschah es doch auch im gegenwärtigen Falle, daß die Talumba die Brandstätte gar nicht erreichte und das große Holzlager, welches die Brandstifter angesteckt hatten, vollständig eingeäschert wurde.
Aber der umsichtige Erfinder hatte wirklich auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß die Spritze an dem Orte ihrer Bestimmung ankam, und für diesen Fall bei Punkt e der Wagenachse einen starken Haken angebracht, an welchem ein Wasserfaß mit einigen Eimern hing. Wenn ich seit jener Zeit nach Beispielen suche, um die sozialen Verhältnisse des Orients zu illustrieren, so fällt mir immer zuerst die Tulumba von Khoi ein. Übrigens ist dieser kurdische Ort Khoi ja nicht mit der persischen Stadt gleichen Namens zu verwechseln, welche in der Provinz Aserbeidschan an der Karawanenstraße von Erzerum nach Tobriz liegt und eine der schönsten persischen Städte mit gegen dreißigtausend Einwohnern ist.
Ich blieb mit Halef auf der Silberpappel sitzen, bis die Tulumba nicht mehr zu sehen war und mit ihr sich das Gedränge verzogen hatte. Dann stiegen wir herunter. Jetzt fühlte ich erst die Püffe und Stöße, die ich bekommen hatte. Auch Halef rieb verschiedene Teile des Körpers und sagte dabei in seiner eigenartigen, humoristischen Weise:
»Sihdi, wenn das Feuer dort so brennt, wie mir meine Glieder brennen, so ist es nicht zu löschen, zumal im Fasse der Tulumba kein Wasser war.«
»Kein Wasser? Weißt du das?«
»Ja, denn einem von den Männern, welche die Spritze schoben, war der Tschibuk ausgegangen und er steckte ihn in das Faß, um ihn dort aufzubewahren, was er doch wohl unterlassen hätte, wenn Wasser drin gewesen wäre.«
Ich mußte laut auflachen. Ein Feuerwehrmann mit dem Tschibuk, und das Wasserfaß als Aufbewahrungsort für Tabakspfeifen, das war doch mehr als komisch! Halef lachte mit und fuhr fort:
»Der Mann, der diese Tulumba erfunden hat, muß den Gedanken dazu vom obersten der Schejatin erhalten haben.
Möge er dafür in der Hölle braten, wo es hoffentlich keine Feuerspritzen giebt, die Marterflammen auszulöschen. Mein Leib fühlt sich an wie eine alte Kameldecke, aus welcher der Schmutz von hundert Jahren herausgeklopft worden ist. Ein Glück ist's, daß das Kismet so vernünftig war, mir diese Hor et thalis hierherzusetzen, die dir auch Schutz gegeben hat! Als du auf den Köpfen dieser Männer von Khoi herumzappeltest, stach mich der Schmerz des Mitleids durch die Seele. Deine Haltung und deine Bewegungen waren so majestätisch wie diejenigen des Padischah von Persien, wenn er Audienz erteilt, und wenn mich nicht der Gedanke an unsere Pferde – – oh, Effendi, unsere Pferde, unsere Pferde! Was würden wir thun, wenn man sie gestohlen hätte!«
»Komm schnell nach dem Khan, Halef! Der Weg dorthin ist nun freigeworden, und ich fühle eine Unruhe in mir, die sich nicht weggebieten läßt. Wir müssen zu den Pferden!«
Indem ich diese Worte sprach, lief ich auch schon mit eiligen Schritten davon, und der kleine Hadschi folgte mir, indem er wegen seiner Beine, die bedeutend kürzer waren als die meinigen, sich beinahe springend fortbewegte. Wir dachten nicht mehr an das Feuer, sondern nur noch an die Pferde, die wir in hilfsbereiter Menschenfreundlichkeit auf so unverantwortliche Weise ohne Aufsicht gelassen hatten. Es gab eine Stimme in mir, welche so deutlich und bestimmt, als ob ein Mensch zu mir spräche, behauptete, daß in Beziehung auf die Tiere etwas geschehen oder irgend etwas nicht in Ordnung sei. Leider sollte diese Stimme recht behalten, denn als wir den Khan erreichten, in dessen Hof sich kein Mensch befand, weil außer der Wirtin alle nach der Brandstätte gelaufen waren, und dort in die Stube traten, fanden wir dieselbe vollständig dunkel, denn es brannte kein Licht, und das Feuer auf dem Herde war ausgegangen. Ich wartete gar nicht ab, bis ich die hintere Abteilung erreichte, sondern rief gleich beim Eintreten mein Pferd beim Namen. Es war gewohnt, mir stets und gleich durch ein freundlich klingendes Schnauben zu antworten; diese Antwort aber blieb jetzt aus, und so eilte ich erschrocken hinter, indem ich dem Hadschi zurief:
»Sie sind fort, Halef, sie sind fort, denn wären sie noch da, so würde Rih sich hören lassen!«
Halef blieb stehen; er, der sonst so wackere Mann, der keine Furcht und kein Zagen kannte, konnte vor Schreck nicht weiter. Ich hörte es ihm an, daß es ihm Mühe machte, die Worte hervorzustoßen:
»Fort, fort sind sie? Allah mu'awin – Gott sei unser Helfer! Wenn man uns die Pferde gestohlen hat, so liegen wir hier wie Fische auf dem Trockenen. Mir ist der Schreck in alle meine Glieder gefahren; ich hoffe, daß wenigstens die deinigen davon verschont bleiben!«
Als ich die hintere Abteilung erreichte und die Hände nach den Pferden ausstreckte, griff ich in die Luft; meine Ahnung hatte mich also nicht betrogen. Und eine fast noch schlimmere Befürchtung durchzuckte mich, als mir jetzt unsere Waffen einfielen. Wenn meine Gewehre auch fort waren, so ergab das doppelten Verlust. Ich hatte sie, ehe wir vorhin fortrannten, zu Halefs Flinte in die hintere Ecke gelegt und unsere Decken darauf geworfen. Jetzt war ich mit einigen raschen Schritten dort und bückte mich nieder. Gott sei Dank! Die Decken lagen noch da, und ich fühlte unter ihnen die Gewehre! Zugleich hörte ich Halef rufen:
»Sind sie fort, sind sie wirklich fort, die Pferde, Effendi?«
»Leider, ja!«
»So möge der Scheitan die Diebe braten und bis auf die Knochen verbrennen lassen, daß seine brennende Großmutter keinen Bissen von ihnen genießen mag! Ich muß mich selbst überzeugen, ob es wahr ist. Ich komme hinter; ich komme zu dir! Und wenn dann die – – – Allah! Da bin ich über eine Person gestolpert, welche am Boden liegt und – -o Allah, Allah! Komm he rzu mir, Sihdi, komm schnell her! Da liegt ein Mädchen oder ein Weib, eine Frau, die rund um den ganzen Körper gebunden ist und nicht reden kann, weil sie einen Knebel im Munde hat. Das können nur die Diebe gewesen sein, denn ein ehrlicher Mensch kennt die Regeln der Höflichkeit, nach denen man die Frauen zu behandeln hat und die es jedermann verbieten, einer Sejide einen Gegenstand in den Mund zu stecken, nach dem sie keinen Appetit verspürt!«
Der kleine Kerl behielt selbst in der gegenwärtigen Lage die possierliche Ausdrucksweise bei, die eine Folge seiner stetigen guten Laune war. Ich folgte natürlich seiner Aufforderung, ging aber zuerst nach dem Tische, wo ich den Stumpf des Talglichtes, welches vorhin dort gebrannt hatte, noch vermutete. Er war noch da und ich erhellte mit seiner und eines Zündholzes Hilfe die Stube. Da sah ich die Wirtin am Boden liegen; sie war mit Baststricken umwickelt, daß sie sich nicht rühren konnte, und hatte soviel von ihrer Schürze, wie nur möglich war, in den Mund gestopft bekommen. Als wir sie von den Fesseln und dem Knebel befreit hatten, holte sie einige Male tief, tief Atem und bat dann in flehendem Tone:
»Thu mir nichts, Emir! Laß es nicht mich entgelten, denn ich bin unschuldig, vollständig unschuldig daran!«
»Das glaube ich dir,« antwortete ich. »Es fällt mir gar nicht ein, dir Übles zuzufügen. Setz' dich hierher an den Tisch, und erzähle uns ausführlich, was sich während unserer Abwesenheit hier zugetragen hat!«
Ich führte sie, die an allen Gliedern zitterte, zur Bank und zog sie auf dieselbe nieder. Es dauerte trotz meines begütigenden Zuredens eine geraume Zeit, ehe sie in gesammelter Weise erzählen konnte:
»Als alle Menschen zum Feuer rannten, wollte ich auch mit fort; aber es fiel mir ein, daß ich das Haus nicht allein lassen dürfe und also hier bleiben müsse. Aber ich fürchtete mich draußen und ging darum herein in diese Stube. Kaum befand ich mich hier, so kamen viele fremde Kerls herein, welche wie Räuber bewaffnet waren und über mich herfielen. Ich wurde gebunden und dann nach euch gefragt, ob Emir Kara Ben Nemsi Effendi und Hadschi Halef Omar wirklich eure Namen seien. Wenn ich mein Leben retten wollte, so mußte ich die Wahrheit sagen, denn der Anführer stand mit dem gezückten Messer vor mir und drohte, mich zu erstechen, wenn ich mich weigere, ihm die richtige Antwort zu geben. Kannst du mir darüber zürnen, daß ich mein Leben behalten wollte, Emir?«
»Nein, du bist vollständig unschuldig. Sag, kanntest du nicht wenigstens einen dieser Diebe?«
»Nein; sie waren mir alle unbekannt; aber ich weiß dennoch, wer sie gewesen sind, denn ehe sie sich entfernten, sagte mir der Anführer, um euch zu ärgern und zu verhöhnen, wer sie seien.«
»Ah! Das ist mir von der größten Wichtigkeit! Wahrscheinlich aber hat er gelogen, um uns irre zu führen. Welche Namen hat er genannt?«
»Er hat nicht gelogen, sondern er ist wirklich der, für den er sich ausgab, denn ich sah die tiefe Schmarre auf seiner rechten Wange, und ich weiß, daß Schir Samurek eine solche Schmarre besitzt, die er im Kampfe mit den Bebbehkurden erhalten hat.«
»Ah, Schir Samurek! Meinst du etwa den Scheik der Kurden vom Kelhur-Stamme?«
»Ja, der war es, Effendi. Alle Kelhurs sind Räuber, und er ist der oberste und schlimmste aller Räuber. Sie hatten es auf eure Pferde abgesehen. Dein Hengst biß und schlug um sich wie ein Teufel, als er hinausgeführt werden sollte; aber sie hatten Stricke mitgebracht, die sie ihm um die Beine warfen und so gelang es ihnen, ihn hinauszuziehen. Mit dem Pferde des Hadschi Halef Omar hatten sie keine solche Not. Sie waren voller Bewunderung und Entzücken über den Rappen, und der Scheik freute sich so sehr über das Gelingen des Raubes, daß er mir, ehe ich den Knebel in den Mund erhielt, erzählte, wie er auf den Gedanken gekommen ist und ihn ausgeführt hat, sich dein Pferd zu holen. Er hat mir sogar befohlen, es dir zu erzählen. Er meinte, du solltest erfahren, wie sehr du betrogen worden bist, und würdest dann einsehen, daß alle Christenhunde Dummköpfe seien.«
»Schön! Zu dieser Einsicht wird mich niemand bringen; höchst wahrscheinlich aber wird im Gegenteile er sehr bald erkennen, daß diese Verhöhnung der größte Fehler war, den er begehen konnte. Zunächst freilich wird er und sein Stamm sehr stolz darauf sein, das weltberühmte Pferd jetzt zu besitzen, doch bin ich überzeugt, daß diese Freude keine lange Dauer hat. Wie hat er denn erfahren, daß ich mich hier in eurem Khan befinde?«
»Du wirst erstaunen, wenn du das erfährst, Emir! Weißt du, wer der Mensch gewesen ist, der unser Geld gestohlen hat, obgleich wir ihm alle Ehren der Gastlichkeit erwiesen haben?«
»Nein.«
»Es giebt unter den Bebbeh-Kurden einen, den alle seine Feinde fürchten und alle seine Freunde hassen, denn sie sind nicht wirklich seine Freunde, sondern nennen sich nur so. Er ist listig wie Abu Hossein, gewaltthätig wie Assad und blutdürstig wie ein Parsa mit dem schwarzen Felle. Es genügt ihm nicht, bei seinem Stamme zu bleiben und an den Kämpfen desselben teilzunehmen, sondern wenn die Bebbeh mit den andern Aschair in Frieden leben, zieht er allein hinaus, um auf eigene Faust zu rauben und zu stehlen. Er heißt Aqil und ist der Oheim der beiden Scheiks Ahmed Azad und Nizar Hared, welche Söhne des früheren Scheikes Gasahl Gaboya sind.«
»Kull ru'ud – alle Donner!« entfuhr es mir, der ich mich nur höchst selten einmal zu einem solchen Kraftworte hinreißen lasse. »Von diesem Menschen habe ich noch nie etwas gehört. Und Aqil heißt er? Weißt du das gewiß?«
»Ja, Effendi; ich irre mich nicht, denn man spricht grad hier in unserer Gegend sehr viel von seinen Thaten.«
»Und der Gast, mit dem wir hier gegessen haben, nannte sich Ssali Ben Aqil! Er leugnete zwar, ein Kurde zu sein, doch glaubte ich ihm nicht. Sollte er der Sohn dieses Aqil sein, von dem du redest?«
»Er ist es, Emir.«
»Das hast du gewußt und ihn doch herein in das Haus gelassen?!«
»Ich habe es nicht gewußt, sondern es erst von Schir Samurek erfahren, der mir befahl, es dir zu sagen, ›damit dein Leib vor Ärger platze‹; das waren nämlich ganz genau die Worte, die er sagte.«
»Gut! jetzt möchte ich wissen, ob die Anwesenheit dieses Ssali Ben Aqil mit dem Hiersein seines Vaters im Zusammenhang steht.«
»Nein, der Sohn hat nicht geahnt, daß sein Vater kurz vor ihm hier bei uns gewesen ist. Auch das hat mir der Scheik der Kelhur-Kurden erzählt. Und nun kommt das wichtigste, was ich dir zu sagen habe, weil ich es dir sagen soll. Die Kelhur und die Bebbeh stehen nämlich in Blutrache miteinander, welche daher stammt, daß Aqil vor zwei Jahren einen Kelhur getötet hat. Das fordert das Blut Aqils oder eines Verwandten von ihm, denn durch eine Zahlung kann es nicht friedlich ausgeglichen werden, weil die Kelhur einen Preis gefordert haben, der nicht zu erschwingen ist. Aber heut hat Aqil doch geglaubt, diesen hohen Preis zahlen zu können und deshalb die Kelhur aufgesucht, von denen er wußte, daß sie in der Nähe unserer Stadt lagerten.«
»Welch ein Gedanke von diesem Kerl! Ich ahne, was du sagen willst. Er hat sich durch meinen Rapphengst von der Blutrache loskaufen wollen?«
»Ja. Er war, ohne daß wir es ahnten, hier bei uns. Da kamt ihr; er hörte, wer ihr seid, und sah auch eure Pferde. Schon vorher hatte er beschlossen, unser Geld zu stehlen; er that es und ritt dann auf unserm Pferde zu den Kelhur, um ihnen deinen Hengst als Blutpreis anzubieten.«
»Das war allerdings mehr als mutig, das war verwegen, ja tollkühn von ihm! Wahrscheinlich hat er heut nacht das Pferd stehlen oder später auf irgend eine Weise in seinen Besitz bringen und ihnen dann zuführen wollen; aber er konnte sich doch denken, daß sie ihn zunächst festhalten und dann zwingen würden, ihnen zu sagen, wo es zu haben ist!«
»Ja, Emir; so wie du es sagst, genau so ist's geschehen. Sie haben ihn ergriffen und so lange geprügelt, bis er gesagt hat, daß ihr hier bei uns seid. Nun bekommt er den Lohn für seine Thaten: er muß den Blutpreis mit dem Leben zahlen; sie aber haben ihm nicht nur das gestohlene Geld abgenommen, sondern sind auch hierher geritten, um sich dein Pferd selbst zu holen. Unterwegs ist ihnen auch sein Sohn in die Hände gefallen, der nun ebenso verloren ist wie sein Vater. Oh, Effendi, Allah hat es nicht gut mit dir und uns gemeint, denn unser Geld ist weg und dein Rappe ist weg. Was die Kelhur in ihren Händen haben, das geben sie nie wieder heraus!«
»Das mag eine Eigentümlichkeit von ihnen sein, von der sie nicht freiwillig abgehen werden; aber ich habe auch gewisse Eigentümlichkeiten, die ich mir nicht nehmen lasse. Dazu gehört zum Beispiel die Gewohnheit, daß ich, wenn ich bestohlen worden bin, nicht eher ruhe, als bis ich das Gestohlene zurückbekommen habe.«
»Meinst du etwa, daß du von den Kelhur-Kurden dein Pferd zurückverlangen willst?«
»Ja.«
»So willst du sie aufsuchen?«
»Ja.«
»Aber du weißt doch nicht, wohin sie von hier aus geritten sind!«
»Ich werde sie trotzdem finden.«
»So müßtest du allwissend sein!«
»Nur Allah ist allwissend; aber er hat uns in seiner Allweisheit den Verstand gegeben, mit dessen Hilfe man das, was man nicht weiß, ergründen und erfahren kann.«
»Willst du dein Leben von dir werfen, Effendi? Weißt du, was es heißt, die Kelhur zu verfolgen, um den Raub von ihnen zurückzufordern? Ihr begebt euch dadurch in den sichern Tod!«
»Du irrst. Der Tod ist nur den Kelhur sicher, wenn sie sich weigern, uns die Pferde zurückzugeben.«
Da bog die Frau den Oberkörper zurück und sah mich mit prüfenden Blicken an wie einen Wahnsinnigen, vor dem man sich in acht zu nehmen hat. Und als es ihr nicht gelang, etwas Verrücktes an mir zu entdecken, schüttelte sie den Kopf und sagte: »Effendi, ich habe gehört, daß ihr Christen Leute seid, welche nicht nur anders glauben und anders fühlen und denken, sondern auch alles anders machen als wir. Darum ist es vielleicht möglich, daß du etwas erreichst, wo ein gläubiger Moslem nichts erreichen würde. Du und Halef, ihr beide habt viel gethan, was man eigentlich nicht glauben möchte. Denkt ihr wirklich, daß es euch gelingen könne, eure Pferde wieder zu bekommen?«
»Ja, das denken wir.«
»Allah! Wenn die Kelhur gezwungen werden können, euch euer Eigentum zurückzuerstatten, könnte man sie doch auch dazu anhalten, uns unser Geld wiederzugeben?«
»Allerdings.«
»Aber kein Einwohner von Khoi würde es wagen, zu ihnen zu gehen, um ihnen dieses Ansinnen zu machen. Emir, weißt du wohl, wie höflich und gastfreundlich wir dich empfangen und behandelt haben?«
Es war eine sehr wohlbegründete und erlaubte Schlauheit, welche ihr diese Frage diktierte, und ich ging bereitwillig auf dieselbe ein, indem ich lächelnd antwortete:
»Ja, ich weiß sehr wohl, welche Aufmerksamkeit wir euch zu verdanken haben.«
»So sag, ob euch eure Lehre vielleicht die Dankbarkeit verbietet!«
»Die Dankbarkeit ist eine der hervorragendsten Tugenden jedes Christen.«
»Oh, Effendi, dann bitte ich dich, ein recht guter Christ zu sein und deiner Lehre zu gehorchen, indem du uns wieder zu unserem Gelde verhilfst!«
»Gesetzt, daß ich bereit bin, dir diesen Wunsch zu erfüllen, wie denkst du es dir, daß ich es ermöglichen kann?«
»Das brauche ich dir doch wohl nicht erst zu sagen. Du willst doch den Kelhurkurden nach, um ihnen eure Pferde wieder abzuverlangen; es würde eure Mühe nicht vermehren und die Gefahr nicht vergrößern, wenn ihr da auch gleich unser Geld mitbrächtet!«
Halef lachte, als er diese Worte hörte; ich aber antwortete sehr ernsthaft.
»Da hast du freilich recht, und ich bin auch sehr gern bereit, dir diesen Dienst zu erweisen, werde dies aber nicht thun können, wenn du mir nicht vorher einen Gefallen erweisest.«
»So sag schnell, was du verlangst! Wenn ich kann, werde ich es sehr gern thun.«
Ich hatte einen ganz besondern Grund, in dieser Weise mit ihr zu sprechen. Wir mußten unsere Pferde unbedingt wieder haben und die Diebe also verfolgen. Den Weg, den diese eingeschlagen hatten, mußten uns ihre Spuren verraten, welche aber erst nach Tagesanbruch zu sehen waren. Bis dahin hatten die Kurden jedenfalls einen Vorsprung, den wir nur mit Hilfe guter Pferde einholen konnten, und doch waren so wertvolle Tiere hier jedenfalls weder zu kaufen noch zu borgen, wenn es überhaupt welche gab. Ich Mußte, um mich nach ihnen richten zu können, diese Verhältnisse von der Wirtin erfahren und mich zugleich ihrer Hilfe versichern, falls es galt, etwas zu unternehmen, was sie eigentlich nicht gutheißen durfte. Darum antwortete ich:
»Wir müssen den Kelhur nachreiten und sie einholen; dazu brauchen wir Pferde. Denkst du, daß wir hier welche kaufen können?«
»Es giebt keinen Händler hier, und ich kenne auch keinen Pferdebesitzer, welcher den Gedanken hat, ein Pferd zu verkaufen.«
»Auch nicht zu verleihen?«
»Nein.«
»Das ist schlimm, denn wenn wir keine Pferde bekommen, können wir den Kelhur nicht folgen und dir auch nicht zu deinem Gelde verhelfen.«
»Oh, Effendi, wir haben noch zwei Pferde im Stalle; die werde ich euch leihen.«
»Sind sie gute Renner?«
»Nein. Sie sind schon fast zwanzig Jahre alt. Das beste hat dieser Aqil gestohlen und auf dem zweitbesten ist dann mein Mann fort.«
»So alte Tiere sind uns nichts nütze, denn die Räuber haben einen großen Vorsprung, den wir mit ihnen nicht einholen können. Du wirst also auf das schöne Geld verzichten müssen.«
»Allah kerihm – Gott ist gnädig; aber grad uns scheint er nicht seiner Gnade teilhaftig machen zu wollen,« klagte sie.
»Giebt es denn gar keinen Menschen hier, der zwei gute, schnelle Pferde hat?«
»Oh, es giebt wohl einen; aber der verkauft sie nicht und verborgt sie noch viel weniger.«
»Auch dann nicht, wenn er erfährt, daß er deinem Manne damit zu seinem Gelde verhilft?«
»Dann erst recht nicht, denn er ist ein Feind von uns.«
»So! Wer ist denn dieser Mann?«
»Unser Nachbar, der von Kerkuk hierher gezogen ist. Er ist erst ein kleiner Baijah gewesen und dann Tabbach el adwija geworden, als welcher er sich viel, sehr viel Geld verdient hat. Man sagt, daß er nicht ehrlich gewesen sei und deshalb Kerkuk habe verlassen müssen. Hier in Khoi ist er der reichste Mann und tritt wie ein Pascha von drei Roßschweifen auf. Er besitzt zwei teure Kamele und fünf noch teurere Pferde, von denen er erst kürzlich zwei gekauft hat, die noch nicht an den Stall gewöhnt sind.«
»Noch nicht an den Stall? So befinden sie sich wohl im Freien?«
»Ja.«
»Wo?«
»In dem Garten, welcher draußen vor dem Orte liegt.«
»Das ist aber doch eine sehr große Unvorsichtigkeit, zwei so gute Pferde da draußen so ohne alle Aufsicht stehen zu lassen!«
»Ohne Aufsicht sind sie nicht, denn in dem Garten steht ein Kiosk, in dem er selber schläft und von zwei Dienern bewacht wird.«
»Liegt dieser Garten nach derjenigen Seite der Stadt, wo die Feuersbrunst entstanden ist?«
»Nein, sondern nach Norden. Warum fragst du, Effendi?«
»Das kann ich dir nur sagen, wenn ich weiß, daß du verschwiegen bist. Vielleicht kannst du dadurch dein Geld wiederbekommen.«
»Emir, wenn das der Fall ist, wird kein Wort über meine Lippen kommen! Du bist klüger, viel klüger als mein Herr und Gebieter, welcher nach einer ganz falschen Richtung geritten ist; darum ist den Kelhur das Geld in die Hände gefallen. Ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie die Feuersbrunst entstanden ist. Die Kelhur haben sie angezündet, weil sie dachten, ihr würdet hinlaufen und eure Pferde hier ohne Wache lassen; dann könnten sie sie leichter stehlen. Dies ist auch geschehen. Aber ihr werdet sie euch wiederholen und dabei auch unser Geld mitbringen. Nun sag mir aber auch, was ich verschweigen soll!«
»Ich will es dir sagen. Ich muß die Kelhur einholen; dazu brauche ich schnelle Pferde. Da ich sie aber weder verkauft noch verborgt bekomme, muß ich sie mir ohne Erlaubnis des Besitzers leihen. Verstehst du mich?«
Die Kurdin war nicht auf den Kopf gefallen. Sie blinzelte mir verständnisinnig zu, nickte dabei mit dem Kopfe und fragte:
»Wirst du sie ihm wiederbringen?«
»Natürlich! Wir sind keine Diebe.«
»Willst du dir etwa die beiden schönen, neuen Pferde des Apothekers borgen?«
»Ja.«
»Da kann ich nichts dagegen haben, zumal er nicht ein Freund von uns ist und ich dir sagen muß, daß es die schnellsten Pferde von ganz Khoi sind.«
»Hm, ja! Wenn ich nur genau wüßte, wo der Garten liegt!«
Sie senkte nachdenklich den Kopf und sagte nach einer Weile:
»Du wirst einsehen, Effendi, daß ich dir in einer solchen Sache nicht behilflich sein kann; aber wenn du es erlaubst, werde ich dir einen guten Rat geben.«
»Gieb ihn mir; ich bitte dich darum!«
»Brauchst du auch zwei Sättel?«
»Nein. Wir hatten die unserigen den Pferden abgenommen und sie dann als Kopfkissen gebraucht; sie liegen noch da hinten, denn die Kelhur haben sie, ich weiß nicht warum, nicht mitgestohlen.«
»So laßt von jetzt an einige Minuten vergehen; dann nehmt ihr die Sättel und verlaßt den Khan. Wenn ihr links an drei Häusern vorüber seid, werdet ihr eine Frau sehen, der ihr folgen müßt, ohne euch ihr aber ganz zu nähern. Draußen vor der Stadt wird sie euch ein Zeichen geben, indem sie den Stock, den sie in der Hand hat, an eine Pforte lehnt und sich dann entfernt. Ihr folgt ihr nicht weiter, denn diese Pforte gehört zum Garten, in welchem sich die Pferde des Apothekers befinden. Wollt ihr diesen Rat befolgen?«
»Ja.«
»So sei Allah mit euch! Er gebe, daß ihr das Geld wiederbringt; denn wenn es mein Herr und Gebieter nicht zurück erhält, muß er es ersetzen und wird so arm wie ein Bettler sein!«
Sie stand auf und ging hinaus. Halef sah mich an; lachte kurz und leise auf und fragte:
»Sihdi, willst du diese Pferde wirklich borgen?«
»Natürlich! Oder können wir anders?«
»Nein. Auch ist es ein Streich, der mir außerordentlich gefällt. Ich mache mit Vergnügen mit. Aber was denkst du von dieser Wirtin?«
»Sie ist eine sehr kluge Frau.«
»Klüger, viel klüger als ihr Mann! Wer wird das Weib sein, dem wir folgen sollen?«
»Sie selbst.«
»Das denke ich auch. Der Kopf des Mannes gleicht oftmals einem leeren Beutel; im Kopfe der Frau aber ist stets noch ein Piaster zu finden, und wenn der letzte herausgenommen worden ist, steckt immer noch ein allerletzter drin! Es ist nicht mehr lange bis zur Morgenröte. Wir müssen die Pferde haben, ehe es Tag geworden ist. Laß uns aufbrechen, Effendi!«
Wir nahmen unsere Gewehre, die Decken und jeder einen Sattel. Das Feuer beschäftigte immer noch alle Bewohner der Stadt. Wir kamen unbemerkt hinaus und bis an das bezeichnete Haus. Dort stand eine tief verhüllte Frau, welche einen Stock oder Pfahl in der Hand hatte. Es war natürlich die Wirtin, welche uns Hilfe leistete, ohne es später geständig sein zu wollen. Als sie uns kommen sah, ging sie weiter, und wir folgten ihr. Die Feuersbrunst war jetzt noch so groß, daß sie uns leuchtete.
Es ging auf bald schmalen und bald breiteren Wegen zwischen den Häusern und Hütten hin, bis wir den Ort hinter uns hatten. Da erreichten wir einen aus Dornen bestehenden langen Zaun, in dessen Mitte die etwa zwanzig Schritte vor uns hergehende Frau stehen blieb, um den Pfahl anzulehnen; dann huschte sie seitwärts fort. Als wir die Stelle erreichten, sahen wir eine Pforte, welche nicht verschlossen, sondern angelehnt war. Höchst wahrscheinlich hatte das Feuer den Apotheker auch so schnell angezogen, daß ihm der Gedanke an das Zuschließen nicht gekommen war. Wir gingen zunächst einige hundert Schritte weiter, bis wir im freien Felde einen Steinhaufen fanden, wo wir die Sättel und Gewehre niederlegten. Dann zur Pforte zurückgekehrt, schoben wir sie auf, hinter uns wieder zu und traten in den Garten.
Der Schein des Feuers wirkte hier nicht mehr so wie vorher; dennoch sahen wir die Bäume, den Kiosk und nicht weit von dem letzteren eine Art von Verplankung, nach der wir uns schlichen. Wir erreichten sie ungestört; die Diener schienen sich ebenso wie ihr Herr entfernt zu haben. Die beiden Pferde standen hinter den Planken, an Pfählen angebunden. Wahrscheinlich wußte der Apotheker nicht, daß gesunde Pferde sich des Nachts zu legen pflegen. Der Eingang zur Verplankung war bald gefunden. Wir gingen hinein und banden die Pferde los. Es waren zwei Grauschimmel, die sich zwar erst etwas sträubten, sich aber unsern Liebkosungen so zugänglich zeigten, daß sie uns dann willig folgten. Wir brachten sie glücklich hinaus und bis zu dem Steinhaufen, wo wir ihnen die Sättel auflegten.
Jetzt waren sie unser, und kein Mensch wäre imstande gewesen, sie uns wieder wegzunehmen. Wir hatten sie grad zur rechten Zeit bekommen, denn im Osten zeigte sich der fahle Schein des neuen Tages.
»Allah sei Dank; wir haben Pferde!« sagte Halef. »Und ich glaube, die Frau hat recht gehabt! Diese Grauschimmel scheinen von keinen schlechten Ahnen zu stammen. Aber nun fragt es sich, nach welcher Richtung wir uns zu wenden haben. Wie denkst du darüber, Sihdi?«
»Ich denke daran, daß die Kelhurkurden das Feuer angelegt haben, um uns und die Bewohner von Khoi nach der Brandstätte zu locken. Werden sie dazu einen Ort gewählt haben, an dem sie dann mit unsern Pferden vorüber mußten?«
»Gewißlich nicht; sie werden vielmehr dafür gesorgt haben, daß ihr Weg nach der entgegengesetzten Richtung liegt.«
»Nun, in dieser entgegengesetzten Richtung befinden wir uns jetzt. Reiten wir zehn Minuten langsam in derselben fort, so wird zwar der Schein der Feuersbrunst verschwunden, dafür der Morgen so hell geworden sein, daß wir nach den Spuren der Diebe suchen können. Sind diese gefunden, so verlieren wir sie sicherlich nicht wieder. Komm!«
Ich stieg auf, und Halef folgte meinem Beispiele. Dabei bemerkten wir, daß die Pferde Temperament besaßen und wohl seit langem keinen Reiter getragen hatten; sie mußten aber gehorchen. Noch waren die zehn Minuten nicht vergangen, so sahen wir seitwärts ein Pferd liegen. Wir ritten hin, und ich stieg ab, den Kadaver zu untersuchen. Man hatte es in den Kopf geschossen und zwar nicht früher als in dieser Nacht, denn das Blut, in dem es lag, war noch nicht ganz geronnen. Warum war es erschossen worden? Ich setzte mein»e Untersuchung fort und entdeckte sehr bald, daß es nicht weitergekonnt hatte, weil ihm ein Bein zerschlagen worden war.
»Halef, wir haben die Fährte schon!« rief ich, erfreut über diesen schnellen Erfolg. »Sieh die Fußspuren hier an der Erde! Fußspuren von Menschen und Fußstapfen von Pferden!«
»Aber ob es die Kurden gewesen sind?!«
»Ganz gewiß! Diesen Fund haben wir meinem Rih zu verdanken.«
»Wieso, Effendi?«
»Der Rappe verweigert, wie du weißt, fremden Leuten den Gehorsam; er ist nicht leicht fortzubringen gewesen, und gar aufsitzen, das hat niemand wagen dürfen. Sie hatten aber Eile, und da mögen sie ihn gedrängt, vielleicht gar mißhandelt haben; da hat er nach seiner Weise um sich geschlagen und diesem Pferde das Bein zerschmettert. Sie konnten es nicht mitnehmen, sondern mußten es erschießen und hier liegen lassen.«
»Ja, Sihdi, so mag es gewesen sein. Die Spur ist gefunden, und ich hoffe zu Allah, daß wir unsern herrlichen Rih bald wieder haben werden. Denkst du, daß ihr Vorsprung ein sehr großer ist?«
»Der Zeit nach läßt er sich genau bestimmen, nämlich vom Anfange des Brandes bis jetzt; die Entfernung aber können wir nicht so genau wissen. Sie haben sich gewiß beeilt; aber wir müssen auch die Widersetzlichkeit des Rappen mit in Betracht ziehen. Dieses kluge Tier weiß ganz genau, daß es uns entführt worden ist, und wird sich auf alle Weise wehren; schlägt man es, dann um so schlimmer, denn dann geht es erst recht nicht von der Stelle. Wenn es noch ein wenig heller geworden ist, werde ich die Fährte genauer bestimmen können, der wir nun folgen wollen.«
Ich stieg wieder in den Sattel, und wir ritten weiter, den Spuren nach, die so deutlich waren, daß wir sie gar nicht verfehlen konnten, obgleich der Tag erst zu grauen begonnen hatte und von einer eigentlichen Helle noch keine Rede war.
Unser Weg führte uns nach Norden. Die Kurden hatten alle Wege sorgfältig vermieden und überhaupt, wie wir aus verschiedenen Anzeichen erkannten, eine für sie ganz ungewöhnliche Vorsicht entwickelt. Als Halef sich darüber verwunderte, erklärte ich ihm:
»Sie wissen, mit wem sie es zu thun haben. Der Scheik hat in seinem Übermute der Wirtin alles mitgeteilt und, wie er wohl auch wissen wird, durch seinen Hohn unsere Thatkraft herausgefordert. Er muß sich sagen, daß wir alles mögliche thun werden, wieder zu unsern Pferden zu gelangen, und ihm also folgen werden. Da muß er sich nun nach allem, was er von uns gehört hat, sagen, daß er Leute hinter sich hat, welche eine solche Verfolgung in ganz anderer Weise betreiben als die gewöhnlichen Bewohner dieser Gegend. Daher die Vorsicht, deren er sich in jeder Beziehung zu befleißigen scheint. Aber, so groß sie auch ist, mit unserer Erfahrung kann er sich doch nicht messen. Wir sind ihm, wenn wir von der Zahl der Personen absehen, auf alle Fälle überlegen.«
»Da hast du recht, lieber Sihdi,« nickte der Hadschi zustimmend. »Du hast es jenseits des großen Meeres im Bilad Amirika gelernt, wie man eine Fährte zu lesen und ihr zu folgen hat, und bist in dieser großen Kunst nun hier mein Lehrmeister gewesen. Wir werden zwar, weil wir nur zwei Personen sind, etwas wagen müssen, aber unsere Pferde ganz gewiß wieder bekommen. Denn ein Ausbund von Klugheit ist dieser Scheik der Kelhur nicht; das hat er ja heute nacht bewiesen.«
»Wodurch?«
»Dadurch, daß er unsere Gewehre und die Sättel nicht beachtet hat. Denke nur, wie kostbar dein Reschma ist! So ein Sattel- und Riemenzeug kann kein Kelhurkurde haben. Diese Kerls müssen ja geradezu mit Blindheit geschlagen gewesen sein, daß sie sich diesen Schatz und Schmuck entgehen ließen!«
»Es ist aber sehr leicht zu erklären, wie das geschehen konnte. Erstens haben sie es sehr eilig gehabt, denn wir konnten wieder kommen, ehe sie fort waren, und da es nur auf meinen Rih abgesehen war, fühlten sie sich befriedigt und nahmen sich nicht die Zeit, weiter zu forschen, als sie ihn hatten. Und zweitens ist es hinter der Schirmwand in unserer Abteilung dunkel gewesen, so daß sie in der Eile die Gegenstände, welche noch da lagen, gar nicht gesehen oder beachtet haben. Höchst wahrscheinlich hat ihnen Aqil, als sie ihn zum Geständnisse zwangen, von dem Reschma nichts gesagt.«
»So wollte ich, er sagte es ihnen jetzt. Wie würden sie sich darüber ärgern, daß sie sich eine so reiche Beute haben entgehen lassen! Mögen sie dafür in der Hölle auf Sätteln reiten müssen, welche aus glühendem Eisen bestehen und mit den tausendspitzigen Häuten teuflischer Kanafid überzogen sind!«
Die Fährte führte uns über grasiges Terrain, welches die Spuren deutlich erkennen ließ. Der Tau hing noch an den Halmen und flimmerte gleich Perlen und Diamanten im Strahle der aufgehenden Sonne. Die niedergetretenen Gräser hatten sich noch nicht wieder aufgerichtet. Aus diesem Umstande, der Windrichtung, der Bodenart und andern Verhältnissen, welche mit in Betracht zu ziehen waren, schloß ich, daß sich die Kurden ungefähr um einen Zweistundenritt vor uns befanden. Verglich ich damit den Zeitraum von jetzt an bis zurück, als sie wahrscheinlich Khoi verlassen hatten, so kam ich zu dem Resultate, daß ihre Schnelligkeit keine ungewöhnliche war, obgleich sie sich jedenfalls sehr beeilten. Daran war nur Rih, mein Rappe schuld.
Nach dieser Berechnung konnten wir sie in drei Stunden ohne eine übermäßige Anstrengung unserer Pferde einholen, und so setzten wir sie, die wir bisher noch gar nicht angetrieben hatten, nun in schnelleren Gang. Halef nahm an, daß wir gleich in Aktion würden treten können, sobald wir die Kurden erreicht haben würden; dem setzte ich aber entgegen:
»Wie viel Reiter glaubst du wohl, daß wir vor uns haben?«
»Ich verstehe das nicht so genau zu beurteilen wie du, Sihdi, zumal ihre Spuren zeigen, daß sie nicht Ordnung gehalten haben, sondern immer wirr untereinander hineingeritten sind; aber es müssen ihrer so ungefähr dreißig sein.«
»Ich schätze sie wenigstens auf vierzig Mann.«
»Das thut doch nichts, zehn Mann mehr oder weniger, das ist uns ganz gleichgültig; wir nehmen ihnen doch auf alle Fälle die Pferde ab!«
»Stelle dir das nicht so leicht vor! In diesem Augenblicke können sie schon ein Hundert oder mehrere Hundert zählen.«
»Wieso, Sihdi? Ein Kurde ist doch keine Namusa, die sich unterwegs in der Luft vermehrt!«
»Erstens vermehren sich selbst die Mücken nicht in der Luft, und zweitens mußt du damit rechnen, daß die Kelhur, welche uns bestohlen haben, sehr wahrscheinlich nur eine Abteilung eines größeren Lagers gebildet haben.«
»Wie kommst du auf diesen Gedanken?«
»Indem ich die Umstände in Betracht ziehe. Nämlich Aqil hat die Kelhur aufgesucht, um mit ihnen zu verhandeln; er hat also gewußt, wo sie sich befunden haben. Vierzig Reiter aber sind eine sehr bewegliche Truppe, die bald hier und bald da auftaucht und von der man nicht wissen kann, wo sie zu finden ist. Wenn also Aqil so genau gewußt hat, wo die Kurden anzutreffen waren, so hat es sich nicht um eine so mobile Reiterschar, sondern um ein viel weniger bewegliches Lager gehandelt. Ich denke, daß du das einsehen wirst.«
»Natürlich sehe ich es ein, Effendi. Aber wenn das so ist, so wird die Sache ganz anders, als ich es mir gedacht habe. Ich glaubte, wir könnten gleich, sobald wir sie eingeholt haben, unter sie hineinfahren wie zwei Kanonenkugeln in einen Ameisenhaufen, so daß die Erde nach allen möglichen Seiten und Richtungen auffliegt.«
»Das würden wir selbst dann nicht thun, wenn es sich nur um diese vierzig Reiter handelte. Was nützt uns die Wiedererlangung unserer Pferde, wenn wir dabei erschossen werden!«
»Oh, nicht jede Kugel trifft, Effendi!«
»Das ist richtig; aber wenn vierzig Kugeln auf uns abgeschossen werden, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß wenigstens zwei von ihnen treffen. Ich weiß, daß du ein tapferer Krieger bist, der sich selbst vor hundert und noch mehr Feinden nicht fürchtet; aber die Tapferkeit darf nicht in Verwegenheit ausarten. Dem wahren wirklichen Mute steht stets die Vorsicht, die Bedachtsamkeit zur Seite.«
»Richtig, Sihdi, sehr richtig! Ich weiß, was du meinst. Du willst wieder einmal listig sein. Oh, du bist ein Held, ein großer Held; das weiß ich ja, denn ich habe es tausendmal erfahren und gesehen; ich bin mit dabei gewesen, daß du ganz allein und mitten in der dunkelsten Nacht dem Löwen bis an die Mähne gegangen bist; ich bin dabei gewesen, daß du mitten in ein Lager von über tausend feindlichen und über uns ergrimmten Beduinen hineinrittest und sie halb durch den Donner deines Gewehres und halb durch den Schall deiner Stimme besiegtest. Ich habe dich im großen Haufen der Gegner kämpfend stehen sehen wie einen Felsen in der Brandung, wie einen Riesen unter Zwergen, wie einen Elefanten unter krabbelnden Ameisen und hüpfenden Flöhen. Ja, das habe ich gesehen, denn ich bin dabei gewesen und nicht von deiner Seite gewichen. Das Herz ist mir dabei groß und weit geworden, und der Stolz hat mir die Brust geschwellt, denn wenn wir dann als Sieger heimkehrten, so wurden wir empfangen von dem Jubel der Unserigen, von dem Preise der Kamandschat und dem Frohlocken der Anfar; die kleine Nakkara sang unser Lob, und die große Tarabukka schlug den Takt dazu; die Krieger beneideten uns; die Frauen und Mädchen tanzten den Reigen des Entzückens um uns her, und Hanneh, mein Weib, das beste und schönste Weib der Erde, die duftigste und lieblichste Blume unter allen Blumen der Wiesen, Felder und Gärten, schlug dann im stillen Zelte die Arme um mich, weinte Thränen der Freude und nannte mich ihren Liebling, den einzigen Gedanken ihres Herzens, den Besitzer ihrer Seele und den Sonnenschein ihres Glückes!«
Der gute Halef liebte Hanneh, sein Weib, mit einer seltenen Innigkeit; jetzt, da er an sie dachte, ließ er eine Pause der Rührung folgen. Er sprach sehr gern von unsern Erlebnissen, und wenn er es that, so geschah es in jener orientalischen Weise, welche die Ausschmückung, wenn nicht die Übertreibung liebt. Er sprach dann gewöhnlich von mir, meinte aber natürlich sich selbst auch mit und war dafür besorgt, daß von dem Lobe, welches er mir erwies, ein wohlgemessener Anteil auf ihn fallen mußte. Ich gönnte ihm das gern, denn er war trotz der Kleinheit seiner Gestalt von einer Furchtlosigkeit, der ich oft einen Dämpfer auflegen mußte, und hatte Gefahren bestanden, die ihm die Bewunderung sogar der an ein bewegtes Leben gewöhnten Beduinen sicherten.
Er fuhr nach einer kleinen Weile fort:
»Ja, so ist es gewesen; so habe ich dich als Held gesehen, den kein Mensch besiegen kann. Aber noch schöner fast und viel lustiger war es, wenn du die Waffen stecken ließest und dich der List bedientest. Was ist die Klugheit von tausend Kurden oder Perser gegen uns, wenn wir einmal den Entschluß gefaßt haben, sie mit den Pistolen des Geistes, den Flinten der List und den Messern der Verschlagenheit zu besiegen! Es mögen die gescheitesten Männer des Sultanreiches kommen, wir überlisten sie doch alle und machen ihnen eine Nase, die von hier bis hinüber nach Mekka und dann wieder zurück bis nach Teheran und Isfahan reicht.«
»So schlimm ist es doch wohl nicht, lieber Halef,« warf ich ein.
»Schlimm nicht, Effendi, aber großartig! Denke nur zurück, was wir durch Schlauheit schon alles erreicht haben! Was kein Mensch für möglich hielt und was wir mit hundert Kanonen nicht erreicht hätten, das haben wir nur durch listige Streiche fertig gebracht. Wenn wir dem Tode so nahe standen, daß ich seinen kalten Hauch schon bis auf die Knochen fühlte und keine Verwegenheit uns retten konnte, dann dachtest du dir einen Kniff aus, der uns aus den Wassern der Hoffnungslosigkeit nach dem Ufer der Erlösung brachte. Wie oft wurden unsere Feinde grad dann auf das ärgste getäuscht, wenn sie bei Allah und dem Propheten darauf geschworen hätten, uns vollständig hintergangen und betrogen zu haben! Wie oft wurden uns verderbliche Schlingen mit einer Geschicklichkeit gelegt, die selbst dich und mich in Erstaunen versetzte; aber wir waren dann doch noch feiner und lachten hinterher über die, die sich über uns ärgern mußten. Wie viele Male haben wir den Vögeln geglichen, deren Beine in der Schlinge stecken und nach denen sich schon die tödliche Hand ausstreckt, um ihnen den Hals umzudrehen; aber deine List hat den Knoten stets noch zur rechten Zeit zu lösen vermocht, und wenn die Hand zuschnappte, sind wir mit dem Nagha el Masgara davongeflogen.«
Gezwitscher des Gespöttes, das war gut! Ich mußte lachen. Da sah er mich fast zornig von der Seite an und fragte in scharfem Tone:
»Was giebt es da zu lachen, Effendi? Hältst du das Halsumdrehen für eine so lustige Sache?«
»Das Halsumdrehen nicht, aber das Zwitschern.«
»Spotte nicht! Ich weiß gar wohl, daß Allah weder dir noch mir anstatt des Mundes einen Sperlings- oder Finkenschnabel verliehen hat, und wenn ich mich im Gespräche mit dir der höhern, bilderreichen Kunst der Rede bediene, so thue ich das aus Achtung vor deiner Gelehrsamkeit, die es nicht verdient, von dir verlacht zu werden. Du bist ein großer Held und oft noch größer in der List, hast aber dabei sehr häufig den Fehler, Vorzüge nicht anzuerkennen, die mich, deinen Freund und Diener, über die leeren Köpfe anderer Sterblicher erheben und dir den Beweis geben sollten, daß es Allah außerordentlich gut mit dir gemeint hat, als er es so fügte, daß du mich kennen lerntest!«
Der kleine Hadschi fühlte sich sehr leicht beleidigt, selbst auch von mir. In solchen Fällen pflegte ich zu schweigen, denn sein Zorn verrauchte ebenso schnell, wie er gekommen war, und sein gutes Herz und seine Anhänglichkeit machten es ihm unmöglich, mir etwas nachzutragen. So auch hier. Als eine Weile verging, ohne daß ich sprach, überflog er mein Gesicht mit einem prüfenden Blicke und fragte in besorgtem Tone:
»Was ist mit dir, Sihdi? Du redest nicht, und wir befanden uns doch so schön im Flusse des Gespräches. Habe ich dir weh gethan?«
»Nein. Ich dachte nur über die Vorzüge nach, die dich so hoch über mich erheben.«
»Über dich? Das habe ich nicht gemeint; davon habe ich nicht gesprochen, denn alle die Vorzüge, welche ich besitze, hast erst du doch in mir ausgebildet. Drum preise und danke ich Allah täglich in allen fünf Gebeten dafür, daß er mich damals mit dir zusammenführte, als wir uns mitten in der Wüste kennen lernten. Willst du nun wieder gut mit mir sein?«
»Ich bin gar nicht bös auf dich gewesen!«
»Diese deine Worte erquicken mein Herz und erfreuen meine Seele bis dahin, wo sie am tiefsten in meinem Innern liegt. Es kommt sehr selten aber doch zuweilen vor, daß du unzufrieden mit mir bist. Dann fahren mir zehntausend Debabis durch mein Gemüt, und es ist mir, als ob im Mittelpunkte der Liebe, die ich zu dir fühle, hunderttausend Kibritat frengija brennen. Ich habe dann nicht eher Ruhe, als bis dein Mund wieder lächelt und dein Auge wieder freundlich geworden ist.«
Das mit den Stecknadeln und Zündhölzern war wieder gut! Ich hütete mich aber sehr, mein Lachen von vorhin zu wiederholen.
»Wir sind übrigens,« fuhr er fort, »ganz von dem abgekommen, was wir vorhin sprachen. Du meintest, daß wir nicht Gewalt sondern List gegen diese Kurden anwenden wollen. Hast du dir den Streich, den wir ihnen spielen werden, vielleicht schon ausgedacht?«
»Nein.«
»Aber ein guter Feldherr muß stets schon vorher wissen, welch einen Plan er auszuführen hat!«
»Ich bin kein Feldherr; aber wenn ich einer wäre, würde ich nicht eher einen Plan entwerfen, als bis ich den Feind und alle Verhältnisse, die ihn und seine Absichten betreffen, kennen gelernt hätte. Wenn du ein Pferd kaufen willst, kannst du da, ehe du es gesehen hast, im voraus sagen, wie du es behandeln wirst?«
»Nein.«
»Ebensowenig können wir jetzt schon bestimmen, in welcher Weise wir gegen die Kelhur vorgehen werden. Laß uns übrigens das Gespräch abbrechen, denn ich finde, daß die Fährte nun unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt!«
Hatten die Kurden bisher alle gangbaren Wege vermieden, so gab es jetzt keine Wege mehr, denen sie sich hätten fernhalten müssen. Wir waren erst über grasige Flächen, dann durch lichten Wald gekommen und ritten jetzt eine nackte, weit ausgedehnte und schräg ansteigende Felsentafel hinan, auf welcher die Pferdehufe keine Stapfen hatten hinterlassen können; ich hatte mich nur an kleine, winzige Zeichen zu halten, leise Schürfungen oder Kratzungen, die einem weniger geübten Auge sicherlich entgangen wären.
Daß die Kurden den gangbaren Wegen ausgewichen waren, sollte jedenfalls eine Vorsichtsmaßregel von ihnen heißen, war aber gar nicht geeignet, der Klugheit ihres Anführers von mir eine gute Censur zu erwirken. Ein harter, festgetretener Weg nimmt die Spuren nicht so auf wie der weiche Grasboden, und wenn ich der Verfolgte gewesen wäre, so hätte ich grad die Wege gewählt, um, von dem einen in den andern einbiegend und also verschiedene oder gar ganz entgegengesetzte Richtungen einschlagend, den Verfolger von mir abzubringen. Schir Samurek hatte pfiffig sein wollen, war aber grad das Gegenteil von klug gewesen.
Als wir den oberen Rand der Felsenplatte erreichten, sahen wir eine weite Heidestrecke vor uns liegen, deren Ende aber nicht ersehen werden konnte, weil sie mit zwar einzeln stehenden doch in ihrer Gesamtheit die Fernsicht hindernden Kiefern bestanden war. Von hier aus gingen die Spuren auseinander; sie führten nach allen Richtungen, natürlich nur nicht rückwärts, in die Heide hinein.
»Allah 'w Allah!« rief Halef aus. »Das ist ein sehr böser Streich, den die Kurden uns da gespielt haben, ein sehr böser!«
»Wieso?« fragte ich.
»Siehst du denn nicht, daß sie sich getrennt haben, um uns irre zu führen? Dieser Schir Samurek ist doch nicht ganz so dumm, wie er uns bis hierher vorgekommen ist!«
»Er ist im Gegenteile noch viel dümmer, als ich gedacht habe!«
»Wirklich, Sihdi? Ich bitte dich, mir das zu erklären!«
»Das liegt doch so klar auf der Hand, daß es gar keiner Erklärung bedarf. Denkst du etwa, daß die Kurden sich hier für immer voneinander getrennt haben, Halef?«
»Nein; es ist nur eine Finte von ihnen.«
»Die ihnen aber gar nichts nützt, denn ihr Anführer hat jedenfalls den Punkt bestimmt, an welchem sie alle wieder zusammentreffen.«
»Ah, jetzt verstehe ich dich! Da brauchen wir ja nur einer dieser Fährten zu folgen, um den Punkt auch zu erreichen, von welchem du gesprochen hast.«
»Natürlich! Diese Finte ist so dumm, daß ein ganz gewöhnlicher Indianer sich schämen würde, auf sie verfallen zu sein. Wir wählen uns diejenige Fährte aus, welche am stärksten ist, die also von der zahlreichsten Abteilung stammt und – – – schau hier! Da ist der Heideboden aufgewühlt, daß ganze Schollen umhergeflogen sind. Es hat sich eines der Pferde geweigert, weiter zu gehen, und ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht mein Rih gewesen wäre. Dieser Fährte und keiner andern folgen wir. Komm!«
Wir gaben unsern Pferden die Sporen und galoppirten auf den erwähnten Spuren hin, denn die weit auseinanderstehenden Kiefern hinderten uns nicht, ein so schnelles Tempo einzuhalten! Unsere Grauschimmel waren jung; der Apotheker, vielleicht kein guter Reiter, hatte sie zwar ziemlich aus der Schule kommen lassen, unter uns aber fanden sie sich leicht zurück, und ich wurde zu meiner Genugthuung überzeugt, daß wir zu unserm Zweck gar keine geeigneteren Tiere hätten bekommen können.
Als wir eine Viertelstunde so fortgeritten waren, senkte sich die Höhe wieder niederwärts und wir kamen in ein wasserloses, sandiges Thal, in welchem nur Ginsterbüsche und andere anspruchslose, holzige Schmetterlingsblütler ihr Leben fristeten. In diesem Sande war die Fährte so deutlich zu sehen, wie wir nur wünschen konnten, und als wir dem Thale und seinen Windungen vielleicht eine kleine halbe Stunde gefolgt waren, sah ich eine Spur von links herabkommen und sich mit derjenigen, welcher wir folgten, vereinigen. Dann stieß eine zweite, dritte, vierte und fünfte herzu, bis die Hufeindrücke, welche droben an der Felsenplatte auseinander gegangen waren, sich alle wieder vereinigt hatten.
»Sihdi, du hast recht gehabt,« sagte Halef. »Jetzt sind die Kurden wieder beisammen und der Kniff ihres Anführers hat uns nicht eine Minute aufhalten können. Sobald wir ihn gefangen genommen haben, werde ich ihm sagen, daß er, wenn er in der Einbildung lebt, sich mit dir messen zu können, einer alten, dicken, heiseren Batta gleicht, welche sich erfrecht, mit den Belabil des siebenten Himmels um die Wette zu singen!«
Fast hatte ich wieder gelacht und zwar nicht etwa über den Vergleich zwischen Ente und Nachtigall, sondern über die Sicherheit und Selbstverständlichkeit, mit welcher er annahm, daß wir den Scheik festnehmen würden, wir, zwei fremde, einzelne Männer, den mächtigen Befehlshaber der Kelhurkurden, der auf alle Fälle mehr als die vierzig Krieger befehligte, die ihn zum Raube meines Pferdes nach Khoi begleitet hatten! Aber so war der kleine, kühne Kerl nun einmal. Wir hatten bei unsern Reisen und fast allen unsern Erlebnissen so viel Glück gehabt, daß er verwöhnt worden war und es für ganz ausgeschlossen hielt, daß uns einmal etwas mißlingen könne. Ja, er hatte sich sogar angewöhnt, seine Ansprüche an das Glück viel, viel höher zu spannen, als zum Gelingen unserer jeweiligen Absichten nötig war. So sprach er auch jetzt nicht etwa nur von der Zurückgewinnung unserer Pferde, sondern er wollte sogar den Scheik gefangen nehmen, und es stand bei ihm über allen Zweifel erhaben, daß dies auch wirklich geschehen werde. Es fiel mir gar nicht ein, sein Selbstvertrauen herabzustimmen, denn grad diese seine Zuversichtlichkeit war es, die ihn zu einem brauchbaren Gefährten in jeder Not und Gefahr gemacht hatte. Ich nickte also halb zustimmend und antwortete:
»Wenn wir unsern Zweck auf keine andere Weise erreichen können, wird es freilich notwendig sein, Schir Samurek in unsere Gewalt zu bringen. Dieses Mittel haben wir, wenn alle andern fehlschlagen wollten, schon oft angewendet. Hat man sich des Anführers oder einer sonst hervorragenden Person versichert, so kann man fordern, anstatt bitten zu müssen. Übrigens denke ich, daß wir nun sehr bald sehen werden, woran wir mit den Kelhur sind, lieber Halef. Wenn das Kismet bestimmt hat, daß du heut ein Heldenstück spielst, so wird in kurzer Zeit der Vorhang sich bewegen.«
»Denkst du?« fragte er geschmeichelt. »Was das Kismet will, soll geschehen. Ich werde als Batal alles thun, um mir deine Zufriedenheit und deinen Beifall zu erringen. Doch warum denkst du, daß der Vorhang sich schon so bald heben wird?«
»Die Finte des Scheiks bringt mich auf diesen Gedanken. Warum hat er sie nicht gleich in der Gegend von Khoi ausgeführt? ich vermute doch, daß wir es mit einem ganzen Lager und nicht nur mit einer flüchtigen Abteilung der Kelhur zu thun haben. Den Hauptstreich, uns von diesem Lager abzuhalten, hat er – auch wieder nicht pfiffigerweise – unternommen, als er in der Nähe desselben angekommen war. Paß auf; wir werden gar nicht mehr weit zu reiten haben!«
Das Thal, in welchem wir uns befanden, machte eine so scharfe Biegung nach links, daß sie einen spitzen Winkel bildete. Die Kurden waren dieser Biegung nicht gefolgt, sondern die Seite des Thales, an welche der Winkel stieß, hinaufgeritten. Halef wollte, ohne anzuhalten, weiterreiten, ihnen nach; ich hielt ihn aber zurück und sagte.
»Halt! Wenn wir uns, wie ich vermute, in der Nähe des Lagers befinden, und wenn der Scheik annimmt, daß wir ihn verfolgen, so steht zu erwarten, daß er hier Wachen ausgestellt hat, die uns entweder kurz wegputzen oder ihm unsere Annäherung melden sollen. Wir müssen also vorsichtig sein. Du bleibst also hier zurück und hältst mein Pferd, während ich mich zu Fuße weiterschleiche, um die Sicherheit des weiteren Weges zu erkunden. Du verlässest die Stelle hier auf keinen Fall eher, als bis ich wiederkomme oder dich dort von der Höhe aus zu mir rufe!«
Ich stieg vom Pferde, übergab ihm die Zügel und klomm an der Lehne des Thales empor, wo es wieder Bäume und Sträucher gab, die ich als Deckung benutzen konnte. Indem ich dabei die Fährte der Kurden im Auge behielt, konnte ich keine einzelne Spur entdecken, die von derselben abgewichen war. Droben gab es Felsen mit Fichtenwald, in welchem einzelne Eichen eine freundliche Abwechslung hervorbrachten. Da folgte ich der Fährte wohl über eine Viertelstunde lang; sie blieb ungeteilt, und es wich auch hier kein Stapfen von ihr ab. Schon wollte ich nun umkehren, da bemerkte ich, daß der Wald sich abwärts zu senken begann. Die Fährte führte links nach einer Bodenrinne; rechts stieg ein Felsstück wie ein halb eingefallener Wartturm aus den Büschen auf; zu diesem ging ich hin und kletterte hinauf. Hatte ich erwartet, von da aus einen Ausblick zu gewinnen, so sah ich mich nicht getäuscht. Der Fuß des Berges ging in eine grüne Ebene über, durch welche ein Bach floß, der in der erwähnten Rinne zu entspringen schien. Ziemlich weit draußen in dieser Ebene befand sich, vom Bache durchflossen, das Kurdenlager, oder vielmehr, es hatte sich dort befunden, denn ich sah beim ersten Blicke, daß es aufgehoben worden war. Es bewegte sich dort alles geschäftig, ja eilig durcheinander. Ich sah ledige Menschen und Pferde; ich sah Reiter, welche bereits im Sattel saßen; Frauen gab es nicht und andere Tiere als Pferde auch nicht. Es handelte sich also nicht um ein gewöhnliches Wohnlager, an welchem die Frauen und Herden teilnehmen, sondern es hatten nur Männer hier gewohnt, und zwar nicht in Zelten, sondern unter leicht zu errichtenden Zweig- und Blätterdächern, die auf je vier Pfählen ruhten. Um einen Jagdzug konnte es sich nicht handeln, um einen Kriegszug, welcher die hiesige Gegend betraf, auch nicht; für jetzt war mir der Aufenthalt der Kelhur hier ein Rätsel, bis ich dann erfuhr, daß sie einen Raubzug nach jenseits der Masaraberge beabsichtigt hatten, um die Bewohner der persischen Grenze zu brandschatzen. Es waren ganz gewiß dreihundert Krieger beisammen, welche außer ihren Reitpferden wenigstens fünfzig Maultiere bei sich hatten, die mit Packsätteln versehen waren. Die großen, hellen, oft vier Fuß im Durchmesser haltenden Turbane gaben diesen Leuten das Aussehen, als ob sie Kürbisse auf den Köpfen trügen. Ich versuchte, mein Pferd zu entdecken, was aber bei dem Gedränge, welches es dort gab, unmöglich war.
Halb befriedigt und halb enttäuscht, kehrte ich nun zurück, doch nicht ganz zu Halef; ich blieb vielmehr oben auf der Seite des Sandthales stehen und rief ihm zu, heraufzukommen. Er folgte diesem Rufe und erkundigte sich, als er bei mir ankam und mir das Pferd übergab:
»Hast du Wachen entdeckt, Sihdi?«
»Nein.«
»Aber wohl das Lager?«
»Ja.«
»Welch eine Unvorsichtigkeit von Schir Samurek! Er mußte doch unbedingt durch Wächter dafür sorgen, daß wir uns seinem Lager nicht so leicht und unbemerkt nähern können!«
»Er hat das nicht für nötig gehalten, weil das Lager abgebrochen wird.«
»Was? Abgebrochen? Sie wollen fort?«
»Ja. Er scheint gleich bei seiner Ankunft den Befehl zum Aufbruch gegeben zu haben.«
»Wohin wollen sie?«
»Das kann ich natürlich nicht wissen; wir werden es aber erfahren, denn wir folgen ihnen so lange, bis wir unsere Pferde wieder haben.«
»Ich hoffe zu ihrem Wohle, daß dies noch heut geschieht, denn wenn ich länger warten muß und mir die Geduld vergeht, so schieße ich sie alle über den Haufen. Wenn sie Pferde stehlen wollen, so habe ich nichts dagegen, denn der Pferderaub gilt bei ihnen für eine mutige und lobenswerte That; aber wenn sie, obgleich es auf der Erde Millionen von Pferden zu stehlen giebt, grad nur nach den unserigen verlangen, so habe ich sehr viel dagegen und werde ihnen zeigen, was es für schlimme Folgen hat, wenn man mich zwingt, mich auf den Rücken eines At el Attar zu setzen!«
»Sei doch froh, daß wir diese Grauschimmel bekommen haben; wir hätten viel schlechtere erwischen können!«
»Ist das ein Trost? Wir haben sie zwar nicht gestohlen, sondern nur geliehen; aber bis wir sie dem Giftmischer zurückgegeben haben, werde ich mich als Spitzbube fühlen, und daran sind diese Kelhur schuld. Mögen sie dafür in der Hölle und in alle Ewigkeit Besitzer von Pferdeherden sein, die ihnen täglich zehnmal gestohlen und nie wieder zurückgegeben werden!«
Wir ritten nun bis zu dem Felsen, von welchem aus ich vorhin meine Beobachtungen gemacht hatte, banden unten unsere Pferde an und stiegen hinauf, um das Kurdenlager zu überblicken. Wir waren grad zur rechten Zeit gekommen, um noch zu sehen, daß die Kelhur fortzogen. Sie bildeten, zu zweien oder dreien nebeneinander reitend, ein langes, schmales Band, das sich über den grünen Plan bewegte und dessen Spitze schon fast den Horizont erreicht hatte.
»Da ziehen sie hin, die Schurken, die Schufte,« grollte Halef zornig, »und wir stehen hier und gucken hinter ihnen her, den Schnurrbart leckend wie hungrige Hunde, denen der lebendige Braten auf vier Beinen davongelaufen ist! Aber wartet nur eine kleine Weile; dann werden wir über euch kommen wie zwei grimmige Löwen über die Mäuse und euch so in den Rachen nehmen, daß euch die Rippen krachen und die Arme und Beine hüben und drüben abgebissen herunterfallen! Ich bin ein guter Mensch, ein seelensguter Mensch; ich bin so gut, daß ich sogar die Diebe noch für Menschen halte; aber ist das etwa ein Grund, mich selbst auch zu bestehlen? Grad diese meine Milde und Güte sollten jeden Spitzbuben abhalten, sich an meinem Eigentume zu vergreifen! Aber ganz im Gegenteile, diese Halunken haben sich grad die zwei besten Menschen ausgewählt, um ihnen die Pferde zu rauben. Fordert das nicht die doppelte, die dreifache Rache heraus, Effendi? Schau, dort schlängeln sie sich fort und zwingen unsere Lieblinge, mit ihnen zu laufen! Wer weiß, was für ein stinkiger Kerl nun auf dem meinigen sitzt! Du freilich kannst das süße Gefühl der wohlthuenden Überzeugung haben, daß der Rücken deines Rih von keiner kurdischen Fortsetzung des menschlichen Rückgrates berührt werden kann; denn wer da wagen wollte, dies zu versuchen, der müßte, um sie später wiederzufinden, seine Glieder vorher im Buche des Lebens verzeichnen lassen. Der Zorn kocht in meiner Seele, und der Grimm dampft in meinem Herzen. Wenn ich den Kerl erfahre und erwische, der auf meinem Pferde gesessen hat, den zerschneide ich von oben herab in zwei ganz gleiche Hälften, so daß er niemals wieder reiten kann, sondern sobald er aufgestiegen ist, zu beiden Seiten wieder herunterfällt! Bei Muhammed, dem Propheten, das werde ich thun, das werde ich ganz genierlich thun!«
Es läßt sich denken, daß auch ich nicht gut auf die Pferderäuber zu sprechen war; aber der Zorn Halefs wirkte komisch auf mich, und seine Ausdrucksweise war so drollig, daß ich mir wieder einmal Mühe geben mußte, das Lachen zu verbeißen. Und im Arabischen war seine Rede noch bedeutend wirkungsvoller, als ich sie hier im Deutschen wiedergeben kann. Und dabei hatte er nicht einmal eine Ahnung, daß mir das Lachen näher stand als das Räsonnieren! Neben seinen vielen guten, ja vortrefflichen Eigenschaften war es nicht zum geringsten auch diese seine Drolerie, die ihn mir so lieb und wert gemacht hatte. Es ist ja überhaupt keine Frage, daß orginelle Charaktere stets und überall einen tiefern Eindruck machen als gewöhnliche Dutzendmenschen.
Das Nächste, was wir zu thun hatten, war natürlich, den Lagerplatz der Kurden zu untersuchen; das konnten wir aber nicht eher vornehmen, als bis die Kelhur jenseits des Horizontes verschwunden waren. Die Linie, welche sie eingeschlagen hatten, lag gegen Südost; wenn wir ihnen folgten, mußten wir also wieder nach dem Zabflusse, der uns aus dem Grenzgebirge herab nach Khoi geführt hatte. Wir waren also, wenn wir ihn wieder erreichten, die Kanten eines Dreieckes geritten, was einen Zeitverlust ergab, den wir nur diesen Kelhurkurden zu verdanken hatten; dies gab einen weiteren Grund, ihnen mit keinen freundlichen Gesinnungen zu folgen.
Endlich waren die letzten von ihnen im Südosten verschwunden; wir stiegen von dem Felsen herab und wieder auf unsere Pferde, die wir nach der Bodenrinne lenkten, welche ich schon bezeichnet habe und nach der die Fährte der Kelhur führte. Die Rinne war schmal und tief, aber doch leidlich wegsam. Je weiter wir ihr abwärts folgten, desto feuchter wurde sie, und bald brachen rechts und links kleine Wässerchen aus den Wänden, die sich miteinander vereinigten und tiefer unten ganz so, wie ich vermutet hatte, den Bach bildeten, der von mir vom Felsen aus gesehen worden war.
Als wir am Fuße des Berges anlangten, lief die Rinne breit in die Ebene aus und wir ritten im Galoppe dem Bache entlang, bis wir die Stelle erreichten, wo die Kurden gelagert hatten. Während Halef die Pferde hier erst trinken und dann grasen ließ, untersuchte ich sehr sorgfältig den ganzen Platz, indem ich hoffte, vielleicht etwas zu entdecken, was unserm Vorhaben förderlich sein könnte. Ich hatte mich aber getäuscht, denn nach einem ziemlich langen Forschen hatte ich weiter nichts gefunden und erfahren, als daß das Lager vielleicht eine Woche lang benutzt worden war. Dies erfahren zu haben, hatte für uns gar keinen Wert. Wertvoller war der Schluß, den ich aus der schnellen Entfernung der Kurden zog. Sie hatten sehr wahrscheinlich vorher nicht die Absicht gehabt, heut das Lager zu verlassen, denn ich sah, daß einige der bereits erwähnten Schutzdächer erst gestern neu gedeckt worden waren, was man jedenfalls unterlassen hätte, wenn der heutige Aufbruch schon gestern beschlossen gewesen wäre. Da war gegen Abend Aqil hier angekommen, um wegen des Blutpreises zu verhandeln, zu seinem und unserm großen Schaden, denn sie hatten ihn festgenommen, später auch durch Zufall seinen Sohn ergriffen und dann unsere Pferde gestohlen. Aqil und sein Sohn Ssali Ben Aqil befanden sich jetzt noch in ihren Händen; sie waren der Blutrache, also einem jedenfalls nicht leichten Tode verfallen. Hatten die Kelhur wegen dieser beiden Gefangenen den Lagerplatz so schnell verlassen? Oder vielleicht, weil sie dachten, daß ich mit Halef hierherkommen werde? Vielleicht hatten beide Gründe zusammengewirkt.
Man braucht mich nicht für einen eingebildeten Menschen zu halten, weil ich es für möglich hielt, daß dreihundert Kurden wegen uns zwei Menschen sich aus ihrem Lager entfernt hatten. Im Oriente fällt es der Mücke gar nicht schwer, in kurzer Zeit ein Elefant zu werden; ja, sie kann sogar ganz ohne ihr Zuthun sehr leicht zum Dickhäuter werden. Ich hatte Gelegenheit gefunden, mich mit einigem Geschick aus bösen Lagen zu ziehen. Mit Hilfe einiger Kenntnisse, die jeder gebildete Europäer besitzt, und den im wilden Westen gesammelten Erfahrungen war es mir gelungen, einigen Stämmen der Dschesireh hier und da einen kleinen Dienst zu erweisen. Das war erzählt und von Mund zu Mund weitergetragen worden. Weil nun jeder Erzähler seiner Phantasie dabei freien Raum gelassen hatte, war eine Sagen- und Legendenbildung entstanden, durch welche mein Bild und auch Halefs kleine Figur wie auf der Leinwandfläche eines Hydro-Oxygengas-Mikroskopes erschienen. Die Legende hatte meine Kenntnisse und Geschicklichkeiten in das Ungeheure vergrößert; noch berühmter aber als ich selbst waren meine beiden Gewehre. Man erzählte sich, daß die Kugel meines Bärentöters durch Stahl und Mauern dringe und daß ich mit dem »Zaubergewehre«, nämlich dem Henrystutzen mit fünfundzwanzig Schüssen, in alle Ewigkeit und ohne Aufhören schießen könne, ohne einmal laden zu müssen. Dazu kam freilich, daß ein Fehlschuß bei solchen Gewehren nicht leicht vorkommen kann und daß die indianische Art, zu reiten, selbst jedem Beduinen imponieren muß. Ferner war ich im Anschleichen und Auskundschaften beobachtet worden, und da auch in dieser Beziehung der Asiate nicht den zehnten Teil dessen leistet, was der Indianer mit Leichtigkeit vollbringt, so war es gar kein Wunder, daß eben Wunder von mir erzählt wurden und daß auch hier die Kelhurkurden ihr Lager lieber aufgaben als sich, wie sie dachten, von mir beschleichen und von meiner Zauberflinte niederpaffen zu lassen. Wenn trotz dieser Angst Schir Samurek den Fehler begangen hatte, mich durch seinen Hohn hinter sich her zu locken, so war es eben ein Fehler gewesen, den er jetzt wahrscheinlich bereute. Also es war keineswegs Überhebung von mir, sondern eine ganz objektive Beurteilung der Umstände, wenn ich annahm, daß die Kurden mit wegen mir von hier fortgezogen seien.
Selbstverständlich mußten wir ihnen nachreiten; aber das hatte nun keine große Eile, weil wir uns doch erst abends an sie schleichen konnten und ihnen nicht so Knall und Fall folgen durften; wir mußten ihnen vielmehr, wenn wir nicht von ihnen entdeckt sein wollten, Zeit lassen, einen auch für uns vorteilhaften Raum zwischen sich und uns zu legen. Verschwinden konnten sie uns auf keinen Fall; dafür sorgte schon ihre Fährte, welche unsichtbar zu machen, sie nicht die Übung und das Geschick besaßen. Darum ließen wir unsere Pferde fast zwei Stunden lang grasen und brachen erst dann auf, als wir grad ebenso weit vom Mittag waren, also gegen zehn Uhr vormittags.
Als die Sonne am höchsten stand, befanden wir uns zwischen den Bergen, wo ich in einem Walde von Balamut-Eichen – von denen die dortigen weltbekannten Galläpfel kommen – ein Wildschwein schoß, welches uns den notwendigen Proviant lieferte. Wir saßen da für kurze Zeit ab, um einige gute Stücke davon anzubraten und mitzunehmen; denn so lange wir uns den Kurden von jetzt an auf den Fersen befanden, und das konnte mehrere Tage dauern, durften wir auf kein Wild mehr schießen, weil der Schuß uns ihnen verraten konnte. Eigentlich war es dem Hadschi als Muhammedaner verboten, Schweinefleisch zu essen; aber der Umgang mit mir hatte ihn in der Weise emancipiert, und sein Gaumen war so empfindlich für den Wohlgeschmack des Schwarzwildes, daß er lieber das Mißfallen des Propheten und aller toten Kalifen riskierte, als auf einen Genuß verzichtete, auf den ich ihn durch Wort und That erst vergeblich und dann mit immer größerem Erfolge aufmerksam gemacht hatte. Hier bekenne ich mich leider ohne alle Reue als den Verführer einer Menschenseele!
Nun war aber doch so viel Zeit vergangen, daß wir einen größeren Vorsprung einholen mußten, als erst in unserer Absicht gelegen hatte. Wir folgten der Fährte darum mit größerer Eile als vorher.
Am Nachmittage lag die Südbiegung des kleinen Zab zu unserer Rechten hinter den steilen, waldigen Höhen, an deren Fuß wir uns befanden. Wir ritten längs eines kleinen Flüßchens, welches im Frühjahre höchst wahrscheinlich hoch angeschwollen war, jetzt aber kaum soviel Wasser hatte, daß es unsern Pferden bis über die Hufe reichte. Es gab hier außerordentlich viel lockeres Geröll, welches bei jedem Schritte unter den Pferden wich; zahlreiche freigespülte Wurzeln wurden uns hinderlich, und die vielen, kurzen Krümmungen des Flußbettes ließen uns nicht von der Stelle kommen.
»Der Scheitan muß den Kurden diesen Weg gezeigt haben!« klagte Halef. »So ähnlich wie dieser muß der Pfad beschaffen sein, der vom Tode hinab in die Verdammnis geht, nur daß dieser hier nicht ab-, sondern aufwärts führt.«
»Auch ich begreife nicht,« stimmte ich bei, »warum die Kelhur grad diese Steinrinne aufgesucht haben.«
»Ah, giebt es endlich einmal etwas, was du auch nicht begreifst, Sihdi?«
»Habe nur keine Sorge! Das Begreifen wird sich schon zur rechten Zeit einstellen.«
»Wo sie nur hinwollen? Von hier aus führt doch kein Paß über diese Bergkette hinüber!«
»Nein. Wenn ich mich nicht ganz irre, haben wir zwei Berge vor uns, die wir von unsern früheren Ritten her noch kennen, nämlich rechts den Meqilik und links den sonderbar gestalteten Nekuhl. Zwischen ihnen führt kein Paß hinauf. Schir Samurek will also nicht über die Berge, sondern sein Ziel liegt diesseits von ihnen. Was er aber da zu suchen hat, das ist mir ein Rätsel.«
»Allah! Sollte hier die Gegend sein, in welcher die Musallah el Amwat liegt?«
»Die Musallah el Amwat? Von der habe ich noch nie gehört. Was ist das für ein Ort?«
»Ein Ort, den jeder Mensch meidet, mag er nun Sunnit oder Schiit, Christ oder Jude sein. Du weißt, daß ich vorgestern im Khan, wo wir blieben, mit einigen Mazydschilar beisammensaß und mich mit ihnen unterhielt. Sie waren in dieser Gegend bekannt, hatten viel erlebt und erzählten davon. Die schönsten und besten Galläpfel wachsen bei der Musallah el Amwat in Menge; aber niemand getraut sich hin, sie zu sammeln, denn die Geister der Toten gehen dort um. Es ist vor mehreren hundert Jahren gewesen, da kamen Christen in das Land und bauten sich die Musallah in den Bergen, um Allah nach ihrer Weise zu verehren. Sie waren gute und fleißige Leute, die jedermann zur Liebe lebten; aber die Schiiten beschlossen dennoch, sie von der Erde auszurotten. Sie zogen hinauf, umstellten die Christen bei der Musallah und metzelten sie alle, alle nieder, Männer, Greise, Jünglinge, Weiber, Jungfrauen und Kinder. Der Priester war der letzte, welcher starb; noch im Niederfallen betete er für die Feinde. Da rissen sie das Kreuz von der Musallah und warfen es ins Feuer. Als er das mit brechendem Auge sah, verwandelte er sein Gebet in einen Fluch, den er auf sie und auf die Stätte des Todes vom Himmel herniederrief. Seitdem trifft Unheil jeden, der es wagt, die Musallah aufzusuchen. Dennoch waren die Mazydschilar kürzlich so verwegen, hinaufzusteigen, denn sie sind arm und wußten, daß es da oben eine reiche Ernte giebt. Sie baten Allah, sie zu beschützen, und machten sich auf den Weg. Sie kamen auch glücklich hinauf und sahen die Musallah stehen; aber als sie sich ihr näherten, trat der Geist des ermordeten Priesters in der Gestalt eines riesigen Bären heraus, der sich mit offenem Rachen auf sie stürzen wollte; da flohen sie schreiend und betend von dannen und dankten dann, unten wieder angekommen, Allah, der sie errettet hatte durch die Schnelligkeit ihrer Beine. Sie werden niemals wieder so tollkühn sein, die Musallah aufzusuchen. Das erzählten sie mir. Was sagst du dazu, Effendi?«
»Daß der Bär kein Geist, sondern ein gewöhnlicher Bär gewesen ist. Jedermann weiß, daß es da oben im Gebirge Bären giebt.«
»Ja, das weiß ich auch; aber so ganz riesengroß, wie dieser gewesen ist, sind sie nicht.«
»Die Angst vergrößert alles; sie kann selbst einen Bären doppelt groß erscheinen lassen.«
»Das sagst du, weil du nicht an Geister glaubst!«
»Ich bin ganz im Gegenteile fest davon überzeugt, daß es Geister giebt; aber Gespenster giebt es nicht, die in Bärengestalt erscheinen.«
»Ja, du bist mutig, Sihdi, du wärst gewiß nicht geflohen, sondern dem Bären kühn entgegengegangen. Doch ich, ich weiß, daß du alles kannst und verstehst, und ich glaube dir auch jedes Wort, welches aus deinem Munde kommt, aber ich würde doch lieber auch nicht die Probe machen, ob der Bär ein Geist oder der Geist ein Bär ist. Wir haben Bären mit einander erlegt, weißt du, drüben in den Schluchten des Balkan, wo es keine Musallah el Amwat giebt; hier aber liegt der Fluch des Priesters auf der Gegend, also auch mit auf dem Bären, und mit einem verfluchten Bären mag ich nichts zu thun haben, gleichviel, ob er ein wirklicher Bär ist oder ein verkappter Geist!«
»Hast du eine Ahnung, in welcher Gegend die Musallah liegt?«
»Die Mazydschilar haben sie mir beschrieben. Sie liegt zwischen dem Nekuhl und dem Meqilik, und man kommt hinauf, indem man einem vielgewundenen, steinigten Flußbette folgt, welches von sehr engen Ufern eingefaßt ist und – –«
Er hielt mitten in der Rede inne, sah mir eine halbe Minute lang ganz betroffen in das Gesicht und fuhr dann rasch fort:
»Allah akbar – Gott ist groß! Das paßt ja ganz genau auf unsern Weg!«
»Ja, wie es scheint!«
»Der Nekuhl und der Meqilik sind die beiden Berge, welche du vorhin erwähntest; im steinigten, engen und vielgewundenen Flußlaufe befinden wir uns, also – – Maschallah! – – wir befinden uns auf dem Wege zur Musallah el Amwat, zur Kapelle der Toten, von welcher ich dir erzählt habe.«
»Das ist allerdings sehr leicht möglich. Aber mach den Mund wieder zu, lieber Halef, sonst kommt der Bär und springt hinein. Weit genug dazu hast du ihn offen.«
»Spotte nicht auch noch, Sihdi! Warum soll mir der Mund nicht offen stehen, wenn ich staune? Wenn ich nicht mehr staune, fällt er ganz von selbst wieder zu. Oh Wunder, o Fügung! Wir befinden uns auf dem Wege nach der Kapelle der Toten! Das scheint unser Kismet, unser Fatum zu sein. Wenn ich nur wüßte, was wir dort oben sollen!«
»Das fragst du noch?«
»Natürlich! Weißt du es denn?«
»Ja.«
»Nun, was?«
»Wir sollen das Gespenst von seinem Bärenfell erlösen.«
»Oh Verwegenheit, oh Hohn! Du spottest noch immer, Effendi! Mir aber ist es auf dem Rücken kalt wie Eis, und ich weiß wahrhaftig nicht, wozu ich mich entschließen werde.«
»Entschließen? Wie meinst du das?«
»Nun, wenn der Bär gelaufen kommt, ob ich da fliehen oder auf ihn schießen soll. Ist er wirklich ein Bär und ich laufe fort, so lachst du mich aus, und ich habe mich bis zum Tode meiner Angst zu schämen. Ist er aber ein Geist und ich schieße auf ihn, so geht ihm die Kugel durch den Leib, ohne ihn zu verletzen, und was dann aus mir werden wird, das weiß nur Allah allein.«
»Halef, Halef! Wenn du auf den Geist schießest, geht ihm die Kugel durch den Leib! Geist und Leib! Welch ein Widerspruch das ist! Bin ich denn so lange ganz umsonst dein Lehrer und Berater gewesen? Hast du nichts von mir gelernt? Wohnt wirklich noch der dumme Aberglaube der früheren Zeit in dir? Sag mir doch, für wen der Priester damals gestorben ist!«
»Für seinen Gott und für seinen Glauben, Effendi.«
»Wie nennt man solche Leute?«
»Schuhada.«
»Was sagt der Kuran, von unserer heiligen Schrift gar nicht zu sprechen, von diesen Schuhada?«
»Daß sie direkt vom Tode in den Himmel eingehen.«
»Verstehe mich wohl! Ich spreche, um dir das Verständnis zu erleichtern, wie ein Moslem zu dir. Sogar nach der Ansicht der Mohammedaner geht ein Schahid direkt in den Himmel ein, zur Belohnung für die Leiden und Martern, die er ausgestanden hat. Diesen frommen Priester aber soll Gott für seinen Märtyrertod in den Pelz eines Bären verbannt haben! Würde das nicht anstatt eines Lohnes eine fürchterliche Strafe, anstatt des Himmels eine Hölle sein?«
Er öffnete wieder den Mund und sah mich eine Weile mit weit offenen Augen an.
»Da staunst du nun schon wieder!« lächelte ich.
»Ja, Sihdi, ich staune abermals,« nickte er.
»Worüber jetzt?«
»Über die Vortrefflichkeit deines Beweises, dem ich nicht widerstehen kann. Allah insaf oder Allah el adala – Gott ist die Gerechtigkeit, sagen wir.«
»Wie würde es aber mit Gottes Gerechtigkeit in diesem Falle stehen?«
»Wenn der Bär ein Geist wäre, so würde Allah nicht gerecht sein; da es aber unumstößlich und unanfechtbar fest steht, daß Allah gerecht ist, so – so – – so – –«
»Nun weiter, weiter!«
»– – – so kann der Geist kein Bär und also der Bär auch kein Geist sein.«
»Gut. Mag also der Bär, der wirklich ein Bär ist, auch in deinem Kopfe ein Bär sein und bleiben! Bist du nun überzeugt, Halef?«
»Ja, Effendi. Du bist, wie in allem, auch in den Regeln der Mantik unüberwindlich und hast mein an diesem Bären erkranktes Gehirn im Nu wieder gesund gemacht. Nun mag er immer kommen; ich werde sofort und ohne mich zu besinnen auf ihn schießen!«
»Das Schießen überlaß lieber mir. Die kurdischen Bären sind keine abgehetzten Isabellbären vom Hauran und vom Libanon. Sie werden wenig gestört, fast gar nicht gejagt und also sehr groß und alt. Die Galläpfelsammler haben ja von der ungeheuren Größe dieses Exemplares gesprochen. Eine Kugel aus deiner Flinte würde ihn nicht töten, sondern nur zur Wut reizen. Und ferner mußt du bedenken, daß wir es jetzt unterlassen müssen, unsere Anwesenheit durch Schüsse zu verraten. Übrigens kommt er jetzt noch nicht gelaufen und wird wahrscheinlich auch nicht gelaufen kommen. Wir wissen es ja nicht einmal genau, sondern denken es nur, daß wir uns jetzt auf dem Wege zur Musallah el Amwat befinden. Die Hauptsache ist, daß du überhaupt einen Geist im Bärenfelle nicht mehr für möglich hältst.«
»Weder in einem Bären- noch in irgend einem andern Felle, Effendi. Ich habe eingesehen, daß ein Geist in einem Felle undenkbar ist. Einen Geist kann man weder sehen noch fühlen oder greifen. Wenn ich ihm das Fell abzöge, was würde da wohl übrig bleiben? Nichts, gar nichts. Wenn aber nichts im Felle steckt, so kann auch kein Geist darin gewesen sein.«
»Ganz richtig!« lachte ich. »Und ebensowenig kann es einen Bären geben, der nur aus seinem Felle besteht. Die Schärfe deiner Logik ist weit größer als die meinige. Nun haben wir sowohl den Bären wie auch das Gespenst glücklich abgethan und – – was ist?«
Halef, welcher neben mir ritt, hatte meine Rede dadurch unterbrochen, daß er nach meinem Zügel griff und dadurch das Pferd anhielt.
»Ich sehe etwas dort unter den Bäumen,« antwortete er, indem er mir mit der ausgestreckten Hand die Richtung angab. »Es hat sich bewegt; aber was es ist, ein Mensch oder ein Tier, das weiß ich nicht.«
»Wir müssen es erfahren. Komm schnell hier herüber unter die Bäume!«
Im Schutze der Bäume angelangt, stieg ich ab, gab Halef mein Pferd zum Halten und sagte:
»Bleib hier und rühre dich nicht! Ich werde mich hinschleichen, um zu sehen, mit wem oder was wir es zu thun haben.«
»Nimm dich in acht, Sihdi,« warnte er. »Es kann der Bär sein, und es ist auch möglich, daß die Kurden dort stecken!«
»Keine Sorge! Verhalte nur du dich ganz still!«
Das Messer stichfertig in der Hand, schlich ich von Baum zu Baum, bis ich in der Nähe der betreffenden Stelle anlangte. Da sah ich, daß es kein Tier, sondern ein Mensch war. Er stand an einer tiefästigen Buche und langte mit beiden Armen in die Höhe, weshalb und wozu, das konnte ich nicht erkennen. Er hatte das Gesicht von mir abgewendet, kam mir aber trotzdem bekannt vor. Diese Gestalt, diese schmutzstarrenden Beine, die zerfranste Hose, die zerrissene Jacke, deren Ärmel teilweise fehlten – – – wenn das nicht der trunkselige Wirt des Khanes von Khoi war, so konnte ich mich auf meine Augen niemals wieder verlassen! Aber was wollte er hier? Wie kam er so allein in diese Gegend, und was that er dort am Baume?
Jetzt drehte er sich um, erhob sich auf den Zehen und schob sich eine von dem Aste herunterhängende Schnur unter die Kehle, welche er soeben oben festgebunden hatte. Herrgott, der Kerl wollte sich hängen!
»Katera Chodeh – um Gottes willen!« rief ich ihm zu, indem ich hinrannte und die Schnur wegriß. »Halt ein! Du willst dich morden!«
Er starrte mich wie abwesend an und antwortete in einem Tone, als ob er sich im Traume befinde:
»Morden? Nein, sondern nur aufhängen.«
»Das ist doch ganz dasselbe! Was hast du denn für einen Grund, diese große, ungeheure Sünde zu begehen?«
»Grund – – – ? Warum fragst du mich – – – ? Wer bist du denn – – ?«
Sein Auge war bei diesen Fragen noch immer gedankenleer.
»Wer ich bin? Du kennst mich doch! Ich bin Kara Ben Nemsi Effendi, der in Khoi bei dir wohnt.«
Der Klang meines Namens schien ihn zu sich zu bringen. Es kam Ausdruck in seinen Blick; aber seine Stimme war immer noch klanglos wie vorher, als er antwortete:
»Ich muß mich hängen; ich muß mir das Leben nehmen, denn ich bekomme mein Geld nicht wieder.«
»Woher weißt du das?«
»Von Schir Samurek.«
»Von dem? Von ihm selbst? Hast du denn mit ihm gesprochen?«
»Ja.«
»Wann?«
»Vor einer Stunde.«
»Wo?«
»Droben, unter der Musallah el Amwat.«
»Ah, die Kapelle ist also doch hier! Lagern die Kelhur dort?«
»Ja.«
»Ist einer von ihnen hier in der Nähe? Kann man uns vielleicht hören oder sehen?«
»Nein. Ich wurde von ihnen fortgepeitscht, und keiner ist ein Stück mit mir gegangen.«
Die Erinnerung an die Peitsche brachte ihn vollends zu sich selbst zurück. Er warf sich nieder, legte das Gesicht in die Hände und fing an, bitterlich zu weinen. Die Thränen sind ein heilsames Wasser – – – wenn sie rinnen können; darum ließ ich ihn weinen und störte ihn nicht, sondern rief Halef herbei, welcher die Pferde anband und sich dann mit mir neben den Wirt niedersetzte. Als der letztere nach einiger Zeit ruhiger geworden war, richtete ich ihm den Kopf auf und sagte:
»Der Selbstmord ist eine gräßliche Sünde, weil man sie weder bereuen noch gar gutmachen kann. Am allerwenigsten soll man seine Seele um des Geldes willen in die Hölle senden. Deine Piaster sind ja auch noch gar nicht verloren!«
»Sie sind verloren. Schir Samurek hat sie Aqil abgenommen und giebt sie nicht wieder her!«
»Er muß sie hergeben! Ich verspreche dir, daß ich ihn dazu zwingen werde.«
Da bekamen seine Augen Glanz; er richtete sich straffer auf und fragte hastig.
»Ist das dein Ernst, oh Emir? Versprichst du mir das wirklich?«
»Ja.«
»So sei Allah Preis und Dank! Ich bin gerettet, denn was der Emir Hadschi Kara Ben Nemsi verspricht, das hält er auch, obgleich Schir Samurek, der Räuber, über ihn gelacht hat!«
»Wann hat er gelacht, bei welcher Gelegenheit und warum? Kannst du mir das sagen? Kannst du dich besinnen und mir alles erzählen, wie du zu ihm gekommen bist und was da alles gesprochen worden und geschehen ist?«
»Wenn du es erfahren Willst, so werde ich es dir sagen.«
»Aber genau, ganz genau, denn es kommt viel, ja alles darauf an! Nimm dein Gedächtnis zusammen, denn an dem, was du erzählst, kann das Leben und der Tod von vielen Menschen hangen. Und dein Geld, das kannst du auch nur dann zurückbekommen, wenn dein Bericht ganz genau und richtig ist!«
»Oh, Emir, ich weiß jetzt alles ganz genau. Wenn du sagst, daß du mir mein Geld verschaffen willst, so wächst die Schärfe meines Gedächtnisses, und ich besinne mich auf jedes Wort, welches ich gehört habe!«
»So sprich! Aber fasse dich kurz, denn die Zeit ist kostbar, und es können Gründe für uns eintreten, selbst mit den einzelnen Minuten geizig zu sein! Wo und wie bist du mit Schir Samurek zusammengekommen?«
»Du weißt, ich ritt mit unserem Nezanum und einigen Leuten fort, um Aqil, dem Diebe, das Geld wieder abzujagen. Wir fanden seine Spur nicht; aber wir glaubten, er müsse, um sich in Sicherheit zu bringen, über die persische Grenze geflohen sein. Darum wendeten wir uns der Grenze zu, hörten aber in keinem Orte und an keinem Hause, daß er von jemand gesehen worden sei. So ritten wir weiter bis fast um die Mittagszeit, wo wir einsehen mußten, daß wir auf einem falschen Wege waren. Wir kehrten also um und wollten es nun mit der Richtung nach Rowandis und Lahij an versuchen. Wir wendeten uns also nach Norden, immerzu nach Norden, bis der Teufel uns den Kurden in den Weg führte. Diese umringten uns, banden uns und führten uns mit sich fort bis hierher.«
»Da nahm es euch wohl wunder, den so vergeblich gesuchten Dieb bei ihnen zu finden?«
»Ja, er ist bei ihnen, aber nicht als freier Mann, sondern als Gefangener, sein Sohn auch. Heut nacht werden beide sterben; sie werden die Opfer der Blutrache und ihrer eigenen Schlechtigkeit sein.«
»Ist ihr Tod eine fest beschlossene Sache?«
»Ja; sie können ihm nicht entgehen, und es ist ein schrecklicher Tod, den sie erleiden werden.«
»Kennst du die Todesart?«
»Ja; sie werden von den Bären zerrissen und gefressen werden.«
»Ah! Was für ein Mensch ist dieser Scheik der Kelhurkurden! Wie kommt er denn auf den Gedanken, sie den Bären vorzuwerfen? Giebt es denn hier Bären, deren er sich zu diesem Zwecke bedienen kann?«
»Ja, und er hat sich alles so genau ausgedacht und überlegt, daß es gelingen muß. Er ist ja nur deshalb hierher gezogen, um die beiden Bebbehkurden den Bären zu bringen. Seine Krieger sind vor einiger Zeit droben bei der Musallah el Amwat jagen gewesen und haben dort das Bärenlager entdeckt. Auf dem Rückwege haben sie dann einen Baum mit wilden Bienen gefunden. Beides wird heut abend zur Hinrichtung der beiden Bebbeh benutzt. Schon längst sind zehn oder zwölf Kelhur fort, um Honig zu holen.«
»Weißt du, wie derselbe verwendet werden soll?«
»Vielleicht habe ich nicht alles richtig verstanden; aber das Bärenlager befindet sich nicht weit von der Musallah. Die Bebbeh sollen gefesselt und mit Honig bestrichen werden; dann schafft man sie in das Innere der Musallah. Von da aus bis zum Bärenlager sollen Wabenstücke mit Honig gelegt werden, um die Bären nach der Musallah zu locken; dort werden sie die Gefesselten erst ablecken und dann fressen.«
»Allah, Allah!« ließ sich da Halef schaudernd hören. »Sind diese Kelhur Menschen zu nennen? Sihdi, wollen wir die Bebbeh retten, obgleich sie unsere Todfeinde sind, und an ihrer Stelle diesen Schir Samurek den Bären vorwerfen?«
So war der kleine, liebe, brave Kerl! Er wollte die beiden Bebbeh von dem qualvollen Tode befreien, obgleich Aqil die Kelhur auf uns gehetzt und sein Sohn uns sogar noch in der letzten Nacht nach dem Leben getrachtet hatte! Er trug sich zwar äußerlich als Moslem, war aber innerlich ein besserer Christ als Hunderttausende, welche sich zwar mit Christi Namen brüsten, aber nicht eine Spur von der wahren Nächsten- oder gar Feindesliebe im Herzen tragen.
Der Wirt setzte seinen Bericht fort, und ich erfuhr noch folgendes: Die Kelhur hätten schon meinetwegen heut ihr Lager verlassen; der Umstand, daß die Bebbeh in ihre Hände gefallen waren, trieb sie noch rascher fort, um diese so bald wie möglich dem Tode entgegenzuführen. Es war das für die dreihundert Krieger ein Freudenritt, der keine Minute aufgeschoben werden sollte. Jetzt lagen sie oben unterhalb der Musallah im Walde und hatten Gericht über die der Blutrache Geweihten gehalten. Schir Samurek hatte diesen mit den heiligsten Schwüren versichert, daß es für sie keine Rettung gebe. Nach gewöhnlichem Ermessen gab es allerdings keine; aber Ssali Ben Aqil hatte sich, sonst an allem verzweifelnd, an einen Gedanken geklammert, der ihm plötzlich gekommen war, als er vernahm, daß wir höchst wahrscheinlich nach unsern gestohlenen Pferden suchen würden.
»Noch sind wir nicht tot,« hatte er gesagt. »Wenn Kara Ben Nemsi kommt und euch findet, wird er uns befreien!«
»Euch, seine Todfeinde?« hatte der Scheik höhnisch gerufen. »Er würde mich vielmehr bitten, euch noch mehr zu martern, als ich mir vorgenommen habe!«
»Das wird er nicht, denn er ist ein Christ!«
»Ein Christ? Ein Christ ist ein Hund, und ein Hund riecht gern Blut. Diese Hunde, welche einen Menschen aus en Nasirah ihren Gott nennen, haben sich von ihm sagen lassen, daß man sogar die Feinde lieben soll; aber sie gehorchen ihm nicht, denn da sie sich untereinander bestehlen, betrügen, belügen und alle Fremden bedrängen, übervorteilen und bekriegen, können sie unmöglich im stande sein, diejenigen zu lieben und ihnen Gutes zu erweisen, die ihnen nicht bloß fremd, sondern wirkliche Feinde sind. Dieser Kara Ben Nemsi würde mit Vergnügen zusehen, daß die Bären euch zerreißen!«
»Nein, denn er ist ein wahrer Christ und hat schon oft und vielen seiner Feinde Gutes erwiesen!«
»So rufe ihn doch herbei! Da werden wir sehen, ob er in Wirklichkeit dem falschen Propheten aus en Nasirah gehorcht!«
»Ja, ich werde ihn rufen; ich werde Allah bitten, ihm den Weg hierher zu zeigen!«
»Ich gebe dir einen bessern Rat. Kara Ben Nemsi mag als Christ von unserm Allah nichts wissen; du mußt also zu seinem Gekreuzigten beten, wenn du Erhörung finden willst!«
In dieser Weise hatte er weitergehöhnt und dann hinzugefügt-. »Wie wenig ich diesen Christenhund fürchte und ob er euch retten könnte, sollst du gleich erfahren. Ich habe ihm sagen lassen, daß ich der Räuber seiner Pferde bin, und er wird uns folgen; aber wenn er unsere Spuren wirklich finden und es wagen sollte, bis hierher zu kommen, so werden die Wächter, welche ich nachher ausstelle, ihn ergreifen und ich werfe ihn mit euch den Bären vor. Nun bete meinetwegen zu Allah oder zu el Mesiah; dein Gebet wird in die Luft gesprochen sein!«
Dann war über die andern Gefangenen beraten worden. Der Beschluß hatte gelautet: Sie sollen zusammen ein Lösegeld von zwanzigtausend Piastern geben und werden so lange festgehalten, bis dieses Geld bezahlt worden ist; der Wirt soll gehen und das Geld holen, um es nach der Musallah el Amwat zu bringen; bringt er es binnen drei Tagen nicht, oder stellt sich bei der Zahlung eine Hinterlist heraus, so werden sie getötet. – Kurz nachdem diese Bestimmungen getroffen worden waren, hatte man den Wirt erst durchgepeitscht und dann fortgejagt, natürlich ohne Pferd.
Er war vollständig verstört und niedergeschlagen davongegangen, ohne daß es eine Hoffnung gab; denn nun war nicht nur das gestohlene Geld verloren, sondern er sollte auch noch einen Teil des Lösegeldes aufbringen, was ganz unmöglich war. Seinen Ruin vor Augen sehend und gewiß kein Held im Glauben und Gottvertrauen, hatte er zur Schnur gegriffen und war nur durch unsere Dazwischenkunft abgehalten worden, sich selbst den Tod zu geben.
»Jetzt, o Emir,« fügte er seinem Berichte hinzu, »hast du alles vernommen, was ich dir sagen konnte. Was meinst du dazu? Hältst du es für möglich, daß ich mein Geld wieder erhalte?«
»Was ich meine, ist zunächst, daß der Raki einen bösen Geist in sich trägt, mit dem man sich nicht abgeben darf!«
»Der Raki? Wie kommst du auf den Raki?«
»Weil er die Schuld an dem trägt, was dir jetzt geschehen ist.«
»Was hat mein Raki mit dem Häuptling der Kelhur zu thun?«
»Frag doch nicht so dumm! Hättest du gestern nicht so viel Raki getrunken, so hättest du nicht mit Aqil von dem Verstecke deines Geldes gesprochen, und es wäre dir nicht gestohlen worden; also ist auch der Raki daran schuld, daß du in die Hände Schir Samureks gefallen bist und dich jetzt aufhängen wolltest. Du mußt zugeben, daß dich der Schnaps zum Selbstmorde getrieben hat!«
Er schwieg, weil er einsah, daß ich die Wahrheit gesagt hatte, und sich doch nicht selbst auch anklagen wollte. Ich fuhr fort.
»Wenn du dem Raki so ergeben bleibst wie jetzt, wird er dir noch viel Elend bringen; er frißt deine Seele und verzehrt deinen Körper. Wenn du ihm aber entsagest, wirst du Glück und Freude erleben und einst ohne Wanken über Es Ssiret, die Brücke des Todes, zum ewigen Leben gehen. Bedenke, daß diese Brücke nicht breit ist, sondern so schmal, daß Muhammed sie mit der Schärfe einer geschliffenen Säbelklinge vergleicht. Wie will ein Mensch, dessen Seele noch nach dem Tode voller Raki ist, über diese Brücke gelangen, ohne von ihr hinab in die gähnenden Abgründe der Hölle zu stürzen!«
Indem ich nach christlichen, überhaupt europäischen Begriffen lächerlich sprach, bequemte ich mich der Anschauungs- und Ausdrucksweise des Mannes an, dem meine Warnungen galten. Sie verfehlten ihren Zweck auch wirklich nicht, denn er antwortete:
»Oh, schweig davon, Emir! Deine Worte lassen mich schaudern!«
»Du würdest in diesem Augenblicke noch mehr schaudern, wenn du das grauenhafte Werk, welches du vorhin hier an diesem Baume plantest, wirklich ausgeführt hättest, denn jetzt wankte dein Geist, mit der mordenden Leine am Halse, über die Brücke des Todes; der Raki würde deine Füße gleiten lassen, und du stürztest hinunter in die ewig brodelnden und nie verlöschenden Flammen der Dschehenna, welcher du unrettbar verfallen wärest! Muß dein Herz nicht beben, wenn du daran denkst?«
»Oh, Emir, deine Worte treiben mir den Schweiß der Angst und des Entsetzens aus dem Leibe!« antwortete er, sein Gesicht verhüllend.
»So rate ich dir, von jetzt an das Getränk zu meiden, welches dich und jeden, der sich dem Trunk ergiebt, verderben muß!«
»Ich werde es thun! ja, Herr, ich werde es ganz gewiß thun!«
»Das ist aber nicht so leicht, wie du vielleicht denkst. Wen die Geister des Schnapses einmal ergriffen haben, den wollen sie nicht loslassen, den halten sie fest mit ihren Schlangenarmen; es giebt da einen Kampf, einen schweren Kampf; aber der Sieg ist dann auch um so größer und beglückender. Willst du diesen Kampf versuchen?«
»Ich will es, Emir! Ich verspreche dir, daß ich tapfer kämpfen werde.«
»Und ich nehme dein Versprechen an. Du wirst schon viele Betrunkene gesehen haben, aber ohne sie mit den richtigen Augen zu betrachten und ohne sie in der rechten Weise zu beurteilen. Der Sukri ist kein Mensch mehr, sondern nichts weiter als ein wandelndes Faß, welches täglich vollgegossen wird, bis es, vom Raki ganz und gar zerfressen, elend auseinanderfällt. Auch dich hat er schon so sehr angenagt und angefressen, daß dein Zusammenbruch in kurzer Zeit erfolgen muß, wenn du dich nicht heute mit aller Kraft zusammenraffst!«
»Ich werde nicht mehr trinken; hier hast du meine Hand darauf!«
Er hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie jetzt noch nicht, sondern sprach weiter.
»Schau den Trunkenbold an, wenn er sich früh vom Lager erhebt! Sein Kopf schmerzt ihm; seine Hände und Füße zittern; sein Angesicht ist verstört, und er sieht mit glasigen Augen in die Welt hinein. Sein Weib und seine Kinder haben keinen freundlichen Gruß für ihn, weil sie ihn verachten und weil sie wissen, daß er sie nicht liebt und daß ihm der Schnaps höher steht als ihr Glück und ihr Wohlergehen. Freunde hat er nicht, denn die Bekannten, die mit ihm dem Raki fröhnen, sind keine Freunde, sondern ebenso wandelnde Fässer, ohne Herz und ohne Seele, grad wie er. Die Verwandten bemitleiden oder hassen ihn, und die Nachbarn lachen über ihn. Es ist öde in seinem Innern und öde rings um ihn her. Er denkt nicht an Allah und an seine Pflichten; er vergißt die fünf Gebete des Tages und die Feier der heiligen Zeiten. Sein Bauch ist wie mit brennendem Pech gefüllt und sein Magen ausgebrannt wie das Gemäuer einer Hütte, welche die Feuersbrunst verzehrte. Darum verlangt sein trockener Schlund immer wieder und schon in der Frühe nach dem Getränke des Teufels; aber wenn er es verschlungen hat, liegt es ihm wie Blei in den Gliedern; er verliert die armseligen Reste des Verstandes, den Allah ihm verliehen hat; er kann seine Füße nicht mehr beherrschen und bewegt sich wie ein junger, noch blinder Hund, der nicht laufen kann und, so oft er sich erhebt, immer wieder niederfällt. Dabei ist die Seele aus seinen Augen gewichen; seine Lippen fallen herunter, und wenn er sprechen will, kommt nur ein Lallen über seine Zunge, welches das Gelächter der Zuhörer erregt. Sein armes Weib, das ihn früher wohl liebte und ihm eine freundliche Gefährtin war, hat ihm ihr Herz wieder entrissen; sie steht scheu in der Ecke und schämt sich seiner; ja, sie fürchtet sich sogar vor ihm, denn sie ist von der Hand, die ihr eine Stütze auf dem Wege durch das Leben sein sollte, geschlagen und mißhandelt worden. Die Kinder meiden seine Nähe; wenn er mit ihnen spricht, so zittern oder lachen sie, denn sie wissen nicht, ob sie über ihn lachen oder weinen sollen. Das Gesinde, welches ihn achten und ehren und ihm gehorchen sollte, sieht seine Würde im Schmutze liegen und verhöhnt ihn, so oft er seinen Rücken wendet. Die Mitbürger und Ehrenmänner, zu denen er gehören sollte, mögen nichts mehr von ihm wissen; sie meiden ihn, und wenn er ihnen dennoch in die Nähe kommt, so wenden sie sich von ihm ab, wie man zurückfährt, wenn man beim Pflücken der Tschilek unter dem Laube den kalten Leib einer häßlichen Kara Kurbadscha berührt. Die Obrigkeit, die ihn einst wertschätzte und ihm vielleicht gar ein ehrenvolles Amt anvertraute, wird vorsichtig gegen ihn; sie beobachtet seine Schritte und alles, was er thut, denn sie weiß, daß der Geist des Raki ihn nach und nach unfähig machen wird, dieses Amt zu verwalten. Also – –«
»Halt ein!« unterbrach er mich da. »Sprich nicht weiter! Alles, alles was du jetzt gesagt hast, paßt so genau auf mich, als ob du mich seit Jahren gekannt und beobachtet hättest. Habe ich doch erst noch in voriger Woche hören müssen, daß ich in nächster Zeit nicht mehr Charadschi sein werde, weil es zu gewagt sei, mir das Einsammeln der Steuern länger anzuvertrauen. Darum wich die Betrunkenheit sofort von mir, und der Schreck warf mich fast zur Erde, als ich entdeckte, daß die zehntausend Piaster verschwunden waren.«
»So giebst du also zu, daß der Raki dich an den Rand des Verderbens gebracht hat?«
»Ja, Effendi, ja!«
»So wirst du auch einsehen, daß du ihn von jetzt an meiden mußt, wenn du nicht in dieses Verderben stürzen willst. Ich bin ein Christ, dessen Pflicht es ist, jeden strauchelnden Menschen, auch wenn derselbe einen andern Glauben hat, zur Besserung und zum Glück zu führen. Darum will ich dir jetzt, obgleich du Moslem bist und dein Wohl mir eigentlich vollständig gleichgültig sein könnte, die Hand zur Rettung bieten. Ich verspreche dir, alles aufzubieten und selbst mein Leben daran zu wagen, daß du das gestohlene Geld wiederbekommst. Dafür mußt aber du mir heilig versprechen, daß du von jetzt an den Raki meiden willst!«
Da sprang er auf und rief vor Freude fast überlaut, gar nicht daran denkend, daß er durch seine Stimme unsere Anwesenheit verraten könne:
»Ich werde ihn meiden; ja, ich werde ihn meiden; das verspreche ich dir!«
»Nicht so laut! Ich glaube, daß du dieses Versprechen gerne giebst; aber du denkst in diesem Augenblicke nicht daran, wie schwer es zu halten ist. Nimm dir nicht vor, von heut an gar keinen Raki mehr zu trinken; das würdest du nicht fertig bringen, sondern der Trunksucht ganz im Gegenteile nur noch mehr verfallen. Trinke von heute an nur noch die Hälfte von dem, was du bisher täglich getrunken hast, nach einem Monate nur das Viertel, nach drei Monaten nur den achten Teil, und so alle drei Monate halb soviel wie vorher, bis du so weit gekommen bist, daß du täglich nur so viel genießest, wie du mit drei kleinen Schlucken nehmen kannst. Diese drei Schlucke darfst du dann täglich bis an dein Ende trinken; das erlaube ich dir. Liegt dir aber daran, ein Allah wohlgefälliges Werk zu verrichten und ein ganz glücklicher Mann zu sein, der sich dereinst ohne Straucheln der Brücke des Todes getrost anvertrauen kann, so meide auch diese drei Schlucke und trinke nichts, aber auch gar nichts mehr, was dich betrunken machen kann; denn Muhammed, dein Prophet, hat gesagt: Kullu muskürün haram -alles, was trunken macht, sei verboten, sei verflucht!«
Da streckte er mir die Hand wieder hin, ja beide Hände zugleich, und sagte: »Emir, ich höre, daß du von mir nicht mehr verlangst, als was ein schwacher Mensch zu leisten vermag. Ich werde deinem Gebote und dem Gebote Muhammeds Folge leisten, und Allah wird mir die Kraft geben, wieder ein guter Mensch zu werden und mein Weib und meine Kinder glücklich zu machen; habe ich dann das verlorene Vertrauen und die verschwundene Achtung zurückerlangt, so werde ich in Dankbarkeit deiner gedenken und es vor allen Leuten bekennen, daß die Lebe, welche die Menschen untereinander haben sollen, wenn nicht bei uns Moslemim, so doch desto sicherer bei euch Christen zu finden ist. Ich habe dir vorhin meine Hände vergeblich angeboten; willst du sie nun jetzt ergreifen? Ich schwöre dir bei – –«
»Keinen Schwur!« unterbrach ich ihn. »Ich bin ein Mensch, also auch nur Gottes Geschöpf, grad so wie du, und darf keinen Schwur von dir fordern, welcher an den Namen des Allmächtigen und Allwissenden gebunden ist. Gieb mir nur dein Versprechen!«
»Gut! Ich verspreche dir bei meiner Seele, bei den Geistern meiner Väter und bei den unberührten Bärten des Propheten und seiner Nachfolger, daß mich von jetzt an niemand mehr betrunken sehen soll! Allah hat es gehört; er wird auch sehen, daß ich mein Wort halten werde! Hier, nimm zur Bekräftigung dessen, was ich gesagt habe, meine Hände!«
Ich folgte seiner Aufforderung. Halef, der ganz gerührt über diesen Erfolg war, gab ihm auch die Hand und sagte:
»Allah sei mit dir, du Sohn der Trunkenheit, der sich von dieser seiner schlimmen Gohzet el Ab scheiden lassen will! Wirf sie getrost zum Hause hinaus, und laß sie ja nicht wieder herein, auch wenn sie nicht durch die Thür kommen, sondern durch das Fenster steigen will! Denn sie ist schlau, ungeheuer schlau, sage ich dir, wie alle Weiber sind, welche man hinausgeworfen hat und die doch gern wieder hereinkommen möchten! Und wenn du dereinst ein nüchterner Mann geworden bist und wir deinen Khan wieder besuchen, so wird dann auch die Tiefe des Morastes, in welcher man jetzt in deinem Hofe zu waten hat, verschwunden sein, so daß man mit sauberen Schuhen darüber hinwegschreiten kann und dich nicht mehr in dem Loche des Schlammes liegen sieht wie eine große Dabb sakrahn, welche den Auswurf deiner Landwirtschaft für das Ruhebett der Königin von Scheba hält! Wasche also auch deinen Körper, wenn du deine Seele gereinigt hast, denn wer das Wasser der Seife scheut, an dessen Gliedern sind alle Löcher der Haut verstopft, und er wird, auch wenn er nicht mehr trunken ist, an den Folgen der Dscherab und anderer Amrad el Gild zu Grunde gehen!«
Der Wirt fühlte sich durch die drastische Ermahnung des kleinen Hadschi nicht im geringsten beleidigt; er antwortete:
»Du hast recht, o Hadschi Halef Omar! Früher, als ich den Raki noch nicht liebte, waren mein Haus und mein Hof so blank und freundlich wie das Angesicht einer Braut, welche die Wonne des Bräutigams und die Erwählte seines Herzens ist. Aber, was sehe ich jetzt! Ich habe noch gar keine Zeit gefunden, eure Pferde zu beachten. Sind das nicht die Grauschimmel des Apothekers?«
»Ja, sie sind es,« antwortete ich.
»Welch ein großes Wunder, daß er sie euch geborgt hat!«
»Er hat sie uns nicht geborgt, sondern wir haben sie uns ohne sein Wissen aus seinem Garten geholt. Wir mußten so schnell hinter den Kelhur her, daß wir keine Zeit mit Fragen, Bitten und Verhandlungen verlieren durften. Er wird sehr erschrocken sein, als er bemerkte, daß sie fehlten, und um so mehr wird er sich freuen, wenn du sie ihm wiederbringst.«
»Ich? Ich soll sie ihm wiederbringen?«
»Ja. Du steigst jetzt in den Sattel und reitest heim.«
»Mit Wonne, Emir, mit großer Wonne! Ich werde froh sein, wenn ich aus der Nähe dieser Räuber bin. Aber dann habt ihr ja keine Pferde mehr!«
»Sorge dich nicht um uns! Wir werden nicht eher von hier fortgehen, als bis wir den Kelhur unsere beiden Pferde wieder abgenommen haben.«
»Aber das ist gefährlich, außerordentlich gefährlich!«
»Noch gefährlicher ist es, ihnen deine zehntausend Piaster wieder zu entreißen, was, wie ich hoffe, uns doch gelingen wird. Wenn alles glückt, sind wir schon morgen abend in Khoi und bringen dir das Geld. Siehst du uns bis übermorgen abend nicht, oder bekommst du bis dahin keine Nachricht von mir, so sind wir tot.«
»Das, o Effendi, möge Allah verhüten! Denn es hängt ja auch mein Glück davon ab, daß ich euch gesund und wohl wiedersehe.«
»Ich wollte dich nicht ängstigen, doch muß der Mensch an alle Fälle denken. Ich glaube, dir alle Hoffnung mitgeben zu können, daß unser Abenteuer einen guten Ausgang nimmt. Wir sind nicht unerfahren in solchen Sachen und brauchen jetzt nur noch zu erfahren, wie der Ort und seine Umgebung beschaffen ist, an welchem sich die Kelhur gelagert haben. Ist es dir möglich, ihn mir zu beschreiben?«
»Ja, dieses Wasserbett führt jetzt steiler an als bisher. Da, wo es sich teilt, folgt ihr dem Arme rechts, der auch viele Windungen macht und immer schmaler wird, bis ihr auf eine kleine, ebene Wiese kommt, die auf drei Seiten vom Walde umgeben ist. Auf der vierten Seite steigt ein Fels fast senkrecht auf, von welchem die Quelle herunterstürzt, indem sie einen schmalen Schellal bildet. Da seht ihr oben die Musallah el Amwat stehen, in welcher die Geister wohnen und in der heut in der Nacht Aqil und sein Sohn von den Bären gefressen werden sollen. Hinter der Kapelle und etwas höher noch als sie, ist einst eine Steinwand eingestürzt, die nun ganz wirr in vielen Trümmern liegt, in denen sich das Lager der Bären befindet.«
»Bären. Es giebt also nicht nur einen, sondern mehrere dort?«
»Ja.«
»Hm! Die Paarungszeit ist längst vorüber, und wenn die Bärin geworfen hat, leidet sie den Bären nicht mehr bei sich, weil er kein guter Vater ist, sondern die lieblose Neigung hat, seine Kinder zu verzehren. Ich bin also der Meinung, daß es sich nicht um ein Bärenpaar, sondern um eine Bärin und ihre jungen handelt.«
»Das weiß ich nicht; aber der Dubb, den man da oben gesehen hat, soll ein Dubb el Chulud sein, der seit der Ermordung der Christen bei der Musallah wohnt und in dieser langen Zeit immer gewachsen und dadurch so groß geworden ist, daß er einen Menschen zweimal überragt. Es ist der Geist des Priesters dieser Christen, und sein Fell soll wegen dieses hohen Alters die Weiße des Schnees besitzen. Sein Magen muß so groß sein, daß Aqil und sein Sohn in kurzer Zeit darin verschwinden werden. Effendi, wenn du dich auch nicht vor den Kelhur fürchtest, so nimm dich wenigstens vor diesem Ungetüm in acht! Mein Herz hegt den Wunsch, dich in Khoi wiederzusehen, was aber nicht geschehen kann, wenn er dich zu den zwei Bebbeh auch mit hinunterschlingt!«
»Was das betrifft, so mach dir keine Sorge! Ich bin ein Bissen, den selbst ein Bär nicht so leicht hinunterbringt, zumal wenn er vorher schon zwei Kurden vom Stamme der Bebbeh genossen hat. Über den unsterblichen Dubb el Chulud habe ich nun genug erfahren; eine Hauptsache ist jetzt noch, zu wissen, wo die Kelhur lagern. Wohl auf der kleinen Wiese, von welcher du gesprochen hast?«
»Nein, denn die ist zu moorig dazu. Von der Wiese kommt, wieder rechts, ein ganz dünnes und klares Wasser herab. Wenn du diesem folgest, so gelangst du weiter oben an einen freien, rings vom Walde eingefaßten Platz, in dessen Mitte eine kleine Birka liegt, welche den Quell des Wassers bildet. Das ist die Stelle, wo sich die Kelhur gelagert haben.«
»Ist der Wald dort dicht?«
»Ja.«
»Giebt es zwischen ihm und der Birka einen sehr breiten Raum?«
»Nein; der Platz ist klein, so daß die Kurden ganz rund um die Birka liegen müssen.«
»Mit ihren Pferden? Oder haben sie die irgendwo anders untergebracht?«
»Sie befinden sich auch dort und sind, nachdem sie getränkt worden waren, rings an den Bäumen angebunden worden.«
»So brauche ich nichts mehr zu wissen, und du kannst fortreiten, freilich ohne Sattel, denn unser Lederzeug brauchen wir selber.«
»Aber dein kostbares Reschma darfst du doch keiner Gefahr aussetzen! Wenn es dir nun die Kelhur stehlen! Ist es nicht viel besser, daß ich es mit nach Khoi nehme?«
»Nein. Es ist mir hier sicherer als auf dem Grauschimmel, den du reitest. In Khoi wird auch gestohlen, wie du ja aus Erfahrung weißt.«
Wir schirrten die Pferde ab und übergaben sie dem Wirte; er stieg auf und ritt davon, uns »mehr als tausend Wünsche des Gelingens« zurücklassend, wie sein Ausdruck lautete. Bis jetzt hatten wir ihn vom Selbstmorde abgehalten; ich hatte beinahe die feste Überzeugung, daß es uns auch gelingen würde, ihm sein Geld wieder zu bringen.
Zunächst galt es, die Pferdegeschirre zu verbergen. Wir fanden schon nach kurzem Suchen ein vortreffliches Versteck, in welchem wir sie unterbrachten; dann folgten wir, jetzt aber zu Fuße, den Spuren der Kurden von neuem, doch nur bis dahin, wo sich das Flußbett teilte, denn von da an konnten wir jeden Augenblickes von den Wächtern gesehen werden, welche der Scheik hatte ausstellen wollen.
Ich beschloß aus diesem Grunde, die Fährte nun zu verlassen. Die Beschreibung, welche der Wirt uns geliefert hatte, und der Blick, mit welchem ich die vor uns liegenden Höhen und Hänge musterte, genügten, mir zu zeigen, wie wir uns zu verhalten hatten, um unbemerkt an die Feinde zu kommen. Der Scheik hatte unsere Ankunft für möglich gehalten; er war jedenfalls überzeugt, daß wir uns nach seiner Fährte halten würden, und richtete also seine Aufmerksamkeit nach der Gegend, aus welcher er selbst gekommen war, nämlich am Wasser hinauf. Wir hatten also die Aufgabe, von oben herabzukommen. Darum verließen wir nun das Wasserbett und drangen in den Wald ein, der hier stark in die Höhe stieg. Wir hatten tüchtig zu klettern, und es dauerte fast eine Stunde, bis wir den Kamm, auf den ich es abgesehen hatte, erreichten. Dort angekommen, sahen wir jenseits, in gleicher Höhe mit uns, die Musallah el Amwat liegen.
Es war ein großartiger Ausblick, der sich uns hier bot. Unter uns brandete weithin ein ganzes Meer von hellen Laub und dunklen Nadelholzwogen, während vor uns und zu beiden Seiten die finstern Mauern des Gebirges starrten. Solche Formen waren nicht im Harze oder Thüringer Walde, nicht im Erzgebirge oder den Sudeten, auch nicht in Tirol, der Schweiz oder den Pyrenäen zu finden. Freilich konnten sie in Beziehung auf Höhe, Massigkeit und Schwere nicht mit den letztgenannten Gebirgen verglichen werden; aber ihre Physiognomie war eine so scharfe, charaktervolle, wild drohende und unerbittliche, daß mir der Vergleich mit dem Charakter und den Verhältnissen der hier hausenden Stämme förmlich aufgezwungen wurde. Der Mensch ist überall, in Süd und Nord, auf der Ebene und im Gebirge, ein Kind der Scholle, auf welcher er seine ersten Schritte thut!
Gradezu wunderbar nahm sich auf den gegenüber liegenden Felsen die »Kapelle der Toten« aus. Dieser stille von der übrigen Erde ab- und dem Himmel nahegelegene Felsenthron war wie geschaffen gewesen als Zufluchtsort jener vertriebenen, verfolgten und abgehetzten Bekenner des Christentumes, und dennoch war der schiitische Fanatismus wie ein Bluthund auf ihren Spuren geblieben, grad so wie heut wir auf der Fährte der Kelhurkurden. Von hier aus hatten sie nicht weiter gekonnt, über die Bergesmauern und über den hochstarrenden Haß der Verfolger hinüber, und darum waren sie den Weg gegangen, den einzigen, der ihnen hier übrig blieb, den Weg in den Tod.
Die Musallah, deren Trümmer wir vor uns liegen sahen, war weder ein imposantes Bauwerk gewesen noch nach irgend einem Stile errichtet worden; trotzdem wirkten ihre Überreste noch jetzt auf uns, weil sie den Mittelpunkt einer unvergleichlichen Gebirgsscenerie bildeten und zugleich ein Denkmal zum Gedächtnisse derer, welche gehorsam gewesen waren dem Gottesrufe: »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!« Die Mauern hatten aus unbehauenen Natursteinen bestanden, wie sie von dem nahen Felsensturze geboten wurden, und das niedrige aber breite Thor war aus drei schweren Monolithen zusammengefügt. Die zwei leeren Fensteröffnungen starrten wie Simsons ausgestochene Augen, und über dem zerstörten Heiligtume ragte als Decke ein Felsenvorstoß aus der Bergeswand, drohend und schwer wie der Fluch, den der sterbende Priester noch im Verscheiden ausgesprochen hatte. Als ob dieser Fluch erst gestern ausgestoßen worden sei und die »Zeit keine Zeit gefunden« habe, mit sanfter, grünender Hand den Bann zu lösen, es war kein Baum, kein einziger Strauch in der Nähe zu sehen und keine Staude, kein Moos, keine Flechte hatte das Mitleid gehabt, die Runen zu übergrünen, die ich so deutlich lesen konnte, die Runen- »Seid verflucht!« Erst weiterhin, wo das Chaos des Bergsturzes begann, wanden sich einzelne Dornen um das Gestein und krochen, im Vereine immer dichter werdend, mit Farren, Kaiserkronen und Weidenröschen untermischt, in das Trümmerfeld hinein und hoch noch über dasselbe hinauf; dann läuteten riesige Glockenblumen dem Walde entgegen, der hinter und über dem Wirrwarr wieder begann. Dort, unter dem Dornengestrüpp und nirgendwo anders mußte das Lager der Bären zu suchen sein. Halef hatte denselben Gedanken, denn er sagte, indem er mit der Hand hinüberzeigte:
»Sihdi, da drüben, wo du die große Lahbahta el Higara erblickst, muß die Wohnung des ›Bären der Unsterblichkeit‹ sein. Wenn wir ihm zeigen wollen, daß er trotz dieses Namens sterblich ist, müssen wir hinüber und ihm den Faden des Lebens zerschneiden, noch ehe es ihm gelingt, die beiden Bebbehkurden zu verschlingen.«
»Das dürfen wir leider nicht, lieber Halef, denn das Terrain ist dort so offen und wir könnten uns so wenig verbergen, daß uns die Kelhur gleich in der ersten Minute entdecken würden.«
»So willst du es zugeben, daß Aqil und sein Sohn getötet werden?«
»Nein.«
»Wie kannst du das aber verhüten, wenn du den Bären nicht aufsuchen willst?«
»Er wird ganz von selber kommen, ohne daß wir uns die Mühe zu geben brauchen, ihm unsere Visite zu machen.«
»So ist er höflicher als wir; diesen Vorwurf kann ich dir nicht ersparen, Sihdi! Glaubst du übrigens, daß er so groß ist, wie der Wirt gesagt hat?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Um erst die Bebbeh und dann auch dich noch zu verschlingen, müßte er einen Magen haben wie ein kleines Frauenzelt. Auch soll er weiß sein wie der Schnee. Giebt es Bären von dieser Farbe?«
»Ja; der Eisbär ist so weiß, und der kurdische Bär bekommt im Alter zuweilen auch dieselbe Farbe.«
»Kann er aber in einem solchen Alter Junge haben?«
»Gewiß. Der Bär kann fünfzig Jahre alt werden, und es hat Beispiele gegeben, daß eine Bärin noch mit dreißig Jahren junge geworfen hat. Der Wirt kann also, die abergläubische Erklärung abgerechnet, die Wahrheit gesagt haben.«
»Wie aber denkst du dir die Rettung der Bebbeh, ohne daß wir den Bären aufsuchen?«
»Einen bestimmten Plan habe ich jetzt noch nicht. Ich muß erst zu den Kelhur hinunter.«
»Sie beschleichen?«
»Ja.«
»Darf ich mit, Sihdi?«
»Nein.«
»Oh, warum denn nicht? Du weißt ja, daß ich so sehr gern jede Gefahr und Sorge mit dir teile!«
»Dazu wirst du heut schon noch Gelegenheit bekommen. Zunächst gilt es, das Lager der Kelhur ganz genau kennen zu lernen und dabei vielleicht etwas Bestimmteres über ihre Absichten zu erlauschen. Da bist du überflüssig, während du mir, wenn du hier bleibst, den größten Dienst erweisen kannst.«
»Wiefern, Effendi?«
»Insofern, als ich dir meine Gewehre anvertraue, die ich nicht gern einer Gefahr aussetzen möchte. Sie sind mir unersetzlich, und du wirst also einsehen, wie wichtig es für mich ist, sie in deinen treuen und starken Händen zu wissen.«
Das war geschmeichelt, und ich hatte wohl Grund, dies zu thun. Halef war mir stets ein aufmerksamer und gelehriger Schüler gewesen, auch im Anschleichen, beziehentlich dessen seine Geschicklichkeit für gewöhnliche Fälle ausreichte; in schwierigeren Fällen aber schloß ich ihn lieber aus, denn er besaß nicht die notwendige Ausdauer des Körpers und des Geistes. Er war kräftig, doch sich längere Zeit auf den Spitzen der Finger und Zehen zu erhalten, das brachte er doch nicht fertig. Und sein lebhaftes Naturell machte es ihm fast unmöglich, stundenlang eine stille, regungslose und schweigsame Geduld zu üben. Er hatte mir da schon öfters Böcke geschossen und mich in arge Verlegenheiten gebracht. Das Anschleichen und Belauschen kann unter Umständen die Körper- und auch die Geisteskräfte des geübtesten Mannes vollständig aufzehren; ich hatte solche Fälle sogar an mir selbst erlebt und heut und hier, das wußte ich im voraus, standen mir Schwierigkeiten entgegen, wie ich sie selten zu überwinden gehabt hatte. Darum sollte der Hadschi nicht mit. Da er sich aber sehr leicht zurückgesetzt fühlte, mußte ich der bittern Pille eine süße Umhüllung geben und that dies, indem ich das große Vertrauen betonte, welches ich ihm bewies, indem ich ihn beauftragte, meine Gewehre zu behüten. Er fiel auch wirklich auf diese gutgemeinte Finte herein, indem er mir in stolzem, selbstbewußtem Tone versicherte:
»Daran thust du freilich sehr recht, Effendi, denn diese köstlichen Waffen können in deinen Händen gar nicht sicherer sein als in den meinigen. Ich würde sie bis zum allerletzten Tropfen meines Blutes verteidigen!«
»Das sollst du gar nicht, denn es wird sich hier, wenn du es richtig machst, kein Mensch dazu finden, sie dir abnehmen zu wollen. Du hast weiter nichts zu thun, als dich so gut zu verstecken, daß dich jemand, der wider alles Erwarten hierher käme, nicht finden kann. Nur darfst du dieses Versteck nicht eher verlassen, als bis ich zurückkehre.«
»Ja, wann kommst du denn wieder?«
»Das kann ich nicht bestimmen; es können Stunden bis dahin vergehen.«
»Stunden? Allah 'l Allah! Das werden Ewigkeiten sein! Wenn du nicht kommst und ich denke, daß du dich in Gefahr befindest, so fährt mir vor Ungeduld die Seele aus dem Leibe. Bedenke doch, wenn man dich tötete, ohne daß ich dabei bin! Das hieltest du nicht aus und ich auch nicht!«
»Allerdings! Das getötet werden hält kein Mensch aus, ich auch nicht. Aber wenn man mich tötete, so wäre es ganz gleich, ob du dabei bist oder nicht.«
»Ich könnte wenigstens mit dir sterben!«
»Das würde mich nicht wieder lebendig machen; aber du könntest mich rächen!«
Das war das richtige Wort, mit dem ich ihn dahin brachte, wohin ich ihn haben wollte. Er schlug sich stolz in die Brust und sagte:
»Ja, dich rächen! Dazu bin ich der richtige Mann! Geh also getrost, Effendi! Ich werde hier ganz geduldig und unbeweglich warten, bis du wiederkommst. Kommst du aber nicht, so wird sich binnen kurzer Zeit kein einziger von diesen Kelhurkurden mehr zu den Menschen rechnen können, die noch am Leben sind! Wenn sie es wagen sollten, dir auch nur die Haut zu ritzen, so sende ich sie alle, alle in die Hölle, einen nach dem andern, bis keiner mehr von ihnen übrig ist. Das sage ich dir und was ich dir sage, darauf kannst du dich verlassen. Geh also, geh in Allahs Namen! Dein treuer Halef sitzt als Rächer hier, wenn du getötet wirst!«
Ich hätte gern gelacht, ließ es aber, um ihn nicht zu beleidigen, bei meinem ernsthaften Gesichte bewenden, gab ihm die Gewehre, drückte ihm die Hand, indem ich ihm noch einmal einschärfte, sich ja ganz ruhig zu verhalten, und stieg dann, langsam und vorsichtig Fuß um Fuß vorsetzend, den Berg in derjenigen Richtung hinab, welche mich nach dem Lager bringen mußte.
Nach meiner ungefähren Berechnung hätte ich, um es zu erreichen, unter gewöhnlichen Verhältnissen eine Viertelstunde zu gehen gehabt; aber die Vorsicht, welche ich anwenden mußte, konnte dieser Zeit eine Ausdehnung geben, die jetzt noch gar nicht zu bestimmen war. Glücklicherweise bestand der Boden aus weicher Humuserde; es gab keine Steine, die durch einen unvorsichtigen Schritt ins Kollern kommen konnten, und starke Bäume standen genug da, hinter denen ich mich, falls ich einen Menschen sah, sofort verstecken konnte. Man verhält sich bei Gelegenheiten, wie die jetzige eine war, in der Weise, daß man, hinter einem Baume stehend, mit den Augen die Umgebung absucht und zugleich das Ohr zu Hilfe nimmt, jedes verdächtige Geräusch zu entdecken; hat man keinen Grund zum Mißtrauen gefunden, so sucht man so rasch wie möglich den nächsten Baum zu erreichen, von welchem aus man das Spähen und Lauschen fortzusetzen hat. Das erfordert zwar Zeit, entschädigt aber für diesen Verlust mehr als reichlich durch die Sicherheit, die man dadurch für sich gewinnt.
Indem ich diesen Trick anwendete, kam ich, ohne etwas Störendes bemerkt zu haben, binnen einer halben Stunde so weit den Berg hinab, daß ich endlich unter mir Stimmen hörte; die klangen jedenfalls vom Lager herauf, dessen Nähe ich erreicht hatte. Meine Abschätzung der Gegend und der Entfernungen war also richtig gewesen, obgleich es nicht etwa leicht ist, so, wie in meiner Lage, in fernem Lande, zwischen Bergen und Wäldern, die man nicht kennt und wo die Lichtverhältnisse und der verschiedene Feuchtigkeitsgehalt der Luft das Auge täuschen, vorherzusagen, in welcher Weise und zu welcher Zeit man auf Umwegen, zu denen man gezwungen ist, einen bestimmten Ort erreichen werde.
Nach dem Klange der Stimmen, die ich hörte, konnten die Sprechenden nicht weit von mir entfernt sein; darum nahm ich mich von jetzt an noch mehr zusammen als bisher, bewegte mich aber trotzdem in gerader Linie auf diese Leute zu. Dadurch hatte ich so viel Glück, daß ich es gar nicht größer hätte haben können. Ich gelangte nämlich an ein ausgedehntes aber nicht sehr dichtes Farngestrüpp, legte mich auf den Boden nieder und schob mich in dasselbe hinein. Kaum war ich da vier oder fünf Meter weit vorgedrungen, so fiel der Grund des Waldes vor mir fast senkrecht hinab, und ich sah mich oben über dem schmalen Hintergrunde eines haarnadelähnlichen Einschnittes, dessen Seiten von Farn eingefaßt wurden. Da, wo ich lag, war er am tiefsten; seine Ränder senkten sich aber schnell nach vorn, wo er auf die Wiese mit dem kleinen Teiche mündete, die den Lagerplatz der Kurden bildete. Dieser Einschnitt hatte seine Entstehung unbedingt einem fließenden Wasser zu verdanken, welches da hinten, wo ich lag, aus der Erde gekommen war und dann nach der Wiese floß; das war wohl die ursprüngliche Quelle des Baches gewesen, auf dessen Bette die Kurden heraufgeritten waren; sie hatte sich aber als »wandernde Quelle«, die man nicht selten findet, vorwärts bewegt; jetzt speiste sie den Teich auf der Wiese, und der Einschnitt, den sie in den Boden des Waldes gefressen hatte, war trocken geworden. Er gab nun einen Ruheort, wie man ihn sich gar nicht bequemer denken konnte. Vor Wind und durch das dichte Laub der Bäume auch vor Regen geschützt, konnte man es sich hier in dem tiefen, weichen Moose so bequem machen, wie draußen auf der Wiese nicht. Das hatte Schir Samurek, der Scheik der Kelhurkurden, gar wohl bemerkt und darum diese bequeme Stelle für sich und seine nächste Umgebung ausgewählt. Diese Umgebung bestand aus noch einem Kelhur, welcher den Wächter machte, und den Gefangenen. Man kann sich denken, welche Freude ich hatte, als ich grad diejenigen vor mir sah, welche für mich die Hauptpersonen waren!
Grad unter mir, also am hintersten Ende des Einschnittes, saß Ssali Ben Aqil mit seinem Vater, nahe bei ihnen der Scheik; sie waren an den Fuß- und Armgelenken gefesselt. Dann kamen die übrigen Gefangenen, also der Nezanum und die Männer aus Khoi, die ebenso gebunden waren, und vor ihnen saß, die geladene Flinte in der Hand, der erwähnte eine Kelhur, welcher die Gefangenen zu beaufsichtigen hatte, was für jetzt, bei Tage, keine anstrengende Aufgabe war.
Der Scheik und die beiden Bebbeh waren diejenigen gewesen, deren Stimmen ich vorhin gehört hatte; sie sprachen auch jetzt noch miteinander, wobei, wie ich sehr bald hörte, Schir Samurek den Zweck verfolgte, sie mit Beleidigungen zu quälen und ihnen schon jetzt einen Vorgeschmack ihres grausamen Todes zu geben. Er schien ihnen soeben eine dieser letzteren Bemerkungen gemacht zu haben, denn ich hörte Ssali Ben Aqil in einem Tone, welcher nach Schauder klang, antworten:
»Du bist ein Teufel, ein grausamer Teufel, und wenn ich nicht wüßte, daß der Satan in der Hölle wohnt, würde ich denken, du seist dieser oberste der bösen Geister!«
»Was ist der Satan gegen mich, wenn es sich um die Blutrache handelt!« höhnte der Scheik. »Er muß sich verkriechen, denn seine Gedanken wären nicht auf die Bären und auf den Honig gekommen, mit dem ich euch bestreichen lassen werde. Da seht ihr ihn. In einer halben Stunde wird es Zeit sein, zu beginnen.«
Er deutete mit diesen Worten auf ein neben ihm liegendes, mit großen Blättern des wilden Kürbis dick umwickeltes Paket, welches also wohl die Honigwaben enthielt. Als er keine Entgegnung erhielt, fuhr er fort:
»Du bist ein Lehrer und Prediger der Religion und hast geglaubt, den Mahdi entdecken zu können, welcher der Führer zum Entzücken und zur Seligkeit sein soll. Suche ihn doch und finde ihn doch heut, du Thor! Heut ist dir so ein Führer aus der Qual zum Genusse, aus dem Tode zum Leben nötiger denn je! Bete zu Allah, ob er dich erretten wird! Bete zu Muhammed, ob er dir Hilfe bringt! Richte deine Seele zu Obeid-Allah, dem ersten Fadimiten, und zu allen übrigen, die ihm in der Lüge nachgefolgt sind, indem sie sich für den Mahdi ausgaben! Flehe sie doch an, dich vom Tode zu befreien! Kein Allah, kein Prophet und kein Mahdi kann dich erlösen!«
»Wenn ich ernstlich darum bitte, werden sie uns befreien,« antwortete Ssali, »denn der Kuran sagt, daß das Gebet dem Feuer gleiche, welches selbst das härteste Erz zum Schmelzen bringt.«
»Du Thor!« lachte der Scheik. »Kein Gott handelt gegen seine eigenen Gesetze und kein Prophet gegen seine eigenen Lehren. Hat nicht Allah die Blutrache geboten, als er sagte: Auge um Auge, Leben um Leben!? War es nicht Muhammed, der seinem Stamme, den Arab Koreisch, in jeder Blutsfehde mit dem Schwerte voranging? Was soll dir das Gebet zu ihnen helfen, da weder Allah noch der Prophet jemals verziehen hat? Gott und Muhammed, sie sind durch sich selbst gezwungen, mir zu helfen, aber nicht dir! Es giebt keine Gesetzgebung und keine Lehre, welche den Mut besitzt, im vollen Ernst die Rache zu verbieten und die Verzeihung an ihre Stelle zu setzen.«
»Es giebt eine solche Lehre!«
»Nein!«
»Es giebt eine; die christliche ist's!«
»Dummkopf! Glaubst du denn, daß es dem Gekreuzigten und seinen Nachfolgern Ernst damit gewesen ist? Beobachte die Christen, was sie thun! Gleichen ihre Werke ihren Lehren? Geben sie nicht Lüge anstatt Wahrheit, Strafe statt Verzeihung, Falschheit anstatt Aufrichtigkeit und Krieg anstatt des Friedens?«
»Die das thun, haben gar keinen Glauben; sie nennen sich zwar Christen, sind aber keine!«
»Das hat dir dieser Kara Ben Nemsi gesagt, dessen Zunge die Wohnung des Betruges ist!«
»Ich glaube ihm, denn er spricht niemals anders, als er denkt!«
»Allah w' Allah! Der Moslem vertraut dem Christenhunde! Bist du denn wirklich wahnsinnig genug, zu denken, daß dieser räudige Schakal uns hindern könne, euch den Bären vorzuwerfen?«
»Es ist nicht Wahnsinn, daß ich es für möglich halte. Dieser Emir aus Germanistan ist ein Sohn des Glückes und ein Liebling der guten Dschinn, welche im Himmel wohnen und Gottes Thron umringen. Er hat viel Schwereres vollbracht, als unsere Befreiung sein würde!«
»Er ist eine feige Hyäne, die den Mut nicht hat, uns zu folgen, oder ein blinder Hund, der keine Fährte sieht. Wenn er sich an uns wagte, müßte er längst hier sein! Ich habe ja sein Antlitz schamrot gemacht, indem ich ihm sagen ließ, daß ich es bin, der seinen Hengst entführte.«
»Er kann noch kommen!«
»So fällt er meinen Wachen in die Hände, die unten beim Aufgang des Thales auf ihn lauern, und wird den gleichen Tod mit euch erleiden! Ihn, der ein Christ ist, wird dann der Geist des christlichen Priesters, der als Bär erscheint, auch verschlingen. Du siehst, daß ihr auf alle Fälle verloren seid!«
»Allah giebt das Leben, und Allah giebt den Tod; es ist alles im Buche verzeichnet; aber ich darf noch nicht sterben, denn ich habe die Aufgabe noch nicht erfüllt, die ich zu vollenden habe; ich weiß also, daß wir errettet werden!«
»Hund, willst du mich etwa verhöhnen! Such' deine Befreiung beim Halbmonde, oder such' sie beim Kreuze der Christen, du wirst vergeblich nach ihr lechzen und schreien!«
»Ist der Mond der Moslemim nicht barmherzig, so werden wir Erhörung bei dem Kreuze finden!«
»Das haben die Schiiten dort von der Musallah herabgestürzt und mit Feuer verbrannt, es ist vernichtet und kann dir zu nichts helfen!«
»Aber die Bedeutung, die es hatte, die ist noch vorhanden!«
Da donnerte ihn der Scheik, erbost über die Gegenreden, grimmig an:
»Der Wahnwitz deines Widerstandes ist und bleibt grenzenlos! Ich sage dir, und das merke dir: da drüben steht die Musallah el Amwat; ich sage, daß der Bär des Priesters euch dort fressen werde, und du meinst, daß das Kreuz euch dort erretten könne; jeder Mensch, der Hirn im Kopfe hat, wird dich darob verlachen, dennoch will ich ernst bleiben und so thun, als ob ich das, was du gesagt hast, für möglich halte. Wenn der Bär des toten Priesters da drüben im Eingange der Musallah steht und das Kreuz der Christen in den Tatzen hält, dann will ich glauben, daß es diesem Kara Ben Nemsi, dem Christenhunde, gelingen kann, euch aus unsern Händen zu erretten, eher aber nicht! Hast du das gehört? Bist du so verrückt, auch dies für möglich zu halten?«
»Wenn Gott es will, so ist es nicht nur möglich, sondern es wird und muß geschehen!«
Da sprang der Scheik auf, stampfte mit beiden Füßen die Erde, fuchtelte in unzähmbarem Zorne mit den Armen in der Luft herum und schrie den Kelhur zu, welche, von dem überlauten Gezänke herangelockt, am Eingange des Bodenrisses standen:
»Hört ihr es, hört! Dieser verrückte Sohn eines Hundes und einer Hündin vom Stamme der Bebbeh behauptet, daß der Geist des Priesters drüben unter dem Thore der Musallah stehen werde, mit dem Kreuze der Christen in den Tatzen, zum Zeichen, daß er und sein Vater uns mit Hilfe von Kara Ben Nemsi, den die Hölle geboren hat und auch wieder verschlingen muß, entkommen werden! Ihr habt es gehört. Nun laßt das Lachen des Spottes erschallen und das Gelächter der Verachtung ertönen, damit er und der Erzeuger seines armseligen Lebens von den Stimmen der Verhöhnung niedergeschmettert werden!«
Er ließ, um selbst das Beispiel zu geben, ein brüllendes Lachen hören, und seine gehorsamen Kurden fielen in dasselbe ein. Der Wald und die Bergwände gaben das unbeschreibliche johlen verzehnfacht zurück, daß es mir war, als müsse der weiße Riesenbär des Priesters aufgeweckt werden und drüben erscheinen, um die so verhöhnte Behauptung wahr zu machen. Mein Blick flog auch wirklich unwillkürlich hinüber; aber das Gedorn bewegte sich nicht, und das Thor der Musallah blickte so leer als wie zuvor zu uns herüber. Dafür aber tauchte in mir ein Gedanke auf, den ich sofort festhielt, obgleich seine Ausführung mir die Rettung der Gefangenen, die mir in anderer Weise wohl leichter geworden wäre, ungemein erschweren mußte.
Als das Hohngelächter verklungen war, setzte sich Schir Samurek wieder nieder und warf in unbeschreiblich verachtungsvollem Tone die Frage hin:
»Wiß ihr nun, wie vernünftige Männer über euch denken? Hat die Antwort, die ihr erhieltet, euch nicht die Knochen zu Mehl und Staub zermalmt? Morgen um dieselbe Zeit werdet ihr dasselbe Lachen aus dem Munde der Teufel in der Hölle hören, und es wird euch in die Ohren klingen in alle Zeit und Ewigkeit! Eure Erwartung ist Lüge, eure Hoffnung ist Täuschung, und euer Glaube ist Betrug. Weder Allah noch sein Prophet wird sich eurer erbarmen, denn das Blut, welches wir zu rächen haben, muß über euch kommen, und wenn ihr euch in eurer Todesangst dann an den falschen Gott der Ungläubigen wendet, welcher Isa heißt, so wird der Himmel sich vollends von euch wenden und die Hölle über euern Abfall jubeln!«
Da rief Aqil, welcher bis jetzt kein Wort gesprochen hatte:
»Mag er sich vollends abwenden, und mag sie darüber jubeln! Wenn weder Allah noch sein Prophet eine Rettung für uns wissen, so verlieren wir nichts, wenn sie uns vollends verlassen. Ist es etwa eine Sünde, einen Glauben aufzugeben, der sich seiner Anhänger nicht erbarmt und ihnen nur Tod und Rache bringt? Du aber, sprich ja nicht von Falschheit und Betrug, du, dessen Lüge und Hinterlist uns um das Leben bringt! Als ich dir gestern den Hengst des Fremden als Lösegeld bot, nahmst du es an und verhießest mir das Leben; als du aber erfahren hattest, wo das Pferd zu finden war, warfst du mich in Fesseln und nahmst dann auch noch meinen Sohn gefangen, als ihn der Zufall euch entgegenführte. Statt ich allein, sollen nun wir beide sterben. Ist das nicht Hinterlist und Falschheit, Lüge und Betrug! Ist es wirklich ein Abfall von unserm Glauben, wenn wir Rettung durch den Christen erwarten, weil kein Moslem uns aus den Händen derer befreien will und kann, die sich Gläubige des Propheten nennen?«
»So hofft getrost auf diesen Ungläubigen; ich habe nichts dagegen! Er, den du um sein teueres Eigentum brachtest und den dein Sohn erstechen wollte, soll nun sein Leben wagen, um das eurige zu retten! Von welch einem Menschen kann man das verlangen! Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch thäte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden!«
»So mache dich ja bereit, deine Augen nach dem Kreuze zu richten, denn Kara Ben Nemsi wird sicher kommen. Ein Krieger wie er läßt ein solches Pferd nicht im Stich!«
»Allah! Wir sind dreihundert gegen ihn!«
»Hast du jemals gehört, daß er seine Feinde zählt?«
»Hund! Du scheinst ja diesen unreinen Wurm schon zu verehren und anzubeten wie einen Gott, der über dem siebenten Himmel thront! Selbst wenn er hier erscheinen sollte, würde es zu spät für euch sein; er würde auch in unsere Hände fallen, doch wäret ihr schon längst vorher im Magen des Bären begraben. Warum leihe ich überhaupt euern Reden meine Ohren? Wir mußten warten, weil der Bär erst spät, nachdem es dunkel wird, sein Lager zu verlassen pflegt; nun aber naht die Dämmerung, und ich brauche nicht länger zu zögern, mit dem Werke der Vergeltung zu beginnen. jetzt, in diesem Augenblicke, erhebt der Tod seine Hand, um sie nach euch auszustrecken; sobald das letzte Licht des Tages verschwindet, hat er euch ergriffen; da liegt ihr drüben in der Musallah el Amwat, und keinem Sterblichen, mag er nun ein Moslem oder ein Ungläubiger sein, wird es gelingen, euch zu erretten. Die Musallah ist die Kapelle der Toten, und wen die Toten übernommen haben, den geben sie nicht wieder heraus!«
Er warf dem Wächter einen Befehl zu; dieser entfernte sich und brachte acht oder zehn Kurden herbei, welche zwei starke Pfähle und viele Riemen bei sich hatten. Die Bebbeh sollten mit den Riemen an die Pfähle gebunden und dann mit Honig bestrichen werden; das war klar. Ich durfte nicht länger hier bleiben, denn ich mußte noch den Weg nach der Musallah rekognoszieren, den wir später in der Dunkelheit zurückzulegen hatten. Ich kroch also zurück, aus den Farn heraus, und wendete mich nach der Seite hin, wo drüben die Kapelle lag. Dabei bewegte ich mich wieder vorsichtig von Baum zu Baum, wäre aber trotz dieser Vorsicht beinahe gesehen worden, wenn ich die Gefahr nicht noch beinahe im letzten Augenblicke bemerkt hätte.
Nach der Beschreibung des Wirtes hatte ich die Wiese rund mit scharfer Waldumgrenzung gehalten; aber sie streckte eine Art Zunge ziemlich weit zwischen die Bäume hinein, der ich Mich, ohne sie zu kennen, so weit genähert hatte, daß ich mich nur einige Schritte von ihrem Rande befand. Der Klang einer Stimme grad vor mir hatte meinen Fuß noch zur rechten Zeit zurückgehalten. Ich warf mich nieder und kroch, tief an den Boden gedrückt und scharf um mich spähend, vorwärts. Ein starker Stamm gewährte mir genügende Deckung; von da aus konnte ich die Wiesenzunge überblicken. Da standen Pferde, vielleicht gegen dreißig Stück, beisammen, seitwärts davon mein Rih mit Halefs Gaul. Der Rappe war ein edles, stolzes Tier; er litt niemals ein fremdes Pferd in seiner Nähe, dessen Besitzer er nicht kannte; er schlug und biß es fort. Und wenn es ihrer viele waren, so entfernte er sich und ließ sich darin durch keinen Zügel oder Riemen hindern.
Wie aber sah das herrliche Tier jetzt aus, natürlich nur in meinen Augen, die jeden Zollbreit von ihm kannten! jeder andere mußte ihn auch jetzt nur mit Bewunderung betrachten. Es wurde schon erwähnt, daß der lange Ritt durch Persien nicht ohne Folgen auf ihn gewesen war. Gestern war er uns gestohlen und mit Gewalt fortgeführt worden. Er war nicht gutwillig mitgegangen; wie ich ihn kannte, wußte ich, daß er sich ganz energisch gesträubt und widersetzt hatte; anstatt ihn durch Liebe und Zureden gefügig zu machen, war man roh und gewaltthätig mit ihm umgegangen, das sah ich ihm sofort an. Nun stand er bewegungslos mit halb geschlossenen Augen und tief hängendem Kopfe da. Sein herrliches Fell hatte seit gestern fast allen Glanz verloren; das Gras der Wiese reizte ihn nicht; vor ihm lag ein Haufen junger, grüner Zweigspitzen, die man ihm vorgeworfen hatte, um ihm Appetit zu machen; sein Maul hing grad darüber, ohne daß eine Nüster auch nur leise zuckte; er hungerte, und ich war überzeugt, daß er auch das Wasser verschmäht hatte. Er grämte sich; er sehnte sich nach mir!
Möge man über mich lachen, ich gestehe es doch aufrichtig, daß mir ganz weh wurde, so wehe, als ob ich alle Zeichen des Grames eines lieben Menschen vor mir hätte. Ich liebte den Rappen; sein Anblick jammerte mich, und dieser Jammer trieb mich zu einem Wagnisse, welches ich eines andern Pferdes wegen gewiß nicht unternommen hätte. Ich nahm mir den Mut, ihm ein Zeichen zu geben, daß ich mich in der Nähe befand, und von dem ich wußte, daß er es sofort verstehen werde. Vorher aber überzeugte ich mich, daß die paar Kelhur, welche bei den Pferden saßen, ihre Aufmerksamkeit nicht nach der Gegend richteten, in welcher ich mich befand. Ich hatte dem Rappen mehrere Zeichen gelehrt, von denen jedes seine bestimmte Bedeutung hatte und die so unauffällig waren, daß sie keine Aufmerksamkeit erregten außer die seinige, Zeichen, die für solche Fälle bestimmt waren, in denen ich mich ihm nicht nähern konnte, wollte oder durfte. Jedes edle arabische Pferd kennt solche Zeichen, die sein Besitzer einem andern Menschen nur aus ganz besonderen Gründen mitteilen würde. Eines dieser meiner Zeichen war ein scharfes, dabei aber dumpfes, sehr kurzes Husten, welches wie die Silbe »kol« klang. Kol heißt »iß!« oder »friß!« Die erwähnten Kurden sprachen laut und angelegentlich mit einander, wahrscheinlich von der Kapelle, wie ich aus ihren lebhaften Gesten schloß, und ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß sie auf den kurzen, rasch verhallenden Klang wohl kaum achten würden. Ich wagte es also, zu husten. Sie rührten sich nicht; sie hatten es nicht gehört. Rih aber hatte ein schärferes Gehör; er richtete den Kopf sofort nach meiner Seite, und seine feinen Ohren legten sich lauschend nach vorn; die Augen standen plötzlich weit geöffnet; die Sehnen spannten sich, und der lange, schwere Schwanz wurde an der Wurzel in elegantem Boden gehoben. Außer seinen Augen war kein anderes zu mir hergerichtet. Da wagte ich noch mehr: Ich richtete mich ganz auf, so daß er mich sehen mußte, und warf mich aber sofort nieder. Er hatte mich erkannt. Ein anderes Pferd hätte nun seine Freude durch Schnauben, Wiehern oder auffällige Bewegungen kundgegeben; Rih aber war zu gut geschult, als daß er in einen solchen Fehler verfallen wäre. Er ließ nur die Ohren ein ganz klein wenig spielen, senkte dann den Kopf, nahm ein Maulvoll Zweige und – – begann zu fressen! Mein Zweck war erreicht; ich blieb zwar nur wenige Augenblicke liegen, aber es war mir doch trotz der Kürze dieser Zeit, als ob der Rappe ein ganz anderes, weit besseres Aussehen bekommen hätte, und ich glaube kaum, daß ich mich darin täuschte.
Nun umkroch ich die Wiesenzunge, um meine unterbrochene Rekognoszierung fortzusetzen. Sie nahm keine lange Zeit in Anspruch, denn ich wurde nicht gestört und hatte in Beziehung auf das Terrain gar keine Hindernisse zu überwinden. Bald kannte ich den geradesten Weg, der von der Wiese hinüber zur Kapelle führte und stieg nun wieder den Berg empor, um zu Halef zurückzukehren. Er hatte eine so schnelle Lösung meiner erst so schwierig erscheinenden Aufgabe nicht erwartet und freute sich um so mehr darüber, als er daraus auf eine günstige Lage der Verhältnisse schließen konnte.
»Hamdulillah – Preis sei Allah,« sagte er, »daß du schon wieder da bist! Ich dachte schon darüber nach, wen ich zuerst erschießen sollte, wenn du nicht wiederkommen würdest, den Scheik oder seine dreihundert Schufte; am liebsten hätte ich ihn mir bis ganz zuletzt aufgehoben, um ihn so lange wie möglich mit der Angst vor dem Tode zu quälen. Was hast du gesehen und gehört? Wo sind unsere Pferde und wo die Gefangenen? Hast du den Scheik belauscht und wann will er die Bebbeh nach der Musallah schaffen? Sind die zehntausend Piaster schwer zu erlangen und werden wir mit List durchkommen oder zu den Waffen greifen müssen? Hat Rih dich gesehen und – –«
»Halt ein mit deinen Fragen!« unterbrach ich ihn. »Wir müssen uns beeilen; später wirst du alles erfahren. Jetzt komm!«
Ich nahm meine Gewehre, hing sie über und führte ihn den Berg hinab nach einer Stelle, wo wir, zwischen Büschen gut versteckt, die Kelhur sehen konnten, wenn sie vorübergingen, um die Bebbeh nach der Musallah zu schaffen. Kurz bevor wir diese Stelle erreichten, sahen wir eine Bärenfährte und sprachen sie an. War das ein gewaltiger Petz, der hier herübergewechselt hatte! Die Sohlen waren von einer Stärke, wie ich sie fast noch bei keinem Grizzly bemerkt hatte, doch mit sehr kurzen, stumpfen Krallen; es mußte ein hochbetagter Kerl sein oder vielmehr kein Kerl, sondern eine Lady, denn nicht weit davon stießen wir auf die Tritte einiger Bärenbabies und hatten es also mit der Mama und ihren Kindern zu thun. Leider konnten wir nur wenige Augenblicke auf diese Spuren verwenden, denn grad da, wo sie sich befanden, gab es keine Deckung, und wenn wir uns sehen ließen, riskierten wir nicht nur das Gelingen unserer Pläne, sondern auch das Leben. Wir suchten also die erwähnten Sträucher auf, krochen hinein und zogen die Zweige so über uns zusammen, daß wir zwar hinausblicken, aber von draußen aus nicht gesehen werden konnten. Als wir nun wartend hier nebeneinander lagen, wollte Halef seine Fragen von vorhin wiederholen; ich verwies ihn aber auf später und er mußte sich bescheiden.
Die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden und es begann bereits zu dunkeln, als wir endlich die Kelhur kommen sahen. Es waren bei weitem nicht alle dreihundert, sondern etwa nur zwanzig Mann. Der Scheik schritt voran. Hinter ihm wurden die beiden Bebbeh von je vier Mann getragen; die übrigen folgten neben oder hinter ihnen her. Diejenigen, welche nicht Träger waren, hielten ihre Gewehre ängstlich schußbereit, denn man näherte sich dem Geisterbären, der auch einmal auf den Gedanken kommen konnte, seinen Umgang zu einer früheren Zeit als gewöhnlich zu unternehmen. Man hatte die beiden Gefangenen mit dem Rücken auf die Pfähle gelegt und sie mittels Riemen so sorgfältig daran festgebunden, daß es allerdings der Gewalt von Bärenkrallen bedurfte, um sie ohne Messer davon loszubringen. Dann waren sie so dick mit Honig beschmiert worden, daß wir ihn beim Vorübertransporte heruntertropfen sahen. Einer der Kelhur trug noch Waben nebenher, wozu, das konnten wir bald darauf beobachten.
Wir folgten ihnen mit gespannten Blicken, bis sie alle drüben im Innern der Kapelle verschwunden waren. Nach zehn Minuten kamen sie wieder heraus. Drei liefen, als ob sie einen raschen Botengang zu besorgen hätten, an uns vorüber nach dem Lager zurück, und andere gingen, während die übrigen bei der Musallah warteten, langsam und äußerst vorsichtig von dort aus nach den Felswandtrümmern, wobei sie sich von Zeit zu Zeit zur Erde niederbückten.
»Hast du eine Ahnung, was diese Leute dort thun, Sihdi?« erkundigte sich Halef.
»Ja. Du hast doch gesehen, daß einer von ihnen Honigwaben in den Händen trug. Das ist die Lockspeise für den Bären, die sie von der Musallah bis in die Nähe seines Lagers legen, um ihm den Weg zu zeigen, der ihn zu seinen Opfern führen soll.«
»Maschallah! Ist es nicht ein Wunder, daß es Menschen giebt, die keine Menschen mehr sind? Wer eine Blutrache ausführen will, der mag dem Feinde eine Kugel in den Kopf geben; aber ihn auf diese Weise quälen und ihn von den wilden Tieren zerreißen lassen, das kann doch nur ein Teufel sich aussinnen!«
»Es ist freilich so unmenschlich, daß man es kaum begreifen kann; aber wer weiß, durch welche Grausamkeit die Bebbeh diese Art der Rache herausgefordert haben; uns werden sie es freilich nicht erzählen. Schau, da kommen die drei Kelhur wieder! Sie haben noch etwas holen müssen.«
Als sie an uns vorübergingen, sahen wir, was sie trugen, nämlich ein Bündel dürre Binsen, mehrere Stücke Talg und einen leeren blechernen Patronenkasten.
»Was sie mit dem Kasten wollen?« meinte Halef.
»Wahrscheinlich eine Lampe anfertigen.«
»Lampe? Wozu?«
»Das Mark der Binsen vertritt den Docht und der Talg die Stelle des Öles.«
»Ja, aber warum? Wozu brauchen sie eine Lampe herzustellen? Wollen sie sie der Bärin zum Geburtstage für ihr Zimmer des Schlafes schenken?«
»Das weniger, Halef. Es liegt vielmehr ein jedenfalls nicht so liebenswürdiger Grund vor. Sie werden die Kapelle erleuchten wollen, damit der Bär seine Beute leichter findet.«
»Allah! Das ist wieder ein Gedanke aus der Hölle.«
»Und eine Qual, die man nicht bloß fühlt, sondern auch sieht, ist eine doppelte Qual. Diese Kelhur verfahren mit einer so ausgesuchten Bosheit, daß man sie an Stelle der Bebbeh den Bären vorwerfen möchte, ohne sich die geringsten Gewissensbisse darüber zu machen.«
Wir sahen, daß die erwähnten Gegenstände in das Innere der Musallah getragen wurden; inzwischen waren die, welche den süßen Köder gelegt hatten, damit fertig geworden, und als die andern in der Kapelle auch ihren Zweck erreicht hatten, kamen sie alle zurück und wieder an uns vorbei. Sie verhielten sich dabei so schweigsam, daß wir kein Wort von ihnen zu hören bekamen. Nun glaubte Halef endlich die Zeit gekommen, Aufklärung über meine Absichten von mir erhalten zu können. Darum fragte er:
»Dürfen wir jetzt miteinander sprechen, Sihdi?«
»Ja.«
»Warum sprichst du nicht? Du weißt ja wohl ganz gewiß, was ich so gern wissen möchte!«
»Ich kann es mir denken und will vorher einige Fragen an dich richten. Wollen wir nicht nur unsere Pferde wieder holen, sondern auch das Geld des Wirtes und dazu die Bebbeh retten?«
»Ja, Effendi; das wollen wir nicht nur, sondern das müssen wir sogar. Wenn wir die Bebbeh in dieser Weise sterben ließen, würde mir es Zeit meines Lebens sein, als ob ich die Krallen des Bären in meinem Fleische fühlte.«
»Gut! Aber es gilt dabei, unser Leben zu wagen. Bist du damit einverstanden?«
»Warum fragst du mich da erst? Willst du mich, deinen treuen Hadschi Halef Omar, beleidigen und kränken?«
»Nein. Ich frage deshalb, weil es sich um eine Gefahr handelt, in welcher du dich noch niemals befunden hast.«
»Welche ist es?«
»Weil die Kelhur jetzt noch nicht wissen sollen, daß wir hier sind, dürfen wir nicht schießen; dennoch aber müssen wir die Bären töten.«
»Nun, so töten wir sie!« antwortete der kleine, furchtlose Kerl schnell bereit.
»Aber womit?«
»Womit du willst, Effendi.«
»Wir können sie nur entweder erstechen oder erschlagen.«
»Gut, so thun wir es!«
»Halef, erst überlegen, dann beschließen und nachher handeln! Hast du schon einmal einen Bären erschlagen oder erstochen?«
»Noch nie. Aber eben deshalb freue ich mich unendlich darauf, es heut einmal thun zu dürfen.«
»Lieber Hadschi, zwischen wollen und vollbringen ist ein großer Unterschied! Hier handelt es sich um eine alte, ungeheuer große Bärin; sie zu erschlagen, dazu gehört eine Körperkraft, die du nicht besitzest, und ein Gewehrkolben, weicher nicht zerspringt.«
»Einen solchen Kolben hat dein Bärentöter; also sind die Rollen gleich verteilt: du erschlägst sie und ich ersteche sie, ob vorher oder nachher, das ist mir gleich!«
»Langsam, langsam! Weißt du, wohin man stechen muß, nämlich zwischen welche Rippen?«
»Nein. Bleibt denn eine Bärin so lange ruhig stehen, bis man ihre Rippen vorwärts und rückwärts abgezählt hat, Effendi?«
»Nein; aber dem Geübten genügt ein einziger Blick. Das Messer muß mit einem einzigen Stoße bis an das Heft eindringen; man kann es auch zurückziehen und mehrere Male stoßen müssen. Ein Bär scheint ungeheuer tölpelhaft zu sein, ist aber, besonders wenn er angegriffen wird, außerordentlich schnell und gewandt; wenn du nicht ganz richtige Stellung nimmst und den Augenblick ganz genau berechnest, kann er dich gepackt und zerfleischt haben, ehe du nur das Messer zückst. Wehe dir, wenn deine Klinge an dem dichten Felle abgleitet! Wehe dir, wenn – –«
»Oh, Effendi,« unterbrach er mich, »ich höre schon, was du willst! Du willst die Bärin selbst erstechen und erschlagen!«
»Ob erschlagen oder erstechen, das kommt ganz auf die augenblicklichen Umstände an; aber ich beabsichtige allerdings, sie nur auf mich allein zu nehmen.«
»So willst du mir von dem Ruhme des heutigen Tages gar nichts überlassen? Soll ich, wenn wir zu unserm Stamm der Haddedihn zurückgekehrt sind, den dortigen Kriegern erzählen müssen, daß ich hier an der Musallah el Amwat ruhig zugesehen habe, daß du alle Gefahren allein auf dich genommen hast, während ich die Hände in den Schoß legte wie ein altes Weib, welches schon ausreißt, wenn ihr ein Bär bloß im Traume erscheint? Was würde mein Weib Hanneh, die schönste und lieblichste Blüte unter allen Blumen des Landes, dazu sagen? Müßte sie nicht denken, daß der Geist der Tapferkeit von mir gewichen sei und ich nun einer Kaffeemühle gleiche, von welcher der Drehling verloren worden ist?«
»Beruhige dich, lieber Halef! Du sollst dich keineswegs so ruhig und unbeteiligt verhalten, wie du anzunehmen scheinst. Wir werden uns vielmehr die Arbeit teilen. Wenn ich die Bärin auf mich nehme, fallen dir die jungen zu.«
»Die Jungen! Als ob das eines Kriegers, wie ich bin, würdig wäre! Was für ein Ruhm kann für mich davon abfallen, daß ich einem oder zwei jungen Bären die Hälse umdrehe! Das ist ja eine Arbeit, welche jeder Knabe leicht verrichten kann.«
»Da irrst du dich. Wie groß stellst du dir die jungen Bären vor?«
»Nun, sie werden wohl nicht viel größer als eine Katze sein.«
»Oh, viel, viel größer! Sie sind jetzt gegen sechs Monate alt und also schon so herangewachsen, daß sie dir sehr zu schaffen machen können. Ein junger, halbjähriger Bär, der in der Wildnis, nicht in der Gefangenschaft geboren worden ist, kann unter Umständen die ganze Kraft eines Mannes in Anspruch nehmen, und hier haben wir es höchst wahrscheinlich nicht bloß mit einem, sondern mit mehreren zu thun.«
Ich war gezwungen, die alte Bärin auf mich allein zu nehmen, denn Halef war kein Bärenjäger und hätte nicht nur sich und mich in große Gefahr bringen, sondern auch in Beziehung auf die Kelhur unsere Pläne vollständig zunichte machen können. Damit er sich aber nicht dadurch zurückgesetzt fühle, bedurfte es eines Hinweises darauf, daß die Rolle, welche ihm zufiel, auch schon den ganzen Mut eines Mannes erfordere. Daher meine letzten Worte, durch welche ich auch meine Absicht zu erreichen schien, denn er sagte in beruhigtem Tone:
»So meinst du also, daß es nicht so sehr leicht ist, es mit solchen Abkömmlingen einer Bärin der Unsterblichkeit aufzunehmen?«
»Ganz und gar nicht leicht. Dazu kommt die große Liebe, welche so ein Tier für seine jungen hegt. Wer sich gegen diese feindlich zeigt, auf den stürzt sie sich mit einer Wut, die keine Grenzen kennt; sie wendet sich in diesem Falle, um nur ihre jungen zu verteidigen, von ihren eigenen Angreifern ab. Du siehst also, daß du nicht weniger Mut als ich zu zeigen haben wirst; ja, es ist sogar möglich, daß du dich beim Angriffe auf die jungen in viel größerer Gefahr befindest als ich, weil du dadurch sehr leicht zwischen die Tatzen und Zähne der Alten geraten kannst.«
»Das macht mich glücklich, Effendi, sehr glücklich! Ich sehe jetzt ein, daß du mich nicht für so eine alte Tahunet el Bunn hältst, wie ich vorhin dachte, und darum bin ich damit einverstanden, daß mir die Söhne und Töchter der Bärin zufallen sollen.«
»Schön! Aber vergiß nicht, daß wir nicht schießen dürfen!«
»Oh, ich werde nichts als mein Messer brauchen, und die jungen Abkömmlinge der vermeintlichen alten Unsterblichkeit werden aus dem Leben scheiden, ohne daß darüber in der Welt ein großer Lärm entsteht. Dann werde ich zum Andenken an den heutigen Tag aus den Fellen ein Zini ed Delul anfertigen lassen oder einen weichen Sidschschadi es Ssiwan für die kleinen, süßen Füßchen meiner Hanneh, die mit so kleinen, allerliebsten Pantöffelchen bekleidet sind, daß man sie fast nur mit dem Glase der Vergrößerung erkennen kann. Doch schau, es ist dunkel geworden, und der Schein der Binsendochte erleuchtet das Innere der Musallah. Wird es nun nicht Zeit für uns, hinüberzugehen und die armen Teufel von ihrer Todesangst zu befreien?«
»Was diese Angst betrifft, so ist sie ihnen zu gönnen. Diese Bebbeh sind Menschen, und also dürfen wir nicht zugeben, daß sie ermordet werden, daß sie zumal eines solchen Todes sterben, wie der ist, den man ihnen zugedacht hat; aber sie sind auch nicht besser als die Kelhur, ihre Feinde; sie haben uns bestohlen und nach dem Leben getrachtet, und wenn ich auch fest entschlossen bin, sie zu retten, so haben sie es doch verdient, vorher ein wenig Todesangst auszustehen.«
»Das ist wahr, Sihdi; diese Angst kann ihnen gar nichts schaden; aber wenn wir lange zögern, so kommen die Bären und fressen sie auf, ohne daß wir uns dabei beteiligen können.«
»Beim Auffressen?«
»Scherze nicht, Sihdi! Nennst du es etwa Rettung, wenn wir die Bebbeh aus dem Magen der Bärin schneiden? Wir müssen sie befreien, ehe sie sich gezwungen fühlen, durch den Schlund dieses Raubtieres zu wandern. Und darum denke ich, wir gehen jetzt hinüber. Oder meinst du, daß wir nicht so sehr zu eilen brauchen?«
»Eigentlich haben wir noch Zeit, denn der Bär des Gebirges pflegt sein Lager nicht so zeitig zu verlassen; aber der Geruch des Honigs, welcher bis nahe an das Gestrüpp gelegt worden ist, kann die Bestien schon früher hervorlocken, und außerdem möchte ich gern wissen, was die Bebbeh in der fast hoffnungslosen Lage, in welcher sie sich befinden, miteinander reden. Darum bin ich damit einverstanden, daß wir uns jetzt hinüberschleichen.«
»Schleichen? Warum uns solche Mühe geben? Es ist ja so dunkel, daß uns niemand sehen kann; wir brauchen also nicht zu kriechen, sondern können gehen.«
»Allerdings, doch nur mit Anwendung der nötigen Vorsicht. Die Musallah ist vom Lagerplatze der Kelhur aus zu sehen, und du kannst dir denken, daß sie von ihnen im Auge behalten wird. Die Thor- und Fensteröffnungen sind im Scheine der drinnen brennenden Lichter hell zu sehen, und die Kelhur müßten uns, sobald wir ihre Gesichtslinie durchschnitten, unbedingt bemerken, denn unsere Gestalten würden sich in diesem Lichte scharf abzeichnen. Du wirst dich also hinter mir halten und ganz genau das machen, was ich thue.«
»Das werde ich, Sihdi. Also, brechen wir jetzt auf?«
»Ja.«
»So wollen wir Allah bitten, daß er uns ein gutes Gelingen dieses gefährlichen Werkes beschere! Du weißt, Effendi, daß ich mich nicht fürchte; mein Herz klopft ruhig wie immer, und meine Hand wird das Messer so sicher führen, als ob es nur gelte, einen gebratenen Hammel zu zerteilen; aber ein Bär ist doch noch etwas anderes als ein Hammel, zumal wenn er nicht gebraten ist, und so wünsche ich, daß, wenn wir nachher von da drüben zurückkehren, weder meine Haut noch die deinige mehr Löcher hat als jetzt. Also beten wir! A' uhdu billah min esch Schejtan er ragihm – ich suche Zuflucht bei Allah vor dem bösen Teufel; er wird mir beistehen, Effendi, und auch dir!«
Ich wußte gar wohl, daß es nicht die Angst, sondern die Frömmigkeit war, die ihn zu diesem Stoßseufzer veranlaßte, und wenn ich auch nicht laut in seine Bitte einstimmte, so befahl ich mich doch im stillen auch dem Schutze dessen, der Leben und Tod in seinen allmächtigen Händen hält, denn es war trotz meiner Erfahrenheit auch für mich kein Spaß, unter den gegenwärtigen Verhältnissen mit einem so riesenhaften Vertreter der Familie Ursus anzubinden. Der kurdische Bär kommt in Beziehung auf seine Gefährlichkeit gleich nach dem Grizzly des amerikanischen Felsengebirges, und das will wohl etwas sagen, zumal es uns verboten war, uns unserer Gewehre zu bedienen.
Da wir das Terrain bei Tage überschaut hatten, so kannten wir es genau; es bot uns keine Schwierigkeiten, außer an denjenigen Stellen, wo wir die Gesichtslinie der Kurden berührten. Da mußten wir uns platt niederlegen und uns möglichst so in den vorhandenen Bodenvertiefungen bewegen, daß wir nicht zwischen die Augen der Kelhur und die erleuchteten Maueröffnungen der Musallah kamen.
Aus diesem Grunde dauerte es wohl eine Viertelstunde, ehe wir die Kapelle erreichten, und zwar nicht an ihrer vordern und auch nicht an der nach dem Felssturze liegenden, sondern an der dritten Seite, welche wir bisher noch nicht gesehen hatten und die, zu meiner großen Befriedigung, auch jetzt von den Feinden nicht gesehen werden konnte. Die vierte Seite stieß an den Felsen, kam also gar nicht in Betracht. Wir befanden uns also auf der von den Bären abgelegenen Flanke der Ruine, was uns nur zum Vorteile gereichen konnte, und zu meiner noch größeren Genugthuung bemerkte ich da, daß es hier auch ein Fenster gab, dessen Brüstung so tief eingefallen war, daß man nur über einige Steine zu springen brauchte, uni in das Innere zu gelangen.
Im Schatten dieser Steine legten wir uns nieder und brauchten nur die Köpfe zu erheben, um den ganzen Innenraum der Musallah zu überblicken. Wir sahen nichts als Trümmer, Schutt und Mauern; es gab nichts, auch nicht den kleinsten, geringsten Gegenstand, der auf den einstigen Zweck des Bauwerkes hätte schließen lassen. Große Steine und kleineres Geröll lagen über den Boden hin verstreut, und nur an der hintern Seite, der Felsenwand, bemerkte ich verbröckelte Linien, die wahrscheinlich einst eingemeißelt worden waren und, wenn der fahle, ungewisse Lichtschein mich nicht täuschte, in kufischer Schrift als »Kyrie« gelesen werden mußten. Kyrie eleison – Herr erbarme dich! Keine Inschrift konnte besser passen für diesen Schauplatz der Zerfleischung glaubenstreuer Christen! Und nicht weniger eignete es sich für die Scene, welche jetzt vor unsern Augen lag!
Die Kelhur hatten die Pfähle, an welche die beiden Bebbeh gebunden worden waren, im Hintergrunde in die Erde gerammt und unten mit angelegten, schweren Steinen so befestigt, daß sie nicht wanken konnten. Dies war jedenfalls geschehen, um eine Verlängerung der Todesqualen zu erzielen; die Bären sollten dadurch gezwungen werden, ihr grauenhaftes Werk an den Füßen ihrer Opfer zu beginnen. Diese befanden sich in ihren Kleidern und waren mit Riemen und Stricken fest umwickelt, eine weitere Verschärfung der Grausamkeit, weil die Krallen der Raubtiere dadurch verhindert wurden, mit ihnen schnell ein Ende zu machen. Ihre mit Honig beschmierten Gesichter waren kaum zu erkennen; er lief und tropfte an ihnen nieder und bildete unter ihnen kleine Lachen, welche ihre Anziehung auf die Bären nicht verfehlen konnten. Da sie nicht im stande waren, auch nur ein Glied zu bewegen, erinnerten sie mich an die Art und Weise, wie gewisse Puebloindianer ihre verstorbenen Angehörigen zu beerdigen oder vielmehr nicht zu beerdigen pflegen, indem sie sie an Pfähle binden, die an hochgelegenen Punkten in die Erde gesteckt werden. Es ist schauerlich, solche Leichen hoch oben auf Felsenspitzen zu erblicken, umschwebt von Geiern, welche ihr grausiges Mahl davon halten. Hier aber in der Musallah sollten nicht Leichen, sondern lebende Menschen aufgefressen werden!
Die Bebbeh schienen alle ihre Kräfte angestrengt zu haben, ihre Fesseln zu zersprengen, natürlich vergeblich; sie waren davon so ermattet, daß wir zunächst nur müde Seufzer hörten. Dann erklang aus Aqils Munde ein schwerer, hier unmöglich wiederzugebender Fluch, dessen Erfüllung den Kelhur den sofortigen Sturz in die tiefsten Qualen der Hölle gebracht haben würde.
»Verdamme sie nicht, sondern klage nur dich selbst an!« sagte da sein Sohn. »Sie üben nur die Rache aus, zu welcher du sie herausgefordert hast.«
»Müssen sie sich aber in dieser fürchterlichen Weise rächen?« entgegnete der erstere. »War es nicht Strafe genug, wenn sie uns einfach erschossen?«
»Nein! Hast du etwa vor zwei Jahren den Kelhur auch nur erschossen, oder hast du ihn in die Grube gesperrt und langsam verhungern lassen? Er mußte verhungern und wir werden gefressen; das ist die Rache Schir Samureks, gerecht gegen dich, aber ungerecht gegen mich, denn ich bin nicht schuld am Tode jenes Mannes; als er starb, war ich in Kahira und also fern von Kurdistan. Warum hat Allah es gefügt, daß ich dein Sohn wurde und nun an den Folgen deiner Thaten und deiner Thorheiten zu Grunde gehen muß!«
»Die Blutrache geht von Glied zu Glied; sie ist Allahs Gesetz, und du darfst dich also nicht beschweren.«
»Ich habe nicht von der Blutrache, sondern von deinen Thorheiten gesprochen!«
»Thorheiten! Wie darf ein Sohn es wagen, dieses Wort gegen seinen Erzeuger auszusprechen!«
»Er darf, wenn es die Wahrheit enthält! War es nicht mehr, viel mehr als Thorheit, daß du trotz der Blutrache, die zwischen euch schwebte, zu den Kelhur gingst, um ihnen ein Pferd anzubieten, welches weder dir gehörte, noch sich in deinen Händen befand? Mußtest du es nicht voraussehen, daß sie dich festhalten und dann das Pferd stehlen würden? Durch dich, nur durch dich allein sind sie auf den Gedanken gekommen, nach Khoi zu reiten, und auf dir allein liegt die Schuld, daß ich ihnen dabei in die Hände gefallen bin!«
Sein Vater beantwortete diesen berechtigten Vorwurf durch ein tiefes, schmerzvolles Stöhnen, versuchte dann aber doch, ihn durch eine Gegenanklage zu entkräften:
»Du sprichst von meinen Thorheiten, nicht aber von den deinigen! Den größten Fehler, der gemacht worden ist, hast du begangen!«
»Wodurch?«
»Dadurch, daß du auf den Gedanken kamst, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar zu erstechen. Obgleich ich wünsche, daß Allah sie verfluchen möge, muß ich doch zugeben, daß sie Männer sind, die ihr Gegner zehnmal mehr zu fürchten hat, als jeden andern Feind. Der Hengst des Effendi hat einen unschätzbaren Wert, und darum bin ich bereit, die heiligsten Eide darauf abzulegen, daß er den Kelhur folgt, um das Pferd wieder zu bekommen. Wenn ich an die Thaten denke, die man sich von ihm erzählt, möchte ich darauf schwören, daß er hier in der Nähe ist und alles gesehen hat, was die Kelhur gethan haben.«
»Diese Überzeugung habe ich auch,« stimmte Ssali bei.
»Vielleicht weiß er sogar schon, daß wir hier in der Musallah angebunden worden sind, um von den Bären gefressen zu werden. Darauf beruht die einzige Hoffnung, die uns übrig bleibt!«
»Du hoffst vergebens! Seit die Kelhur uns vorhin verlassen haben, denke ich an keine Rettung mehr. Erst dachte ich, daß sie uns mit den Bären nur erschrecken wollten; jetzt aber erkenne ich, daß es ihnen Ernst gewesen ist. Nun es dunkel geworden ist, getrauen sie sich nicht, herüber zu kommen, um uns loszubinden. Wir sind also unrettbar dem Tode verfallen, den sie über uns ausgesprochen haben.«
»Noch nicht! Meine Hoffnung wird erst in dem Augenblicke schwinden, an welchem ich die Krallen der Bestien in meinem Herzen fühle. Kara Ben Nemsi kommt; er ist vielleicht schon da; er duldet nie, daß ein Mensch, und sei dieser sein ärgster Feind, gemartert werde. Wenn er hier ist und wenn er weiß, was uns bevorsteht, wird er nach der Musallah kommen und uns retten!«
»Nein; das wird er nicht thun!«
»Warum nicht?«
»Deinetwegen! Hättest du ihn nicht erstechen wollen, so wollte ich es glauben. Nun aber wird er sich eines Feindes wegen, der ihn ermorden wollte, nicht in die Gefahr begeben, selbst von den Bären zerrissen zu werden.«
»Die Bären fürchtet er nicht; das wissen wir. Und wenn er dir den Raub des Pferdes verzeiht, wird er auch nicht nach dem Messer fragen, welches ich gegen ihn gezückt habe. ›Ein Christ kennt die Rache nicht, denn Gott ist der Vergelter,‹ sagte er zu mir, indem er mir die Waffe wiedergab. Wenn er hier ist und erfahren hat, in welcher Not wir uns befinden, wird er den Geboten seines Glaubens gehorchen und uns retten!«
»Allah w' Allah! Welch ein Wunder, mein Sohn, daß aus deinem Munde solche Worte kommen! Du, ein stolzer Lehrer und Prediger des heiligen Islam, der du für die Christen niemals etwas anderes als nur Flüche hattest, setzest jetzt deine einzige und letzte Hoffnung auf so einen verfluchten Anhänger der Lehre des Kreuzes auf Idschdschuldschula!«
»Fluche ihm nicht, wenigstens diesem nicht! Er führt die Lehren seines Glaubens nicht nur auf der Zunge; sie wohnen auch in seinem Herzen; sie hängen am Griffe seines Messers und sie sprechen aus den Läufen seiner Gewehre. Wenn Allah ihn hierher geleitet hat, so schwöre ich bei Muhammed und bei – –«
»Schweig!« fiel ihm sein Vater in die Rede. »Hast du vergessen, was Schir Samurek uns so höhnisch riet? Wer Hilfe durch einen Christen erwartet, darf seine Rufe nicht an Muhammed richten. Soll uns Hilfe durch Kara Ben Nemsi werden, so führt ihn Isa Ben Marryam herbei; also an diesen letzteren wende dich!«
Mir war es zweifelhaft, ob Aqil dies ernstlich oder ironisch meinte; sein Sohn schien Spott für ausgeschlossen zu halten, denn er antwortete:
»Noch sind die Bären nicht da; sie werden erst in später Nacht erscheinen; noch kann uns also vielleicht Muhammed einen Retter senden; der Christ bleibt uns übrig bis zum letzten Augenblick!«
In der schrecklichen Lage der beiden Bebbeh klang diese spitzfindige Klügelei geradezu zum Erbarmen; das fühlte Halef auch; er flüsterte mir zu:
»Effendi, wenn das nicht zum Weinen wäre, würde es zum Lachen sein! Ich weiß, wer stärker ist, Christus oder Muhammed. Wollen wir nicht dafür sorgen, daß diese Bebbeh es auch erfahren?«
»Das haben wir nicht nötig,« antwortete ich ebenso leise; »sie werden schon selbst dafür sorgen; warten wir es nur ab! Sei still; wir wollen weiter hören!«
Was wir noch hörten, war nichts Wichtiges für uns. Sie ächzten und stöhnten abwechselnd; sie machten einander Vorwürfe; sie beteten zu Allah, zu Muhammed und seinen Nachfolgern; das widerstrebte mir so, daß ich mich schon erheben wollte, um hineinzugehen und sie loszubinden, als Aqil plötzlich einen Schrei ausstieß und dann seinem Sohne zurief: »Allah sei uns barmherzig! Siehst du den Bären dort an der Thür?!«
»Ich sehe ihn,« antwortete Ssali. »Es ist ein junger. Oh Allah, o Prophet, o Mekka, o heilige Kaaba, unser Martertod wird jetzt beginnen!«
Unsere Blicke reichten auch bis zur Thür. Ja, dort stand wirklich ein junger Bär! Er war ganz gewiß sieben Männerfäuste hoch und dem entsprechend lang und stark; der Milch schon längst entwöhnt, war er von seiner Mutter gewiß nicht nur mit Früchten, sondern schon mit Wildpret aller Arten bedacht worden; das sah man ihm an. Ein kleines Baby war er nicht mehr; er steckte schon tüchtig in der Flegelzeit, und Halef raunte mir, meinen Arm ergreifend, eifrig zu:
»Oh, Sihdi, das ist ein Bär, wirklich einer! So groß habe ich mir die kleinen Kinder der alten Mutter nicht gedacht! Der wird freilich keinen Spaß verstehen! Soll ich hinein zu ihm und ihm sagen, daß ich sein Fell zu einem Teppich brauche?«
»Nein, nein; warte! Der Angriff auf ihn würde die Alte, die jedenfalls auch schon in der Nähe ist, wütend machen. Du darfst auf keinen Fall eher hinein als ich!«
Indem wir diese hastigen Worte schnell miteinander wechselten, war der Bär mit einer Honigwabe beschäftigt, welche die Kelhur nahe der Schwelle hingelegt hatten. Er nahm sie zwischen die Vorderkrallen, richtete sich auf und begann, sie in einer Weise zu verzehren, die man hätte drollig finden müssen, wenn die Situation eine andere gewesen wäre.
Die Bebbeh waren für einige Zeit vor Angst ganz still; dann flossen die Stoßgebete ohne Pause von ihren Lippen, doch gar nicht laut, um nicht den Bären durch die Stimmen aufmerksam zu machen. Plötzlich erhielt er von hinten einen Stoß; er fiel vornüber und trollte, ohne sich nach der Ursache umzusehen, einige Schritte weiter bis dahin, wo wieder ein Stück Honig lag; hinter ihm war ein zweites Junges erschienen, womöglich größer und stärker noch als er. Die Stoßseufzer der Bebbeh wurden lauter und lauter; der Name Muhammeds ertönte von Sekunde zu Sekunde von ihren Lippen, und der Ton dieser Ausrufungen bewies, daß ihre Angst sich ebenso schnell vergrößerte. Als hinter dem zweiten nun gar noch ein dritter Bär, auch ein junger, hereingehumpelt kam, gab es keine Rücksicht mehr darauf, daß sie durch ihre Stimmen die Alte herbeilocken würden; sie schrieen, als ob sie schon angebissen würden. Allerdings stand der erste Petz schon unter Aqil und leckte mit Behagen von dem Honig, der sich dort angesammelt hatte; der zweite leistete ihm einige Augenblicke später Gesellschaft, während der dritte bald bei Ssali stand, um da dieselbe Arbeit vorzunehmen. Das war ein Schlürfen und Schmatzen, fast wie an einer feinen Hoteltafel, wenn die Suppe serviert worden ist und kein Mensch auf den Ekel und Abscheu seines Nachbars Rücksicht nimmt. Bär bleibt eben Bär, im kurdischen Hochgebirge und an der Table d'hÔte in Cannes, Baden-Baden oder Scheveningen!
Die beiden ersten Gourmands hatten die Pfütze schnell aufgeleckt; sie merkten, daß die Süßigkeit sich nach oben fortsetzte, und richteten sich auf, indem sie ihre Krallen an die Füße und Unterschenkel Aqils legten. Dieser schrie nicht mehr; er brüllte!
»Oh, Effendi, lieber Effendi, wir müssen hinein, sonst sind sie verloren!« forderte mich Halef halblaut auf.
Er wollte wirklich aufstehen; ich drückte ihn fest nieder und antwortete.
»Du bleibst! Ich weiß nicht, wo die alte Bärin bleibt; sie könnte uns von hinten fassen!«
Ich lauschte in die Nacht hinaus, konnte aber nichts von ihr hören, denn die Bebbeh ließen jetzt ihre Stimmen so laut erschallen, daß man sie ganz gewiß drüben im Lager der Kelhur hörte. Das Ausbleiben der Bärin war mir bedenklich; die jungen war zwar ihrer Brust schon längst entwachsen, aber sie so ganz selbständig und ohne Aufsicht in der Nacht herumlaufen lassen, das that sie gewiß nicht, ohne daß ihre Aufmerksamkeit von ihnen ab und auf etwas Wichtiges gelenkt worden war. Sollte ihre Nase auf unsere Spur geraten sein? Oder machten ihr die vielen Spuren der Kurden zu schaffen?
»Ducke dich ganz nieder, und rühr dich nicht!« forderte ich Halef auf. »Die Alte kann jeden Augenblick da um die Ecke kommen!«
Das Messer halb aus dem Gürtel gezogen, hielt ich den schweren Bärentöter bei den Läufen zum Hiebe bereit. Meine Befürchtung hatte mich nicht getäuscht: eine in der nächtlichen Finsternis helldunkel scheinende Gestalt von riesigen Umrissen schob sich langsam hinter der Mauer hervor. Schon glaubte ich, der Augenblick sei da, an dem es heißen würde: die Bärin oder ich! Da wurde das Geschrei der Bebbeh von einem Laute übertönt, der weder Brummen noch Winseln, weder Pfeifen noch Kreischen und doch alles dieses war, und sofort sah ich die Gestalt wieder verschwinden. Ein schneller Blick in das Innere der Musallah zeigte mir die Ursache: die beiden Bären, welche sich an Aqil aufgerichtet hatten, waren in Streit miteinander geraten und bearbeiteten sich mit den Krallen, wobei auch Aqils Beine nicht verschont blieben, was sein Gebrüll verdoppelte. Die Bärin hatte wirklich zu mir und Halef gewollt, war aber aus Sorge um ihre Jungen rasch wieder umgekehrt und erschien nun in der Thür.
Fast hätte ich sie für eine Eisbärin halten können, wenn ihr Kopf länger und die Schnauze spitzer gewesen wäre. Sie war fast reinweiß bei weit über zwei Meter Länge und anderthalb Meter Schulterhöhe, ein außerordentlich und selten großes und starkes Tier. Das eine Ohr fehlte ihr; sie mochte es im Kampfe mit dem Herrn Ehegemahl oder einem andern nicht gentlemanliken Signor verloren haben. Sie stand nur einen Augenblick still unter der Thür; das war aber ganz genügend, zu zeigen, daß ein kleiner Hieb ihrer Vordertatze genügte, den stärksten Mann niederzuschlagen. Während der Hälfte dieses Augenblickes herrschte lautloses Schweigen; ihr Anblick raubte den beiden Bebbeh den Atem; dann brachen sie aber um so lauter los.
»Allah, Allah!« schrie Aqil. »Jetzt ist es da, das Ungeheuer; jetzt ist er da, der Tod! Nun giebt es keine Rettung mehr!«
Und zu gleicher Zeit heulte sein Sohn:
»Das ist der Geist des Priesters, der uns fressen wird! Das ist der Rachen des Todes, in dem wir verschwinden werden! Hilf uns, oh Allah! Hilf uns, oh Prophet aller Gläubigen! Errette uns, oh – – –«
»Schweig!« donnerte ihn da sein Vater an. »Mit der Macht des Propheten ist's zu Ende. Bedenke – – –«
Ich horchte nicht weiter auf sie, denn der Augenblick war für uns gekommen.
»Laß mich erst allein hinein; du bist mir sonst im Wege, Halef!« befahl ich dem Hadschi, indem ich aufstand.
Den Stutzen ließ ich fallen; er war im Wege. Dafür nahm ich das Messer zwischen die Zähne und den Bärentöter hoch, nicht zum Hiebe, sondern zunächst zum Stoße, denn ich wußte, wie es nun kommen mußte. Die Bärin war mit zwei, drei raschen Bewegungen zu den zankenden jungen gekommen und warf sie beide mit einem vorsichtigen Tatzenhiebe auf die Seite. Dann richtete sie sich langsam und drohend vor Aqil auf, welcher voller Entsetzen zeterte:
»Hilf, oh Gott der Christen! Hilf, oh Isa Ben Marryam, da uns kein anderer helfen kann!«
Und in derselben Todesangst wimmerte Ssali Ben Aqil:
»Rette uns, oh Gekreuzigter; rette uns! Es ist keine Macht im Himmel und auf Erden als bei dir allein – –«
Mehr hörte ich nicht, denn in diesem Momente lag mein ganzes Leben in meinen Augen und in meinen Fäusten. Ich schnellte mich über die schon erwähnten Steine hinein und rannte der Bärin den schweren Kolben unter den erhobenen Vorderpranken gegen die Rippen, daß sie lang auf die Seite niederfiel. Das hatte ich beabsichtigt, denn nur in dieser Lage bot sie mir die Schnauze zum betäubenden Hiebe; der Schädel war zu dick dazu. Noch war sie im Stürzen, da hob ich den Kolben schon hoch; er sauste nieder und traf so gut, daß das Ungetüm alle vier Beine steif von sich streckte. Ich wußte gar wohl, daß diese Betäubung eine schnell vorübergehende sei. Das Gewehr wegwerfend, nahm ich das Messer aus dem Munde – – zwei, drei rasche Stiche bis an das Heft zwischen die bewußten zwei Rippen; dann sprang ich auf die Seite und stürzte dabei über den jungen Bär, der noch bei Ssali Ben Aqil stand. Ich hatte nicht anders weichen können, raffte mich wieder auf und sah da, daß Halef mir rascher gefolgt war, als er sollte. Er hatte nahe der Bärin ein junges gepackt, welches nach ihm schlug und biß, so daß er keinen sichern Stoß für sein Messer fand. Ich eilte zu ihm hin und riß ihn zurück.
»Um Gotteswillen, fort von der Alten!« rief ich ihm zu. »Noch wissen wir nicht, ob ihr mein Messer wirklich ins Leben gefahren ist!«
Der kleine Kerl sah mir lächelnd in das Gesicht und antwortete, auf die Bärin deutend:
»Dein Messer, und nicht richtig treffen! Das kann gar nie geschehen! Sieh den Strom des Blutes, der ihr aus dem Herzen rinnt! Schau, daß sie nicht mehr zucken kann! Es ist nur noch das letzte Zittern des Scheidens von der Erde, welches leise ihr Fell bewegt. Ihre Seele hat den Leib bereits verlassen, und ihr Geist schweift nun ohne Wohnung über die Wälder des Gebirges hin. Dein erster Stoß hat sie niedergeworfen; dein Kolbenschlag hat ihr das Gebiß und die ganze Zierde des Angesichtes zerschmettert, und die Spitze deiner Klinge hat die Musallah el Amwat von dem Gespenste befreit, welches in ein lebendiges Bärenfell gewickelt war. Dein Werk ist vollbracht; nun mag das meinige beginnen. Ich bitte dich, o Effendi, mir deinen Katil ed Dubeb zu leihen, weil die Kinder in ganz genau derselben Weise aus dem Dasein wandeln sollen, wie ihre Mutter es verlassen hat!«
Während er dies sagte, hielt ich den Blick scharf auf die Bärin gerichtet, bereit, ihr schnell, wenn nötig, noch einen Messerstoß zu geben; es war überflüssig; die Klinge hatte das Herz durchbohrt. Indem ich nun die Aufmerksamkeit eines jungen auf mich lenkte, schlug Halef es mit dem Bärentöter nieder und gab ihm dann den richtigen Messerstoß. So machten wir es auch mit den beiden andern, und als wir dann vor den vier Tierleichen standen, waren seit dem Augenblicke meines Einschreitens wohl kaum mehr als zwei Minuten vergangen, ein über alles Erwarten glückliches Gelingen, welches wir nicht mit dem kleinsten Hautritz zu bezahlen hatten.
Nun konnten wir unsere Aufmerksamkeit den Bebbeh schenken. Sie hielten beide die Augen geschlossen und gaben, als ob sie nicht mehr am Leben seien, keinen Laut von sich. Das ärgerte meinen kleinen Hadschi, welcher glaubte, ihren lauten Dank verdient zu haben. Er rief sie an:
»So öffnet doch eure Augen, ihr großen Helden vom Stamme der Bebbeh! Oder meint ihr, daß ihr mit zu den Bären gehört, die wir erschlagen haben? Da müßten wir euch auch noch unsere Messer zu fühlen geben!«
Da schlugen sie die Augen auf.
»Kara Ben Nemsi!« rief Aqil.
»Ja, er ist's; er ist es wirklich, der Hadschi Emir Kara Ben Nemsi Effendi!« stimmte Ssali bei. »Und hier steht auch der kleine, tapfere Hadschi Halef Omar! Sehe ich euch in Wirklichkeit, oder ist's ein Traum, in den ich durch den Tod versetzt worden bin?«
»Maschallah! Kann man nach dem Tode auch noch träumen?« lachte Halef. »Ihr seht uns hier in voller Wirklichkeit, denn ich sage euch, wir haben keine Lust, nichts als nur Traumgestalten zu sein!«
»Also wirklich, wirklich! Wie aber seid ihr hierher nach der Musallah el Amwat gekommen?«
»Ganz so, wie ihr es vorhin zu einander sagtet: Wir ritten den Hunden der Kelhur nach, um ihnen unsere Pferde wieder abzunehmen und euch zu befreien.«
»Uns befreien?« fragte er in zweifelndem Tone. »Uns zu befreien! Scherzest du vielleicht, Hadschi Halef Omar?«
»Wie kannst du diese Frage aussprechen! Schau die gewaltigen Glieder dieser Bärin an und die zwölf Krallenfüße ihrer jungen! Sieht das so aus, als ob wir hier einen Scherz getrieben hätten?«
»Allah 'l Allah! So ist es wirklich euer Ernst gewesen, uns zu retten?«
»Ja.«
»Dann ist unser Gebet zu dem Gekreuzigten das richtige gewesen! Aber, verzeiht! Wir haben euch beleidigt, euch um die Pferde gebracht und euch nach dem Leben getrachtet. Wir können darum nicht eher an eure Güte glauben, als bis ihr uns hier losgebunden habt!‹&
»Wir haben beschlossen, dies zu thun, doch nur unter der Bedingung, daß ihr ein Verlangen nicht an uns stellt, welches wir nicht befriedigen könnten.«
»Welches Verlangen meinst du?«
Halef, der stets den Schalk im Nacken hatte und selbst der ernstesten Situation eine heitere Seite abzugewinnen wußte, antwortete in hoheitsvollem Tone:
»Wir werden euch nur dann losbinden, wenn ihr nicht etwa verlangt, daß wir euch auch noch ablecken sollen! Unser Kismet sagt nichts davon, daß wir diese Arbeit da fortsetzen sollen, wo die Bären darin unterbrochen worden sind.«
Ssali wußte nicht, was er hierauf sagen sollte. Ich überhob ihn der Antwort, indem ich begann, seinen Pfahl zu lockern, um ihn mit demselben umzulegen, wo dann das Losmachen leichter und bequemer als im Hängen war. Bald waren wir fertig damit, und als sie nun mit freien Gliedern vor uns standen und aus nicht mehr beengter Brust tief Atem holten, geschah etwas, oder vielmehr, geschah zweierlei, was ich beiden nicht zugetraut hätte. Aqil nämlich, der Räuber und Mörder, der bisher so gefühls- und gewissenlose Mensch, warf sich auf den Boden nieder und begann, laut wie ein Kind zu weinen. Die ausgestandene, furchtbare Todesangst hatte ihn so tief erschüttert, daß er sich nicht halten konnte. Und Ssali, sein Sohn, ergriff meine beiden Hände, sank vor mir in die Kniee und sagte:
»Du hast gesiegt, Emir, wie so oft über deine Feinde; aber diesen Sieg hast du nicht für dich errungen, sondern für einen, der weit höher steht als du. Gott ist die Liebe; du hast es gesagt, und ich glaubte es nicht; nun aber wäre ich blind, wenn ich nicht sähe, daß du die Wahrheit besitzest, während ich im Irrtum wandelte. Du hast uns, deine Feinde, aus den Krallen des Todes befreit; wir sind dein Eigentum und legen unser Schicksal in deine Hände.«
Ich zog ihn empor und antwortete:
»Knie nicht vor einem Menschen! Nur vor Gott und seinen Stellvertretern soll man sich beugen; ich aber bin ein Sünder so wie du. Seid ihr wirklich bereit, euer Schicksal ganz in meine Hände zu legen?«
»Ja. Ohne euch wären wir zerrissen und aufgefressen worden. Mach mit uns, was du willst! Wirst du uns den Kelhur wieder ausliefern?«
»Nein. Ihr seid frei.«
»Allah! Das wäre zu viel! Mußt du nicht wenigstens meinen Vater nach Khoi bringen, um ihn für den Raub der zehntausend Piaster bestrafen zu lassen?«
»Ich bin nicht Polizist von Khoi. Was ihr gegen uns begangen habt, das haben wir euch vergeben, und die Händel, welche ihr mit andern hattet, die gehen uns nichts an. Wir haben kein Recht über euch; mag Allah euer Richter sein! Ihr seid also frei und könntet eigentlich jetzt gehen, wohin ihr wollt, aber ich bitte euch, wenigstens noch bis morgen früh bei uns zu bleiben, weil wir sonst wahrscheinlich verhindert sein würden, das zu thun, was wir zu thun versprochen haben.«
»Oh, Emir, du hast nicht zu bitten, sondern nur zu befehlen! Unsere Herzen sind voller Dankbarkeit für euch; alle Feindschaft, die wir gegen euch hegten, ist zu Ende, und wir werden alles, alles thun, was du von uns nur fordern kannst.«
»Was ich von euch wünsche, ist nur, daß ihr bei uns bleibt und euch ruhig verhaltet. Ich will den Kelhur noch heut in der Nacht unsere Pferde entführen, und ich will Schir Samurek, ihren Scheik, ohne daß sie es merken, aus ihrem Lager holen; ihr aber sollt euch ruhig verhalten, bis dieses beides geschehen ist. Dies ist es, was ich von euch verlange.«
»Was sagst du da, Effendi? Was willst du thun? Eure Pferde entführen, das ist schwer, sehr schwer, aber doch nicht unmöglich. Aber den Scheik auch entführen, das kannst selbst du nicht fertig bringen!«
Da fiel Halef eifrig ein:
»Wie darfst du meinem Sihdi solche Worte sagen! Er thut stets das, was er sich vorgenommen hat, und für ihn ist das oft leicht, was andere für unmöglich halten. Wenn er Schir Samurek herausholen will, so holt er ihn; darauf kannst du dich verlassen! Siehst du denn nicht, daß ich auch da bin, der ich mit ihm schon so viel vollbracht habe? Was wir durchführen wollen, das führen wir durch, und dabei bleibt es sich ganz gleich, ob er bei mir ist oder ob ich bei ihm bin; die Hauptsache ist ja, daß wir beisammen sind! Wir haben die Bären der Unsterblichkeit erlegt und euch aus ihren Tatzen befreit. Ist das nicht schwerer, viel schwerer, als zwei Pferde und einen Scheik aus dem Lager zu entführen?«
»Für mich würde beides unmöglich sein; ihr aber seid Männer, deren Pläne und Thaten man nicht hindern kann, und darum darf ich euch nicht entgegenreden. Welchen Grund aber habt ihr denn, den Scheik gefangen zu nehmen?«
»Wir wollen ihn dadurch zwingen, das Geld herauszugeben, welches dem Wirte von Khoi gehört.«
»Werdet ihr ihn dann gefangen halten und nach Khoi schaffen, um ihn dort des Brandes wegen bestrafen zu lassen?«
»Nein,« antwortete ich jetzt an Halefs Stelle. »Ich habe dir schon gesagt, daß ich kein Polizist bin. Sobald ich meinen Zweck erreicht habe, lasse ich ihn frei.«
»Frei willst du ihn lassen, Effendi? Diesen Räuber und Mörder, der uns von den Bären zerreißen lassen wollte? Der euch die Pferde gestohlen hat und, wenn ihr ihm in die Hände gefallen wäret, euch auch den Bären vorgeworfen haben würde? Denke doch, was das zu bedeuten hätte! So eine Nachsicht und Milde könntet ihr weder vor Allah noch vor den Menschen verantworten, und alle Sünden, welche dieser Schir Samurek in seinem Leben noch begehen würde, müßten auf euer Gewissen fallen! Kannst du dich wirklich entschließen, eine solche Last auf dich zu nehmen, Emir?«
»Ja.«
»So begreife ich dich nicht!«
»Oh, ich habe soeben erst eine ganz gleichgroße Last auf mich genommen!«
»Wann und wie?«
»Vorhin, als ich euch verzieh. Schir Samurek ist ein Räuber und Mörder. Was seid ihr gewesen? Er wollte mich töten, falls ich in seine Hände fiele. Ihr habt uns nach dem Leben getrachtet. Euch haben wir zur Freiheit verholfen. Ihm wollen wir sie auch wiedergeben. Steht da nicht beides gleich? ja, für euch haben wir mehr, viel mehr gethan, als wir für ihn thun wollen, denn wir haben, obgleich ihr unsere Todfeinde waret, unser Leben gewagt, um euch von den Bären zu befreien; für ihn aber werden wir nichts, gar nichts wagen.«
»Aber die Kelhur sind unsere Feinde, mit denen wir in Blutrache stehen!«
»Was geht das mich an? Nanntet ihr euch nicht auch unsere Todfeinde? Und doch haben wir euch vergeben! Du hast erst vorhin so schön und mit solcher Überzeugung von der Liebe gesprochen, und jetzt brütest du Rache gegen die Kelhur. Meinst du, daß dies Liebe sei, die richtige Liebe, die Gott von uns verlangt? Ist es etwa ein Verdienst, diejenigen, welche dich lieben, wieder zu lieben? Das ist nicht Liebe, sondern Selbstsucht von dir. Nur wer gelernt hat, zu verzeihen, kann richtig und kann wirklich lieben; die Liebe aber, die neben sich die Rache kennt und duldet, verdient den Namen nicht, den du ihr giebst. Du bist noch neu und unerfahren in der wahren Liebe. Bitte Allah täglich, daß du sie besser kennen lernst. Ich habe sie dir gezeigt. Nun werbe um sie fort und immerfort, damit sie deine Freundin werde. Ich sage dir, es giebt kein Glück und keine Seligkeit ohne sie, im Leben und im Sterben. Doch jetzt dürfen wir uns nicht länger mit Worten, sondern wir müssen uns mit Thaten beschäftigen. Kannst du dich auf die Worte besinnen, welche Schir Samurek zu dir sagte, als du behauptetest, daß ich euch retten würde, obgleich ihr meine Todfeinde seid?«
»Welche Worte meinst du?«
»Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch thäte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden!«
»Maschallah – Wunder Gottes! Du kennst seine Worte so genau, als ob du dabei gewesen wärest, als er sie sprach! Bist du allwissend, Effendi?«
»Nein. Weißt du auch noch, was er von dem Kreuze und von diesen Bären sagte?«
»Ja.«
»So hilf uns, dafür zu sorgen, daß seine Worte in Erfüllung gehen! Hat euch die Liebe, welche in meinem Herzen wohnt, also das Kreuz, welches das Zeichen meines Glaubens ist, Errettung vom Tode gebracht, so mag es auch den Kelhur die Erkenntnis bringen, daß der Haß und die Rache immer wieder nur Haß und Rache erzeugt, während die Liebe die Mutter der Erlösung und des Glückes ist.«
»Wie sollen wir dazu mithelfen, Effendi?«
»Wenn morgen früh Scheik Samurek den ersten Blick zur Musallah hebt, soll er die Erfüllung dessen sehen, was er im Hohne zur Bedingung machte: der Bär soll mit dem Kreuze in den Pranken hier unter der Thüre stehen.«
Seine dunkeln Augen bohrten sich mit forschendem Blicke und doch wie staunend in die meinigen, indem er ausrief:
»Welch ein Gedanke! Welch eine Idee! Effendi, ich beginne zu ahnen, wo die Quelle deiner Erfolge sprudelt. Du bist nicht ein Sklave des Kismet, sondern hast dich von ihm frei gemacht und leitest es nach deinem Willen!«
»Das kannst du auch!«
»Nein; ich kann es nicht, und kein andrer Mensch kann es außer dir. Wer hat dir die Macht dazu gegeben?«
»Die Liebe. Habe ich dir nicht gesagt, daß die Liebe die Mutter der Erlösung ist? Dein Kismet ist ein Tyrann, vor dem du wie ein Wurm, den es jederzeit zertreten kann, im Staube kriechst; er lebt von dem Marke deiner Knochen und mästet sich an dem Willen deiner Seele; er macht dich taub, daß du das Klirren deiner Ketten nicht vernimmst, und macht dich blind, daß du die Herrlichkeit der Freiheit nicht erblickst. Er schreibt seine Gesetze mit dem Blute deiner Adern und erteilt dir seine Befehle durch die Stimme der Leidenschaften, welche dich gleich dem Gifte des Haschisch verzehren, während sie dich zu erquicken scheinen. Dir ist jeder, wenn auch noch so leise Entschluß verboten; du darfst keinen Wunsch und keine Hoffnung haben, denn das Kismet hat jeden Hauch, der eines deiner Haare bewegt, schon im vorher bestimmt. Die Gewalt ist dieses Tyrannen Scepter, und der Islam ist die Lehre, die er predigt. Ist doch eure heilige Kamara nicht auf den Mond zurückzuführen, sondern auf den krummen, blutigen Säbel Muhammeds, den er, um seine Scharen anzufeuern, während der Schlacht an seine Lanze steckte! Mit dem Worte Kismet hat er und haben seine Nachfolger ihre Streiter in den Tod getrieben; an dem wasserlosen Brunnen des Kismet hat die Liebe unter euch verschmachten und verdürsten müssen, und während ihr euch für die bevorzugten Kinder Allahs haltet, seid ihr die Leibeigenen des Hasses, der Rache und der Unversöhnlichkeit geworden. So hat euch das Kismet um alle Freiheit, um alle Energie gebracht. Ihr müßt euch ohne Kraft und Licht durch euer Leben schleppen, wie das finstre, ungerechte und unerbittliche Fatum es euch vorgeschrieben hat, und wenn ihr dann einen Christen kennen lernt, dem der Gott der Liebe, der Weisheit und Gerechtigkeit die Fähigkeit verliehen hat, bestimmend, schaffend und gestaltend nicht nur in den Lauf seines eigenen Lebens, sondern auch in das Schicksal anderer Menschen einzugreifen, so ruft ihr ein Maschallah über das andere aus und könnt es nicht begreifen, daß er mit leichter Mühe etwas fertig bringt, was bei euch in das Bereich der Unmöglichkeit gehört. Das Kismet hat Schir Samurek befohlen, uns unsere Pferde zu stehlen; ich aber verlache dies Kismet und hole sie mir wieder. Dieses, euer Kismet hat ihm geboten, euch den Bären zu überantworten, und ihr wäret ihnen verfallen gewesen; ich aber bin ein freier Mann und habe die Vorbestimmung zu schanden gemacht, indem ich euch errettete. So werde ich auch, ohne euer Kismet um Erlaubnis zu fragen, auf Schir Samurek wirken, und ich bin überzeugt, daß dies nicht ohne Folgen für sein ganzes späteres Leben sein wird.«
Ich hatte gemäß der Denk- und Anschauungsweise Ssali Ben Aqils gesprochen, und er war meinen Worten mit Aufmerksamkeit gefolgt, ohne mich einmal zu unterbrechen. Aus seinen Augen blickte mir ein heißer Wunsch nach Verständnis entgegen. Als ich geendet hatte, hielt er mir die Hand entgegen und sagte:
»Ich danke dir, Effendi! So lange ich nur denken kann, hat meine Seele nach Licht gestrebt und doch nur Schatten oder Dämmerung gefunden. Ich kann deine Worte nicht so schnell begreifen, wie ich möchte; aber sie werden in mir haften bleiben, und ich hoffe, daß sie einen Funken enthalten, der später zur hellen Flamme wird. Ich bin ein Prediger des Islam und dennoch bereit gewesen, die Blutrache auszuführen. Du bist kein Lehrer deines Glaubens und hast doch deinen Feinden Gutes erwiesen. Das ist mir eine Aufforderung zum Vergleich. Ich werde darüber nachdenken und dann thun, was Allah wohlgefällt.«
»Woher wirst du wissen, was ihm wohlgefällt?«
»Die Stimme meines Herzens wird es mir sagen.«
»Ist das dieselbe Stimme, welche dir mitgeteilt hat, daß der Mahdi bald erscheinen wird?«
»Ja.«
»So prüfe dein Herz genauer als bisher, ehe du auf seine Stimme hörst! Ein alter Lehrer des Christentumes sagt: ›Des Menschen Herz ist ruhelos, bis es ruhet in Gott!‹ Laß dein Herz im Schoße der ewigen Liebe und Wahrhaftigkeit ruhen, so brauchst du keinen Mahdi, den du erst mühevoll entdecken mußt.«
»Auch diese Worte werde ich überlegen, Effendi. Wie deine Barmherzigkeit auf mich eingewirkt hat, das wirst du wohl bemerken. Gestern hast du mich als Eiferer für den Islam kennen gelernt, und heut höre ich nicht nur deine Reden an, ohne mich darüber zu erzürnen, sondern ich verspreche dir auch, sie in meinem Innern zu erwägen, und nehme sogar ohne den Grimm eines wahren Gläubigen deine Aufforderung hin, dir bei der Herstellung des Kreuzes mitzuhelfen. Ist dir das für jetzt genug?«
»Ja. Du wirst also mithelfen?«
»Ich werde es. Und wenn der Prophet darüber zürnt, so will ich hoffen, daß sein Grimm nicht ewig währt.«
»An deiner Stelle würde ich mich um Muhammed und seinen Zorn ebensowenig kümmern, wie er sich um euch bekümmert hat, als der Rachen der Bärin vor euch offen stand!«
Da rief Aqil, welcher bis jetzt, still zuhörend, noch immer am Boden gesessen hatte, halb erschrocken und halb zustimmend aus:
»Welche Reden muß ich da vernehmen, ohne daß ich, wie ich eigentlich müßte, dich dafür anspucken darf! Du lästerst den Propheten, Effendi. Wie wird er dich dafür bestrafen!«
»Ganz so, wie er euch auch bestrafen würde, wenn er überhaupt bestrafen könnte.«
»Uns auch? – Wofür?«
»War es von euch als Moslemim nicht viel, viel mehr als eine solche Lästerung, daß ihr vorhin in der größten Not nicht Muhammed, sondern den Gott der Christen und den Gekreuzigten um Hilfe batet? Habt ihr da nicht beide gerufen, daß kein anderer als Isa Ben Marryam euch helfen könne? Ich habe gesagt, daß Muhammed euch nicht geholfen habe; ihr aber sagtet, daß er euch nicht helfen könne; von wem ist er da mehr gelästert worden, von mir oder von euch?«
»Sei still, Effendi! Es waren gräßliche Augenblicke, in denen kein Mensch auf die Worte achtet, die er spricht. Die Hilfe war ein wahres Wunder; sie kam, als wir zu dem Gekreuzigten flehten; warum half Muhammed nicht, als wir ihn anriefen? Dein Isa Ben Marryam war also mächtiger als unser Prophet. Das ist wahr; wir haben es erfahren, und so dürfen wir es sagen, ohne befürchten zu müssen, daß wir damit eine Sünde begehen. Und wenn mein Sohn, der alle Satzungen des Islam kennt, bereit ist, das Kreuz mit euch zusammenzusetzen, so ist es mir, der ich kein 'Alim bin, wohl ebenso erlaubt, euch mitzuhelfen. Ich fühle noch jetzt die Nähe des Todes in allen meinen Gliedern; du hast uns das Leben gebracht, und wenn ich dir dafür einen Dank erweisen kann, so frage ich keinen Menschen danach, ob mir Muhammed das übelnehmen wird. Sag' uns also jetzt, Effendi, was wir machen sollen!«
Die beiden waren heut ganz andere Menschen, als sie gestern gegen uns gewesen waren, und ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß diese Änderung nicht nur für heut und morgen dauern werde. Wir löschten zunächst die Lichter aus, daß die Kelhur weder uns noch unsere Schatten sehen konnten; sie mochten denken, daß sie von den Bären umgerissen worden seien. Hierauf machten wir mit Hilfe unserer Messer den einen Pfahl, welcher den Querbalken bilden sollte, kürzer als den andern, und banden dann beide in der Weise zusammen, daß sie ein aufrechtstehendes Kreuz bildeten. Als wir damit fertig waren, zogen wir die Bärin bis ganz vor an die Thüröffnung und bauten schwere Steine aufeinander, woran sie aufgerichtet und so angelehnt wurde, daß es von weitem aussah, als ob sie auf den Hinterpranken stehe; dann gaben wir ihr das Kreuz in die Vordertatzen und banden Kreuz und Bärin so fest an die Steine, daß keines von beiden umfallen konnte. Nun gelüstete es keinen von uns, länger in der Musallah zu bleiben. Wir schafften die drei jungen Bären nach dem Hintergrunde derselben, und verließen dann, nachdem ich den weggeworfenen Henrystutzen wieder zu mir genommen hatte, den Ort, der uns, wenn wir nicht so sehr vom Glücke begünstigt gewesen wären, leicht ebenso verhängnisvoll hätte werden können, wie er es den beiden Bebbeh hatte werden sollen.
Ich wollte nach der Stelle oberhalb des Kelhurlagers hinauf, wo Halef am Nachmittage auf mich gewartet hatte, und traf grad diese Wahl, weil der Ort und der Weg von da herab mir bekannt geworden waren. Wir bewegten uns leise und sehr vorsichtig in der Weise, daß ich ein Stück voranschlich, denn die Neugierde konnte, seit die Lichter verlöscht waren, die Kurden näher zur Musallah herangetrieben haben. Es kam uns aber glücklicherweise keiner von ihnen in den Weg, und so langten wir oben an, ohne von jemand bemerkt worden zu sein.
Nun galt es, noch vor dem Grauen des Morgens eine höchst schwierige Doppelaufgabe zu lösen: ich wollte erstens unsere Pferde haben und zweitens auch den Scheik dazu. Beides mußte ich allein ausführen, weil mir weder Halef noch gar einer der Bebbeh dabei helfen konnte. Bei Halef war trotz seiner sonstigen Zuverlässigkeit doch die Möglichkeit, einen Fehler zu begehen, nicht ausgeschlossen, und der Bebbeh war ich so wenig sicher, daß ich, doch ohne daß sie es hörten, sie der Aufsicht des Hadschi übergab. Sie waren ganz natürlich so voller Grimm auf die Kelhur, daß ich ihnen einen unvorsichtigen Akt der Rache, der leicht alles verderben konnte, gar wohl zutrauen mußte. ich ermahnte alle drei, sich bis zu meiner Rückkehr unbedingt vollständig still zu verhalten, übergab Halef meine beiden Gewehre, die ich aus leicht begreiflichen Gründen nicht mitnehmen konnte, und trat dann den Abstieg an, der jetzt im Dunkel der Nacht zehnmal schwieriger als am Tage war.
Ich konnte, wie man sich auszudrücken pflegt, die Hand nicht vor Augen sehen und mußte mich also auf den Tastsinn verlassen. Darum stieg ich rückwärts hinab, Schritt für Schritt und mit dem Rücken vorwärts gerichtet, wie man von einer Leiter zu steigen pflegt. Mein Ziel war natürlich zunächst der schmale Einschnitt, von dessen Rande aus ich am Nachmittage Schir Samurek belauscht hatte; ich mußte vor allen Dingen wissen, wo er sich befand und was er machte.
Als ich nach ziemlich langer Zeit das Farngestrüpp erreichte, war alles dunkel; man hatte im Lager kein Feuer brennen. Wo steckte der Scheik? Da unten in dem Einschnitte, wo ich ihn schon gesehen hatte? Ich glaubte, diese Frage mit ja beantworten zu müssen, weil grad dieser Ort eine so bequeme Lagerstätte für den Anführer gab. Aber ob er allein oder mit anderen dalag, das gab für mich einen ganz gewaltigen Unterschied! Nach vorwärts hörte ich Stimmen; die Kurden schliefen also nicht. Das hatte ich auch erwartet, denn die Spannung auf den Ausgang der Bärenmahlzeit in der Musallah mußte sie wach erhalten. Grad unter mir aber, wo ich Schir Samurek vermutete, war alles still. Ich kroch mit außerordentlicher Vorsichtigkeit an dem Rande des Einschnittes hinab und schob mich, als ich unten angekommen war, in denselben hinein. Das war ein gefährliches Unternehmen, da ich jeden Augenblick auf einen Kurden stoßen konnte. Zu sehen war bei dieser Finsternis hier unter dem dichten Waldesdache rein nichts; zu hören ebensowenig, ich verließ mich also auf – – meine Nase und auf die Fingerspitzen, mit denen ich um mich tastete. Man denke ja nicht, daß der Geruchssinn mir hier keine Dienste leisten konnte! Wäsche, und gar neugewaschene, kennt der gewöhnliche Kurde nicht; den Anzug wechselt er jährlich nur zweimal, im Frühling und im Herbste, wenn er nämlich so glücklich ist, einen Sommer- und einen Winteranzug zu besitzen, und Seife ist für ihn ungefähr grad so ein Luxus, wie Austern es für einen deutschen Weichensteller sind. Man kann sich also denken, daß so ein Mensch eine Dufthülle an sich hat, die mehrere Schritte weit reicht und von einer leidlich gutwilligen Nase gar nicht mißverstanden werden kann. Es giebt nur zwei deutsche Ausdrücke, die das, was ich meine, so ungefähr und auch nur von weitem bezeichnen, nämlich »müffig« und »nach Herberge riechen«.
Also ich tastete und roch mich langsam vorwärts, in den Einschnitt hinein, ohne auf jemand zu stoßen. Als ich aber den Hintergrund erreicht hatte, hörte ich die ruhigen, schweren Atemzüge eines Schlafenden. Das mußte Schir Samurek sein! Grad daß ich ihn nicht roch, bestärkte mich in dieser Annahme, weil er als wohlhabender Mann keine so penetrante Dunsthülle wie ein armer Teufel besaß. Ich schob mich zu ihm hin und ließ meine Fingerspitzen leise, leise über seinen Anzug gleiten. Er schlief fest und befand sich allein an diesem Orte. Das war wieder ein Umstand, wie ich ihn mir gar nicht glücklicher hätte wünschen können. Das Kismet meinte es, obgleich ich es vorhin in so unfreundlicher Weise kritisiert hatte, heut überhaupt herzlich gut mit mir, aber eben ein Beweis, was für ein charakterloses Ding es ist!
Ich bedurfte selbstverständlich keiner langen Zeit, einen Entschluß zu fassen und ihn auszuführen: ein derber Griff nach der Kehle – zwei Faustschläge an den Kopf – der Scheik gehörte mir! Ich nahm ihn auf die Schulter, richtete mich auf und trug ihn fort, auf demselben Wege, auf welchem ich gekommen war. Daß man mich dabei hören könne, hatte ich nicht zu besorgen; die einzige Schwierigkeit bestand darin, daß ich den Aufstieg mit der schweren Last im Dunkeln machen mußte; doch auch das wurde glücklich ausgeführt, und ich kam mit dem Scheik oben an, ohne daß er unterwegs wieder zum Bewußtsein gekommen war.
»Bist du es, Sihdi?« fragte Halef, als er mich kommen hörte.
»Ja.«
»Hast du Glück gehabt?«
»Außerordentliches. Hier bringe ich Schir Samurek. Wir haben also selbst für den Fall gewonnen, daß es mir nicht gelingen sollte, noch vor Tagesanbruch unsere Pferde zu bekommen.«
»Den Scheik hast du? Effendi, das ist wieder einmal ein Streich, den selbst ich nicht fertig brächte!«
»Glaube es wohl, lieber Halef. Den schweren Mann in dieser Stockdunkelheit von da unten heraufzutragen, das sollte dir wohl Schweiß kosten!«
»Das nicht allein. Ihn aufzufinden und zu betäuben, ohne daß es jemand bemerkt, das ist doch noch weit schwieriger. Was thun wir nun mit ihm?«
»Wir binden ihn so fest, daß er sich gar nicht rühren kann, und stecken ihm einen Knebel in den Mund. Ich muß wieder fort, um nach den Pferden zu sehen. Während meiner Abwesenheit bewacht ihr ihn gut, bis ich wiederkomme. Sagt ihm nur, sobald er aufwacht, daß er ja keinen lauten Ruf ausstoßen soll, wenn er nicht das Messer in das Herz haben will.«
Da bat Aqil schnell:
»Gieb mir ein Messer, Effendi! Ich werde dafür sorgen, daß dieser Hund den Mund nicht öffnet, ohne sofort die Klinge in dem Leibe zu fühlen! Er hat gewollt, daß uns die Bären fressen, und soll die hundertfache Todesangst bezahlen, die wir ausgestanden haben!«
»Mein Messer brauche ich selbst,« wehrte ich ab. »Was ich befohlen habe, wird Hadschi Halef Omar ausführen; ihr habt für jetzt keinen Teil an dem Scheik. Ich würde jeden Versuch, euch an ihm zu rächen, auf das strengste ahnden. Ich bin es, der ihn gefangen genommen hat; er gehört also mit seinem Leben mir, auch nach euern Gesetzen, und wer mich dieses meines Eigentumes beraubt, den betrachte ich als meinen Todfeind und werde Leben um Leben von ihm fordern. So, jetzt wißt ihr, woran ihr seid. Wenn ihr euch nicht danach verhaltet, wäre es besser für euch, die Bären hätten euch vorhin getötet!«
Ich mußte diese strengen Worte anwenden, um die Bebbeh davon abzuhalten, sich in meiner Abwesenheit an Schir Samurek zu vergreifen. Sie dürsteten jedenfalls nach Rache; ich aber wollte ihn schonen, denn er sollte, wie schon viele, viele andern vor ihm und auch nach ihm, wenn ich von ihm Abschied genommen hatte, hinter mir her sagen: »Er ist ein Christ; darum wohnt die Güte in seinem Herzen.«
Halef verstand mich; darum erklärte er mir in beruhigendem Tone:
»Du kannst getrost gehen, Effendi. Dein Halef wird dafür sorgen, daß alles nach deinem Willen geht. Wer sich nur mit einem Finger an diesem Scheik der Kelhurkurden vergreift, der bekommt augenblicklich mein Messer in den Leib. Ich habe es gesagt, und was ich sage, das pflege ich zu halten!«
Ich war überzeugt, daß er gegebenen Falles sein Wort erfüllen würde, und entfernte mich, zunächst genau in derselben Richtung, in welcher ich vorhin hinabgestiegen war. Dann wendete ich mich, beinahe an dem Bodeneinschnitte angekommen, in welchem der Scheik gelegen hatte, nach rechts, um die Wieseneinbuchtung zu erreichen, auf welcher Rih von den Kelhur untergebracht worden war. Als ich an dem Rande derselben angekommen war, herrschte auf derselben zwar nicht die – greifbare, möchte ich fast sagen –Stockdunkelheit wie im Walde, aber es war doch immerhin so finster, daß ich nicht zu befürchten hatte, von den Kurden gesehen zu werden. Jetzt fragte es sich: Wo saßen die Wächter, und wo lag jetzt mein Rih? Ja, wenn ich laut hätte rufen dürfen »Ta'al!« oder »Ta'a lahaun!«, so würde es keine Minute gedauert haben und er wäre bei mir gewesen; aber das durfte ich ja nicht, und so legte ich mich auf den Boden nieder und kroch der Stelle zu, an welcher ich ihn gesehen hatte, denn ich durfte dem klugen Tiere wohl zutrauen, daß es nicht von dort wegzubringen gewesen war, seit es mich gesehen hatte. Hätte jemand mit mir darüber gestritten, ich wäre eine Wette darauf eingegangen und hätte sie gewonnen, denn ich hatte kaum die Hälfte der Strecke zurückgelegt, so hörte ich ein leises, kurzes, einmaliges Schnauben, welches ich sehr wohl kannte: Rih hatte mich gewittert. Jedes andere Pferd wäre nun wohl aufgesprungen und zu mir gekommen; er aber blieb ruhig liegen, weil ich ihm auf sein Schnauben kein Zeichen gab, zu kommen.
Als ich ihn erreichte, fühlte ich mit den Händen, daß ringsum der weiche Grasboden aufgewühlt und zerstampft war. Man hatte ihn also fortbringen wollen, und er hatte sich gewehrt. jetzt hing er an einem Riemen, der an einen in die Erde geschlagenen Pflock befestigt war. Halefs Gaul war ihm treu geblieben und lag neben ihm. Ich liebkoste den braven Rappen, worauf er mir die Hände wie ein Schoßhund leckte und dabei ein ganz, ganz leises, schnaubendes Stöhnen
»Komm!« oder »Komm hierher!« hören ließ. Damit wollte mir das »unvernünftige« Tier sagen, wie es ihm nach mir bange gewesen war und wie sehr es sich jetzt darüber freute, mich wieder zu haben. Daß kein Wächter bei ihm war, konnte ich nicht begreifen. Die Kurden mußten durch den Umstand, daß unterhalb des Lagers Wachen standen, so vertrauensselig geworden sein, daß sie es nicht einmal der Mühe wert hielten, sich eines so kostbaren Pferdes zu vergewissern.
Ich zog den Pflock aus der Erde, daß es den Anschein haben sollte, als ob ihn das Pferd selbst herausgerissen und sich dann entfernt habe, wand ihm den Riemen, an dem er hing, um den Hals und gab ihm dann das Zeichen zum Aufstehen. Rih gehorchte, und Halefs Pferd folgte sofort seinem Beispiele. Da ich wußte, daß der Hengst mir folgen würde, was ich aber von Halefs Gaul nicht behaupten konnte, so nahm ich den letzteren beim Zügel und führte ihn fort, genau nach der Stelle, an der ich aus dem Walde auf die Wiese gekommen war. Wir erreichten sie glücklich und nun fühlte ich mich vor den Kurden geborgen, obgleich es eine außerordentlich schwierige Aufgabe war, die beiden Pferde in dieser unter den Bäumen herrschenden ägyptischen Finsternis und bei der Steilheit des Terrains bergan zu schaffen. Der Umstand, daß Pferde des Nachts besser sehen als Menschen, erleichterte mir dieselbe; ich führte Halefs Tier und Rih kam von selbst hinterher. Der letztere wußte ganz genau, daß er ruhig zu sein hatte, und der Gaul schien auch einzusehen, daß es hier gelte, vorsichtig zu sein. Beide kletterten langsam und behutsam tastend hinter mir her; wir mußten oft stillhalten, oft den im Wege stehenden Stämmen ausweichen, und so kann ich sagen, daß wir gewiß drei Viertelstunden brauchten, um den unter anderen Verhältnissen so kurzen Weg zurückzulegen.
Als wir uns dem Orte näherten, wo Halef mit den andern auf mich wartete, mußten sie uns natürlich hören. Er konnte seine Ungeduld nicht unterdrücken und fragte, noch ehe ich ihn erreicht hatte, natürlich aber nicht so laut, daß man ihn unten bei den Kurden hören mußte:
»Wer kommt? Sihdi, bist du es?«
»Ja,« antwortete ich.
»Hamdulillah – Allah sei Lob und Dank, daß er dich wieder zu uns führt! Aber ich höre, daß du nicht allein bist. Ist jemand bei dir?«
»Ja.«
»Wer?«
»Die Pferde.«
»Rih und das meinige?«
»Ja.«
»Allah akbar – Gott ist groß! Aber meine Verwunderung ist fast noch größer, daß es dir gelungen ist, dieses ungeheuer schwere Werk zu vollbringen. Bist du oder sind die Pferde dabei verletzt worden?«
»Nein.«
»So ist das Wunder ein doppeltes und zehnfaches, und mein Erstaunen wächst so riesengroß, daß ich wollte, meiner kleinen Gestalt würde nur der millionste Teil von dieser Höhe hinzugesetzt. Gieb her, Effendi! Ich muß Rih unbedingt einen Kuß geben und auch meinen alten Tehs ein wenig streicheln. Dieses Wiedersehen erfreut mich beinahe so, als ob meine Hanneh, die süßeste und lieblichste Rose unter allen Frauen und Weibern, jetzt käme, mich zu begrüßen!«
Er kam mir die wenigen Schritte entgegen und liebkoste die beiden Tiere in der Weise, wie er es gesagt hatte. Dabei erkundigte ich mich:
»Wie steht es hier bei dir? Ist alles in Ordnung?«
»Ja, Effendi.«
»Habt ihr mit dem Gefangenen gesprochen?«
»Nur ich einige Worte; den Bebbeh hatte ich es verboten. Als er zu sich kam, war er erst eine Weile ruhig; dann warf er sich so hin und her, daß ich glaubte, er werde seine Fesseln zersprengen. Da ließ ich ihm die Messerspitze fühlen und habe ihm gesagt, daß seine Seele sofort spazieren gehen werde, wenn er nicht so unbeweglich liegen bliebe, wie ein gebratener Hammelsrücken im Reispillau mit Pfeffer und Rosinen liegt. Von da an hat er kein Glied mehr bewegt.«
»Weiß er, wer wir sind?«
»Ich habe es ihm nicht gesagt; aber vielleicht ahnt er es.«
»Und die Bebbeh? Wie haben die sich zu ihm verhalten?«
»Sie haben kein Wort gesprochen, seit du fort bist, und so gethan, als ob sie gar nicht da wären.«
Ich hatte diese Erkundigungen natürlich leise eingezogen; jetzt fügte ich vernehmlicher hinzu:
»Hobble die Pferde hier links bei den Sträuchern an, damit sie fressen können! Dann schlafen wir, wobei wir beide uns zum Wachen bis früh einander ablösen werden.«
Ich legte mich zu den Bebbeh in das Moos und flüsterte ihnen zu, nicht zu sprechen, sondern auch zu schlafen. Schir Samurek hatte sie weder gesehen noch gehört und wußte also nicht, daß sie noch lebten und sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden; er sollte es auch jetzt noch nicht erfahren. Ich war müde und Halef ebenso; er erhielt die erste Wache, und ich übernahm die zweite, um beim Anbruche des Tages munter zu sein und den Gefangenen beobachten zu können. Da ich mich auf Halefs Wachsamkeit verlassen konnte, ließ ich mir von ihm meine Gewehre wiedergeben und schlief ein, um erst dann aufzuwachen, als er mich eine Stunde nach Mitternacht weckte.
Bald darauf hörte ich sein langsames, regelmäßiges Atmen. Die Bebbeh schnarchten um die Wette; von dem Scheik war kein Atemzug zu vernehmen. Ich schloß daraus, daß er nicht schlief, sondern wachte. Welche Gedanken mochten ihm durch den Kopf gehen? Wie sicher war er des Gelingens seiner Absichten gewesen! Wie stolz hatte er von mir und Halef gesprochen! Und nun lag er gefesselt und geknebelt da, ein Gefangener des »Christenhundes«, den er noch vor wenigen Stunden auch von den Bären hatte zerreißen lassen wollen.
Wie viele solche Nächte hatte ich in fremden Ländern, in Prairien und Urwäldern, in Dschungeln und sonstigen Wildnissen einsam durchwacht. Keine dieser Wachen hatte der andern geglichen; stets war die Situation eine andere gewesen. Und doch gab es ein Etwas, was stets vorhanden gewesen war, was allen diesen Nächten die gleiche – – – Klangfarbe, möchte ich sagen, die gleiche Stimmung gegeben und den Grundton gebildet hatte zu all den Moll- oder Dur-, zu all den weichen oder härteren Accorden, die da in meiner Seele erklungen waren, nämlich das Gefühl der Gottesnähe, die mit allen Fasern und Fibern empfundene Gegenwart dessen, welcher die allerhöchste Macht und zugleich die allerhöchste Liebe ist, das seligmachende Durchdrungensein von der Überzeugung, daß eine unendliche und allbarmherzige Weisheit mich an Ort und Stelle geleitet hat und mich auch weiter führen wird. Wie die winzige Puppe eines kleinen Falters, zu dem sie sich entwickeln Soll, auf der Fläche einer geöffneten Gigantenfaust, so liegt der Mensch mit Leib und Seele, mit allem seinem Denken und Fühlen, mit all seinem Hoffen, Harren und Zagen in der allgewaltigen Hand Gottes, die ihn nicht zerdrücken, sondern zum irdischen Glücke führen und dann zur Seligkeit des Himmels leiten will. Und – sollte man es für möglich halten – dieses Würmlein wagt es, an dem Dasein dieses Giganten zu zweifeln, dessen Faust es mühelos zermalmen kann. Dieses Würmlein will die Erde und den Himmel meistern, will die ewigen Gesetze des Herrn der Welten kritisieren, will seine Tempel zerstören und seine Altäre niederreißen, will sich selbst zum ersten und letzten Endzweck der Schöpfung ernennen und Atome und Moleküle erfinden, um aus ihnen Sonnen- und Sternenbälle zu formen, die nur dazu entstanden seien, sich wieder in ihr Nichts aufzulösen!
Wie anders, wie so ganz anders steht es da um ein Herz, welches in dem festen, unerschütterlichen Glauben schlägt, daß es in des Vaters Liebe ruhe und sich von seiner weisen Güte leiten lassen müsse, auch wenn es seine Absicht nicht erkennt. Wie unsagbar wohl lebt man, während ringsum die Stürme toben, im warmen, stillen Gottvertrauen, welches sich durch keinen Zweifel stören und durch keine noch so subtile Hyperkritik irre machen läßt. Das ist keine gedankenlose oder denkfaule Hingabe an das Großmutter- und Kindermärchen vom »lieben Gott, der alles sieht«, sondern ein selbstbewußtes und selbstgewolltes und deshalb um so beglückenderes Aufgehen in einen ebenso allgütigen wie unerschütterlichen höhern Willen, gegen den kein Sträuben hilft. Wer da meint, widerstehen zu können, dem wird und muß die Erkenntnis seines Irrtumes kommen, wenn nicht noch im letzten, schwersten Augenblicke seines Lebens, so doch ganz sicher im ersten Augenblicke nach der Stunde, die wir so falscher Weise die Todesstunde nennen. Die Menschenseele besteht nicht aus Atomen, welche, wenn die Begräbnisglocken nicht mehr klingen, in dem von den Leugnern erfundenen großen Nihil zerstäubend untergehen, und wird, sobald sie ihr irdisches Haus verlassen hat, dem ewigen Richter Rechenschaft ablegen müssen über jeden Schritt des Weges, den sie von ihrem Erwachen zum Bewußtsein an bis zur Befreiung von ihrer körperlichen Hülle zurücklegte. Das ist eine Gewißheit, die Grausen erregen müßte, wenn es nicht ebenso gewiß wäre, daß zwar die ewige Gerechtigkeit die Untersuchung führen und das Urteil sprechen, aber dann die göttliche Barmherzigkeit das Recht der Begnadigung besitzen und an dem Reuigen ausüben wird.
Wie die sogenannte »Nacht des Todes« doch nur die Pforte zum jenseitigen Leben ist, so waren die still durchwachten Nächte, von denen ich vorhin sprach, es stets, die meinen Sinn nach oben lenkten. Die Vorkommnisse des Tages nehmen den Geist gefangen; die leuchtenden Runen des Firmamentes ziehen den Blick dann himmelan, oder der dunkle, mond- und sternenlose Abend macht geneigt zur Einkehr in sich selbst. Dann gehen wohl im tiefen Innern helle Sterne auf, oder es erscheinen die Wolken der Betrübnis über die Begehungs- und Unterlassungssünden, welche während des Tages nicht vermieden wurden. Das giebt dann ein, wenn auch noch so schwaches, Vorbild des ewigen Gerichtes, denn es sind die göttlichen Gesetze, nach denen der Mensch sein Thun und Lassen zu beurteilen hat, also ganz genau dieselben, nach denen ihm dereinst sein Urteil werden wird. Wie oft habe ich da mein Fühlen, Wollen und Handeln im Vergleich zu Gottes Vorschrift abgewogen und dabei nicht ein einziges, aber auch nicht ein einziges Mal gefunden, daß ich, das heißt der Richter in meinem Innern, mit mir zufrieden sein durfte. Ein Mensch, der im Gefühle seines Christentumes den Nacken stolz aufrichtet, der ist kein wahrer Christ, der hat nie über sich zu Gericht gesessen, denn hätte er dies nur ein einziges Mal in der richtigen Weise und ohne Selbstgefälligkeit gethan, so würde er recht demütig und bescheiden anstatt stolz geworden sein.
So saß ich jetzt in finsterer Nacht bei den Schläfern, auf jeden Laut, welcher die Stille unterbrach, scharf achtend und doch in mich versenkt. Der feuchte Hauch der Tiefe stieg zu Berge und den Himmel verdeckte ein dichtes, undurchdringliches Wolkenzelt. Zuweilen verriet mir ein kurzer, rascher Lufthauch, daß eine Watwata mit unhörbarem Flughautschlage vorübergeflattert sei; das Rauschen eines hohen Astes, dem das Rascheln eines niedrigeren folgte, belehrte mich, daß ein gefräßiges Singab auf nächtlichen Raub ausgehe; ein ebenso nächtliches Sursur geigte drüben bei der Musallah seine Flügeldecken, daß es bis zu uns herüberschrillte, und dann klang das dumpfe »Bu-buhu« des Bajkusch aus dem Thale herauf. Suchen nach Beute, Raub und Fraß überall! Selbst die Nacht bringt keinen Frieden für die Welt der Tiere! Ob für die Menschen?
Da unten lagen die Kelhurkurden. Ihre Gedanken waren gierig nach der Kapelle gerichtet, nicht etwa friedlich, denn diese Leute waren überzeugt, daß jetzt dort Menschenknochen unter den Zähnen der Bären krachten und daß der Boden der einstigen Friedensstätte vom Blute der Bebbeh gerötet sei. Und waren etwa nur diese halbwilden Menschen Räuber zu nennen? Giebt es nicht Tropfen, welche ebensowenig vergossen werden sollten, obgleich sie nicht von roter Farbe sind, Tropfen, die auch tief aus dem Herzen kommen? Giebt es nicht Thränen, die gleich schwer auf dem Gewissen liegen sollten? Giebt es nicht einen Schweiß der Armen, der auch zum Himmel schreit wie Abels Blut? Das waren trübe Betrachtungen, aus denen mich ein leises, leises Geräusch aufstörte. Ich horchte. Ein dürres Ästchen knackte in meiner Nähe; dann bekam ich den Eindruck, als ob ein schwerer Gegenstand über Gras geschoben werde. Da streckte ich die Hand nach Schir Samurek aus; ich hätte seinen Kopf fassen müssen, griff aber in das Leere. Ah, der Kelhur wollte den Versuch machen, uns trotz seiner Fesseln zu entkommen! Er schob sich von der Stelle weg, an welcher er gelegen hatte, war aber erst einige Handspannen weit fortgekommen, so hatte ich ihn fest. Er wollte sich durch Stoßen mit den Füßen wehren; da warnte ich ihn leise, um die andern nicht zu wecken, die des Schlafes bedurften:
»Liege still, sonst fühlst du augenblicklich meine Klinge!«
Er sah ein, daß Gehorsam besser als unnützer Widerstand war, und ich zog ihn in seine frühere Lage zurück, worauf ich mich so nahe zu ihm setzte, daß ich eine Wiederholung des Fluchtversuches nicht nur hören, sondern auch fühlen mußte.
So saß ich, bis die ersten befiederten Boten des Morgens erwachten und ihre Stimmen hören ließen, obgleich es noch ganz dunkel war. Sie weckten Halef auf und auch die beiden Bebbeh erwachten. Der bisher schwarze Wolkenhimmel begann, sich grau zu färben. Da fragte Halef leise:
»Darf ich sprechen, Sihdi, oder müssen wir jetzt noch schweigen?«
»Schweig lieber,« antwortete ich. »Es giebt für dich nichts Wichtiges zu sagen; interessanter wird es sein, den Scheik zu beobachten. ich werde ihm eine andere Lage geben, daß er euch nicht gleich sehen kann.«
Ich schob mich mit Schir Samurek ein Stückchen fort, zog mein Messer, setzte es ihm auf die Brust und sagte:
»Der Knebel hat dir den Mund bisher verschlossen; ich werde ihn entfernen, damit du leichter Atem holen kannst.
Ich erlaube dir auch, mit mir zu sprechen, doch nur so, daß ich es höre. Sprichst du lauter, oder wagst du es gar, um Hilfe zu rufen, so ist dieser Ruf der letzte deines Lebens, denn in demselben Augenblicke wird mein Messer dir im Herzen stecken!«
Ich zog ihm den Knebel heraus. Er holte einige Male frei und tief Atem und fragte dann, die Worte hastig aber doch leise hervorstoßend:
»Ssuker Chodeh – Gott sei Dank! Fast wäre ich erstickt! Wo befinde ich mich?«
»Das wirst du bald selbst sehen, ohne daß ich es dir zu sagen brauche.«
»So will ich wenigstens wissen, wer du bist!«
»Auch das brauche ich dir nicht zu sagen; du wirst in kurzer Zeit meinen Namen selbst finden.«
»Du mußt der Teufel sein, denn ich war plötzlich tot, und als mir das Leben wiederkehrte, war ich gefesselt und geknebelt und lag an einem ganz andern Orte. Ein Mensch kann das nicht mit mir gethan haben!«
»Ein Teufel auch nicht, denn sonst wärest du nicht hier, sondern in der Hölle aufgewacht. Ich habe dich mit dem Kopfe hoch gelegt. Blicke gerade aus, bis du sehen kannst, wo du dich befindest. Aber vergiß ja meine Warnung nicht: Ein lauter Ruf bringt dir sofort den Tod! Für jetzt will ich, daß du schweigest.«
Er gehorchte.
Die Wolken färbten sich langsam, aber stetig heller, und ein leiser Dämmerschein ließ die Spitze des gegenüberliegenden Berges sichtbar werden, an dem er nach und nach niederglitt. Das Thal lag noch schwarz unter uns. Links drüben war der Wasserfall in undurchdringlich dunkeln Dunst gehüllt, und über dem Teich unter uns, wo die Kurden lagen, schwebten ebenso dichte Nebelballen; bei ihnen war es noch Nacht. Für uns hier oben aber wurde der erste fahle Morgenschein schnell heller; er glitt uns gegenüber am Berge nieder, bis er die Musallah el Amwat erreichte, die wir nun zwar nicht ganz klar, sondern wie durch einen Schleier, aber doch ziemlich deutlich liegen sahen. Da zuckte Schir Samurek zusammen, riß die Augen auf und starrte hinüber. Es war der Schreck, der ihn ergriff, denn er sah unter der Thür den Riesenbär mit dem Kreuze in den Pranken stehen. Unsere Sicherheit nötigte mich zu der schnellen Warnung:
»Ja kein lautes Wort, sonst ersteche ich dich sofort!«
Dabei setzte ich ihm die Messerspitze auf die Brust. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder, machte sie abermals zu und riß sie wieder auf; er konnte sich nicht irren, er konnte nicht daran zweifeln: der Bär stand mit dem Kreuze drüben und blieb unbeweglich stehen. Da legte ich Schir Samurek mit starkem Drucke die Hand um den Oberarm und sagte langsam und schwer die Worte, die ich aus seinem eigenen Munde gehört hatte:
»Wenn der Bär des toten Priesters da drüben am Eingange der Musallah steht und das Kreuz der Christen in den Tatzen hält, dann will ich glauben, daß es diesem Kara Ben Nemsi, dem Christenhunde, gelingen kann, euch aus unsern Händen zu erretten, eher aber nicht!«
Da wurde sein Gesicht aschgrau; die Augenlider sanken herab, und die Wangen fielen ihm ein; er sah plötzlich einer Leiche ähnlich; sein Atem ging schwer und kam wie stöhnend über seine farblos gewordenen Lippen. Ich schwieg, um den Eindruck meiner Worte und dessen, was er sah, ungeschwächt wirken zu lassen. Das dauerte eine ganze Weile; dann wendete er mir sein Gesicht zu, öffnete die Augen wieder, richtete den verstörten Blick auf mich und fragte:
»Bist du etwa dieser Christ?«
»Ich bin es,« nickte ich.
»Der Emir Kara Ben Nemsi Effendi?«
»Ja.«
»Allah – Allah – Allah!« seufzte er dreimal, und es dauerte wieder eine Weile, bis er sich erkundigte: »Dieser Bär bewegt sich nicht. Ist er tot?«
»Ja.«
»Gestorben? Oder wurde er getötet?«
»Er wurde erstochen.«
»Von wem?«
»Von mir.«
»Maschallah! Vorher aber hat er die Bebbeh aufgefressen?«
»Nein.«
Er zuckte zusammen, reckte sich dann schnell aus und fragte so hastig, daß die Worte wie zugleich aus seinem Munde kamen:
»So leben sie noch?«
»Ja.«
»Unverletzt?«
»Vollständig unverletzt.«
»Das glaube ich nicht; das kann ich nicht glauben; das ist eine Lüge; das ist nicht wahr!«
»Es ist wahr. Du wirst gehört haben, daß ich niemals eine Lüge sage.«
»So zeige sie mir! Ich will und kann es nicht eher glauben, als bis ich sie sehe!«
»Da, schau dich um!«
Ich drehte ihn auf die Seite, so daß er Aqil und seinen Sohn sehen konnte. Die Wirkung war eine noch tiefere als vorhin, wo er den Bär erblickte. Einen ersterbenden Wehelaut ausstoßend, schloß er wieder die Augen; die Narbe in seinem Gesichte trat blutigrot hervor, und an der Stirn schwollen ihm die Adern zum Zerplatzen. Der Schreck trieb ihm das Blut aus dem Herzen nach dem Kopfe. Dann aber fiel das Gesicht noch mehr als vorher zusammen, und kaum hörbar kam es fast röchelnd über seine Lippen:
»Die Bebbeh sind frei – – ! Durch den Christ gerettet--Drüben der Bär – – mit dem Selib in den Tatzen – –- !«
Dann lag er starr und bewegungslos wie eine Leiche da. Ich aber sagte langsam und mit schwerer Betonung wie vorhin:
»Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch thäte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden.«
Da richtete er sich, so weit es ihm die Fesseln gestatteten, auf, sah mir mit wie irren Augen in das Gesicht und sagte:
»Du kanntest vorhin meine Worte und kennst nun auch diese so genau. Wenn du nicht der Teufel bist, so muß dir Allah seine Allwissenheit geliehen haben, um alles zu erfahren und alle meine Absichten zu Schanden zu machen. Du hast mich mitten aus dem Lager geholt; du hast den Bären getötet; du hast diese Bebbeh befreit; nun wäre es gar kein Wunder, wenn du dir auch eure Pferde wiedergenommen hättest.«
»Es soll auch gar kein Wunder sein,« antwortete ich lächelnd, indem ich ihn nach der andern Seite drehte. »Schau da nach rechts, wenn du sie sehen willst.«
Als er sie erblickte, stieg ihm das Blut wieder rot in das Gesicht, und er sagte mit heiser klingender Stimme:
»Dachel Allah – ich bitte dich um Gottes willen! Auch das hast du gethan, auch das! Wenn mir Allah jetzt nicht hilft, verliere ich den Verstand!«
»So wünsche ich, daß er dir helfen möge, denn du hast grad jetzt deinen ganzen Verstand zusammenzunehmen, wenn du nicht mit allen deinen Kriegern zu Grunde gehen willst.«
»Wieso?«
»Deine Leute werden den Bär da drüben sehen; sie werden dich vermissen und von einem großen Schreck ergriffen werden. Wenn sie dann vor Entsetzen nicht wissen, was sie thun sollen, wird hier meine Baruda es Sihr ihre Stimme erheben und nicht eher schweigen, als bis kein einziger Kelhur mehr am Leben ist.«
Da konnte der stets zungenfertige Halef sich nicht enthalten, zu meiner Drohung auch die seinige zu fügen:
»Und ich werde meinem Effendi helfen, die Kelhur mit unsern Kugeln zu durchlöchern, daß ihre Leiber gleich Gharabil anzusehen sind, durch welche man Datteln werfen kann. Ihr habt uns bestohlen und verhöhnt; ihr wolltet uns auch den Bären vorwerfen, wenn ihr uns ergreifen würdet, was aber selbst dann nicht geschehen wäre, wenn du zehntausend Wächter da unten am Wege aufgestellt hättest, um uns abzufangen. Dafür werdet ihr nun alle, alle sterben müssen, wenn du den Verstand verlierst, den du, wie mein Effendi ganz richtig sagte, grad jetzt viel nötiger als in deinem ganzen Leben brauchst!«
»Wer bist du denn?« fragte ihn der Scheik. »Wohl Hadschi Halef Omar, der Begleiter dieses Christen?«
Da warf sich der Kleine in die Brust und antwortete in seinem stolzesten Tone:
»Sprich nicht so kurz von mir! Mein Name ist viel länger, als du denkst! Alle, die mich kennen und von mir gehört haben, wissen, daß ich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah genannt werde! Das merke dir für die Zukunft, auch wenn meine Kugel dich in einigen Minuten in die schrecklichste Hölle aller Höllen befördert haben sollte.«
Der Scheik nahm diese Worte gar nicht etwa mit Ironie entgegen, o nein, das fiel ihm gar nicht ein, denn er war als Orientale diese Ausdrucksweise nur zu gewöhnt; er machte vielmehr ein ganz betroffenes Gesicht und erwiderte, sich mir wieder zuwendend:
»Was ich zu thun habe, werde ich in wenigen Augenblicken wissen. Weißt du, Emir, was diese zwei Bebbeh gegen euch verbrochen haben?«
»Ich weiß es,« antwortete ich.
»Daß Aqil die Schuld am Raube eurer Pferde trägt?«
»Ja.«
»Und daß Ssali Ben Aqil euch nach dem Leben getrachtet hat?«
»Auch das.«
»Und du hast dennoch mit den Bären gekämpft, um sie vom Tode zu erretten?«
»Das war meine Pflicht, denn ich bin ein Christ.«
»Was gedenkst du nun, mit ihnen zu thun? Ihr steht in Blutrache mit ihnen und habt doch nur die Schrecklichkeit ihres Todes mildern wollen, da sie nun von euern Kugeln sterben müssen?«
»Nein. Als Christ kenne ich nur die Verzeihung, nicht aber die Rache. Ich habe ihnen die Freiheit geschenkt. Sie können gehen, wohin sie wollen, nachdem ich dich gezwungen habe, ihnen ihre Pferde und ihre Waffen wieder herauszugeben.«
Da warf er mir, indem sein ganzes Gesicht sich in ein einziges, großes und erstauntes Fragezeichen verwandelte, die Worte zu:
»Hast du im Ernste gesprochen, Emir?«
»Im vollsten Ernste.«
»Welch Wunder, welch ein großes, unbegreifliches Wunder sehe ich da! So ist es also wahr, was man von dir erzählt: Du erweisest selbst deinen Todfeinden Gutes, weil du ein Bekenner des Gekreuzigten bist. Weißt du denn, daß nun auch Rache zwischen euch und mir vorhanden ist?«
»Ich habe dir schon gesagt, daß ich keine Rache übe.«
»Aber ich befinde mich doch in deinen Händen, ich, der ich euch töten wollte. Was hast du über mich beschlossen?«
»Wenn du thust, was ich von dir verlange, werde ich dich als Freund betrachten und dir die Freiheit wiedergeben.«
»Und was ist es, was du von mir forderst?«
»Daß du erstens Aqil und Ssali die Waffen und Pferde wiedergiebst; daß du zweitens die Gefangenen aus Khoi mit allem, was ihnen gehört, zurückreiten lässest, und daß du drittens die zehntausend Piaster des Wirtes, welche du Aqil abgenommen hast, mir zur Besorgung an ihn ausantwortest.«
»Aber was bleibt da für dich? Was hast du davon, daß du gegen diese Leute und auch gegen mich so gütig und barmherzig bist?«
»Ich habe viel, sehr viel davon! Das Bewußtsein, den Geboten des christlichen Glaubens gehorsam gewesen zu sein, ist mir hundertmal mehr wert, als alles andere, was ich erlangen könnte. Isa Ben Marryam, der Gekreuzigte, hat uns befohlen: Liebet eure Feinde; segnet die, welche euch verfluchen, und thut denen wohl, welche euch hassen; dann seid ihr gehorsame Kinder eures Vaters im Himmel! Ich möchte gern ein solches Kind Gottes sein, und der Gedanke, daß der allliebende Vater heut mit mir zufrieden ist, macht mich glücklicher, als der Reichtum der ganzen Erde mich machen könnte.«
Da sah ich, daß Schir Samurek die Zähne zusammenbiß; seine Lippen zuckten, und indem eine tiefe Bewegung über seine Züge ging, rief er aus:
»Effendi, du hast mich zweimal besiegt, erst durch deine List und Verwegenheit und nun durch deine Versöhnung predigende Frömmigkeit. Ich will noch nicht sagen, was ich mir in diesem Augenblicke vorgenommen habe; ich will dich nur noch einmal, zum letztenmale, durch eine Bitte prüfen: Gieb mir, o Emir, jetzt einmal die Hände frei, daß ich sie zum Gebete falten kann!«
War das Betrug, war es eine List? Ein forschender Blick in sein Gesicht beantwortete mir diese Frage mit einem überzeugten, sichern »Nein!« Ich schnitt ihm alle Fesseln durch und sagte:
»Wohlan, du sollst erfahren, wie ein Christ jetzt handelt, während ein Anhänger Muhammeds dich auslachen und verhöhnen würde. Ich gebe dir nicht nur die Hände und, was du gar nicht erbeten hast, auch die Füße frei; ich gebe dich ganz frei. Du kannst also gehen, wohin es dir beliebt. Wenn dich der traurige Ruhm stolz und glücklich machen kann, einen ehrlichen Mann getäuscht zu haben, der dir Glauben und Vertrauen schenkte, obgleich du dich in seiner Gewalt befandest und die Rache ihm deinen Tod befahl, so gehe hin und rühme dich; ich habe nichts dagegen!«
Es war weniger Überlegung als vielmehr eine Eingebung, welche mich so handeln ließ. Die Folgen davon waren sofort zu sehen und zu hören. Aqil und Ssali schrieen vor Verwunderung fast laut auf; Halef streckte beide Hände abwehrend aus und rief:
»Sihdi, was fällt dir ein! Sei gehorsam deinem Glauben, ja; das aber ist zu viel; das ist zu viel gewagt!«
Schir Samurek jedoch sprang auf, schlug beide Hände über den Kopf zusammen und frohlockte:
»Frei bin ich, wieder frei, ganz frei! Der Tod war mir sicher, und nun wird mir dafür das Leben! Effendi, du hast den Sieg vollendet, von dem ich soeben sprach. Hör', was ich hierauf sage: Siehe, ich strecke beide Arme aus. Der linke zeigt nach Mekka, wohin der Moslem sein Angesicht richtet, wenn er betet, und der rechte deutet nach dem Bait el Makdis, wo dein Gekreuzigter gestorben ist. Ich wende mich nicht nach links, sondern nach rechts, damit Isa Ben Marryam höre, was ich dir verspreche: Niemals, nie, so lange ich lebe, werde ich den heutigen Morgen vergessen, an dem ich den Lehrer einer solchen Liebe und Barmherzigkeit kennen lernte; nie soll die Rache wieder in mir wohnen, und jeder Christ soll mir in meinem Zelte so willkommen sein, als ob sein Erzeuger auch mein Vater sei. Und damit ihr seht, wie ernst es meinem Herzen mit diesem Schwure ist, soll gleich jetzt und hier das erste Werk der Versöhnung vollzogen werden.«
Er trat zu den Bebbeh, reichte ihnen beide Hände hin und fuhr fort:
»Es lag Blut zwischen meinem Stamme und dem eurigen. Aqil hatte die Rache heraufbeschworen und wir weigerten uns, den Blutpreis anzunehmen. Ihr fielet in meine Hände, und ich wollte euch von den Bären fressen lassen. Muhammed konnte euch nicht retten; aber der Gott der Liebe hat euch durch die Hand dieses Christen befreit, in dessen Herzen eigentlich die Unversöhnlichkeit des Hasses gegen euch wohnen sollte. Soll der Christ die Moslemim beschämen? Nein! Wo wir so viel Barmherzigkeit von ihm erfahren haben, dürfen wir nicht mehr an Haß und Rache denken. Reicht mir also eure Hände, und seid damit einverstanden, wenn ich sage. Von dieser Stunde an soll zwischen den Stämmen der Bebbeh und der Kelhur Freundschaft sein anstatt der Rache. Alles sei vergessen; die Alten sollen sich wie Brüder lieben, und die Jungen sollen einig wie Geschwister sein! Wollt ihr, Aqil und Ssali Ben Aqil, mit diesem meinem Vorschlage einverstanden sein?«
Er hatte ihre Hände ergriffen und hielt sie in den seinigen fest. Die ausgestandene Todesangst, vielleicht auch mein unerwartetes Verhalten, hatte ihn, den Harten, weich gemacht, und diese Milde des sonst so steinherzigen, ja blutgierigen Mannes, konnte unmöglich ohne Wirkung sein. Aqil antwortete:
»Wir fühlten die Krallen der Bären in unserm Fleische und den Hauch des Todes in unsern Seelen; da haben wir eingesehen, daß die Rache eine entsetzliche Tochter des Hasses ist, und sind bereit, uns zu der Liebe zu bekehren. Es sei darum, wie du gesagt hast: es walte Freundschaft zwischen euch und uns, zwischen eurem Stamme und dem unserigen; eure Freunde seien unsere Freunde, und unsere Feinde seien auch eure Feinde. Die besten und wertesten Freunde aber, welche beide Stämme haben, das sollen Hadschi Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar sein, der einen noch längeren Namen hat.«
Da sprang der kleine Hadschi zu ihnen hin, vereinigte seine Hände mit den ihrigen und rief:
»Ja, mein Name ist viel, viel länger, als ihr denken und aussprechen könnt, denn die Zahl meiner Väter, Urväter und Großvatersväter der Ahnenväter reicht bis zu dem Augenblicke hinauf, an welchem der erste Vater auf Erden geboren wurde. Aber meine Freunde brauchen mich nur Hadschi Halef zu nennen, und da ihr nicht mehr unsere Feinde, sondern unsere Freunde sein wollt, so erlaube ich euch, die ruhmreiche Kette meiner Vorfahren unerwähnt zu lassen. Allah hört und sieht den Bund, den wir jetzt schließen; er wird jeden strafen, der es wagt, ihn zu brechen. Komm, Sihdi, gieb deine Hände auch mit zum Versöhnungsfest, welches mit der Honigliebe der Bären begonnen hat und selbst dann kein Ende finden soll, wenn kein Honig mehr in den Bäumen wächst und keine Bären mehr auf Erden wandeln!«
Ich folgte seiner honigreichen Aufforderung und hatte eben einige Worte der frohen Zustimmung gesagt, als ein vielstimmiges Geschrei vom Kurdenlager zu uns heraufscholl. Die Kelhur hatten den Bären gesehen und die Abwesenheit ihres Scheiks bemerkt. Daß dies nicht schon früher geschehen war, daran trug der Morgenwind die Schuld, welcher vom Thale aufstieg und die dichten Nebelmassen nach der Höhe trug. Diese hatten sich als undurchsichtige Decke auf das Lager gelegt und den Ausblick von dort aus nach der Musallah verhindert. Nun aber war diese Decke von dem kräftiger werdenden Luftzuge zerrissen worden und die Kapelle lag frei vor den Augen derer, die gestern alle die höhnischen Worte ihres Anführers gehört hatten. Ihre Betroffenheit läßt sich denken, als sie dieselben in Erfüllung gegangen sahen und den Bären mit dem Kreuze erblickten. Natürlich eilten sie nach der Lagerstätte des Scheiks und sahen zu ihrem Schrecken, daß er verschwunden war. Seine Abwesenheit mit dem Erscheinen des Bären da drüben verbindend, erhoben sie das von mir erwähnte Angstgeschrei.
»Sie haben Sorge um mich; sie suchen nach mir,« sagte Schir Samurek. »Sie werden den Wald durchstöbern und hierherkommen. Und da sie nicht wissen, daß wir Freunde geworden sind, werden sie auf euch schießen und dadurch euer Leben in Gefahr bringen. Aber wenn ich dich bäte, hinab zu ihnen gehen zu dürfen, Effendi, um sie zu benachrichtigen, könntest du mir mißtrauen, denn unsere Freundschaft ist erst einige Minuten alt und hat noch keine Beweise meiner Aufrichtigkeit gegeben. Sag' also du, was jetzt geschehen soll. Ich werde alles thun, was du von mir verlangst.«
Ich antwortete auf diese ehrlich gemeinte Aufforderung ruhig:
»Es bedarf keiner solchen Beweise, denn ich glaube dir. Nach dem großen Vertrauen, welches ich dir vorhin schenkte, kannst du es nicht für möglich halten, daß ich dich jetzt, so schnell danach, mit einem Verdachte kränke, welcher dich beleidigen und den geschlossenen Bund sofort wieder zerstören müßte. Steig' also hinab und erzähle deinen Kriegern, was geschehen ist. Wir werden hier auf deine Rückkehr warten.«
Da drückte er mir herzlich beide Hände und sprach:
»Das ist wieder ein Edelmut, den ich bisher für nicht zu glauben hielt. Nun ich ihn aber kennen lerne, macht er die guten Vorsätze meiner Seele doppelt fest. Ja, ich werde gehen und dir schneller, als du denkst, beweisen, daß mein Mund nicht zwei Zungen hat, welche verschiedene Sprachen reden. In kurzer Zeit bin ich wieder hier bei euch.«
Als er sich entfernt hatte, äußerten die Bebbeh ihren ängstlichen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Auch Halef warnte mich:
»Sihdi, du wagst zu viel! Warum bist du heut viel weniger vorsichtig als zu andern Zeiten?«
»Weil ich nicht durch Mißtrauen zerstören will, was ich durch Vertrauen erworben habe. Unvorsichtig werde ich trotzdem nicht sein; nur braucht er nicht zu wissen, daß ich, um ihn zu beobachten, ihm folgen werde. Bleibt hier! Ihr werdet nicht lange zu warten haben, denn ich komme jedenfalls eher wieder als er.«
Während ich nach unten stieg, war das Schreien und Rufen noch zu hören; bald aber verstummte es. Der Scheik war bei den Seinen angelangt und hatte seinen Bericht begonnen. Ich setzte meinen Weg mit doppelter Schnelligkeit fort, was jetzt, am hellen Morgen, keine Schwierigkeiten hatte. Es dauerte nicht lange, so hörte ich seine Stimme. Ihrem Schalle folgend, erreichte ich den Waldesrand und sah ihn mitten unter seinen Kriegern stehen. Ich verstand jedes Wort, welches er ihnen sagte, weil er in dem lauten Tone eines Redners sprach. Schon die erste Minute überzeugte mich, daß er es ehrlich meinte; ich wartete aber trotzdem, bis er mit seinem Berichte zu Ende war und sie eindringlich auch zum Frieden mahnte. Er stieß, wie auch gar nicht anders zu erwarten war, zunächst auf einigen Widerspruch; seine Leute hatten nur an den Austrag ihrer Rache gedacht und sich nicht in einer so schlimmen Lage wie er befunden; aber es wurde ihm doch nicht schwer, die wenigen Gegner seiner Ansicht zu derselben umzustimmen, und ich machte mich, als ich mich davon überzeugt hatte, auf den Rückweg zu den Gefährten.
Ich saß seit nur einigen Minuten wieder bei ihnen, so kam Schir Samurek auch zurück und zwar ganz allein.
»Effendi, du wirst mit mir zufrieden sein,« sagte er. »Meine Krieger hörten zwar mit großem Erstaunen, daß die Bebbeh noch am Leben seien; als sie aber erfuhren, daß du die beiden gerettet und mich dafür ergriffen, dann aber freiwillig wieder freigegeben hast, siegte bei ihnen der Wunsch, den Emir Kara Ben Nemsi Effendi als Freund und Gast bei sich zu haben und dadurch den Neid der andern Stämme zu erregen. Sie werden dich und Hadschi Halef Omar mit Freuden empfangen und ich bin nur jetzt allein gekommen, um dir zu beweisen, daß du mir vertrauen darfst. Schau, ich bin ohne Waffen. Nehmt mich in eure Mitte und geht mir mir hinab. Meine Krieger haben sich auf die eine Seite des Lagers zurückgezogen und auf der andern alle ihre Flinten und Messer vorher abgelegt; du würdest also schon allein mit deinem Zaubergewehre jede Hinterlist leicht bestrafen können.«
»Diese Versicherung gereicht zu deiner Ehre, doch für uns ist sie überflüssig, weil wir wissen, daß du uns nicht betrügen wirst. Du bist also bereit, die Bedingungen zu erfüllen, welche ich dir vorhin gestellt habe?«
»Ja; doch habe ich eine Bitte.«
»Welche?«
»Wenn du mir das Fell der Bärin überlassen wolltest, würde es für unsern ganzen Stamm ein Heiligtum des Andenkens an Kara Ben Nemsi sein.«
»Du sollst es haben; die Felle der drei Jungen aber wird Halef mit zu den Haddedihn nehmen.«
»Wie? Drei Kinder hatte diese riesenhafte Mutter der Gefräßigkeit?«
»Ja.«
»Oh, ihr Helden! Wie ist es euch denn möglich geworden, diese Tiere zu töten, ohne daß wir einen einzigen Schuß gehört haben?«
»Das wirst du nachher erfahren. Mein guter Hadschi Halef Omar ist ein großer Meister des Erzählens; ihr werdet aus seinem beredten Munde hören, wie alles gekommen ist, von unserm Eintritte in Khoi an bis auf den jetzigen Augenblick.«
Nichts war dem kleinen Hadschi lieber, als wenn er so recht nach seinem Gusto erzählen konnte; darum bereitete ihm dieser Hinweis auf sein Talent die größte Freude. Er fühlte sich geschmeichelt und bestätigte, sich in die Brust werfend, meine Worte:
»Ja, das ist sehr wahr. Allah hat mir die Gabe der überwältigenden Rede verliehen, und wo ich meine Stimme erschallen lasse, da schweigen alle Menschen, Pferde und Kamele. Ihr sollt erfahren, wie wir euch gefunden haben, wie mein Sihdi dich und die beiden Rosse herausgeholt hat und wie der Unsterblichkeit der Bärin ein so schnelles und ruhmloses Ende bereitet wurde. Eure Ohren werden voll werden von den Klängen unserer Pfiffigkeit und von den Tönen unserer Tapferkeit; wir aber konnten uns in Khoi nur mit Datteln versehen, welche nichts taugen, weil sie wurmstichig sind, und freuen uns also sehr darauf, von euch bessere zu bekommen. Rih, unser edler Rappe, ist an diese Frucht gewöhnt, und da ihr ihn gestern schlecht behandelt habt, so daß er vor Zorn und Ärger gar nicht fressen konnte, so muß er nun täglich wenigstens zweimal eine Ruba gute Datteln bekommen, bis sich sein Grimm gelegt hat und er wieder zu Kräften gekommen ist.«
Der kleine Kerl benutzte die Gelegenheit, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden; daß er dabei den Mund sehr voll nahm, das lag in seiner Art und Weise; freilich wollte mir die Unverfrorenheit seiner Forderung nicht gefallen, doch nahm der Scheik sie mit guter Miene hin, indem er versprach, sie nach Möglichkeit zu erfüllen. Wer hätte es für möglich gehalten, daß dieser Räuber, dem kein Gesetz als nur das der Blutrache heilig gewesen war, so rasch und in solcher Weise ein ganz anderer werden könne! Noch heute ist mir wenigstens das Eine unbegreiflich, daß er, scheinbar so leichten Herzens, auf Rih verzichtete, ohne nur ein einziges Wort des Bedauerns laut werden zu lassen. Das konnte nicht allein die Wirkung der ausgestandenen Todesangst sein, sondern des Wortes von der Liebe, die ja mächtiger ist als alles andere im Himmel und auf Erden.
Wir stiegen mit ihm, die beiden Pferde an den Zügeln führend, zum Lager hinab, wo wir es so fanden, wie er uns gesagt hatte: rechts lagen die Waffen alle beisammen, und links vom Teiche saßen die Kelhurs, welche Halef und mich mit bewundernd neugierigen Blicken empfingen, während sie die Bebbeh einstweilen gar nicht zu beachten schienen. Am freudigsten wurden wir von dem Nezanum und seinen Begleitern bewillkommnet, die uns die Befreiung aus der Gefangenschaft und von der Zahlung des Lösegeldes zu verdanken hatten.
Die Hauptsache war natürlich, wie bei allen wilden und halbcivilisierten Völkern, ein Schmaus, welcher sogleich veranstaltet wurde und zu dem das Fleisch der vier Bären eine vortreffliche Beigabe bot. Ein Freundschaftsschluß kann nur dann als bindend betrachtet werden, wenn er durch einen solchen Schmaus bestätigt und bekräftigt worden ist.
Was die Bären betrifft, so folgten die Kelhur uns trotz ihrer großen Neugierde nicht ohne Scheu nach der Musallah hinüber. Als wir drüben anlangten, sagte der Scheik, indem er auf die tote Bärin deutete:
»Effendi, ich rühre sie nicht eher an, als bis ich weiß, daß sie wirklich tot ist und bis sie das Kreuz nicht mehr in den Tatzen hat. ich weiß nicht, was gefährlicher ist, das Zeichen der Christen zu entweihen oder zwischen die Pranken eines solchen Ungetümes zu geraten.«
»Wenn es zu deiner Beruhigung dient,« antwortete ich, »so werde ich dir beweisen, daß sie nicht mehr lebt, und du wirst mir dafür helfen, die Ruine der Musallah mit einem bessern Kreuze zu versehen.«
»Ja, das werde ich thun; sehr gern soll das geschehen. Einige meiner Krieger haben ihre Kadadim zum Bau der Lagerstätten mit. Wir werden Stämme fällen und ein Kreuz zimmern, wie du es haben willst; du brauchst uns deinen Wunsch nur anzugeben.«
Da drängte sich Ssali Ben Aqil zu mir heran und fragte mich:
»Erlaubst du mir, Effendi, daß ich bei dieser Arbeit auch mithelfe?«
Ich gab ihm mit Absicht folgende Antwort:
»Natürlich erlaube ich es dir. Aber du bist ein Lehrer und Prediger des Islam. Verträgt es sich mit diesem deinem Berufe, eine Musallah derer, die ihr Ungläubige nennt und die deshalb hier von Moslemim getötet wurden, mit dem Zeichen des Christentumes zu schmücken?«
Die Leute, welche um uns standen, waren Bekenner des Islam, dennoch erwiderte er, daß sie alle es hörten:
»Du hast uns gesagt, daß der Halbmond eine Nachahmung des tötenden Schwertes sei; das Kreuz aber wurde dem Gotte der Liebe errichtet, der uns durch dich vom Tode errettet hat. Wer kann wanken, wenn er zwischen Tod und Leben zu wählen hat? Lag nicht der Tod auch aller dieser Kelhurs im Laufe deines Zaubergewehres? Und doch hast du ihnen die Versöhnung an Stelle der Vernichtung gebracht! Ist es etwa gleichbedeutend mit der Abschwörung des Islam, wenn ich aus Dankbarkeit für die Befreiung aus den Krallen der Bären die Hölzer des Kreuzes mit zimmern und errichten helfe? Soll ich mir von dir vorwerfen lassen, daß ich deinem Glauben den Dank verweigere, den ich ihm schuldig bin? Muß ich deshalb, weil ich den Mahdi suche, ungerecht gegen deine Lehre sein? War Abram nicht ein Heide, ehe er ein Jude wurde? War Muhammed sogleich ein Moslem, als er als Kind die Erde betrat? War euer Isa Ben Marryam nicht ein Jude, ehe er seine große Predigt vom Berge lehrte? Muß also der Mahdi, den wir erwarten, ursprünglich und unbedingt ein Moslem sein? Kann nicht auch ein Christ von Allah begnadet werden, die Wohnung des Geistes zu sein, welcher seinen Gläubigen die Pforten der wahren Seligkeit öffnet? Und habe ich nicht gestern abend und heut früh die Überzeugung gewonnen, daß dieser Geist der Geist der Liebe sein muß? Streite mit mir über den Glauben, aber wehre mir nicht, die Schuld abzutragen, die mich drücken würde!«
»Es fällt mir nicht ein, mit dir zu streiten, denn ich bin der Überzeugung, daß du, wenn du eifrig suchst, das Richtige finden wirst. Und noch viel weniger werde ich dich hindern, das Kreuz mit zu errichten, unter welchem allein die Liebe wohnt, nach welcher du dich sehnst. Du wandertest bisher in der Irre, weil du dir vornahmst, ein Führer zu sein. Sobald du zu der Erkenntnis kommst, daß du selbst noch sehr der Führung bedarfst, wird dir, wie einst den drei Königen aus dem Morgenlande, der Stern von Bait Lahm erscheinen, um dich zu dem rechten und einzigen Mahdi zu leiten, dessen Stimme noch heut durch alle Lande schallt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, und niemand kommt zum Vater denn durch mich! Suche nur, suche! Unsere heilige Schrift giebt uns die tröstliche Verheißung- Suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Diese Verheißung gilt nicht bloß für uns Christen, sondern für alle Menschen, die nach der Wahrheit trachten, also auch für dich. Aber wer nach der Wahrheit strebt, der darf dies nicht mit Voreingenommenheit thun, denn wenn du einen Freund mit Absicht grad nicht in der Stadt oder in dem Hause suchst, wo er wohnt, so ist dein Suchen vergeblich.«
»Effendi, ich werde suchen, überall, allüberall, und ich bin überzeugt, daß ich den Mahdi finden werde, hier oder dort, früher oder später. Jetzt aber werde ich euch helfen, den Bären auf die Seite zu schaffen, der uns im Wege steht. Du hast dafür gesorgt, daß er uns nicht fressen konnte; dafür wird er aber nun von uns verzehrt werden.«
»Die Tatzen sind für mich und für meinen Sihdi bestimmt,« fiel da der schlaue Halef ein. »Alles übrige Fleisch, von der Mutter sowohl als auch von ihren jungen, könnt ihr für euch behalten.«
»Nur die Lebern nicht,« warnte ich. »Die sind von dieser Art von Bären giftig und müssen weggeworfen werden.«
Jetzt banden wir der Bärin das Kreuz aus den Pranken, legten sie um und schälten sie aus dem Felle, was nur langsam vor sich ging, weil sie nicht mehr warm war. Den Pelz nahm dann Schir Samurek gleich an sich. Dasselbe geschah dann mit den jungen, über deren Häute sich Halef sofort hermachte, um die noch anklebenden Fleischteile mit Hilfe einiger Kurden abzuschaben und sie dann mit dem Gehirne einzureiben. Inzwischen gingen Aqil und sein Sohn nach dem Wasser, um sich und ihre vielfach zerfetzten Anzüge von dem Honige zu reinigen, dessen Süßigkeit ihnen hatte so verhängnisvoll werden sollen.
Als das Fleisch der Bären verteilt worden war, begann das Braten desselben und dann der Schmaus, bei dem die Freundschaft zwischen uns und den Kelhur abgeschlossen wurde – – für ewige Zeiten. Was solche Ewigkeiten zu bedeuten haben, und von welcher Dauer sie sind, das wissen die Diplomaten aller Länder, und das wissen auch die Kurden. Die Bärentatzen schmeckten mir und Halef ausgezeichnet. An das Fleisch der uralten »Bärin der Unsterblichkeit« hätte ich mich nur in der größten Hungersnot gewagt; es war unbeschreiblich hart und zähe und mußte wie Sohlenleder schmecken; aber diesen Kelhur schien es einen wahren Göttergenuß zu bereiten. Wenigstens versicherten sie einstimmig, daß sie noch niemals solche leckere und ehrenvolle Lukmat esch Schühret genossen hätten. Der Stolz, grad diese berühmte Bärin verspeisen zu dürfen, machte ihre Geschmacksnerven allem Anscheine nach vollständig empfindungslos.
Nach dem Essen wurde aus hartem, dauerhaftem Holze ein riesiges Kreuz gezimmert und dann hoch auf der Vordermauer der Musallah befestigt, so daß es der vereinigten Kräfte vieler Männer bedurfte, es von da zu entfernen. Als wir damit fertig waren, fragte Ssali Ben Aqil:
»Effendi, ich habe auf meinen Reisen viele Eigentümlichkeiten der Europäer kennen gelernt. Ich weiß, daß sie bei Gelegenheiten, wie die jetzige eine ist, eine feierliche Takdis zu veranstalten pflegen. Bist du nicht der Meinung, daß so eine Takdis auch hier zu geschehen habe?«
Ich war selbstverständlich darüber erstaunt, daß er, der Moslem, sogar der Prediger des Islam, mir die Einweihung dieses Zeichens des Christentumes in Vorschlag brachte. Natürlich ging ich darauf ein, mußte dabei aber vorsichtig sein; ich durfte die Glaubensansichten der Kurden nicht beleidigen und mußte mich vor allen Dingen hüten, den Samen zu vernichten, der heut in viele Herzen gefallen war. Darum antwortete ich:
»Ja, wir wollen dieses Kreuz einweihen. Es soll in diesen Bergen, in denen bisher der Haß und die Unversöhnlichkeit wohnten, als das Sinnbild der Liebe und des Friedens stehen. Seid ihr damit alle einverstanden?«
Ich erhielt ein hundertstimmiges ja zur Antwort und fuhr fort:
»Wenn jemand unter euch das Trotzlied von Fileh el Mafileh kennt, so möge er mir den Anfang desselben sagen!«
Da war es gleich der Scheik, welcher antwortete:
»Gasa, Nikma, Bugda, Thar – –«
»Halt, mehr brauche ich nicht!« unterbrach ich ihn. »Diese vier Worte sagen zur Genüge, was für finstere Wolken seit Jahrhunderten auf diesen Bergen und Thälern gelegen haben; sie sollen von der Sonne der Liebe und Güte zerteilt und vertrieben werden. Wenn einer von euch Farbe bei sich hätte, würde ich euch ein anderes und schöneres Muwal an dieses Kreuz schreiben, welches das Herz eines jeden Menschen erleuchten würde, der hierher käme und es läse.«
Da rief mir einer zu:
»Effendi, ich bin der Schabbar des Stammes und habe mehr Nila bei mir, als du zu einer solchen Schrift nötig hast.«
Das war mir lieb. Einen Pinsel gab es zwar nicht, doch fertigte ich mir einen, indem ich ein Stück grünes Holz abschnitt -und das eine Ende desselben kaute, daß es faserig wurde. Dann mußten zwei starke Kurden mit mir hinauf zum Kreuze steigen; ich stellte mich auf ihre Schultern, so daß ich den Querbalken des Kruzifix erreichen konnte, und schrieb in arabischer Sprache, was mir der Augenblick eingab. In arabischer ist es viel kürzer als in deutscher Sprache, in welcher es, den Reim beibehalten, ungefähr lauten würde:
»Die Güte leite all dein Handeln;
Die Milde leite all dein Thun.
Du sollst in Gottes Lebe wandeln;
Du sollst in Gottes Liebe ruhn!«
Als ich fertig war und Ssali Ben Aqil es den schriftunkundigen Kurden vorlas, erntete ich lauten und allgemeinen Beifall. Ich sprach eine kurze Weiherede, forderte die Zuhörer auf, niederzuknieen und die Hände zu falten und betete das Vaterunser, an dessen Schlusse alle in mein Amen mit einem kräftigen Amin einfielen, ein Wort, welches ganz dieselbe Bedeutung hat. Es war wohl nur Ssali Ben Aqil allein, welcher wußte, daß sie damit einen außerordentlichen Verstoß gegen die Satzungen des Islam begangen hatten.
Es versteht sich ganz von selbst, daß die Wachen, welche unten im Flußbette gestanden hatten, um uns abzufangen, längst eingezogen worden waren. Das Einvernehmen aller war jetzt ein so gutes, als ob niemals eine Feindschaft zwischen uns gelegen hätte. Wir beschlossen, noch nicht fortzuziehen, sondern den ganzen Tag und auch noch die folgende Nacht hier oben bei der Musallah el Amwat zu bleiben, und da kann man sich denken, daß mein kleiner, redseliger Halef diese Gelegenheit ausnützte, von meinen Thaten und von meinen Vorzügen zu erzählen, worunter er aber nicht zum wenigsten die seinigen meinte.
Auch ich ließ diese Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne – – – zu erzählen? o nein! sondern ohne den ausgestreuten Samen zu begießen, wobei mir Ssali Ben Aqil ein sehr aufmerksamer Zuhörer war. Ich gedachte des Wortes unsers Heilandes an Petrus: »Von jetzt an wirst du Menschen fangen!« und zugleich des Dichterwortes: »O Gott, wie muß das Glück erfreun, der Retter einer Seele sein!«
Ich erzählte von den alttestamentlichen Weissagungen, von Christi Geburt, seinem Leben, Sterben und Auferstehen, von seinen Lehren. Ich that dies nicht in aufdringlicher, missionierender Weise, durch welche ich grad das Gegenteil von meiner Absicht erreicht hätte, denn diese unvorsichtige Art des Fanges hätte das Wasser getrübt und die Fische verscheucht; so aber hörte man mir still und ohne Unterbrechung zu, erst aufmerksam nur, dann staunend, voller Verwunderung, die so aufrichtig war, daß der Scheik Schir Samurek endlich ausrief:
»Aber, Effendi, von alledem haben wir bisher ja nichts, gar nichts gehört und gewußt!«
»Das brauchst du mir nicht erst zu sagen. Dieses Geständnis hat mir schon gar mancher Moslem gemacht, welcher die Lehre Christi verachtete und verdammte, ohne ein Wort von ihr zu kennen. Ist es nicht Thorheit, über etwas vollständig Unbekanntes ein Urteil zu fällen?«
»Da hast du recht. Also Isa Ben Marryam hat die Wunder wirklich alle gethan, welche du erzählt hast?«
»Ja.«
»Aber warum geschehen jetzt keine Wunder mehr, weder bei uns noch bei euch?«
»Es geschehen noch immer welche.«
»Bei euch?«
»Bei uns und euch.«
»Das glaube ich nicht!«
»Weil deine Augen geschlossen sind. Du brauchst sie nur zu öffnen, so siehst du Wunder allüberall. Der Kurzsichtige oder gar Ungläubige pflegt bei solchen Ereignissen freilich nicht von einem Wunder, sondern nur vom Zufalle zu sprechen.«
»Willst du damit sagen, daß es keinen Arid giebt?«
»Ja,«
»Hierin hast du einmal unrecht, Effendi. Es giebt Awarid; ich habe viele, viele selbst erlebt.«
»Du irrst. Wir Christen glauben, daß Gottes Hand uns vom Anfange bis zum Ende des Lebens leitet, daß es sein liebevoller Wille ist, nach welchem alles, alles geschieht. Und wenn der Mensch sich gegen diese Liebe sträubt und dadurch seinem Lebenswege eine andere, schlimme Richtung giebt, so thut er das nach seinem, des Menschen Willen. Kann man da vom Zufall sprechen? Und euer Islam lehrt, daß alles, was geschieht, im Buche des Lebens vorher verzeichnet sei. Ist da also nicht auch bei euch jeder Zufall ausgeschlossen?«
»Richtig! Du hast recht, obgleich ich es vorhin nicht glaubte. Aber wie ist's da mit dem Wunder?«
»Wenn des Menschen Weg und Wollen mit dem Willen und der Liebe Gottes auseinandergehen, so streckt Gott in seiner Allbarmherzigkeit die Hand der Allmacht aus, um den Verirrten zu sich zurückzuführen. Das, was dann die Allmacht thut, ist eben das Wunder, welches an dem Menschen geschieht, zumeist ohne daß er es als solches erkennt.«
»Und du meinst, daß ich auch schon solche Wunder erlebt habe?«
»Ja.«
»Maschallah! Sage mir eins, ein einziges nur, so will ich daran glauben!«
»Das fällt mir gar nicht schwer. Hadschi Halef Omar erzählte euch vorhin, wie ich euch beschlichen und belauscht habe, du fordertest deine Krieger auf, über Ssali Ben Aqil zu lachen. Sie thaten es, und dann sagtest du zu ihm und seinem Vater: ›Wißt ihr nun, wie vernünftige Männer über euch denken? Hat die Antwort, die ihr erhieltet, euch nicht die Knochen zu Mehl und Staub zermalmt? Morgen um dieselbe Zeit werdet ihr dasselbe Lachen aus dem Munde der Teufel in der Hölle hören, und es wird euch in die Ohren klingen in alle Zeit und Ewigkeit! Eure Erwartung ist Lüge; eure Hoffnung ist Täuschung und euer Glaube ist Betrug. Weder Allah noch sein Prophet wird sich euer erbarmen, denn das Blut, welches wir zu rächen haben, muß über euch kommen, und wenn ihr euch in eurer Todesangst dann an den falschen Gott der Ungläubigen wendet, welcher Isa heißt, so wird der Himmel sich vollends von euch wenden und die Hölle über euern Abfall jubeln!‹ – Das waren genau deine Worte, und du wirst zugeben, daß du so gesagt hast!«
»Ja.«
»Du hieltest es für vollständig unmöglich, daß grad das Gegenteil von deiner Drohung geschehen könne?«
»Ja, für vollständig unmöglich!«
»Nun, was folgte dann? Sie wurden frei und du selbst fielst in Gefangenschaft. Wir hätten dich in ganz genau denselben Tod schicken können, den sie erleiden sollten. Dann hättest du an ihrer Stelle das Lachen der Teufel in der Hölle gehört. So ist also nicht ihre, sondern deine Erwartung zur Lüge, deine Hoffnung zur Täuschung und dein Glaube zum Betrug geworden. Das, was du für unmöglich hieltest, ist geschehen. Isa hat sie errettet, ohne daß der Himmel sich von ihnen wendet und ohne daß die Hölle über sie jubelt. Wenn aber Unmögliches zur Wahrheit geworden ist, so ist eben ein Wunder geschehen. Nicht der Zufall hat uns hergeführt, sondern Gottes Allmacht war es, welche durch uns zwei schwache Männer das vollbrachte, was nach eurem und überhaupt nach menschlichem Ermessen niemals geschehen konnte. Zweifelst du noch daran, daß es ein Wunder ist?«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Effendi.«
»Du siehst es ein, sträubst dich aber, es zu gestehen. Und doch ist zu diesem Wunder sogar ein noch viel größeres geschehen. Ssali Ben Aqil und sein Vater, eure Todfeinde, sitzen jetzt als Freunde bei euch; sie haben nicht einmal die Dijeh, den Blutpreis zu bezahlen gehabt. Wenn das nichts als ein bloßer Zufall ist, so kann es allerdings überhaupt gar keine Wunder geben!«
Da sprang Schir Samurek auf und rief:
»Jetzt, jetzt hast du das Richtige getroffen, Effendi; jetzt hast du mich abermals besiegt! Daß dies geschehen konnte, daran war hier im Leben und auch im jenseits nicht zu denken. Ja, es geschehen Wunder, und ich bin jetzt überzeugt davon. Aber ihr waret es, die dies alles vollbracht haben; die Liebe, die euch leitet, ist's gewesen; vor ihr ist das ganze, große Bauwerk unsers Hasses und unserer Rache, von dem wir glaubten, daß es in alle Ewigkeit bestehen müsse, in ein Nichts zusammengebrochen. Meine ganze Seele hat sich seit gestern verändert; ich kenne mich nicht mehr. Wenn ich nicht einsehen müßte, daß du nichts als die volle Wahrheit sagst und daß du es gut und ehrlich mit uns meinst, so würde ich dich für einen schlauen Missionar halten, der uns durch schönklingende Worte bethören und von unserem Glauben abwendig machen will. Aber deine Thaten sprechen noch lauter und überzeugender als deine Worte, und wenn du von uns scheiden wirst, so hast du uns ein Mah et Tahkid hier zurückgelassen, von welchem unsere Herzen noch lange, lange trinken werden. Wirst du vielleicht einmal nach dem Lande der Kurden zurückkehren?«
»Das steht bei Gott. Wenn er es will, wird es geschehen.«
»Er gebe es! Dann sollst du bei uns empfangen werden als Bruder und als Freund, der keinen Wunsch hat, den wir nicht erfüllen. Jetzt aber sollst du weiter erzählen von Isa, dem Gekreuzigten und seinen zwölf Hawarijun; denn da du schon morgen von uns scheidest, so müssen wir die kurze Zeit benützen, die du in unserer Mitte bist.«
Wie gern kam ich dieser Aufforderung nach! Hatte ich doch eine ganz bestimmte Absicht, die ich noch erreichen wollte. Ich habe bereits gesagt, daß die Kelhur einen Raub- und Beutezug über die Grenze hinüber ausführen wollten, und ich stellte mir die Aufgabe, sie davon abzubringen. Daß ich dabei nicht, wie man sich auszudrücken pflegt, mit der Thür ins Haus fallen durfte, versteht sich ganz von selbst. Ich wirkte durch leise Andeutungen heimlich darauf hin; ich belegte diese Mahnungen mit Beispielen aus meinem eigenen Leben und hatte endlich die Freude, den Erfolg eintreten zu sehen, daß Schir Samurek ohne alle Ahnung von dieser meiner Taktik scheinbar ganz von selbst auf die Frage kam:
»Aber da begehen wir doch, wenn wir unsern Kriegszug ausführen, eine so große Sünde, daß sie uns gar nicht vergeben werden kann. Meinst du nicht auch, Emir?«
Ich that, als ob ich erst jetzt, durch ihn, an dieses ihr Vorhaben erinnert werde, und antwortete natürlich in bejahender Weise. Nun gab es für ihn einen doppelten Kampf, nämlich zwischen ihm und sich selbst und zwischen ihm und seinen Leuten. Er und sie waren das Räuberleben gewöhnt; sie betrachteten den Raub als ritterliche That; sie hatten den Zug unternommen, um Beute zu machen. Sollten sie auf diese Beute verzichten? Sollten sie leer nach Hause kommen und sich auslachen lassen? Ich hatte mir fast zu Schweres vorgenommen, denn mein Einfluß auf diese Dreiviertelbarbaren stammte erst von heut; er war viel zu neu und zu schwach, es mit ihren altgewohnten Anschauungen aufzunehmen; aber grad dadurch, daß ich nicht kategorisch sprach, sondern sie selbst gegen einander leitete und nur in den kritischen Momenten ein widersprechendes oder aufmunterndes Wort fallen ließ, erreichte ich schließlich doch mein Ziel: es wurde beschlossen, den Raub in einen Jagdzug umzuwandeln und also morgen früh schon wieder umzukehren.
Ich nahm an, daß nur Halef meine heimliche Absicht erraten habe, befand mich da aber im Irrtum, denn Ssali Ben Aqil nahm mich in einem Moment, an welchem wir nicht beachtet wurden, bei der Hand und raunte mir zu:
»Effendi, dir scheint alles möglich zu sein, denn sogar auch dieses hast du fertig gebracht, ohne daß ein einziger ahnte, was du eigentlich wolltest. Du kannst jedermann zu allem bringen, was du willst; hättest du schlechte Absichten, so wärest du ein höchst gefährlicher Mensch. Allah sei Preis und Dank, daß du nur nach dem Guten strebst!«
Es war spät, sehr spät, als wir endlich zum Schlafen kamen; dafür wachten wir früh später auf, als wir uns vorgenommen hatten. Dann wurde mit dem Aufbruche nicht gesäumt. Wir wollten die Kelhur nur bis zum Ausgange des Engthales begleiten und uns dann direkt nach Khoi wenden, während ihre Richtung die nördliche war. Schir Samurek stieg als der letzte von ihnen zu Pferde, vorher aber händigte er mir das gestohlene Geld des Wirtes mit den Worten aus:
»Effendi, es war sehr rücksichtsvoll von dir, mich bis zu diesem Augenblicke nicht an die zehntausend Piaster zu mahnen. Hier hast du sie! Indem ich sie dir gebe, habe ich nun alles erfüllt, was du von mir gefordert hast.«
Er ritt hinter seinen Leuten her. Ihm folgte der Nezanum mit den Männern aus Khoi, die auch alle ihnen abgenommenen Sachen wiederbekommen hatten. Ich ging mit Halef noch einmal nach der Musallah, um dort eine kurze Andacht zu verrichten. Die beiden Bebbeh schlossen sich uns an. Als wir dann unsere Pferde auch bestiegen, um den Kelhur nachzureiten, sagte Ssali Ben Aqil, indem er nach der Kapelle zurückdeutete:
»Dies ist der Ort, wo wir schon in den Tod versanken, als du uns neues Leben gabst. Aber nicht nur das Leben hast du uns gebracht, sondern auch das Licht der Liebe, das uns leuchten soll. Es sind hier große Wunder geschehen. Das letzte war, daß es deiner Klugheit gelang, die Kelhur zum Verzicht auf ihren Beutezug zu bringen. Ihr Christen scheint nicht nur die wirkliche Liebe, sondern auch die wahre Weisheit zu besitzen, die alle menschlichen Listen überragt. Wir müssen leider sehr bald von dir scheiden, weil wir heut noch den gleichen Weg mit den Kelhur haben; aber unsere Herzen sind des Dankes voll. Wenn Allah meinen Wunsch erfüllt, so treffe ich dich einstens wieder, und dann wirst du erfahren, ob ich noch auf der Spur des Mahdi wandle oder ob mir der andere Stern erschienen ist, von welchem du zu mir gesprochen hast. Der Segen Allahs sei auch fernerhin mit dir, wie er dich bisher begleitet hat!«
Wir holten die Kelhur unten im Thale ein und ritten mit ihnen und den Bebbeh, bis das Flüßchen aus den Bergen trat. Da wurde Abschied genommen. Es geschah dies in der wortreichen orientalischen Weise, welcher selten zu trauen ist; hier aber waren die bilderreichen Ausdrücke herzlich und aufrichtig gemeint, und als wir uns dann mit den Leuten von Khoi allein befanden, strich sich Halef mit der Hand über das Gesicht und sagte:
»Sihdi, das Scheiden ist eine Sache, weiche zwar nicht zu ändern ist, aber doch geändert werden sollte, denn sie berührt die Tiefe des Behagens wie ein Quirl und bewässert die Winkel unserer Augen, daß sie wie ein Doppelbrunnen laufen. Glücklicherweise finden wir Trost in dem erhabenen Gedanken, daß wir diese vielen Feinde nicht nur besiegt, sondern sogar in Freunde umgewandelt haben und daß ich die Felle der drei Bärenjünglinge besitze, welche in beredten Worten unsern Ruhm verbreiten werden. Mein gegenwärtiges Befinden ist viel besser und viel edler als die unerwartete Bequemlichkeit, die ich empfand, als ich von der Talumba von Khoi in das Geäst des Baumes geschleudert wurde. Möge diese Spritze von allen bösen Geistern besessen sein und niemals Ruhe finden, weder bei Tage noch bei Nacht!«
Unsere jetzigen Begleiter gaben sich alle Mühe, uns ihres Dankes und ihrer Freundschaft zu versichern, doch hielten wir uns für uns, denn selbst der vornehmste von ihnen, der Nezanum, dessen Klugheit nach der Ansicht des Wirtes weit über unserer Weisheit erhaben war, besaß nichts, was uns verlocken konnte, uns näher mit ihm zu beschäftigen. So ist über diesen Heimritt also nichts weiter zu erwähnen, als daß auf ihm nichts Wichtiges passierte und daß wir glücklich in Khoi ankamen.
Wir erregten Aufsehen; die Bewohner liefen in hellen Haufen zusammen, und so fand Halef wieder gute Gelegenheit, sein Erzählertalent glänzen zu lassen. Wie glücklich war der Wirt, als ich ihm sein Geld aushändigte. Auch seine Frau bedankte sich bei uns und sagte mir dann heimlich mit Freudenthränen in den Augen, daß ihr Mann ihr sein festes Versprechen gegeben habe, nicht wieder in sein Laster zurückzufallen.
Wir blieben fünf Tage in dem Orte, dessen Bewohner uns mit Beweisen freundschaftlicher Gesinnung fast überschütteten – – nur einer nicht, nämlich der Apotheker. Er zeigte uns als Pferdediebe an und wollte uns streng bestraft wissen, wurde aber mit seiner Klage natürlich abgewiesen. Hierauf kam er in den Khan und verlangte Entschädigung von uns. Halef erklärte sich sofort bereit, sie ihm in jeder Höhe auszuzahlen, leider aber nur mit der Peitsche. Von da an ließ er uns in Ruhe, und wir bekamen ihn nicht eher wieder zu sehen, als bis wir Khoi verließen. Da stand er am Wege und warf uns wütende Blicke zu, die unsern Gleichmut nicht zu stören vermochten. – – –