Karl May
Im Lande des Mahdi II
Karl May

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DRITTES KAPITEL

Am Sumpf des Fiebers

Die angeregte Unterhaltung, welche wir während unserer nächtlichen Thalfahrt im Boote führten, that unserer Aufmerksamkeit keineswegs Abbruch. Wir paßten sehr gut auf, hielten auch einigemale an, wenn ein phantastischer Uferschatten die Gestalt eines Schiffes zeigte, sahen uns aber allemal getäuscht. Wir verbrannten nach und nach alle sechs Fackeln, die ich in das Boot geworfen hatte, und mußten endlich ohne Licht fahren. Gegen morgen wurde der Wind stärker und infolgedessen unsere Schnelligkeit größer. Natürlich hatten wir nicht ohne Unterbrechung gerudert, denn das wäre nicht auszuhalten gewesen. So oft wir uns in guter Strömung befanden, hatten wir ausgeruht.

Es war noch nicht fünf Uhr früh, als wir die Stelle erreichten, an welcher die »Eidechse« geankert hatte. Eine kleine Strecke weiter oben hatte Abu en Nils Schiff gelegen; es war fort. Wir stiegen am Lagerplatze aus, in der Hoffnung, jemand zu finden. Es war vergeblich. Nun hieß es, noch bis Hegasi zu segeln. Traf ich den Reïs Effendina auch dort nicht, so hatten wir ihn entweder heute nacht umgangen oder er war nach Chartum zurückgekehrt. In diesem Falle war ich in Beziehung auf die Sicherung unserer Karawane nur auf mich selbst angewiesen.

Als wir uns Hegasi näherten, glänzte uns ein kleines Licht entgegen. Die Sterne begannen bereits zu erbleichen, demnach sah ich, daß das Licht zu einem Schiffe gehörte, welches an der Mischrah lag. Ich erkannte den scharfen, eleganten Rumpf und die drei schiefen Masten. Es war der »Falke«, den wir suchten. Das Licht kam aus der Laterne, welche am Mittelmaste brannte. Wir hielten natürlich auf das Fahrzeug zu, demnach rief uns, noch bevor wir es erreicht hatten, vom Verdecke eine Stimme an:

»Boot, hier an der Seite anlegen!«

Zum Scherze gab ich dem Alten die Weisung, etwas abzufallen, als ob wir dem uns erteilten Befehle nicht gehorchen wollten. Wir nahmen also eine mehr seitwärtige Richtung; da aber rief der Mann:

»Halt, ich schieße!«

Zu gleicher Zeit ertönten die scharfen Klänge einer kleinen Glocke. Es war die Alarmglocke des »Falken«. Gab die Deckwache mit ihr das Zeichen, so standen gewiß binnen einer Minute alle Mannen, und wenn sie im tiefsten Schlafe gelegen hätten, gefechtsbereit. Ich durfte den Scherz nicht weiter treiben, denn ich wußte, daß man sonst auf uns geschossen hätte. Darum steuerten wir auf das Fahrzeug zu.

»An Backbord anlegen,« gebot die Wache, »und ruhig halten bleiben!«

Wir gehorchten diesem Befehle. Droben wurde es lebendig und nach sehr kurzer Zeit wurde herabgefragt:

»Wem gehört das Boot?«

Ich erkannte die Stimme des Reïs Effendina. Damit er mich nicht an der meinigen erkennen sollte, sagte ich Ben Nil die Antwort vor, welche er an meiner Stelle gab:

»Der Eidechse.«

Als er diese Antwort hörte, rief er in erregtem Tone.

»Steigt herauf, sofort herauf!«

Er hatte natürlich erfahren, daß das Schiff, welches kurz vor seiner Ankunft die Dschesireh Hassanieh verlassen hatte, die »Eidechse« gewesen war, und glaubte nun Aufschluß über dasselbe zu erhalten. Es waren eben mehrere Laternen angebrannt worden. Scherzhafterweise forderte ich den alten Steuermann auf, als der erste die Strickleiter, welche man herabgeworfen hatte, hinaufzusteigen.

Er gehorchte, ohne meine Absicht zu durchschauen. Als er oben ankam, hörte ich den Reïs Effendina rufen:

»Das ist der erste. Doch halt, dieses Gesicht müßte ich kennen! Wer ist denn das? Höre, Patron, wo haben wir uns denn schon gesehen?«

Abu en Nil war über diesen Empfang so erschrocken, daß er vergaß, eine Antwort zu geben.

»Wenn ich mich nicht irre, so ist dein Name Abu en Nil. Gestehe es sofort!«

»Ja, Effendi, ja!« gab der Steuermann angstvoll zu.

»War es nicht in Gizeh, wo wir uns sahen?«

»In Gizeh, ja, Effendi.«

»Nenne mich Emir! Du weißt von damals her recht gut, daß ich so genannt werde! Wenn ich mich nicht irre, so bist du der Steuermann der Dahabijeh es Semek, welche ich damals konfiszierte?«

»Ich bin es.«

»Ich nahm euch alle gefangen. Du aber entkamst mir wieder. Willkommen heute und hier! Ich freue mich, das damals Versäumte nachholen zu können. Bindet den Kerl, und schließt ihn in die Gefängniskoje.«

»Nein, nein, Emir, nicht binden!« rief der Alte. »Ich bin ja nicht dein Feind; ich bin freiwillig gekommen!«

»Freiwillig? Und doch hat euch meine Wache mit Schießen drohen müssen? Das ist eine Lüge. Wo ist dein Schiff, die Eidechse?«

»Im Maijeh es Saratin.«

»Den kenne ich nicht. Was macht sie dort?«

»Sie hat sich dort vor dir versteckt.«

»Also hat sie ein böses Gewissen! Was wollte sie an der Dschesireh Hassanieh?«

»Dich fangen.«

»Mich – – fangen – –?« rief er aus. »Beim Scheitan, du bist aufrichtig, im höchsten Grade aufrichtig! Wer ist der Reïs dieser Eidechse, die mich fangen will?«

»Sie hat keinen Reïs, denn ihr Herr, Ibn Asl, kommandiert sie selber.«

Dieser Name, so kurz er war, brachte eine bedeutende Wirkung hervor.

»Ibn Asl, Ibn Asl!« klang es laut von allen Lippen, und auch der Reïs Effendina gab seinem Erstaunen Ausdruck.

»Höre ich recht? Ibn Asl sagst du? Der berüchtigte Sklavenräuber befindet sich also auf der Eidechse? So geht mir jetzt ein Licht auf. Dieser Hundesohn hat mir eine Falle legen wollen. Ist es so? Gestehe es augenblicklich!«

»Ja, Emir, du hast es erraten. Du solltest samt deinem Schiffe mit Petroleum verbrannt werden.«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig! Er gab mir den Gedanken des Mißtrauens ein. Wie gut, wie gut, daß ich den Landweg einschlugt Darum also die Fässer! Ich werde augenblicklich aufbrechen, und du sollst mich nach dem Maijeh es Saratin führen! Mich verbrennen, mich und mein Schiff, also alle meine Leute! Als Vorgeschmack dessen, was dich erwartet, werde ich dir jetzt einstweilen die Bastonnade geben lassen. Binde ihm die Füße zusammen, Aziz, und gieb ihm zwanzig Hiebe auf die Sohle!«

Aziz war sein Liebling, der junge Mann, welcher stets die Nilpferdpeitsche bei sich trug, immer bereit, die von seinem Herrn befohlenen Exekutionen zu vollführen. Abu en Nil kannte ihn von damals her nur zu gut. Er hob erschrocken beide Hände auf und schrie: »Nicht die Bastonnade, nicht schlagen, Emir; ich bin ja ganz und gar unschuldig!«

Jetzt eilte Ben Nil, sein Enkel, die Strickleiter hinauf, zu dem Emir hin und sagte: »Du darfst ihn nicht schlagen lassen! Er ist mein Großvater und hat dir keine Lüge gesagt.«

»Was, du hier, Ben Nil? Wie kommst du hierher und in die Gesellschaft eines Steuermannes der Sklavenjäger?«

»Das ist er nie gewesen. Einen Sklavenhändler hat er auf kurze Zeit gesteuert, aber keinen Sklavenjäger. Mein Effendi wird dir ganz dasselbe sagen.«

»WO ist er denn, dein Effendi?«

»Kommt schon!« antwortete ich, indem ich über die Schanzbekleidung sprang. »Hier ist er.«

Ein allgemeiner Ruf freudiger Überraschung ließ sich hören. Der Emir trat einen Schritt zurück, starrte mich für einen Augenblick wie betroffen an, öffnete dann die Arme und kam mit den Worten auf mich zu: »Effendi, du hier, du? Welch eine Freude! Eingetroffen aus dem Lande der Fessarah! Komm an mein Herz; laß dich umarmen!«

Seine Freude war eine ebenso große wie aufrichtige; sie ehrte mich, weil sie mich beglückte. Sein Oberlieutenant und Lieutenant, der alte Onbaschi und viele der andern kamen herbei, um mir die Hände zu drücken. Einer hatte bisher von fern gestanden; jetzt drängte er seine lange, dürre Gestalt mit den unendlichen Gliedern durch die Menge und jauchzte mir schon von weitem zu:

»Effendi, o Effendi, meine Seele ist ganz Wonne, und mein Herz springt vor Freude, daß mein Auge dich jetzt wieder sehen darf! Du hast mir gefehlt, wie ein geliebtes Weib ihrem Manne. Ohne dich ist mir das Leben dunkel gewesen wie eine zugedeckte Feueresse, in welche man von unten blickt und wie ein Stiefel, den man am falschen Fuße trägt. Kein Mensch hat sich um mich gekümmert; keiner hat auf meine Worte geachtet. Meine Tapferkeit ist dahingestorben und mein Heldenmut ist eingetrocknet wie ein Teerfleck auf dem Ärmel meines Gewandes. Nun aber kommt neue Wonne über mich, und meine Vorzüge und Geschicklichkeiten werden wieder wachsen und in allen herrlichen Farben spielen wie die Blase der Seife, welche unter dem sanften Hauche des Mundes sich vergrößert.«

»Und dann zerplatzt!« fügte ich hinzu, indem ich ihm die Hand reichte und einen Schritt zurücktrat, denn er hatte eigentlich in höchst vertraulicher Weise seine ewig langen Arme um mich schlingen wollen. Ich glaube, sie hätten ausgereicht, sie mir nicht nur einmal, sondern zweimal um den Leib zu wickeln. »Wenn niemand auf dich geachtet hat, so bist jedenfalls nur du selbst schuld daran.«

Dieser lange Mensch war natürlich kein anderer als Selim, mein zweiter Diener, den ich bei dem Reïs Effendina gelassen und nicht mit zu den Fessarah genommen hatte, weil er alles verkehrt zu machen und mich aus einer Fatalität in die andere zu bringen pflegte. Er antwortete auf meine letzten Worte:

»Effendi, da verkennst du mich, wie so oft. Ich habe redlich teil an allen ihren Sorgen und Leiden genommen, bin ihnen in allem als leuchtendes Beispiel vorangegangen und habe ihnen ein Muster gegeben, welches sie freilich während ihres ganzen Lebens nicht erreichen können.«

»Im Essen, ja!« rief einer. »Sonst aber hat er weiter nichts gemacht. Essen, trinken, rauchen, schlafen und prahlen!«

»Schweig!« donnerte ihn der Lange an. »Dein Mund ist eine Quelle, aus welcher ungenießbares Wasser fließt. Effendi, du hättest mich zum Beispiele nur gestern sehen sollen, als wir nach der Dschesireh Hassanieh zogen, um die Sklavenjäger zu fangen! Meine Gestalt ragte über alle empor, und in meinem Herzen brannte die Glut einer Kampfbegierde, welcher kein Mensch widerstehen konnte. Als das die Sklavenjäger sahen, liefen sie auf und davon; wir trafen sie nicht mehr an, und ihr Schiff war fort. Das hat der Emir ganz allein meiner siegreichen Anwesenheit zu verdanken.«

»Fange nicht gleich jetzt beim ersten Zusammentreffen an, schon wieder aufzuschneiden!« warnte ich ihn. »Wir haben andere Dinge zu hören, als das oft gehörte Lob eines Ruhmes, den du gar nicht besitzest.«

»Das ist wahr,« stimmte der Emir bei. »Es müssen wichtige Dinge geschehen sein, daß du nach Hegasi anstatt nach Chartum kommst. Warum finde ich dich in der Gesellschaft eines Steuermannes der Sklavenhändler? Und wo hat du deine Asaker?«

»Sie sind noch zurück und werden dir eine Schar Sklavenjäger von Ibn Asl bringen, die ich gefangen habe.«

»Schon wieder hast du welche ergriffen? Und von In Asl? Effendi, was bist du für ein glücklicher Mann! Ich habe seit dem Wadi el Berd nichts, gar nichts gefangen.«

»So freue dich, denn morgen wirst du, wenn mich nicht alles täuscht, Ibn Asl selbst in deine Hand bekommen.«

»Wirklich, wirklich? Wo befindet er sich?«

»Im Maijeh es Saratin, wie dir dieser Abu en Nil vorhin gesagt hat.«

»Wo liegt der Maijeh?«

»Oberhalb des Dorfes Qaua.«

»Da oben warst du? Wie ist das zu begreifen?«

»O, ich war gestern auch, bevor du kamst, in Hegasi und in der Dschesireh Hassanieh. Ibn Asl hatte mich gefangen genommen.«

»Gefang – –« das Wort blieb ihm im Munde stecken. »Effendi, scherzest du?«

»Nein.«

»Ich vermute dich in der westlichen Steppe, und du bist doch hier und schlägst dich mit Ibn Asl herum, den anzutreffen ich mir alle vergebliche Mühe gegeben habe!«

»Die Sache ist sehr einfach. Ich werde dir erzählen. Gebiete aber deinen Leuten, ruhig zu sein! Es ist für unsere Zwecke besser, wenn hier in Hegasi niemand erfährt, was hier geschieht und was wir beschließen werden, weil Ibn Asl hier Spione hat. Der hiesige Scheik el Beled zum Beispiel ist sein Verbündeter.«

»Kannst du das beweisen?«

»Ja. Er wußte es, daß Ibn Asl dir hier einen Hinterhalt legte; er ist ihm dabei sogar behilflich gewesen, denn er hat einem Sklavenjäger, welcher dir aufpassen sollte, ein Pferd zur Verfügung gestellt, damit deine Ankunft auf das schleunigste gemeldet werden könnte.«

»Das alles weißt du! Ich sterbe vor Begierde, deine Erzählung zu hören. Komme mit in die Kajüte. Diesen alten Steuermann der Sklavenhändler aber wollen wir binden und in das Gefängnis stecken.«

»Nein, Emir! Er ist ein guter und ehrlicher Mann, den ich deinem Wohlwollen empfehle. Ich werde dir auch das erklären. Laß ihn bei Ben Nil, seinem Enkel, und befiehl, daß man beiden zu essen und zu trinken gebe. Wir haben seit gestern nichts genossen.«

»So hast auch du Hunger? Komm, du sollst haben, was dein Herz begehrt!«

Als ich noch dafür gesorgt hatte, daß alle Lichter außer der Mastlaterne ausgelöscht wurden, gingen wir in seine prächtig eingerichtete Kajüte. Aziz, sein Liebling, bediente uns dort. Es wurde aufgetragen, was die Vorräte zu bieten vermochten. Auch einige Flaschen Wein waren dabei, denn der Emir hatte sich von dem Verbote des Rebensaftes emanzipiert. Während des Essens erzählte ich, und es läßt sich denken, daß der Emir Effendina mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zuhörte. Er konnte nicht sitzen bleiben, lief erregt hin und her und unterbrach meinen Bericht oft durch die kräftigsten Ausrufeworte. Ich hatte keine Zeit, so ausführlich zu sein, wie ich es eigentlich gern gewesen wäre. Meine Erzählung hatte nicht mehr als fünf Minuten in Anspruch genommen. Als ich geendet hatte, wollte er ausführlichere Details erfahren; ich aber sagte:

»Nicht jetzt. Die Zeit ist kostbar. Wir, du, ich und Ben Nil, müssen fort, noch ehe es Tag geworden ist.«

»Wohin?«

»Wir steigen in das Boot, auf welchem ich gekommen bin, und fahren eine Strecke den Fluß hinauf. Da werde ich dir alles sagen. Ich habe einen Plan, zu dessen Ausführung es gehört, daß du sofort mit mir gehst. Eigentlich sollten wir niemand mitnehmen; aber da ich und Ben Nil zu ermüdet sind und ich auch von dir nicht verlangen kann, zu rudern, so mögen uns zwei deiner Matrosen begleiten.«

»Nun gut! Du bist außerordentlich geheimnisvoll; da ich aber weiß, daß du nichts ohne gute Gründe thust, so will ich mit dir gehen. Wärst du es nicht, der mich dazu auffordert, so würde ich es nicht thun, sondern glauben, daß man mich auf diese Weise Ibn Asl in die Hände spielen wollte.«

»Vertausche deine glänzende Uniform, wenigstens den Waffenrock, mit einem einfacheren Kleidungsstück. Je weniger man dich bei deiner Rückkehr bemerkt, desto leichter wird unser Plan gelingen.«

Er zog den Rock aus und an dessen Stelle einen dunkeln Burnus an; ich steckte für mich und Ben Nil einige Mundvorräte ein, welche ich vom Tische nahm. Dann brachen wir auf.

Im Osten zeigte sich das erste, fahle Morgenlicht, als wir mit unserm Boote von dem »Falken« abstießen. Zwei Matrosen ruderten. Ich saß neben Ben Nil, der Emir uns gegenüber. Es war leicht erklärlich, daß er sich in einer außerordentlichen Spannung befand. Ich ließ ihn nicht lange warten, sondern lieferte ihm, während wir am linken Nilufer langsam aufwärts glitten, den gewünschten ausführlichen Bericht. Jetzt konnte ich ohne Schaden für meinen Plan alle seine Fragen beantworten, und deren waren so viele und eingehende, daß, als er sich endlich befriedigt fühlte, wir an die Stelle gekommen waren, an welcher die »Eidechse« gehalten hatte. Dort legten wir an, stiegen aus und setzten uns unter einem Baume nieder. Den beiden Matrosen befahl ich, nun zu Lande nach Hegasi zurückzukehren und sich dabei möglichst wenig sehen zu lassen. Sei gingen; der Reïs Effendina aber fragte erstaunt:

»Du wirst immer rätselhafter. Kehren wir denn nicht im Boote zurück?«

»Ich und Ben Nil, ja, du aber nicht.«

»Warum? Soll auch ich laufen?«

»Ja. Den Grund will ich dir nachher mitteilen. Jetzt aber möchte ich zunächst von dir hören, welchen Gedanken du über diese Ereignisse hegst.«

»Zunächst bin ich ganz und gar Erstaunen. Effendi, du bist wirklich ein Mann – –«

»Still davon!« unterbrach ich ihn. »Was du von mir denkst, das ist jetzt Nebensache.«

»Aber wir alle haben dir unser Leben zu verdanken, und da kannst du doch nicht verlangen, daß – –«

»Daß du jetzt wenigstens einstweilen darüber schweigst? ja, das verlange ich allerdings. Die Zeit ist so kostbar, daß wir uns nur mit dem Notwendigsten beschäftigen dürfen. Natürlich hast du die Absicht und auch die Hoffnung, Ibn Asl diesmal ganz gewiß zu ergreifen?«

»Natürlich! Ich schwöre bei Allah, daß ich ihn heute oder morgen – –«

»Schwöre nicht! Der Mensch ist nicht Herr der Ereignisse. Ein kleiner Fehler, ein unbedeutender Zufall kann alles verderben. Auf welche Weise denkst du ihn zu fassen?«

»Auf die allereinfachste: Wir segeln nach dem Maijeh es Saratin und greifen ihn dort an.«

»Er ist gar nicht mehr dort. Ich bin überzeugt, daß er kurz nach unserer Flucht den Maijeh verlassen hat, und zwar aus zwei verschiedenen Gründen. Erstens fühlt er sich dort nicht mehr sicher, weil ich nun dieses Versteck kenne, und zweitens muß er sich beeilen, seinen Vater und seine Untergebenen zu befreien. Er ist hinter uns her nilabwärts gesegelt.«

»So brauchen wir ihm ja nur entgegen zu gehen, um – –«

»Um ihn nicht zu sehen und zu treffen,« fiel ich ein.

»Wir durchsuchen jeden Winkel des Ufers!«

»Ja, und während wir dies thun, marschiert er mit seinen Leuten schon durch die Steppe und unsern Asakern entgegen!«

»So schnell bringt er das nicht fertig!«

»Warum nicht? Er weiß, daß du ihn suchst und daß ich dir jedenfalls entgegen bin, um dich nach dem Maijeh zu bringen. Er hat die Nacht benutzt, diesen Ort zu verlassen und möglichst weit stromabwärts zu kommen. Dort legt er an irgend einer ihm bekannten, sonst aber versteckten Stelle an, läßt einige Mann zur Bewachung des Fahrzeuges zurück und marschiert mit den andern unsern Asakern entgegen.«

»Das leuchtet mir freilich ein. Ich muß mit meinen Leuten schnell aufbrechen, um die Karawane zu beschützen. Du begleitest uns natürlich.«

»Ich bleibe nicht, sondern ich reite der Karawane mit Ben Nil entgegen, während du Ibn Asl einen Hinterhalt legst.«

»Warum wollen wir ihr denn nicht gleich zusammen entgegen gehen?«

»Weil wir in diesem Fall Ihn Asl nicht bekommen würden. Er befindet sich mit seinen Leuten oberhalb von uns; wir haben also einen Vorsprung; er kommt hintendrein und findet unsere Spur, wird dadurch aufmerksam gemacht und – bleibt zurück.«

»Aber wenn er seinen Vater retten will, muß er uns doch folgen und uns angreifen!«

»Fällt ihm nicht ein! Seine eigene Sicherheit ist ihm wertvoller als das Leben seines Vaters und als dasjenige aller seiner Leute. Das habe ich erfahren und dir erzählt. Ja, vielleicht ließe er uns durch seine Sklavenjäger angreifen, aber daß er selbst uns nicht in die Hände fallen könne, dafür würde er gewiß Sorge tragen. Oder, was noch viel wahrscheinlicher ist, würde er sich auf irgend eine List verlegen, die uns allen sehr gefährlich werden dürfte, da wir von derselben keine Ahnung haben können.«

»Also sollen nicht wir voranziehen? Soll ich etwa ihn voran lassen? Dann überfällt er unsere Karawane und ich komme zu spät.«

»Für die Karawane wäre in diesem Falle wenig oder nichts zu befürchten, da ich ja bei derselben sein würde. Er könnte sie also nicht, wie er die Absicht hat, überrumpeln. Aber ich beabsichtige etwas ganz anderes. Ich habe schon sehr oft durch List sehr leicht und sehr vollständig erreicht, was mir bei Anwendung aller Gewalt nicht gelungen wäre. Du selbst hast Beispiele davon erlebt. Mit einer solchen List werde ich, wenn du es erlaubst, Ibn Asl zu fassen suchen, und wenn dabei kein Fehler unterläuft, so bin ich des Gelingens vollkommen sicher.«

»Was willst du thun?«

»Ihm ein Fußeisen legen, in welchem er sich fangen wird. Es erleichtert den Sieg ganz bedeutend, wenn man den Kampfplatz genau kennt. Versteht es ein Feldherr, den Feind nach dem Platze zu locken, wo schon alles zum Empfange des Gegners vorbereitet ist, so ist ihm der Sieg selbst bei ungleichen Kräften beinahe sicher. Ziehst du hinaus in die offene Steppe, so weißt du nicht, wo du Ibn Asl treffen wirst und unter welchen Umständen der Kampf erfolgen wird. Um das zu vermeiden, wollen wir einen Ort bestimmen, an welchem wir auf ihn warten werden.«

»Aber ob er kommen wird!«

»Er kommt. Dafür laß nur mich sorgen.«

»Hast du einen bestimmten Ort im Sinne?«

»Ja, einen sehr passenden. Er muß natürlich so nahe wie möglich derjenigen Richtung liegen, aus welcher unsere Karawane kommen wird und in welche also Ibn Asl zu ziehen hat. Der Dschebel Arasch Qol ist der geeignetste Ort für meinen Plan. Warst du oft dort?«

»Fünfmal. Ich habe damals die ganze Umgebung durchstrichen.«

»Das ist mir lieb, denn dann brauche ich dich wahrscheinlich nicht heimlich hinzubegleiten, um dir die Örtlichkeiten, welche ich im Auge habe, zu zeigen. Es giebt zwei Maijehs dort, zwei Sümpfe, welche durch einen Wasserarm mit dem Nile in Verbindung stehen. Der nördlichere ist größer und weit länger als der südliche. Kennst du sie?«

»Ja. Der große Maijeh wird Maijeh el Humma genannt; den Namen des kleineren kenne ich nicht.«

»Diesen Sumpf des Fiebers meine ich. Er zieht sich lang und schmal hart am Fuße des Berges hin. Man muß über vier Stunden gehen, um von einem Ende an das andere zu gelangen. Ungefähr in der Mitte seiner Länge tritt ein Busen vor, weit in den Berg hinein. Er ist sehr tief, mit trügerischem Omm Sufah bedeckt und an seinem Rande mit hohen, dicht belaubten Gafulbäumen bewachsen, welche mir außerordentlich in die Augen fielen, weil keine Art des Gaful sonst eine solche Höhe zu erreichen pflegt.«

»Ich kenne sie. Ihr außerordentlich lieblicher Duft erfüllt die ganze Gegend und macht den Gestank des Sumpfes weniger empfindlich. Ein Fußgänger kann da wohl bequem vorüberkommen; ein Kamelreiter aber muß sich sehr in acht nehmen. Der Felsen ist tief eingebuchtet und steigt fast senkrecht himmelan. Diese Bucht ist von dem Busen des Maijeh angefüllt; zwischen dem Wasser und dem Felsen gibt es einen nur sehr schmalen Streifen Weges, auf welchem große Steinstücke zerstreut liegen, die von oben herabgefallen sind und besonders den Kamelen das Gehen erschweren. Dieser Weg rund um den Busen des Maijeh hat schon vielen Menschen Unheil gebracht und wird darum Darb el Musibi genannt.«

»Ganz richtig. Und er soll für Ibn Asl so ein richtiger, echter Unglücksweg werden.«

»Wie willst du den Mann dorthin locken?«

»Daß ich ihn sicher hinlocken werde, weiß ich ganz genau; die Art kenne ich selbst noch nicht; der Augenblick wird sie ergeben. Der Unglücksweg liegt am westlichen Ufer; kennst du auch das östliche Ufer des Maijeh?«

»Ebenso genau.«

»So kennst du wohl den dichten Hegelikwald, welcher am südlichen Ende desselben steht?«

»Ja. Dieser Wald ist beinahe undurchdringlich, da der Raum zwischen den Stämmen der Bäume fast ganz mit Nabak-Büschen ausgefüllt ist.«

»Er soll euch zum Verstecke dienen.«

»Uns? Sollen wir etwa Ibn Asl dort erwarten?«

»Ja. Jetzt kommt die Hauptsache für dich, Emir. Merke sie dir wohl! Du fährst, wenn du nach Hegasi zurückkommst, sogleich von dort ab, suchst aber vorher den Scheik el Beled zu sprechen.«

»Diesen Hund, diesen Verräter, den ich streng bestrafen werde!«

»Das wirst du später thun. Heute aber wirst du noch sehr freundlich mit ihm sein und dir den Anschein geben, als ob er dein vollstes Vertrauen besitze. Du sagst ihm, daß du hier an der Hassanieh Sklavenhändler gesucht aber nicht gefunden habest, du seist jedenfalls von Ibn Asl irre geführt worden; dieser befindet sich sehr wahrscheinlich in Chartum, und du kehrest schnell dorthin zurück, um nach ihm zu forschen und ihn zu bestrafen.«

»Warum soll ich dies gerade dem Scheik el Beled sagen?«

»Weil er in meinem Plane eine bedeutende Rolle spielt. Er soll Ibn Asl das Fußeisen legen, ohne selbst eine Ahnung davon zu haben. Er ist sein Verbündeter, und Ibn Asl kommt jetzt ganz gewiß entweder selbst, natürlich heimlich, zu ihm oder schickt ihm einen Boten, um sich zu erkundigen, wo du bist oder wie die Verhältnisse stehen. Der Scheik sagt ihm oder läßt ihm sagen, daß du zurück nach Chartum bist, und so wird Ibn Asl sich vor dir ganz sicher fühlen.«

»Auch vor dir?«

»Ja, denn auch ich werde mit dem Scheik sprechen. Du kehrst jetzt zu Fuß nach Hegasi zurück und lässest dich unterwegs wo möglich von niemand sehen. Damit man dich nicht von weitem erkenne, bat ich dich, deinen Waffenrock umzutauschen. Wenn du von dort fort bist, komme ich mit Ben Nil angesegelt –«

»Wie willst du wissen, daß ich fort bin?«

»Das laß meine Sorge sein! Ich werde schon Ausguck halten. Also dann komme ich mit Ben Nil angesegelt und suche den Scheik el Beled auf. Ich thue so, als ob ich soeben erst vom Maijeh komme, und erzähle ihm, was da oben und vorher an der Dschesireh Hassanieh geschehen ist.«

»Sagst du ihm da, wer du wirklich bist?«

»Natürlich! Er wird es ja doch dann von Ibn Asl erfahren. Hätte ich ihn in Beziehung auf meinen Namen belogen, so würde er auch das, was ich ihm außerdem sage, nicht glauben, und mein Plan käme in Gefahr, zu verunglücken. Ich werde ihm das größte Vertrauen zeigen. Als Scheik el Beled ist er eine obrigkeitliche Person, deren Hilfe ich scheinbar in Anspruch nehmen werde. ich übergebe ihm das Boot zur Aufbewahrung und sage ihm, daß du es später abholen werdest.«

»Du kommst nur mit Ben Nil nach Hegasi; er aber wird erfahren, daß Abu en Nil auch dabei gewesen ist. Wie willst du das Fehlen dieses letzteren erklären?«

»O, der ist, als er während unserer Flucht in das Boot klettern wollte, in das Wasser gefallen und, falls Ibn Asl ihn nicht wieder erwischt hat, von den Krokodilen gefressen worden.«

»Warum lässest du ihn bei mir? Du könntest ihn doch mitnehmen?«

»Nein; es fehlt mir an einem Reittiere. Du weißt ja, daß ich nur zwei Kamele in Hegasi stehen habe.«

»Wohin sagst du, daß du reiten wolltest?«

»Meiner Karawane wieder entgegen. Ich habe dieselbe verlassen, um dich zu warnen. Jetzt höre ich, daß du gerettet bist, und kann sie also wieder aufsuchen. Das ist ein Coup, welcher sicher von Erfolg sein wird. Ibn Asl wird unendlich ergrimmt darüber sein, daß ich ihm entkommen bin; er zieht unserer Karawane entgegen, um unsere Gefangenen zu befreien; wenn er nun hört, daß ich wieder bei derselben bin, wird er darüber ganz entzückt sein, denn dies giebt ihm die Hoffnung, mich abermals ergreifen zu können. Er wird dann also erst recht entschlossen sein, uns anzugreifen, und uns mit doppelter Sicherheit in die Falle gehen."

»Du weißt aber noch nicht, wie du es anfangen wirst, ihn in die Falle zu locken.«

»Bis soeben wußte ich es noch nicht; nun aber ist mir ein Gedanke gekommen. Ich mache dem Scheik el Beled eine Bemerkung, auf welche hin Ibn Asl den Dschebel Arasch Qol ganz gewiß aufsuchen wird. Ich erzähle im folgendes: Ich habe das Leben meiner Gefangenen geschont, obgleich diese Halunken den Tod schon mehrfach verdient haben. Nach dem aber, was jetzt geschehen ist, kann ich nicht länger Milde walten lassen. Solches Ungeziefer muß ohne Erbarmen ausgerottet werden. Man hat mich zu Tode martern wollen; nun wohl, jeder Untergebene von Ibn Asl, der in meine Hände fällt, muß sterben, vor allen Dingen zunächst die Gefangenen, denen ich entgegen reite. Ich werde sie nach dem Dschebel Arasch Qol führen, um sie dort in den Maijeh el Humma werfen zu lassen. Wenn In Asl dies hört, wird er sich sofort dorthin wenden, um auf uns zu warten und sie zu retten. Meinst du nicht auch?«

»Ja, gewiß! Ich denke, daß diese Berechnung dich nicht trügen wird. Aber wie willst du ihn verleiten, dort eine Stellung einzunehmen, welche uns den Sieg sichert?«

»Das wird der Augenblick ergeben. Er ist eher dort als ich und wird die Örtlichkeit, falls er sie noch nicht kennen sollte, sehr sorgfältig in Augenschein nehmen. Hat er nur einigermaßen offene Augen, so wird er auf den Gedanken kommen, mir ganz dieselbe Falle zu stellen, in welcher ich ihn fangen will, das heißt, mich von hinten und von vorn anzugreifen, während ich mich auf dem engen Pfade zwischen dem Felsen und dem Wasser befinde. Glückt ihm dies, so bin ich seiner Ansicht nach verloren.«

»Und wirst du in diese Falle gehen?«

»Vielleicht ja, natürlich aber nur, um ihn mit hinein zu ziehen und drin zu verderben. Du fährst von Hegasi ab, hältst in gleicher Breite mit dem Dschebel Arasch Qol an, versteckst dein Schiff und lässest es unter der Bewachung nur weniger Leute zurück. Mit den übrigen Matrosen und Asakern marschierst du nach dem Maijeh el Humma, um dich am Südende desselben in dem erwähnten Hegelikwalde zu verstecken. Dort erwartest du, natürlich ohne dich sehen zu lassen, Ibn Asls Ankunft und auch die meinige. Es ist möglich, daß ich, bevor der Schlag ausgeführt wird, dich dort aufsuche, um dir noch nähere Mitteilungen zu machen. Sollte dies aber nicht der Fall sein, sollte ich nicht kommen, so ist das, was du zu thun hast, außerordentlich einfach. So bald du schießen hörst, kannst du annehmen, daß ich, von Norden kommend, mich ' auf dem engen Kampfplatze befinde und von Süden her von Ibn Asl angegriffen werde; natürlich befindet sich dieser mit seinen Leuten auf demselben engen Raume. Du brichst schnell aus dem Walde hervor, um ihm in den Rücken zu kommen. Gelingt das, so steckt er zwischen dir und mir fest, kann nicht ausweichen und muß entweder sich ergeben oder sich in den Maijeh drängen lassen, wo er unter der trügerischen Omm Sufah-Decke ein unerbittliches Grab finden wird.«

»Effendi, dieser Plan ist gut, ist ausgezeichnet! Dennoch aber habe ich ein sehr großes Bedenken; du hast nur zwanzig Mann bei dir!«

»Brauche ich mehr Leute, so hole ich sie mir von dir.«

»Wenn du Zeit dazu findest!«

»Mag sein! Dieses Bedenken ist allerdings nicht ganz unbegründet.«

»Das zweite auch! Ihr habt die Gefangenen zu bewachen. Wie viele Männer bleiben dir da zum Kampfe übrig? Und es ist sehr wahrscheinlich, daß Ibn Asl dich nicht nur von Süden her angreift, sondern dir im Norden der verhängnisvollen Stelle einen Hinterhalt legt. Du willst ihn zwischen zwei Feuern haben; er wird betreffs deiner ganz dasselbe beabsichtigen.«

»Davon bin ich schon, bevor du mir dies mitteiltest, überzeugt gewesen. Einen Hinterhalt wird er mir natürlich legen, zumal er mehr als ausreichend Zeit dazu hat; aber da ich dies weiß, liegt in diesem Umstande gar keine Gefahr für mich. Weiß man, daß an einer gewissen Stelle eine Mine liegt, so geht man entweder nicht hin oder sorgt dafür, daß sie vorzeitig zur Explosion gelangt. Dann kann sie keinen Schaden machen. Da ich aber allerdings viel weniger Leute als du bei mir habe und von diesen die Gefangenen zu bewachen sind, so kannst du mir ja zwanzig Mann zu Hilfe senden.«

»Und wohin schicke ich sie, damit sie dich auch sicher treffen?«

»Die Leute dürfen vom Feinde nicht gesehen, müssen aber von mir leicht gefunden werden können. Mit ist eine Stelle bekannt, welche sich außerordentlich gut für unsern Zweck eignen würde. Ich habe einst an derselben gelagert. Das war an der Nordseite des Dschebel Arasch Qol. Es führt ein sehr schmales, trockenes Regenbett in den Berg hinein. Ist man fünf Minuten lang aufwärts gegangen, so erweitert sich dieses Bett zu einem kleinen Kessel, welcher mit dichten Büschen angefüllt ist.«

»Das ist ein Kittr-Gesträuch.«

»Ah, du kennst den Ort?«

»Ja. Ich bin einmal diesem Regenbette gefolgt, weil ich nach Trinkwasser suchte.«

»Es giebt keines dort, da der Regen sofort ab- und in den Maijeh fließt. Was von dem Wasser in dem Kessel zurückbleibt, wird schnell faulig und ungenießbar und dient nur zur Erhaltung der Kittrsträucher. Es ist mir sehr lieb, daß du das Regenbett kennst, da auf diese Weise ein Versehen ausgeschlossen ist. Sende mir die zwanzig Mann dorthin!«

»Wann sollen sie dort sein?«

»Es ist nicht gut, wenn sie sehr lange vor meiner Ankunft dort eintreffen. In diesem Falle könnten sie von Ibn Asl leicht entdeckt werden. Stimmt meine Berechnung, so stoße ich schon heute auf unsere Karawane – –

»Das ist unmöglich, denn sie hat fünf Tagereisen zu machen, und heute ist erst der dritte Tag.«

»Bedenke, daß dieser Oram entflohen ist, welcher gestern abend Ibn Asl das Geschehene meldete. Unsere Asaker müssen sich sagen, daß er jedenfalls. zu Ibn Asl ist; infolgedessen werden sie sich beeilen und wohl nur vier Tage brauchen, anstatt fünf. Heute abend sind sie also eine Tagereise weit von hier, und da ich bis dahin wenigstens auch einen vollen Tagesritt zurücklege, werde ich sie sehr wahrscheinlich in dieser Entfernung von hier und um diese Zeit treffen. Morgen früh brechen wir dann nach dem Dschebel Arasch Qol auf, doch reite ich nicht ganz bis zu ihm, sondern mache Nachtlager, ehe wir ihn erreichen. Ich will den Überfall natürlich nicht des Nachts haben, sondern ihn für übermorgen früh aufsparen. Vielleicht suche ich dich während der Nacht auf. Jedenfalls aber kannst du, wenn ich bis eine Stunde nach Mitternacht nicht bei dir bin, die zwanzig Mann absenden. Sie können um den Maijeh marschieren und sich in dem Kessel des Regenbettes verstecken, wo ich sie dann treffen werde. Ich lasse, wenn ich ankomme, dreimal das tiefe Gelächter einer Hyäne hören. Dies wiederhole ich, indem ich am Waldesrande hinschreite. Der Posten, welcher dies zuerst hört, kann zu mir kommen, um mich zu dir zu führen. jetzt bin ich mit meiner Unterweisung zu Ende.«

»So will ich jetzt nach Hegasi aufbrechen. Vorher aber, Effendi, muß ich dir danken für das, was – –«

»Jetzt nichts davon, Emir! Willst du mir über deine Rettung je eine lange Rede halten, so habe ich nichts dawider, aber ich bitte dich, dies später zu thun. Jetzt haben wir keine Zeit dazu.«

»Nun wohl, ich gehe, doch wird die Rede, von welcher du sprichst, dir keinesfalls erspart bleiben. Ich will hoffen, daß unser nächstes Wiedersehen ein fröhliches und siegreiches sein möge!«

Er gab mir und Ben Nil die Hand und ging. Wir warteten, bis wir annehmen konnten, daß er in Hegasi angekommen sei; dann stiegen wir in das Boot und ruderten uns zum gegenüberliegenden Ufer. Dort wurde das Boot im Schilfe versteckt, und wir gingen soweit abwärts, bis wir Hegasi drüben liegen sahen.

Wir hielten uns so, daß wir von dort aus nicht gesehen werden konnten. Der »Falke« lag noch an der Mischrah; aber als wir ungefähr eine halbe Stunde gewartet hatten, wurden die Segel aufgezogen, er steuerte hinaus auf die Höhe des Flusses und richtete den Bug nach Norden. Wir kehrten nach unserem Boote zurück, warteten noch eine Viertelstunde und ruderten uns dann nach der Mitte des Niles. Dort richteten wir den Mast auf und öffneten das Segel. Der Wind war nicht günstig; wir lavierten also langsam auf Hegasi zu.

Ben Nil war Zeuge unsers Gespräches gewesen, und so waren für ihn, da er alles gehört hatte, nicht noch erst besondere Verhaltungsmaßregeln nötig. Er brannte, ganz ebenso wie ich, vor Verlangen, die Scharte, welche man uns gestern geschlagen hatte, auszuwetzen. Die Hauptsache war jetzt, daß wir den Scheik el Beled daheim trafen. In dieser Beziehung konnten wir es nicht besser treffen, denn als wir uns der Mischrah näherten, sahen wir ihn unten am Wasser stehen und neugierig nach uns ausschauen. Wir ließen das Segel fallen, brachten uns mit einigen Ruderschlägen an das Ufer, stiegen aus und befestigten das Boot. Er kam sogleich auf uns zu und sagte im freundlichsten Tone:

»Sallam aaleikum! Wie kommt es, daß ihr zurückkehrt? Ich glaubte, ihr wolltet mit der ›Eidechse‹ nach Faschodah fahren. Eure Kamele konntet ihr ja später bei der Rückkehr mitnehmen.«

»Ich danke! Nach Faschodah hat man von hier aus fast zehn Tage zu fahren. Eine so lange Abwesenheit konnten wir nicht beabsichtigen. Beinahe aber wären wir zu einer solchen, ja zu einer noch viel längeren gezwungen worden.«

»Wieso?«

Er gab sich Mühe, ein möglichst unbefangenes Gesicht zu zeigen, konnte aber die außerordentliche Spannung, in welcher er sich befand, nicht ganz beherrschen.

»Ich werde es dir sagen,« antwortete ich. »Aber komm mit uns ein wenig auf die Seite! Es ist sehr Wichtiges geschehen, was wir nur dir allein erzählen möchten.«

»Du erfüllst meine Seele mit Wißbegierde, Herr,« meinte er, indem er uns seitwärts folgte. »Was kann hier in diesem kleinen Hegasi so sehr Wichtiges geschehen!«

»Du wirst dich wundern, wenn du es hörst. Kanntest du den Mann, welchem du die Pferde borgtest?«

»Näher nicht. Er sagte, daß er zur &Eidechse< gehöre, weiche an der Dschesireh Hassanieh lag.«

»weiß du, was das für ein Schiff ist?«

»Ein Handelsschiff aus Berber, sagte mir der Mann.«

»Hast du ihn nicht gefragt, wie der Besitzer desselben heißt?«

»Warum sollte ich fragen? Was ging mich das Schiff an? Ich bin weder Kapitän noch Wächter eines Hafens. Warum sollte ich mein Gedächtnis mit den Namen aller hier vorüberkommenden Schiffe und ihrer Herren belästigen?«

»Du hat recht. Aber ich bedaure, daß du dies nicht thust, denn du hättest uns jedenfalls gewarnt und wir wären nicht in die Gefahr gekommen, unser Leben zu verlieren.«

»Euer Leben?« fragte er, indem er sich sehr erschrocken stellte. »Allah'l Allah! Habt ich euch in einer solchen Gefahr befunden?«

»Allerdings, denn wisse, daß diese ›Eidechse‹ das Schiff des größten Verbrechers und Sklavenräubers ist, den es nur geben kann. Kannst du dir denken, wen ich meine?«

»Ich weiß nicht, ob ich es zu erraten vermag. Für den schlimmsten aller Sklavenräuber halte ich Ibn Asl, den Allah verdammen möge; aber dieser kann es doch nicht wagen, sich hier sehen zu lassen!«

»Er hat es gewagt.«

»Wirklich, wirklich? Allah! Hätte ich das gewußt, so hätte ich alle Männer und Jünglinge von Hegasi aufgeboten, ihn zu ergreifen und dem Reïs Effendina auszuliefern.«

»Kennst du den Reh des Vizekönigs?«

»Natürlich kenne ich ihn. Es ist kaum eine Stunde her, daß ich mit ihm gesprochen habe.«

»So war er da?« fragte ich, indem ich mich überrascht stellte.

»Heute, hier! Gestern ist er an der Hassanieh gewesen.«

»Als wir schon fort waren! Allah sei Lob und Preis gesagt! So ist es mir also gelungen, ihn zu retten! Ich glaubte nicht, daß er so unvorsichtig sein werde, zu kommen. Man wollte ihn in das Verderben locken.«

»Herr, du erschreckst meine Adern und meine Gebeine! Das Blut will mir erstarren! Den Reïs Effendina, dem Allah tausend Gnaden erweisen möge, in das Verderben locken! Wer denn, wer?«

»Ibn Asl.«

»Ist's möglich? Die Zunge will mir den Dienst versagen! Erzähle doch, Herr, erzähle!«

»So will ich dich vorher fragen, ob du mich vielleicht kennst?«

»Nein. Ich habe dich noch nie gesehen und weiß auch nicht, wie du heißest.«

»Ich bin ein Effendi aus dem Lande der Christen und ein Freund des Reïs Effendina, welchen ich – –«

»Allah, Allah, Allah!« unterbrach er mich im Tone unbeherrschten Erstaunens oder vielmehr Erschreckens. »So bist du also der fremde Effendi, welcher schon so viele Sklaven befreit hat und – –«

Er hielt inne. Er erkannte, daß er zu weit gegangen sei und zu viel gesagt habe, denn er durfte doch eigentlich gar nichts von mir wissen. Ich that, als ob ich dies gar nicht bemerkte, und sagte:

»So hast du also schon von mir gehört? Das freut mich, denn nun brauche ich dir keine so lange Rede zu halten, wie es sonst wohl nötig gewesen wäre. Du weißt also, daß ich dem Emir ein wenig behilflich bin, seine Aufgabe zu erfüllen?«

»Ein wenig nur? Effendi, ich weiß, daß du erreicht hast, was der Emir nicht fertig gebracht hätte.«

»Nun, dann kannst du dir denken, daß Ibn Asl eine große Rache gegen mich hat.«

»Eine außerordentliche! Ich glaube, er haßt dich noch weit mehr, als den Reïs Effendina selbst.«

»Das ist wahr; ich habe es einige Male erfahren und gestern wieder. Ich muß es dir erzählen.«

Ich berichtete ihm von den früheren Ereignissen soviel, wie ich für nötig hielt, das gestrige Erlebnis aber auf das ausführlichste. Nur, daß ich den Emir getroffen hatte, das erwähnte ich natürlich nicht. Er spielte sich als den Ahnungslosen und also außerordentlich Erstaunten auf und rief, als ich geendet hatte, aus:

»O Allah, o Prophet der Propheten! Sollte man solche Dinge für möglich halten! Effendi, du bist ein Christ; aber Allah muß dir trotzdem unendlich gewogen sein, sonst wäre es dir nicht gelungen, den Händen dieser blutdürstigen Hyänen zu entschlüpfen! Aber wo ist denn dieser Abu en Nil? Du hast ihn nicht mit, und doch sagst du, daß er mit auf dem Deck gestanden habe.«

»Er ist beim Hinabklettern in den Nil gestürzt. Wir konnten uns nicht um ihn kümmern. Wenn die Schurken ihn nicht herausgefischt haben, so ist er von den Krokodilen gefressen worden.«

»Welch ein Unglück! Und ihr seid jetzt eben erst hier angekommen?«

»Ja. Wir wären früher da gewesen, wenn wir nicht die Zeit damit versäumt hätten, daß wir den Reïs Effendina suchten. Wir glaubten natürlich, daß er die ›Eidechse‹ verfolgen werde.«

»Verfolgen? Warum hätte er auf diesen Gedanken kommen können? Er hat die ›Eidechse‹ gar nicht im Verdachte gehabt. Er glaubt, daß er in Chartum von Ibn Asl geäfft worden ist. Dieser hat ihn durch eine falsche Nachricht von dort fortgelockt, höchst wahrscheinlich um Zeit und Raum zu einem guten Geschäft zu gewinnen.«

»Wer sagte dir das?«

»Der Emir selbst.«

»Wo ist er jetzt?«

»Nach Chartum zurück.«

»Das ist mir höchst unlieb. Er hätte das Boot hier, welches ich erbeutet habe, mitnehmen können. Was thue ich mit demselben?«

»Es fragt sich, was du überhaupt zu thun entschlossen bist. Wenn du nach Chartum willst, so kannst du das nächste Schiff, welches dorthin geht, besteigen und das Boot hinten anhängen.«

»Das geht nicht. Nach Chartum kann ich nicht. Du vergissest, daß meine Asaker mit den Gefangenen nach hier unterwegs sind. Ihnen will ich entgegen.«

»So kannst du das Boot hier lassen. Ich will es nach Chartum senden. Ich hoffe, daß du mich für den Mann hältst, dem du es anvertrauen kannst!«

»Was das betrifft, so habe ich keine Bedenken. Du bist die Obrigkeit, der Gebieter von Hegasi. Ich würde dir gern ein Vermögen von vielen Tausenden anvertrauen. Ich will es dir also übergeben. Aber du brauchst es nicht nach Chartum zu senden. Laß es liegen, bis der Reïs Effendina wiederkommt; da wird er es mitnehmen.«

»Kommt er bald wieder?«

»Das weiß ich nicht. Er hat nicht davon gesprochen. Er hätte wohl alle Ursache dazu. Er könnte Ibn Asl verfolgen, der jedenfalls nun unterwegs nach Faschodah und noch weiter hinauf ist. Der macht jedenfalls schleunigst, daß er uns aus den Augen kommt. Er wird wohl hinauf nach dem Bahr ed Dschebel oder dem Bahr es Seraf gehen, um Sklaven zu fangen. Es wäre zu langweilig und zu beschwerlich, ihm zu folgen; aber wenn er zurückkehrt, werden wir ihm auflauern, ihm die geraubten Sklaven abnehmen und die Schlußrechnung mit ihm halten. Dann soll es ihm genau so ergehen, wie es jetzt seinem Vater Abd Asl ergehen wird!«

»Wie? Was steht denn diesem bevor?«

»Der Tod. Ich hätte die Schufte alle sofort niederschießen lassen sollen, ganz so, wie der Emir es im Wadi el Berd mit ihren Genossen gethan hat. Ich war zu gütig; ich schonte sie und wollte sie ihm allerdings ausliefern. Aber ich bin anderer Meinung geworden und habe vom Reïs Effendina Gewalt über Leben und Tod.«

»Hat er dir solche Vollmachten geben dürfen, die sonst nur vom Khedive zu erlangen sind?«

»Ja. Er hat von dem Khedive die Erlaubnis erhalten, seine Rechte, wenn er es für nötig hält, für einige Zeit an andere abzutreten. Nur auf diese Weise werden Zeitverluste und sonstige Weiterungen vermieden; nur dadurch wird der Zweck erreicht, den Sklavenräubern ein schnelles Ende mit Schrecken zu bereiten. Ich habe von diesem überkommenen Rechte noch nicht Gebrauch gemacht und werde es nun zum erstenmale thun.«

»Du handelst richtig und bist nur zu loben, daß du es thust, aber bedenke auch die Verantwortung, welche du dann zu tragen hast!«

»Pah! Verantwortlich bin ich auch für alle Schandthaten, welche von diesen Kerls noch begangen würden, falls ich sie entkommen ließe. Hast du vielleicht Mitleid mit ihnen?«

»Effendi, welche Frage! je schneller sie ausgerottet werden, desto mehr werde ich mich darüber freuen. Ich wollte, ich könnte euch dazu behilflich sein!«

»Das kannst du leider nicht. Bedenke, was diese Menschen sich vorgenommen hatten! Sie wollten meine Asaker erschießen und mich langsam totmartern. Ich habe sie trotzdem geschont. Nun aber, da ich nur mit großer Not dem qualvollsten Tode entgangen bin, wäre ich geradezu ein Selbstmörder, wenn ich nicht die äußerste Strenge und Rücksichtslosigkeit walten ließe.«

»Willst du vielleicht hier in Hegasi Gericht über sie halten?«

»Nein; sie werden Hegasi gar nicht zu sehen bekommen.«

»Wo? Effendi, halte es nicht für eine gewöhnliche Neugierde, daß ich dich frage. Meine Seele ist so entrüstet über die Thaten dieser Verbrecher, daß ich zu gern genau wissen möchte, ob die Strafe sie auch wirklich ereilt.«

»Ich erkenne deine Gerechtigkeitsliebe an und habe keinen Grund, dir aus dem, was ich beabsichtige, ein Geheimnis zu machen. Kennst du den Dschebel Arasch Qol?«

»Wie sollte ich diesen nicht kennen! Ich bin schon sehr viele Male dort gewesen.«

»Auch den Maijeh el Humma, an welchem er liegt?«

»Auch diesen.«

»Hat der Maijeh viele Krokodile?«

»Unzählige! Ganz besonders wimmelt der Busen, weicher sich tief in den Berg hineindrängt, von ihnen.«

»Nicht wahr, um diesen Busen führt ein nur sehr schmaler Weg?«

»Ja. Auf der einen Seite steigen die Wände des Berges gerade in die Höhe, und auf der andern breitet sich auf dem Wasser schwimmende Omm Sufah aus, unter weicher die Krokodile in Massen wohnen. Der Weg ist wegen der Felsbrocken, welche auf ihm liegen, für Kamele kaum gangbar. Wer da nicht herunter- und den Krokodilen in den Rachen fallen will, muß absteigen und sein Tier langsam und vorsichtig hinter sich herführen.«

»Das weiß ich. Es giebt keinen Ort, der besser für meine Absicht paßt, als dieser Busen des Fiebersumpfes.«

Der Scheik el Beled erschrak; das war ihm anzusehen.

»Dort, also dort willst du deine Rache halten? O, Effendi, das wird ja entsetzlich, fürchterlich sein!«

»Jeder erntet, was und wie er gesäet hat. Und gar so entsetzlich, wie du meinst, ist es nicht. Mir sollten die Nägel von den Fingern gerissen werden; dann wollte man jedes Glied meines Körpers einzeln, nach und nach abschneiden; ich aber will diese Leute einfach in die Omm Sufah werfen, wo sie in wenigen Augenblicken von den Krokodilen verschlungen werden. Welcher ist fürchterlicher, ihr Tod oder derjenige, den ich sterben sollte?«

»Der deinige, Effendi. Aber wann wird das geschehen, Effendi?«

»Übermorgen früh, eine Stunde nach dem Gebete der Morgenröte werden wir den Dschebel Arasch Qol und den Maijeh des Fiebers erreichen.«

»Und das ist die Todesstunde dieser Männer?«

»Ja.«

»Wann brichst du von hier auf, Effendi?«

»Jetzt. Ich werde mir meine Kamele holen.«

Er begleitete mich zu dem Manne, bei welchem ich die Tiere untergestellt hatte und von dem ich sie gegen ganz geringe Futterkosten zurück bekam. Wir führten sie hinab zur Mischrah, um sie zu tränken, und dann wieder hinauf zur Höhe, wo sie gesattelt wurden. Eben stand ich im Begriff, den Sattelgurt festzuschnallen, da rief mir Ben Nil zu: »Effendi, schau dorthin!«

Er deutete hinaus auf die Steppe, über welche ein Kamelreiter geritten kam. Er war noch ziemlich weit entfernt, und doch erkannte ich ihn auf den ersten Blick. Es war Oram, der meinen Asakern entkommen war und Ibn Asl die Botschaft gebracht hatte. Ben Nil hatte ihn auch erkannt, denn er hob den Finger empor und meinte:

»Aufpassen, Effendi!«

Der Scheik el Beled stand dabei und hatte es gehört. Darum antwortete ich im gleichgültigsten Tone:

»Aufpassen? Wozu? Seit du mitgefangen gewesen bist, witterst du überall Gefahr. Dieser Reiter ist ein Reisender. Was weiter? Steig auf; wir müssen fort!«

Er gehorchte, warf mir aber dabei einen sehr erstaunten Blick zu. Ich reichte dem Scheik die Hand und verabschiedete mich von ihm. Er verneigte sich und sagte:

»Allah jihfazak – Gott bewahre dich! Werde ich dich nach dem Gericht am Maijeh wiedersehen?«

»Wahrscheinlich. Unser Wiedersehen bringe dir tausend Segen!«

Wir ritten fort in westlicher Richtung, während Oram, der erwähnte Reiter, von Süden gekommen war. Als er uns erblickt hatte, hatte er sein Tier angehalten und dann gar gewendet, um sich wieder zu entfernen. Jetzt wendete er sich im Sattel um und blickte zurück; er sah, daß wir fortritten und blieb halten. Nach einer Weile schien er sich sicher zu fühlen, denn er trieb sein Tier wieder dem Dorfe zu.

»Ich begreife dich nicht, Effendi!« meinte Ben Nil. »Der Reiter war doch Oram, der von In Asl kommt?«

»Natürlich!«

»Und du hast nicht gewartet, hast ihn nicht ergriffen!«

»Bedenke doch: alles, was ich dem Scheik gesagt habe, soll Ibn Asl erfahren; er wird es durch diesen Oram erfahren, und ich habe also alle Ursache, mich darüber, daß er gekommen ist, zu freuen. Statt dessen aber war es jedenfalls deine Ansicht, daß er festgenommen werden solle. Er wird nun von dem Scheik alles erfahren und Ibn Asl davon benachrichtigen; dieser marschiert dann ganz gewiß nach dem Dschebel Arasch Qol und geht uns in die Falle.«

»Allah gebe es! Hoffentlich verfehlen wir unsere Asaker nicht!«

»Davon kann keine Rede sein. Siehst du den dunklen Strich, der da im Grase vor uns herläuft?«

»Ja. Es ist eine Spur; aber weißt du, was für eine?«

»Es ist Orams Fährte. Er ist jedenfalls auf der unserigen geritten, welche, da er nur wenige Stunden hinter uns ritt, noch ganz frisch gewesen ist. Unsere Asaker sind ihm dann gefolgt, indem sie sich auf unserer und seiner Spur hielten. Wenn wir nun auf dieser letzteren zurückreiten, müssen wir mit unsern Gefährten zusammenstoßen. Laß dein Tier ausgreifen! je eher wir sie treffen, desto besser ist es.«

Unsere Kamele hatten ausgeruht und freuten sich darüber, daß sie tüchtig laufen durften. Zur Mittagszeit hielten wir eine kurze Rast. Später wurde die Fährte bedeutend undeutlicher, doch konnte ich sie noch leidlich unterscheiden, wenn Ben Nil sich auch vergebliche Mühe gab, sie zu entdecken.

Unter solchen Umständen war anzunehmen, daß auch unsere Asaker sie nicht mehr erkennen konnten und also sehr wahrscheinlich von ihr abgewichen seien. Was war zu thun? Südlich von unserer Richtung gab es einen Brunnen, welcher Bir Safi, der klare Brunnen, hieß. Der Fessarahführer kannte ihn und hatte die Karawane sehr wahrscheinlich dorthin geführt. Wir bogen also nach Süden ab. Wenn wir so schnell wie bisher ritten, konnten wir vor Sonnenuntergang dort sein.

Meine Vermutung trügte mich nicht. Die Sonne war nur noch drei ihrer Durchmesser vom westlichen Horizonte entfernt, da sahen wir Bäume und Gesträuch in der Ferne; das war der Bir Safi. Bald sahen wir Kamele liegen und Menschen sich bewegen; das war unsere Karawane.

»Was wird Abd Asl sagen, wenn wir kommen!« meinte Ben Nil.

»Und der Fakir el Fukara, welcher Mahdi werden will!«

»Die Kerle haben jedenfalls schon geglaubt, daß wir zu Grunde gegangen sind. Allah vernichte sie! Ich habe dem Alten das Leben geschenkt. Hätte ich gewußt, was unser an der Dschesireh Hassanieh wartete, so hätte ich es nicht gethan.«

»Ich hoffe, daß du dich nicht noch nachträglich an ihm vergreifst!«

»Du hast nichts zu befürchten, Effendi! Dieser alte, stinkende Schakal ist mir viel zu widerwärtig, als daß ich mich an ihm vergreifen möchte. Vor meiner Berührung ist er sicher.«

Jetzt waren wir dem Brunnen so nahe, daß die dort Befindlichen uns erkennen konnten.

»Der Effendi!« hörte ich eine Stimme rufen.

»Der Effendi! Und Ben Nil! Der Effendi, der Effendi! Preis Allah und Heil uns! Sie kommen, sie kommen!« so riefen zwanzig Stimmen durcheinander und ebenso viele Männer kamen uns entgegengerannt. Wir mußten noch vor dem Brunnen von den Kamelen herab. Man drückte uns die Hände; man rief und schrie in allen Tonarten, und ich ließ sie gern gewähren, denn ihre Freude konnte uns ja keinen Schaden bringen und war mir ein wohlthuender Beweis, daß ich ihren Herzen nicht fremd geblieben war. In dieser Weise war selbst ihr Vorgesetzter, der Reïs Effendina nicht bewillkommnet worden, als er im Wadi el Berd auf uns traf.

Natürlich sollten wir erzählen. Vorher aber mußte ich wissen, wie es bei ihnen gegangen war. Wir setzten uns nieder, und der alte Askari, dem ich das Kommando anvertraut hatte, sagte:

»Es ist alles nach der richtigen Regel gelaufen, Effendi Es giebt nur eins, was wir zu beklagen haben. Es fehlt einer: Oram. Er hat sich von den Fesseln losgemacht, euch ein Kamel genommen und ist –--«

»Uns nachgeritten,« fiel Ben Nil ein.

»Das ist ganz richtig! Wie aber könnt ihr es wissen?«

»Wir haben ihn gesehen.«

»Wo denn?«

»Das werden wir euch erzählen,« antwortete ich. »Vor allen Dingen möchte ich wissen, ob die Gefangenen gut gebunden sind.«

»Effendi, seit Oram uns entschlüpft ist, entkommt uns keiner mehr. Ich hoffe, daß du uns dessen Flucht nicht anrechnen wirst. Als er gefesselt wurde, warst du ja selbst noch da!«

»Nun, was das betrifft, so war der Mangel an Wachsamkeit wohl mehr schuld an seinem Entkommen als die ungenügende Fesselung. Ihr habt doch gewacht! Ihr habt einen Kreis um die Gefangenen gebildet. Da es ihm geglückt ist, aus demselben zu gelangten, so nehme ich an, daß ihr alle zusammen geschlafen habt.«

»Nein, Effendi, wir haben abwechselnd gewacht; aber dieser Hund muß einen Zauber besitzen und sich unsichtbar machen können.«

»So ist der Zauber bei mir und Ben Nil wirkungslos, denn wir haben ihn gesehen, und zwar mehreremale. Aber ich zürne euch nicht; ich habe sogar alle Veranlassung, mich über seine Flucht zu freuen. Sie hat uns Schaden bringen sollen, wird aber im Gegenteile von großem Vorteile für uns sein.«

»Ist das möglich!«

»Sehr! Heute konnten wir ihn fangen, wenn wir wollten; wir haben ihn aber laufen lassen, weil er uns, wenn er frei ist, mehr Nutzen schafft, als wenn er sich in Gefangenschaft bei uns befindet.«

Da rief der alte Abd, Asl unter höhnischem Gelächter herüber:

»Prahle nicht! Du redest solche Lügen, um uns zu ärgern; aber du täuschest uns nicht. Hättet ihr Oram gesehen, so hättet ihr ihn ergriffen. Da ihr das nicht gethan habt, habt ihr ihn auch nicht gesehen.«

»Dein Kopf ist der Brunnen aller Weisheit, o heiligster aller Moslemin,« antwortete ich ihm.

»Weißt du denn, wohin er gegangen ist?« fragte er lachend.

»Zu Ibn Asl, deinem Sohne, natürlich.«

»Wenn du ihn gesehen hättest, müßtest du bei Ibn Asl gewesen sein!«

»Wir waren bei ihm, waren sogar auf seinem Schiffe und haben mit ihm gesprochen.«

»Lüge! Lüge!«

»Nimm dich in acht, oder du bekommst die Peitsche. In deiner Lage hat man sich der Höflichkeit zu befleißigen.«

Da richtete sich der Fakir el Fukara in sitzende Stellung auf und sagte:

»Du forderst Höflichkeit? Behandelst du uns so, daß wir sie dir bieten können?«

»Ich behandle euch so, wie ihr es verdient habt.«

»Ich habe nichts gethan. Ich war euer Gast, und ihr habt mich gefesselt. Das ist ein Verbrechen, welches gar nicht vergeben werden kann.«

»Wer hat dich zu unserem Gaste gemacht? Habe ich das Wort Daif gegen dich gebraucht? Habe ich ›Habakek‹ oder ›Wasahlan‹, ›Marhaba‹ zu dir gesagt?«

»Nein; aber ich habe bei euch gesessen!«

»Und dich dann wieder weggesetzt! Ich habe, wie du zugeben mußt und auch eingestanden hast, dir das Leben gerettet, und dennoch wolltest du fort, um uns an Ibn Asl zu verraten!«

»Beweise es!«

»Ich weiß es, also ist es bewiesen! Diese Undankbarkeit hat dich in Fesseln gebracht, und wenn dir diese nicht gefallen, so zanke mit dir, aber nicht mit uns!«

»Ich verlange aber meine Freiheit und giebst du mir sie nicht sofort, so rufe ich den Fluch Allahs auf dich nieder!«

»Allah wird deinen Fluch in Segen verwandeln.«

»Und den Fluch des Propheten!«

»Dein Prophet geht mich nichts an!«

»Du wirst bald anders denken und anders sagen. Wenn du erfährst, welche Macht mir gegeben ist, wirst du mich um Gnade anwinseln!«

»Zunächst besitze ich die Macht, und zwar über dich. Über wen du später Macht ausüben wirst, ob über deinen Harem oder auch wohl über deine Hunde, das ist mir gleichgültig. Und nun schweig, sonst kommt die Peitsche über dich. Ich habe keine Lust, mich von einem Manne anbrüllen und verfluchen zu lassen, welcher sich so sehr von Allah und dessen Geboten entfernt hat, daß er sogar im stande ist, an seinem Lebensretter zum Verräter zu werden.«

»Gut, ich schweige; bald aber kommt die Zeit, und sie ist schon nahe, in welcher ich sprechen werde. Dann werden Millionen auf meine Stimme hören, und du wirst der erste sein, der vor mir im Staube kriecht!«

Er legte sich wieder nieder. Er sah doch ein, daß Schweigen klüger sei als Sprechen. Abd Asl aber konnte es nicht zu derselben Erkenntnis bringen; oder stand ihm die Vorsicht nicht so hoch wie die Begierde, zu erfahren, was ich während der Zeit meiner Abwesenheit gethan und erlebt hatte? Er hatte wohl geglaubt, daß ich in mein Verderben geritten sei; jetzt war ich wohlbehalten zurückgekehrt; wie konnte das geschehen? So fragte er sich. Er wollte und mußte Antwort haben, und anstatt ruhig zu warten, was ich thun oder sagen werde, fuhr er im Anschlusse an die letzten Worte des Fakir el Fukara auf:

»Ja, im Staube kriechen, und auch vor mir! Du hast keine Ahnung, in welcher Lage du dich befindest und welche Gefahren dich umschwirren. Mein Sohn wird als Rächer über dich kommen und dich vernichten, wie er den Reïs Effendina vernichtet hat!«

»Ja, den hat er allerdings vernichtet!« antwortete ich ernst, indem ich eine sehr trübsinnige Miene zeigte.

»Hat er? Hamdulillah, Allah sei Dank!« jubelte er. »Es ist gelungen. Die Feinde sind zermalmt und werden niemals wieder erstehen!«

»Zermalmt? Nein, sondern verbrannt sind sie worden.«

»Es ist geglückt, es ist geglückt! Hört ihr es, ihr Männer, ihr Freunde, ihr Gläubigen, es ist geglückt! Ich habe es euch mitgeteilt; ich habe es euch leise gesagt. Meine Seele war voller Erwartung, ob es gelingen werde. Nun ist der Teufel mit seinen Asakern zu Staub und Asche verbrannt, und der oberste der Teufel, welcher da vor uns sitzt und es uns erzählen muß, hat die Macht verloren und wird uns freigeben müssen, denn wenn er dies nicht thut, heute gleich thut, erwartet ihn ein Klappern der Zähne, welches ohne Ende ist!«

»Verrechne dich nicht!« warnte ich ihn im ruhigsten Tone. Darauf fuhr er, im höchsten Grade begeistert, fort:

»Mich verrechnen! Wie kann ich mich irren! Mein Sohn, der Tapferste der Tapfern, der Gefürchtetste der Gefürchteten, der Schrecklichste der Schrecklichen, hat den Reïs Effendina verbrannt und wird nun kommen, uns zu erlösen. Wehe euch, wenn er findet, daß einem einzigen von uns ein einziges Haar von seinem Haupte fehlt! Was an Qualen und Foltern nur zu erdenken ist, wird euch treffen, und ihr werdet heulen, wie die Verdammten heulen, welche auf dem tiefsten Grunde der Hölle wohnen. Frei will ich sein, frei, und zwar sofort! Du hast deine Ohnmacht eingesehen und deine Lächerlichkeit erkennen müssen, Effendi. Laß uns los, und eile fort; fliehe, soweit dich deine Füße und die Füße deines Kamels tragen, sonst kommt das Entsetzen über dich, wie der Löwe über das Schaf, welches sich gegen die Krallen des Mächtigen nicht zu wehren vermag!«

»Daß ich vor einem Löwen nicht fliehe, hast du erfahren; du kannst dir also denken, daß ich auch vor diesem deinem Entsetzen nicht davonlaufe. Dein Sohn mag kommen; er wird sehen, wie ich ihn empfange.«

»Er wird dich ebenso verbrennen, wie er den Emir mit Feuer vernichtet hat!«

Es läßt sich denken, welchen Eindruck diese Reden auf die Asaker machten. Ihr Emir verbrannt, mit seinen Soldaten ermordet. Sie sprangen auf und fielen mit Fragen über mich her. Ich gebot Stille und fügte hinzu:

»Ihr sollt alles erfahren, und ich will euch schon im voraus sagen, daß ihr ruhig sein könnt. Der Triumph dieses heiligen Moslem wird nicht lange währen. Ich ritt fort, um den Reïs Effendina zu retten, und was ich mir vorgenommen habe, das pflege ich, zumal wenn es etwas so Wichtiges ist, auch auszuführen. Der Emir lebt; er ist gerettet.«

»Allah sei Dank!« erklang es rundum. Abd Asl aber rief:

»Er lügt! Er will uns unsere Freude verkümmern; aber das soll ihm nicht gelingen. Er gönnt uns unsern Jubel nicht; aber wir werden weiter jubeln, bis der Retter erscheint, welchen wir alle Augenblicke erwarten können!«

»So warte, bis du schwarz wirst und dir das sündige Fell im Grimme der Enttäuschung zerplatzt!« rief ihm Ben Nil zu. »Du wirst sogleich hören, ob unser Effendi seine Ohnmacht hat einsehen und seine Lächerlichkeit hat erkennen müssen! Hört, ihr Männer, ihr Asaker des Emirs; der Effendi wird sprechen!«

Aller Augen waren auf mich gerichtet. Es gab keinen, bei den Asakern sowohl wie auch bei den Gefangenen, der sich nicht in der größten Spannung befand. Die Sonne versank soeben; es war also Zeit, das Mogreb zu beten; aber niemand dachte an die Erfüllung dieser Pflicht. Ich erzählte, und zwar berichtete ich alles ausführlich bis zum Augenblicke, an welchem wir drei die Flucht von der »Eidechse« ergriffen hatten. Bis hierher konnten, ja sollten die Gefangenen alles hören; das Spätere aber mußte ihnen verschwiegen bleiben. Hätten sie erfahren, welche Falle ich Ihn Asl stellen wollte, so konnte es ihnen durch irgend einen Zufall gelingen, mir meinen Plan zunichte zu machen. Man bestürmte mich zwar, weiter zu erzählen, doch that Ben Nil dem Drängen Einhalt, indem er sagte:

»Seid still! Ihr habt für heute genug erfahren. Der Emir ist errettet; wir waren bei Ibn Asl auf seinem Schiffe; er hat uns erkannt und in Banden geschlagen; mehr als hundert Männer waren bei ihm, dennoch sind wir entkommen. Als wir im Boote nicht weit von der ›Eidechse‹ hielten, konnten wir ihn leicht erschießen. Wir haben es nicht gethan; wir sind noch einmal gnädig mit ihm gewesen. Aber wehe ihm, wenn er sich wieder treffen läßt.«

»Aber was geschah dann, als ihr vom Schiffe wart?« fragte wieder einer. »Was habt ihr dann gemacht? Wo ist dein Großvater, der Steuermann, der doch bei euch war?«

»Deine Neugierde ist viel größer als mein Mund; dennoch will ich versuchen, sie zu befriedigen. Wir sind natürlich in dem Boote nach Hegasi gesegelt und von dort mit unsern Kamelen hierher geritten. Mein Großvater aber ist in Hegasi geblieben, um dort unsere Rückkehr zu erwarten.«

»Und der Reïs Effendina? Wo befindet er sich?«

»Auch in Hegasi, denn dorthin werden wir ihm diese Gefangenen liefern.«

»Warum hat er uns keine weiteren Asaker mitgesandt?«

»Weil, du Vater der Neugierde, keine Kamele zu haben waren, und weil wir Manns genug sind, diese feigen Kröten hier zu transportieren. Abd, Asl aber, der heiligste der Moslemin und die häßlichste der Kröten, mag nun fortfahren in dem Jubel, welchen er vorhin anstimmte und in dem er sich nicht unterbrechen lassen wollte!«

Das hatte Ben Nil nicht schlecht gemacht! Er hatte die Neugierde vollständig gestillt, ohne unsere weiteren Absichten auch nur mit einem Worte zu verraten. Es war jedenfalls besser, wenn selbst die Asaker noch nichts erfuhren. Eine unvorsichtige Äußerung, von einem Gefangenen gehört, hätte uns Schaden bringen können. Übrigens waren die ersteren froh, daß ich mich wieder bei ihnen befand. Sie hatten doch eine große Verantwortlichkeit zu tragen gehabt, und der alte Askari holte tief und erleichtert Atem, als ich ihm sagte, daß er nun nichts mehr zu verantworten habe. Ebenso befriedigt war der Fessarahführer davon, denn bei jedem vorkommenden Fehler hätte er auch einen Teil der Schuld auf sich zu nehmen gehabt.

Ich gab die Reihenfolge der Wachen an und legte mich dann zum Schlafen nieder. Ben Nil that ebenso, obgleich es noch nicht spät war. Wir hatten während der letzten Nacht gar nicht geschlafen. Früh weckte mich das Gebet der Morgenröte. In kurzem wurde aufgebrochen.

Es war ein ganz eigenartiges Geschäft, die Gefangenen auf die Kamele zu bringen, denn sie machten es uns so schwer wie nur immer möglich. Bei hartnäckigen Fällen mußte natürlich die Peitsche nachhelfen.

Da der Bir Safi südlich von der geraden Richtung lag und ich aus begründeter Vorsicht die letztere vermeiden wollte, hielt ich mich bis Mittag genau östlich und bog dann nach Süden ab. Auf diese Weise kamen wir fast streng aus Norden auf den Dschebel Arasch Qol zu, während wir sonst aus Nordwest gekommen wären. Ich hatte diese Richtung vermieden, weil der Scheik el Beled und infolgedessen auch Ibn Asl uns in derselben wußte. Möglicherweise konnte man auf den Gedanken gekommen sein, uns nicht erst am Maijeh, sondern schon vorher draußen auf der Steppe zu überfallen; dann befanden wir uns nicht in der Richtung, in welcher man uns suchte. Ibn Asl hatte wohl hundert Mann, ich aber nur zwanzig, ein Kampf auf offener Steppe hätte für uns leicht verhängnisvoll werden können.

Um der erste zu sein, der das Ziel erblickte, ritt ich den andern weit voran. Es war noch gar nicht spät am Nachmittage, als ich den Berg wie einen Nebelfleck im Süden liegen sah. Ich kehrte sogleich wieder um, um der Karawane, welche vielleicht eine englische Meile hinter mir gefolgt war, Halt zu gebieten. Ich that dies, damit keiner der Gefangenen den Dschebel Arasch sehen solle. Es war auf jeden Fall besser, wenn sie nicht wußten, wo sie sich befanden. Sie wurden von den Kamelen gehoben, und wir lagerten.

Die Asaker konnten sich den Grund nicht denken, warum dies schon so früh am Tage geschah. Es war nun Zeit, sie zu unterrichten. Erst wurden die Gefangenen gespeist und getränkt; dann führte ich die Soldaten weit zur Seite, ließ sie einen Kreis um mich bilden und teilte ihnen mit, was heute geschehen sollte. Kein Gefangener konnte es hören. Hätte ich ihnen gesagt, daß jeder von ihnen tausend Piaster erhalten solle, die Freude wäre auch nicht größer gewesen. Ibn Asl und alle seine Sklavenhändler in einer Falle fangen! Das war ein Gedanke, welcher sie begeisterte. Jeder wollte wissen, welche Aufgabe ihm dabei zufalle, welche Rolle er dabei zu spielen habe. Ich konnte es keinem sagen, denn es war vorher notwendig, zu rekognoscieren, und das konnte erst am Abend geschehen. Ibn Asl befand sich jedenfalls schon am Berge. Hätte ich mich demselben jetzt am hellen Tage genähert, ich wäre höchst wahrscheinlich bemerkt worden.

Die Asaker erhielten' den Befehl, selbst untereinander jetzt noch um keinen Preis ein Wort über unser Vorhaben zu sprechen, und bildeten dann, wie dies bisher täglich geschehen war, einen Kreis um die Gefangenen. Die Kamele lagerten, von einem Manne bewacht, außerhalb dieses Kreises.

Der Nachmittag verging, ohne daß auf der Steppe außer uns ein menschliches Wesen erblickt worden war. Die Sonne ging unter, und die Asaker beteten das Mogreb. Nun senkte sich schnell der Abend nieder, und ich konnte meine Rekognition beginnen. Es stand zu erwarten, daß ich mehrere Stunden, vielleicht sogar bis gegen Morgen, abwesend sein werde. Ich übergab trotz seiner Jugend Ben Nil den Befehl über die Karawane und unterrichtete ihn, wie er in jedem einzelnen Falle, welcher vorauszusehen war, sich zu verhalten habe. Dann bestieg ich mein Kamel und ritt dem Ziele entgegen.

Die Aufgabe, welche ich mir gestellt hatte, war nicht leicht. Ich wußte, wo der Hegelikwald lag, in welchem ich den Reïs Effendina finden sollte, nämlich am Südende der Ostseite des Sumpfes; aber bei der herrschenden Dunkelheit diesen Wald treffen, das war die Sache! ja, wenn ich nur diese eine Sorge gehabt hätte! Aber wo war Ibn Asl mit seinen Leuten? Wohl auch am Südende des Sumpfes. Aber wenn er sich vorgenommen hatte, seine Leute zu teilen, um mich in die Mitte zu bekommen, so war es für ihn weit bequemer, während der Nacht in der Mitte der östlichen Sumpfseite zu lagern. Dann konnte er am Morgen einen Teil seiner Leute rechts und die andere Abteilung links um den Sumpf schicken und mich auf diese Weise von vorn und von hinten packen. Lagerte er jetzt da, so mußte ich, um zu dem Emir zu kommen, an ihm vorüber und konnte, wenn er keine Feuer brennen hatte, ganz unerwartet mitten in sein Lager geraten. Er schien aber Freund von nächtlicher Helligkeit zu sein; wenigstens hatte er während der beiden Abende an der Hassanieh und am Maijeh es Saratin mehrere große Feuer brennen gehabt. Er wußte mich jetzt noch fern; er wußte ferner von der Anwesenheit des Emirs nichts; darum konnte er sich für sehr sicher halten, und es stand zu erwarten, daß er den Abend nicht im Dunkeln zubringen werde. In diesem Falle mußten seine Feuer mir sein Lager verraten, und ich konnte mich fern von demselben halten.

So ging es in raschem Schritte südwärts. Die Sterne waren aufgegangen, und ich konnte mich also nicht in der Richtung irren. Nach einer halben Stunde hatte ich das Sumpfgebiet erreicht, und es galt, auch wegen des trügerischen Bodens vorsichtig zu sein. Der Maijeh el Humma sendet mehrere Ausläufer in das Land, und darum war es geraten, möglichst weit ostwärts auszubiegen.

Eine Stunde und noch eine war ich geritten; es mochte nach unserer Zeit abends neun Uhr sein, da kam ich an einem einzelnen Baum vorüber, dessen Umrisse mir bekannt vorkamen, obgleich sie sich nur undeutlich gegen den Himmel abzeichneten. Ich ritt hin. ja, das war der Hegelik, unter welchem ich bei meiner frühern Anwesenheit Schutz gegen die Sonne gesucht hatte. Ich hatte damals diese mächtigen Formen bewundert und sie mir eingeprägt. Gar nicht weit von hier, nur einige hundert Schritte rechts, begann der Hegelikwald, den ich suchte.

Ich ritt hinüber und an seinem Rande hin. Er lag mir wie eine hohe, dunkle Wand zur Seite, als Vorposten einzelne Büsche aussendend, zwischen denen ich mich hindurchwinden mußte. Nirgends ein Feuer zu sehen oder zu riechen. Ibn Asl befand sich gewiß nicht in der Nähe. Ich ließ halblaut das bekannte tiefe Lachen der Hyäne hören. Es klingt wie »Ommu ommu« und ist trotzdem einem Gelächter ähnlich. Keine Antwort erfolgte. Im langsamen Weiterreiten wiederholte ich dieses Zeichen mehrere Male. Endlich, nach dem siebenten oder achten Mal hörte ich rechts unter den Bäumen eine Stimme:

»Effendi?«

»Ja,« antwortete ich, das Kamel anhaltend.

»Komm hierher!«

Ich ritt hin. Ein Mann trat auf mich zu, blieb vor dem Tiere stehen, sah mich an und sagte dann:

»Ja, du bist es. Steig ab! Ich werde dich zu dem Emir führen.«

»Ist es weit von hier?«

»Ziemlich! Wir haben eine lange Postenkette, damit dir das Auffinden des Emir nicht so schwer fallen sollte.«

»Führe mich zu dem Posten, welcher der nächste beim Emir ist. Derselbe mag mein Kamel halten.«

Während wir nebeneinander hinschritten, fragte ich ihn, ob sie Ibn Asl mit seinen Leuten bemerkt hätten.

»Ja,« antwortete er. »Sie kamen kurz nach Mittag an und lagerten ganz am südlichen Ende des Maijeh.«

»Habt ihr sie, seit es dunkel geworden ist, beobachtet?«

»Der Reïs Effendina war dort.«

»Brennen sie Feuer?«

»Ich weiß es nicht; ich konnte es nicht erfahren, da ich mich seit jener Zeit auf dem Posten befand.«

Wir kamen an mehreren Asakern vorüber, bis einer von ihnen mein Tier zu halten bekam. Mein Führer meinte, ich solle ihm nun tiefer in den Wald folgen; ich aber gab ihm den Auftrag, mir lieber den Emir zu holen. Ich hatte mich mehr angestrengt als der Emir, mußte mich vielleicht auch noch mehr anstrengen und wollte mir den Weg durch den Wald und die dichten Nabakbüsche, welche das Unterholz bildeten, ersparen. Der Mann ging also allein und brachte mir bald den Reïs Effendina geführt. Er war sehr erfreut, mich zu sehen, besonders, da ich nicht sicher hatte sagen können, ob ich kommen werde. Er begrüßte mich mit einem kräftigen Händedrucke und sagte:

»Sie sind da, schon seit der Mittagszeit. Sie lagern am Ende des Maijeh.«

»Brennen sie Feuer?«

»Sechs, jedenfalls schon um der vielen Stechfliegen willen, vor denen es dort am offenen Sumpfe ohne Feuer gar nicht auszuhalten wäre. Hier im dichten, ziemlich trockenen Walde sind wir glücklicherweise nicht sehr von ihnen geplagt.«

»Kennst du den Plan, den Ibn Asl morgen verfolgen will?«

»Nein. Wie soll ich ihn kennen?«

»Ich denke, du bist dort gewesen. Hast du nicht gelauscht?«

»Werde mich hüten! Soll ich etwa soweit hinangehen, bis ich sie sprechen hören kann? Dann kann ich auch gesehen und ergriffen werden!«

»Aber es giebt oft gewisse Anzeichen, aus denen sich Schlüsse ziehen lassen. Hast du nichts Derartiges bemerkt?«

»Nein. Sie saßen um die Feuer und aßen und schwatzten. Aber was sie sprachen, das verstand ich nicht, da ich nicht nahe genug war.«

»Hast du Ibn Asl gesehen?«

»Ja. Er saß an dem ersten Feuer, welches man von hier aus erreicht.«

»Wie weit ist's bis dahin?«

»Fast eine halbe Stunde.«

»Ich muß hin. Willst du mich begleiten?«

»Sehr gern, wenn du nicht etwa verlangst, daß ich mich zu Ibn Asl setzen soll. Dir ist nämlich so etwas wohl zuzutrauen.«

Meinen hellen Haïk hatte ich in meinem Lager zurückgelassen; jetzt ließ ich auch die Gewehre hier, und dann gingen wir, immer zwischen einzelnen Büschen hindurch, bald rechts, bald links einer sumpfigen Lache, die sich durch phosphorescierenden Glanz verriet, ausweichend. Nach über einer Viertelstunde sah ich den Schein des ersten Feuers, dann noch eins und noch eins, bis ich auch sechs zählte. Es gab hier nur Gafulbäume, und zwar ohne Unterholz. Man lagerte ohne einen besonderen Plan, hier ein Feuer und dort eins, wie der Zufall oder Einfall es ergeben hatte. Wir standen hinter einem breiten Busch, wohl sechzig Schritte von dem ersten Feuer, an welchem ich Ibn Asl sitzen sah, entfernt. Es saßen außer ihm noch seine Offiziere und zwei Männer an demselben. Man hörte sie sprechen, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können.

»Ich muß hin, unbedingt hin!« sagte ich mehr zu mir als zu dem Emir. Ach muß wissen, was sie reden.«

»Um Allahs willen, was fällt dir ein! Du würdest verloren sein. Man müßte dich ja sehen!«

»Nein. Ich habe mich schon unter ganz anderen Verhältnissen angeschlichen. Hier ist es geradezu ein Kinderspiel.«

»Ich sage dir, mich bringst du keinen Schritt weiter!«

»Das will ich auch nicht; ich gehe allein. Zwischen hier und dem Feuer stehen in gerader Linie zwei starke Bäume, deren Stämme einen ganz geraden, breiten Schatten hinter sich werfen. Krieche ich in diesem Schatten auf der Erde hin, so bin ich von dem Boden gar nicht zu unterscheiden. Dazu habe ich erst den ersten und dann den zweiten Baum als Deckung. Dieser letztere hat in Manneshöhe, auf der nach uns gerichteten Seite, einen starken Ast. Schwinge ich mich da hinauf, so sitze ich, hinter Zweigen und Blättern verborgen, höchstens fünfzehn Schritte vom Feuer entfernt und kann alles hören, was gesprochen wird.«

»Und wie kommst du dann zurück?«

»Auf demselben Wege, auf dem ich hingekommen bin.«

»Nein, Effendi, ich gebe es nicht zu! Ich will nicht haben, daß du dein Leben wagst.«

»Wage ich es nicht morgen, wenn wir kämpfen? Wagt es da nicht jeder? Warum also gerade jetzt nicht? Und wie nun, wenn dadurch, daß ich es jetzt wage, der Kampf vermieden werden kann?«

»Hältst du das für möglich?«

»Ja. Vielleicht erfahre ich etwas, was mich veranlaßt, eine Disposition zu treffen, nach welcher von seiten der Gegner jeder Widerstand vergeblich ist.«

Er griff nach mir, um mich zurückzuhalten; aber er war nicht schnell genug gewesen. Ich war rasch hinter dem Busche hervorgetreten, hatte mich niedergeduckt und kroch nun im dunkeln Schatten vorwärts. Es war gar keine Kunst. Um rechten Qualm zu erzeugen und die Stechfliegen abzuhalten, wurden feuchte Äste in die Feuer geworfen; dies gab einen Rauch, der zuweilen so dick war, daß man nicht hindurchzusehen vermochte. Er zog sich, da die Sumpfluft schwer und drückend war, zuweilen ganz nahe am Boden hin. Solche Augenblicke benutzend, kam ich an den ersten, dann an den zweiten Baum und saß oben in den Ästen und Zweigen desselben, bevor seit dem vergeblichen Griffe des Reïs Effendina zwei Minuten vergangen waren. Ich hatte es außerordentlich glücklich getroffen, denn eben hatte ich mich zurechtgesetzt und spitzte die Ohren, da hörte ich weiter vorn ein Rufen, welches meine Aufmerksamkeit sogleich auf sich zog.

»Der Scheik, der Scheik el Beled!« hörte ich sagen. »Er ist da! Endlich ist er angekommen!«

Wahrhaftig, da kam er, vom hintersten Feuer her, ein Kamel am Zügel führend. Man hatte ihm dort gesagt, wo er Ibn Asl finden werde. Die Disziplin hielt die Leute ab, ihm zu folgen. Er ließ sein Tier sich legen und trat an das Feuer, wo er mit sichtlicher Genugthuung bewillkommnet wurde. Ich ahnte, um was es sich handelte. Er hatte nach uns ausspähen müssen. Einer von Ibn Asls Leuten hätte dies nicht thun dürfen, denn hätte ich ihn gesehen, so hätte ich ihn auch erkannt und wäre mißtrauisch geworden. Begegnete uns aber der Scheik el Beled, so standen demselben mehrere Ausreden zu Gebote, denen ich wohl Glauben schenken konnte.

»Setz' dich, und berichte!« forderte ihn Ibn Asl auf. »Hast du sie gesehen?«

»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er Platz nahm.

»Nicht? Dann hast du mich falsch berichtet. Sie kommen entweder später als morgen oder wohl gar nicht.«

»Sie kommen!« behauptete der Scheik mit Bestimmtheit. »Ich habe ihre Fährte gesehen.«

»Hat man die Fährte, so hat man bald auch den Mann. Du hättest nicht ruhen sollen, bis du sie wirklich sahst.«

»Es war zu spät, denn es wurde dunkel. Der Effendi hatte mit seinem Ben Nil eine sehr sichtbare Fährte gemacht. Ich folgte ihr. Sie lief immer schnurgerade fort und bog dann plötzlich mehr nach Süden. Er muß nach dem Bir Safi geritten sein. Heute früh paßte ich auf. Sie mußten kommen, aber sie kamen nicht. Ich wartete bis gegen Mittag, und da ich sie auch bis dahin nicht gesehen hatte, nahm ich an, daß sie ganz unerwartet eine andere Richtung eingeschlagen hatten. Dies konnte nur die nördliche sein. Wenn ich gerade nach Norden ritt, mußte ich also auf ihre Spur stoßen, da sie sich später doch östlich wenden mußten. So geschah es auch. Der Abend war nahe, als ich auf die Fährte traf, welche nach Osten führte.«

»Natürlich gerade auf den Dschebel Arasch Qol zu?«

»Nein, sonderbarerweise nicht. Wenn sie von da aus immer in gerader Richtung geritten sind, haben sie den Dschebel weit südlich von sich liegen lassen.«

»Warum das? Der Effendi hat bei dem Geringsten, was er thut, seine Absicht!«

»Hier liegt keine besondere Absicht vor. Sie haben sich einfach geirrt. Es ist ja niemand aus dieser Gegend bei ihnen. Der Fessarah, welcher ihnen als Führer dient, kann unser Gebiet unmöglich genau kennen.«

»Aber der Effendi selbst! Aus allem, was er dir gesagt hat, geht hervor, daß er den Dschebel und auch den Maijeh kennt.«

»Er ist ein Fremder, ein Christenhund, von soweit her, daß er wohl nur ein einziges Mal dort gewesen sein kann. Da ist es ja gar nicht zu verwundern, wenn ein Irrtum vorkommt. Sie werden schon noch nach Süden eingebogen sein.«

»Sie werden – –! Mir wäre es lieber, wenn du sagen könntest: Sie sind – –! Dann hätte ich Gewißheit. Du hättest ihnen weiter folgen sollen!«

»Das war unmöglich, denn ich hätte, da der Abend nahe war, ihre Spur nicht mehr sehen können. Auch mußte ich unbedingt hierher zu dir, da du auf Nachricht wartetest. Bedenke, welche Strecken ich in dieser kurzen Zeit habe zurücklegen müssen! Ein gewöhnliches Kamel hätte dies unmöglich leisten können. Es war nur gut, daß du mir erlaubtest, deine Dschebel-Gerfeh-Stute zu besteigen. Die ist wie ein Sturm mit mir über die Steppe gegangen.«

Also er hatte die berühmte weiße Kamelstute des Sklavenjägers geritten, die Stute, welcher Ibn Asl das Gelingen so vieler Unternehmungen zu verdanken hatte! War es ihm doch auch nur durch ihre unvergleichliche Schnelligkeit gelungen, mir damals am Wadi el Berd zu entkommen! Aber das Kamel, welches der Scheik jetzt mitgebracht hatte, besaß die gewöhnliche Farbe der ordinären Kamele. Wie war das zu erklären? Hatte er kurz vor seiner Ankunft hier die weiße Stute mit einem andern Hedschihn vertauscht? Ich wurde sogleich über diesen Punkt aufgeklärt, denn Ibn Asl fragte:

»Wenn der Giaur gewußt hätte, daß meine Kamelstute bei dir steht, daß ich stets, wenn ich zu Schiffe gehe, sie bei dir lasse, da ich sie dann unmöglich mitnehmen kann! Er hat sie doch nicht etwa gesehen?«

»Nein. Und wenn er sie gesehen hätte, so hätte er sie doch nicht erkannt, denn so oft du sie mir übergiebst, wird sie gefärbt, damit niemand weiß, welches berühmte Tier ich bei mir habe. Schau sie an! Ist sie von einem gewöhnlichen Hedschihn zu unterscheiden?«

»Allerdings! Ich würde mich schämen, wenn sie einem solchen ähnlich sähe. Siehe doch nur die Formen! Ein Kenner merkt doch sofort, welch ein Tier sie ist. Aber das ist jetzt Nebensache. Wir haben nicht von meinem Kamele, sondern von diesem Effendi und seinen Leuten zu sprechen. Warum soll übrigens die Stute hier hungrig liegen! Sie hat einen weiten Weg gemacht und mag fressen. Fesselt ihr die Vorderbeine kurz, damit sie sich nicht weit entfernen kann!«

Einer von den beiden Männern, weiche bei ihm saßen, stand auf, um diesen Befehl auszuführen. Die herrliche Stute durfte weiden. Ich beobachtete ihre Bewegungen fast mit noch mehr Aufmerksamkeit als derjenigen, mit welcher ich auf die Worte ihres Herrn hörte. Dieses Kamel, ah, es mußte mein werden! Lieber wollte ich Ibn Asl selbst entkommen als seine Stute laufen lassen!

Er war sichtlich von dem Resultate, welches der Scheik el Beled ihm brachte, enttäuscht. Er fuhr fort:

»Da du die Stelle nicht kennst, an der die Gefangenenkarawane lagert, so ist unser erster Plan nicht auszuführen. Jammerschade! Zwanzig Asakerhunde! Und wir zählen fünfmal mehr! Wie leicht hätten wir sie draußen auf der freien Steppe umzingeln können!«

Ah, da hörte ich es ja! Ich hatte ganz richtig gedacht. Wie gut, daß ich diesen Umweg nach Norden, Osten und endlich Süden gemacht hatte. Wären wir in gerader Richtung geblieben, so hätte Ibn Asl uns überfallen, heute abend schon, bevor wir den Dschebel Arasch Qol erreichten! Der Scheik antwortete auf den ihm gemachten Vorwurf:

»Wahrscheinlich ist es gut für uns, daß dies nicht geschehen ist. Du kennst den Effendi. Er ist wachsam und versäumt keine Vorsicht. Überraschen hätten wir ihn unmöglich können.«

»Aber eingeschlossen wäre er worden, eingeschlossen von hundert Mann! Bedenke das! Er hätte sich auf Gnade oder Ungnade ergeben müssen, ohne die Hand rühren zu können!«

»Glaube das nicht! Der und sich ergeben! Du kennst ihn ja noch besser als ich. Ich bin überzeugt, daß du an der Wahrheit deiner eigenen Worte zweifelst. Es wäre gewiß zum Kampfe gekommen. Rechne, daß jeder Askari nur einen von uns erschossen hätte! Auf den Effendi aber mußt du mehrere rechnen. Ich bin sogar überzeugt, daß der Giaur sich sofort persönlich gegen dich gewendet hätte.«

»Mich hätte er gar nicht gesehen. Ich weiß, was ich mir schuldig bin. Ich bezahle meine Leute gut; dafür müssen sie kämpfen. Meine Sicherheit aber ist allzu wichtig für sie, als daß sie verlangen könnten, daß ich mich selbst am Kampfe beteilige. Das ist nicht Mutlosigkeit, sondern Berechnung, Vorsicht von mir. Meinst du, ich hätte mich dahin gestellt, wo die Kugeln pfeifen mußten? Aber wenn sie wirklich kommen, so werden sie unser, ohne einen Schuß thun zu können.«

»So triff die Vorbereitungen ja nicht etwa zu spät. Der Effendi sagte, daß er eine Stunde nach dem Gebete der Morgenröte am Dschebel Arasch Qol ankommen werde, und er hält gewiß Wort. Also muß die Abteilung, welche du nordwärts senden willst, spätestens um Mittei nacht hier abgehen.«

»Ich sende sie schon vorher ab. Du bist also der Überzeugung, daß sich diese Leute im Regenbette verstecken können, ohne bemerkt zu werden?«

»Ja. Geht man nur einige Minuten in diesem Bette aufwärts, so erweitert es sich und ist da mit Kittr-Büschen angefüllt, die eine prächtige Deckung bieten. Wenn dann, wenn der Tag anbricht, einer auf den Felsen steigt, kann er die Karawane kommen sehen. Man läßt sie vorüber, um ihr dann langsam und unbemerkt zu folgen, bis sie sich zwischen den steilen Wänden des Dschebel und den Krokodilen des Maijeh auf dem schmalen Wege befindet. Diese unsere Abteilung befindet sich hinter der Karawane; unsere anderen Leute stehen schon vor derselben bereit, und gerade dann, wenn die Gefangenen in den Sumpf geworfen werden sollen, lasse ich als Führer der ersteren Abteilung den ersten Schuß hören. Das Ergebnis ist nicht zweifelhaft. Der Effendi muß einsehen, daß er von einer übermächtigen Anzahl Feinde eingeschlossen ist und daß Widerstand der reine Wahnsinn sein würde. Er wird sich ergeben. Um ihm dies zu erleichtern, kannst du ja auf Bedingungen eingehen, welche du dann nicht zu halten brauchst.«

Das war ja ganz vortrefflich! Dieser Scheik el Beled wollte nach demselben Regenbette, in welches ich mich in Hinterhalt hatte legen wollen. Die Falle, welche mir gestellt werden sollte, war genau diejenige, welche ich ihnen legen wollte. Wie gut, daß ich gegen den Willen des Emir herbeigeschlichen war, um zu lauschen.

»Wieviel Mann giebst du mir mit?« fragte der Scheik weiter.

»Wieviel brauchst du?«

»Die Hälfte von deinen hundert wäre eigentlich richtig, aber ich brauche sie nicht und begnüge mich mit weniger.«

»Ich gebe dir vierzig, so bleiben mir sechzig. Ihr marschiert eine Stunde vor Mitternacht ab, also vielleicht in einer Stunde. Ist es notwendig, daß wir in gegenseitiger Verbindung bleiben?«

»Nein. Es wäre überhaupt schwer, dieselbe zu unterhalten. Sie müßte um den langen Maijeh herum stattfinden, und das würde viel zu viel Zeit erfordern. Der Plan ist ja so einfach. Sobald es Tag wird, besetzest du die Südseite des Busens. Die Karawane kommt von Norden her, und ich folge ihr. Sobald ihr meinen Schuß hört, ist die richtige Zeit gekommen. Welch ein Glück, daß der Effendi zu spät nach Hegasi kam! Der Reïs Effendina war soeben fort. Hätten sie sich getroffen, so wäre der Emir dageblieben, und wir hätten es ruhig geschehen lassen müssen, daß dein Vater mit den übrigen Gefangenen in den Sumpf geworfen wurde. jetzt haben wir alles Nötige besprochen, und ich will versuchen, ein wenig zu schlafen, denn ich bin von dem langen Ritte ermüdet. Wecke mich, wenn meine Abteilung zum Marsche bereit steht!«

Er legte sich nieder, und ich konnte mich entfernen. Es war klar, daß ich nichts Wichtiges mehr zu hören bekommen würde. Darum benutzte ich einen Augenblick, in welchem zwischen meinem Baume und dem Feuer sich wieder eine Rauchwolke niedersenkte, schwang mich herab, legte mich zu Boden und kroch schnell zurück. Ich kam, ohne bemerkt zu werden, bei dem Emir an, welcher noch auf derselben Stelle hinter dem Busche stand.

»Effendi, ich habe fast um dich gezittert!« meinte er. »Diese Verwegenheit konnte dir ans Leben gehen.«

»O nein! Du wirst sogleich hören, daß sie mir außerordentliche Vorteile gebracht hat. Ich kenne den ganzen Plan der Leute.«

Ich teilte ihm mit, was ich erlauscht hatte. Als ich zu Ende war, flüsterte er mir erregt zu:

»Sie gehen in die Falle; sie gehen hinein, Effendi! Aber durch welche List bekommst du den Scheik mit seinen vierzig Mann vor dich, anstatt daß er dir folgt?«

»Durch die List ist da nichts zu erreichen. Ich muß sie gefangen nehmen.«

»Das ist gefährlich, da es nicht ohne Angriff und Gegenwehr geschehen kann!«

»Gar nicht gefährlich! Ich besetze den Platz, ehe diese Leute kommen. Sie müssen sich entweder ergeben oder bis auf den letzten Mann erschießen lassen.«

»Aber du hast nur zwanzig Asaker bei dir!«

»Diese brauche ich unter den jetzigen Verhältnissen freilich alle zur Bewachung der Gefangenen. Kannst du mir auch vierzig Köpfe mitgeben?«

»Ganz gern!«

»Dir bleiben immer noch genug. Wenn es Tag geworden ist, besetzt Ibn Asl den schmalen Paß. Du folgst ihm.. Ich komme, indem ich die Gefangenen unter guter Bewachung zurücklasse, von Norden her, und so haben wir die Gegner zwischen uns. Ich sage jetzt ganz dasselbe, was vorhin der Scheik sagte: Wenn du den ersten Schuß hörst, ist die Zeit gekommen.«

»Gut, dann werfe ich mich auf den Feind.«

»Aber eins muß ich dir sehr ans Herz legen: Ich hörte, daß Ibn Asl sich nie am Kampfe zu beteiligen pflegt. Vielleicht bleibt er auch hier zurück. Sorge ja dafür, daß er nicht entkommt. Beauftrage lieber eine kleine Abteilung von vielleicht zehn Mann, speziell auf ihn zu sehen und ihn nicht entwischen zu lassen!«

»Ich werde mein möglichstes thun. Wann soll ich dir die vierzig Männer geben?«

»Gleich! Gehe zurück und stelle sie mir bereit! Ich werde dir bald folgen.«

»Du willst nicht gleich mit mir gehen? Warum?«

»Weil ich mir die weiße Dschebel-Gerfeh-Stute des Sklavenhändlers holen will.«

»Laß sie doch! Du könntest dadurch alles verderben. Wenn man dich dabei erwischt, sind wir verraten.«

»Mich erwischen? Pah!«

»Aber wenn man merkt, daß sie fehlt, muß man auf einen Dieb, also darauf schließen, daß Menschen anwesend sind. Das muß doch jedenfalls Mißtrauen erwecken.«

»Man wird zunächst meinen, daß die Stute schlecht gefesselt worden und zu weit fortgelaufen ist, sich aber morgen leicht wieder finden lassen wird. Ich habe außer dem hohen Werte dieses Kameles noch einen andern triftigen Grund, mich seiner zu bemächtigen. Wenn nämlich Ibn Asl sich nicht direkt am Kampfe beteiligt, so kann er dir trotz aller Vorsicht, die du anwendest, entschlüpfen. Hat er dann die Stute, so kann kein Mensch ihn einholen; habe ich sie, so ergreife ich ihn, er mag dagegen machen und versuchen, was er will.«

»Das ist richtig; aber ich befürchte nur, daß du bemerkt wirst.«

Er widerstrebte nur noch kurz und entfernte sich dann. Ich schlich mich in einem Bogen jenseits des Feuers hinüber. Das Hedschihn stand im Dunkeln bei einem Busche, dessen Blätter es knusperte. Es ließ mich ganz ruhig herankommen. Dieser Ibn Asl verstand es nicht, ein solches Tier zu erziehen; es hätte bei meiner Ankunft fliehen oder wenigstens laut schnauben müssen. Ich band ihm die Vorderfüße los, schlang den Leitstrick vom Halfter und führte es fort. Es folgte so gutwillig, als ob es mir gehörte. Auf einem Umwege kehrte ich nach meinem früheren Standorte zurück und schritt dann dem Hegelikwalde zu, wo der Reïs Effendina mich in großer Spannung erwartete. Die vierzig Mann standen schon bereit.

»Allah! Es ist gelungen,« sagte er. »Effendi, du bist ein sehr gefährlicher Kameldieb; man sollte dich lebenslänglich einsperren lassen!«

»Verzeihe mir, hoher Vertreter der ägyptischen Gerechtigkeit; ich stehle nur bei Dieben und Räubern!« lachte ich. »Ich werde sofort aufbrechen. Aber, sind diese Leute mit Material versehen? Wir werden sehr wahrscheinlich vierzig Gefangene zu binden haben.«

»Es ist alles da. Wir haben das Nötige vom Schiffe mitgebracht.«

»So lebe wohl, und morgen früh ein siegreiches, fröhliches Wiedersehen!«

»Allah gebe es!«

»Laß Ibn Asl nicht entkommen!« warnte ich ihn noch; dann ging es vorwärts; einer der Asaker führte mein Kamel, ein anderer hatte das weiße Hedschihn am Halfter.

Erst den einzelstehenden Hegelik aufsuchend, schlug ich dann denselben Weg ein, den ich gekommen war. Natürlich ging es jetzt viel langsamer als vorher, da ich ritt. Es vergingen mehrere Stunden, ehe wir das Nordende des Sumpfes erreichten und dasselbe dann westlich umschritten. Jetzt sahen wir die dunkle, kompakte Masse des Berges vor uns liegen. Ich nahm meine Erinnerung zusammen, um das Regenbett nicht zu fehlen. Zweimal ging ich irre, fand es dann aber doch.

Jetzt galt es zunächst, die beiden Kamele, welche wir nicht weiter mitnehmen konnten, zu verstecken. Ich führte sie eine genügende Strecke fort, pflockte sie da fest und ließ einen Wächter bei ihnen zurück. Dann stiegen wir das Regenbett empor, bis wir den Kessel erreichten.

Die Wände desselben waren nicht allzu steil. Dreißig Mann mußten hinauf und sich dort rundum verteilen. Sie erhielten den Befehl, sich völlig laut- und geräuschlos zu verhalten, bis ich selbst den Angriff beginnen würde. Sie sollten möglichst hinter Steinen Deckung suchen, um, falls die Feinde sich verteidigen würden, von deren Kugeln nicht getroffen zu werden. Sollte einer der Gegner noch während der Dunkelheit hinaufgestiegen kommen, so war er von zweien oder dreien zu empfangen, am Halse festzuhalten, um nicht schreien zu können, und mit dem Messer unschädlich zu machen.

Mit den vierten Zehn ging ich eine kurze Strecke zurück und erstieg dann die halbe Höhe des Ufers des Regenbettes. Dort setzten wir uns nieder, um den Scheik el Beled mit seiner Schar vorüber zu lassen und dann zu folgen.

Elf Uhr nachts hatte er aufbrechen wollen; unser Marsch hatte kurz nach zehn Uhr begonnen. Wir hatten also höchst wahrscheinlich eine Stunde zu warten; aber es dauerte länger, viel länger. Er kam erst kurz vor Tagesgrauen. Er hatte sich nicht zu sehr beeilt, da er ja wußte, daß meine Karawane erst eine Stunde nach der Morgenröte kommen werde. Wir hörten sie an uns vorüberschreiten, stiegen dann leise von der Höhe herab und folgten ihnen. Nahe am Eingang des Kessels blieben wir halten. Die Sklavenjäger glaubten sich natürlich allein und sprachen laut miteinander. Sie lagerten sich um und zwischen die Büsche und bewiesen durch ihr munteres Lachen, daß sie sich in sehr guter, siegesgewisser Stimmung befanden.

Der Scheik war in Beziehung auf die Lustigkeit trotz der Würde, welche er eigentlich zu bewahren hatte, allen voran. Er scherzte übermütig und sprach von der Beute, welche zu machen sei, und von der Verteilung derselben. Wie ich später erfuhr, war ihm für seine Mitwirkung ein reicher Anteil versprochen worden. Der brave Mann hatte sich verspekuliert; er bekam etwas ganz anderes.

Der Tag mußte in ganz kurzer Zeit anbrechen, da hörte ich ihn sagen, daß er nach der Morgenröte ausschauen wolle. Ich glaubte, er werde innen, an der Wand des Kessels, emporsteigen, aber er kam durch den Ausgang heraus und auf uns zu.

»Bückt euch nieder!« raunte ich meinen Leuten zu, indem ich mich selbst schnell niederkauerte. Der Scheik sollte uns nicht zu früh bemerken. Er kam in langsamen Schritten heran; fast stieß er schon an mich, da fuhr ich vor ihm auf und nahm ihn mit beiden Händen am Halse.

»Nur die Hände binden, nicht die Füße!« befahl ich den Asakern. Sie gehorchten.

Ich drückte ihm den Hals nicht so fest zu, daß er die Besinnung verlor, und drohte ihm leise an das Ohr.

»Ein Laut von dir, und das Messer fährt dir in das Herz! Willst du schweigen, so nicke!«

Er nickte. Es war von ihm kein Widerstand zu fürchten; der Schreck war mächtiger als die Energie, und es zeigte sich später, daß er ein Feigling war, der nur für den Verrat, nicht für den Kampf paßte und die Führung der vierzig Sklavenjäger nur übernommen hatte, weil er überzeugt war, bei uns keinen Widerstand zu finden.

Acht Mann ließ ich stehen; zwei mußten mit mir den Scheik im Regenbette zurückführen, bis soweit, daß unsere Stimmen im Kessel nicht gehört werden konnten. Die beiden Asaker hielten ihn hüben und drüben fest. Ich hatte mein Messer in der Hand, ließ ihm die Spitze desselben auf der Brust fühlen und fragte ihn:

»Kennst du mich?«

»Ja. Du – du bist der – der Effendi,« stammelte er. »Warum behandelst du mich wie einen Feind? Du hast mir ja gesagt, daß du die Obrigkeit in mir achtest.«

»Und du hast das geglaubt! O du größter und oberster aller Dummköpfe! Nur ein so hirnloser Mensch wie du durfte glauben, daß er mich täuschen könne. Aber während du überzeugt warst, mich zu übervorteilen, habe ich dir einen Fuß gestellt, über den du nun stürzest.«

»Du bist nun im Irrtume, bei Allah, im Irrtume! Ich bin als dein Freund, als dein Gönner und Bewunderer gekommen.«

»Und die vierzig Männer, welche du bei dir hast, sind sie auch meine Bewunderer, Gönner und Freunde?«

»Ja. Ich habe sie in der Umgegend von Hegasi gesammelt und hierher geführt, um dir gegen deine Feinde beizustehen.«

»Gegen meine Gefangenen, willst du sagen! Gegen sie brauche ich keine Hilfe. Und warum versteckt ihr euch hier?«

»Nur um dich da zu erwarten. Ich weiß nicht, wie du auf den Gedanken kommst, diese Männer für Leute von Ibn Asl zu halten!«

»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Dein Doppelspiel ist durchschaut. Mit dem heutigen Tage wird ihm ein Ende gemacht. Ich habe dich erkannt, sofort als ich dich sah. Du hattest keine Ahnung, daß ich dich täuschte. Du borgtest Ibn Asl dein Pferd; das hat dich verraten. Als ich mit Ben Nil im Boote zu dir kam, war ich schon vorher bei dem Reïs Effendina auf seinem Schiffe gewesen und hatte dich angezeigt. Er war dann ebenso freundlich zu dir wie ich; wir thaten das, um Ibn Asl durch dich hierher zu locken. Es ist uns gelungen, weil deine Dummheit fast noch größer ist als deine Schlechtigkeit. Jetzt ist Ibn Asl da, der Reïs Effendina aber auch. Dieser wird jenen ebenso nehmen, wie ich jetzt dich genommen habe. Wir schließen Ibn Asl mit seinen sechzig Männern gerade so auf dem Felsenwege ein, wie ihr mich einschließen wolltet. Ich habe gestern, ohne daß ihr es wußtet, mit bei euerm Feuer gesessen und alles gehört, deinen Bericht und auch das, was darauf besprochen wurde.«

»Das ist unmöglich!« entfuhr es ihm, ohne daß er daran dachte, daß in diesen Worten ein Geständnis enthalten sei.

»Ich will es dir beweisen. Du kamst auf der gefärbten Kamelstute; sie legte sich nieder. Ibn Asl befahl einem der beiden Männer, die außer ihm, dir und den Offizieren mit dort saßen, sie aufstehen zu lassen und ihr die Vorderbeine zu fesseln, damit sie fressen könne. Ist sie dann nicht vermißt worden?«

»Ja. Sie war fort; sie hat sich verlaufen.«

»Nein, sie hat sich nicht verlaufen, denn ich habe sie mitgenommen. Das werde ich dir gleich auch beweisen.«

Und mich an den einen der beiden Asaker wendend, fragte ich ihn: »Kannst du ein Kamel reiten?«

»Ganz gut, Effendi,« antwortete er.

»Im Norden von Maijeh lagern deine Kameraden mit den Gefangenen. Hole sie alle schnell herbei. Du gehst jetzt das Regenbett hinab, wendest dich links und wirst in einiger Entfernung auf die Wache treffen, welche ich bei den beiden Kamelen zurückgelassen habe. Findest du sie nicht gleich, so kannst du rufen. Du besteigst die Dschebel-Gerfeh-Stute des Sklavenhändlers und reitest gerade ostwärts, am Ende des Maijeh vorüber. Bis dahin ist es Tag geworden, und du wirst meine Spur sehen, welche dich genau nordwärts nach dem Lager führt. Spute dich, und treibe auch die andern zur größten Eile an!«

Er ging. Ich fuhr zu dem Scheik fort:

»Jetzt hast du gehört, wo unser Lager ist. Du wolltest es gestern erforschen, damit wir auf offener Steppe überfallen würden; ich aber ahnte das und schlug einen Umweg ein. Während du mich im Westen suchtest, war ich längst im Norden von hier. Daß der ehrliche Mann stets gescheiter ist und weiser handelt als der Verbrecher, das könnt und wollt ihr nicht eher glauben, als bis es euch zu eurem Schaden bewiesen wird. jetzt hast du genug gehört. Willst du noch leugnen?«

»Effendi, wie viele Asaker befinden sich jetzt hier bei dir?« fragte der Feigling.

»Mehr als genug, um euch zu vernichten. Wir kamen eine Stunde vor euch hier an und haben die Höhen und, wie du bemerkt hast, auch den Eingang des Kessels so besetzt, daß nicht ein einziger von euch zu fliehen vermag. Du, der Anführer, bist bereits gefangen. Wenn du deinen Leuten befiehlst, ihre Waffen auszuliefern und sich uns zu ergeben, so will ich meinen Einfluß bei dem Emir für dich verwenden, daß deine Strafe eine möglichst milde wird.«

»Allah 'l Allah! Die Waffen abliefern. Sich ergeben! Vierzig Mann!«

»Ja, das klingt freilich anders als vorhin, da ihr so siegesgewiß bereits die Beute verteiltet! Beantworte meine Frage! Ich habe keine Zeit. Sage ja, so erhaltet ihr wenigstens das Leben; sage nein, so schießen wir euch alle über den Haufen!«

»Effendi, sei gütig, sei gnädig! Laß mich die Zahl deiner Leute sehen!«

»Du glaubst mir nicht? Ich lüge nicht; das muß dir genug sein.«

»O, du bist schlau! Was du nicht durch Gewalt fertig bringst, das suchst du durch List zu erreichen. So wird es auch hier sein, denn – – O Allah, o Muhammed! Da haben wir's! Da geht es schon los!«

Vom Kessel herab erklang ein wüstes Geschrei. Schüsse knallten; dann wurde es ebenso plötzlich ruhig.

»Da hast du den Beweis der Wahrheit meiner Worte,« sagte ich. »Komm! Du wirst meinem Körper als Schild dienen. Wenn jemand auf mich schießt, trifft die Kugel dich. Das merke dir!«

Ich zog ihn mit mir fort, wieder das Regenbett hinauf. Am Eingange des Kessels standen die acht Asaker, die Gewehre schußbereit in den Händen. Der Tag graute; man konnte jetzt zur Genüge sehen. In jenen Gegenden bricht der Tag ebenso schnell herein wie die Nacht.

»Was hat's gegeben; warum ist geschossen worden?« fragte ich.

»Da es hell geworden ist,« antwortete man mir, »wollten einige drin im Kessel emporklettern; unsere Leute verboten es von oben herab, und da nicht gehorcht wurde, so haben sie geschossen.«

»Wie steht es drin? Es ist ja schnell still geworden!«

»Die Sklavenjäger haben sich unter die Büsche verkrochen.«

»Da siehst du, welchen Mut deine Helden besitzen,« sagte ich zu dem Scheik. »Komm mit herein! Beim geringsten Anlasse aber stoße ich dir das Messer in den Leib.«

Ich hatte das Messer in der Rechten, nahm ihn mit der Linken beim Genick und schob ihn vor mir her, in den Kessel hinein. Auf einen Wink folgten mir die neun Asaker.

»Nun schaue einmal da hinauf, und sehe dir die Flinten an!« forderte ich den Scheik auf.

Die Asaker steckten hinter Felsen oder hatten Steine vor sich aufgebaut. Man sah von ihnen nichts als die Läufe der Flinten, welche von allen Seiten nach unten gerichtet waren. Ein Blick auf die Büsche brachte mich beinahe zum Lachen, obgleich meine Lage keine ungefährliche war. Wie leicht konnte einer auf mich schießen! Aber es gab keinen, welcher den Mut dazu hatte. Sie wußten übrigens noch gar nicht, von wem sie eingeschlossen waren; sie hatten nur die Gewehrläufe gesehen und sich sofort versteckt. Als ob die Büsche sie hätten schützen können! Hier sah ein Arm, ein Ellbogen, dort ein Schuh, ein nackter Fuß unter dem Grün hervor; sie alle lagen still; keiner regte sich.

»Wo hast du denn deine Helden?« fragte ich den Scheik. »Fordere sie doch einmal auf, hervorzukommen und sich zu verteidigen!«

»Der Effendi, der fremde Effendi!« klang es unter den Büschen heraus.

»Ich gebe dir nur eine Minute Zeit,« fuhr ich fort. »Hast du sie bis dahin nicht aufgefordert, die Waffen auszuliefern, so bekommst du das Messer bis an das Heft in den Leib.«

»Werde ich begnadigt?« fragte er.

»Ich verspreche dir Milde. Mehr kannst du nicht verlangen. Die Gnade steht beim Reïs Effendina. Schnell, schnell, ehe die Minute vergeht!«

Er wandte sich unter meinem Griffe hin und her; ich hob das Messer wie zum Stoße, da schrie er voller Angst:

»Laß mich los, Effendi! Ich werde thun, was du von mir forderst.«

»Von Loslassen ist keine Rede, denn du bist mein Gefangener. Befiehl deinen Leuten, einzeln hierher zu kommen, um die Waffen abzugeben und sich binden zu lassen, sowie du auch selbst gebunden wirst. Zeigt einer nur die geringste verdächtige Bewegung oder Miene, so bekommt er von den Leuten, welche da oben liegen, eine Kugel. Nun mach rasch; ich habe keine Zeit!«

Die Todesangst veranlaßte ihn, den betreffenden Befehl zu erteilen. Seine Leute gehorchten, indem einer nach dem andern unter dem Gesträuch hervorgekrochen kam. Nach Verlauf einer Viertelstunde waren sie alle entwaffnet und gefesselt. Der erste Akt des heutigen Dramas hatte sich ganz nach meiner Erwartung und ganz so, daß wir zufrieden sein konnten, abgespielt.

Nun galt es, die Ankunft meines Ben Nil mit der Karawane zu erwarten. Ich stieg das Regenbett hinab und setzte mich draußen nieder. Es verging fast eine Stunde, ehe ich sie kommen sah. Ben Nil ritt mit dem Boten, der auf dem Kamele saß, voran. Als sie mich erblickten, trieben sie ihre Tiere an, um noch vor der Karawane bei mir anzukommen.

»Effendi, wir hatten Sorge um dich,« meinte der treue Jüngling, als er sein Tier bei mir niederknieen ließ und aus dem Sattel sprang. »Du kehrtest bis zum Morgen nicht zurück, und da glaubten wir, es sei dir ein Unfall passiert. Sind die Feinde in deine Hände geraten?«

4a. Wissen eure Gefangenen davon?«

»Nein, denn dein Bote hat leise mit uns gesprochen. Aber sie haben die Dschebel-Gerfeh-Stute gesehen und müssen sich sagen, daß sie Ibn Asl, ihrem Herrn, abgenommen worden ist. Daraus können sie natürlich schließen, daß es ein Ereignis gegeben hat, welches demselben, wenn nicht gefährlich, so doch wenigstens unwillkommen gewesen ist. Wo sind die Leute, welche du ergriffen hast?«

»Sie stecken da oben in einer Schlucht. Wir werden deine Gefangenen zu ihnen bringen, die Kamele aber unter der Aufsicht einiger Leute hier unten lassen.«

Als die Karawane ankam, wurden die Gefangenen von den Kamelen gebunden; die Füße ließen wir ihnen frei, damit sie nach dem Kessel des Regenbettes laufen könnten. Man sah es ihnen an, daß der Anblick des Kameles sie mit Befürchtungen erfüllt hatte. Sie warfen auffällig forschende Blicke umher und tauschten leise Fragen und Antworten aus. Nur der Fakir el Fukara und Abd Asl gaben sich den Anschein, als ob sie nichts bemerkt hätten und sich ganz sicher fühlten.

»Effendi,« fragte der erstere, »warum werden wir hierher gebracht? Was sollen wir hier?«

»Ich will euch eine frohe Überraschung bereiten,« antwortete ich.

»Spottest du unser? Es scheint, daß wir etwas Frohes von dir nie zu erwarten haben. Ich bin durch die Schuld eines der obersten Teufel in deine Gewalt geraten, und obgleich ich dir nichts gethan habe, schleppst du mich wie ein wildes Tier mit dir herum. Du bist weder Herr meiner Person noch Besitzer meiner Rechte. Ich verlange, daß du mich losbindest und mir ein Kamel giebst, wie du mir versprochen hast, damit ich in meine Heimat reiten kann.«

»Wo ist diese Heimat?«

»Für jetzt in Chartum.«

»So gedulde dich nur noch eine kleine Weile; dann wirst du in Begleitung vieler deiner Freunde nach dort reiten können.«

»Ich mag keine Begleitung. Ich bin allein zu dir gekommen und will auch wieder allein gehen. Du mußt mich fortlassen, denn du hast keine Macht über mich.«

»Und über uns auch nicht!« behauptete Abd Asl.« Woher nimmt der Reïs Effendina die Erlaubnis, dir seine Rechte abzutreten? Und wenn er dies thun dürfte, warum schleppst du uns nach allen möglichen Richtungen hier in der Steppe herum? Ich verlange, nach Chartum gebracht zu werden!«

»Dieser Wunsch wird dir sehr bald in Erfüllung gehen,« sagte ich ihm.

»Wann aber denn? Heute haben wir einen Umweg hierher machen müssen. Meinst du etwa, daß dies klug von dir gehandelt ist? Wenn du meinem Sohne begegnest, was doch sehr leicht geschehen kann, so bist du unbedingt verloren.«

»Ich bin ihm schon wiederholt begegnet, ohne verloren gewesen zu sein.«

»Du hattest ein Glück, welches du gewiß nicht wieder haben wirst. Läufst du ihm noch einmal in den Weg, so bist du von Allah gerichtet! Du weißt, wie viele Krieger er bei sich hat. Hier in der Steppe könntest du nicht gegen ihn aufkommen. Er würde dich mit deinem Häuflein zerdrücken! Der Prophet kann unmöglich dulden, daß ein Christ sich ungestraft so über uns erhaben dünkt. Das Schwert seiner Rache flammt schon über dir. Wer weiß, nach wie wenigen Augenblicken schon es dich treffen und zerschmettern wird!«

»Ich werde dir zeigen, über wem es flammt. Folgt mir jetzt diesen Weg hinauf!«

Die Kamele waren abgesattelt worden und weideten im Grase. Drei Asaker blieben bei ihnen zurück. Die andern Soldaten nahmen die Gefangenen zwischen sich und führten sie hinter mir her das Regenbett empor. Es läßt sich denken, wie die letzteren erschraken, als sie, oben angekommen, vierzig Kameraden gefangen an der Erde liegen sahen. Abd Asl schrie vor Wut laut auf und überflutete mich dann mit solchen Grobheiten und Beleidigungen, daß mein Ben Nil sich sofort der Peitsche bediente, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die andern verhielten sich still; sie wurden alle wieder an den Füßen gebunden und zu den übrigen gelegt.

Jetzt konnte ich aufbrechen. Die zwanzig Mann, welche ich mit bei den Fessarah gehabt hatte, blieben da, um die Gefangenen und die Kamele zu bewachen; die vierzig, welche mir der Reïs Effendina gestern mitgegeben hatte, begleiteten mich. Eigentlich sollte Ben Nil die ersteren befehligen; aber er bat mich so dringend, ihn mitzunehmen, daß ich ihm die Erlaubnis dazu gab. Ich konnte dem Fessarah-Führer und dem alten Asaker, welcher den Befehl über seine Kameraden schon einmal geführt hatte, gar wohl das nötige Vertrauen schenken. An eine Überrumpelung war nicht zu denken, und da die Gefangenen gut gefesselt waren, so gab es gar keinen Grund, die zwanzig Asaker, deren Treue unzweifelhaft war, noch durch einen besondern Vertrauensmann überwachen zu lassen. Sie hätten sich überhaupt dadurch beleidigt fühlen können.

Es war bestimmt worden, daß ich eine Stunde nach der Morgenröte den Dschebel Arasch Qol erreichen werde. Als wir jetzt aufbrachen, war es etwas später, was aber keineswegs von Nachteil sein konnte. Ich schärfte den zurückbleibenden Asakern auf das entschiedenste ein, gute Wache zu halten, gab ihnen für gewisse Fälle, deren Eintreten immerhin im Bereiche der Möglichkeit lag, bestimmte Verhaltungsmaßregeln und war nun überzeugt, daß keine Unregelmäßigkeit, kein Fehler, vorkommen werde. Es war mir undenkbar, damit einen Fehler begangen zu haben, und doch hatte ich mich, wie sich später zeigte, eines zu großen Vertrauens schuldig gemacht.

Während ich mich gestern auf der Ostseite des Maijeh gehalten hatte, marschierten wir jetzt auf seiner westlichen Seite nach Norden. Der Raum zwischen ihm und dem Berge war hier von der Breite einer Viertelstunde, doch gab es verschiedene Aus- und Einbuchtungen, durch welche diese Breite zeitweilig verringert oder vergrößert wurde. Der Berg war oben kahl und nur an seinem Fuße mit Grün bestanden. Je weiter wir kamen, desto höher stieg er an und desto steiler wurden seine Felsen, auch trat der Maijeh immer weiter zu ihm heran.

Nachdem wir längere Zeit gegangen waren, näherte sich der Sumpf von rechts her so weit, daß wir stellenweise nur zu zweien nebeneinander gehen konnten. Vor uns tauchten einzelne Laubbäume auf, deren Blätter unpaarig gefiedert waren. Ich erkannte sie schon von weitem. Es waren die Gafulbäume, welche uns andeuteten, daß wir uns der Stelle näherten, an welcher wir auf Ibn Asl und seine Leute zu treffen rechneten. Als ich Ben Nil, welcher neben mir ging, darauf aufmerksam machte, sagte er: »Wollen wir nicht halten bleiben, Effendi? Es muß einer heimlich vorkriechen, um zu erkunden, wo die Sklavenjäger stecken.«

»Das ist überflüssig. Es ist ja heller Tag.«

»Aber du hast dich auch schon bei Tage angeschlichen!«

»Weil das Terrain es mir erlaubte. Hier aber ist die Örtlichkeit, auf welcher man sich bewegen kann, zu schmal. Ibn Asl hat jedenfalls einen Posten ausgestellt. Dieser braucht nur auf den schmalen Weg zu achten, um einen etwaigen Kundschafter von uns sofort gewahren zu können. Nein, wir marschieren ruhig weiter.«

»Dann laufen wir ihnen doch gerade in die Hände!«

»Das will ich ja! Man wird keineswegs sofort auf uns schießen, sondern uns anrufen. Ibn Asl will mich lebendig haben; er hat jedenfalls Befehl gegeben, nicht auf mich zu schießen. Wenn ich also vorangehe, seid ihr sicher. Bleib mit den andern ein wenig zurück, und laß mich ungefähr dreißig Schritte weit vor euch herschreiten. Wenn ich stehen bleibe, so bleibt auch ihr solange halten, bis ich euch befehle, heranzukommen.«

»Ich muß dir leider gehorchen, möchte aber lieber an deiner Seite bleiben, denn die Entscheidung liegt ganz nahe vor uns.«

»Noch nicht. Ibn Asl wird sich nicht eher zeigen, als bis wir uns mitten in der eigentlichen Enge befinden, die wir noch gar nicht betreten haben.«

»Aber wenn der Reïs Effendina dann noch nicht zur Stelle ist!«

»So hätte es auch keine Gefahr für uns. Wir würden ihm Ibn Asl zutreiben. Zu befürchten wäre für uns nichts, da wir ja keinen Feind hinter uns haben. Es wäre nur der eine Nachteil zu befürchten, das Ibn Asl uns entkommen könnte.«

Wir setzten den Weg in der angedeuteten Weise fort. Ich ging allein voraus, und die andern folgten mir in der angegebenen Entfernung. Als ich die ersten Gafulbäume passiert hatte, bog der hier nun ganz schmal werdende Weg scharf nach rechts ab, denn die bereits erwähnte Bucht des Sumpfes begann hier an dieser Stelle. Sie trat von links her weit in den Felsen hinein. Dieser stieg senkrecht empor und bildete, um mich so ausdrücken zu dürfen, einen halben Hohlcylinder, an dessen Wand der Fuß eines Menschen unmöglich zu haften vermochte. Zu meiner linken Hand lag der Sumpf, vollständig mit Omm Sufah bedeckt, zwischen welcher einzelne freie, ölig glänzende Wasserstellen wie triefende Hexenaugen zu mir heraufstarrten. Von der obern Kante der Felsen waren Steine abgebrochen und heruntergestürzt. Sie lagen neben- und übereinander, von feuchtem Moose überzogen oder von verwesenden, stinkigen Pflanzenresten bedeckt, durch oder über welche der oft ausgleitende Fuß nur mit Vorsicht schreiten durfte.

Wer hier von vorn und zugleich von hinten angegriffen wurde, der konnte sich unmöglich wehren, der mußte sich ergeben. Rechts boten ihm die unersteiglichen Felsen keinen Weg zur Flucht, und links gähnte der Sumpf, aus dessen Schilf die widerlichen Köpfe unzähliger Krokodile glotzten. Es war so recht ein Ort des Schreckens, des Verderbens. Also ich allein sollte hier geschont werden, um für noch viel entsetzlichere Qualen aufgehoben zu sein; meine Asaker aber sollten in den Sumpf gedrängt, hineingeschleudert werden, ein Fraß für die Saurier, welche da unten in solcher Menge vorhanden waren, daß es schien, sie könnten nur dadurch das Leben fristen, daß die stärkeren die schwächeren verzehrten.

Wäre es unmenschlich gewesen, wenn ich den Sklavenjägern ganz das gleiche Schicksal bereitete? Wieviel Blut klebte an ihren Händen! Wieviele tausend und aber tausend Neger waren von ihnen unglücklich gemacht worden! Es schien mir, als sei es für sie keine zu harte, sondern nur eine sehr gerechte Strafe, sie in den Maijeh hinabzustoßen. Wie du mir, so ich dir, das ist das Gesetz der Wüste ebenso wie dasjenige der Prairie, der Savanne, der Pampas und Llanos Südamerikas, und wenn – – aber ich konnte diesen Gedanken nicht vollständig ausdenken, denn gar nicht weit von mir ertönte eine laute, gebieterische Stimme:

»Halt, keinen Schritt weiter, sonst schießen wir!«

Ich blieb stehen und blickte scharf nach vorn. Da standen zwei Gafulbäume nebeneinander, und vor denselben lagen einige große Felsstücke, hinter denen drei Männer versteckt sein mußten, denn ich sah ebensoviele Gewehrläufe, welche auf mich gerichtet waren – eine fatale Situation, denn es bedurfte dort nur eines Fingerdruckes, so fuhr mir das tödliche Blei in den Körper.

»Wer bist du denn?« fragte ich, indem ich that, als ob ich nur einen vor mir zu haben glaubte.

»Ich bin ein alter Bekannter von dir. Willst du mich sehen?« antwortete es.

»Natürlich!«

»Lege deine Waffen weg, dann trete ich hervor!«

»Daß ich ein Thor wäre!«

Ich that einen Sprung nach dem nächsten Baume, hinter dessen Stamm ich vollste Deckung fand. Diese Leute befanden sich jedenfalls in Verlegenheit. Sie waren zur rechten Zeit hier eingetroffen und warteten auf das Zeichen, welches ihnen der Scheik el Beled hatte geben wollen. Ich war ihnen auf den Leib gerückt; sie konnten mich unmöglich näher kommen oder gar vorüber lassen, und doch hatten sie sich erst dann sehen lassen sollen, wenn der Schuß des Scheiks gefallen war. Was nun thun? Durch Redensarten Zeit gewinnen? Fast schien es so, denn der Sprecher erwiderte:

»Wir können dich leicht zwingen, wenn wir nur wollen; aber du sollst auf friedliche Weise erfahren, was wir von dir verlangen.«

»So sage es!«

»So nicht. Laß deine Waffen zurück, und komm bis zu dem Steine, der mitten zwischen uns liegt! Ich werde dasselbe thun.«

»Gut, ich komme. Aber wenn ich nur die geringste Waffe, das kleinste Messer bei dir bemerke, fährst du dorthin, von wo du nicht wiederkommen kannst!«

Ich steckte die Revolver in die Hosentaschen, lehnte das Gewehr an den Stamm und legte das Messer daneben. Ich hätte die Revolver ruhig zurücklassen können, denn ich war meiner Sache vollständig sicher. Ein Blick nach rückwärts belehrte mich, daß meine Leute halten geblieben waren. Die Vordersten von ihnen, dabei Ben Nil, standen hinter einem Gebüsch, welches ein Eck bildete; sie konnten zwar von mir, nicht aber von dem, der mit mir sprach, gesehen werden. Wer dieser war, das wußte ich, denn ich hatte ihn an der Stimme erkannt. Es war der Oberlieutenant von Ibn Asl. Warum aber redete mich dieser nicht selbst an?

Ganz getrost hinter meinem Baume hervortretend, ging ich nach dem mir bezeichneten Steine und blieb dort stehen. Da ließ sich auch der Oberlieutenant sehen; er kam auf mich zu, blieb einige Schritte vor mir stehen und fragte in höhnischem Tone:

»Mich hast du hier wohl nicht erwartet?«

»Ja und auch nein,« antwortete ich ruhig. »Ich wußte, daß ich von euch hier erwartet werde. Und sage auch nein, weil ich glaubte, nicht von dir, sondern von Ibn Asl angeredet zu werden.«

»Allah! Du wußtest, daß wir hier auf dich warten?«

»Pah! Ich weiß noch mehr; ich weiß alles. Jetzt wartest du auf das Zeichen, welches der Scheik el Beled euch geben wollte. Oder ist's nicht so, daß ein Schuß aus seiner Flinte euch den Beginn der Feindseligkeit andeuten sollte?«

»Allah ist allwissend. Er hört, sieht und kennt alles. Wie aber kannst du von dem Scheik und seiner Absicht wissen!«

»Das werdet ihr erfahren. Rufe Ibn Asl herbei!«

»Er ist nicht da.«

»Ich weiß, daß er sich hier befindet!«

»Du weißt es? So ist deine berühmte Allwissenheit doch nicht so bedeutend, wie du uns glauben machen willst. Wenn du wüßtest, wo Ibn Asl sich jetzt befindet, so würdest du dich weit weniger zuversichtlich, als du jetzt bist, zeigen!«

Diese Worte gaben mir zu denken. Hätte ich doch Ben Nil bei den Gefangenen zurückgelassen! Ich ahnte nämlich jetzt sofort, daß Ibn Asl seinen Plan, soweit es nämlich seine Person betraf, geändert habe. Er traute dem Scheik wohl nicht genug Umsicht zu und hatte darum das Kommando hier seinen beiden Offizieren übergeben und war nach dem nördlichen Ende des Maijeh gegangen, um die dortigen vierzig Sklavenhändler hinter mir herzuführen. Glücklicherweise war er zu spät dort angekommen. Wir hatten diese Leute gefangen genommen. Wenn ich mir nun auch sagte, daß er allein sie unmöglich befreien könne, so konnte er doch noch Leute bei sich haben, oder es konnte irgend ein Zufall ihm eine unvorhergesehene Gunst erweisen. Auf alle Fälle aber stand uns seine Gefangennahme nicht so sicher bevor, wie wir bisher geglaubt hatten. Natürlich ließ ich mir von meiner Besorgnis nichts merken, sondern antwortete mit einem überlegenen Lächeln:

»Wo er sich befindet, brauchst du mir nicht zu sagen. Er ist hier am Maijeh. Steht er nicht da vorn bei den sechzig Mann, so ist er zu den vierzig Mann gegangen, welche in dem Thalkessel des Regenbettes auf mich warten sollten.«

»Ja latif – du meine Güte! Er weiß es von dem Regenbette!« rief der Oberlieutenant. »Wer hat es dir verraten?«

»Ich weiß es; das ist genug. Ich habe dir schon gesagt, daß ich alles weiß. Ihr Dummköpfe solltet euch nun endlich doch einmal sagen, daß ihr mich nicht täuschen oder mir gar eine Falle, in der ich mich fange, stellen könnt. Die Falle, in welcher wir uns jetzt befinden, habe ich euch gestellt, nicht ihr uns.«

»Du? Und diese Falle?« lachte er höhnisch auf. »Ich will nicht sagen, daß Allah dich mit Blindheit geschlagen hat, denn du hast bisher nur mich sehen können; aber ich will dir mitteilen, daß du mit deinen zwanzig Asakern rundum eingeschlossen bist. Du hast uns vorhin Dummköpfe genannt, und doch ist mir noch nie im Leben so ein Dummkopf, wie du bist, vorgekommen!«

»Wirklich? Willst du mir das beweisen, du Klugkopf aller Klugköpfe?«

»Der Beweis ist sehr leicht. War es nicht die größte Dummheit, die es geben kann, daß du dem Scheik el Beled erzähltest, daß du die Absicht hattest, deine Gefangenen hierher zu führen, um sie den Krokodilen vorzuwerfen?«

»Eine Dummheit ist das gewesen? Mann, ich möchte vor Mitleid über dich weinen! Nicht eine Dummheit war es, sondern eine sehr schlaue Berechnung, welche sich in diesem Augenblicke als ganz richtig erweist.« Und nun erzählte ich ihm, wie ich es angefangen und was ich bereits erreicht hatte. Da schlug er die Hände zusammen und rief aus:

»O Allah, o Muhammed! Das – das – das soll man glauben?!«

»Wenn du es nicht glauben willst, wirst du es glauben müssen. Wo ist der Scheik mit seinen vierzig Männern? Warum giebt er nicht das verabredete Zeichen? Warum schießt er nicht?«

»Er kommt noch; er kommt ganz sicher noch! Und wenn er nicht käme, so dürftest du doch nicht triumphieren. Du hast nur zwanzig Mann bei dir; wir aber sind noch über sechzig Köpfe und werden – –«

»Nichts werdet ihr, gar nichts! Ihr könnt nichts anderes thun als euch auf Gnade und Ungnade ergeben.«

»Hältst du uns für wahnsinnig?«

»Da ihr so bereitwillig und unüberlegt in meine Falle gelaufen seid, sollte ich euch freilich für unsinnig halten. Aber du gehst mit dieser deiner Frage von einer sehr falschen Voraussetzung aus. Du glaubst, den Rücken frei zu haben; dies ist aber keineswegs der Fall, denn hinter euch steht jetzt der Reïs Effendina mit seinen Asakern.«

»Der – Reïs – Effen – dina?« stotterte er. »Du lügst!«

»Ich sage die Wahrheit. Und auch ich habe nicht zwanzig Köpfe, sondern viel, viel mehr bei mir. Zwanzig hatte ich erst, und ich habe dir ja gesagt, daß mir gestern abend der Reïs Effendina noch andere Leute mitgegeben hat. Ich fordere dich hiermit auf, die Waffen zu strecken. Wenn du dich dessen weigerst, wird mit euch geschehen, was ihr uns thun wolltet: wir werden euch den Krokodilen vorwerfen.«

»Effendi, was fällt dir ein! Du willst mich durch Lügen – –«

»Sei still, und beleidige mich nicht!« unterbrach ich ihn in strengem Tone. »Ich will die Gnade haben, dir die Wahrheit meiner Worte zu beweisen, damit unnützes Blutvergießen verhütet werde; – – Reïs Effendina –! Emir –!«

Ich rief diese beiden Namen, indem ich die beiden Hände hohl an den Mund legte, über den Busen des Sumpfes hinüber.

»Hier sind wir, Effendi, hier!« ertönte die Antwort, und zwar aus viel größerer Nähe, als ich sie zu hören geglaubt hatte.

»Nun?« fragte ich den Oberlieutenant. »Hörst du an dem Schalle, daß der Emir nicht zweihundert Schritte von mir steht?«

»War er das?«

»Wer sonst soll es gewesen sein? Mein Ruf hat ihm gesagt, daß ich da bin, und nun wird er vorwärts rücken. Ich rate dir, dich zu ergeben. Du sollst auch meine Leute sehen.«

Ich wendete mich rückwärts und winkte. Da brach Ben Nil mit seinen vierzig Asakern hinter dem Gesträuch hervor und kam schnell herbei. Die Leute hielten ihre Gewehre schußbereit. Zwar mußten sie hintereinander gehen; aber da der Weg einen Bogen machte, brauchten sie sich nicht bloß nach vorn zu richten, sondern konnten ihre Kugeln über den Busen hinüber und zu den Sklavenjägern senden. Als der Oberlieutenant diese meine Leute kommen sah, rief er aus:

»O Allah! Das sind ja fast hundert Mann! Ich lasse mich nicht von ihnen erwischen. Effendi, ich gehe, ich gehe!«

Er sprang nach den Bäumen, hinter welchen er gesteckt hatte und holte sein Gewehr. Dann eilte er noch weiter zurück, gefolgt von den beiden andern, die ihm dort Gesellschaft geleistet hatten. Wir avancierten eine kurze Strecke hinter ihm her, bis ich sah, daß es leidliche Deckung für uns gab. Ich glaubte nicht, daß es zum Kampfe kommen werde, dennoch stellte ich meine Leute so, daß sie hinter Steinen, Bäumen oder Büschen möglichst verborgen steckten.

Nun wartete ich, was geschehen werde. Ich war bereit und mußte vorerst erfahren, was auf der Seite unsers Emir geschah. Der Oberlieutenant hatte einen heilsamen Schreck erhalten. Er war von der langen Einzellinie meiner Leute so getäuscht worden, daß er sie für viel zahlreicher hielt, als sie waren. Das konnte mir nur lieb sein. Für je übermächtiger er uns hielt, desto größer mußte seine Besorgnis sein und also auch seine Bereitwilligkeit, sich zu ergeben.

Da hörte ich jenseits des Busens laute Stimmen; die Worte aber, welche gesprochen wurden, konnte ich nicht verstehen. Dann erdröhnte ein Schuß, noch einer, ein dritter und ein vierter. Menschen schrieen. Dann wurde es plötzlich wieder ruhig. Eine Viertelstunde verging. Da kam ein Mann um die Krümmung des Weges; er trug die Uniform der Asaker des Emirs. Ich trat hinter dem Baume, an welchem ich stand, hervor. Ich kannte ihn; ein Betrug war unmöglich. Als er mich sah, kam er schnell auf mich zu.

»Die Sklavenjäger haben dich durchgelassen?« fragte ich voller Hoffnung.

»Ja, Effendi; sie mußten, denn sie haben die Waffen gestreckt,« antwortete er.

»Gott sei Dank! Aber es fielen Schüsse!«

»Der Emir wollte ihnen zeigen, daß wir Ernst machen. Es sind vier von ihnen erschossen worden; dann erst baten die beiden Offiziere um Gnade. Nun sollst du mit deinen Leuten näher kommen, um mitzuhelfen, den Gefangenen die Hände zu binden.«

Auf diese Weisung hin marschierten wir vorwärts und stießen sehr bald auf die ersten Feinde. Diejenigen, welche ich sehen konnte, hielten ihre Gewehre noch in den Händen, machten aber keine Miene, sie gegen uns zu gebrauchen.

»Effendi!« hörte ich die Stimme des Emirs rufen.

»Hier!« antwortete ich.

»Die Gegner legen die Waffen nieder und werden, die Hände hinten gefesselt, immer einer an den andern gebunden, so daß sie eine Einzelreihe bilden und so auf dem schmalen Wege transportiert werden können. Laß keinen entkommen. Wir marschieren nach dem Regenbette.«

Dieses Arrangement war bei der Schmalheit des Weges das einzig richtige. Oft konnten nur zwei nebeneinander stehen. Die Stricke und Riemen zum binden, ebenso die erbeuteten Waffen, mußten von dem einen dem andern zugereicht werden. Als ich vorn fertig war und der Emir von sich dasselbe gemeldet hatte, setzten wir uns in Bewegung, zunächst meine Asaker voran, darauf die Gefangenen und dann der Emir mit seinen Leuten. Nachdem später der Weg breiter geworden war, bildeten wir aus der Einzelreihe der Sklavenjäger eine doppelte, neben welcher die Asaker hermarschierten, immer ihre Waffen zum Gebrauche bereit, um einen etwaigen Fluchtversuch zu vereiteln. Später konnten wir es uns noch bequemer machen, und da kam auch der Emir nach vorn, um mit mir zu sprechen. Er war natürlich ebenso wie ich über das Gelingen unseres Unternehmens erfreut, ärgerte sich aber auch in demselben Grade darüber, daß wir Ibn Asl nicht mit erwischt hatten.

»Wo mag er stecken?« fragte er.

»Hat der Oberlieutenant es dir nicht gesagt?«

»Er gestand mir, daß er nach dem Regenbette sei. Dieser Gedanke scheint ihm erst gegen Morgen gekommen zu sein. Vielleicht ergreifen wir ihn noch.«

»Schwerlich! Nämlich wenn er nicht schon ergriffen worden ist.«

»Von unseren Wächtern am Kessel des Regenbettes?«

»Nein, sondern von den Kamelwächtern. Ehe er den Kessel erreichen konnte, mußte er an diesen Leuten vorüber.«

»Wieviele sind es?«

»Solange ich dort anwesend war, hielt ich drei Personen für ausreichend; aber als ich fortging, befahl ich, daß noch zwei dazu kommen sollten.«

»Das genügt vollständig. Gegen fünf Mann hat Ibn Asl unmöglich etwas machen können.«

»Durch Gewalt wohl nicht, aber ob auch nicht durch List –?!«

»Welche List hätte er in Anwendung bringen können?«

»Hm! Ist er allen deinen Asakern persönlich bekannt?«

»Nein.«

»So steht zu erwarten, daß er sich für einen andern ausgegeben hat. Ist ihm Glauben geschenkt worden, so kann er uns wohl bedeutenden Schaden angerichtet haben.«

»Das ist wahr. Wollen uns beeilen!«

»Soll ich nicht lieber vorausgehen? je eher einer von uns ankommt, desto leichter ist ein etwa vorgefallener Fehler gut zu machen.«

»Ja, eile vor uns her, und nimm deinen Ben Nil mit, auf den du dich verlassen kannst! Wir kommen so schnell wie möglich nach.«

Es zeigte sich leider, daß meine Befürchtung nicht unbegründet gewesen war. Als ich mit Ben Nil an die Nordseite des Berges gelangte und da die weidenden Kamele erblickte, sah ich zugleich etwas, was mir bewies, daß nicht alles in Ordnung sei. Außerhalb des Platzes, auf welchem sich die Kamele befanden, standen fünf Wächter, und innerhalb dieses Halbkreises, da, wo das Regenbett in den Berg zu schneiden begann, gab es eine Gruppe von Menschen, welche sich nicht hier befinden durften, wenn nichts Regelwidriges geschehen war. Es waren fünf Personen. Zwei lagen an der Erde, und drei kauerten bei ihnen, indem sie sich mit ihnen beschäftigten. Als diese drei uns kommen sahen, sprangen sie auf und blieben stehen, um unser Nahen zu erwarten. Es war der Fessarahführer, der alte Askari, dem ich den Befehl übergeben hatte, und noch ein Soldat. Schon von weitem sah ich es ihnen an, daß sie sich in einer nicht ungewöhnlichen Verlegenheit befanden.

»Was ist denn geschehen?« fragte ich sie. »Warum liegen diese zwei, ohne sich zu bewegen, an der Erde?«

»Sie sind – – verwundet, Effendi,« antwortete der Alte.

»Von wem?«

»Von einem Fremden.«

»Wie ist das möglich gewesen? Kanntet ihr den Mann?«

»Nein. Ich habe ihn gar nicht gesehen, und dieser da,« – er deutete auf den Soldaten – »welcher mit Wache stand, hat ihn nicht gekannt.«

»Und die andern Wächter?«

»Ob diese den Mann gekannt haben, weiß ich nicht; ich kann sie nicht darnach fragen, da sie ohne Besinnung sind.«

»Aber das sind zwei, und dieser Soldat hier, das ergiebt drei; ich hatte aber doch befohlen, daß fünf bei den Kamelen sein sollten!«

»Effendi, es sind jetzt ja fünf Mann da!« meinte der Alte, indem er die Augen niederschlug.

»Fünf!« zürnte ich. »Jetzt sind in Summa zehn Mann hier; also befinden sich nur zehn, anstatt fünfzehn Personen droben bei den Gefangenen. Was ist das für eine Wirtschaft! Wenn du meinen Anordnungen nicht besser Gehorsam leistest, ist es freilich nicht zum verwundern, daß solche Dinge geschehen. Du bist der älteste der Asaker; aber hätte ich einem Kinde den Oberbefehl übergeben, so wären meine Weisungen jedenfalls gewissenhafter befolgt worden. Und diese beiden Männer sollen nur verwundet sein?«

»Ich denke es, Effendi; ich hoffe es, daß sie nur besinnungslos sind und bald wieder zu sich kommen.«

»Habt ihr euch mit ihnen beschäftigt?«

»Schon seit einer Stunde; sie wollen aber trotz unserer Bemühungen nicht erwachen.«

»Das glaube ich wohl. Sieh doch ihre Gesichter an! Das sind hippokratische Züge. Wollen einmal sehen!«

Ich kniete nieder, um die Verwundeten, welche in einer Blutlache lagen, zu untersuchen. Der eine war in den Hinterkopf und der andere in die Brust geschossen. Man hatte ihnen nicht einmal die Jacken geöffnet. Sie waren tot.

»Mensch,« fuhr ich den Alten zornig an, »hast du denn keine Augen gehabt! Diese beiden Leute sind nach den Schüssen, welche sie erhielten, sofort tot gewesen. Und nun will ich wissen, wie dieses Unglück geschehen konnte und wie es geschehen ist!«

»Effendi, frage den; der war dabei!«

Er deutete auf den Soldaten.

»Erzähle!« gebot ich diesem.

»Herr,« begann dieser zaghaft, »mich trifft keine Schuld; das glaube mir! Wir drei hatten eben die Wächter abgelöst – –«

»Ihr drei?« fiel ich ihm in die Rede. »Also sind es selbst nach der Ablösung trotz meines bestimmten Befehles nur drei Posten gewesen?«

»Ja; aber ich kann nicht dafür.«

»Das weiß ich, denn du warst es ja nicht, der zu bestimmen hatte. Weiter!«

»Also wir drei hatten eben die Wächter abgelöst, als wir einen Mann sahen, der um den Sumpf herum und über die Steppe kam. Seine eiligen Schritte waren gerade auf uns gerichtet; aber als er uns erblickte, blieb er wie erschrocken stehen. Dann kam er langsam auf uns zu.«

»Er war bewaffnet?«

»Ja. Ich stand ihm am nächsten und rief ihn an. Er gehorchte, blieb stehen und kam erst dann vollends heran, als ich ihm die Erlaubnis dazu erteilt hatte.«

»Das war ein Fehler. Entweder durftet ihr ihn gar nicht heranlassen, oder ihr mußtet ihn gefangennehmen.«

»Dieses letztere wollten wir ja auch, und nur darum erlaubten wir ihm, zu uns zu kommen.«

»Fragte er, wer ihr seid?«

»Ja.«

»Und du antwortetest?«

»Ja. Es gab doch keinen Grund, ihm zu verschweigen, daß wir Asaker des Reïs Effendina sind!«

»Es gab wohl Grund, und zwar allen, allen Grund! Du hast da eine Albernheit begangen, welche ganz unverzeihlich ist. Er wollte erfahren, wen er vor sich hatte, um darnach seine Antworten und Auskünfte einzurichten. Siehst du das nicht ein? Er war klüger als ihr. Ich muß unbedingt ganz genau erfahren, was geschehen ist; ich muß jedes Wort wissen, was gesprochen wurde, womöglich sogar die Reihenfolge der Fragen und Antworten. Besinne dich also, und gieb ehrlich Auskunft! Nur dadurch kannst du dir meine Verzeihung, welche du gar nicht verdient hast, erwerben. Also er fragte zuerst, was?«

»Wer wir seien. Ich sagte es ihm. Dann wollte er wissen, wo unsere Kameraden seien. Ich wollte es ihm nicht sagen, und da teilte er mir mit, daß er ein Freund des Emirs sei.«

»Das glaubtest du?«

»Nicht sofort. Ich war vorsichtig, Effendi, und sagte ihm in das Gesicht, daß seine Worte Lügen seien. Da aber begann er, sehr stolz zu sprechen. Er behauptete, ein Eilbote des Gouverneurs von Chartum zu sein; er sei an den Reïs Effendina abgesandt, um diesem höchst wichtige Befehle zu bringen.«

»Der Gouverneur von Chartum hat dem Emir nichts zu befehlen!«

»Das wußte ich nicht. Er gab sich für einen hohen Offizier, nämlich für einen Mir Alaj aus und sprach in einer so befehlshaberischen Weise zu uns, daß wir ihm Glauben schenken mußten.«

»Mußten? Wenn ein Hund dich anbellt, anstatt demütig zu winseln, mußt du ihn deshalb für einen Löwen halten? Doch weiter! Er hat sich jedenfalls nach allem erkundigt?«

»Ja. Er kannte auch dich und sprach so freundlich von dir, daß unser Mißtrauen völlig schwand. Er wollte wissen, wo du seist, wo die Gefangenen sich befänden; kurz, wir mußten ihm alles, alles sagen.«

»Daß die Gefangenen da oben im Kessel des Regenbettes sind?«

»Ja. Wir mußten ihm erzählen, wie die vierzig Mann heute früh in unsere Hände geraten seien.«

»So erfuhr er auch, daß der Reïs Effendina sich hier am Maijeh befindet und wieviel Asaker er bei sich hat?«

»Auch das.«

»Sagtet ihr auch, in welcher Weise wir In Asl fangen wollten?«

»Darnach fragte er uns ganz besonders und eindringlich.«

»Nun, da haben gerade die richtigen Kerle für ihn dagestanden. Er konnte sie sich gar nicht dümmer und leichtgläubiger wünschen! Wo habt ihr nur eure Köpfe und eure Gedanken gehabt! Diesem fremden Manne alles, alles zu sagen, anstatt ihn festzunehmen und ihm bis zu meiner Rückkehr alles zu verheimlichen, wie es eure Pflicht und Schuldigkeit war! Wie sah er aus?«

»Er trug einen weißen Haïk, Effendi.«

»Seine Gestalt?«

»Er war nicht lang, aber sehr breit.«

»Sein Gesicht?«

»Es war ganz von einem schwarzen Vollbart bedeckt.«

»Dachte es mir! Weißt du denn, du Sohn, Enkel und Urenkel eines Großvaters der Albernheit, mit wem du da gesprochen und wem du diese wichtigen Dinge verraten hast? Ibn Asl war es, der berüchtigte Sklavenjäger, der Anführer unserer Feinde in eigener Person!«

»Allah w'Allah! Wäre es möglich?!«

»Natürlich! Denn bei dir ist alles möglich, selbst die allerunmöglichste Kopflosigkeit, wie du ja bewiesen hast! Was that er denn, nachdem du ihm eine so schöne und ausführliche Auskunft erteilt hattest?«

»Er verlangte mit demjenigen zu sprechen, dem du das Kommando hier übergeben hättest.«

»Gut! Weißt du denn, was eigentlich nun geschehen mußte?«

»Was, Effendi? Ich glaube keinen Fehler gemacht zu haben.«

»Hättet ihr richtig gehandelt, so stände es jetzt hier anders. Während einer von euch hier bei den Kamelen blieb, mußten die beiden andern ihm die Waffen abfordern und ihn dann in die Mitte nehmen, um ihn zu dem Kommandierenden zu bringen. Habt ihr dies etwa gethan?«

»Nein, das nicht.«

»Und warum nicht?«

»Weil er befahl, es sollte einer von uns gehen, um den Kommandanten zu holen.«

»Und wer ging?«

»Ich.«

»Das hat dir das Leben gerettet. Drei waren ihm doch zu viel und zu gefährlich; darum schickte er einen fort, um mit den andern leichter fertig werden zu können. Erzähle weiter!«

»Ich ging. Ich hatte doch noch Verdacht gegen ihn und blieb, als ich mich zwischen den hohen Ufern des Regenbettes befand, stehen, um zu überlegen, ob es nicht vielleicht besser sei, ihn gleich mitzunehmen. Indem ich so darüber nachdachte, hörte ich zwei Schüsse schnell hintereinander fallen. Das war bei den Kamelen. Ich sprang auf das eiligste zurück und sah diesen Mann das weiße Hedschihn besteigen; meine beiden Kameraden aber lagen an der Erde. Wie du jetzt gesagt hast, sind sie von ihm erschossen worden.«

»Schossest du nicht nach ihm?«

»Natürlich! Ich legte mein Gewehr sofort auf ihn an und zielte nach seinem Kopfe; aber die Kugel ging leider fehl, und dann war er mit dem Kamele so schnell und so weit fort, daß ihn meine zweite Kugel gar nicht erreichen konnte.«

»Wohin ritt er?«

»Dahin, woher er gekommen war.«

»Also östlich?«

»Ja; er verschwand hinter dem Sumpfe.«

»Und dann?«

»Dann kam der Alte hier, denn er hatte die Schüsse auch gehört. Ich erzählte ihm, was geschehen war. Da stellte er fünf Wächter her, und wir gaben uns Mühe, die Toten aufzuwecken, haben aber, bis du kamst, keinen Erfolg gehabt.«

»Ja, jeder Dummkopf macht erst dann, wenn es zu spät ist, seine Fehler gut! Ihr seid schuld am Tode eurer Kameraden und an dem Entkommen des Sklavenjägers. Ich will nicht mit euch rechten, sondern dies dem Reïs Effendina überlassen. Ich will lieber versuchen, eure Thorheit ungeschehen zu machen, obgleich ich überzeugt bin, daß dies fast unmöglich ist. Helft mir schnell, mein und Ben Nils Kamel zu satteln; sie sind die schnellsten von allen. Wir werden Ibn Asl nachreiten. Du aber, Alter, kehre jetzt zu den Gefangenen zurück! Da du nur zehn Wächter bei ihnen gelassen hast, könnte zu dem ersten Unfalle leicht noch ein zweiter kommen. Dem Reïs Effendina melde, daß ich wohl nicht sehr lange fortbleiben werde.«

Zwei Minuten später saßen wir im Sattel und ritten nach dem Sumpfe, hinter dessen nördlichem Ende, wie wir gehört hatten, Ibn Asl verschwunden war.

Am Wadi el Berd, als ich und Ben Nil den Sklavenjäger auf seinem weißen Kamele verfolgten, hatten wir auf denselben Tieren gesessen, welche wir heute noch ritten. Es war uns damals unmöglich gewesen, die weiße Dschebel-Gerfeh-Stute einzuholen; sie war unsern Tieren noch heute ganz in derselben Weise überlegen. Da wird man nun mit gutem Grunde fragen, wie es kam, daß ich dennoch den Versuch machte, Ibn Asls habhaft zu werden. Ich wollte mich einfach nicht auf die unzulängliche Schnelligkeit meiner Kamele, sondern auf meine List verlassen. Ben Nil folgte dem soeben bezeichneten Gedankengange, als er, während wir zunächst langsam nebeneinander herritten, mich fragte.

»Effendi, meinst du wirklich, daß wir Ibn Asl einholen? Denke an damals, als wir ihn am Wadi el Berd verfolgten! Wir saßen auf den schnellsten Hedschihn, welche der Reïs Effendina aufzutreiben vermocht hatte, und doch verschwand Ibn Asl auf seinem weißen Kamele vor uns, wie eine Sternschnuppe hinter dem Horizonte verschwindet.«

»Das ist richtig; aber ich will ihn nicht verfolgen, sondern er soll mir in die geöffneten Arme laufen. Ich behaupte, er ist noch hier.«

Bei diesen Worten deutete ich hinaus in die nordwärts von uns liegende Steppe.

»Da wäre er der größte Thor, den ich mir denken kann!«

»O nein! Du hast die Erfahrung gemacht, daß meine Berechnungen, selbst wenn sie einmal kühner als gewöhnlich sind, meist stimmen.«

»Das ist wahr. Ob aber auch die jetzige?!«

»Ibn Asl schwamm schon im Siegesrausche, desto größer wird jetzt seine Enttäuschung sein. Er hat, als er hörte, was geschehen war, oder vielmehr was geschehen sollte, sich nicht in den Kessel des Regenbettes zu seinen gefangenen Genossen getraut; er sah ein, daß er verspielt habe und sein Heil nur in der Flucht suchen müsse. Entkommen konnte er aber nur durch die Schnelligkeit seines Kameles. Es war ihm gestern abhanden gekommen; aber er sah es vorhin hier bei den unserigen weiden. Da mußte ihm der Gedanke kommen, sich wieder in den Besitz desselben zu setzen. Es ist ihm gelungen, indem er die Wächter bethörte. Auf dem Rücken dieses unvergleichlichen Tieres weiß er sich nun vor jeder Verfolgung sicher, da kein anderer Reiter ihn einzuholen vermag. Aus diesem Grund braucht er es mit der Flucht nicht so eilig zu nehmen, sondern er kann das thun, was ihm nächst der Rettung seiner eigenen Person am meisten am Herzen liegen wird, nämlich nachforschen, was aus seinen Leuten geworden ist. Es liegt ja im Bereiche der Möglichkeit, daß sie nicht in unsere Hände geraten sind. In diesem Falle braucht er nicht zu fliehen, sondern kann uns im Gegenteile noch höchst gefährlich werden. Er wird unsere Rückkehr belauschen. Wenn unser Zug zwischen dem Sumpfe und dem Berge hervorkommt, um den letzteren nach dem Regenbette hin zu umbiegen, bietet er einen so offenen Anblick, daß ein heimlicher Beobachter sogleich erkennen muß, wie die Verhältnisse liegen.«

»Aber einen heimlichen Beobachter kann es doch da gar nicht geben, weil sich hier niemand verstecken kann.«

»Da täuschest du dich eben. Die offene Steppe bietet ein außerordentlich gutes Versteck, eben weil sie offen ist. Hinter einem Busche oder Baume kann man einen Lauscher vermuten und suchen; sage mir aber mit Sicherheit genau den Punkt, wo ich einen auf der Steppe verborgenen Menschen antreffen werde!«

»Du hast im allgemeinen recht; aber Ibn Asl hat ein weißes Kamel, welches ihn verraten würde.«

»Du ziehst nicht in Betracht, daß es jetzt gefärbt ist.«

»Ja, das hatte ich vergessen. Aber er trägt einen weißen Haïk, den man unbedingt sehen muß.«

»Den zieht er aus.«

»So giebt es aber doch noch einen Einwand, den du mir wohl nicht widerlegen wirst. Wenn er uns beobachten will, muß er doch so nahe herankommen, daß er uns deutlich sehen kann; dann sehen aber auch wir ihn.«

»Ich habe auf der ›Eidechse‹ ein Schiffsfernrohr gesehen; das hatte er mit, wie ich gestern abend, als ich ihn am Feuer beobachtete, bemerkt habe. Mit Hilfe desselben kann er uns aus einer Entfernung beobachten, welche für unsere bloßen Augen zu groß ist, als daß wir ihn da sehen könnten. Er hat dieses Rohr jedenfalls auch vorhin umhängen gehabt. Leider dachte ich nicht daran, mich darnach zu erkundigen. Also ich stelle mir das so vor: Er ist ein tüchtiges Stück fortgeritten und dann wieder umgekehrt, bis er dem Regenbette so nahe war, daß er es durch das Rohr beobachten kann. Dort stieg er ab; sein Kamel mußte sich legen, und er hält nun das Rohr auf die Gegend gerichtet, aus welcher unser Zug kommen muß.«

»Dann sieht er aber doch jetzt uns beide, Effendi!«

»Allerdings; jedoch das schadet nichts. Er ahnt ja nicht, was wir beabsichtigen. Nun fragt es sich, wohin er dann, wenn er uns beobachtet hat, seinen Ritt oder vielmehr seine Flucht wenden wird.«

»Jedenfalls nilaufwärts nach der Stelle, an welcher er sein Schiff liegen hat.«

»Das denke ich auch. Hier unten muß er seine Sache verloren geben. Er ist ganz allein und hat keine Leute, um uns die Gefangenen abzujagen. Er findet sein Heil nur in der schleunigsten Entfernung. Er wird zunächst sein Schiff aufsuchen und dann, entweder mit diesem Schiffe oder auf seinem viel schnelleren Kamele nach Faschodah gehen, wo Freunde und Verbündete auf ihn warten. Dort und in der Gegend Fanakama kann er neue Leute anwerben, um sein schmachvolles Handwerk weiter zu treiben. Daraus geht hervor, daß er von hier aus südwärts reiten wird, ungefähr in der Richtung nach Hegasi zu, woher er j a auch gekommen ist. Darauf gründe ich meinen Plan, bei dessen Ausführung du mir helfen sollst.«

»Ich werde alles, was du willst, gern thun, Effendi. Gieb mir nur deine Befehle!«

»Wenn er wirklich das thut, was ich erwarte, so kann ich mir ungefähr denken, an welcher Stelle er sich jetzt befindet. Unser Zug kommt zwischen dem Berge und dem Maijeh hervor und wendet sich dann links. Dieser Gegend gegenüber muß Ibn Asl Posto fassen, wenn er alles deutlich sehen will. Die Breite, in welcher sich sein Versteck befindet, kenne ich also, und die Länge ergiebt sich aus der Tragweite seines Fernrohres. Da, wo die Länge mit der Breite sich schneidet, habe ich ihn zu suchen.«

»Das verstehe ich nicht, und ich bitte dich also, es mir zu erklären!«

»Das ist nicht notwendig; du brauchst mich nicht so genau zu verstehen, da du ihn nicht aufsuchen sollst; das werde vielmehr ich thun. Ich umreite ihn, so daß er keinen Verdacht faßt, komme dann in seinem Rücken zurück und stöbere ihn auf. Er wird fliehen, und zwar in südlicher Richtung. Diese hast inzwischen du verfolgt. Du bist an einer Stelle, an welcher er voraussichtlich vorüberkommen muß, abgestiegen. Dein Tier liegt am Boden; du auch; er kann euch also nicht eher sehen, als bis es zu spät ist. Sobald er nahe genug ist, zielst du auf sein Kamel und schießest es nieder.«

»Warum nicht ihn?«

»Er mag noch so schlecht sein, bleibt aber doch ein Mensch. Und sein Kamel ist zwar kostbar, aber doch nur ein Tier. Es wird stürzen; er springt auf, um zu fliehen, und du steigst schnell in den Sattel. Dann haben wir ihn zwischen uns, denn du bist vor und ich bin hinter ihm; er muß sich ergeben.«

»Er wird auf uns schießen!«

»Glaube das nicht! Ich werde dafür sorgen, daß er das nicht wagt. Wollte er im Ernste ziele, so würde meine Kugel ihn treffen, bevor er abzudrücken vermag. Ich hoffe, du hast mich begriffen!«

»Ja. Aber wo ist die Stelle, an welcher ich anhalten soll, an welcher er deiner Ansicht nach vorüberkommen wird? Ich bin sehr begierig, zu erfahren, wie du das in der offenen Steppe bestimmen willst.«

»Es ist leichter als du denkst.«

»Wirklich, Effendi? Er reitet nach Süden, ja; aber wieweit er sich dabei östlich oder westlich hält, das kannst du nicht wissen.«

»Wenn ich es noch nicht weiß, so berechne ich es mir. Zu weit nach Osten kann er nicht gehen, weil das ein Umweg wäre und ihn zugleich in die Nähe des Niles bringen könnte, wo er gesehen würde; er wird sich also eher soweit wie möglich nach Westen halten. Da aber sendet der Sumpf einen langen, schmalen Arm in die Steppe hinein, über den er nicht kann, den er also umreiten muß. Er wird, das bin ich überzeugt, hart am Ende dieses Sumpfarmes vorüberkommen, und dort ist es, wo du ihn zu erwarten hast.«

»Ist das weit von hier?«

»Gar nicht. Wir befinden uns am nördlichen Ende des Sumpfes. Blicke nach Südost, so wirst du dort am Horizonte eine dunkle Linie sehen!«

»Ich sehe sie, Effendi.«

»Das sind die Büsche, welche diesen Arm des Sumpfes markieren. Da, wo links diese Linie aufhört, ist auch der Sumpf zu Ende, und dort hältst du an.«

»So weiß ich, was ich zu thun habe. Ich soll natürlich jetzt sogleich hin?«

»Ja. Aber mach keinen Fehler! Ziele gut, damit du keinen Fehlschuß thust.«

»Du weißt, daß ich nicht schlecht schieße, Effendi.«

Wir trennten uns. Er ritt nach Süden und ich nach Norden, in die Steppe hinaus. Wenn Ibn Asl wirklich ungefähr da lag, wo ich ihn vermutete, so mußte er, wie bereits erwähnt, mich sehen und sich also fragen, weshalb ich diesen Ritt unternahm. Höchst wahrscheinlich kam er nicht auf die Idee, daß derselbe ihm gelte; ich hielt ihn nicht für klug genug, mir eine solche Berechnung zuzutrauen; dennoch hielt ich mich mehr nach Westen, um ihm nicht allzu nahe zu kommen. Hätte er schon jetzt meine Absicht bemerkt, so wäre er geflohen, und ich hätte ihn nicht Ben Nil zutreiben können.

Als ich mich soweit, wie meiner Vermutung nach sein Fernrohr trug, von dem Berge entfernt hatte, mußte ich mich sehr wahrscheinlich in gleicher Breite mit ihm befinden, und hielt nun mehr östlich hinüber, aber nur nach und nach, damit es ihm nicht auffallen möge. Ich ritt noch einmal so weit, als ich bisher gekommen war, bog dann um und wendete mich zurück, nach Süden, auf die Gegend zu, welche mir nun einmal als sein Aufenthalt oder Versteck im Sinne lag. Ich trieb mein Tier zum schärfsten Gange an, um Ibn Asl so wenig wie möglich Zeit zu lassen, und nahm mein Gewehr vom Sattelknopfe. Vielleicht gelang es mir doch, ihn so zu überrumpeln, daß ich auf sein Tier zum Schusse kam.

Dabei rechnete ich darauf, daß er seine Aufmerksamkeit vorzugsweise nach der Richtung wenden werde, in welcher unsere Asaker erscheinen mußten. Ich war außerordentlich gespannt, zu erfahren, ob ich meine Berechnung in die Luft geschrieben hatte oder nicht. In die Steppe reiten, um einen Menschen zu fangen, der sich gar nicht in derselben befindet, das hätte mich denn doch geärgert und wohl auch ein wenig – blamiert.

Glücklicherweise sollte ich wenigstens dieser Blamage entgehen, denn plötzlich bemerkte ich da vorn vor mir eine Bewegung im Grase. Ich sah ein Kamel am Boden liegen; ein Mann sprang in den Sattel; das Tier schnellte sich auf und rannte fort.

Also war er doch dagewesen! Er hatte gerade und genau da gelegen, wo meine Vermutung ihn gesucht hatte. Jetzt schoß er gerade vor mir her, drehte sich nach mir um und schwang höhnisch die Flinte über dem Kopfe, gerade wie damals, als er mir am Wadi el Berd entfloh. Schießen konnte oder vielmehr wollte ich nicht; ich hätte ihn vielleicht noch treffen können, aber die Entfernung war doch zu groß, als daß ich meiner Kugel hätte sicher sein können.

Es fiel mir auf, daß er nicht in die Richtung floh, welche meiner Erwartung entsprochen hätte. Er hielt sich mehr rechts, als ob er gerade nach dem Regenbette reiten wolle. Die Ursache blieb mir nicht lange verborgen. Nämlich eben jetzt waren unsere Asaker zu sehen, welche mit ihren Gefangenen anmarschiert kamen. Er hielt gerade auf dieselben zu, um so viel wie möglich sehen zu können. Um mich schien er sich gar nicht zu kümmern.

Ich war überzeugt, daß er sich nur so weit an sie wagen werde, daß er noch außerhalb ihrer Schußweite blieb. Dann aber mußte er sich wieder nach links wenden, um an dem Sumpfe vorüberzukommen. Er hatte trotz der kurzen Zeit schon einen bedeutenden Vorsprung gewonnen und hielt jetzt sogar an, um besser beobachten zu können. So sehr verließ er sich auf die Schnelligkeit seines Tieres. Ich benutzte dies, um ihm später näher zu kommen; ich ritt nicht gerade auf ihn zu, sondern wendete mich mehr nach dem Maijeh. Ich konnte ihm dadurch den Weg freilich nicht abschneiden, aber doch die Entfernung zwischen uns verringern und dadurch vielleicht zum Schusse kommen.

Unsere Asaker sahen ihn; sie sahen auch mich und vermuteten, daß er ein Feind sei. Sie erhoben ein lautes Geschrei; er antwortete ihnen in derselben Weise und sah sich dann nach mir um. Da bemerkte er, daß ich ihm zuvorkommen wollte, und trieb sein Tier wieder an. Er kam jetzt schräg auf meine Richtung zu. Welch ein herrliches Kamel war diese Dschebel-Gerfeh-Stute! Sie warf die Distanzen nur so hinter sich! Ich kam nicht zum Schusse und trieb mein Hedschihn mit Schlägen zur äußersten Eile an. Es that sein möglichstes, aber von Schritt halten oder gar einholen konnte keine Rede sein.

Zu meiner Genugthuung hielt Ibn Asl jetzt ganz genau die Richtung ein, welche ihn zu Ben Nil führen mußte. Ich trachtete noch weiter nach links, um ihn zu veranlassen, mehr rechts zu bleiben und ihn also an das Ende der erwähnten Zunge des Sumpfes zu drängen. Dabei kam es darauf an, seine Aufmerksamkeit soviel wie möglich von vorn abzulenken, damit er Ben Nil nicht zu zeitig erblicken möge. Deshalb rief ich hinter ihm drein, gab ihm die gröbsten Schimpfnamen, kurz, machte einen Skandal, der weit über die Steppe hin zu hören war. Er wendete sich einigemale nach mir um und antwortete mit einem schallenden Gelächter. Dieser Lärm hatte zugleich die gute Wirkung, Ben Nil auf unsere Annäherung aufmerksam zu machen.

Wir ritten so schnell, daß es schien, als ob die Büsche, bei denen ich den letzteren wußte, auf uns zugeflogen kämen. Der Sklavenjäger war noch zwölfhundert, noch tausend, noch acht-, noch sechshundert Schritte davon entfernt. Er mochte dem Sumpfe doch nicht recht trauen, denn er bog mehr nach links ab, um ihm noch weiter auszuweichen. Er war auf vier-, auf dreihundert Schritte heran und bog immer weiter ab. Auf diese Weise kam er soweit von Ben Nil vorüber, daß dieser gar nicht treffen konnte.

Da sah ich diesen hinter den letzten Sträuchern hervorkommen und, das Gewehr in der Hand, gerade in die Steppe hinein- und auf Ibn Asl losrennen. Dieser sah ihn natürlich ebenfalls und faßte Verdacht. Er lenkte seitwärts, aber sein Kamel war so im Schusse, daß es noch eine Strecke geradeaus rannte, ehe es die Wendung zu machen vermochte. Zu gleicher Zeit blieb Ben Nil stehen, legte an und schoß. Ich sah den Rauch seines Gewehres, hörte den Schuß und sah, daß die weiße Stute mitten im Rennen hielt, als ob sie einen Schlag von vorn erhalten habe. Dann raffte sie sich auf und flog, von ihrem Reiter mit der Flinte angetrieben, davon, als ob sie aus einem Kanonenrohre geschossen worden sei. Da krachte Ben Nils zweiter Schuß hinter ihr her, doch ohne zu treffen. Ibn Asl jagte an der Sumpfzunge vorüber – – er war uns entkommen. Einige Sekunden später hatte ich Ben Nil erreicht und hielt bei ihm an.

»Effendi,« rief er, »ich kann nichts dafür; ich habe das Kamel getroffen. Hast du es nicht gesehen? Es blieb mitten im Laufe für einen Augenblick stehen.«

»Ich habe es gesehen,« antwortete ich, indem ich abstieg. »Dein erster Schuß traf, der zweite aber nicht.«

»Auch diesen hatte ich gut gezielt!«

»Zu spät abgedrückt!«

»Aus Überraschung, Effendi. Kann man ohne Erstaunen bleiben, wenn man genau weiß, daß man getroffen hat, und doch läuft das Tier ganz unverletzt davon. Ich weiß, daß ich getroffen habe. Das Tier muß in kurze ' r Zeit niederfallen. Ich habe gerade auf die Brust gezielt.«

»Wollen sehen, ob wir Blut finden.«

Wir folgten der Spur eine ganz bedeutende Strecke, doch ohne einen einzigen roten Tropfen zu bemerken. Der Reiter verschwand indessen am südlichen Horizonte. So schnell hätte das nicht geschehen können, wenn das Kamel schwer verletzt gewesen wäre.

»Vielleicht war es ein Streifschuß, der nur die Haut berührte,« sagte ich.

»Nein, Effendi; ich bin meiner Sache so sicher, daß ich bei Allah, dem Propheten und allen Kalifen schwören kann, daß ich die Brust getroffen habe. Bedenke, daß die Entfernung nur fünfzig, höchstens sechzig Schritte betrug! Wie wäre da ein Streifschuß möglich?«

»Aus Aufregung. Aber ich halte dies selbst auch nicht für möglich. Ein Streifschuß hätte dem Kamele nicht einen solchen Ruck nach hinten gegeben. Du mußt es voll getroffen haben. Laß uns einmal suchen! Vielleicht ist die Kugel an irgend etwas abgeglitten.«

Die Stelle war leicht zu erkennen, da das Kamel mit den Zehen den Boden aufgerissen hatte. Wir suchten im Grase, und wirklich, da glänzte uns etwas metallisch entgegen. Ich hob es auf, es war die plattgedrückte Kugel aus Ben Nils Gewehr.

»Wie schade, jammerschade!« rief dieser aus. »Sie muß an einem festen Gegenstande breitgedrückt worden sein.«

»So ist es,« bestätigte ich. »Ich habe gesehen, daß der Brustriemen des Kameles mit Platten und großen Knöpfen verziert war. Die Kugel ist an einen dieser Gegenstände aufgetroffen. Du siehst, wie gut es gewesen wäre, wenn du schnell zum zweitenmal geschossen hättest.«

»Verzeihe mir, Effendi! Ich war wirklich ganz betroffen, als ich das Tier nicht fallen sah.«

»Ärgere dich nicht über diesen wirklichen Schuß, sondern über den, den du dann nicht abgefeuert hast!«

Die Betrübnis verschwand allmählich aus seinem Angesichte. Er holte sein Kamel aus dem Gesträuch, in welchem er es versteckt gehabt hatte, hervor. Wir stiegen auf und ritten nach dem Regenbette. Wir sahen schon von weitem, daß dort ein sehr reges Leben herrschte. Man hatte die früheren und heute erst Gefangenen aus dem Kessel geholt und sie den neuen zugesellt. Sie saßen, nur an den Händen gefesselt, auf der offenen Steppe im Grase und waren von zahlreichen Wächtern umstellt. Nahe dabei lagerten die Asaker. Unweit von ihnen hatte sich der Emir mit seinen Offizieren niedergelassen, und hinter diesen Gruppen weideten die Kamele. Die Asaker waren sehr lustig und guter Dinge. Sie hatten gesiegt, ohne daß einer von ihnen verletzt worden war, und einen ausgezeichneten Fang gemacht, welcher ihnen reiche Prämiengelder einbringen mußte. Desto schweigsamer waren die Gefangenen. Sie warfen, als ich kam, finstere, haßerfüllte Blicke auf mich, und als ich nahe bei ihnen aus dem Sattel stieg, hörte ich, daß der alte Abd. Asl zu seinem Nachbar sagte:

»Nur diesem räudigen Giaur, diesem stinkenden Hunde haben wir das alles zu danken. Möge ihn Allah zerreißen und in alle Lüfte zerstreuen!«

Ich achtete nicht auf diese Worte. Der Reïs Effendina stand auf, kam mir entgegen und benachrichtigte mich:

»Ich habe während deiner Abwesenheit alles erfahren und werde die Schuldigen streng bestrafen. Dort liegen sie.«

Er deutete auf eine Stelle, welche ich noch nicht beachtet hatte. Dort lag der alte Askari, dem ich das Kommando anvertraut hatte, mit dem Posten, welcher gegen Ibn Asl so mitteilsam gewesen war und ihn hatte entwischen lassen. Beide waren gebunden. Dann fuhr er fort: »Man sagte mir, daß du mit deinem Ben Nil hast Ibn Asl nachjagen wollen. Wer war der Reiter, den du verfolgtest, als wir kamen? Ich sah ihn, konnte aber sein Gesicht nicht erkennen.«

»Eben Ibn Asl.«

Ich erzählte ihm, während wir uns zu seinen Offizieren setzten, den Hergang. Als ich geendet hatte, strich er sich nachdenklich den Bart und sagte, aber zu meiner Freude nicht mit dem von mir erwarteten ärgerlichen Ausdrucke:

»Hätten wir ihn erwischt, so wäre uns viele Mühe und Anstrengung erspart. Ich darf nicht ruhen, bis ich diesen Halunken in meine Gewalt bekommen habe. Ich werde ihn nicht zu Atem kommen lassen, sondern ihn hetzen, bis er vor meinen Füßen zusammenbricht. Dieser Mensch allein ist noch gefährlicher als alle seine Leute zusammengenommen. Es wäre ein Triumph, ein Glück, eine Genugthuung, wenn wir ihn gefaßt hätten; dennoch will ich nicht klagen, sondern einstweilen zufrieden sein. Denn sieh die Gefangenen, und zähle sie! Hundertsechzig Sklavenjäger! Ist jemals so ein Fang gemacht worden, Effendi?«

»Ich habe wenigstens noch nichts davon gehört.-

»Ja, es ist noch nie geschehen. Man kennt mich bereits. Von jetzt an aber wird mein Name von allen solchen Schuften mit doppelter Scheu genannt werden, und das habe ich dir zu verdanken.«

»Lange nicht in der Weise, wie du es denkst! Ich habe dich ein wenig unterstützen können, aber nur, weil mir der Zufall günstig gewesen ist.«

»Das nennst du ›ein wenig‹? Wer hat die Sklavenjäger im Wadi el Berd gefangen und die Fessarah-Frauen befreit? Du! Wer hat dann die sechzig Jäger dort am Brunnen der Steppe ergriffen? Du! Wem habe ich es zu verdanken, daß ich nicht mit meinem Schiffe und allen meinen Leuten verbrannt worden bin? Dir! Und wer hat mir den heutigen Fang in die Hände geliefert? Wieder du! Und von ›Zufall‹ darfst du gar nicht sprechen. Was du so nennst, ist nichts anderes als eine Folge deiner Schlauheit, deiner Verwegenheit, deiner scharfen Berechnungen, welche dich fast niemals täuschen. Also nicht mir, sondern eigentlich dir gebührt die Ehre, welche ich ernten werde. Aber du sollst erfahren und erkennen, daß ich dankbar bin. Die größte Dankbarkeit aber könntest du dir erwerben, wenn du mir eine Bitte erfüllest.«

»Welche?«

»Wann mußt du in deiner Heimat eintreffen?«

»Wann es mir beliebt.«

»So bleibe jetzt noch bei mir! Ich will dir etwas sagen; ich werde dir ein Versprechen geben: Wenn du mir hilfst, diesen Ibn Asl zu fangen, so bin ich bereit, dir dann – –«

»Halt, kein Versprechen!« unterbrach ich ihn. »Du hast mir erlaubt, dich als meinen Freund zu betrachten, und ich habe bewiesen, daß ich der deinige bin. Zwischen Freunden aber giebt es keinen Handel, kein Versprechen, keinen Preis und keinen Lohn. Ich habe Zeit. Warum soll ich sie dir nicht zur Verfügung stellen? Ich habe das Spiel mit Ibn Asl angefangen. Warum soll ich es nicht zu Ende führen, um es zu gewinnen? Die Sklavenfrage interessiert mich auf das höchste. Warum soll ich mich nicht praktisch mit ihr beschäftigen, da mir eine so passende Gelegenheit geboten wird! Das, was ich außerdem und früher beabsichtigte, kann ich gerade auf diesem Wege am besten erreichen. Ich bleibe also bei dir.«

»Bis wir den Hund haben!«

»Ja, bis er unschädlich gemacht worden ist.«

»Ich danke dir, Effendi! Nun erst bin ich sicher, daß ich ihn ergreifen werde. Wo denkst du, daß er von jetzt an zu finden sein wird? Wohin wird er sich von heute an wenden?«

Ich erklärte und begründete ihm meine Ansichten, über die ich vorhin schon mit Ben Nil gesprochen hatte. Er hörte aufmerksam zu und sagte, als ich fertig war: »Ich stimme dir vollständig bei. Er ist erst zu seinem Schiffe und wird dann nach Faschodah gehen, um seine dort auf ihn wartenden Freunde aufzusuchen. Was ist da zu thun?«

»Wir müssen ihm nach!«

»Natürlich! Aber leider muß ich erst nach Chartum, um die Gefangenen dort abzuliefern. Da muß ich mich mit Proviant und Munition für eine lange Fahrt versehen, denn es ist möglich, daß wir Ibn Asl bis weit hinauf in den Süden, bis in die Sumpfgegenden der Nilarme verfolgen müssen. Das nimmt mehrere Tage in Anspruch. Dann mußt du bedenken, daß ich eine Woche nilaufwärts bis Faschodah brauche. Wenn wir nach so langer Zeit dort ankommen, ist Ibn Asl bereits fort.«

»Könntest du nicht in Chartum einen Regierungsdampfer nehmen, welcher dich am Schlepptau in viel kürzerer Zeit nach Faschodah bringt?«

»Wenn sich eins dieser kleinen Waburat zufällig dort befindet, so werde ich es allerdings in Beschlag nehmen. Aber selbst dann würde Ibn Asl noch vor meiner Ankunft den Ort verlassen haben.«

»So folgen wir ihm; das ist doch einfach!«

»Für mich nicht so einfach wie wohl für dich. Wäre einer von uns eher oben in Faschodah, so könnte er Erkundigungen einziehen und Vorbereitungen treffen, so daß ich bei meiner Ankunft mich nicht aufzuhalten brauchte und wir sofort hinter ihm her sein könnten.«

»Daran habe auch ich schon gedacht. Ich hatte mir sogar schon einen Plan gemacht, den ich dir vortragen wollte. Unsere Ansichten harmonieren, und unsere Absichten begegnen sich in der glücklichsten Weise. Ich will voranreisen!«

»Hamdullilah! jetzt wird mir das Herz wieder leicht. Einen bessern Beweis deiner Freundschaft könntest du mir nicht geben als durch diesen so wertvollen Dienst. Ich nehme ihn mit Dankbarkeit an und werde dich mit allem, was du bedarfst, versehen. Wie aber willst du diesen Weg zurücklegen?«

»Das deinige natürlich ausgenommen, da dasselbe besser segelt, braucht jedes Schiff von hier aus, wenn es während der Nächte am Ufer liegt, volle elf Tage, bei ungünstigem Winde auch noch länger. Einer solchen Zeitverschwendung dürfen wir uns nicht schuldig machen, wenn wir Ibn Asl erwischen wollen.«

»Er braucht aber doch ebensolange!«

»Meinst du, daß er auf seiner ›Eidechse‹ fahren wird? Gewiß nicht. Er muß sich ja vor deinem ›Falken‹ fürchten. Ich bin vollständig überzeugt, daß er reitet. Er kann ja gar nicht besser thun, da er ein so unübertreffliches Kamel besitzt.«

»Ich gebe dir recht. Und so willst wohl auch du reiten?«

»Ja, vorausgesetzt, daß ich zu einem guten Kamele kommen kann.«

»Du hast ja eins, sogar zwei von ganz gleicher Güte. Oder bist du nicht mehr mit ihnen zufrieden?«

»Sie würden mehr als genügen. Es sind sehr vortreffliche Tiere. Bedenke, welchen Weg sie zurückgelegt haben! Und doch sind sie noch so frisch wie an dem Tage, an welchem ich sie bekam. Freilich sind sie sehr gut behandelt worden und haben bei den Fessarah längere Zeit ausruhen können. Aber du hattest sie requiriert. Mußt du sie nicht abliefern?«

»Ganz nach meinem Belieben. Der Vicekönig braucht sie; das ist für den Besitzer genug. Du kannst sie also getrost behalten.«

»Gut! Dann bin ich überzeugt, daß Ibn Asl keinen allzu großen Vorsprung vor uns erlangen wird.«

»Und wie nun, willst du allein reiten?«

»Das wäre freilich das beste. Ein Begleiter würde mir nur hinderlich sein. Darum denke ich, daß – –«

Ich wurde unterbrochen, und das hatte ich erwartet. Nämlich Ben Nil hatte sich mit zu uns setzen dürfen und also alles gehört. Jetzt fiel er mir in die Rede-

»Unzuverlässig ist nicht jeder, Effendi! Es giebt einen, der bereit ist, sein Leben für dich zu geben, und der dir nachlaufen wird, wenn du ihn nicht mitnimmst. Du hast zwei gleichschnelle Kamele. Wenn ich mich auf eins derselben setze, wirst du nicht zurückgehalten. Und wenn ich dir auch in Gefahren nicht viel nützen kann, so wirst du doch an mir einen Diener haben, welcher wenigstens zu den gewöhnlichen Handreichungen zu gebrauchen ist. Ich bitte dich inständig, nimm mich mit! Wirst du deinen Ben Nil zurückweisen?«

»Ich würde dich mitnehmen, wenn ich nicht an Abu en Nil, deinen Großvater, dächte.«

»Hindert dich dieser, mir die Erlaubnis zu geben?«

»Willst du dich denn abermals von ihm trennen, nachdem ihr euch ebenso unerwartet wie glücklich gefunden habt?«

»Ben Nil braucht sich nur kurze Zeit von ihm zu trennen,« sagte der Reïs Effendina. »Während ich von der Dschesireh Hassanieh bis hier herab fuhr, habe ich erkannt, welch ein brauchbarer Steuermann dieser Abu en Nil ist. Ich habe ihm alles Frühere verziehen und bin bereit, ihn bei mir anzustellen. Er wird dann mit mir nach Faschodah kommen und dort mit seinem Enkel vereinigt werden.«

Der alte Abu en Nil war nämlich ebenso wie Selim, der Aufschneider, nicht mit hierher nach dem Dschebel Arasch Qol gekommen, sondern auf dem Schiffe zurückgeblieben. Ben Nil wäre dem Emir vor Freude über dessen Worte am liebsten um den Hals gefallen. Er erging sich in den lebhaftesten und aufrichtigsten Dankesworten, und wenn ich nicht weniger freundlich als der Emir sein wollte, so mußte ich versprechen, ihn mitzunehmen. Dies hatte übrigens schon vorher in meiner Absicht gelegen. Ben Nil war trotz seiner Jugend zuverlässiger als jeder andere, und einen so langen Ritt in einem fremden Lande ganz allein zu unternehmen, ist auch nicht jedermanns Sache. Es war also ausgemacht, daß wir beide wie bisher zusammenhalten würden.

Nachdem dies besprochen war, sagte der Reïs Effendina:

»Ich weiß, daß du am liebsten gleich jetzt aufbrechen würdest, aber du wirst mich vorher doch bis an das Schiff begleiten müssen. Auf demselben befindet sich einiges, was ich dir mitzugeben habe, und dort findest du auch Munition und frischen Proviant, während du hier nur schlechte Reste bekommen könntest.«

»Dann würde es mir aber lieb sein, wenn wir uns hier nicht lange verweilten, Emir.«

»Wir werden sogleich abmarschieren, wenn ich einige Akte der Gerechtigkeit vollzogen habe.«

»Willst du hier Gericht halten?«

»Ja.«

»Wer sind die Betreffenden?«

Mir grauste schon, denn ich dachte an das Wadi el Berd und die Sklavenhändler, welche er dort so prima vista hatte erschießen lassen.

»Zunächst die beiden Asaker dort,« antwortete er. »Sie haben den Tod verdient.«

»Den Tod?« fragte ich, ganz erschrocken über diese Strenge. »Ihre kleinen Vergehen sind doch nicht schwere Verbrechen, welche man mit dem Tode bestraft!«

»Ungehorsam, zumal wenn er solche Folgen hat, wird mit dem Tode bestraft, wenigstens bei mir.«

»Der andere, welcher keinen Befehl zu führen hatte und nur Posten stand, ist aber jedenfalls nicht so strafbar.«

»Ebenso! Er hat ohne Erlaubnis alles ausgeplaudert; seine Dummheit hat ebenso den Tod seiner Kameraden wie das Entkommen Ibn Asls verschuldet. Bedenke, was für Menschen ich unter mir stehen habe! Die sind nur durch Strenge zu regieren.«

»Ich bin in Milde ganz gut mit ihnen ausgekommen!«

»Für so kurze Zeit, ja, da ist es möglich. Bald aber würden sie dir über den Kopf wachsen. Meine Asaker kennen mich, und diese beiden Missethäter wissen ganz genau, was ihrer wartet.«

»Also wirklich der Tod?«

»Ja; ich werde sie jetzt erschießen lassen.«

Vielleicht hatte er recht, vielleicht auch nicht; ich aber konnte mich nicht zwingen, eine solche Strenge für nötig zu halten. Die beiden armen Teufel dauerten mich; darum ließ ich mich nicht irre machen, sondern sprach solange auf ihn ein, bis er sagte:

»Gut, ich schenke dir das Leben dieser Kerle. Sie mögen laufen und mir nie wieder vor die Augen kommen!«

»Halt, Emir, so hatte ich es nicht gemeint! Was man thut, das soll man ganz und richtig thun. Schenkst du ihnen die Strafe und jagst sie fort, so ist das keine vollkommene Begnadigung.«

»Soll ich sie etwa gar im Dienste behalten?«

»Ja; ich bitte dich ganz besonders darum.«

»Ganz besonders? Daß du dir ihr Leben erbeten hast, war wohl gar nichts Besonderes?«

Ich lachte ihn an, hielt ihm die Hand hin und antwortete:

»Schlag ein; sie bleiben bei dir! Du bist kein so finsterer Barbar, obwohl du ein solcher scheinen willst. Ich sage dir, daß ein Gehorsam aus Liebe tausendmal mehr wert ist als ein Gehorsam aus Furcht und Angst. Ich kenne dich besser als du denkst und weiß genau, daß deine Asaker dich trotz deiner Strenge lieb haben.«

»So? Hast du das erfahren?« fragte er in sehr mildem Tone und indem ein beinahe sonniges Lächeln über seine Züge glitt.

»Nicht nur einmal, sondern oft. Also, Emir, wirst du mir meinen Wunsch erfüllen?«

»Du sollst es sogleich sehen und hören.«

Er befahl, die beiden Männer loszubinden und zu ihm zu bringen. Als sie dann vor uns standen, war es ihren Armesündergesichtern anzusehen, daß sie die strengste Strafe erwarteten. Er sagte ihnen:

»Ich wollte euch jetzt erschießen lassen, ihr Söhne des Ungehorsams; aber dieser Effendi bat für euch um Gnade, und da ich ihm seinen Wunsch erfüllte, verlangte er sogar, daß ich euch bei mir behalten soll. Ich habe ihm auch dies gewährt. Kniet vor ihm nieder, ihr Hunde, und dankt ihm im Staube! Denn seine barmherzige Hand hat euch vor der Pforte des Todes ergriffen und ins Leben zurückgeführt.«

Sie warfen sich wirklich vor mir nieder und küßten mir die Hände, zwei Muhammedaner einem Christen! Als sie sich dann entfernt und zu ihren Kameraden gesetzt hatten, sah ich die Blicke dieser sonst so gefühllosen Menschen mit dem Ausdrucke liebevoller Dankbarkeit auf mich gerichtet. Ich behaupte doch immer und immer wieder, daß die Liebe, die christliche Liebe, die größte Macht im Himmel und auf Erden ist, und daß es keinen einzigen Menschen giebt, dessen Herz sie sich nicht früher oder später zu öffnen vermöchte!

»Eigentlich freue ich mich, dir deinen Wunsch erfüllt zu haben,« meinte der Reïs Effendina, »denn das giebt mir die Sicherheit, daß du mich nun jetzt nach meinem Ermessen handeln lässest. Trotzdem sage ich dir jetzt vorher, daß meine Dankbarkeit und meine Freundschaft für dich, so groß auch beide sind, mich nicht veranlassen könnten, dir eine ähnliche zweite Bitte zu erfüllen. Ich ersuche dich also dringend, mich nicht in Verlegenheit zu bringen! Schafft den Fakir el Fukara herbei!«

Der Genannte wurde hergebracht. Er stand, an den Händen gefesselt, zwischen zwei Asakern als seinen Wächtern. Sein Blick ruhte trotzig auf dem Emir, welcher ihn verächtlich musterte und dann fragte:

»Wie ist dein Name?«

»Man nennt mich den Fakir el Fukara,« antwortete der Gefragte.

»Ich habe nach deinem Namen gefragt, aber nicht, wie man dich nennt! Also antworte!«

»Fakir el Fukara,« wiederholte der andere jetzt trotzig.

»Aziz, öffne ihm den Mund!«

Man wird sich erinnern, daß Aziz, der Liebling des Emirs, der junge Mann war, welcher die Nilpeitsche mit solcher Virtuosität zu führen wußte. Er war mit da und saß bei den Soldaten. Auf den Ruf seines Herrn sprang er auf, trat heran, zog die Peitsche aus dem Gürtel und knallte sie ihm so schnell fünf- oder sechsmal über den Rücken, daß der Gezüchtigte die Hiebe hatte, ehe er nur eine Bewegung der Abwehr machen konnte. Dann aber drehte er sich nach Aziz um, spuckte ihm in das Gesicht und schrie, indem sein dunkles Negergesicht sich zu einer wütenden Fratze verzog.

»Hund, du wagst es, mich zu schlagen, mich, den Heiligen der Heiligen, den Fakir el Fukara, vor welchem Millionen niederknieen werden, um –--«

»Aziz,« unterbrach der Emir mit donnernder Stimme diese Strafrede, »die Bastonnade!«

Der Fakir fuhr schnell zu ihm herum und rief:

»Mir die Bastonnade? Hat Allah sich denn soweit von dir abgewendet, daß du der Gottlosigkeit fähig bist, seinen Liebling--«

»Aziz, einen Knebel!« unterbrach ihn der Emir wieder.

Die Asaker, welche mit mir bei den Fessarah gewesen waren und sich so oft über diesen Mann geärgert hatten, freuten sich darüber, daß er jetzt endlich seinen Meister fand. Sie traten herbei und sorgten dafür, daß die Befehle des Emir auf das schnellste ausgeführt wurden. Der Fakir el Fukara wurde niedergerissen und erhielt, als er den Mund zum Schreien und Fluchen aufriß, den Zipfel seines eigenen Gewandes als Knebel in denselben. All sein Sträuben half nichts; es hielten ihn so viele Hände fest, daß er sich schließlich gar nicht mehr bewegen konnte. Man legte ihn auf den Bauch. Mehrere Männer setzten sich ihm auf die Oberschenkel, die Arme, den Leib und den Kopf. Noch andere hielten ihm die Unterschenkel empor, so daß seine entblößten Fußsohlen eine waagerechte Lage bekamen.

»Wieviel Hiebe, Emir?« fragte Aziz.

»Zwanzig auf jede Sohle,« lautete die Antwort.

Die vierzig Streiche wurden gewissenhaft aufgezählt, und als der letzte gefallen war, bildeten die Füße zwei geschwollene, hochrot gefärbte und aufgeplatzte Fleischmassen. jetzt nahm man ihm den Knebel wieder aus dem Munde und ließ ihn los. Er richtete sich stöhnend in sitzende Stellung auf und sah den Emir an, mit welchem Ausdrucke, das war bei seinen jetzt mit Blut unterlaufenen Augen nicht eigentlich zu bestimmen.

»Jetzt noch einmal: Wie ist dein Name?« fragte der Reïs Effendina.

»Mohammed Achmed,« gurgelte der Gefragte hervor.

»Hättest du das gleich gesagt, so wäre dir die Bastonnade erspart geblieben. Ich verlange Gehorsam. Daß du dich den Fakir el Fukara nennst, flößt mir nicht den geringsten Respekt ein. Dieser Effendi hat dir das Leben gerettet, indem er den Löwen tötete; du aber hast ihm mit Undank gelohnt. Du hast meine Asaker an Ibn Asl verraten wollen. Eigentlich sollte ich dich töten; aber ich verachte dich und will dir gar nicht die Ehre anthun, von mir gerichtet zu werden. Man schleife diesen Enkel der Undankbarkeit hinüber nach dem Sumpfe und lasse ihn an dem Rande desselben liegen! Dort mag er dem Ungeziefer, welches seinesgleichen ist, vom Mahdi erzählen, der er werden will, und stinkendes Wasser trinken, bis seine Füße es ihm erlauben, über die Steppe nach Hause zu wanken!«

Dieser Befehl wurde buchstäblich ausgeführt. Zwei Männer ergriffen den Fakir el Fukara und schleiften ihn nach dem Sumpfe. Mit welchen Gefühlen mag er später, als er es wirklich, wenigstens auf einem bestimmten Raume, zum Beherrscher der Gläubigen gebracht hatte, an diese nichts weniger als ehrenvolle Episode seines Lebens zurückgedacht haben!

Mir war es nicht eingefallen, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Mir schien, daß er die Züchtigung mehr als reichlich verdient habe. Mit dieser letzteren war der heutige Gerichtsakt noch nicht zu Ende, denn der Emir befahl, nun den alten Abd Asl vorzuführen.

Dieser hatte vorhin gewünscht, Allah möge mich zerreißen und in alle Winde streuen. Jetzt hätte er vielleicht gern ganz anders zu mir gesprochen. Wenigstens nahm ich dies an, obgleich er festen Schrittes und trotzigen Gesichtes dahergegangen kam. Ich dachte an die Höhle von Maabdah, bei welcher ich ihn zum erstenmal gesehen hatte. Wie fromm und ehrwürdig war er mir da erschienen! Und als wie einen ganz andern hatte ich ihn dann kennen gelernt! Er hatte mir ja gleich am nächsten Tage schon nach dem Leben getrachtet und mich von damals an bis heute mit einer geradezu diabolischen Feindschaft verfolgt. Man soll das Alter ehren, aber ein Mensch, welcher mit einer wahren Wollust die schwersten Verbrechen begeht, obgleich er schon mit einem Fuße im Grabe steht, ist doppelt strafbar. Das mochte auch der Emir denken und fühlen, denn sein Auge ruhte mit dem Ausdrucke des Ekels, des Abscheues auf dem Alten, als er ihm im strengsten Tone sagte:

»Dich habe ich lange gesucht, du heiligster aller Fakire. Du bist mir immer entwischt, nun aber werde ich Gericht über dich halten.«

»Ich verlange einen andern Richter!« antwortete Abd. Asl.

»Es giebt keinen, der dich streng genug zu verurteilen vermag. Sei ich's oder sei's ein anderer, keiner kann dich so bestrafen, wie du es verdient hast! Deine Schandthaten zählen nach hunderten; tausende von Menschen verdanken dir die Sklaverei, den Tod oder die Verarmung der Ihrigen. Wie viele Dörfer hast du ausmorden und ausbrennen lassen! Und dabei zeigtest du das Gesicht eines Heiligen, ließest die Gebete eines Ehrwürdigen hören und gabst dich für einen anbetungswürdigen Marabut aus. Diese Rolle ist zu Ende, und ich schicke dich dahin, wo du hingehörst, nämlich in die Hölle.«

»Du hast nicht das Recht, mich zu töten!« kreischte der Alte auf.

»Viele, sehr viele hatten es und haben es noch heute! Daß sie es nicht übten, war eine große Sünde, denn sie ließen dir dadurch Zeit zu immer neuen Missethaten. Ich will und darf nicht dieselbe Sünde begehen. Ich habe die heilige Pflicht, dich auszurotten, damit dein Hirn endlich einmal aufhört, Blutthat nach Blutthat zu gebären. Ich spreche dir das Urteil, und es lautet auf den Tod.«

Das waren Worte wie Hammerschläge. Hatte der Alte bisher auf Befreiung gehofft – und das hatte er ganz gewiß – so mußte er diese Hoffnung jetzt aufgeben. Er versuchte aber doch noch ein Mittel, sich zu retten, indem er, seine frömmste, ehrwürdigste Miene annehmend, drohte:

»Ich bin dennoch ein Heiliger, ein Marabut! Wenn du dich an mir vergreifst, verfluche ich dich. Dann werden dich alle Gläubigen meiden, und du wirst sein wie die Hyäne in der Wüste, welche verfolgt wird und das Aas fressen muß, bis sie vor Hunger stirbt.«

»Fluche immer zu! Der Fluch eines solchen Ungeheuers wird zum Segen. Deine Drohung kann dich nicht retten; sie ist lächerlich. Du mußt und wirst sterben. Aber wie? Es giebt keinen Tod, welcher gerecht genug für dich ist. Du und dein Sohn, ihr wolltet diesem Effendi die Zunge und jedes Glied seines Körpers einzeln ausreißen. Eigentlich sollte ich dich dieses Todes sterben lassen; aber du sollst von deinesgleichen sterben. Du bist ein Ungeheuer, und Ungeheuer werden dich verschlingen. Ich lasse dich in den Maijeh unter die Krokodile werfen.«

»O Allah!« schrie da der Alte auf. »Das darfst du nicht thun! Schone mich, Reïs Effendina!«

»Schonen? Denke doch zurück! Dieser Effendi schonte dich, dieser Ben Nil schenkte dir das Leben; dafür hat du immer von neuem nach dem ihrigen getrachtet. Du bist ein Teufel, in dessen Natur es liegt, Wohlthat mit Missethat zu vergelten. Es bleibt bei meinem Spruche: Du wirst den Krokodilen vorgeworfen!«

Es war der absoluteste Ernst, mit dem der Emir gesprochen hatte. Dennoch blickte Abd Asl ihn forschend an, ob er es doch vielleicht anders meine. Als er aber an den wie steinernen Zügen des Richters erkannte, daß dieser einen festen, unerschütterlichen Entschluß ausgesprochen habe, heulte er auf.

»Das ist nicht möglich! Das ist unmenschlich!«

»Schweig! Dir geschieht nur dein Recht. Wann hast du einmal menschlich gehandelt? Wehe dem, der wehe thut! Das ist mein Wahlspruch, an welchem du sterben wirst. Und dein Sohn wird auch an demselben untergehen. Bindet ihm auch die Füße zusammen und schafft ihn dann in den Sumpf! Sein Freund, der große Fakir el Fukara, mag Zeuge sein, wie er von den Krokodilen verschlungen wird.«

»Gnade, Gnade! Nur noch ein Wort!« zeterte der Alte, als man ihn ergreifen wollte.

»Was?« fragte der Emir, indem er mit der Hand ein Zeichen gab, noch zu warten. Abd Asl wendete sich an mich anstatt an ihn:

»Effendi, du bist ein Christ. Du darfst nicht dulden, daß man mich eines so schrecklichen Todes sterben läßt! Bitte mich frei; laß mich begnadigen! Ich weiß, daß der Emir auf deine Stimme hören wird.«

»Du hast es nicht verdient,« antwortete ich in der Überzeugung, daß mir der Emir eine solche Bitte nicht erfüllen werde.

»Muß ich es verdient haben? Ist deine Lehre nicht die Lehre der Liebe, Gnade und Barmherzigkeit? Du hast mir das gesagt und erklärt, als wir in Siut waren.«

»Ja, und nachdem ich es dir erklärt hatte, locktest du mich unter die Erde, wo ich elend verschmachten sollte!«

»Denke nicht daran, sondern denke jetzt nur an die Gebote deines Glaubens, damit dein Jesus, wenn er einst als Richter kommt, gnädig auch mit dir verfahre!«

»Schweig!« gebot ihm der Emir, welcher wohl glaubte, daß ich mich doch noch zu einer Fürbitte bewegen lassen werde. »Der Effendi kann nichts für dich thun, denn ich werde nicht auf seine Stimme hören. Bindet ihn!«

Der Alte wehrte sich mit den gebundenen Händen und mit beiden Füßen gegen die Ausführung dieses Befehles. Er brüllte dabei nicht wie ein Mensch, sondern wie ein wildes Tier. Man kann sich denken, daß diese Scene keineswegs meinen Beifall hatte. Der Unhold hatte den Tod verdient, und dieser mochte ihm auch werden; aber ihn den Krokodilen vorwerfen, das war nicht nötig: das konnte unterbleiben; das wenigstens wollte ich verhüten.

Dabei kam mir ein Gedanke. Ich dachte an den Führer in der Höhle von Maabdah, welchem ich versprochen hatte, nach seinem verschollenen Bruder zu forschen. Was ich seit damals erfahren hatte, ließ mich vermuten, daß Abd Asl das Schicksal kannte. Darum gebot ich jetzt: »Laßt noch einmal ab von ihm! Ich habe mit ihm zu sprechen.«

Man gehorchte mir, und der Alte rief mir zu:

»Ich danke dir, Effendi! Das war Hilfe in der größten Not. Du bist entschlossen, für mich zu bitten?«

»Vielleicht. Beantworte mir einige Fragen!«

»Frage mich, Effendi! Kann ich dir Auskunft geben, so soll es geschehen.«

»Du kennst Ben Wasak, den Führer in der Höhle zu Maabdah?«

»Ja. Du hast mich doch mit ihm sprechen sehen.«

»Hast du auch Hafid Sichar, seinen Bruder, gekannt?«

»Auch,« nickte er.

»Kennst du seinen jetzigen Aufenthalt?«

Er sah, anstatt zu antworten, mich eine kleine Weile forschend an und fragte dann: »Warum willst du das wissen?«

»Ich suche ihn, denn ich will ihn seinem Bruder zurückbringen.«

»Ja, ich kann dir sagen, wo er ist. Ich sage es dir, wenn ich dafür mit allen Gefangenen hier freigelassen werde.«

»Mensch, bist du toll!« rief der Reïs Effendina. »Das ist ein Verlangen, welches nur ein Wahnsinniger aussprechen kann.«

»Ich habe es aber gestellt und bleibe dabei!«

»So sage mir, Effendi, welche Bewandtnis es mit diesem verschollenen Hafid Sichar hat!«

Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Ich antwortete:

»Er ist nach Chartum gereist, um sich dort von dem Kaufmanne Barjad el Amin eine große Summe Geldes auszahlen zu lassen. Er hat das Geld auch wirklich erhalten, ist aber seit jener Zeit verschwunden. Damals befand sich Ibn Asl im Geschäfte jenes Kaufmannes; er war arm, wurde aber nach dem Verschwinden Hafid Sichars plötzlich reich und begann den Sklavenhandel.«

»So hat er Hafid Sichar ermordet und ihm das Geld abgenommen.«

»Nein, Hafid Sichar ist nicht ermordet worden!« rief der Alte. »Ich sage dir, wo er lebt, wenn du uns frei giebst!«

»Das kann nicht geschehen. Aber aus Freundschaft für diesen Effendi will ich dir einen Vorschlag machen. Du giebst den Ort an, wo jener Verschollene lebt, und dafür will ich dich nicht den Krokodilen vorwerfen lassen. Du wirst erschossen.«

Da schlug der Alte ein hämisches Gelächter auf und antwortete:

»Wie gnädig du bist, o Emir! Meinst du, daß der Tod durch die Kugel kein Tod sei? Leben will ich, leben! Und soll das nicht sein, so erfahrt ihr auch mein Geheimnis nicht. Für die Verkürzung meines Todeskampfes um eine oder höchstens zwei Sekunden verlangt ihr die Befreiung dieses Hafid Sichar, den mein Sohn eigentlich hätte umbringen sollen? Dieser Preis ist mir zu teuer, viel zu teuer.«

»Nun wohl, so schafft ihn endlich fort!«

Jetzt wurde der Alte an den Beinen gebunden und fortgetragen; er verhielt sich dabei ganz ruhig. Auch wir waren still. Kein Mensch im Lager sprach ein Wort, bis vom Sumpfe her mehrere Rufe, ein jammerndes Winseln und endlich ein Schrei, welcher mir durch Mark und Bein ging, zu hören war. Der Alte hatte geendet. Als die Männer, die ihn fortgeschafft hatten, zurückkamen, sagte einer von ihnen:

»Erst that er, als ob er fest und furchtlos sei; als er die Bestien aber liegen sah, da heulte er. Die Teufel des Sumpfes haben ihn sofort zerrissen.«

Es schauderte mir. Und doch war es mir, als ob auch diese Strafe nicht zu hart bemessen gewesen sei. Der Reïs Effendina aber meinte sogar zu mir:

»Schade, daß es so schnell gegangen ist! Er hat einen viel, viel längeren Todeskampf verdient; aber wir müssen leider fort. Du wirst mir zürnen, Effendi, daß ich nicht auf sein Verlangen eingegangen bin.«

»Nein, das habe ich dir nicht übelnehmen können, denn was er forderte, war wirklich wahnsinnig. Er und alle frei! Und schließlich hätte er mich doch belogen. Aber ich habe doch wenigstens ein Resultat gehabt. Bis jetzt besaß ich nicht die mindeste Spur von dem Verschollenen; da sich aber der Alte zu den Worten hinreißen ließ: ›diesen Hafid Sichar, den mein Sohn hätte töten sollen‹, so weiß ich jetzt, wo ich volle Auskunft erlangen kann, nämlich bei Ibn Asl, welcher den Verschollenen jedenfalls ausgeraubt hat. Kennst du den Kaufmann Barjad el Amin in Chartum?«

»Ja. Ich bin oft bei ihm gewesen.«

»Ist er ehrlich oder nicht?«

»Die Ehrlichkeit selbst könnte nicht anders handeln als er.«

»Sollte mir lieb sein. Auch der Führer von Maabdah beschrieb ihn mir als einen ehrlichen Mann; aber es gab in dieser Beschreibung doch einige Punkte, welche noch der Aufklärung bedürfen. Wenn er eine Maske trägt, werde ich sie ihm vom Gesichte reißen, sobald ich nach Chartum komme, was leider nun nicht sobald geschehen wird. Wann brechen wir von hier auf?«

»Wir können es jetzt gleich thun.«

»Bist du heute fertig mit dem Gericht?«

»Ja. Es galt eigentlich nur dem Alten, welcher auf alle Fälle unschädlich gemacht werden mußte. Das mußte hier geschehen, und ich konnte es thun, weil ich glücklicherweise die Macht dazu besitze. In Chartum habe ich nicht Zeit, mich lange mit dem Schicksale dieser Leute zu befassen; ich muß sie dem dortigen Gerichte übergeben, und da war es sehr leicht möglich, daß man diesen Abd Asl gegen eine tüchtige Summe entkommen ließ.«

»Man sollte doch meinen, daß, besonders wenn es sich um einen solchen Fall handelt, von der Bestechung der Richter keine Rede sein kann!«

»Ja, meinen sollte man es, und was mich betrifft, so ließe ich mir die Gerechtigkeit meines Urteiles nicht für Millionen abkaufen; aber ich habe einmal gehört, daß es ein christliches Land giebt, in welchem die Göttin der Gerechtigkeit als blindes Weib dargestellt wird –«

»Das war ein heidnisches Land, nämlich Griechenland.«

»Ob christlich oder heidnisch – oder muhammedanisch, das bleibt sich gleich; es ist bei uns ganz dasselbe. Hast du vielleicht von dem Mudir von Faschodah gehört?«

»Ja. Er heißt Ali Effendi el Kurdi und ist auch in weiteren Kreisen bekannt durch die grausige Niederwerfung der Militärrevolte in Kassala.«

»Dort hat er zu viel Gerechtigkeit walten lassen, später desto weniger. Es war eine Schande! Man kannte unter ihm in Faschodah zwar das strenge Verbot des Sklavenhandels, aber man sah nichts davon. Die Sklavenjäger gingen ganz offen in seinem Hause ein und aus. Sie zahlten ihm für jeden Sklaven heimlich eine Kopfsteuer und fanden dafür bei ihm Schutz gegen das Gesetz. Ich kannte sie alle, konnte aber keinen fassen. Wenn ich kam, um einmal die Schlinge über einem solchen Schurken zuzuziehen, wurde sie mir von ihm zerschnitten. Wenn das der oberste Regent einer Provinz, der Mudir, thut, was kann man dann von den unteren und untersten Beamten erwarten! Faschodah war geradezu der Ausgangspunkt aller Sklavenraubzüge geworden. Die Sklavenjäger versammelten sich dort, um sich vorzubereiten, und wenn ich ein Wort darüber fallen ließ, wurde ich von dem Mudir entweder angebrüllt oder ausgelacht. Das durfte ich nicht länger dulden. Ich ging direkt zum Vicekönige, sagte es ihm, legte ihm die Beweise vor, und der Erfolg ist nun dieser Tage bekannt geworden. Ali Effendi el Kurdi ist ab- und ein neuer Mudir eingesetzt worden.«

»Wird dieser gerechter sein als der vorige?«

»Ja; ich bin überzeugt davon, denn ich kenne ihn; ich bin es, dem er dieses Amt zu verdanken hat, denn ich habe ihn zu demselben vorgeschlagen und freue mich außerordentlich, daß der Vicekönig dieser meiner Empfehlung Folge geleistet hat. Der neue Mudir heißt Ali Effendi und wurde von seinen bisherigen Unterthanen stets nur Abu Hamsah miah genannt.«

»Welchem Umstande hat er diesen Namen zu verdanken?«

»Einer sehr löblichen Gepflogenheit, durch welche er sich in großen Respekt gesetzt hat. Er ist nämlich der allgemeinen Bestechlichkeit und andern derartigen Schwächen vollständig unzugänglich und pflegt, wenn er zu Gerichte sitzt, jedem, den er für schuldig hält, fünfhundert Hiebe zu diktieren. Da er diese Gabe mit ganz derselben Güte an Arme und Reiche, Geringe und Vornehme austeilt, hat man eine heillose Angst vor ihm, und ich traue es ihm zu, daß er auch in Faschodah sehr bald reine Wirtschaft machen wird. Er ist mein Freund, und ich habe dich meist nur deshalb ersucht, jetzt mit nach dem Schiffe zu gehen, weil ich dir ein Empfehlungsschreiben an ihn mitgeben will, damit du auch während meiner Abwesenheit die nötige Unterstützung findest.«

»Ein solches Schreiben muß mir natürlich höchst willkommen sein, da es mir sehr wahrscheinlich manches erleichtern oder auch ermöglichen wird, was mir sonst schwer fallen oder gar unmöglich sein würde.«

Wir hatten während dieses ernsten, in unterdrücktem Tone geführten Gespräches natürlich auch ernste Gesichter gemacht; dies schien in den Gefangenen den Glauben erweckt zu haben, daß die Gerichtssitzung noch nicht vorüber sei und wir uns über die Bestrafung der übrigen unterhielten. In diesem angenommenen Falle wären natürlich die beiden Offiziere des Sklavenjägers zunächst an die Reihe gekommen. Dies schien sie in große Besorgnis zu versetzen, denn der »Oberlieutenant« sandte uns einen der Wächter her, um anfragen zu lassen, ob er mit uns sprechen dürfe, er habe uns eine sehr wichtige Mitteilung zu machen. Es wurde ihm natürlich gestattet. Als ihn zwei Asaker zu uns gebracht hatten und der Reïs Effendina ihn fragte, was er vorzubringen habe, antwortete er:

»Du hast das Urteil an Abd Asl vollstrecken lassen, o Emir. Wirst du nun auch über uns zu Gericht sitzen?«

»Erwartest du vielleicht, daß ich euch laufen lasse?«

»Nein. Wir kennen dich. Wir befinden uns in deinen Händen und dürfen also nicht hoffen, straflos auszugehen, aber wir bitten dich um die Gnade, mit uns zu machen, was dir gefällt, aber uns nur nicht auch den Krokodilen vorwerfen zu lassen. Wir kann der Erzengel Dschibraïl am Tage der Auferstehung unsere Gebeine finden, wenn sie von diesen Ungeheuern zermalmt und aufgefressen worden sind!«

»Schurke! jetzt, in der Todesangst, berufst du dich auf die Verheißungen des Kuran. Hast du auch bei deinen Missethaten an die Gebote der Religion gedacht?«

»Emir, der Sklavenfang war seit Jahrhunderten gestattet. Was hat die Religion damit zu thun, daß diese Erlaubnis von Menschen aufgehoben wurde?«

»Und was hat der Islam mit deinen Gebeinen zu thun? Wenn sie im Magen eines Krokodils schmoren, brauchen sie nicht später in der Hölle gebraten zu werden. Du mußt mir also dankbar dafür sein, daß ich dich Abd Asl jetzt unverzüglich folgen lassen werde.«

»Um Allahs willen, thue das nicht! Ich werde dir beweisen, daß ich nicht so schlimm bin, wie du denkst, und keinen solchen Tod verdiene.«

»So? Ich möchte wissen, wie du, der Anführer dieser tollen Hunde, einen solchen Beweis zu führen gedenkst.«

»Erlaube mir, ihn vorzubringen. Ich hörte vorhin, daß dieser Effendi sich nach einem Manne erkundigte, welcher verschwunden ist. Wenn ich über denselben Auskunft gebe, wirst du mich dann mit den Krokodilen verschonen?«

»Nein, denn du wirst irgend eine Lüge vorbringen, um dich zu retten.«

»Nein, Emir. Allah weiß es, daß ich die Wahrheit sagen werde! Nimm mich mit dir und halte mich gefangen, bis du dich überzeugt hast! Wenn du findest, daß ich dich belogen habe, so magst du mich den Krokodilen zu fressen geben oder, wenn es dir beliebt, eine noch entsetzlichere Todesart für mich erdenken.«

»Voraus kann ich dir nichts versprechen. Wir werden deine Worte prüfen. Finden wir sie wahr, so bin ich vielleicht bereit, dich nicht fressen zu lassen. Weißt du, wo jener Hafid Sichar sich befindet?«

»Ja, aber das Land und das Dorf weiß ich nicht.«

»Wie? Du kennst seinen Aufenthalt, weißt aber weder das Land noch das Dorf? Mensch, du redest ja Unsinn!«

»Es ist wirklich so, Emir.«

»Hast du etwa mit Ibn Asl oder seinem Vater darüber gesprochen? Haben sie dich in das Geheimnis gezogen?«

»Nein. In so vertraulicher Weise haben diese beiden nie mit uns verkehrt; aber ich hörte einmal, daß sie von diesem Hafid Sichar sprachen, und sie wußten nicht, daß ich mich in der Nähe befand.«

»Was sagten sie von ihm?«

»Die einzelnen Worte kann ich dir nicht mehr sagen, aber den Inhalt habe ich mir gemerkt. Du sollst ihn jetzt erfahren. Ibn Asl war früher arm und ist nur durch Hafid Sichar reich geworden. Er hat ihm eine große Summe abgenommen und sie mit einem andern geteilt.«

»Wer ist der andere?«

»Das weiß ich nicht; ich konnte es aus dem, was ich hörte, nicht entnehmen; es wurde weder sein Name noch sein Stand genannt. Ibn Asl hat Hafid Sichar töten wollen, um den Zeugen des Diebstahles aus der Welt zu bringen; dieser andere aber hat es nicht zugegeben. Mit dem geraubten Gelde wurde eine Ghasuah unternommen, und um Hafid Sichar unschädlich zu machen, schleppte man ihn mit und hat ihn tief im Süden an den Anführer eines wilden Stammes verkauft.«

»Welcher Stamm ist das?«

»Das eben weiß ich nicht, Emir. Du hast jetzt alles erfahren, was ich dir sagen konnte. Wirst du nun die Barmherzigkeit üben, mir meine Bitte zu erfüllen?«

»Wende dich an den Effendi, den diese Sache angeht! Vielleicht ist er geneigt, Fürbitte für dich einzulegen.«

Der Gefangene folgte dieser Weisung, indem er mich bat, für ihn zu sprechen. Ich mußte seine Todes- oder vielmehr Krokodilangst für meine Zwecke möglichst ausnutzen und antwortete ihm daher:

»Ob ich etwas für dich thue, hängt ganz von deiner weiteren Aufrichtigkeit ab. Hast du einmal den Namen Barjad el Amin gehört?«

»Ja. Dieser Mann ist Kaufmann in Chartum. Du hast vorhin schon Abd Asl nach ihm gefragt.«

»Steht Ibn Asl noch in Geschäftsverbindung mit ihm?«

»Nein. Wenigstens weiß ich nicht das Geringste davon.«

»So ist diese Sache erledigt. Aber weiter-. Hat Ibn Asl jetzt viel Geld bei sich?«

»Ja, fast sein ganzes Vermögen. Er wollte eine Sklavenjagd unternehmen, wie so groß es noch keine gegeben hat. Wo aber, das ist selbst für mich ein Geheimnis geblieben. Er behandelte diesen Zug sehr geheimnisvoll. Wohin er gerichtet sein werde, sollte ich erst in Faschodah erfahren.«

»Wolltet ihr lange dort bleiben?«

»Solange, bis unsere Ausrüstung beendet sein würde.«

»Wie ich gesehen habe, war euer Schiff, die ›Eidechse‹, leer. Sollte sie in Faschodah die nötigen Tauschwaren aufnehmen?«

»Ja, und die andern Schiffe auch.«

»Was? – Es sollten mehrere Schiffe ausgerüstet werden?«

»Ja. Wie viele aber, auch das wurde mir vorher nicht gesagt.«

»Ibn Asl muß in Faschodah sehr vertraute Geschäftsfreunde besitzen. Kennst du sie?«

»Er pflegt selbst gegen seine nächsten Untergebenen stets sehr vorsichtig und verschwiegen zu sein. In seine Freundschaften und Verbindungen hat er mich nie blicken lassen. Darum kenne ich in Faschodah nur einen einzigen Mann, von dem ich mit Sicherheit sagen kann, daß Ibn Asl mit ihm verkehrt, er heißt Ibn Mulei und ist Major der Arnauten, welche in Faschodah stehen.«

»Das genügt. Nun nur noch eins: Wo habt ihr euer Schiff gelassen, als ihr euch auf den Weg nach hier machtet?«

»Es liegt im rechten Arm des Niles bei der Dschesireh Mohabileh. Zehn Mann blieben zurück, um es zu bewachen.«

»Genug! Ich sehe dir an, daß du mir die Wahrheit gesagt hast, und bin mit dir zufrieden.«

»Ich danke dir, Effendi! Wirst du nun die Gnade haben, Fürbitte bei dem Emir einzulegen?«

Der letztere antwortete anstatt meiner:

»Da du uns nicht belogen hast, will ich dir hiermit versprechen, daß du vor den Krokodilen sicher bist; aber mehr kann ich nicht thun. Wehe dem, der wehe thut! Straflos könnet ihr unmöglich bleiben. Es ist gut!«

Der Oberlieutenant kehrte, wenigstens nun für den Augenblick beruhigt, an seinen Platz zurück, und es wurden jetzt die Vorbereitungen zum Abmarsche getroffen. Meine Erkundigungen hatten Erfolg gehabt, aber einen solchen, daß ich mir sagte, es werde wohl außerordentlich schwierig, wo nicht gar unmöglich sein, den Bruder des Führers von Maabdah aufzufinden. Es gab nur eine einzige Person, von der ich den Aufenthaltsort dieses unglücklichen Mannes erfahren konnte, nämlich Ibn Asl selbst. Und vorausgesetzt, daß es mir gelang, diesen zu ergreifen, so war es doch sehr zweifelhaft, ob es mir gelingen werde, ihm die gewünschte Auskunft abzuzwingen. Ich mußte mich eben auch in dieser Angelegenheit auf meinen guten Stern verlassen.

Der »Falke«, das Schiff des Reh Effendina, lag in gleicher Höhe mit dem Sumpfe am linken Ufer des Niles. Um es zu erreichen, mußte ein Fußgänger vielleicht zwei Stunden lang marschieren. Das konnten die Gefangenen sehr wohl aushalten. Sie sollten unter Deck gebracht werden. Da man die vorhandenen Kamele nicht verladen konnte, sollten dieselben auf dem Landwege nach Chartum transportiert werden, wozu zehn oder zwölf Asaker vollständig genügten.

Es war kurz vor Mittag, als wir aufbrachen. Der Emir hatte sich an die Spitze des Zuges gesetzt, und ich stieg mit Absicht zu allerletzt in den Sattel. Das geschah des Fakir el Fukara wegen. Er lag hilflos am Sumpfe, den Miriaden Stechfliegen, dem Hunger und dem Durste preisgegeben. Das erregte mein Mitleid, obgleich er es nicht verdiente. Ich besaß zwar einen Wasserschlauch, wollte ihn aber nicht opfern; darum hatte ich einen andern, ohne daß man darauf achtete, an mich genommen und an den Sattel gehängt; er war noch halb voll.

Als die letzten des Zuges sich schon eine Strecke entfernt hatten, ritt auch ich fort, aber nicht ihnen nach, sondern zum Maijeh. Ich wußte die Stelle nicht, wo der Fakir el Fukara sich befand und bei welcher man jedenfalls auch Abd. Asl in den Sumpf geworfen hatte, konnte sie aber gar nicht fehlen, weil eine sehr deutliche Spur zu ihr führte. Man hatte den Fakir ja nicht getragen, sondern über das Gras geschleift.

Ich sah ihn neben einem häßlichen Oscherbusche liegen, welcher ganz hart am Ufer stand. Der Sumpf war hier mit stinkendem Grün bedeckt, auf und in welchem riesige Krokodile in träger Ruhe lagen. Das waren die Totengräber und auch – die Gräber des Abd Asl!

Als der Fakir mich kommen hörte, wendete er den Kopf nach mir und stierte mich mit seinen blutunterlaufenen Augen an. Über sein tiefdunkles Gesicht ging ein beinahe tierisch zu nennendes Grinsen. Seinen Lippen entfuhren einige röchelnde Silben, jedenfalls Schimpfwörter, welche ich nicht verstand. Die Hände wahren ihm noch gebunden, und an den aufgesprungenen Füßen wimmelte es bereits von Insekten, welche seine Schmerzen vermehrten. Ich stieg ab und durchschnitt die Schnur, so daß er nun die Hände frei hatte; dann legte ich ihm den Wasserschlauch hin und fügte schließlich den Mundvorrat hinzu, den ich in dem Sattelbeutel bei mir führte. Es war genug für einige Tage. Er sah mir dabei zu, ohne ein Wort zu sagen.

»Hier hast du, damit du nicht verschmachtest,« bedeutete ich ihm. »Mehr kann ich nicht für dich thun.«

Er antwortete mir nur mit einem giftigen Zischen.

»Hast du einen Wunsch?«

Er schwieg.

»Nicht? Dann lebe wohl! Zwei Stunden von hier, gerade gegen Osten, liegt der Nil. Du wirst ihn, noch ehe der Proviant ausgeht, erreichen können.«

Ich stieg wieder auf. Als mein Kamel zu schreiten begann, ertönten hinter mit die dankbaren Worte:

»Allah verdamme dich. Fürchte die Rache, die Rache!«

Bald hatte ich den Zug erreicht und gesellte mich zu dem voranreitenden Emir. Es war gar nicht notwendig, daß wir bei dem ersteren blieben, da ein Unfall nicht zu befürchten stand. Wir waren nicht nötig und ritten darum voraus, um Zeit zu ersparen und eher bei dem Schiffe anzukommen. Dort begaben wir uns in die Kajüte, wo der Emir das erwähnte Empfehlungsschreiben anfertigte. Dann drückte er mir einen Beutel in die Hand, indem er sagte:

»Du wirst in Faschodah Ausgaben für mich zu machen haben. Verfüge über dieses Geld, als ob es dein Eigentum wäre! Ich nehme nichts davon wieder.«

Als der Zug anlangte, bekümmerte ich mich um nichts als um die Vorbereitungen, welche wir zu dem bevorstehenden Ritte zu treffen hatten. Wir wurden mit allem Nötigen reichlich versehen und verabschiedeten uns kurz nach dem Nachmittagsgebete, da wir heute noch eine tüchtige Strecke zurücklegen wollten.

Meine Löwenhaut nahm der Emir nach Chartum mit, wo sie zubereitet werden sollte und ich sie später abholen wollte. Unser Weg führte nicht am Nile hin, dessen Krümmungen wir vermeiden mußten, sondern wir suchten die freie Ebene auf, welche uns ein viel schnelleres Fortkommen bot. Um das, was wir erleben würden, sorgten wir uns nicht. – – –


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