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108

»Ah! Ich glaube, Sie zu begreifen.«

»Es ist gar kein Kunststück, das zu begreifen. Er wird den Boden wieder aufsteigen lassen. Wenn wir uns dann daraufstellen, kommen wir in aller Gemüthlichkeit wieder hinauf.«

»Um uns von ihm dann doch desto sicherer herabstürzen zu lassen.«

»O nein. Er hält uns ja für todt.«

»Er wird aber sehen, daß wir leben.«

»Nein. Er wird uns nicht eher sehen, als bis es für ihn zu spät ist.«

»Was hilft es uns denn, wenn wir auch wirklich wieder emporgezogen werden? Wir befinden uns dann in der Brunnenstube, welche ebenso fest verschlossen ist wie dieses verdammte Loch, und können ebenso wenig heraus wie wir hier.«

»Das möchte ich doch bezweifeln.«

»Wie anders sollte es denn sein?«

»Nun, der Alte hält uns für todt. Er ahnt nicht, daß sein Mechanismus ihn dieses Mal im Stiche gelassen hat. Er wird also den Boden wieder nach oben gehen lassen. Wir sitzen auf demselben und verhalten uns ganz mäuschenstill. Es sollte mich sehr wundern, wenn er nicht die Thür öffnete, um zu sehen, ob Alles wieder in Ordnung ist. Dann springen wir auf ihn ein und hauen ihn nieder.«

»Derwisch, dieser Gedanke ist nicht schlecht!«

»Nicht wahr?«

»Ja. Ich beginne, wieder aufzuleben.«

»Sie sehen, daß man selbst in der tiefsten Noth und in der größten Gefahr die Hoffnung festhalten darf.«

»Aber es fragt sich nur, ob er bald auf den guten Gedanken kommen wird. Vielleicht vergehen Tage, ehe es geschieht.«

»O nein. Ich möchte darauf schwören, daß es noch heut, ja, daß es in sehr kurzer Zeit geschehen wird.«

»Haben Sie einen Grund zu dieser Annahme?«

»Einen sehr triftigen.«

»Welchen?«

»Dieser Grund heißt Tschita und Zykyma.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Wirklich nicht? Und Sie wollen ein hoher Polizeibeamter gewesen sein? Hm!«

»Wer kann alle Gedanken errathen!«

»Niemand; das ist wahr. Aber auf eine so ganz nahe liegende Idee ist doch sehr leicht zu kommen. Der Pascha wird natürlich darauf brennen, den beiden Frauen zu sagen, was für ein Ende ihre Gesellschaft gefunden hat.«

»Ah, meinen Sie so!«

»Ja. Er wird sie peinigen wollen, indem er ihnen den Brunnen zeigt. Er wird sie herführen, und da werden natürlich oben über uns die Thüren geöffnet werden. Bei dieser Gelegenheit kommen wir hinaus.«

»Richtig, richtig! Das ist wahr!« jubelte der Agent laut auf.

»Still, still! Man könnte uns hören. Sie können ja sehr leicht schon nahe sein, und wenn sie uns sprechen hörten, so wären wir verloren.«

»Ah, welche Wollust, wenn wir wieder frei kommen könnten!«

»Mit welcher Gewalt würde ich mich auf den Pascha stürzen!«

»Und ich mich auf den Castellan!«

»Ich erwürgte ihn!«

»Ich den Alten auch.«

»Ja – doch nein! Ich würde ihn nur niederschlagen, so daß er die Besinnung verlöre, und Sie müßten es mit dem Alten auch so thun.«

»Warum?«

»Sie sind wirklich sehr schwer von Begriffen! Diese beiden Kerls müßten ganz desselben Todes sterben, den wir sterben sollen.«

»Ah!«

»Ja. Sie müßten in den Brunnen hinab!«

»Welch ein Gedanke!«

»Ein sehr nahe liegender. Das wäre eine Rache!«

»Wie hätten wir das anzufangen?«

»O, das ist doch ungeheuer leicht und einfach. Sie haben keine Ahnung, daß wir noch leben, und werden in Folge dessen von unserem Ueberfalle so überrumpelt, daß sie gar nicht Zeit finden, an Gegenwehr zu denken. Wir fassen sie beim Halse und drücken ihnen denselben so fest zusammen, daß sie bewußtlos werden.«

»Hm! Die Frauen sind dabei!«

»Die werden sich hüten, ihnen zu helfen!«

»Auch Lina nicht?«

»Die – ja, diese wäre freilich im Stande, zuzugreifen, aber ein tüchtiger Hieb mit der Faust oder ein kräftiger Tritt mit dem Beine macht uns frei von ihr. Dann werfen wir die beiden Kerls auf den beweglichen Boden und schließen sie in der Brunnenstube ein. Wenn sie dann erwachen, befinden sie sich ganz in derselben Lage, wie vorhin wir.«

»Ja, das ist richtig. Sie stecken in der Stube, und wir stehen draußen am Hebel – –«

»Und gucken durch die Klappe zu ihnen herein. Dann aber sollen sie noch mehr und noch viel, viel länger gepeinigt werden, als sie uns gepeinigt haben. Sie sollen tagelang über dem Brunnen stehen und jeden Augenblick gewärtig sein, in die Tiefe sinken zu müssen!«

»Und Lina, sie soll tausendfache Angst um ihren Oheim ausstehen müssen.«

»Nur um ihn? Nicht auch um sich?«

»Warum um sich?«

»Weil sie auch mit herab muß.«

»Donnerwetter!« meinte Schubert erschrocken.

»Oder etwa nicht?«

»Hm! Es wäre doch zu grausam!«

»Pah! Ich glaube gar, Sie bedauern sie!«

»Sie ist so schön!«

»Aber ebenso schlecht!«

»Recht haben Sie eigentlich.«

»Sie hat mit geholfen, uns dem Tode zu überliefern. Jetzt soll sie ganz dasselbe Schicksal haben. Das ist nichts als eine ganz gerechte und wohlverdiente Strafe. Ich kann es nicht zugeben, daß Sie aus schwächlichem Bedauern eine Dummheit begehen, welche uns theuer zu stehen kommen könnte.«

»Sie meinen, daß es uns schaden würde, wenn sie leben bliebe?«

»Natürlich! Sie würde Alles verrathen.«

»Wenn wir ihr einen Eid abnähmen – –«

»Unsinn! Was ist in den Augen einer solchen Hexe ein Eid!«

»Ja, wenn ich es nur recht überlege, so hat sie miserabel an mir gehandelt. Sie verdient keine Nachsicht.«

»Also weg mit ihr! Nicht?«

»Meinetwegen! Ich habe nichts dagegen. Wäre sie nicht treulos gegen mich gewesen!«

»Ihr schönes Gesicht geht uns gar nichts an. Die Klugheit verbietet es uns, eine Zeugin leben zu lassen.«

»Aber Tschita und Zykyma bleiben doch leben!«

»Meinen Sie?«

»Nun – etwa nicht?«

»Nein.«

»Sapperment! Auch diese sollen mit hinabgestürzt werden?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Was mache ich mir aus diesen elenden Frauenzimmern! Sie müssen alle dran! Es darf keine die Ruine wieder verlassen. Nur auf diese Weise sind wir ganz sicher.«

»Recht haben Sie, sehr Recht!«

»Nicht wahr? Wir sperren alle Fünf in die Brunnenstube ein. Da können wir sie mehrere Tage lang den Tod erwarten lassen. Wir sind die alleinigen Herren der Situation, und Niemand wird uns stören.«

»Vielleicht doch. Man wird jedenfalls nach ihnen suchen.«

»Aber nichts finden. Die Wohnung des Castellanes schließen wir zu und kleben einen Zettel an seine Thür, auf welchem die Bemerkung steht, daß er für einige Zeit verreist sei. Da wird Jedermann denken, daß dieses alte Schloß für diese Zeit vollständig leer und verlassen sei. Wir aber stecken hier unten und laben uns an der Todesangst unserer Opfer.«

»So mag es gehen!«

»Ja. Ich kann es kaum erwarten, bis die Kerls oben kommen.«

»Da dürfen wir aber nicht hier sitzen bleiben.«

»Warum nicht?«

»Weil sonst der Vexirboden ohne uns in die Höhe gehen könnte.«

»Sie meinen, daß wir uns bereits jetzt daraufstellen sollen?«

»Ja.«

»Das ist nicht nothwendig. Ich traue den Brettern doch nicht recht. Es bleibt uns jedenfalls genügend Zeit dazu. Sobald wir hören, daß Jemand oben ist, stellen nur uns darauf.«

»Gut, wollen hoffen, daß es gelingt!«

»O, der Teufel verläßt Keinen, der ihm vertraut! Wir werden frei sein. Ich schwöre darauf.«

»Gut! Aber was dann?«

»Was dann? Sie thun, was Ihnen beliebt, und ich mache mich schleunigst davon.«

»Da ist es nur jammerschade um Eins.«

»Um was?«

»Daß wir das schöne Geld verlieren.«

»Welches der Pascha einstecken hat?«

»Ja.«

»Unsinn! Es fällt mir gar nicht ein, es mit in die Tiefe stürzen zu lassen. Wenn ich daran denke, wie viel Geld Steinbach, der Lord und alle Andern bei sich gehabt haben werden, die Uhren und Ringe gar nicht gerechnet, so möchte ich das Blaue vom Himmel herunterfluchen. Aber was hilft der Aerger? Es ist doch Alles verloren. Darum soll wenigstens das gerettet werden, was der Pascha bei sich hat. Wir räumen ihm die Taschen aus, während er ohne Besinnung ist.«

»Wer weiß, ob er Alles bei sich hat!«

»Warum nicht? So viel ich ihn kenne, trägt er auf Reisen stets sein ganzes Geld bei sich auf dem Körper.«

»Er kann aber noch sehr viel mehr im Gasthofe haben.«

»Das müßten wir leider dort lassen, denn wir können es nicht bekommen.«

»Warum nicht?«

»Wie wollten Sie es anfangen?«

»Weiß nicht.«

»Ich auch nicht. Ich werde von der Polizei gesucht und darf mich am Allerwenigsten öffentlich in einem Hotel sehen lassen. Und Sie – – wie wollten Sie es anfangen, die Effecten des Pascha ausgehändigt zu erhalten?«

»Hm! Vielleicht wäre es zu ermöglichen.«

»Auf welche Weise?«

»Indem ich mich für seinen Beauftragten ausgebe.«

»Wird man Ihnen glauben?«

»Warum nicht?«

»Man wird Beweise verlangen.«

»Schwerlich. Man kennt mich ja genug als Badegast, und Jedermann weiß, daß ich Polizeibeamter gewesen bin. Man hat also keine Veranlassung, mich mit Mißtrauen zu beleidigen.«

»Was wollen Sie denn sagen?«

»Ich schütze das Duell vor.«

»Welches?«

»Zwischen dem Pascha und dem Lord. Der Pascha hat die Stadt heimlich verlassen, um sich durch seine schnelle Entfernung aus dieser Affaire zu ziehen. Ich habe ihn in der Residenz getroffen, und da er mich kennt, hat er mich gebeten, ihm seine Effecten zu besorgen.«

»Möglich, daß man es Ihnen glaubt!«

»Es ist nicht möglich, sondern gewiß. Ich erhalte die Sachen ausgehändigt und schaffe sie wirklich nach der Residenz, um etwaige Aufpasser irre zu führen. Dann theilen wir.«

»Wen meinen Sie unter diesem Wir?«

»Sie und mich natürlich!«

»Bin Ihnen sehr verbunden, glaube aber leider nicht daran.«

»Warum?«

»Weil ich Ihnen nicht traue.«

»Donnerwetter!«

»Bitte, ereifern Sie sich nicht! Ich bin ein Spitzbube, und Sie sind auch einer. Daß solche Leute einander nicht weiter trauen dürfen, als sie sehen, das haben wir erst wieder vorhin erfahren. Theilen Sie mit – mit – nun, mit sich selbst! Wenn Sie die Effecten haben, wird es Ihnen nicht einfallen, mir etwas davon zu geben.«

»Herr, da kennen Sie mich schlecht!« sagte der Agent mit Emphase.

»Pah! Auch angenommen, Sie hätten den guten Willen, wo wollten wir uns treffen?«

»Nun, eben in der Residenz.«

»Sehr schön! Sie wissen aber recht gut, daß ich es nicht wagen darf, dorthin zu gehen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich verfolgt werde.«

»Denken Sie an Ihre Verkleidung!«

»Die taugt nichts.«

»O, sie ist sehr gut.«

»Für diese Ruine, ja. Aber wenn ich mich so, wie ich jetzt bin, auf die Bahn wogen wollte, wäre ich verloren. Sie wissen das ebenso genau wie ich, und darum können Sie gut davon sprechen, daß wir theilen wollen.«

»Ich meine es wirklich ehrlich!«

»Na, ich will Ihnen den Gefallen thun und es glauben, aber wegen Ihrer Theilung begebe ich mich nicht in Gefahr. Machen wir es anders. Theilen wir auf andere Weise!«

»Wie denn?«

»Ich nehme das, was der Pascha bei sich trägt, und Sie bekommen seine Effecten.«

»Da mache ich nicht mit.«

»Warum nicht?««

»Wie nun, wenn er sein ganzes Geld bei sich trüge? Dann käme ich schlecht weg.«

»Und wenn er nichts bei sich hat, so bin ich es, der schlecht wegkommt. Das muß eben riskirt werden.«

»Denken Sie nur an den einen Ring, den er trägt! Er ist ein echter Diamant.«

»Ich will Ihnen den guten Rath geben, jetzt noch nicht an sein Geld und seine Ringe zu denken, denn wir haben ja ihn selbst noch nicht, und sodann – – horch,« unterbrach er sich. »Hörten Sie etwas?«

»Ja,« antwortete Schubert, indem auch er lauschte.

»Es war mir, als hörte ich etwas.«

»Mir auch.«

»Aber wo? Es war nicht zu unterscheiden.«

»Ich meine, es war über uns. Horch!«

Es drang ein leises, schrilles Geräusch zu ihnen herab, wie wenn ein Schlüssel im Schlosse gedreht wird.

»Sie kommen oben,« flüsterte der Agent.

»Ja, jetzt höre ich es auch.«

»Da müssen wir uns schleunigst auf die Diele stellen.«

Er erhob sich.

»Noch nicht,« warnte der Derwisch. »Warten wir noch. Wollen erst hören, was vielleicht gesprochen wird.«

Auch er stand auf und trat bis an den Innenrand des Brunnens vor, um in die Höhe zu blicken. Oben erschien eine Laterne, mit welcher herabgeleuchtet wurde.

»Herr Schubert!« hörten sie die Stimme des Castellans rufen.

»Donnerwetter!« flüsterte der Genannte. »Er ruft mich!«

»Ja, ich hörte es auch.«

»Es ist der Castellan?«

»Wie es scheint.«

»Soll ich antworten?«

»Nein.«

»Herr Schubert!« klang es von Neuem und dieses Mal lauter von oben herab.

»Wieder! Ich möchte doch antworten!«

»Um Gotteswillen nicht!«

»Meinen Sie?«

»Ja. Er will nur probiren, ob wir auch wirklich todt sind. Wenn Sie antworten, sind wir verloren.«

»Derwisch, Derwisch!« rief der Alte.

»Jetzt meint er Sie,« flüsterte Schubert.

»Jawohl! Ich werde mich aber hüten, auf diesen Leim zu gehen.«

»Derwisch, Schubert! Antworten Sie doch!«

Sie schwiegen auch auf diesen doppelten Zuruf. Darum sagte der Alte

»Sie können mir getrost antworten. Ich weiß, daß Sie leben.«

»Nur still, still!« warnte der Derwisch.

»Ich weiß, wo Sie sich befinden, hier unter mir. Ich sollte Sie hinabstürzen lassen, habe es aber nicht gethan. Ich ließ den Boden nur ein Stück hinab und will Sie jetzt wieder frei machen. Treten Sie darauf; ich lasse ihn emporsteigen.«

»Kein Wort!« flüsterte der Derwisch. »Er will uns nur in Versuchung führen.«

»Vielleicht doch nicht.«

»Jedenfalls!«

»O nein. Der Boden ist hier halten geblieben. Wir haben geglaubt, daß dies die Folge eines Versehens sei; ich glaube es aber nun selbst, daß es der Alte so beabsichtigt hat.«

»Hm! Möglich wäre es.«

»Also antworten wir ihm getrost.«

»Warten wir noch!«

»Er wird die Geduld verlieren!«

»Schwerlich, wenn er es nämlich ernstlich meint. Wenn er wirklich weiß, daß wir noch leben, so giebt er keine Ruhe, bis wir antworten.«

Dies war auch wirklich der Fall, denn der Alte ließ sich wieder hören:

»So reden Sie doch! Sagen Sie nur ein Wort!«

»Ich glaube an ihn. Soll ich reden?« fragte der Agent.

»Nein. Ich selbst will es thun.«

Und sich mit dem Kopfe vorbeugend, daß er emporschauen konnte, rief er hinauf:

»Wer ist oben?«

»Ich, der Castellan.«

»Dachte es. Was wollen Sie?«

»Ich will Sie herausholen. Treten Sie doch auf die Diele!«

»Danke sehr! Fällt mir nicht ein!«

»Warum nicht?«

»Damit Sie etwa ausführen können, was Ihnen vorhin nicht gelungen ist?«

»Was denn?«

»Uns hinabstürzen.«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Fällt Ihnen schon ein. Sie haben es ja bewiesen.«

»Nein. Ich sollte Sie zerschmettern, aber ich habe es nicht gethan.«

»Aus Versehen!«

»Aus Absicht!«

»Das machen Sie mir nicht weiß!«

»Aber zum Teufel, so glauben Sie es doch!«

»Ich glaube es nicht.«

»Würde ich kommen und Sie rufen, wenn ich Sie für todt hielte?«

»Vielleicht nicht.«

»Und daß Sie nicht todt sind, das lag in meiner Absicht.«

»Also wollen Sie uns wirklich retten?«

»Ja.«

»Durch diese verfluchte Diele?«

»Ja.«

»Warum denn auf diesem Wege?«

»Weil er der schnellste und auch der bequemste ist.«

»Danke für diese Art von Bequemlichkeit! Ich trete nicht wieder auf diese verdammten Bretter.«

»Sie sind ganz sicher!«

»Meinetwegen. Kennen Sie die Thür hier unten bei uns?«

»Ja.«

»Können Sie herab zu uns?«

»Ja, auf der Treppe.«

»Haben Sie den Schlüssel zu dieser Thüre auch bei sich?«

»Ja.«

»So kommen Sie herab, um zu öffnen, wenn Sie es ehrlich meinen.«

»Wenn es Ihnen lieber ist, dann gut!«

»Natürlich ists mir lieber. Ich sehe nicht ein, warum ich noch einmal über dem Brunnen schweben soll, wenn es einen sichern und festen Weg hinauf giebt.«

»So warten Sie; ich komme.«

Die Laterne verschwand oben.

»Herrgott,« sagte der Agent, tief Athem holend, »sollte er die Wahrheit sagen?«

»Jetzt glaube ich es fast.«

»Uns retten wollen?«

»Ja.«

»Welch ein Glück! Welche Freude!«

»Jawohl! Vor wenig Secunden glaubten wir nur noch an den Tod, sehen also, daß man wirklich niemals verzweifeln soll.«

»Aber ob er es auch ernstlich ehrlich meint?«

»Ich denke es.«

»Vielleicht lockt er uns nur in eine abermalige Falle.«

»Das befürchte ich nicht, denn eine bessere Falle als diejenige, in welcher wir uns jetzt befinden, kann es gar nicht geben.«

»So meinen Sie also wirklich, daß er ehrlich ist?«

»Ich glaube ihm jetzt ebenso, wie ich ihm vorhin mißtraute.«

»Dann wäre auch Lina ehrlich?«

»Wahrscheinlich.«

»Sapperment! Aber warum dann dieses furchtbare Spiel mit uns?«

»Um den Pascha zu täuschen.«

»Hm! Das konnte doch auf eine ganz andere Weise – Horch, er kommt!«

Es wurde draußen ein Schlüssel angesteckt, und dann öffnete der Castellan die Thür.

»Kommen Sie heraus!« sagte er, indem er hineinleuchtete.

»Sind Sie allein?« fragte der Derwisch in vorsichtiger Weise.

»Ja.«

»Bitte, leuchten Sie einmal um sich!«

»Hier, sehen Sie!«

Er leuchtete mit der Laterne draußen umher, und der noch innerhalb der Thür stehende Derwisch überzeugte sich, daß sich der Alte wirklich ganz allein befand. Nun erst hatte er völliges Vertrauen, trat mit dem Agenten hinaus und sagte:

»Aber, zum Teufel, Mann, was fällt Ihnen denn eigentlich ein, uns in einen solchen Schreck zu versetzen!«

»Kann ich dafür?« gegenfragte der Castellan.

»Natürlich!«

»Nein!«

»Der Pascha wollte uns ermorden.«

»Ja.«

»So brauchten Sie nicht darauf einzugehen.«

»Das wäre Dummheit gewesen.«

»Wieso?«

»Er hätte Sie auf andere Weise und später umgebracht.«

»So konnten Sie uns warnen.«

»Hätten Sie mir geglaubt?«

»Vielleicht.«

»Vielleicht aber auch nicht. So aber habe ich Ihnen den Beweis geliefert, daß er Sie los werden will.«

»Uns alle Beide?«

»Ja.«

»Oder war es nur ein Zufall, daß wir Beide in die Lage kamen, die nur für Einen von uns berechnet war?«

»Es galt Beiden.«

»Donnerwetter! Das soll er büßen! Wir haben natürlich einen fürchterlichen Schreck gehabt.«

»Das läßt sich denken!«

»Gar nicht beschreiben!«

»Nun, so können Sie sich eine Vorstellung machen, wie Diejenigen erschrocken sind, welche wir vorhin hinabspedirten.«

»Ja. Ich beneide sie gar nicht drum. Aber ihr Ende war ein schnelles, während wir eine volle halbe Stunde lang die Angst eines entsetzlichen Todes ausgestanden haben.«

»Na, glücklicher Weise sind Sie nicht an dieser Angst gestorben,« lächelte der Castellan.

»Nein. Aber umsonst wollen wir sie nicht gehabt haben. Nicht wahr, Herr Schubert?«

»Natürlich!« antwortete der Gefragte. »Wo ist der Pascha?«

»Droben in meiner Wohnung.«

»Allein?«

»Nein.«

»So ist Lina bei ihm?«

»Ja.«

»Wozu? Weshalb? Ist sie vielleicht wirklich einverstanden mit ihm?«

»Fällt ihr nicht ein.«

»Sie sagte es doch!«

»Nur zum Scheine, um ihn zu täuschen und sicher zu machen.«

»So ist sie mir also treu?«

»Zweifeln Sie daran?«

»Jetzt nicht mehr. Aber dieser verfluchte Schuft soll es büßen, daß er uns verderben wollte! Denkt er, daß wir todt sind?«

»Natürlich.«

»Er hat keine, auch gar keine Ahnung, daß wir leben?«

»Nicht die mindeste. Er würde hundert Eide darauf schwören, daß Sie todt sind.«

»So soll er sich entsetzen, wenn er uns erblickt. Führen Sie uns sofort zu ihm!«

»Gern. Kommen Sie!«

Er schritt ihnen voran, und sie folgten ihm. Als sie aus dem Gange in den Flur gelangt waren, geleitete er sie nicht zu der nach seiner Wohnung führenden Treppe hinauf, sondern er öffnete eine Stubenthür und bat sie, einzutreten.

»Warum hier?« fragte der Derwisch. »Ich denke, der Pascha ist oben bei Ihnen?«

»Allerdings; aber ich möchte seinen Schreck verdoppeln.«

»Wieso?«

»Er wünscht, diesen Theil des alten Schlosses kennen zu lernen, und ich habe versprochen, ihn jetzt herzuführen. Bei dieser Gelegenheit soll er Sie sehen und fürchterlich erschrecken.«

»So kommen Sie! Uns kann es ganz gleich sein, wo wir mit ihm zusammentreffen.«

Sie schritten durch eine ziemlich lange Stubenreihe, welche ganz verödet war. Kein einziges Möbel war da zu sehen, bis sie endlich in einen Raum kamen, in welchem ein Tisch mit mehreren Stühlen stand.

»Nehmen Sie hier Platz!« sagte der Castellan. »Ich werde ihn baldigst bringen.«

Der Derwisch hegte doch noch nicht ein ganz zweifelloses Vertrauen. Er blickte sich vorsichtig um und stampfte sogar mit dem Fuße auf den Boden, um zu hören, ob derselbe vielleicht hohl klinge.

»Hören Sie, Sie führen uns doch nicht etwa abermals aufs Eis?« fragte er.

»Fällt mir nicht ein!«

»Hm! Man kann sich hier in dieser Ruine gar nicht genug in Acht nehmen. Es giebt da allerhand gefährliche Heimlichkeiten.«

»Hier sind Sie sicher.«

»Will es hoffen! Es würde dieses Mal Ihr eigener Schade sein, wenn Sie beabsichtigen, uns zu betrügen!«

»Pah! Wenn ich Sie verderben wollte, so brauchte ich Sie doch nur in den Brunnen stürzen zu lassen. Daß ich dies nicht gethan und Sie glücklich wieder heraufgeholt habe, muß Ihnen doch ein Beweis sein, daß ich es besser mit Ihnen meine als der Pascha.«

»Ich möchte es Ihnen glauben. Also gehen Sie und bringen Sie uns den Hallunken her!«

Als der Schließer diese Aufforderung befolgen wollte, wurde er von dem Agenten noch befragt:

»Kommt Lina mit?«

»Soll sie?«

»Ja. Sie weiß natürlich, daß wir noch leben?«

»Ja.«

»Und daß wir uns hier befinden?«

»Auch das.«

»So lassen Sie nur dem Pascha unterwegs nicht ahnen, daß wir noch nicht gestorben sind! Wir wollen seinen Schreck aus erster Hand sehen.«

»Sie werden sich natürlich an ihm rächen?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Auf welche Weise?«

»Müssen Sie das wissen?«

»Es wäre mir sehr lieb, es zu erfahren.«

»So will ich Ihnen sagen, daß wir noch nicht darüber nachgedacht haben. Jedenfalls aber wird er seinen Streich mit dem Leben bezahlen müssen.«

»Sie wollen ihn tödten?«

»Versteht sich!«

»Auf welche Weise?«

»Wahrscheinlich auf ganz dieselbe Weise, auf welche er uns umbringen wollte.«

»Ein Sturz in den Brunnen?«

»Ja.«

»Hm!«

»Was brummen Sie? Sind Sie nicht einverstanden damit?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Sie wissen ja, was ich von ihm erwarte. Wie kann er mir für die ihm geleisteten Dienste dankbar sein, wenn wir ihn in der Tiefe zerschmettern lassen?«

»Da ists allerdings sofort aus mit den Erwartungen, welche Sie zu hegen scheinen. Aber glauben Sie denn, daß er Ihnen wirklich dankbar sein wird, wenn wir ihn leben lassen?«

»Ich hoffe es.«

»Lassen Sie diese Hoffnung getrost fahren! Er hält nicht Wort.«.

»O doch!«

»Nein. Hat er etwa uns Wort gehalten?«

»Das ist etwas Anderes. Er wollte Sie gern los werden.«

»Ebenso gern wird er auch Sie los werden wollen. Es liegt ganz in seinem Interesse, keine Zeugen seiner Thaten zu haben. Darum hat er erst Steinbach und dessen Gesellschaft umgebracht, dann lockte er uns auf den Brunnen, und später wären Sie mit Ihrer Nichte ganz gewiß auch noch an die Reihe gekommen.«

Der Castellan fragte ganz erschrocken:

»Denken Sie das wirklich?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Das wäre ja die allergrößte Schlechtigkeit, die es nur geben kann!«

»Was macht sich Der aus einem schlechten Streiche! Und wenn derselbe noch so groß sein sollte! Also sagen Sie, wollen Sie uns die Hand zur Rache bieten?«

»Hm! Ich möchte wohl, aber – – –!«

»Was aber?«

»Ich bekomme da meine Belohnung nicht, die er mir versprochen hat.«

»Die bekämen Sie überhaupt nicht.«

»Er hat doch Geld mit?«

»Das nehmen wir ihm ab und theilen es.«

»Zu gleichen Theilen?«

»Ja.«

»Wenn das der Fall ist, so will ich mich Ihnen anschließen. Hat er wirklich die Absicht, sich später auch meiner und meiner Nichte zu entledigen, so hat er nichts Anderes verdient als den Tod.«

»So sind wir also einverstanden?«

»Ja.«

»Gut! Bringen Sie uns also den Schurken!«

Er setzte sich mit dem Agenten nieder und der Castellan begab sich wieder zurück und nach oben.

Dort hatten inzwischen der Pascha und die Polizistin eine eigenartige Scene gehabt. Dieses Mädchen war nicht nur schön und außerordentlich klug, sondern sie besaß auch mehr Muth als mancher Mann. Und Muth gehörte dazu, sich mit dem Pascha hier auf längere Zeit allein zu befinden.

Als sie oben angelangt waren, hatte sie sich niedergesetzt, aber so, daß er nicht sehr leicht an sie gelangen konnte. Sie hatte zwischen dem Tische und der Wand Platz genommen, so daß er den Ersteren entfernen mußte, wenn er beabsichtigte, zu ihr zu kommen.

Und das hatte sie in einer so unbefangenen Weise gethan, daß er gar nicht bemerken konnte, daß sie es beabsichtigt hatte.

Er sah es freilich nicht gern, daß sie so isolirt saß. Es war ihm lieb, daß der Castellan unten geblieben war, und er hatte geglaubt, eine wenn auch kurze aber desto zärtlichere Schäferscene zu finden.

Darum schritt er jetzt ein Wenig enttäuscht im Stübchen hin und her, blieb endlich stehen und fragte:

»Lina, hatten Sie den Agenten wirklich nicht lieb?«

Sie sah ihm lächelnd in das Gesicht und antwortete:

»Ist er ein Mann gewesen, den man sich wünschen möchte?«

»Wohl schwerlich.«

»Das habe ich auch gedacht.«

»Nun, so ist das mit mir ganz ebenso der Fall.«

»Wieso?«

»Auch ich bin nicht mehr jung.«

»Es giebt Männer, welche nie alt werden.«

Bei diesen Worten warf sie einen leuchtenden, sinnberückenden Blick auf ihn.

»Ich bin auch keineswegs geistreich.«

»Welch eine Bescheidenheit!«

»Also nicht interessant.«

»Ein Pascha ist stets interessant.«

»Meinen Sie?«

»Ja.«

»Nun, reich bin ich zwar und vornehm auch. Genügt Ihnen das?«

»Nein.«

»Wie? Nicht?«

»Nein,« wiederholte sie.

»Warum nicht?«

»Weil ich einen Mann niemals allein wegen seines hohen Standes oder großen Reichthumes lieben könnte.«

»Wegen was sonst?«

»Wegen seiner Persönlichkeit allein.«

»So ist die meinige Ihnen sympathisch?«

»Ich will es gestehen, ja.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie mich fliehen.«

»Davon weiß ich nichts.«

»O doch!«

»Bitte, wieso fliehe ich Sie?«

»Sitzen Sie nicht im fernen Winkel, als ob Sie die Absicht hätten, sich in einer Festung gegen den Feind zu verschanzen?«

»Das will ich auch,« lächelte sie.

»Also doch?!«

»Ja.«

»So bin ich Ihr Feind? Sie hassen mich also, Lina?«

»Wie fragen Sie doch nur! Es giebt zweierlei Feinde, welche, welche man haßt und welche, die man liebt. Beide hat man zu fürchten. Die Feinde, aber, welche man liebt, sind die gefährlichsten.«

»Wieso?«

»Weil man ihnen am Wenigsten zu widerstehen vermag.«

»Ah, meinen Sie es so! Und zu welcher Kategorie Ihrer Feinde gehöre ich?«

»Zu der gefährlichen.«

»Die man liebt?«

»Ja.«

»Nun, so beweisen Sie es mir, daß Sie mir nur schwer zu widerstehen vermögen!«

»Dazu habe ich jetzt noch gar keine Veranlassung.«

»Wünschen Sie, daß ich Ihnen dieselbe gebe?«

»Ich bitte, es zu unterlassen.«

»Nein. Das thue ich nicht.«

»Gilt Ihnen meine Bitte nichts?«

»Hier nicht. Sie lassen mich vermuthen, daß Sie mich lieben. Ich schmachte darnach, einen kleinen Beweis davon zu erhalten.«

»Worin soll derselbe bestehen?«

»In einem Händedrucke. Sie sehen, daß ich bescheiden bin.«

»Hier ist meine Hand. Drücken Sie dieselbe, damit Ihre berühmte Bescheidenheit eine Belohnung finde.«

Sie hielt ihm die Hand entgegen. Er ergriff dieselbe und führte sie an seine Lippen.

»Halt!« rief sie, ihm die Hand schnell wieder entziehend. »Das war nicht bescheiden.«

»O gewiß!«

»Nein. Und ebenso war es gegen unser Uebereinkommen.«

»Wieso?«

»Sie wünschten einen Händedruck aber keine Kußhand.«

»Kommt es bei Ihnen auf so geringfügige Unterschiede an?«

»Nennen Sie einen Kuß etwas so Geringfügiges?«

»Nein, gewiß nicht. Ein Kuß von Ihnen ist es ja, nach dem ich strebe. Wird mir dieser Wunsch erfüllt werden?«

»Ich hoffe es.«

»Nein, ich bin es, der es hofft; Sie aber sind es, die diese Hoffnung zu erfüllen vermag.«

»Nun, so hoffen Sie!«

»Wie lange?«

»Bis zur Erfüllung.«

»Donnerwetter! Wir drehen uns im Kreise und kommen also nicht an das Ziel. Ich glaube, daß ich gut deutsch mit Ihnen sprechen muß.«

»Ja, das denke ich auch, zumal ich vom Türkischen nur zwei Worte verstehe, nämlich Allah und Pascha.«

»Das ist sehr wenig und würde mir doch vollständig genügen. Also, Lina, einen Kuß. Darf ich ihn haben?«

»Ja.«

»Wann?«

»Zu seiner Zeit.«

»Wo?«

»In Constantinopel.«

»O wehe! Warum erst dann?«

»Weil ein anständiges Mädchen einem Fremden keine derartige Zärtlichkeit gestatten darf.«

»Bin ich Ihnen ein Fremder?«

»Gewiß.«

»O wehe!«

»Was sollten Sie Anderes sein?«

»Ich glaubte, Ihrem Herzen nahe zu stehen.«

»Das könnte in unserem augenblicklichen Verhältnisse nichts ändern. Sie sind mir trotzdem ein Fremder.«

»Was oder wie müßte ich denn sein, um Ihnen nicht mehr als fremd zu gelten?«

»Nicht fremd sind Einem verwandte Personen.«

»Verwandt bin ich Ihnen freilich nun leider nicht.«

»Ferner solche Personen, welche im Begriffe stehen, in ein verwandtschaftliches Verhältniß zu treten.«

»Zum Beispiele?«

»Zum Beispiele ein Bräutigam.«

»Nun, so betrachten Sie mich als solchen.«

»Als den meinigen?«

»Gewiß.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Wir müßten verlobt sein.«

»Das sind wir ja!«

»O nein.«

»Natürlich! Haben wir uns nicht verlobt?«

»Unter vier Augen nur.«

»Genügt das nicht?«

»Nein. Eine Verlobung muß öffentlich sein, wenn sie anerkannt werden soll.«

»Fast möchte ich glauben, daß Sie ein Wenig mit mir spielen, so ungefähr nämlich wie – wie – –«

Er stockte. Sie sah es ihm an, daß er ziemlich verdrossen war.

»Nun, wie – –?«

»Wie die Katze mit der Maus.«

»Ah! Ist das galant? Mich mit einer Katze zu vergleichen!«

»Sie gleichen diesem Thierchen doch ein Wenig, wie es scheint.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»In wiefern?«

»Sie sind auch so zart, so weich, haben so sammetne Pfötchen und sind dabei wohl auch ein Wenig falsch.«

»Das ist nun nicht blos nicht galant, sondern sogar unhöflich! Mich falsch zu nennen!«

»Sie selbst sind schuld, wenn ich an Ihrer Aufrichtigkeit zweifle.«

»Was habe ich denn verbrochen, um diesen Zweifel zu verdienen?«

»Ihre Kälte ist es, welche mich an Ihnen irre werden läßt.«

»Da sind Sie ein schlechter Geograph.«

»Was hat die Geographie damit zu thun?«

»Sehr viel. Ist Ihnen eine Insel bekannt, welche Island heißt?«

»Natürlich.«

»Sie liegt im kühlen Meere, in der kalten Zone. Es giebt da einen äußerst kurzen Sommer aber einen desto längeren Winter.«

»Das weiß ich Alles.«

»Wissen Sie auch, daß trotz dieser äußeren Kälte die Insel im Innern von einer tiefen Gluth erfüllt ist? Wissen Sie, daß dort sich zahlreiche Vulkane und Geyser befinden?«

»Ja.«

»So ist es auch mit dem Menschen. Man kann kalt erscheinen und doch ein glühendes Herz im Busen tragen.«

»O, wenn dies doch bei Ihnen der Fall wäre!«

»Warum?«

»Dann könnte ich mich vielleicht einmal an Ihrer Gluth wärmen.«

»Oder gar verbrennen!«

»Nein, nur wärmen.«

»So sind also Sie so kalt, daß Sie der Erwärmung bedürfen?«

Er blickte ihr forschend in das Gesicht. Sie sagte das so freundlich, so traulich, und doch auch wieder in einem Tone, der ihm nicht gefiel.

»Lina,« sagte er. »Sie sind vielleicht eine sehr gefährliche Person.«

»Wieso?«

»Sie – Sie – Sie ziehen mich mit sich im Kreise herum und machen sich heimlich über mich spaßig.«

»Was denken Sie von mir?«

»Ja, ja. Ich weiß ganz gut, daß Liebende mit besonderen Zungen sprechen. Ihre Worte und Reden sind lauter Nichtigkeiten, welche einen Unbetheiligten zur Verzweiflung bringen können; für sie selbst aber hat jede Sylbe einen außerordentlich hohen Werth.«

»Das habe ich mir grad ebenso sagen lassen.«

»Sie ziehen alle meine Bemerkungen in eine Redeweise, welche ebenso nichtig wie inhaltsleer ist; aber die Sprache der Liebe ist es doch nicht.«

»Das beweist doch nur, daß ich noch nie geliebt habe.«

»Ah?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Ich würde ja sonst die Sprache der Liebe verstehen.«

»O, die versteht man, ohne besondere Erfahrungen gemacht zu haben.«

»Ohne Lehrer?«

»Ja, ohne Lehrer.«

»Das bezweifle ich.«

»So lassen Sie mich Ihren Lehrer sein!«

»Sehr gern.«

»Sie erlauben mir also, Ihnen Unterricht zu ertheilen?«

»Gewiß.«

»Gleich jetzt?«

»So bald wie möglich. Man soll zu aller Zeit bereit sein, Etwas zu lernen.«

»Da muß ich Sie vor allen Dingen darauf aufmerksam machen, daß die Schülerin dem Lehrer Gehorsam schuldet!«

»Das ist mir nichts Neues.«

»Freut mich ungemein. Ich befürchte also nicht, Widerstand zu finden oder auf Unaufmerksamkeit zu stoßen.«

»Gewiß nicht.«

»So ersuche ich Sie zunächst, auf Ihren jetzigen Sitz zu verzichten und sich hier auf dem Sopha niederzulassen.«

»Das wäre ja ein Mangel an Achtung für meinen Lehrer.«

»Wieso?«

»Dieser weiche Ehrenplatz gehört dem Lehrer, nicht aber der Schülerin.«

»Beide können ihn theilen.«

»Nein. Beide müssen einander gegenüber sitzen. Das Nebeneinanderplaziren würde der Aufmerksamkeit schaden.«

Er hatte in Erwartung, daß sie zu ihm kommen werde, auf dem Sopha Platz genommen; jetzt aber sprang er ungeduldig wieder auf und rief:

»Lina, ich verstehe Sie nicht.«

»Habe ich nicht deutlich gesprochen?«

»Zum Teufel, ja! Ihre Worte sind freilich deutlich, aber Ihre Gedanken begreife ich nicht. Sie erwecken in mir die Ansicht, daß Sie mich lieben, und zögern doch, sich zu mir zu setzen!«

»Bedarf es denn so nothwendiger Weise einer solchen Annäherung?«

»Nun, so nothwendig ist es freilich nicht.«

»So brauchen wir es ja nicht zu handhaben. Wir kennen uns noch zu wenig, um unseren Herzen schon jetzt die Erlaubniß zu geben, ihren Trieben folgen zu können.«

»Wie lange meinen Sie wohl, daß man sich kennen muß?«

»Je nach dem verschiedenen Falle.«

»Nun also in unserem Falle?«

»Einige Jahre.«

»Ah! Ist das Ihr Ernst?«

»Gewiß, mein völliger Ernst.«

»Warum sollte es gerade bei uns eine so lange Zeit erfordern?«

»Weil Sie so sehr schwer kennen zu lernen sind.«

»Ich? Wie kommen Sie auf diese sonderbare Idee?«

»Ich finde sie keineswegs sonderbar.«

»Ich desto mehr. Also warum bin ich so schwer kennen zu lernen?«

»Weil Sie räthselhaft handeln. Sie verderben einen Menschen, von welchem man bis vor einer Minute überzeugt war, daß er Ihnen werth sei.«

»Meinen Sie etwa den Derwisch?«

»Ja.«

»Und den Agenten?«

»Natürlich auch.«

»Sie haben gemeint, daß sie mir theuer seien?«

»Gewiß.«

»Weshalb hätte ich diesen beiden Menschen ein solches Gefühl widmen sollen?«

»Weil diese Beiden Ihnen große Dienste geleistet hatten.«

»Ah, pah! Solcher Dienste wegen liebt man doch nicht etwa!«

»Nein, aber man ist dankbar.«

»Das mag sein; aber ich sehne mich nicht nach Dankbarkeit, sondern nach Liebe. Diese allein vermag glücklich zu machen.«

»Oder unglücklich!«

»Nie! Die Liebe vermag nur zu beglücken.«

»Auch wenn sie nicht erwidert wird?«

»Ja.«

»Dann sind Sie zu beneiden.«

»Wieso?«

»Sie haben jedenfalls oft geliebt und sind also jedesmal glücklich gewesen, auch dann, wenn es Ihnen nicht gelang, Gegenliebe einzuflößen.«

»Ein solcher Fall ist mir nicht erinnerlich.«

»Wie? Sie wurden jedesmal wieder geliebt?«

»Ja.«

»Auch von Tschita?«

»Pah! Die war Sclavin.«

»Oder von Zykyma?«

»Auch sie war nur Sclavin. Ich liebte keine von Beiden.«

»Oder von Anna?«

»Ich kenne keine Anna.«

»Gewiß. Besinnen Sie sich!«

»Welche Anna sollte das sein?«

»Anna von Adlerhorst.«

Er erbleichte.

»Was soll dieser Name hier?« fragte er schnell und scharf.

»Nichts weiter als zu einer Frage dienen. Sie behaupteten, stets Gegenliebe gefunden zu haben, und so erinnerte ich Sie an diese Dame.«

»Was wissen Sie von ihr?«

»Daß sie sehr schön gewesen sein muß.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Aus mehreren Gründen.«

»Darf ich dieselben erfahren?«

»Gern. Erstens sind die Töchter dieser Dame wirkliche Schönheiten. Oder bestreiten Sie das? Ist Tschita nicht schön?«

»Möglich!«

»Ferner muß sie eine große Schönheit gewesen sein, da sie es erreichte, das Herz Ibrahim Paschas in Feuer und Flammen zu versetzen.«

»Das meinige? Wer sagte es?«

»Man sprach bei Normanns davon.«

»So hat man gelogen.«

»Möglich. Man erzählte da, daß Sie mit Hilfe des Derwisches die ganze Familie Adlerhorst unglücklich gemacht hätten, weil Sie keine Gegenliebe fanden.«

»Das ist eine teuflische Erfindung. Ich weiß kein Wort davon. Wenn der Derwisch noch lebte, könnten Sie sich bei ihm nach dieser Angelegenheit erkundigen.«

»Das habe ich gethan.«

»Wirklich?« fragte er, indem er die Brauen zusammenzog.

»Jawohl.«

»So leiden Sie auch an dem Erbfehler Ihres Geschlechtes, der Neugierde?«

»Pfui! Wer wird sich dieses Wortes bedienen! Eine Dame ist nie neugierig, sondern stets nur wißbegierig.«

»Auch wenn ihr die Sache nichts angeht!«

»O, diese Sache ging mich sehr viel an!«

»Wieso?«

»Ich hatte Sie gesehen und liebte Sie. Das ist doch wohl Grund genug, wißbegierig zu sein!«

»Allerdings,« antwortete er, indem sich sein Gesicht wieder erhellte. »Hoffentlich aber haben Sie sich diese Unwahrheiten nicht sehr zu Herzen genommen?«

»Im Gegentheile, gar sehr.«

»Das thut mir leid!«

»Mir noch mehr. Es hat mich natürlich tief erschüttert, als ich erfuhr, daß alle Frauen, denen Sie Ihre Liebe widmen, unglücklich werden müssen.«

Da konnte er sich doch nicht beherrschen. Er stampfte mit dem Fuße auf den Boden und rief:

»Zum Teufel! Was lassen Sie sich denn da weiß machen!«

»Nichts, gar nichts!«

»O doch! Eine ganze Menge albernes Zeug!«

Da wurde ihr Gesicht sehr ernst. Sie blickte ihm fest in das Auge und sagte:

»Bitte, mein Herr! Ich möchte den Menschen sehen, dem es gelingen könnte, mir Albernheiten weiß zu machen.«

»Nun, sind das nicht Albernheiten?«

»Nein.«

»Die großartigsten und unsinnigsten, die es nur geben kann!«

»Schwerlich, denn ich sehe ja, daß die Damen, welche mir bekannt sind und einst auch Ihnen bekannt waren, unglücklich geworden sind.«

»Pah!«

»Man sagt sogar, daß sich dieses Unglück bringende Verhängniß nicht nur auf die Frauen, sondern auch auf die Männer beziehe.«

»So mache ich also auch alle Männer unglücklich, die mit mir in Berührung kommen?«

»Man behauptet es.«

»Das ist wirklich kindisch. Und darum fürchten Sie sich vor mir?«

»Nein. Nicht Furcht ist es, was ich für Sie fühle.«

»Was denn?«

»Es ist – –«

Sie wurde unterbrochen, denn der Castellan trat ein. Der Pascha war zornig über diese Störung, ließ es sich aber nicht merken.

»Da kommen Sie ja,« sagte er. »Wir haben Sie vermißt.«

»So?« meinte der Alte gleichmüthig. »Wenn ich das gewußt hätte, so wäre ich freilich mehr darauf bedacht gewesen, mich zu beeilen. Ich glaubte aber, Lina würde die Gabe besitzen, Sie zu unterhalten.«

»O, zu einer Unterhaltung in gewöhnlichem Sinne befanden wir Beide uns nicht in der richtigen Stimmung. Sie begreifen wohl selbst auch, daß wir nur an den Brunnen gedacht haben.«

»Glaube es. Er wird mir noch lange Zeit im Sinne liegen.«

»Dagegen giebt es ein ausgezeichnetes Mittel, nämlich die Entfernung von hier! Wir wollen Burg Grafenreuth möglichst bald verlassen.«

»Das geht bei mir nicht so schnell, wie ich es wünsche.«

»Warum?«

»Ich muß vorher um meine Entlassung einkommen.«

»Dauert dies lange?«

»Vielleicht nicht. Am Schnellsten würde ich verabschiedet, wenn ich es mir beikommen ließe, irgend einen nicht ganz unbedeutenden Fehler zu begehen.« »So machen Sie einen!«

»Aber welchen?«

»Denken Sie nach! Ich werde Ihnen auch mit nachdenken helfen. Jetzt aber habe ich zunächst einen Wunsch.«

»Welchen?«

»Ich möchte mit Tschita und Zykyma reden.«

»Allein oder in unserer Gegenwart?«

»Sie können Beide dabei sein.«

»So wollen wir hinab. Kommen Sie!«

Er führte die Beiden hinab in den Flur. Der Pascha wollte sich nach der Thür wenden, welche in den unterirdischen Gang führte; aber der Schließer sagte, nach der Thür deutend, durch welche er mit dem Agenten und dem Derwisch getreten war:

»Bitte, nicht dort, sondern hier!«

»Es geht aber ja da hinab!«

»Ganz recht; aber der nähere Weg ist hier.«

Er öffnete, und sie betraten die vorhin erwähnte leere Zimmerflucht. Während sie durch dieselbe schritten, warf der Pascha einen Blick durch eines der Fenster. Er sah einen düsteren, kleinen Hof.

»Was für ein Hof ist das?« fragte er. »Den sah ich noch nicht.«

»Es ist der Brunnenhof. Grad unter ihm befindet sich die Brunnenstube.«

»So liegen die beiden Gefängnißzellen unten da links vor uns?«

»Ja.«

»Wie kommen wir hinab?«

»Auf ebenso geheimnißvolle Weise, wie Andere heraufkommen.«

»Wie meinen Sie das?« fragte der Pascha, dem diese Worte unverständlich waren.«

»Das werden Sie bald sehen.«

»Sie sprachen von Personen, welche von unten heraufkamen?«

»Ja.«

»Wen meinten Sie?«

»Die Leichen.«

Der Pascha blieb stehen und starrte den Sprecher verwundert an. »Leichen?« fragte er. »Was faseln Sie?«

»Faseln? Ich? Davon ist keine Rede. Ich habe Sie auf eine Eigenthümlichkeit dieses alten Gemäuers aufmerksam zu machen, welche für mich nichts weniger als angenehm ist. Wer nämlich hier stirbt, pflegt wiederzukommen.«

»Narrheit!«

»So sagte ich auch!«

»Und so ist es auch!«

»Nein! Jeder Todte kommt hier wieder.«

»Ja, als Gespenst täglich um Mitternacht!«

»Nein, sondern am hellen, lichten Tage, und nicht täglich, sondern nur ein einziges Mal.«

»Papperlapapp!«

»Sie spotten? Sie sollten nur sehen, was ich gesehen habe!«

»Das ist Sinnestäuschung, Hallucination gewesen!«

»Nein. Ich habe die Abgeschiedenen mit meinen eigenen Händen angegriffen.«

»Und auch gefühlt?«

»Ja, wie wirkliche Menschen.«

»Sie sind toll!«

»Ich habe sogar mit ihnen gesprochen.«

»Und sie antworteten?«

»Ja.«

»Laut und verständlich?«

»Wie gewöhnliche Menschen.«

»So haben Sie wohl geträumt oder im Fieber gelegen?«

»Nein, gewiß nicht. Es war, wir bereits gesagt, am hellen Tage, und von einem Fieber war keine Rede.«

»Streiten wir uns nicht über solche Narrheiten. Ich begreife gar nicht, wie Sie auf diese Dinge kommen.«

»Weil wir uns jetzt vor den Zimmern befinden, in denen diese Erscheinungen aufzutauchen pflegen.«

»Da vor uns?«

Er deutete nach der Thür, vor welcher sie stehen geblieben waren.

»Ja.«

»Nun, so wollte ich, wir sähen einen solchen Geist.«

»Herr, spotten Sie nicht!«

»Pah! Es giebt keinen Geist und kein Gespenst. Ist der Mensch todt, so ist es aus. Warum ist mir noch niemals so ein Dings da erschienen?«

»Es kann Ihnen noch passiren.«

»Gewiß nicht. Nur abergläubische und furchtsame Menschen sehen Geister. Ich wollte zum Beispiele, daß mir da die Geister des Agenten und des Derwisches entgegenträten. Sie hätten alle Veranlassung, mir zu erscheinen.«

»Hu!« rief der alte Castellan, indem er sich schüttelte.

»Würden Sie sich fürchten?«

»Natürlich!«

»Ich nicht.«

»O, sehen Sie nur erst mal wirklich einen Geist. Die Furcht kommt dann ganz allein.«

»Gewiß nicht. Ich würde diese Geister nur auslachen.«

»Das würden Sie bleiben lassen!«

»Ich würde sie sogar beim Schopfe nehmen und – aber was reden wir so dummes Zeug! Gehen wir weiter!«

»Ja, gehen wir weiter!«

Bei diesen Worten öffnete der Schließer die Thür, und der Pascha trat ein, gefolgt von den Beiden. Er that aber nur zwei Schritte vorwärts; dann blieb er stehen, starr und steif, als ob er keiner Bewegung fähig sei. Dort am Tische sahen der Agent und der Derwisch.

Das Blut war aus seinem Gesichte gewichen; sein Blick war starr, seine Lippen zitterten.

»Allah w' Allah!« stieß er hervor. »Was sehe ich da!«

»Geister!« hörte er hinter sich die Stimme des Castellans.

»Geister!« wiederholte er schaudernd.

Da erhob sich der Agent von seinem Stuhle und fragte:

»Ibrahim Pascha, kennst Du mich?«

Der Gefragte antwortete nicht. Der Derwisch stand auch auf und sagte:

»Komm näher, Mörder! Die Vergeltung ist nahe.«

Da schrie der Pascha laut auf.

»O Allah, o Muhammed! Es giebt Geister; es giebt Gespenster der abgeschiedenen Seelen! Fort von hier, fort!«

Er wendete sich um und wollte hinaus; aber der Castellan hatte die Thür abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt.

»Den Schlüssel her, den Schlüssel! Schnell, schnell!« rief der Pascha.

»Bleib da!« gebot der Derwisch. »Uns entkommst Du nicht!«

Er schritt langsam herbei, gefolgt von dem Agenten. Der Pascha hatte sich ihnen wieder zugewendet. Seine Augen nahmen einen gläsernen Ausdruck an.

Da faßte der Derwisch seinen Arm und zischte ihm entgegen:

»Mörder! Teufel! Heut fährst Du zur Hölle!«

Der Agent ergriff ihn beim anderen Arme und schrie ihn zornig an:

»Schurke! Du sollst an unserer Stelle in den Brunnen hinab!«

Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.

»In den Brunnen hinab?« fragte der Pascha. »An Eurer Stelle? Also seid Ihr gar nicht unten gewesen?«

»Ist uns nicht eingefallen!« grinste ihn der Derwisch höhnisch an.

»So seid Ihr nicht todt? Ihr seid gar keine Geister?«

»Fällt keinem Menschen ein! Wer hat Dir so Etwas weiß gemacht?«

»Der Castellan!«

»Laß Dich nicht auslachen! Wir leben. Wir sind nicht todt. Wir sind von Fleisch und Blut und wollen jetzt Gericht mit Dir halten.«

Sie faßten ihn an. Er war noch so consternirt, daß er sich von ihnen fortziehen und auf den Stuhl niederdrücken ließ, ohne Widerstand zu leisten.

»So!« sagte der Derwisch. »Wenn Du hier Geister sehen willst, so kann Dein Wunsch sehr bald in Erfüllung gehen. Du wirst vielleicht noch heut einen sehen, nämlich Deinen eigenen. Du wirst sterben und magst nachher hier spuken nach Belieben.«

Da fuhr der Pascha von seinem Sitze auf.

»Sterben, ich?« schrie er.

»Ja.«

»Was fällt Euch ein! Ihr wollt mich doch nicht etwa ermorden?«

»Ganz gewiß wollen wir Dich ein Wenig ermorden.«

»Versucht es einmal!«

Er griff mit der Hand in die Tasche, um irgend eine Waffe hervorzuziehen Da aber hielt ihm der Derwisch schnell seinen Revolver vor die Stirn und gebot:

»Laß stecken, sonst schieße ich!«

Der Pascha zog die leere Hand langsam aus der Tasche und stotterte:

»Osman, was fällt Dir ein! Was habe ich Dir gethan!«

»Das fragst Du noch?«

»Weil ich nichts weiß.«

»Ermorden wolltest Du uns!«

Der Pascha machte ein höchst erstauntes Gesicht. Er fragte:

»Ich Euch ermorden? Bist Du toll? Wenn denn eigentlich?«

»Vorhin, in der Brunnenstube.«

»O, das war doch nur ein Spaß. Und er hat Euch ja gar nichts geschadet.«

Er konnte nicht begreifen, auf welche Weise die Beiden dem Tode entgangen seien, ließ sich dies aber nicht natürlich merken.

»So, ein Spaß war es nur?« sagte der Agent. »Wenn es nur ein Scherz war, so beweisen Sie es.«

»Der da ist mein Zeuge.«

Er deutete nach dem Kastellan.

»Ich bezeuge nichts,« entgegnete dieser.

»Ich wollte sagen, die da.«

Er zeigte auf Lina.

»Auch diese thut Dir nicht den Gefallen, deinetwegen eine Lüge zu machen,« höhnte der Derwisch. »Wenn Du wirklich nur einen Scherz beabsichtigt hast, so mußt Du wissen, wie wir dem Tode entgangen sind.«

»Ich weiß es.«

»Nun, wie denn?«

»Ihr seid einfach wieder hinausgestiegen.«

»Das hätten wir nicht gekonnt, wenn wir zerschmettert worden wären. Warum ist dies nicht geschehen?«

»Weil – weil – – –«

Er hielt inne. Er vermochte nicht, eine Antwort zu geben. Sein Blick irrte angstvoll und rathlos von Einem zum Andern und blieb endlich auf Lina haften:

»Sagen Sie es an meiner Stelle, Lina,« bat er.

»Ich bin Ihre Dolmetscherin nicht,« antwortete diese.

»Aber, Lina, Sie wissen ja – Sie sind ja – Sie wollen ja – – mit mir nach Constantinopel!«

»Wenn Sie das geglaubt haben, so können Sie mir leid thun. So einen Hallunken und Sünder kann ich nur verachten. Das Mädchen, welches Wohlgefallen an Ihnen finden könnte, müßte wahnsinnig sein.«

Das war ihm unbegreiflich.

*


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