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Der leuchtende Morgen des Palmsonntags fand den Statthalter von Ägypten und den Erzbischof bei der Arbeit. Beide hatten Meldungen erhalten, daß wieder eine Schar von Einsiedlern gegen die Stadt heranrücke. Diesmal ein großer Haufe von vielen Hundert Mann. Kyrillos wußte, daß Isidoros an ihrer Spitze stand.
Der Statthalter, dessen Wunde keine ernste Sorge mehr machte, begnügte sich damit, Briefe zu schreiben und zu diktieren, Briefe an den Kaiser und die Kaiserin, an das Militärkabinett und an den Hofmarschall des Weiberpalais. Der Inhalt war überall der gleiche, nur der Ton wechselte. Die Hetztätigkeit des Erzbischofs habe das Äußerste gewagt, der Statthalter des Kaisers selbst sei angegriffen worden und nur durch ein Wunder dem Tode entgangen. Das sei offenbar Majestätsbeleidigung. Kyrillos habe diesmal endlich Farbe bekannt und es gewagt, die Leiche des Mörders und Majestätsbeleidigers öffentlich auszustellen und den wütenden Ammonios sogar unter die Zahl der Heiligen aufzunehmen. Ammonios sei übrigens nicht ordentlich hingerichtet, sondern vom Volke gelyncht worden, ein Beweis, daß die Sache des Kaisers in Alexandria mächtig sei und daß ein rücksichtsloses Vorgehen gegen den übermütigen Kirchenfürsten auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen würde. In diesem Sinne verfaßte Orestes noch einige Privatbriefe und sorgte dafür, daß ein Kurier sie noch heute mit dem Postschiff nach Konstantinopel brachte.
Inzwischen handelte Kyrillos. Er sandte Hierax den Einsiedlern unter Isidoros entgegen und hatte gleich darauf eine geheime Unterredung mit dem Oberst des Regiments von Unterägypten. Der Oberst stand vor dem Erzbischof wie vor seinem geistlichen Vorgesetzten. Kyrillos sagte ihm:
»Sie werden binnen einer Stunde den Befehl erhalten, mit Ihrem Regiment durch das Wüstentor auszurücken, bis ans Ende der Landenge zu marschieren und dort den heiligen Männern aus dem nitrischen Gebirge den Zugang zu unserer Stadt zu verwehren. Im Namen der Kirche befehle ich Ihnen, diesen Befehl so auszuführen, daß Sie südlich durch das Sonnentor ausmarschieren, sodann längs des Mareutsees nach Osten weitergehen, zwei Meilen von hier lagern und gegen Sonnenuntergang wieder in Ihre Quartiere einrücken.«
Der Oberst grüßte militärisch und ging; und Kyrillos lächelte über die Insignien des römischen Reiches, welche der Offizier auf seiner Uniform trug.
Eine Stunde später wurde dem Statthalter ein schleuniger Befehl zur Unterschrift vorgelegt. Ein ganzes Regiment sollte auf Vorschlag des Stadtkommandanten den Einsiedlern entgegenrücken; man kannte ja nicht ihre Zahl und ihre Waffen. Der Statthalter zögerte noch und meinte, sein Leibregiment sei vielleicht zuverlässiger. Der Oberst, der vorgeschlagen war, sei mehr Christ als Soldat. Der Stadtkommandant äußerte Gegengründe. Die Ehre, von der Garde zurückgeschlagen zu werden, wäre zu groß für den elenden Haufen. Auch würde es in Konstantinopel einen guten Eindruck machen, wenn die christlichen Fanatiker von christlichen Offizieren im Zaum gehalten würden. Orestes unterschrieb.
In den unterirdischen Hallen des Gespensterhauses hatte ein kurzer Frühgottesdienst stattgefunden. Gegen dreihundert Männer und Knaben hatten teilgenommen. Mit einer schwermütigen, stellenweise todestraurigen Ansprache von Biblios schloß die Feier. Der Märtyrer war heute milde, wie nie zuvor. Kurz nach Sonnenaufgang kehrten viele arme Handwerker und unfreie Arbeiter auf dem gewohnten Wege durch die verfallenen Gräber in ihre Wohnungen zurück. Die übrigen blieben in der großen Halle beisammen, um von Biblios zwei Stunden in der christlichen Lehre unterwiesen zu werden und dann mit einem Liebesmahl die festliche Osterwoche zu beginnen.
Wolff hatte am Gottesdienste teilgenommen. Während aber die Ordnung sich löste und Biblios unter freundlichem Geplauder darauf wartete, daß der Unterricht beginnen konnte, sagte Wolff dem alten Fähnrich Lebewohl. Ihn beunruhige der Zustand der Stadt und er wolle bei seinen weltlichen Freunden Erkundigungen einziehen. Der alte Fähnrich rief den frommen Biblios zu Hilfe.
»Wolff will uns verlassen. Er glaubt, er sei zu gelehrt für unseren Unterricht. Es zieht ihn wieder zu der Heidin, zur Hypatia.«
Biblios sagte streng: »Wenn er sich kein Kind mehr fühlt, so ist unsere Lehre nicht mehr für ihn.«
Wolff schwieg. Er wollte den greisen Blutzeugen nicht kränken. Endlich sagte er leise: »Wir sind doch keine Pfaffenknechte, daß wir ein Bekenntnis auswendig lernen müßten.«
Biblios erwiderte: »Diese Gemeinde besteht nicht aus sinnierenden Deutschen. Ein Gefühl mag jeder für sich hüten. Die Gemeinde will ein Wort, das gemeinsam ist. Willst du dich von der Gemeinde lösen?«
»Laßt mir Zeit.«
»Geh nur,« sagte Biblios ernst, »denn halten können wir dich doch nicht. Und glaube weiter, daß du noch ein Christ bist, denn du bist es, solange du es glaubst. Und eines Tages, wenn der Stolz auf deine Kenntnisse dich verraten hat oder wenn du müde wirst, mit der Welt um die Welt zu kämpfen, dann weißt du, wo du uns findest. Mich zwar kaum mehr, aber vielleicht die zersprengten Glieder unserer Gemeinde. Bei den Gärtnern im nitrischen Gebirge werden wir Zuflucht finden, namenlos bei den Namenlosen. Über uns für weltliche Augen die Mönche und die Einsiedler. Dort wirst du uns finden, wenn kein Wunsch dich mehr umhertreibt, wenn du Ruhe suchst, weil du Ruhe gefunden hast. Bis dahin lebe wohl, denke an Christus und bleibe gut.«
Der alte Fähnrich fuhr dazwischen.
»Wolff ist nicht dazu da, um gut zu sein. Tapfer soll er sein und neben uns kämpfen, wenn's nottut!«
»Verlaßt euch darauf, Hypatia wird mich nicht zum Feigling machen.«
»So sind wir sicher, uns in Walhall zu sehen. Verzeihung, Biblios, ich wollte sagen, im Paradies.«
Biblios lächelte. »Ich kannte das Wort nicht und glaubte, es hieße Paradies. Wir wollen doch nicht um Worte streiten. Um Worte fließt Blut seit hundert Jahren.«
»Hochwürden, der Unterricht soll beginnen,« erwiderte Wolff lächelnd mit einer tiefen Verbeugung.
Biblios drohte mit dem Finger.
»Nicht spotten! So ein paar Worte muß doch ein Kind lernen, wenn es Mensch werden soll. Wenigstens Vater sagen.«
»Vater!« rief Wolff und ergriff mit beiden Händen den Armstumpf des alten Bischofs und drückte seine Lippen auf die Narben.
Dann ging er aufrecht die Stufen empor und geradeaus über die Straße in die Stadt hinein.
Biblios konnte sich nicht leicht entschließen, heute die Christenlehre zu beginnen. Kopfschüttelnd ging er lange vor den versammelten Knaben und Männern auf und nieder und dachte an Wolff. Ja, wenn die Christen alle oder gar die Menschen alle wären wie Wolff, brav und gescheit und gesund und jung, dann wäre das Tausendjährige Reich angebrochen. Dann dächte man nicht an den Tod und an die Dinge nach dem Tode. Dann wäre Not und Jammer nicht zu bekämpfen und nicht die Schlechtigkeit der Großen und die Gemeinheit der Kleinen. Dann bliebe auf Erden kein Raum für die Sehnsucht und kein Raum für Religion. Und wieder schüttelte er den Kopf. Wäre denn das schön? War denn die Sehnsucht und der Glaube nicht besser als Bravheit, Klugheit, Jugend und Gesundheit? War denn der alte Biblios plötzlich zum Griechen geworden, weil der Freund der Hypatia mit ihm gesprochen hatte? Da saßen und standen sie vor ihm, die armen, geplagten Menschen und ihre kränklichen, unbelehrten Kinder. Denen half kein griechischer Gott, denen half nur die frohe Botschaft vom Heiland.
Biblios lächelte milder, als er sonst wohl tat, und begann den Unterricht.
Aber er blieb heute bei einigen Versen der Bergpredigt stehen. Über das Wesen Gottes zu sprechen schämte er sich vor Wolff, der doch fortgegangen war. Und noch bevor die zwei Stunden um waren, schloß er seine Ermahnung mit einem herzlichen Aufruf, sich's wohl sein zu lassen beim Liebesmahl und den Buchstabenglauben nie über das Gefühl der Liebe zu setzen.
Das Mahl begann. Einige der wohlhabenderen Gemeindemitglieder hatten so viel beigesteuert, daß ein jeder ein Stückchen vom Osterlamm, ein Honigbrot und einen Becher Wein erhalten konnte. Für manche der Anwesenden war das ein frommer Akt, für einige sogar schon eine Herablassung zu den Armen und Elenden. Für die meisten aber war es ein seltenes Fest, und nach dem ersten Schluck verbreitete sich eine heitere Stimmung in der Halle. Die Männer begannen über öffentliche Angelegenheiten zu plaudern und zu fragen, und die Knaben sangen, ohne daß Biblios einschritt, ein altes ägyptisches Lied, wie es die Straßenjungen von Alexandria seit Jahrhunderten zur Frühlingszeit zu singen liebten, wenn die Störche am Delta Hochzeit machten und über das Meer hinweg nach Norden zogen zu den Eismännern und Schneeweibchen, die keine Kinder hatten, und denen ägyptische Störche darum lebendige Kinder bringen mußten.
Plötzlich verstummte alles. Von der eisernen Tür her ertönte das Zeichen. Einer der Wächter schlug mit dem Schwert an die dröhnende Hohlkugel. Totenstille herrschte. Ein Überfall! Mörder! Die Kirche! Die Eisentür flog ins Schloß. Biblios wußte, daß die Wächter in dem engen Raum mit Opferung ihres Lebens Zeit schaffen würden, wenigstens für einige Minuten. Ruhig, traurig traf er seine Anordnungen. Alle Lichter wurden gelöscht. In der Dunkelheit mußte der alte Fähnrich, der die Räume am genauesten kannte, zu dem geheimen Ausgang nach der Gräberstadt dringen, um zu sehen, ob auch der verraten war. Und langsam, die jüngsten voran, sollten die Versammelten sich nach der Begräbnishalle zurückziehen, um von dort womöglich die Freiheit zu gewinnen. Bei den Gärtnern sollte man sich wiedersehen. Das war für den Fall einer Niederlage längst beschlossen.
Durch die Eisentür drang dumpfes Geschrei und Schwertgeklirr. In der Halle beteten alle laut oder leise. Plötzlich vernahm man hastige Schritte und schweres Keuchen und die Stimme des Fähnrichs: »Der Ausgang ist frei. Kein Hund und kein Mönch zu sehen. Hochwürdiger Herr, laßt mir jetzt den Befehl. Bin Soldat. So wie jeder dasteht, geht er langsam Schritt für Schritt nach dem Felsenausgang. Keine Übereilung. Wir geben euch eine Stunde Zeit. Eine Stunde lang halten wir die schmalen Gänge, ich und zehn Kameraden.«
Der Fähnrich rief zehn Männer beim Namen, von denen er wußte, daß sie wenigstens ein Messer bei sich trugen und keine Furcht kannten. Jeder antwortete beim Aufruf und tastete sich im Finstern dorthin, von wo des Fähnrichs Stimme klang.
»Und Biblios?« sagte Biblios selbst, als der Fähnrich keinen Namen mehr nannte. »Ich hoffe, daß ihr mich duldet. Arsenios übernimmt die Führung der Flüchtlinge. Ihr hinaus durch die Gänge. In der Begräbnishalle sammelt euch, dort könnt ihr wieder Licht machen. Und keine Übereilung in der Felsenspalte. Wir schwören, daß ihr eine Stunde unbelästigt bleibt. Solange werden sie mit uns zwölfen nicht fertig. Was, Fähnrich? Lebt wohl! Bei den Gärtnern!«
Unter Schluchzen und Lebewohlrufen zog sich die flüchtige Schar in den geheimen Gang hinter der Rednerbühne zurück. Noch waren die letzten nicht verschwunden, als die Eisentür plötzlich einen Pfosten umriß und hereinkrachte. Einer der Wächter rannte blindlings in die Halle und rief mit lauter, unsicherer Stimme: »Die anderen sind tot! Es sind die Einsiedler! Ich kann nicht mehr!«
Hinter ihm drein stürzten die Angreifer. Aber in dem vollständig dunklen Räume wußten sich selbst die Wildesten nicht zu raten. Alle schrien nach Licht, nach Feuer. Blutige Drohungen klangen dazwischen.
Bevor Licht gemacht wurde, war auch der Gang von Flüchtlingen frei, und die zwölf Verteidiger konnten sich dort festsetzen. Biblios stand an ihrer Spitze.
Als die Einsiedler eine Fackel im Mauerring angezündet hatten, warfen sie sich ungestüm vorwärts. Sie gaben dem letzten Wächter den Gnadenstoß und suchten die Ketzer. Sie stimmten ein Wutgeheul an, als sie endlich erkennen mußten, daß der ganze Raum leer war. Überall spähten sie umher. Es dauerte lange, bevor sie den Ausgang erblickten. Hier aber erwarteten sie kampfbereit und in gutgewählter Stellung, dort, wo der Gang sich zuerst verengte, die Gegner.
Der Fähnrich hatte gehofft, feige Mönche würden auf eine solche Position gar keinen Stoß wagen. Er hatte die Einsiedler falsch beurteilt. Sie erkannten, da sie mit einer anderen Fackel in den Gang hineinleuchteten, den Bischof Biblios und triumphierten. Unerschrocken stürzten sich ihrer so viele, als Raum hatten, auf die Ketzer. Der erste Stoß wurde zurückgeschlagen, aber beim ersten Anlauf war auch Biblios von einem Messer durchbohrt worden. Er hatte den Feinden nur seinen Armstumpf entgegengestreckt.
Die Einsiedler rannten ebenso wild, wie sie den Angriff unternommen hatten, in die Halle zurück, und andere stürzten vor. Nicht so bald gab es auf seiten der Verteidiger wieder einen Toten. Aber Messerstiche, Keulenhiebe gab es genug.
Ununterbrochen und mit immer frischen Kräften stürmten die Einsiedler an. Die Verteidiger ermatteten und konnten sich immer nur wieder erholen, wenn es ihnen gelang, dem Fackelträger die Fackel aus der Hand zu schlagen und das Feuer auszutreten. Dann gab es eine Pause, bis wieder Licht herbeigeschafft war. Und im Dunkeln führte wohl der Fähnrich seinen kleinen Trupp bald vor, bald zu einer guten Position zurück, um die Angreifer über die Entfernung zu täuschen.
So kämpften sie über eine halbe Stunde. Von den Ketzern war die Hälfte durch Blutverlust erschöpft. Von den Einsiedlern waren über hundert verwundet. Im ganzen waren die Verteidiger zurückgedrängt und standen eben auf einer breiteren Stelle des Ganges, als die Einsiedler nach einer kurzen Beratung in stockfinsterer Nacht einen neuen, furchtbaren Vorstoß unternahmen. Geheul und Fluchen, Schwerthiebe und Todesrufe! Ein grauenhaftes Handgemenge, wo niemand wußte, wen er traf, und wer ihn schlug oder biß. Immer weiter zurück. Schritt für Schritt kämpfte der Fähnrich um den Gang. Anfangs fühlte er, daß neben ihm noch Freunde waren, dicht geschart, eine Mauer. Aber von Minute zu Minute verließ ihn diese Sicherheit. Schon kamen Eisenhiebe von links; von vorn und von rechts schien er noch geschützt. Dann ein furchtbarer Schrei, und dicht vor ihm heulte jemand den Namen Gottes, wie nur ein Einsiedler ihn heulen kann. Rascher wurde er zurückgedrängt. Und plötzlich stand er im hellen Licht der Begräbnishalle. Neben ihm flüchteten noch zwei von seinen Genossen. Und hundert Einsiedler blutgierig auf ihren Fersen. Die letzten Flüchtlinge verschwanden auf der Treppe der engen Felsenspalte.
»Nur einen Augenblick Luft!« schrie der Fähnrich seinen beiden Genossen zu. Und beide wandten sich und schafften ihm den Augenblick. Der Fähnrich aber erreichte mit großen Sätzen den Felsenspalt, sprang hinein und wandte Schild und Schwert den Angreifern zu, die über die Leichen der letzten beiden Kämpfer heranliefen. Es war zu spät für sie. Der Fähnrich lachte und verhöhnte sie.
»Immer hübsch nur einer heran, und mit einem werde ich fertig. Da! Ihr müßt die Toten an den Beinen zurückziehen, wenn ihr Platz kriegen wollt! Sonst verstopft ihr noch den Spalt mit euren schmutzigen Leichnamen!«
Der Fähnrich atmete schwer. Er blutete aus vielen kleinen Wunden und hätte es nicht länger ertragen, wenn nicht wirklich nach jedem einzelnen Angriff eine Pause eingetreten wäre. Denn jeder Angreifer brach vor ihm zusammen und versperrte den Weg. Das konnte ja eine Weile dauern.
Da kam wieder einer, ein langer, dürrer Bursche, der eine Hacke schwang. Der Fähnrich fing die Hacke mit dem Schilde auf und stieß dem wilden Manne sein Schwert in die Achselhöhle. In demselben Augenblick aber flog an den Beinen des Angreifers vorüber ein Messer und gerade in das linke Knie des Fähnrichs. Er sank nieder. Aber er erholte sich rasch, während der tödlich Getroffene, der vor ihm zusammengebrochen war, hinausgeschafft wurde. Er zog das Messer aus der Wunde, ließ sich auf das rechte Knie nieder und erwartete so den neuen Angriff.
»Ihr Mordhunde,« schrie er, »ihr habt ganz recht! So haben wir es ja gelernt! So ist die Art, euch sicher abzuwehren! Danke bestens, werd's nicht vergessen! Jetzt soll mir einer kommen!«
Auf das rechte Knie gestemmt, den großen Schild fest gegen den linken Fuß angezogen, so den ganzen Leib gedeckt, wies der Fähnrich Angriff auf Angriff zurück. Kaum daß ihn einmal ein furchtbarer Keulenhieb zurücktaumeln ließ, daß ihn eine Messerspitze streifte oder daß ihm eine Eisenstange mal etwas am vorgestreckten linken Fuß zerbrach. Doch das Knie schmerzte und schwoll an, und aus seinen Wunden floß ein bißchen viel Blut.
Ruhig schützte er weiter den Felsenspalt. Unverändert war seine Stellung, und mit unveränderter Kraft führte er seine Stöße. Einmal umfing ihn eine Schwäche. Glücklicherweise während einer Pause des Kampfes, und der nächste kriegte wieder seinen ordentlichen Schwerthieb. Nicht bis auf die Knochen, aber doch fürs erste genug.
Das dauerte wieder, solange es ging. Nach dem zweiten Schwächeanfall überlegte der Fähnrich, was er hier tue. Eine Stunde hatte er versprochen. Na, wenn er den Kampf in den Gängen in Betracht zog und die Menge Blut, die er, selbst ohne eine richtige große Wunde, vergossen hatte, so konnte wohl im ganzen die doppelte Zeit verstrichen sein. Er durfte wohl ausruhen. Dürfen oder nicht, lange währte es nicht mehr. Und wieder einmal hob er mit dem Schwerte aus, da überkam ihn eine tiefe Schwäche, er fiel vornüber auf seinen Schild. Nur noch einige Stiche in seinen Rücken. Und über ihn hinweg sprangen die Angreifer von Stufe zu Stufe und hinaus ins Tageslicht. Und hinüber über die Mauer der Gruft. Sie sahen weit und breit keinen Ketzer mehr.
Spät in der Nacht schlichen einige Getreue von den Nazarenern durch die Felsenspalte hinab, um ihre Tapferen zu begraben, die Zwölf von der Nachhut. Der Fähnrich lag nicht mehr auf den Steinstufen. Er mochte noch einmal Lebenskraft gefühlt haben; so war er, einen breiten Blutstreifen nachziehend, bis in die Mitte der Begräbnisstätte gekommen. So fanden sie ihn. Sie suchten bei Fackellicht die Hallen ab und sammelten die Leichen der ihren um den Fähnrich. Das weiße Haupt des Märtyrers Biblios legten sie in den Schoß des alten Soldaten. Da schlug der noch einmal die Augen auf. Lange starrte er.
»Tot bin ich nicht. Hab' nur kein Blut mehr. Hab's gern hingegeben, den letzten Tropfen. Begraben. Will nicht... Schakale ... Neben Biblios. Den letzten Tropfen. Wolff... Sagt ihm ...«
Ein Lächeln flog über seine Züge.
»Wie viele?«
Man verstand ihn nicht gleich. Ach ja! Genau dreißig Anachoreten lagen entseelt in den Katakomben.
»Sagt Uli, dreißig auf uns zwölf. Da war aber der alte Biblios dabei. Rechnet nicht. Sagt Uli... er soll auch immer brav sein... Neben Biblios.«
Als die Getreuen sich dann überzeugt hatten, daß der Fähnrich wirklich nicht mehr lebte, setzten sie die Leichen bei. Der älteste der Männer, ein Bootsführer vom Hafen, sprach das Gebet und fügte noch hinzu:
»Lebt wohl, ihr seligen Brüder. Wir ziehen zu den Gärtnern und wollen leben und sterben in unserem Heiland. Die Welt lassen wir den blutigen Feinden. Wenn aber eine neue Sonne einst über ein einiges Christentum scheint, dann wird den Gärtnern die Welt gehören, und an euren Gräbern wird man euer gedenken in Liebe.«