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Einer meiner Freunde hatte mir gesagt: Wenn Du etwa zufällig bei Deiner Reise nach Algier in die Gegend von Bordj-Ebbaba kommst, so suche doch mal meinen alten Freund Auballe auf, der sich dort angesiedelt hat.
Ich hatte die Namen Auballe und Bordj-Ebbaba längst vergessen und dachte kaum mehr an den Pflanzer, als ich durch reinen Zufall zu ihm kam.
Seit einem Monat durchstreifte ich zu Fuß jene wundervolle Gegend, die sich von Algier nach Cherchell, Orléansville und Tiaret zieht. Sie ist gleichzeitig bewaldet und öde, gewaltig und lieblich. Zwischen zwei Bergketten liegen dort düstere Fichtenwälder in engen Thälern, im Winter von reißenden Bächen durchschossen. Mächtige über die Schluchten gefallene Bäume dienen den Arabern als Brücken, und Schlinggewächse, die sich um die toten Stämme ranken, überziehen diese mit neuem Leben. Dort giebt es Schlünde in unerforschten Bergschluchten von grausiger Schönheit und wieder ebene Bachufer mit Alpenrosen überwachsen, von unglaublichem Zauber.
Was mir aber am unvergeßlichsten geblieben, sind die Nachmittagsspaziergänge längs der dürftig bewaldeten, vielfach gewundenen Küste, von der aus man die weite wellige Landschaft überschaut vom blauen Meer bis zur Bergkette Quarsenis, deren First der Cedernwald von Teniet-el-Haad krönt.
An jenem Tage verirrte ich mich. Ich hatte gerade einen Gipfel bestiegen, von dem aus ich über eine Hügelreihe hinweg die weite Ebene von Mitidja übersehen konnte, dahinter noch weiter, auf der Höhe einer anderen Kette, in der Ferne fast verschwimmend, das seltsame Denkmal, das »Grab der Christin« geheißen, wie man sagt das Grabmal einer maurischen Königsfamilie. Ich stieg wieder hinab, nach Süden zu. Vor mir erstreckte sich bis hinauf zu den Gipfeln, die in den klaren Himmel hineinragten, am Rand der Wüste, ein wildes Bergland, fahl, rotgelb, als ob alle die Hügel mit aneinander genähten Löwenfellen bedeckt wären. Ab und zu stieg dazwischen ein höherer Buckel auf, spitz, gelb, wie der behaarte Höcker eines Kamels.
Ich ging mit schnellen, leichten Schritten, wie man die Kehr-Wege an einem Berghang hinabgeht. Nichts lastet auf einem bei solchen flotten Märschen in der Höhenluft, nichts bedrückt einen, weder Glieder noch Herz, weder Gedanken, noch irgend eine Sorge. Von all dem, was uns im Leben verstimmt und quält, lastete nichts mehr auf mir, ich war nur glückselig, hier hinunter zu laufen. In der Ferne entdeckte ich ein Araberlager: braune, spitze Zelte, die am Boden klebten wie Meermuscheln auf den Felsen, oder Hütten, aus Zweigen zusammengebaut, aus denen grauer Rauch stieg. Weiße Gestalten, Männer oder Frauen, irrten langsam hin und her, und unbestimmt klangen durch die Abendluft die Glöckchen der Herden.
An meinem Weg neigten sich die Sandbeerbäume unter der Last ihrer Purpurfrüchte, die sie auf den Boden verstreuten. Sie glichen blutenden Märtyrern denn am Ende jedes Astes hing wie ein Blutstropfen eine rote Beere.
Der Boden um uns herum war wie von Blut benäßt, der Fuß der die Beeren am Boden zerdrückte ließ Mord-Spuren zurück. Ab und zu im Vorübergehen pflückte ich im Sprung die reifsten Früchte, um sie zu essen.
Jetzt füllten sich alle Thälchen mit leichtem Nebel, der langsam emporstieg wie der Dampf von einem arbeitenden Zugtier. Und über der Bergkette, die den Horizont abschloß, an der Grenze der Sahara, flammte der Himmel in überirdischem Glanz. Lang gedehnte Goldstreifen wechselten mit Blutströmen. Blut und Gold, die ganze Geschichte der Menschheit – und ab und zu erschloß sich dazwischen ein winziger Ausblick auf einen grünlichblauen Himmel, unendlich fern in Traumes Weiten.
O, wie fern war ich von all den Dingen, von all den Leuten, für die man sich auf dem Boulevard interessiert. Wie fern auch von mir selbst; eine Art Wesen, das umherirrt ohne Bewußtsein, ohne Gedanken, ein Auge, das über die Dinge gleitet, sieht, nichts will, als sehen. So war ich weit von meinem Wege abgekommen, auf den ich garnicht mehr achtete, und als die Nacht hereinbrach, merkte ich, daß ich mich verirrt hatte.
Die Dunkelheit fiel auf die Erde nieder wie ein Schattenregen, und ich sah nichts vor mir als Berge, so weit ich blicken konnte. In einem kleinen Thal gewahrte ich Zelte, stieg hinab und suchte dem ersten Araber, den ich traf, klar zu machen, nach welcher Richtung ich wollte.
Ich weiß es nicht: erriet er was ich wollte? Kurz er gab mir eine lange Antwort, von der ich kein Wort verstand. In meiner Verzweiflung war ich schon entschlossen, die Nacht, in eine Decke gewickelt, nahe dem Lager der Araber zuzubringen, als ich aus den seltsamen Lauten, die aus seinem Munde kamen, das Wort »Bordj-Ebbaba« zu erkennen glaubte.
Ich wiederholte: – Bordj-Ebbaba? – Jawohl, jawohl! Ich zeigte ihm zwei Franken, ein Vermögen für ihn. Er setzte sich in Marsch, ich folgte ihm. Ich folgte lange durch die stockfinstere Nacht diesem bleichen Gespenst, das mit bloßen Füßen vor mir herlief, über die steinigen Wege, auf denen ich unausgesetzt stolperte.
Plötzlich blitzte ein Licht auf. Wir kamen an das Thor eines kleinen weißen Hauses, einer Art kleiner Festung mit senkrechten Mauern, außen ohne Fenster. Ich klopfte, Hunde heulten drinnen. Auf Französisch fragte eine Stimme:
– Wer ist da?
Ich antwortete:
– Wohnt hier Herr Auballe?
– Ja!
Mir wurde geöffnet. Ich stand vor Herrn Auballe selbst, einem großen, blonden jungen Mann in Hausschuhen, die Pfeife im Mund; er sah aus wie ein gutmütiger Riese.
Ich nannte meinen Namen. Er streckte mir beide Hände entgegen und sagte:
– Seien Sie mir herzlich willkommen!
Eine Viertelstunde später aß ich mit Heißhunger. Mein Wirt saß mir gegenüber und rauchte noch immer.
Ich kannte seine Geschichte. Er hatte mit Weibern den größten Teil seines Vermögens durchgebracht, und von dem was übrig blieb in Algier Grund und Boden gekauft, auf dem er nun Wein zog.
Der Weinbau ging gut; er war glücklich und hatte in der That das behagliche Aussehen eines zufriedenen Menschen. Ich begriff nicht, wie ein Pariser Kind, dieser Lebemann, sich an solch eintönige Leben in der Öde hatte gewöhnen können. Und ich befragte ihn darüber:
– Seit wann sind Sie hier?
– Seit neun Jahren.
– Fühlen Sie sich nicht furchtbar unglücklich?
– Nein. Man gewöhnt sich an das Land und endlich liebt man es sogar. Sie glauben nicht, wie es in uns Menschen eine Reihe tierischer Instinkte weckt, die bisher unbewußt in uns schlummerten. Wir gewinnen es zunächst lieb durch unsere Organe, denen es unbewußt geheime Befriedigung gewährt.
Die Luft und das Klima erobern unsere Körper, ob wir wollen oder nicht; und allein das heitere Licht, in dem unser Leib sich badet, macht ihn froh und zufrieden. Es flutet in uns hinein, unaufhörlich, durch die Augen, und man möchte wirklich sagen, daß es alle äußersten Winkel unserer Seele reinwäscht.
– Aber die Frauen?
– Ja! . . . . die fehlen ein bißchen.
– Nur ein bißchen?
– Mein Gott, ja, – ein bißchen. Denn man findet immer selbst unter den Stämmen gefällige Landeskinder, die für die Nächte der Fremden sorgen.
Er wandte sich an den Araber, der mich bediente, einen großen, dunkelfarbigen Burschen, dessen schwarze Augen unter dem Turban blitzten und sagte zu ihm:
– Geh, Mohammed. Ich rufe Dich, wenn ich Dich brauche.
Dann, zu mir:
– Er versteht Französisch, und ich will Ihnen mal eine Geschichte erzählen, worin er eine große Rolle spielt.
Als der Mann gegangen war, begann er:
– Ich war ungefähr vier Jahre hier, noch wenig eingerichtet in jeder Beziehung, und begann eben erst Arabisch zu stammeln. Um nicht ganz auf die Neigungen verzichten zu müssen, die übrigens mein Verhängnis waren, mußte ich ab und zu ein paar Tage nach Algier reisen.
Ich hatte diese Farm gekauft, diesen Bordj, eine ehemalige kleine Festung, die ein paar hundert Meter von der Ansiedelung der Eingeborenen liegt, die ich für meine Anpflanzungen beschäftigte. Zu meinem persönlichen Dienst wählte ich aus diesem Stamme – einem Teil der Oulad-Taadja – einen großen Burschen aus, denselben, den Sie eben hier gesehen haben: Mohammed ben Lam'har. Er wurde mir bald sehr ergeben. Da er nicht in einem Hause schlafen wollte, weil er das nicht gewöhnt war, schlug er sein Zelt ein paar Schritte von der Thür auf, so daß ich ihn von meinem Fenster aus rufen konnte.
Wie ich hier lebe, können Sie sich denken. Den ganzen Tag beaufsichtige ich die Anpflanzungen, gehe ein wenig auf Jagd, esse ab und zu bei den in der Nähe stationierten Offizieren, oder sie kommen zu Tisch zu mir.
Über die . . . . Vergnügungen sprach ich ja schon: Algier gewährte mir die ausgesuchtesten; und ab und zu redete mich mitten auf der Straße ein mitfühlender, gefälliger Araber an und schlug mir vor, er wollte mir nachts ein Mädchen seines Stammes zuführen. Manchmal nahm ich an, doch viel öfter lehnte ich ab, aus Furcht vor den Feinden, die ich mir dadurch machen könnte.
Als ich nun eines Abends, es war am Anfang des Sommers, von einem Gang in die Pflanzungen zurückkehrte und Mohammed brauchte, trat ich in sein Zelt, ohne ihn zu rufen. Das geschah alle Augenblicke.
Auf einem jener großen roten Teppiche aus langer Wolle von Djebell-Amour, dicht und weich wie Matratzen, schlief ein Weib, ein Mädchen, beinah unbekleidet, die Arme über die Augen gekreuzt. Ihr weißer Leib, schneeigleuchtend im Lichtstrahl, der unter dem erhobenen Zeltvorhang eindrang, erschien mir wie das vollkommenste Meisterwerk der Schöpfung, das ich je gesehen. Die Frauen sind hier auffallend schön, groß und von seltenem Ebenmaß der Züge und Linien.
Ein wenig verwirrt, ließ ich die Zeltdecke fallen und kehrte nach Haus zurück.
Ich liebe die Frauen! Die Erscheinung traf mich wie ein Blitzstrahl, der zündete; er entfachte in meinen Adern jene alte gefährliche Glut, der ich es verdanke, hier zu sein. Es war heiß, Juli, und beinah die ganze Nacht verbrachte ich an meinem Fenster und starrte auf den dunklen Schatten, der von dem Zelte Mohammeds herrührte.
Als er am nächsten Morgen in mein Zimmer trat, sah ich ihn scharf an und er senkte den Blick wie jemand, der ein schlechtes Gewissen hat. Erriet er was ich wußte?
Ich fragte kurz:
– Du bist also verheiratet, Mohammed?
Ich sah wie er rot wurde und er stammelte:
– Nein, Herr.
Ich verlangte, daß er Französisch sprach und mir dafür arabischen Unterricht gab, so daß wir manchmal beide Sprachen durcheinander redeten.
Ich fragte weiter:
– Warum ist denn dann ein Mädchen bei Dir?
Er brummte:
– Er ist aus Süd.
– Ah, sie stammt aus dem Süden! Aber das erklärt noch nicht, warum sie in Deinem Zelt ist.
Ohne auf meine Frage einzugehen, sagte er:
– Er ist sehr hübsch!
– So, wirklich! Nun, wenn Du ein andermal so Besuch von einem schönen Mädchen aus dem Süden bekommst, wirst Du dafür sorgen, daß sie in mein Haus kommt und nicht in Deines. Hörst Du, Mohammed?
Er antwortete ganz ernst:
– Ja, Herr!
Ich muß gestehen, daß ich den ganzen Tag die Erinnerung an dies arabische Mädchen auf dem roten Teppich nicht los wurde, und als ich zu Tisch heimkehrte, fühlte ich das dringende Verlangen, noch einmal nach Mohammeds Zelt zu gehen. Den Abend hindurch that er seinen Dienst wie gewöhnlich, war immer um mich herum mit seiner unbeweglichen Miene und ein paar Mal hätte ich ihn beinahe gefragt, ob er unter seinem kamelhaarbedeckten Heim dies junge, schöne Mädchen aus dem Süden noch länger behalten würde.
Um neun Uhr ging ich aus, immer noch in der Gier nach dem Weibe, die mich beherrscht, wie die Witterung den Jagdhund. Ich wollte Luft schnappen und ein wenig um das braune Leinwand-Zelt herumgehen, durch das ich Licht schimmern sah.
Dann entfernte ich mich aber, um nicht von Mohammed in der Nähe seines Zeltes überrascht zu werden.
Als ich eine Stunde später heimkehrte, unterschied ich im Zelt deutlich sein Gesicht. Dann nahm ich meinen Hausschlüssel aus der Tasche und ging in den Bordj, in dem noch außer mir mein Aufseher, zwei französische Arbeiter und eine alte Köchin wohnten, die ich in Algier aufgetrieben hatte.
Ich stieg die Treppe hinauf und zu meinem Erstaunen sah ich, daß unter meiner Thür Licht durchschimmerte. Ich öffnete und gewahrte vor mir auf einem Strohstuhl neben dem Tisch, auf dem ein Licht brannte, ein Mädchen von wunderbarer Schönheit, das mich ruhig zu erwarten schien, mit allem Silberschmuck aufgeputzt, den die Frauen hier im Süden an Beinen, Armen, auf der Brust bis auf den Leib herab tragen. Ihre, durch Kohol erweiterten Augen blickten mich groß an; und vier kleine blaue Male, fein in die Haut tättowiert schmückten als Sterne Stirn, Wangen und Kinn. Ihre mit Spangen überladenen Arme ruhten in ihrem Schoß. Ihr Kleid, eine Art Gebba aus roter Seide, die von den Schultern herabwallte, bedeckte die Schenkel.
Als sie mich kommen sah, stand sie auf, blieb vor mir stehen aufrecht, mit ihrem wilden Schmuck behangen, in einer Art stolzen Demut.
– Was machst Du hier? – fragte ich arabisch.
– Ich bin hier, weil man mir befohlen hat, zu kommen.
– Wer hat Dir das befohlen?
– Mohammed.
– Gut, setze Dich.
Sie setzte sich, schlug die Augen nieder, und ich blieb vor ihr stehen und betrachtete sie.
Ihr Gesicht war seltsam: regelmäßig, fein, und ein wenig Bestie, aber schwärmerisch wie das eines Buddha. Ihre Lippen waren kräftig und von einem Art Rosenrot, das auch sonst noch auf ihrem Körper wiederkehrte, das eine leichte Kreuzung mit schwarzem Blut verriet, obgleich Hände und Arme tadellos weiß waren.
Unruhig, lüstern und zugleich verwirrt, wußte ich nicht, was ich thun sollte. Um Zeit zu gewinnen und überlegen zu können, fragte ich sie noch andere Dinge, wo sie her sei, wie sie in das Land gekommen und wie sie zu Mohammed stünde. Aber sie antwortete nur auf die Fragen, die mich am wenigsten interessierten, und ich konnte nicht herausbekommen, warum sie eigentlich gekommen sei, in welcher Absicht und auf welchen Befehl, seit wann und was eigentlich zwischen ihr und meinem Diener vorgegangen sei.
Als ich ihr sagen wollte: Kehre in Mohammeds Zelt zurück! erriet sie das vielleicht, stand jäh auf und hob ihre beiden nackten Arme, von denen all die Armbänder auf ein Mal klirrend bis zu den Schultern herabglitten, umschlang meinen Hals mit den Händen und zog mich mit flehendem unwiderstehlichem Ausdruck an sich.
Ihre Augen, funkelnd in dem Wunsche zu verführen und in dem Gelüste über den Mann zu siegen, durch das die unkeuschen Blicke der Frauen zu behexen vermögen wie die der wilden Katzen, – diese Augen benahmen mir jede Widerstandskraft, lockten, entzückten und erregten mich zu ungestümer Glut. Es war ein kurzer Kampf ohne Worte, heftig, nur zwischen unsern Blicken, der ewige Kampf zwischen den beiden Tieren im Menschen, dem Männchen und dem Weibchen, wobei das Männchen immer unterliegt.
Mit langsamem, stetig wachsendem, unwiderstehlichem Druck, wie mit mechanischer Kraft zogen ihre beiden, hinter meinem Haupt gefalteten Hände mich an diese sinnlich lächelnden roten Lippen, auf die ich plötzlich die meinen drückte, während ich diesen beinah nackten Leib umschlang, der mit Silberringen behangen war, die nun klingelten, vom Busen bis zu den Füßen, bei meiner Umarmung.
Sie war nervig, schmiegsam, und gesund, wie ein Tier, mit Bewegungen, Manieren, Liebreiz und sogar etwas vom Geruch der Gazelle, daß ich bei ihren Küssen einen fremden unbekannten Reiz genoß, fremdartig wie der Geschmack tropischer Früchte.
Bald darauf, ich sage bald, – vielleicht war es schon gegen morgen, wollte ich sie fortschicken. Ich glaubte, sie würde gehen wie sie gekommen, und ich fragte mich noch nicht, was aus ihr werden sollte, noch was sie aus mir machen würde.
Aber sobald sie meine Absicht erriet, flüsterte sie:
– Wenn Du mich fortjagst, wo sollte ich jetzt hin? Ich müßte nachts auf der bloßen Erde schlafen. Laß mich zu Füßen Deines Bettes auf dem Teppich ruhen.
Was konnte ich antworten? was thun? Ich dachte, Mohammed würde sicher seinerseits das erleuchtete Fenster meines Zimmers beobachten; und allerlei Fragen, die ich mir im Ansturm des ersten Augenblicks noch nicht überlegt, kamen mir zu Sinn.
– Bleib hier, – sagte ich, – wir wollen uns unterhalten.
Mein Entschluß war sofort gefaßt. Da dieses Mädchen mir nun einmal so in die Arme gefallen war, wollte ich sie behalten, wollte aus ihr eine Art Sklaven-Geliebte machen, die in meinem Haus verborgen blieb wie die Frauen des Harems. Wenn ich sie eines Tages satt hatte, war es leicht, sie auf irgend eine Manier fortzubringen, denn in Afrika gehörten uns diese Art Wesen beinah mit Leib und Seele.
Ich sagte ihr:
– Ich will gut gegen Dich sein, ich will Dich so behandeln, daß Du nicht unglücklich wirst. Aber ich muß wissen, wer Du bist und woher Du kommst.
Sie begriff, daß sie jetzt reden mußte und erzählte mir ihre Geschichte, oder vielmehr eine Geschichte, denn sie log vom ersten Wort bis zum letzten, wie alle Araber lügen, immer, mit oder ohne Grund.
Das ist einer der seltsamsten und unbegreiflichsten Charakterzüge der Eingeborenen, daß sie lügen. Diese Menschen, in die der Islam so eingedrungen ist, daß er einen Teil von ihnen ausmacht, daß er ihre geistigen Fähigkeiten nach seiner Anschauung formt, ihre ganze Rasse verändert, sie von den anderen im Punkt der Moral unterscheidet, ebenso wie die Hautfarbe den Neger vom Weißen trennt: sie alle sind Lügner durch und durch, daß man ihrem Gerede niemals trauen kann. Ob das mit ihrer Religion zusammenhängt, weiß ich nicht. Man muß unter ihnen gelebt haben, um sich zu überzeugen wie die Lüge einen Teil ihres Wesens ausmacht, ihres Herzens, ihrer Seele, wie sie ihnen zur zweiten Natur geworden ist, ja geradezu eine Lebensnotwendigkeit.
Sie erzählte mir also, sie sei die Tochter eines Kaïds der Ouled Sidi Scheik, und einer von ihm den Touaregs geraubten Frau. Diese Frau mußte wohl eine schwarze Sklavin gewesen sein, oder wenigstens aus erster Kreuzung arabischen und Negerblutes stammen. Bekanntlich sind die Negerinnen in den Harems sehr gesucht, wo sie als besonderes Reizmittel gelten.
Übrigens zeigte sich bei ihr außer jenem Purpur der Lippen und der dunklen Erdbeerfarbe der länglichen, elastisch-federnden Brüste nichts von dieser Abstammung. Darin konnte sich ein erfahrenes Auge nicht täuschen. Aber alles andere gehörte der schönen, weißen, schlanken Rasse des Süden an, deren feines Gesicht einfach und gerade geschnitten ist wie ein indisches Heiligenbild. Die weit auseinander stehenden Augen erhöhten noch den fast überirdischen Eindruck dieses Kindes der Wüste.
Über ihre wirkliche Stellung erfuhr ich nichts Genaues. Sie erzählte mir ab und zu unzusammenhängende Einzelheiten, die zufällig in ihrem verworrenen Gedächtnis aufzusteigen schienen. Köstliche kindliche Anschauungen mischten sich hinein, das ganze Nomadenleben, wie es sich im Hirn eines Eichhörnchens spiegelt, das von Zelt zu Zelt gesprungen ist, von Lager zu Lager, von Stamm zu Stamm.
Und all das wurde hergeleiert mit der ernsten Wichtigthuerei dieses Volkes, mit der Miene einer schwatzenden Puppe und einem etwas komischen Ernst.
Als sie fertig war, merkte ich, daß ich garnichts behalten hatte von dieser ganzen langen Geschichte, voller nebensächlicher Ereignisse, die in ihrem oberflächlichen Gehirn haften geblieben waren. Und ich fragte mich, ob sie mich nicht einfach zum Narrn gehalten hätte, durch dieses inhaltslose, ernst vorgetragene Geschwätz, das mir eigentlich über sie selbst und ihr Leben nichts gesagt hatte.
Und ich dachte an dieses überwundene Volk, unter dem wir leben, oder vielmehr, das mitten unter uns lebt, deren Sprache wir kaum zu sprechen angefangen, das wir unter dem dünnen Leinen seiner Zelte in den Tag hinein leben sehen, denen wir unsere Gesetze, unsere Ordnung, unsere Sitten aufzwangen, und von denen wir nichts wissen, aber auch garnichts, nicht als ob wir sie seit fast sechzig Jahren fortwährend beobachteten. Wir wissen nicht mehr davon, was in dieser Hütte aus Zweigen, oder unter diesem kleinen Conus aus Stoffen, der mit Pflöcken an der Erde festgehalten wird und zwanzig Meter von unsern Thüren steht, vorgeht, als wir eine Ahnung haben, was die sogenannten civilisierten Araber in den maurischen Häusern von Algier treiben und denken. Hinter den kalkbeworfenen Mauern ihrer Stadthäuser, unter der weißen Decke ihrer Zelte, oder hinter dem dünnen, braunen Vorhang von Kamelshaar, der im Winde flattert, leben sie in unserer Nähe, Fremde, rätselhafte, lügnerische, durchtriebene, unterdrückte, ewig lächelnde, unerforschliche Wesen. Ich sage Ihnen, wenn ich von weitem mit meinem Opernglas das nächste Araberlager beobachte, merke ich, daß bei ihnen allerlei Aberglaube sein Wesen treibt, daß sie tausend Sitten und Gebräuche haben, die wir noch nicht kennen, von denen wir nicht einmal eine Ahnung haben. Noch niemals hat ein durch Gewalt unterworfenes Volk sich so völlig der hartnäckigen aber nutzlosen Erforschung durch den Sieger zu entziehen gewußt.
Nun, diese unüberbrückbare geheime Schranke, die die Natur zwischen den Rassen aufgerichtet hat, empfand ich plötzlich, wie ich sie noch nie empfunden, zwischen mir und diesem arabischen Mädchen, zwischen diesem Weibe, das sich mir soeben angeboten, geschenkt, ihren Körper meiner Zärtlichkeit hingegeben, und mir, der sie genossen hatte.
Ich fragte, da ich jetzt, zum ersten Mal daran dachte:
– Wie heißt Du?
Sie hatte ein paar Augenblicke geschwiegen und ich sah sie erzittern, als ob sie ganz vergessen hatte, daß ich da war. Da erriet ich an ihrem auf mich gehefteten Blick, daß diese Minuten genügt hatten, sie schläfrig zu machen. Plötzliche, unwiderstehliche Schlafsucht befiel sie: blitzschnell, wie jede Einwirkung auf die nervösen Sinne der Frau.
Sie antwortete gleichgültig mit unterdrücktem Gähnen:
– Allouma.
– Möchtest Du schlafen?
– Ja! – sagte sie.
– Also gut, schlaf!
Sie schmiegte sich ruhig an meine Seite, auf dem Bauche ausgestreckt; die Stirn ruhte auf den gekreuzten Armen und ich fühlte beinah augenblicklich, daß ihre unruhigen, wilden Gedanken im Schlaf erloschen waren.
Da begann ich, an ihrer Seite liegend, zu sinnen und versuchte mir die Sache zu erklären. Warum hatte Mohammed sie mir geschickt? War er ein solch großmütiger Diener, daß er sich so weit für seinen Herrn opferte, ihm sogar die Frau zu überlassen, die er für sich in sein Zelt geschleppt? Oder verfolgte er einen anderen, weniger edlen, mehr praktischen Zweck dabei, als er mir dieses Mädchen, das mir gefiel, zuführte? Wenn es sich um Frauen handelt, entwickelt der Araber gleichzeitig keusche Härte und unglaubliche Nachsicht, und man versteht ebenso wenig seine rücksichtslose als seine leichtsinnige Moral, wie alle seine anderen Empfindungen. Vielleicht war ich, als ich zufällig in sein Zelt gedrungen, den wohlwollenden Absichten dieses findigen Dieners zuvorgekommen, der mir dies Mädchen, seine Freundin, seine Helferin, vielleicht auch Geliebte, zugedacht hatte?
All diese Überlegungen gingen mir im Kopf herum und ermüdeten mich so, daß auch ich allmählich in tiefen Schlaf sank.
Ich erwachte durch das Knarren meiner Thür. Wie jeden Morgen trat Mohammed ein, um mich zu wecken. Er öffnete das Fenster, durch das eine Flut von Licht einfiel auf den Körper Alloumas, die immer noch auf dem Bette schlief; dann hob er mein Beinkleid, meine Weste und meinen Rock vom Boden auf, um sie zu reinigen. Er warf keinen Blick auf das Mädchen, das an meiner Seite ruhte, schien garnicht zu merken oder zu wissen, daß sie da sei, und behielt dieselbe Würde, die gleiche Haltung, das unbewegliche Gesicht wie immer. Aber das Licht, die Unruhe, das leichte Geräusch der nackten Füße des Mannes, die Empfindung des frischen Luftzuges auf der Haut und in den Lungen weckte Allouma aus ihrem tiefen Schlafe auf. Sie reckte die Arme, wendete sich herum, öffnete die Augen, blickte mich an und dann Mohammed mit derselben Gleichgültigkeit, und setzte sich auf. Dann murmelte sie:
– Ich habe Hunger!
– Was willst Du essen? – fragte ich sie.
– Kahoua.
– Kaffee und Brot mit Butter?
– Ja.
Mohammed stand neben dem Lager, die Kleider auf dem Arm, und wartete auf meine Befehle.
– Bring Frühstück für Allouma und mich! – sagte ich ihm.
Und er ging davon, ohne daß sich auf seinem Gesicht das mindeste Erstaunen oder die geringste Verstimmung bemerkbar gemacht hätte.
Als er fort war, fragte ich die junge Araberin:
– Willst Du in meinem Haus wohnen bleiben?
– Ja, das will ich.
– Ich werde Dir ein eigenes Zimmer geben und eine Frau zur Bedienung.
– Du bist großmütg und ich bin Dir dankbar.
– Aber wenn Du dich nicht gut aufführst, jage ich dich fort.
– Ich will alles thun was Du von mir verlangst.
Sie nahm meine Hand und küßte sie als Zeichen der Unterwürfigkeit.
Mohammed trat wieder ein, ein Brett mit dem Frühstück in der Hand. Ich sagte:
– Allouma wird hier im Haus bleiben. Lege Teppiche in das Zimmer am Ende des Ganges, dann hole die Frau des Abd-el-Kadar-el Hadara. Sie soll Allouma bedienen.
– Ja, Herr!
Eine Stunde später war meine schöne Araberin in einem großen, hellen Zimmer untergebracht; und als ich nachsah, ob ihr auch nichts fehle, bat sie mich in flehendem Ton, ich möchte ihr doch einen Spiegelschrank schenken. Ich versprach es ihr. Dann ging ich, sie blieb auf einem Djebell-Amour-Teppich sitzen, eine Cigarette im Munde, während sie mit der alten Araberfrau schwatzte, die ich hatte kommen lassen, als ob die beiden sich schon seit Jahren kennten.
Vier Wochen war ich sehr glücklich mit ihr und ich gewöhnte mich auf's wunderlichste an dieses Geschöpf einer anderen Rasse, das mir fast vorkam, als wäre es eine andere Gattung, auf einem anderen Stern geboren.
Ich liebte sie nicht – nein – man kann die Mädchen dieses unkultivierten Volkes kaum lieben. Zwischen ihnen und uns, sogar zwischen ihnen und ihren Männern, den Arabern, erblüht niemals die blaue Blume wie in den nördlicheren Ländern. Sie stehen dem Tiere zu nahe, sie haben ein zu wenig ausgebildetes Herz, zu wenig verfeinerte Gefühlsthätigkeit, um in unseren Seelen jene schwärmerische Stimmung hervorzurufen, die die Poesie der Liebe ist. Keine geistige Befriedigung, kein Gedankenschwung mischt sich in den Sinnenrausch, den diese reizenden aber nichtssagenden Wesen in uns entzünden.
Und doch schlagen sie uns in Fesseln, halten uns fest wie die anderen, nur auf andere Art, weniger zähe, weniger grausam, weniger schmerzlich.
Ich könnte nicht genau auseinandersetzen, was ich für dieses Wesen empfand. Ich sagte Ihnen vorhin, daß dieses Land, dieses elende Afrika, wo es keine Kunst, keine Freuden des Geistes giebt, uns doch allmählich für sich einnimmt durch einen ganz bestimmten unnennbaren Reiz, durch die weiche Luft, durch die immer milden Morgen und Abende, durch die köstliche Beleuchtung, durch das unsagbare Wohlgefühl, in das es alle unsere Sinne badet. Nun, Allouma nahm mich in derselben Weise ein durch tausend fesselnde körperliche, aber unbewußte Reize, durch die rührenden Verführungskünste, nicht so sehr durch die Glut ihrer Umarmung, denn sie war gleichgültig wie alle Orientalen, aber durch ihre süße Hingabe.
Ich ließ ihr durchaus freie Hand, zu gehen und zu kommen wie sie wollte, und mindestens einen Nachmittag um den andern brachte sie im benachbarten Araberlager zu, unter den Frauen meiner eingeborenen Landarbeiter. Manchmal aber betrachtete sie sich einen ganzen Tag hindurch im Spiegelschrank aus Mahagoni, den ich aus Miliana hatte kommen lassen. In aller Ruhe beguckte sie sich, vor der großen Spiegelthür stehend, oder verfolgte mit gründlicher ernster Aufmerksamkeit ihre Bewegungen. Mit leise geneigtem Kopf trat sie etwas zurück, um ihren Wuchs zu beurteilen; sie wendete sich um, ging etwas fort, trat wieder näher, dann, als es ihr schließlich zu langweilig wurde, sich zu bewegen, setzte sie sich auf ein Kissen, ihrem Spiegelbilde gegenüber, Auge in Auge, und verharrte mit ernster Mine so, ganz in sich versunken.
Bald machte ich die Wahrnehmung, daß sie fast täglich nach dem Frühstück fortging und bis zum Abend vollkommen verschwand.
Das beunruhigte mich etwas und ich fragte Mohammed, ob er wüßte, was sie während der langen Stunden der Abwesenheit triebe. Er antwortete ganz ruhig:
– Sorge Dich nicht, es ist bald Ramadan, sie muß beten gehen.
Auch er schien glückselig zu sein über Alloumas Anwesenheit im Haus. Aber niemals entdeckte ich zwischen ihnen das geringste Verdächtige, niemals versteckten sie sich vor mir, niemals schienen sie im Einverständnis zu sein oder verbargen mir etwas.
Ich fügte mich also in die Dinge, wie sie nun einmal lagen, ohne zu begreifen, was da vorging und ließ Zeit, Zufall und das Leben ihr Spiel treiben.
Ich unternahm oft, nachdem ich meine Besitzung, meine Weinberge, mein Neuland durchstreift hatte, lange Spaziergänge zu Fuß. Sie kennen die wundervollen Wälder dieses Teiles von Algier, diese beinah undurchdringlichen Schluchten, wo abgehauene Tannen die Gießbäche versperren. Sie kennen diese kleinen mit Alpenrosen überwucherten Thälchen, die von der Höhe eines Berges aus wie orientalische Teppiche aussehen, dort längs der Wasserläufe hingelegt. Sie wissen, daß man alle Augenblicke in diesen Wäldern und an diesen Abhängen, wo man meint, dorthin sei noch nie ein menschlicher Fuß gekommen, die schneeige Kuppe einer Koubba trifft, die Gebeine eines frommen Marabus umschließend, eines weltflüchtigen Marabus, dessen Grab kaum von Zeit zu Zeit von wenigen streng Gläubigen besucht wird, die vom nächsten Douar herüberkommen, mit einem Licht in der Tasche, das sie dann auf dem Grabe des Heiligen anzünden.
Kurz, ich kam eines Abends auf dem Heimweg an einer dieser mohamedanischen Kapellen vorüber und sah durch deren immer offene Thür eine Frauengestalt vor der Reliquie beten. Es war ein wunderhübsches Bild: diese Araberin, auf dem Boden dieses verfallenen Raumes sitzend, durch den der Wind blies und in den Ecken ganze Haufen gelber, feiner, trockener Tannen Nadeln zusammengefegt hatte. Ich trat näher und erkannt Allouma. Sie sah mich nicht, hörte mich nicht, ganz in Gebet versunken. Sie sprach halblaut, unterhielt sich mit dem Heiligen, da sie sich ganz allein wähnte, und schüttete dem Diener Gottes all ihr Herz aus. Ab und zu schwieg sie einen Augenblick, um nachzudenken, sich zu überlegen, was sie noch zu sagen hätte, um nichts zu vergessen von allem, was sie ihm anvertrauen wollte. Dann ward sie wieder lebhafter, als ob er ihr geantwortet hätte, ihr etwas geraten, das sie nicht wollte und als entwickelte sie nun ihre Gegengründe.
Geräuschlos entfernte ich mich, wie ich gekommen war und kehrte heim zum Essen.
An dem Abend ließ ich sie rufen und als sie eintrat sah ich, daß sie bekümmert aussah wie sonst nicht.
– Da setz Dich hin! – sagte ich und deutete auf den Platz auf dem Divan an meiner Seite. Sie setzte sich, und als ich mich ihr näherte, um sie zu küssen, bog sie schnell ihren Kopf zurück.
Ich war erstaunt und fragte:
– Nun, was hast Du denn?
– Es ist Ramadan! – sagte sie.
Ich begann zu lachen:
– Und der Marabu hat Dir wohl verboten, Dich während des Ramadan küssen zu lassen?
– Ja! Ich bin Araberin und Du bist ein Fremdling.
– Wär's denn eine große Sünde?
– Jawohl!
– Dann hast Du also seit heute früh bis Sonnenuntergang nichts gegessen?
– Nein, nichts.
– Aber als die Sonne untergegangen war, hast Du gegessen?
– Ja.
– Nun da es ganz Nacht geworden ist, brauchst Du mit allem anderen auch nicht strenger zu sein als mit dem Mund.
Sie war verletzt, zuckte zusammen und antwortete stolz wie ich sie nie gekannt:
– Wenn ein arabisches Mädchen sich während des Ramadan von einem Fremden berühren ließe, wäre sie auf ewig verflucht.
– Und das dauert einen ganzen Monat?
Sie antwortete nachdrücklich:
– Ja, den ganzen Ramadan.
Ich machte ein böses Gesicht:
– Na, dann kannst Du den Ramadan bei Deiner Familie zubringen.
Sie nahm meine Hand, preßte sie sich aufs Herz:
– O bitte, sei nicht böse! Du wirst sehen, wie lieb ich sein werde; wir wollen zusammen Ramadan feiern. Willst Du? Ich werde dich pflegen, Dich verwöhnen, aber bitte sei nicht böse.
Ich konnte mich nicht enthalten zu lächeln, so drollig war sie und so außer sich; und ich schickte sie auf ihr Zimmer, zu schlafen.
Eine Stunde später, als ich zu Bett gehen wollte, klopfte es zweimal so leise an meiner Thür, daß ich es kaum hörte.
Ich rief »Herein« und da erschien Allouma, mit einer großen Schüssel voll arabischer Leckerbissen, überzuckerte Reiskuchen, gekocht und gebraten, lauter merkwürdige Bäckereien der Nomaden.
Sie lachte, zeigte ihre schönen Zähne und wiederholte:
– Wir wollen zusammen Ramadan feiern.
Wie Sie wissen, folgen nach dem Fasten, das von Tagesanbruch bis zur Dämmerung dauert, bis zu dem Augenblick, wo das Auge einen schwarzen Faden nicht mehr von einem weißen unterscheiden kann, jeden Abend kleine, intime Feste, wobei man bis zum Morgen tafelt; daher kommt es, daß für die wenig nachdenklichen Eingeborenen der Ramadan einfach darin besteht, aus dem Tag Nacht und aus der Nacht Tag zu machen. Aber Allouma ging in ihrer Gewissenhaftigkeit weiter. Sie setzte die Schüssel auf den Divan zwischen uns, nahm mit ihren langen, schlanken Fingern eine kleine überzuckerte Kugel und steckte sie mir mit den Worten in den Mund:
– Iß das, das schmeckt gut.
Ich knapperte das leichte Gebäck, das wirklich ausgezeichnet schmeckte und sagte:
– Hast Du das gemacht?
– Ja, ich.
– Für mich?
– Ja, für Dich!
– Wohl um mir über den Ramadan hinweg zu helfen?
– Ja. Sei nicht bös, ich werde Dir das täglich bringen.
Ach und nun verlebte ich einen fürchterlichen Monat; einen verzuckerten, süßlichen Monat zum rasend werden, einen Monat, des Verhätschelns und der Versuchung, der Wut und der vergeblichen Mühe gegen einen unüberwindlichen Widerstand.
Als dann die drei Tage des Reiram kamen, feierte ich sie auf meine Art, und der Ramadan war vergessen.
Der Sommer verging. Er war sehr heiß. In den ersten Herbsttagen schien mir Allouma etwas befangen zu sein, sie war zerstreut und kümmerte sich um nichts.
Als ich sie eines Abends rufen ließ, fand man sie nicht in ihrem Zimmer. Ich dachte, sie steckte irgendwo im Haus und sagte man solle sie suchen. Aber sie war nicht heimgekehrt. Nun öffnete ich das Fenster und rief:
– Mohammed!
Die Stimme meines Dieners antwortete aus seinem Zelt:
– Ja, Herr!
– Weiß Du wo Allouma steckt?
– Nein, Herr. – Nicht möglich! – Allouma verloren?
Ein paar Augenblicke später trat der Araber so erregt ein, daß er sich kaum beherrschen konnte und fragte:
– Ist Allouma verloren?
– Jawohl, Allouma ist verloren!
– Nicht möglich!
– Suche sie doch! – sagte ich ihm.
Er blieb in Gedanken stehen, überlegte und begriff nicht. Dann ging er in das leere Zimmer wo Alloumas Kleider in orientalischer Unordnung herumlagen; wie ein Polizist bespähte er alles, oder beroch es vielmehr wie ein Hund, dann sagte er, in das Schicksal ergeben, unfähig sich noch länger anzustrengen:
– Fort! er ist fort!
Ich fürchtete ein Unglück, einen Absturz, etwa einen Fall in eine Schlucht und alarmierte alle Männer des Lagers mit dem Befehl, sie so lange zu suchen bis man sie gefunden hätte.
Man suchte sie die ganze Nacht, den ganzen folgenden Tag, die ganze Woche. Man fand nichts, das uns hätte auf die Spur bringen können. Ich litt; sie fehlte mir. Mein Haus erschien mir leer, mein Dasein öde. Dann kamen mir beunruhigende Gedanken. Ich fürchtete, man könne sie etwa geraubt oder ermordet haben. Aber als ich Mohammed darnach fragte und ihm meine Vermutungen auseinanderzusetzen suchte, antwortete er nur fortwährend:
– Nein, fort!
Dann fügte er das arabische Wort R'ezale, das Gazelle bedeutet, hinzu, um damit anzudeuten, daß sie schnell liefe und weit weg wäre.
Drei Wochen vergingen, und ich hatte keine Hoffnung mehr, jemals meine arabische Geliebte wiederzusehen, als eines Morgens Mohammed freudestrahlend eintrat mit den Worten:
– Herr, Allouma, er ist wiedergekommen!
Ich sprang aus dem Bett und fragte:
– Wo ist sie?
– Wagt nicht zu kommen. Da draußen unter dem Baum. – Und mit ausgestrecktem Arm zeigte er mir durchs Fenster einen weißen Fleck am Fuße eines Olivenbaumes.
Ich stand auf und ging hinaus. Als ich mich diesem Wäschebündel näherte, das dort an dem knorrigen Stamm niedergeworfen zu sein schien, erkannte ich die großen, dunklen Augen, die tättowierten Sternchen, das lange, regelmäßige Gesicht des wilden Mädchens, das mich in Fesseln geschlagen. Je näher ich kam, desto mehr wuchs in mir die Wut, die Lust sie zu prügeln, ihr Schmerz anzuthun, mich zu rächen.
Ich rief schon von weitem:
– Woher kommst Du?
Sie antwortete nicht, blieb unbeweglich, als ob sie kaum noch lebte, auf Tätlichkeiten gefaßt sei und Schläge erwarte.
Ich stand jetzt dicht neben ihr und sah entsetzt die Lumpen, die sie bedeckten, diese Fetzen, halb aus Seide, halb aus Wolle, grau vom Staub, zerrissen und verbraucht.
Ich erhob die Hand wie gegen einen Hund und wiederholte:
– Woher kommst Du?
Sie flüsterte:
– Von dort drüben.
– Woher?
– Vom Stamm.
– Von welchem Stamm?
– Von meinem.
– Warum bist du fort?
Da sie sah, daß ich sie nicht schlug, gewann sie Mut und sagte leise:
– Ich mußte, mußte, – ich konnte im Haus nicht mehr leben.
Ich sah Thränen in ihren Augen und ward sofort weich gestimmt. Ich beugte mich zu ihr und gewahrte, als ich mich umdrehte, um mich zu setzen, Mohammed, der uns von weitem belauert.
Ich begann ganz leise:
– Nun sag mir mal, warum bist Du eigentlich fort?
Da erzählte sie mir, daß sie schon lange in ihrer Nomadenseele die unwiderstehliche Lust empfunden, unter ihre Zelte zurückzukehren, dort zu schlafen, sich auszutoben, zu laufen, sich im Sande zu wälzen, mit den Herden von Ebene zu Ebene zu irren, nichts mehr über ihrem Kopf zu wissen zwischen den gelblich flimmernden Lichtern des Himmels und ihren blauen Augensternen, als die dünne, verbrauchte, überall zerrissene, zusammengestickte Zeltdecke, durch die man beim Erwachen in der Nacht die Feuersaat der Sterne am Himmel flimmern sah.
Sie verständigte sich mit einfachen und ergreifenden Worten, so echt, daß ich jetzt doch fühlte wie sie nicht log, Mitleid mit ihr empfand und sprach:
– Warum hast Du mir nicht gesagt, daß Du einige Zeit fort wolltest?
– Du hättest es nicht zugegeben!
– Du konntest mir versprechen, daß Du wiederkämst, dann wäre ich einverstanden gewesen.
– Du hättest mir es nicht geglaubt.
Als sie sah, daß ich nicht böse war, begann sie zu lachen und schloß:
– Siehst Du, nun ist es vorbei, ich bin heimgekehrt und hier bin ich. Ich mußte nur ein paar Tage da draußen sein, jetzt habe ich genug, jetzt ist's aus, vorbei, ich bin geheilt. Ich bin wieder da, ich habe keine Sehnsucht mehr, ich bin sehr zufrieden. Du bist nicht bös.
– Komm ins Haus! – sagte ich.
Sie stand auf, ich nahm ihre Hand, ihre schmale Hand mit den feinen Fingern und hoch aufgerichtet, stolz, trotz ihres zerrissenen Gewandes, unter dem Klingeln der Ringe, Armbänder, Halsketten und Münzen schritt sie ernst meiner Wohnung zu, in der uns Mohammed erwartete.
Ehe wir eintraten, sprach ich zu ihr:
– Allouma, jedesmal wenn Du gern nach Haus möchtest, mußt Du es mir sagen und dann erlaube ich Dir's.
Sie fragte mißtrauisch:
– Versprichst Du es?
– Ja, ich verspreche es.
– Ich verspreche es auch. Wenn ich wieder Heimweh bekomme – und sie legte beide Hände auf die Stirn in wundervoller Bewegung, – dann werde ich zu Dir sprechen: ich muß wandern! und dann läßt Du mich gehen.
Ich begleitete sie in ihr Zimmer, von Mohammed gefolgt, der Wasser brachte; denn ich hatte die Abd- el-Kadar-el Hadara Frau noch nicht von der Rückkehr ihrer Herrin benachrichtigen können.
Sie trat ein, erblickte den Spiegelschrank und lief mit strahlendem Gesicht auf ihn zu, wie man der wiedergefundenen Mutter entgegeneilt. Sie blickte sich ein paar Sekunden an, zog ein Mäulchen und sagte dann in vorwurfsvollem Ton zum Spiegel:
– Warte nur, ich habe seidene Gewänder im Schrank, nachher mache ich mich schön.
Und ich ließ sie allein, um mit sich selbst zu kokettieren.
Unser altes Leben begann von neuem; und immer mehr und mehr unterlag ich dem seltsamen, sinnlichen Reiz dieses Mädchens, für das ich doch zu gleicher Zeit eine Art Verachtung empfand.
Ein halbes Jahr ging alles gut. Dann fühlte ich, daß sie wieder nervös wurde, aufgeregt, etwas traurig, und ich fragte sie eines Tages:
– Möchtest Du gern nach Haus?
– Ja, ich möchte . . .
– Wagtest Du es mir nicht zu sagen?
– Ich wagte es nicht.
– Geh, ich erlaube es.
Sie nahm meine beiden Hände, küßte sie, wie immer, wenn die Dankbarkeit sie überwältigte, und am nächsten Tag war sie verschwunden.
Sie kam wie das erste Mal etwa nach drei Wochen wieder, ganz zerlumpt, braun gebrannt in Staub und Sonne; sie hatte genug vom Nomadenleben, von der Wüste und der Freiheit. So kehrte sie innerhalb zweier Jahre vier Mal nach Haus zurück.
Ohne Eifersucht, in bester Laune nahm ich sie wieder bei mir auf, denn in mir entsteht Eifersucht nur aus der Liebe, wie wir sie verstehen. Ich hätte sie töten können, wenn ich sie abfaßte wie sie mich betrog, aber ich hätte sie getötet aus reiner Herschsucht wie man einen Hund, der nicht gehorcht, totschlägt. Ich hätte die Qualen, das zehrende Feuer, das fürchterliche Leid: unsere »Eifersucht der Nord- Menschen« nicht empfunden. Ich habe Ihnen gesagt, ich hätte sie totschlagen können wie einen ungehorsamen Hund; ich liebte sie wirklich ein wenig wie man ein seltenes Tier liebt, Hund oder Pferd, ein Tier, das nicht zu ersetzen ist. Und sie war ein wundervolles Tier, ein Tier zur Lust, in einen Frauenleib gebannt.
Ich kann Ihnen garnicht erklären, welche unendliche Kluft zwischen unseren Seelen lag, obgleich vielleicht unsere Herzen einander gestreift, sich hier und da eines am anderen erwärmt. Sie war etwas das in mein Haus gehörte, in mein Leben, eine sehr angenehme Gewohnheit, auf die ich hielt und die der sinnliche Mensch in mir liebte, jener der nur Auge, nur Begierde ist.
Da kam eines Tages Mohammed zu mir mit ganz seltsamem Ausdruck, jenem unruhigen Blick der Araber, der dem unsteten Blick einer Katze gleicht, die ein Hund stellt.
Als ich sein Gesicht sah, fragte ich:
– Nanu, was ist denn los?
– Allouma! er ist fort,
Ich begann zu lachen:
– Fort? Wohin?
– Ganz fort, Herr.
– Wieso denn: ganz fort?
– Ja, Herr!
– Du bist wohl toll geworden?
– Nein, Herr!
– Warum denn fort? wieso denn? Na, nun rede doch mal!
Er blieb unbeweglich stehen und wollte nicht mit der Sprache heraus. Plötzlich packte ihn einer jener arabischen Wutausbrüche, wie wir ihn manchmal in den Straßen der Stadt erleben bei zwei Besessenen, deren orientalischer Ernst und Würde plötzlich den wahnsinnigsten Bewegungen und dem fürchterlichsten Gebrüll Platz machen.
Und ich hörte aus seinen Reden heraus, daß Allouma mit meinem Hirten durchgebrannt sei.
Ich mußte Mohammed beruhigen, um von ihm nacheinander alle Einzelheiten zu erfahren.
Das dauerte lange Zeit, aber endlich bekam ich heraus, daß er seit acht Tagen meiner Geliebten nachspähte. Sie hatte hinter den Kaktusbüschen der Nachbarschaft oder in den mit Alpenrosen bewachsenen Schluchten öfters ein Stelldichein gehabt mit einer Art Vagabund, den mein Verwalter gegen Ende des vorigen Monats als Hirte angestellt hatte.
In der vergangenen Nacht hatte Mohammed sie fortgehen sehen, ohne daß sie wiedergekommen wäre, und er wiederholte ganz außer sich:
– Fort, Herr! er ist fort!
Ich weiß nicht warum, aber seine Überzeugung, daß sie mit dem Lumpenkerl durchgebrannt sei, hatte sich im selben Moment unwiderstehlich auch bei mir festgesetzt. Es war sinnlos, unwahrscheinlich, aber sicher wahr, da das Unvernünftige allein den Frauen vernünftig erscheint.
Mit beklommenem Herzen, wutzitternd suchte ich mir das Äußere dieses Mannes ins Gedächtnis zu rufen. Und plötzlich erinnerte ich mich, daß ich ihn in der vergangenen Woche mitten unter seiner Herde auf einem Erdhaufen gesehen, wie er mich beobachtet hatte. Er war ein großer Beduine, dessen Hautfarbe mit der seiner Lumpen zusammenstimmte, der Typus eines wilden Barbaren, mit herausstehenden Backenknochen, krummer Nase, zurücktretendem Kinn, dünnen Beinen: ein großes in Fetzen gekleidetes Skelett mit falschen Schakalaugen.
Ich hatte gar keinen Zweifel mehr, ja sie war mit dem Halunken durchgegangen. Warum? Weil sie Allouma war, die Tochter der Wüste. Eine andere vom Pariser Pflaster zum Beispiel wäre wahrscheinlich mit meinem Kutscher oder irgend einem Straßenbummler durchgebrannt.
– Es ist gut! – sagte ich zu Mohammed, – ist sie fort, meinetwegen. Ich muß Briefe schreiben, laß mich allein.
Ganz erstaunt über meine Gemütsruhe, ging er davon. Ich stand auf, öffnete das Fenster und sog in langen Zügen, mit vollen Lungen die schwüle Luft ein, die aus Süden herüberkam, denn der Sirocco wehte.
Dann dachte ich: Ach Gott, das ist eine . . . . . – ein Mädchen wie manche andere. Was weiß man davon, warum sie so handeln und so lieben, warum sie einem Mann nachlaufen oder ihn verlassen!
Manchmal weiß man's, oft weiß man es nicht, hier und da ist es zweifelhaft.
Warum ist sie mit diesem ekelhaften Kerl durchgebrannt? Warum? Vielleicht weil der Wind seit vier Wochen beinahe regelmäßig aus dem Süden bläst.
Das genügt. Ein Windhauch! Weiß sie, wissen sie alle, selbst die feinsten, die schlausten, in den meisten Fällen, warum sie so oder so handeln? Nicht mehr als eine Wetterfahne, die sich im Winde dreht. Ein Lufthauch, kaum zu merken, wirbelt den Pfeil aus Eisen, Kupfer, Blech oder Holz herum, genau so wie ein unfaßbarer Einfluß, ein nicht zu spürender, das ewig wechselnde Herz der Frau erregt und treibt, sei sie nun Städterin, sei sie vom Lande, aus dem Menschengewühl oder der Einöde.
Später, wenn sie darüber nachdenken, können sie sich klar werden und fühlen warum sie lieber so gehandelt haben als so, aber im Augenblick selbst, wissen sie es nicht; denn sie sind der Spielball ihrer wechselnden Empfindungen, Sklaven, abhängig von den Ereignissen, ihrer Umgebung, ihren Gemütsbewegungen, allerhand Zufälligkeiten, kurz von allem was sie berührt, und Seele und Leib erregt.
* * *
Herr Auballe war aufgestanden. Er ging ein paar Schritt hin und her, blickte mich an und sagte lächelnd:
– So liebt man in der Wüste.
Ich fragte:
– Wenn sie nun wiederkommt?
– Gemeines Mädel! . . . . und doch würde es mich freuen.
– Und würden Sie dem Hirten verzeihen?
– Mein Gott, ja. Frauen gegenüber muß man immer verzeihen – oder nichts wissen.