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In der zweiten Hälfte des Winters ging das Ehepaar Du Roy oft zu den Walters. Georges selbst war sehr häufig dort zu Tisch, während Madeleine erklärte, müde zu sein, und es vorzog, zu Hause zu bleiben. Sein fester Tag war Freitag, und die Frau Direktor lud an diesem Tage nie jemand anders ein. Er gehörte dem Bel-Ami, ihm allein. Nach dem Essen spielte man Karten, fütterte die chinesischen Fische, kurz man lebte und amüsierte sich im Familienkreise. Es gelang Frau Walter mehrere Male hinter einer Tür oder hinter einem dichten Gebüsch im Wintergarten oder in einer dunklen Ecke den jungen Mann stürmisch zu umarmen. Sie preßte ihn mit aller Kraft an ihre Brust und flüsterte ihm hastig ins Ohr: »Ich liebe dich!... Ich liebe dich!... Ich liebe dich zum Sterben!« Doch er wies sie jedesmal kalt zurück und erwiderte ihr kurz und trocken:
»Wenn Sie wieder damit anfangen, komme ich nie wieder hierher.«
Gegen Ende März sprach man plötzlich von der bevorstehenden Heirat der beiden Schwestern. Rose sollte sich mit dem Grafen Latour-Yvelin und Suzanne mit dem Marquis de Cazolles vermählen. Beide Herren waren Hausfreunde geworden; man behandelte sie mit einer besonderen Gunst und Rücksicht und erwies ihnen merkliche Vorrechte. Georges und Suzanne verkehrten ganz frei und mit einer brüderlichen Vertrautheit miteinander; sie plauderten stundenlang zusammen, machten sich über alle Welt lustig und schienen sehr gut zueinander zu stehen.
Er sprach nicht mehr über eine etwaige Heirat des jungen Mädchens, noch über die einzelnen Bewerber, die in Frage kämen.
Eines Tages hatte der Direktor Du Roy zum Frühstück mitgebracht, Frau Walter mußte gleich nach dem Essen fort, um mit einem Lieferanten etwas zu besprechen, und Georges sagte zu Suzanne:
»Kommen Sie, wollen wir die Fische füttern?«
Jeder nahm sich vom Tisch ein großes Stück Brot und sie gingen in den Wintergarten.
Rings um das riesige Becken lagen Kissen auf dem Fußboden, so daß man bequem niederknien, und die schwimmenden Tiere aus der Nähe beobachten konnte. Die jungen Leute nahmen sich jeder eins und legten sich nebeneinander, dann beugten sie sich über das Wasser und begannen Brotkügelchen hineinzuwerfen, die sie zwischen den Fingern drehten. Als die Fische das merkten, drängten sie sich sofort heran, sie zuckten mit den Schwänzen und schlugen mit den Flossen das Wasser, rollten ihre großen hervorstehenden Augen, drehten sich herum und tauchten dann unter, um die versinkenden Kügelchen zu haschen, dann stiegen sie gleich wieder zur Oberfläche empor, um noch mehr Futter zu fordern.
Der Ausdruck ihrer Mäuler war irgendwie seltsam und komisch; ihre Bewegungen waren schroff und hastig, und sie sahen wie kleine märchenhafte Ungetüme aus. Vom Goldsandgrunde hoben sie sich feuerrot ab, sie schossen wie Flammen durch das durchsichtige Wasser oder standen still und zeigten dabei die blauen Säume ihrer Schuppen. Georges und Suzanne sahen ihre umgekehrten Gesichter im Wasser und lächelten ihren Spiegelbildern zu.
Plötzlich sagte er ganz leise:
»Das ist nicht nett von Ihnen, Suzanne, daß Sie Geheimnisse vor mir haben.«
»Wieso?« fragte sie.
»Entsinnen Sie sich nicht mehr, was Sie mir an dem Fest hier an dieser Stelle versprochen haben?«
»Nein, nicht.«
»Sie wollten mich jedesmal um Rat fragen, wenn jemand um Ihre Hand bittet.«
»Nun, und?«
»Man hat doch um Sie angehalten.«
»Wer denn?«
»Sie müßten das doch besser wissen.«
»Nein, ich schwöre es Ihnen.«
»Doch, Sie wissen's bestimmt. Dieser lange Geck, der Marquis de Cazolles.«
»Er ist erstens kein Geck.«
»Möglich, aber er ist dumm, durch das Spielen ruiniert und verbraucht durch Heiratsanträge und Ausschweifungen. Das wäre wirklich eine schöne Partie für Sie, die Sie ein hübsches, frisches und kluges Mädchen sind!«
Sie fragte lächelnd:
»Was haben Sie denn gegen ihn?«
»Ich? Nichts.«
»Aber doch. Er ist gar nicht so, wie Sie ihn schildern.«
»Ich bitte Sie, doch, er ist ein Idiot und Intrigant.«
Sie drehte sich etwas zur Seite und sah nicht mehr ins Wasser:
»Was haben Sie denn?«
Da sprach er, als hätte man ihm ein Geheimnis aus dem Innern seiner Seele herausgerissen.
»Ich ... Ich ... Ich habe ... Ich bin eifersüchtig auf ihn.«
Sie war etwas überrascht.
»Sie?«
»Jawohl, ich!«
»So! Und weshalb, wenn ich fragen darf?«
»Weil ich in Sie verliebt bin, und Sie wissen das sehr gut, Sie böses Mädchen!«
»Sie sind verrückt, Bel-Ami«, sagte sie streng.
Er fuhr fort:
»Ich weiß es wohl, daß. ich verrückt bin. Sollte ich Ihnen so etwas gestehen, ich, ein verheirateter Mann? Ich bin mehr als verrückt, ich tue unrecht, ich bin beinahe ehrlos. Mir bleibt keine Hoffnung und ich verliere den Verstand, wenn ich daran denke. Und wenn ich höre, daß Sie heiraten werden, überfällt mich eine Wut, so daß ich imstande bin, jemanden umzubringen. Sie müssen mir das verzeihen, Suzanne, bitte!«
Er schwieg, und die Fische, die kein Futter mehr bekamen, standen unbeweglich in einer Reihe wie englische Soldaten und blickten die gesenkten Gesichter der beiden Menschen an, die sich nicht mehr um sie kümmerten.
Das junge Mädchen flüsterte halb traurig, halb lustig:
»Es ist so schade, daß Sie verheiratet sind. Aber was wollen Sie denn tun? Man kann dem nicht abhelfen. Es ist erledigt.«
Er wandte sich plötzlich zu ihr um und sagte ihr ganz nahe ins Gesicht:
»Und wenn ich frei wäre, würden Sie mich dann heiraten?«
Sie antwortete und ihre Stimme klang dabei ganz aufrichtig :
»Ja, Bel-Ami, ich würde Sie heiraten, denn Sie gefallen mir mehr als alle anderen.«
Er stand auf und stammelte:
»Ich danke Ihnen ... danke ... ich flehe Sie an, geben Sie niemandem Ihr Jawort. Warten Sie eine Weile. Ich bitte Sie darum. Wollen Sie mir das versprechen?«
Sie murmelte verlegen, ohne zu begreifen, was er wollte:
»Ich verspreche es Ihnen.«
Du Roy warf ein großes Stück Brot, das er noch in seinen Händen hielt, ins Wasser und eilte hinaus, ohne sich zu verabschieden, als hätte er den Kopf verloren.
Alle Fische stürzten sich gierig auf den Brotklumpen, der herumschwamm, ohne von den Fingern geknetet zu sein, und sie zerrten daran mit ihren gefräßigen Mäulern. Sie schleppten es an die andere Seite des Bassins, sprangen und wirbelten um ihn herum und bildeten eine Art lebendiger Blume, die kopfüber ins Wasser gefallen war.
Suzanne stand unruhig und erstaunt auf und ging langsam zurück. Der Journalist war fort.
Er ging in voller Ruhe nach Hause und fragte Madeleine, die gerade einen Brief schrieb :
»Willst du Freitags bei Walter essen? Ich gehe jedenfalls hin.«
Sie überlegte:
»Nein, ich fühle mich nicht ganz wohl. Ich bleibe lieber zu Hause.«
»Tue, wie du willst, niemand zwingt dich.«
Dann nahm er seinen Hut und ging sofort wieder weg.
Seit langem spürte er ihr nach, überwachte und beobachtete sie, so daß er genau wußte, mit wem sie verkehrte und was sie trieb. Die Stunde, auf die er wartete, war endlich gekommen. Der Ton, mit dem sie »Ich bleibe lieber zu Hause« antwortete, hatte ihn nicht getäuscht.
Die folgenden Tage benahm er sich sehr nett und liebenswürdig ihr gegenüber. Er schien sogar heiter zu sein, was er jetzt im allgemeinen nicht mehr war, so daß sie einmal zu ihm sagte:
»Siehst du, jetzt wirst du wieder nett und lieb.«
Am Freitag zog er sich frühzeitig an, um, wie er behauptete, noch ein paar Besorgungen zu erledigen, noch bevor er zum Chef ging. Dann verließ er um 6 Uhr seine Wohnung, gab seiner Frau einen Kuß und suchte sich eine Droschke auf der Place Notre Dame de Lorette.
Er sagte dem Kutscher:
»Fahren Sie nach der Rue Fontaine und halten Sie gegenüber der Nummer 17. Sie bleiben da stehen, bis ich Ihnen zurufe, weiterzufahren. Dann bringen Sie mich nach dem Restaurant Coq-Faisan, rue Lafayette.« Der Wagen setzte sich langsam trabend in Bewegung und Du Roy zog die Vorhänge herunter. Sobald er gegenüber seiner Wohnung angelangt war, ließ er keinen Blick mehr von seiner Haustür. Nachdem er zehn Minuten gewartet hatte, sah er, wie Madeleine das Haus verließ und in der Richtung nach den äußeren Boulevards ging. Sobald er sie aus dem Auge verloren hatte, steckte er seinen Kopf durch die Fenster und rief: »Weiterfahren!«
Die Droschke fuhr weiter und setzte ihn vor dem Coq-Faisan ab, einem in jener Stadtgegend bekannten bürgerlichen Restaurant. Georges betrat den großen Speisesaal und aß in aller Ruhe und sah dabei von Zeit zu Zeit auf seine Uhr. Er trank seinen Kaffee aus, nahm zwei Glas Kognak, rauchte langsam eine gute Zigarre und verließ halb acht das Lokal; er hielt eine vorbeifahrende leere Droschke an und ließ sich nach der Rue La Rochefoucauld fahren.
Ohne den Concierge was zu fragen, stieg er in dem angegebenen Hause drei Treppen hinauf; ein Dienstmädchen öffnete ihm die Tür und er fragte:
»Ist Herr Guibert de Lorme zu Hause?«
»Jawohl, mein Herr.«
Er wurde in einen Salon geführt, wo er eine kurze Zeit wartete, dann erschien ein hochgewachsener Herr mit Ordensband in militärischer Haltung und mit grauen Haaren, obwohl er noch ziemlich jung war.
Georges begrüßte ihn dann und sagte:
»Wie ich vorausgesehen habe, Herr Polizeikommissar, ist meine Frau mit ihrem Geliebten in einer möblierten Wohnung, die sie sich in der Rue des Martyrs gemietet haben.«
Der Beamte verbeugte sich.
»Ich stehe Ihnen zur Verfügung, mein Herr.«
Georges fuhr fort:
»Wir haben bis neun Uhr Zeit, nicht wahr? Nach dieser Zeit dürfen Sie nicht mehr in eine private Wohnung eindringen, um einen Ehebruch festzustellen.«
»Nein, mein Herr, bis 7 Uhr im Winter, bis 9 Uhr im Sommer; heute ist der 5. April, also geht das noch bis 9 Uhr.«
»Also gut, Herr Kommissar, ich habe einen Wagen untenstehen, wir können die Beamten, die Sie begleiten werden, abholen, und darin warten wir eine Weile vor der Tür. Je später wir kommen, desto mehr Aussicht haben wir, sie in flagranti zu erwischen.«
»Wie Sie wünschen, mein Herr.«
Der Kommissar ging hinaus und kam wieder zurück. Er hatte einen Überrock an, der seinen dreifarbenen breiten Gurt verdeckte. Er trat beiseite, um Du Roy den Vortritt zu lassen, doch der Journalist, dessen Gedanken ganz woanders schweiften, weigerte sich, zuerst hinauszugehen und wiederholte:
»Nach Ihnen ... nach Ihnen, bitte.«
Der Beamte versetzte:
»Gehen Sie doch vor, mein Herr, ich bin doch hier zu Hause.«
Du Roy machte eine Verbeugung und überschritt sofort die Schwelle. Sie fuhren zuerst nach der Polizeiwache und nahmen drei Schutzleute in Zivil mit, die auf sie warteten, denn Georges hatte im Laufe des Tages angegeben, daß das Abfassen des Pärchens am selben Abend stattfinden würde. Einer der Schutzleute setzte sich auf den Bock neben den Kutscher. Die zwei anderen stiegen in die Droschke, die nach der Rue des Martyrs fuhr.
Du Roy sagte:
»Ich habe den Plan der Wohnung. Sie liegt im zweiten Stock. Wir kommen zuerst in ein kleines Vorzimmer, dann in das Speisezimmer und dann in das Schlafzimmer. Alle drei Zimmer liegen der Reihe nach, eins nach dem anderen. Es gibt keinen zweiten Ausgang, der die Flucht ermöglichte. In der Nähe wohnt ein Schlosser; er hält sich bereit für den Fall, daß Sie ihn kommen lassen.« Als sie vor das betreffende Haus kamen, war es erst ein viertel nach acht; sie warteten schweigend auf der Straße noch etwa zwanzig Minuten. Doch als Georges feststellte, daß es schon dreiviertel neun Uhr schlug, sagte er:
»Jetzt los, gehen wir.«
Sie stiegen die Treppe hinauf, ohne sich beim Portier zu melden, der sie auch gar nicht bemerkt hatte. Einer von den Beamten blieb auf der Straße, um den Eingang zu überwachen.
Die vier Männer blieben im Flur des zweiten Stockwerks stehen. Georges preßte zunächst sein Ohr gegen die Tür, dann hielt er seine Augen an das Schlüsselloch. Er hörte nichts und sah auch nichts. Er klingelte.
Der Kommissar sagte zu seinen Leuten:
»Ihr bleibt hier draußen und wartet, bis ich euch rufe.«
Sie warteten. Nach zwei, drei Minuten zog Georges von neuem mehrere Male an der Klingel. Sie hörten im Inneren der Wohnung ein Geräusch. Dann näherte sich ein leiser, kaum hörbarer Schritt. Jemand kam heran, offenbar, um hinauszuspähen. Der Journalist klopfte nun heftig mit seinem gekrümmten Finger gegen die hölzerne Täfelung der Tür.
Eine Stimme, eine verstellte Frauenstimme, fragte:
»Wer ist da?«
Der Polizeioffizier rief:
»Öffnen Sie im Namen des Gesetzes.«
Die Stimme wiederholte:
»Wer sind Sie?«
»Ich bin der Polizeikommissar, öffnen Sie oder ich lasse die Tür erbrechen.«
»Was wollen Sie?« fragte die Stimme wieder.
Du Roy rief:
»Ich bin es. Es ist zwecklos, uns entrinnen zu wollen.«
Die leichten Barfußschritte huschten fort; nach ein paar Sekunden kamen sie wieder.
Georges sagte:
»Wenn Sie nicht öffnen wollen, erbrechen wir die Tür.«
Er drückte die Türklinke aus Messing nieder und stemmte mit seiner Schulter gegen die Tür. Da keine Antwort erfolgte, stieß er so heftig und gewaltsam dagegen, daß das alte Schloß dieser möblierten Wohnung nicht standhielt und nachgab. Die Schrauben flogen aus dem Holz, und der junge Mann wäre beinahe auf Madeleine gefallen, die nur mit Hemd und Unterrock bekleidet, mit nackten Beinen und zerzaustem, aufgelöstem Haar im Vorraum mit einer Kerze in der Hand stand.
»Da ist sie, wir haben sie.«
Und er stürzte in die Wohnung hinein. Der Kommissar nahm seinen Hut ab und folgte ihm. Die junge Frau schritt verwirrt und erschrocken hinter ihnen her und beleuchtete ihnen den Weg.
Sie gingen durch das Speisezimmer, der Tisch war noch nicht abgedeckt und die Reste der Mahlzeit standen darauf; leere Champagnerflaschen, eine offene Gänseleberpastete, Hühnerknochen und zur Hälfte aufgegessene Brotstücke. Auf dem Anrichtetisch standen zwei Teller mit leeren Austernschalen.
Im Schlafzimmer war alles durcheinander geworfen, als wenn ein Kampf stattgefunden hätte. Ein Damenkleid lag über einer Stuhllehne. Ein paar männliche Unterhosen hingen auf dem Arm eines Lehnstuhls, ein Bein rechts, eins links. Vier Stiefel, zwei große und zwei kleine, lagert auf der Seite neben dem Bett herum. Es war ein Schlafzimmer einer möblierten Wohnung mit ganz gewöhnlichen Möbeln; ein widriger und fader Geruch eines Hotelzimmers schwebte in der Luft, ein Geruch, der aus den Gardinen, aus den Matratzen, aus den Wänden und aus den Polstermöbeln zu dringen schien; ein Menschendunst aller derer, die in dieser öffentlichen Schlafstelle geschlafen oder gewohnt hatten, sei es nur einen Tag oder ein halbes Jahr, und die von ihrem eigenen Geruch etwas zurückgelassen hatten; und diese Ausdünstungen erzeugten, gemischt mit denen ihrer Vorgänger, letzten Endes einen undefinierbaren süßlichen und unausstehlichen Gestank, der in allen solchen Schlupfwinkeln derselbe ist.
Ein Teller mit Kuchen, eine Flasche Chartreuse und zwei noch halbvolle Gläschen standen auf dem Kamin. Eine bronzene Standuhr war mit einem Herrenhut verdeckt.
Der Kommissar drehte sich schnell um und sah Madeleine scharf in die Augen:
»Sie sind Madame Claire Madeleine Du Roy, die legitime Gattin des hier anwesenden Schriftstellers Herrn Prosper Georges Du Roy.«
Sie sprach mit erstickter Stimme:
»Jawohl.«
»Was treiben Sie hier?«
Sie antwortete nicht.
Der Beamte fuhr fort:
»Was treiben Sie hier? Ich finde Sie außerhalb Ihres Hauses, fast entkleidet, in einer möblierten Wohnung. Warum sind Sie hergekommen?«
Er wartete einige Augenblicke. Sie schwieg noch immer.
Dann fuhr er fort:
»Wenn Sie es mir nicht sagen wollen, Madame, werde ich gezwungen sein, es festzustellen.«
Man sah im Bett die Gestalt eines menschlichen Körpers, die sich unter der Bettdecke verborgen hielt. Der Kommissar trat heran und rief:
»Mein Herr.«
Der Mann im Bett rührte sich nicht. Er schien den Anwesenden den Rücken zu drehen, den Kopf unterm Kissen vergraben. Der Offizier berührte die Decke, wo die Schulter zu sein schien, und wiederholte:
»Mein Herr, ich bitte Sie, mich nicht zu zwingen, zu Tätlichkeiten überzugehen.«
Doch der eingehüllte Körper blieb genau so unbeweglich, als wenn er tot wäre.
Du Roy trat hastig ans Bett, zog die Decke zurück und riß das Kopfkissen fort; das totenblasse Gesicht Laroche-Mathieus wurde sichtbar.
Er neigte sich über ihn und sagte mit zusammengepreßten Zähnen, zitternd vor Begierde, ihn an der Kehle zu packen und zu erdrosseln:
»Haben Sie wenigstens den Mut, Ihre Gemeinheit einzugestehen.«
Der Beamte fragte noch einmal:
»Wer sind Sie?«
Der Liebhaber schien den Kopf verloren zu haben und gab keine Antwort.
Der Kommissar fuhr fort:
»Ich bin der Polizeikommissar und fordere Sie auf, Ihren Namen zu nennen!«
Georges schrie zitternd vor tierischer Wut:
»So antworten Sie doch, Sie Memme, oder ich nenne Ihren Namen.«
Der Liegende stammelte:
»Herr Kommissar, Sie dürfen mich nicht beschimpfen lassen von diesem Kerl. Habe ich mit Ihnen zu tun? Soll ich Ihnen oder ihm antworten?«
Er schien keinen Speichel mehr im Munde zu haben.
Der Offizier antwortete:
»Mir, mein Herr, mir allein. Ich frage Sie, wer sind Sie?«
Der andere schwieg. Er hielt die Bettdecke fest gegen seinen Hals gedrückt und rollte seine verstörten Augen. Sein hochgedrehter kleiner Schnurrbart schien ganz schwarz im Vergleich zu seinem bleichen Gesicht.
Der Kommissar fuhr fort:
»Sie wollen nicht antworten, dann bin ich gezwungen, Sie zu verhaften. Jedenfalls stehen Sie auf. Ich werde Sie befragen, wenn Sie angezogen sind.«
Der Körper bewegte sich im Bett und der Kopf murmelte:
»Ich kann doch nicht vor Ihnen.«
Der Beamte fragte:
»Wieso?«
Der andere stammelte:
»Weil ... Weil ich ... weil ich ganz nackt bin.«
Du Roy grinste, hob ein Hemd auf, das auf der Diele herumlag, warf es auf das Bett und schrie:
»Los ... stehen Sie auf ... Sie haben sich vor meiner Frau ausgezogen, Sie können sich dann vor mir anziehen.«
Dann drehte er ihm den Rücken und ging zum Kamin.
Madeleine hatte ihre Kaltblütigkeit wiedergewonnen. Sie sah ein, daß nichts mehr zu retten war und war bereit, alles zu wagen. Ihre Augen blitzten höhnisch und übermütig, sie rollte in den Händen ein Stück Papier zusammen, steckte es am Kamin an und zündete wie für einen gesellschaftlichen Empfang die zehn Lichter an, die in den schäbigen Leuchtern auf dem Kamin standen. Sie lehnte sich mit dem Rücken an das Marmorsims, hob einen ihrer nackten Füße und streckte ihn gegen das erlöschende Feuer. Dann nahm sie aus einer rosa Pappschachtel eine Zigarette, zündete sie an und begann zu rauchen. Der Kommissar wartete inzwischen, bis ihr Geliebter aufgestanden war und trat an sie heran.
Sie fragte dreist:
»Üben Sie oft diesen Beruf aus?«
»So selten als möglich«, antwortete er ernst.
Sie lächelte ihm ins Gesicht.
»Dann gratuliere ich, sehr sauber ist er nicht.«
Sie blickte nicht auf ihren Mann und tat so, als sähe sie ihn gar nicht.
Inzwischen kleidete sich der Herr im Bett an, er hatte schon seine Beinkleider und Schuhe an und näherte sich, während er seine Weste zuknöpfte.
Der Offizier wandte sich zu ihm:
»Jetzt, mein Herr, wollen Sie mir sagen, wer Sie sind?«
Der andere gab keine Antwort.
Der Kommissar erklärte:
»Ich sehe mich gezwungen, Sie zu verhaften.«
Darauf rief der Mann heftig:
»Rühren Sie mich nicht an. Ich bin unverletzlich.«
Du Roy stürzte sich auf ihn, als wollte er ihn niederschlagen, dann brüllte er ihm ins Gesicht:
»Aber Sie sind auf frischer Tat ertappt worden ... Ja! Auf frischer Tat! Ich kann Sie verhaften lassen, wenn ich will ... ja, ich kann Sie verhaften lassen.«
Dann fuhr er mit bebender Stimme fort:
»Dieser Mann heißt Laroche-Mathieu und ist Minister des Äußeren.«
Der Kommis war war verblüfft und prallte zurück:
»Nein, bitte, sagen Sie endlich Ihren Namen.«
Schließlich entschloß er sich und sagte mit fester Stimme:
»Diesmal hat dieser elende Kerl ausnahmsweise nicht gelogen. Ich bin tatsächlich der Minister Laroche-Mathieu.«
Dann streckte er seine Hand nach Georges Brust, an der ein kleines Bändchen wie ein roter Punkt glänzte, und fuhr fort:
»Und dieser Lump trägt noch auf seinem Kleid das Ehrenkreuz, das ich ihm gegeben habe.«
Du Roy wurde leichenblaß. Mit einer heftigen Handbewegung riß er aus seinem Knopfloch das kurze rote Bändchen heraus und warf es in den Kamin.
»So! Das ist eine Auszeichnung wert, die von einem Trottel wie Sie herkommt.«
Zähneknirschend standen sie einander gegenüber. Aufs äußerste erregt, mit geballten Fäusten, der eine mager mit langgezogenem Schnurrbart, der andere dick mit hochgedrehtem Schnurrbart.
Der Kommissar trat rasch dazwischen und trennte sie mit seinen Händen.
»Meine Herren, Sie vergessen sich, denken Sie an Ihre Würde.«
Die beiden Männer schwiegen und drehten sich den Rücken zu.
Madeleine stand noch immer unbeweglich und rauchte lächelnd die Zigarette weiter.
Der Polizeioffizier versetzte:
»Herr Minister, ich habe Sie mit der Frau Du Roy, hier anwesend, überrascht, Sie waren im Bett, und Madame beinahe nackt. Ihre Kleidungsstücke lagen unordentlich in der ganzen Wohnung herum. Sie sind offensichtlich eines Ehebruchs auf frischer Tat überführt. Die Tatsache werden Sie nicht leugnen können. Haben Sie etwas zu erwidern?«
Laroche-Mathieu murmelte:
»Ich habe nichts zu sagen. Erfüllen Sie Ihre Pflicht.«
Der Kommissar wandte sich zu Madeleine.
»Gestehen Sie, meine Dame, daß der Herr Ihr Geliebter ist?«
Sie erwiderte zynisch:
»Ich leugne es nicht, er ist mein Geliebter.«
»Das genügt.«
Dann machte sich der Beamte einige Notizen über den Zustand der Wohnung. Als er fertig war, war auch der Minister vollständig angezogen und wartete mit dem Überzieher auf dem Arm und den Hut in der Hand.
Er fragte:
»Brauchen Sie mich noch, mein Herr? Was soll ich tun? Kann ich jetzt fortgehen?«
Du Roy wandte sich um und sagte mit dreistem, zynischem Lächeln:
»Warum denn? Wir sind fertig. Sie können sich wieder hinlegen, mein Herr. Wir werden Sie jetzt allein lassen.«
Dann legte er einen Finger auf den Arm des Polizeibeamten und sagte:
»Gehen wir, Herr Polizeikommissar. Wir haben hier jetzt nichts mehr zu suchen;«
Der Beamte folgte ihm etwas erstaunt; doch an der Türschwelle blieb Georges stehen, um ihn vorbei zu lassen. Der weigerte sich aus Höflichkeit.
Doch Du Roy bestand darauf:
»Bitte gehen Sie voraus, mein Herr.«
»Nach Ihnen«, sagte der Kommissar.
Da machte der Journalist eine Verbeugung und versetzte mit ironischer Höflichkeit:
»Jetzt sind Sie an der Reihe, Herr Polizeikommissar, ich bin hier beinahe zu Hause.«
Dann zog er leise mit einer diskreten Bewegung die Tür hinter sich zu.
Eine Stunde später erschien Du Roy im Redaktionsbureau der Vie Française.
Herr Walter war noch da, denn er fuhr fort, sorgfältig und gewissenhaft seine Zeitung, die jetzt einen riesigen Aufschwung genommen hatte und seine immer größer werdenden Bankoperationen begünstigte, zu leiten und zu überwachen.
Der Direktor blickte auf und fragte:
»Ah! Da sind Sie. Wo kommen Sie denn jetzt her? Sie sind ein komischer Mensch! Warum sind Sie nicht zum Diner gekommen?«
Der junge Mann, der des Effekts seiner Mitteilung bewußt war, erklärte, indem, er jedes Wort betonte:
»Ich habe eben den Minister des Äußeren gestürzt.«
Der andere hielt es für einen Scherz.
»Gestürzt t... wieso?«
»Ich werde das Kabinett umgestalten. Weiter nichts. Es ist höchste Zeit, daß dieses Aas hinausfliegt.«
Der Alte war verblüfft und dachte, daß sein Redakteur beschwipst sei.
Er murmelte:
»Ach was, Sie reden Unsinn.«
»Aber gar nicht. Ich habe eben Laroche-Mathieu mit meiner Frau auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt. Der Polizeikommissar hat die Sache zu Protokoll genommen. Der Minister ist futsch.«
Walter war sprachlos, er schob seine Brille über die Stirn und fragte:
»Sie machen sich doch nicht über mich lustig?«
»Nicht die Spur. Ich will die Sache sogar gleich in die Zeitung bringen.«
»Aber was wollen Sie tun?«
»Diesen elenden Schurken und öffentlichen Missetäter stürzen.«
Georges legte seinen Hut auf einen Lehnstuhl und sprach weiter:
»Wehe denen, die sich mir in den Weg stellen. Ich verzeihe nie.«
Vater Walter schien die Sache noch immer nicht ganz zu begreifen.
Er stotterte:
»Und ... Ihre Frau?«
»Ich reiche morgen früh die Scheidungsklage ein. Soll sie wieder die Witwe Forestier werden.«
»Wollen Sie sich scheiden?«
»Aber gewiß. Sie hat mich lächerlich gemacht. Doch ich war gezwungen, den Dummen zu spielen, um sie zu erwischen. Nun hab' ich sie. Jetzt bin ich Herr der Lage.«
Herr Walter konnte noch immer nicht zu sich kommen; er sah Du Roy mit verstörten Augen an und dachte:
»Donnerwetter, mit dem Jungen soll man sich in acht nehmen.«
Georges fuhr fort:
»Nun bin ich frei. Ich habe ein gewisses Vermögen, und bei den Neuwahlen im Oktober werde ich mich in meiner Heimat, wo ich gut bekannt bin, als Kandidat aufstellen lassen. Mit dieser Frau, die in den Augen aller Welt für eine verdächtige Person galt, konnte ich weder eine gute Stellung noch Achtung gewinnen. Sie hat mich wie einen richtigen Dummkopf betört und bestrickt. Doch seitdem ich ihr Spiel durchschaut, habe ich diese Dirne überwacht.«
Er lachte und setzte hinzu:
»Dieser arme Forestier trug Hörner... sie betrog ihn, ohne daß er es ahnte; er blieb immer vertrauensvoll und ruhig. Endlich bin ich die Bürde los, die er mir vererbt hatte. Nun habe ich beide Hände frei, und ich werde es weit bringen.«
Er setzte sich rittlings auf einen Stuhl und wiederholte wie in Gedanken:
»Jetzt werde ich es weit bringen.«
Vater Walter sah ihn noch immer mit seinen bloßen Augen an; die Brille saß noch immer auf der Stirn, und er sagte sich:
»O ja, dieser Spitzbube wird es weit bringen.«
Georges stand auf:
»Ich werde gleich eine Notiz über den Vorfall schreiben, sie muß diskret gehalten werden. Aber wissen Sie, für den Minister wird sie schrecklich sein. Der Mann ist erledigt, ihm wird nicht mehr zu helfen sein. Die Vie Française hat kein Interesse mehr, ihn zu schonen.«
Der Alte zögerte einige Augenblicke, dann traf er seine Entscheidung:
»Gut, tun Sie es; um so schlimmer für die, die sich in so unsaubere Geschichten einlassen.«