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Dreizehntes Kapitel.

Den kurzen Weg zum Landhaus Bhâskaras, des Präsidenten des Morlenbundes, legte Mr. Harry Webster zu Fuß zurück. Er fand bei dieser Bewegung in freier Luft die erwünschte Gelegenheit, seine Gedanken zu sammeln und sich den Arbeitsplan für die nächsten vierundzwanzig Stunden zurechtzulegen.

Der feine Instinkt des Berufsdetektiven ließ seinen Geist immer wieder zu der ominösen Zeitungsnotiz zurückkehren, in der er den Schlüssel zur Lösung einer Reihe rätselhafter Vorgänge erblickte. Er legte sich die Frage vor, aus welchem stichhaltigen Grunde der Urheber dieser Notiz eine »gewisse« Mary Besam in der Presse tot sagen ließ. Eine »gewisse« kann in solch einem Falle vielerlei besagen wollen. Auch die Polizeitechnik verfügt über ein dinglich geordnetes Wörterbuch abgestufter Fachausdrücke. Eine Person kann für die Polizei das bestimmende Beiwort eine »gewisse« erhalten, wenn die Polizei über die Person entweder gar nichts, einiges oder sehr viel weiß. Das erste ist die Regel, Fall zwei und drei die Ausnahmen, welche jene bestätigen. Aber noch ein vierter Fall kann statthaben. Dann will man die also charakterisierte Person in den Augen des Lesers verächtlich machen und herabsetzen, ohne so viel sittliches Verantwortungsgefühl oder Zeit aufzubringen, als nötig ist, die Verachtung auch zu begründen.

Einem ohnedies und in jedem Falle verachteten »Nigger« gegenüber – der rassenübermütige Engländer bezeichnet jeden Farbigen, gleichviel welcher Schattierung oder Rassenzugehörigkeit, kurzerhand als » Bloody nigger« – hätte sich die indische Polizei so viel Umstände gar nicht erst gemacht. Mrs. Besant aber war eine geborene, rassenreine Engländerin. Das Gebot des Selbstschutzes zwingt das kleine Häuflein der ein mehrhundertfaches Millionenvolk in sklavischster Abhängigkeit erhaltenden weißen Tyrannen das Ansehen ihrer eigenen Rasse ungeschmälert hochzuhalten. Es ist nur konsequent, daß ein besonderer Passus dieses Gebotes die Behandlung weißer Verbrecher regelt, wie erklärte sich also die Veröffentlichung dieser Notiz?

Gleich beim Lesen war, wie schon erwähnt, dem Detektiv die Verschweigung des Zwischenfalles auf dem Bankett, dessen glänzender Verlauf im übrigen ausführlich geschildert worden war, aufgefallen. Bei dem englandfreundlichen Teil der Bombayer Presse wäre das weiter nicht verwunderlich gewesen. Aber auch in den ausgesprochen englandfeindlichen Blättern, das sind alle in Gutjarati- oder Hindostanisprache erscheinenden Tageszeitungen, war der Vorfall durch die Bank ignoriert worden. Die wenigstens hätten keine Veranlassung gehabt, den bei einem hervorragenden Anlaß ausgestoßenen revolutionären Ruf nach der indischen Selbstverwaltung ihren Lesern zu unterschlagen. Ein um so größeres Interesse daran hatte diejenige Behörde, welcher die Aufrechterhaltung der bestehenden Staatsordnung übertragen ist. Das Mittel hierzu lieferte ihr die zurzeit rücksichtlos gehandhabte Pressezensur.

Warum aber unterdrückte die Polizei den Zwischenfall selbst, während sie den fingierten Selbstmord der Unruhestifterin der Öffentlichkeit bekannt gibt? Und warum in einer abgesonderten Notiz? Warum ohne den wichtigen, bestimmte Kreise der Öffentlichkeit interessierenden Zusatz, daß »die Selbstmörderin die Urheberin eines auf dem gestrigen Festbankett unliebsam bemerkten Zwischenfalls ist«, wenn man schon den Zwischenfall nicht näher darstellen will?

Warum einfach: »Eine gewisse Mary Besant?«

Diese Notiz – das stand für Mr. Webster unumstößlich fest – konnte nicht von der Polizei als Behörde lanciert worden sein, sondern von einem »gewissen« Polizeibeamten.

Und zugeschnitten konnte sie auch nur für einen ganz bestimmten Zweck sein.

Welches war dieser Zweck, welches die Ursache der Notiz? Und welches ihr Urheber?

Der Kreis der möglichen Urheber, so fuhr der Detektiv, der nach altbewährter Methode es liebte, sich selbst die Beantwortung schwieriger Fragen aufzugeben, in seinem Gedankengang fort, ist der denkbar engste. Zwei Personen nur umfaßt er: den Polizeipräsidenten von Bombay und den Polizeirat, seinen Gehilfen. Sie allein waren mit Mrs. Besant in Berührung gekommen. Und unter diesen beiden konnte nach Lage der Sache wiederum nur Mr. John Rocket ein begründetes Interesse haben, sich mit dem Fall Besant in einer für ihn günstigen Weise auseinanderzusetzen.

Wen nun gedachte der Polizeirat mit dieser Notiz hinters Licht zu führen? Die Öffentlichkeit oder seinen Chef? Jener gegenüber fühlte sich der Herr Polizeirat sicherlich nicht in dem Maße für verantwortlich, als daß er sich zu Erklärungen über das Verschwinden einer Gefangenen freiwillig hergegeben hätte. Für seinen Chef aber hätte ein einfacher Aktenvermerk oder ein mündlicher Bericht dieselben Dienste getan.

Wie aber –! wenn nun der Präsident die Selbstmörderin tatsächlich hätte beaugenscheinigen wollen, welches Täuschungsmanöver hätte der in die Enge getriebene Polizeirat dann anwenden müssen?

Welches sonst, als irgendeine Gefangene kurzerhand aufknüpfen lassen! In Indien, das wußte Mr. Webster sehr wohl, arbeitet die Polizei eben anders als in anderen Ländern. Kein Hahn würde einer Hindu nachkrähen. Das Täuschungsmanöver müßte zwar bis ins kleinste hinein gut angelegt und geschickt ausgeführt worden sein. Unüberwindlich waren die Schwierigkeiten keineswegs. Und die richtige Besant, das mochte sich der Polizeirat wohl selbst gesagt haben, würde im Interesse ihrer persönlichen Sicherheit am wenigsten Grund haben, die Notiz Lügen zu strafen.

Unter diesen Gedanken war Mr. Harry Webster beim Landhause des Präsidenten Bhâskara angekommen. Es befremdete ihn einigermaßen, daß erst seinem wiederholten Begehr um Einlaß stattgegeben wurde. Einesteils war er geneigt, die Ursache der Verzögerung seiner europäischen Tracht, die ihn in den Augen des Villenbesitzers als Feind der indischen Sache erscheinen lassen konnte, zuzuschreiben, dann aber auch dem üblichen Mißtrauen eines Geheimbündlers gegen jeden Unbekannten schlechtweg.

Noch befremdender empfand er den seltsamen Empfang, der ihm zuteil wurde. Als die Tür endlich geöffnet wurde, sah er sich statt dem einen Empfangsdiener nicht weniger denn sechs jungen Indern gegenüber. Ein rascher Blick in ihre intelligenten Gesichter und nicht zuletzt auf die vornehme Kleidung überzeugte ihn, daß er es in diesen Männern nicht mit Bedienten zu tun hatte. Ehe er Zeit gefunden, sich vorzustellen, sah er nicht weniger denn sechs Kaftans von blauem Seidenzeug und gelbseidene Turbans sich auf sich zu bewegen. Wie auf Verabredung fuhren plötzlich aus den buntgewirkten Schals in der Mitte der Kaftans sechs malaiische Dolche.

Angesichts der sechs auf ihn gezückten Dolchspitzen bewahrte der unerschrockene Detektiv Geistesgegenwart genug, um mit dem Rücken an der Wand Deckung zu suchen. Ein Meisterschuß aus seinem blitzschnell hervorgerissenen Browning schmetterte dem vordersten der Angreifer die Waffe aus der zum tödlichen Stoße erhobenen Hand.

»Bei Yama!« schrie der Getroffene auf, »es ist doch der Polizeipräsident von Bombay. Nieder mit dem Bluthenker!«

Wie ein Blitz durchzuckte den Detektiv der Gedanke, daß hier inbetreff seiner Person ein verhängnisvoller Irrtum obwaltete, der auf den Vorfall in der Telephonzelle zurückzuführen sein mußte. Rasches, umsichtiges Handeln bei äußerster Kaltblütigkeit war daher geboten, sollte unnützes Blutvergießen vermieden werden.

»Zurück, meine Herren!« rief er den mit verstärkter Leidenschaftlichkeit auf ihn eindringenden Indern mit dröhnender Stimme entgegen, »zurück, so lieb Ihnen Ihr Leben ist! Ich schlage Ihnen einen Waffenstillstand von fünf Minuten vor. Habe ich Sie innerhalb dieser Frist von Ihrem Irrtum inbetreff meiner Person nicht bekehrt, dann mögen die Waffen zwischen uns entscheiden. Ich habe noch elf Kugeln in der Patronenkammer meines Brownings. Also gerade fünf mehr, als ich unbedingt brauche, um Ihre Seelen auf die 33 000 Wanderungen zu schicken.«

Diese überlegene Selbstsicherheit, unterstützt durch einen gebieterischen Blick aus den strengen, kalten Augen des Detektivs, imponierte den Indern ersichtlich. Schon nach den ersten Worten hatte sich in ihrem Benehmen eine leichte Schwankung bemerkbar gemacht, was der scharfsinnige Detektiv sofort ausnutzte, um sich vollends zum Herrn der Situation zu machen.

»Angenommen?« Das Wort klang in seinem Munde mehr wie ein Befehl denn eine Frage. Seine Mienen waren zur Härte des Steins erstarrt. Nur die Augen verrieten Leben. Unausgesetzt umkreisten seine Blicke die Gruppe der Gegner. Nicht die geringste Bewegung derselben konnte ihrer gesteigerten Wachsamkeit entgehen.

Und zum zweitenmale: »Angenommen? – Oder ich bin es, der den ungleichen Kampf als erster wieder aufnimmt.« Damit setzte er seiner Unerschrockenheit die Krone auf.

»Erst den Browning herunter!« wagte der eine Inder, dem Websters Kugel vorhin den Dolch aus der Hand gerissen hatte, zu fordern.

»Bitte, nach Ihnen, meine Herren!« erwiderte der Detektiv mit einem kühlen, aus Höflichkeit und Ironie gemischten Lächeln. »Sie sind Ihrer sechs gegen einen. Unter anderen Umständen würde ich mir weiter nichts daraus machen. Allein ich bin der Angegriffene. Ich kam zu Ihnen als Freund, Sie empfingen mich als Feind. Grund genug zum Mißtrauen.«

Diese klare Logik überzeugte denn auch jeden einzelnen der philosophischen Kampfgeister, mit dem Ergebnis, daß alle zu gleicher Zeit die Waffen senkten.

Mit einem jetzt ausschließlich höflichen: »Es ist mir ein Vergnügen, mit gleichgesinnten Freunden nicht mit der Waffe in der Hand verhandeln zu müssen«, steckte der Detektiv mit ruhiger Gelassenheit den Browning ein. Dann wandte er sich wieder gegen den Sprecher der Gruppe, in dem auf den ersten Blick sein scharfes Personengedächtnis den Attentäter vom vorigen Abend wiedererkannt hatte, mit den Worten:

»Ich bedaure, daß den Dolch, den meine Großmut Ihnen erst gestern zurückgegeben, nach knapp vierundzwanzig Stunden das Schicksal treffen mußte, ein zweitesmal aus Ihrer Hand geschleudert zu werden. Fassen Sie das als ein Zeichen auf, daß keiner dieser Dolche für mich geschliffen ist, und daß Sie sich abermals in der Person, die Sie mit Ihrem berechtigtem Hasse verfolgen, getäuscht haben.«

»Wer sind Sie denn in Wahrheit, wenn nicht der Polizeipräsident von Bombay?« Der Inder, so unliebsam an seine Niederlage vom gestrigen Abend erinnert, begleitete seine zweifelnde Frage mit einem finsteren Blick unter seinen völlig zusammengezogenen Brauen hervor.

»Was Sie alle längst wüßten, hätten Sie mir nur Gelegenheit gelassen, mich Ihnen vorzustellen.« Der Detektiv machte eine kleine Pause, während er sein Chronometer nach der Zeit fragte. Und endete dann, seine Gegner wieder scharf fixierend: »In der letzten Minute der ablaufenden Frist beehre ich mich, mein unfreiwilliges Inkognito zu lüften und mich Ihnen zu erkennen zu geben als Freund und Befreier der Mrs. Mary Besant, Ihrer Parteigenossin. Sollte Ihnen wider Erwarten das nicht genügen, so steht Ihnen frei, die Feindseligkeiten gegen mich wieder aufzunehmen. Mich finden Sie bereit – zur Versöhnung wie zum Streit.«

In richtiger Erkenntnis seiner Zwangslage und sehr wohl wissend, daß der Angriff die beste Verteidigung sei, hatte Mr. Webster bei dem letzten Worte den Browning wieder hervorgezogen und hielt ihn schußbereit in Brusthöhe von sich.

»An Ihnen, meine Herren, ist es jetzt, im Interesse der gemeinsamen Sache Indiens einem überzeugten Vorkämpfer und mutigen Verfechter dieser hohen Staatsideale die Hand zur Versöhnung zu reichen. – Ja oder nein!«

Die verblüffend sichere Art dieses Mannes nötigte den Indern einen immer größeren Respekt ab. Sie erkannten, daß sie trotz numerischer Überlegenheit schwerlich gegen ihn aufkommen könnten. Und unterließen jeden weiteren Versuch einer feindseligen Handlung.

»Im Namen meiner Freunde hier«, ergriff der bewußte Inder für alle das Wort, »kann ich die bestimmte Erklärung abgeben, daß wir im Prinzip jedwedem Freunde der indischen Sache, er heiße, wie er wolle, die Hand zum Bruderbunde reichen. Wie aber wollen Sie beweisen, Sir, daß Sie tatsächlich der sind, als den Sie sich ausgeben? Achten Sie genau auf Ihre Worte und vergessen Sie nicht, was Sie gestern abend in der Telephonzelle sagten: »Hier der Polizeipräsident von Bombay!« – wie stimmt das zusammen?«

»Vor allen Dingen, meine Herren: bedenken Sie meine Zeit. Die ist wohleingeteilt. Jede vergeudete Minute also unersetzlich. Deshalb frage ich: Ist Jàna Bhâskara, der Präsident des Morlenbundes anwesend, so gebe er sich mir zu erkennen? wo nicht, so führe man mich vor ihn, damit ich ihn mit meinem Namen, Stand und Zweck meines Hierseins ungesäumt bekannt mache.«

Mit diesem geistreichen Schachzuge erreichte der im Waffengang und Wortgefechten gleich erfahrene Detektiv vollauf die von ihm beabsichtigte Wirkung. Der Eindruck, den seine wohlberechneten Worte auf die sechs Jung-Inder hervorbrachten, war einfach unbeschreiblich.

»Wie –? Sie kennen Jàna Bhâskara? – Und als Präsidenten eines Geheimbundes? – Was wissen Sie überhaupt vom Morlenbunde? – Und woher all diese Kenntnisse?« –

Der Flut dieser auf ihn einstürzenden Fragen setzte der Detektiv die verwarnende Gegenfrage entgegen: »Glauben Sie, meine Herren, daß hier der geeignete Ort zur Beantwortung dieser Fragen ist?«

»Sie haben recht, Sir«, versetzte der bewußte Inder und ersuchte den Detektiv mit einer gemessenen Verbeugung, der man unschwer den Rest eines nur erst halb besiegten Mißtrauens ansah, in das anstoßende Gemach zu treten. Eigenhändig rückte er seinem Gegner vom Tage zuvor einen Rohrdiwan zurecht und lud ihn zum Platznehmen ein. Weniger aus Ruhebedürfnis, als im Bestreben, ostentativ darzutun, daß er sich hier unter guten Freunden fühle, nahm der Detektiv die Einladung an.

Die angeborene orientalische Höflichkeit gebot dem Inder, eine Erklärung des Überfalls dem Mann, der nunmehr des Hauses Gastrecht genoß, zu geben. Er habe das Näherkommen des angeblichen Freundes ihrer aller Freundin vom Fenster aus, wo er aus einem ganz besonderen Grunde Wache zu halten verpflichtet gewesen, bemerkt und an seiner Gestalt in ihm denjenigen wiederzuerkennen gemeint, der sich gestern in der Telephonzentrale selbst als den Polizeipräsidenten von Bombay ausgegeben habe. Er habe seine Wahrnehmungen seinen Freunden mitgeteilt, worauf der mutmaßliche Präsident nach allgemeinem Beschluß in der wenig liebenswürdigen Weise empfangen worden sei.

Mit einem feinen Lächeln erklärte Mr. Webster seinerseits, daß der jüngste Fall eines Irrtums in seiner Person nicht so schwer wiege, da sich schon ganz andere Leute und zwar in einer durchaus unverzeihlichen Weise in seinem Äußern geirrt hätten. Im Anschluß hieran gab er einen gedrängten Bericht über die Ereignisse der letzten Nacht.

»So ist Mrs. Besant also schon befreit? Und wo befindet sie sich jetzt?« fragten mehrere Inder, die den sachlichen Worten des Detektivs mit wachsendem Erstaunen und Bewunderung zugehört hatten, zu gleicher Zeit.

»Mrs. Besant befindet sich im Hause eines treu bewährten Freundes in bester Sicherheit.« Ein gewisser Unterton in der ersten Frage veranlaßte den Detektiv ebenfalls zu einer Frage. »Sie sagten–... schon befreit–... Warum wundert Sie das so sehr? Hatten Sie denn auch Schritte zur Befreiung der Dame unternommen?«

»Allerdings, Sir. Unser sechs zogen wir mit Einschluß Bhâskaras in der Rolle als Schlangenbeschwörer mit allem nötigen Zubehör zu ihrer Befreiung aus.«

»Ein etwas schwerfälliger Apparat!« schaltete Mr. Webster ein. Er lächelte dabei. – »Und der Erfolg?« fügte er hinzu.

Vor dem forschenden Blick des Detektivs senkten die Inder die Köpfe wie schuldbewußte Angeklagte. »Unser fünf nur kehrten zurück.«

»Und Bhâskara –, wo blieb er?«

Den Wortführer der Jung-Inder setzte die bestimmte Frage einigermaßen in Erstaunen. »Woher wissen Sie, Sir, daß gerade unser Präsident daran glauben mußte?«

»In Ihrer Frage liegt bereits die Antwort. Eben, weil er der Präsident ist, glaubte er den Ehrgeiz haben zu müssen, sich am weitesten vorzuwagen. Der Schluß ist einfach genug. Im übrigen bin ich überzeugt, daß er sich mir längst zu erkennen gegeben hätte, weilte er persönlich unter Ihnen.«

Dem letzten Satze hatte der Detektiv eine umfassende Kopfbewegung, die alle Anwesenden in seine Worte einbeziehen sollte, folgen lassen. Dann wieder ausschließlich an den bewußten Inder sich wendend, fuhr er fort: »Wenn ich sonst meine Fragen hauptsächlich an Sie, mein Herr, richtete, so geschah es deshalb, weil wir immerhin alte Bekannte sind, –« abermals lächelte der Detektiv in seiner feinen, doch nicht verletzenden Weise – »und hoffentlich auch gute und einander besser kennende Bekannte bleiben wollen. Die gleiche Bitte möchte ich auch an Sie richten, meine Herren.« Webster erhob sich von seinem Sitze und verbeugte sich in der Runde: »Sie gestatten, – Webster ist mein Name; Harry Webster aus New-York.«

Die Jung-Inder stellten sich der Reihe nach vor.

»So sind Sie also gar kein Faringi, Mr. Webster!« rief Hassim Tagore, der »alte Bekannte«, freudig überrascht aus.

Mr. Webster bekannte sich mit dem allen seinen nationalbewußten Landsleuten eigenen Stolz als freier Bürger eines freien Staates und tapferen Volkes, das sich selbst seine Freiheit unter Einsatz aller Kräfte und nach schweren Kämpfen den englischen Bedrückern abgetrotzt habe. In betreff seiner vorliegenden politischen Sendung ließ er nur so viel hindurch blicken, als seines Erachtens den Jung-Indern zu wissen nottat, um sich auch ihrerseits für den demnächst zu erwartenden großen Schlag gegen die britische Gewaltherrschaft bereit zu halten.

»Indien«, so schloß er, »rechnet diesmal auf die Mitwirkung aller seiner Söhne ohne Unterschied der Partei-, Kasten- oder Religionszugehörigkeit. Ich kam hierher in der ausgesprochenen Absicht, nähere Einzelheiten mit Ihrem Präsidenten durchzusprechen. Es würde mich als Politiker und Detektiv gleicherweise interessieren, über seinen Verbleib von Ihnen Näheres erfahren zu können.«

Hassim Tagore berichtete kurz über den Ausgang der Gauklervorstellung vor der Einfahrt zum Polizeigewahrsam. Als ihr Führer nach geraumer Weile nicht wieder aus dem Gewahrsam heraus kam, hätten sie, immer in der Hoffnung, ihn mitsamt ihrer Parteigängerin doch noch aus der Schlinge ziehen zu können, erst mit Bitten wegen der Schlangen, ihres rechtmäßigen Eigentums, dann mit Bestechung, schließlich mit List und zuletzt gar mit offner Gewalt sich den Zutritt zum Gewahrsam zu verschaffen gesucht. Da ihr Vorgehen weiter keinen politischen Charakter trug, behandelte man sie gemäß ihres Standes als Gaukler, d. h. Polizeisoldaten trieben sie von hinnen, mit ihren langen Stöcken ihnen immer auf die Köpfe schlagend. »Es ist noch gar nicht so lange her«, fügte der Wortführer mit einer halb wehleidigen, halb komischen Miene hinzu, »daß wir uns aus Gauklern in den alltäglichen Menschen zurückverwandelt haben.«

»Aha –!« machte Mr. Webster mit hochgezogenen Augenbrauen, »Sie standen also noch unter dem frischen Eindruck der Polizeiverfolgung; hinzukommt die Erinnerung an unsere gestrige Begegnung, und so bildete sich in Ihnen, als sie vom Fenster aus nach etwa sich nähernden Polizeihäschern spähten, die – zieht man ihre Erregung mit in Betracht – begreifliche Anschauung heraus, der Herr Polizeipräsident von Bombay suche in höchsteigener Person die Füchse in ihrem Baue auf. Möglich, daß dem Glückspilz von einem Polizeipräsidenten, für den ich schon zweimal Prügelknabe sein durfte, der ihm zugedachte Empfang gar nicht geschadet hätte. Ich kalkuliere nämlich, daß seine Nerven heute einer ganz kräftigen Aufrüttelung bedürfen«, schloß der Detektiv und lachte still in sich hinein.

Hassim Tagore glaubte, in den Augen des Detektivs und seiner Freunde sein doppeltes Versehen nicht besser wettmachen zu können, als daß er sich um das ungewisse Schicksal Bhâskaras sehr besorgt zeigte. Er holte des Detektivs erfahrene Meinung ein, wie er über die Sache denke, und welche Schritte sich zu seinen Gunsten unternehmen ließen.

Mr. Harry Webster wiegte nachdenklich den Kopf. »Gewißheit haben ist alles«, sagte er, »die Maßnahmen ergeben sich dann von selbst.«

Und sich erhebend und den Indern den Salaam entbietend, versicherte er sie seines lebhaften Mitgefühls über den Verlust ihres Präsidenten. »Ich glaube, meine Herren, Sie nicht eindringlicher von der Lauterkeit meiner indienfreundlichen Gesinnung überzeugen zu können, als indem ich mir die Rettung Bhâskaras Sahibs werde angelegen sein lassen. – Bitte keinen Dank! Indem ich einem Haupte der indischen Unabhängigkeitsbewegung meine Hilfe angedeihen lasse, diene ich nicht nur der großen gemeinsamen Sache, sondern belohne mich auch selbst am besten. – Ich grüße Sie!«

Und die Segenswünsche aus sechs neugewonnenen Freundesherzen geleiteten den Deutsch-Amerikaner zur Tür.

»Wir grüßen dich, Meister, und bewundern deine Größe! Möge dein Schatten lange dauern und nur noch von der Sonne deines Ruhmes überlebt werden!«


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