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Tief im Schlummer liegt die weite Erde.
Rund um Asgard lohen sieben Flammen
Von den Klippen auf zum dunkeln Himmel,
Durch die Tore aus der hohen Halle
Flutet Feuerschein und braust der Jubel
In die Nacht hinaus wie heißer Atem
Und zerflattert in der weichen Stille.
Welcher Schatten schleicht sich von dem Feste,
Gleitet durch der Fackeln roten Schimmer
In den Burghof und entlang den Wänden,
Schreitet nieder auf den breiten Stufen
In den dunkeln, fernen Brunnengarten?
Odin selber ists, der Herr des Festes,
Seine Hände raffen eng den Mantel,
Seine Schritte schallen auf den Fliesen,
Hinter ihm erlischt das Licht, und ferne
Sind verstummt die Stimmen und Gesänge,
Nur des Brunnens silberblaß Geriesel
Flüstert durch die Zweige aus der Tiefe.
Eine Weile zaudert er und lauschet,
Dunkel ragend auf den bleichen Stufen,
Schreitet rasch dann zu der Bank am Brunnen,
Beugt sich nieder und, den Mantel öffnend,
Streift er tastend mit der Hand und leise
Ueber eine schlummertrunkne Stirne.
Träge aus dem Schatten hebt ein Haupt sich,
Dann ein schlanker Körper, und ein Jüngling
Ringt sich aus dem Schlaf, die Arme stützend
Auf die Steinbank und noch halb im Traume
Mit geschlossnen Augen müde murmelnd:
»Bist du mich zu wecken schon gekommen,
Unbarmherziger Bruder? Ist die Stunde
Schon der Mitternacht heraufgestiegen?
Welche Kunde von dem Botenlaufe
Durch die weiten Welten bringst du mit dir?
Fluch und Trauer in den Erdenlanden,
Fest und Jubel auf den Höhen Asgards?
Ach, wann werden wir den letzten Morgen
Einst dem müden Weltenrund verkünden?«
Und der Jüngling langsam reckt die Arme,
Gleitet mit den Gliedern von dem Lager,
Schlägt die Augen auf – und jähen Ruckes
Schnellt er von der Bank empor und starret.
»Odin spricht mit dir, der Asen König.
Freudenbotschaft sollst du mit dir tragen,
Junger Tag, von Odin an die Erde.
Was da lebet, sollst du von mir grüßen,
Mensch und Tier und Stein und Wald und Meere,
Jeden Zweig an jeder schwanken Birke,
Jede Blume, die der Frühling streute,
Jede Glocke, jeden Pflug im Felde,
Jede Waffe, jedes fernste Weglein, –
Und du sollst es allen laut verkünden:
Senden will ich auf die Erde Balder,
Meiner Söhne Jüngsten, ihn, den Liebling,
Ohne Schwert und ohne Königskrone,
Nur im Glanze seiner lichten Locken.
Nicht zu herrschen oder zu bestrafen,
Nur aus seiner überreichen Güte, –
Und ich will, daß alle ihn empfangen,
Wie sie mich, den König, ehren würden,
Will, daß alle Tore weit sich öffnen,
Daß die Blumen blühen, wo er gehe,
Und die Glocken singen, wo er wandle,
Lachen grüße ihn aus jedem Auge,
Scherz und Fröhlichkeit von jeder Lippe,
Denn sein Herz ist schwer und schattendunkel,
Und ich will, daß er das Leben liebe.
Darum eile, Tag, und säe strahlend
Glück in jede tiefste, fernste Furche
Des zerpflügten, weiten Weltenackers,
Daß ein reicher, farbenfroher Segen
Unter Balders jungen Schritten sprieße.«
Und der schlanke Jüngling neigt den Nacken,
Badet klar im Brunnen seine Augen,
Daß sie schimmern, wie im frühen Lichte
Hell der Morgenstern vom Himmel funkelt,
Und er gürtet mit dem Gurt die Lenden,
Schnallt sich an den Fuß die Wandersohlen,
Schreitet aus dem mitternächtigen Hofe
Raschen Gangs und eilt den Berg hinunter,
Und sein klares Wanderlied erschallet
Leis verklingend in der dunkeln Ferne.
Odin blickt ihm reglos nach und lächelt.
Aber plötzlich wendet er sein Antlitz –:
Zage Schritte auf den weißen Stufen,
Auf der Mauerbrüstung tastend eine
Blasse Hand, und eine bange Stimme:
»Odin, warum weichest du vom Feste?
Odin, warum suchest du das Dunkel?
Bannt auch dir der Jubel nicht die Trauer,
Scheuchen dir auch nicht die hellen Fackeln
Böse Träume aus den dumpfen Sinnen?«
Odin, unbeweglich, spricht die Worte:
»Spähest du nach meinen Spuren, Freia?
Lauschest du, nach niedrer Weiber Sitte,
In des Dunkels truggewirktem Mantel?
Nimmer kenn ich dich, du stolze Fürstin,
Schleichend auf der Neugier krummen Pfaden.«
Nieder an des Brunnens kalter Mauer
Sinkt das hohe Weib und schlägt die blassen
Hände vor die tränenfeuchten Augen.
»Freia spähet nicht nach Odins Schritten,
Freia lauschet nicht nach dem Geheimnis,
Das ihr König und Gemahl bewahret.
Eine arme, angstgequälte Mutter
Fliehet aus dem Jubel in die Stille,
Zittert unterm Schatten dunkler Ahnung.
Träume haben mir die Nacht zerstöret,
Träume mir den lichten Tag vergiftet.
Balder schaut ich, meinen Schmerzgebornen,
Langsam aus der Ferne zu mir schreiten,
Wie von Feuer einen Kranz im Haare,
Weiße Blumen in den Händen tragend.
Rufen wollt ich seinen lieben Namen,
Doch mir war die Kehle kalt umschlungen
Wie von einer Eishand harten Griffen.
Näher schritt er, aber seine Augen
Glitten weit an mir vorbei und sahen
Seine Mutter nicht im Staub des Weges;
Leise legt er nur die beiden Hände
Auf sein Herz, und sieh, die weißen Blumen
Wurden rot von sickernd warmem Blute.
Also schritt er groß an mir vorüber,
Stummes Lächeln auf den blassen Lippen,
Aber hinter ihm in langem Zuge
Folgten Tausende und aber Tausend,
Alle auf den Lippen Lächeln tragend
Wie von einem schönen, stillen Wunder
Und die Leiber hochgereckt wie Krieger,
Doch es blitzten keine blanken Waffen
Und es hallten keine hellen Schilde,
Arm und schmucklos waren die Gewänder,
Hart die Hände wie von Knechtearbeit.
Schreien wollt ich wieder, wollte rufen,
Flehen, daß er mich vom Boden hebe,
Aber meine Arme trugen Fesseln,
Meine Kniee hielt der Staub umklammert,
Und mein Mund war starrer Stein geworden.«
Leise weint des Brunnens Lied im Dunkel,
Leise klagt der Mutter einsam Schluchzen
Durch die Nacht und durch die dumpfe Stille.
Und die Sterne hören auf zu klingen,
Schimmern matt am mitternächtigen Himmel
Wie auf schwarzem Leichentuche Tränen.
Aber Odin schreitet durch die leeren
Höfe nach der fackelhellen Halle,
Wirft den weiten Mantel von den Schultern,
Recket hoch sein Haupt aus allen Helden:
»Mimir, von dem Asen sollst du singen,
Der den Tod bezwungen auf der Erde!
Solche Kunde macht die Herzen mutig,
Solches Lied, das läßt die Lippen lachen:
Wenn sich Asenlist und Asenwillen
In des Schicksals steifen Trotz verbeißen.
Schenkt die Becher voll und laßt uns lauschen! |