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Vierzehntes Kapitel

Ehmann sagte nichts, und auch Emanuel schwieg, solange sie noch durch die Stadt fuhren. Er lenkte, sah gradeaus und hatte seinen Gedanken – sein Begleiter suchte durch Seitenblicke zu erforschen, welche. Einige der Sorgen, die der Junge sich machte, lagen klar für Ehmann; denn schließlich fuhr Emanuel ins Ungewisse, und seinem Freunde, der bei ihm saß, vertraute er – immerhin, aber doch nur zeitweilig. Zu gewissen, dem Freunde nicht unbekannten Stunden dieses abgelaufenen Tages hatte der Junge gegen ihn Verdacht geschöpft. Ehmann wünschte besonders, daß er sich angesichts drohender Gefahren nicht allein fühlen sollte. Sie erreichten die Landstraße.

»Die Erfindung hätten wir glücklich in der Tasche, wie?« begann Ehmann.

»Ja, ich. Ich habe sie in der Tasche«, sagte Emanuel mit einer Betonung, für die Ehmann ein nachsichtiges Lächeln hatte. Indessen zweifelte er nicht, daß Emanuel die Sache wirklich bei sich trug. Der Junge hatte sich gehütet. Auf dieser Reise – eine solche Sache!

»Gut, daß wir zu ihrer Verteidigung zwei sind. Die ganze Nacht auf der Landstraße! Für alle Fälle hab ich einen Revolver« – Ehmann sprach mit einschmeichelnder Heiterkeit.

»Ich auch«, erwiderte Emanuel hart und ohne nach ihm den Kopf zu wenden. Aber der Freund schmunzelte ruhig weiter, er kam jetzt zu etwas, das ihn fröhlich stimmte.

»Dein Doktor Martini, weißt du noch? Der Tag war ja ziemlich abwechslungsreich, du hast einige Male deine Einstellung geändert. Aber unter anderem hattest du den Tip, du solltest ein Doktor Martini sein und ich der englische Unterhändler. Ich, als Engländer geschminkt!« lachte Ehmann. Die abenteuerliche Fahrt machte ihn ungeahnt jungenhaft. »Da ist mein Tip besser, kann ich sagen. Meine ausländischen Beziehungen sind doch tatsächlich in Lebensgröße vorhanden. Du setzt dich richtig an den Verhandlungstisch mit erstklassigen Gegnern; über ihre Klasse bist du sofort im Bilde, wenn ich dir das Haus nenne, wo ihr zusammenkommt. Ich darf noch nicht reden, aber was denn! Früher oder später stellst du deine Chance selbst fest.«

Kein Eindruck. Ehmann wunderte sich nicht, noch verlor er die Geduld. Er rechnete damit, daß er sich erst einmal den Mund fusselig reden müßte, bis der Junge mit der Hauptsache herausrückte. Plötzlich begann Emanuel, öffnete aber die Zähne nicht.

»Als ich die Bombe holte –« Er fing nochmals an. »Ich kam nach Hause, um die Sache mitzunehmen, da finde ich den Safe erbrochen.«

»Wie?«

»Der eingebaute Safe, vor dem du heute um fünf noch selbst gestanden hast –« Pause. Auch Ehmann wartete.

»Er hatte ein Loch«, schloß Emanuel.

»Aber die Sache selbst war noch da?«

»Das beweist nur, daß der Einbrecher gestört worden ist.«

»Von wem? Von dir?«

»Ich kam leider zu spät«, sagte Emanuel zwischen den Zähnen.

»Wann warst du zu Hause?«

»Gegen zwölf.«

»Den Sportpalast hattest du um elf verlassen. Wo warst du inzwischen?«

»In mehreren Lokalen – zum Beispiel Deutscher Hof, Central-Bar, Elba-Bar.«

»Überall vergebens?«

Da der Junge herumfuhr und ihn ansah, endlich ansah, kniff Ehmann die Lippen – das einzige Zeichen, daß er Vorsprung hatte. Dann gab er sich im Gegenteil einen Ton, als brauchte er eine Entschuldigung.

»Es war nämlich nicht schwer zu erraten, warum du so plötzlich ohne uns fortliefst aus dem Sportpalast. Du hattest deine Schwägerin Inge verloren. Hast du aufgepaßt, wer sie mitnahm?«

»Sie läßt sich nicht mitnehmen!« Der Junge brauste auf. Ehmann blieb duldsam.

»Sie hatte wahrscheinlich eine Verabredung. Nun weiß ich zufällig, daß der Schauspieler, der sie begleiten durfte, zu einem Fest ging – tolle Kiste, wie ich höre, Nacktballett, als Gäste nur Herren.«

»Wer macht hier so was«, warf Emanuel hin.

»Schattich«, sagte Ehmann in aller Ruhe, obwohl der Wagen plötzlich einen unbesonnenen Sprung tat. Emanuel knirschte.

»Was hat sie mit Schattich zu tun?«

Hierauf schwieg Ehmann, denn der Junge konnte sich selbst antworten. Zwischen Schattich und Rapp bestand ein ausgesprochener, allen bekannter Streitfall. Man blieb bei dem einen oder ging zu dem anderen über. Zweideutigkeiten konnte es hier nicht geben, wenigstens für den geraden Ehmann nicht; dies sagte sein eindrucksvolles Verstummen. Es gab ferner zu verstehen, daß Inge, die es mit Schattich hielt, sehr wohl auch seine Leute in die Wohnung eingelassen haben konnte.

»Er lädt sie ein, dann verspricht er ihr natürlich dies und jenes – und ein Mädchen, das weiß, was es will –!«

Richtig, warum sollte ein entschlossenes Mädchen, das erotisch mit ihrem Freund nicht mehr restlos übereinstimmte, etwas anderes beachten als den eigenen Vorteil. Der Junge faßte alles so schnell und sicher auf, wie Ehmann irgend wünschen konnte; nur die Wirkung war unerwartet. Emanuel warf den Wagen herum.

»Nanu, du fährst zurück?«

Jetzt verstummte aber der Junge, und Ehmann mußte sich selbst antworten.

»Zwecklos, bei Schattich triffst du sie nicht mehr. Ich bin informiert«, beteuerte er. »Fahr doch nicht wie besessen! … Bestimmt ist sie jetzt mit dem Schauspieler, aber wo?« Das immer mehr beschleunigte Tempo des Wagens erinnerte Ehmann daran, daß diese Vermutung gefährlich war. Er berichtigte sich sofort. »Vielmehr, sie wird zu Hause sein – in ihrem Zimmer, schlafend, oder sie stellt sich so, wenn du anklopfst. Jeder Liebhaber weiß schließlich, wann er anklopfen darf, und es gibt Lagen, die bei stolzen Frauen nur zu retten sind, wenn man tut, als sei man gestorben.«

Ehmann wischte sich den Schweiß. Sein Eiertanz, und der Wagen fuhr hundert Kilometer im Dunkeln hart vorbei an den Bäumen! … Da bog er ein. Ehmann, der trotz allem klarsichtig blieb, erkannte die Verbindungsstraße und war auch sofort im reinen über das einzige hier vorliegende Ziel, das Krankenhaus links des Flusses.

»Verrückt!« rief er schonungslos. »Jetzt willst du mitten in der Nacht deinen schwerkranken Schwiegervater wecken. Der soll dir wohl helfen. Seit vorgestern liegt er und weiß von nichts. Und dabei versäumst du die Chance deines Lebens! Ich übernehme nicht die kleinste Verantwortung, daß meine Käufer auch nur eine halbe Stunde länger auf uns warten, als verabredet war. Der Herr, bei dem sie einander treffen, ein Freund Schattichs, du kennst ihn nicht, aber das kommt noch – der wird einfach alle nach Hause schicken. Nachher hast du es nur noch mit ihm selbst zu tun – und der läßt dir nichts übrig als die Augen zum Weinen, den kennst du nicht.«

›Wer könnte schlimmer sein als Schattich!‹ dachte Emanuel.

Indes war Ehmann aufrichtig, er fürchtete List – halb und halb. Birk allerdings fürchtete er unbedingt. »Du drosselst das Geschäft ab!« schrie er, denn die Fassung verließ ihn endlich. »Kehr wieder um, noch ist Zeit!« Er wurde sogar flehentlich. »Ich will dir etwas gestehen, ich bin nicht ganz uninteressiert. Die Vermittlung, die du mir zahlst, soll mich aus faulen Geschichten herausholen – das mit der Bausch. Wenn du nicht deiner selbst wegen Vernunft annehmen willst, tu es für mich!«

Der Wagen hielt; Ehmann war plötzlich eiskalt.

»Gute Nacht!« rief er hinter Emanuel, der am Tor läutete. Es wurde so schnell geöffnet, als wäre jemand erwartet worden. Emanuel trat ein.

»Paß auf den Wagen auf!« verlangte er noch.

»Ich denke nicht daran«, rief Ehmann.

Aber er blieb.

Er wurde dafür belohnt, denn schon nach einigen Minuten zeigte sich ein zweiter Wagen; Ehmann konnte nicht zweifeln, er selbst hatte die beiden Insassen veranlaßt, so plötzlich abzureisen. Sie sollten ihn zwar erst in Berlin treffen.

»Jetzt begegnen wir uns hier noch?« fragte Herr Willmar Bausch auf englisch, denn der Trainer Williams begleitete ihn. Ehmann beruhigte die Herren.

»Ein Einfall unseres Freundes. Er hat eine belanglose Besprechung mit seinem Arzt.«

»Liegt hier nicht sein Schwiegervater?«

»Oder mit dem Arzt seines Schwiegervaters. Der Alte soll aufgegeben sein.« Auch Ehmann sprach ausgezeichnet Englisch. Williams hatte sogar den Eindruck, daß er englisch log.

Bausch sagte durchdrungen: »Sterben ist schließlich das Beste, was der arme Mann tun kann, so wie wir ihn hineinlegen!«

»Williams«, sagte Ehmann, »uns steht ein Match bevor, dagegen ist Boxen eine Kinderei. Ich habe mich Ihrer Mitwirkung versichert, weil Sie sowohl Englisch als auch boxen können.«

»Und wir sind drei gegen den einen kleinen Rapp«, stellte Bausch fest.

»Wir sind nicht drei. Wenn es hart auf hart geht, sind wir sechs.«

»Sie wollten ihm keine Chance lassen.« Bausch war befriedigt.

Williams war es noch nicht. »Was verdiene ich?« fragte er.

Bausch antwortete an Stelle Ehmanns.

»Seien Sie nicht unvernünftig, Williams. Unser Anteil ergibt sich aus der Höhe des Geschäfts. Mehr ist es bestimmt, als Ihr Chef Ihnen zahlt.«

»Ich verlasse Brüstung«, erklärte Williams. »Ich arbeite nicht länger mit ihm. Er hat heute nicht fair gekämpft.«

»Dafür kämpfen wir fair«, schob Bausch ein.

»Und er hat keine Zukunft. Daher bin ich Ihr Mann. Ihm habe ich nichts gesagt.«

»Das ist auch besser«, bestätigte Ehmann mit Nachdruck.

»Ich erzählte ihm weder, daß ich von Ihnen verpflichtet worden bin, noch, daß er mich nicht wiedersieht. Das erfährt er noch früh genug, wenn er nach Berlin kommt, um sich knockout schlagen zu lassen.«

»Sehr richtig.«

»Aber ich will jetzt nach dem Hotel telefonieren wegen meines Gepäcks.«

»Wo um Gottes willen wollen Sie telefonieren?«

»Natürlich hier«, erklärte Williams und läutete schon am Krankenhaus. Er wurde auch eingelassen. Als Ehmann einen Schritt in Richtung der Tür machte, schlug Williams sie schnell zu.

»Verdammt, Bausch, sollen wir dem Jungen trauen?«

»Ehmann, der Junge ist goldecht. Am besten passen für unsere Sache solche, die nicht Deutsch können. Übrigens, Ehmann, ich habe nie recht gewußt, was Sie eigentlich verkaufen. Jetzt bin ich im Bilde, wen meine Tochter bekommt.«

»Sie haben ein Glück, Bausch!« sagte Ehmann und lachte gutmütig.

Williams drinnen fragte den Nachtportier des Krankenhauses nach einem Herrn Rapp. Der war auch da. Ob Williams nachweisen könne, daß er zu Herrn Rapp gehöre. Williams betrat ohne andere Erlaubnis als seine eigene das Anmeldezimmer und suchte das Telefon. Der Nachtportier verstellte ihm den Weg, aber Williams zeigte ein paar Fäuste, die der Mann nicht entfernt erwartet hatte.

»Ich bin ungewöhnlich kräftig«, sagte er dabei. Infolgedessen durfte er mit dem Hotel sprechen. Er ließ Brüstung rufen und wartete.

Emanuel war die Treppe hinaufgeeilt, er strebte gradeswegs durch den Korridor, der auf das Zimmer Birks zulief – wurde aber aufgehalten. Aus einer offenen Tür rief sein Schwager Rolf ihn an. Der Arzt erhob sich von dem Sofa, auf dem er angekleidet gelegen hatte.

»Ich wollte mich überzeugen«, sagte er. »Die Uhr ist – zwanzig nach drei. Es stimmt. Um zwanzig nach drei erwartete Vater dich.«

»Bruno«, sagte Williams am Telefon, »alles in Ordnung, nur keine Aufregung! Du wirst beim nächsten Mal in Form sein, aber darum handelt es sich nicht. Sie wollen deinem Freunde Rapp einen Stoß in den Unterleib geben. Es sind fünf gegen einen, aber ich bin auf seiner Seite. Ich gehe nur scheinbar zu der anderen Mannschaft über. Wir müssen aber die Stärkeren sein; sonst wäre ich leider genötigt, bei der anderen Mannschaft zu bleiben. Für alle Fälle solltest du auch hinkommen.«

»Wohin?«

»Das habe ich nicht herausgebracht.«

»Ich werde es sogleich erfahren. Alles in Ordnung«, schloß Brüstung. Er nahm den Hörer nochmals auf, um Inge anzurufen, legte ihn aber wieder hin.

Es war viel verlangt, daß er für ihren anderen Bewerber etwas tun sollte, und noch mehr, wenn er das Mädchen selbst hinzuziehen mußte. Aber Brüstung war gegen Blutvergießen, obwohl er boxte, und er hatte das Gefühl, daß es seiner unwürdig war, wenn grade sein Gegner unfair behandelt wurde. Vor allem aber liebte er Inge genug, daß er ihr keinen Schmerz wünschte. Er kehrte wohl in sein Zimmer zurück, ohne mit ihr gesprochen zu haben, hielt es aber nicht länger als zehn Minuten aus. Dann ging er wieder hinunter.

Er verlangte die Wohnung Birks, und wer sich meldete, war Inge.

»Ich habe noch nicht geschlafen«, erklärte sie. »Bruno, ich hätte Ihnen manches zu sagen.«

»Ich Ihnen auch – wegen Emanuel.«

»Natürlich wegen Emanuel«, gab sie zu.

»Williams berichtet mir, daß er in schlechten Händen ist, und auf Williams ist Verlaß.«

»Ich habe mich mit Williams verabredet, sagte er Ihnen das nicht?«

»Er erwähnt dich nicht, weil er weiß, daß ich dich liebe.«

Längere Pause; er hörte sie atmen. Sie begann: »Ich möchte –«

Sogleich brach sie ab; wie konnte sie ihm gestehen, daß sie in diesem Augenblick gern alles andere losgewesen wäre, nicht nur Emanuel, seine Küsse und seine gefährlichen Angelegenheiten – auch das andere, dem Boxer noch Unbekannte, den prominenten Schauspieler und was sich ihr auf dieser Seite an Zukunft eröffnete. Die Liebe Brüstungs war zuverlässiger als alles, das wußte Inge; war einfach, zuverlässig und für die Dauer. So aber war Inge selbst nicht, daher seufzte sie und stockte.

»Wir müssen ihm durchaus helfen«, entschied sie.

Seine Eifersucht wehrte sich.

»Ich glaube, daß Williams zu seinem Schutz genügt, auch wenn es fünf sind.«

»Fünf!« rief sie und rechnete sich schnell aus, wer alles mitzählte. Ehmann wahrscheinlich, Bausch bestimmt. Dazu kam Schattich selbst mit seinem Freunde List, in dessen Haus die Dinge sich abspielen sollten … Den Fünften fand sie nicht.

»Dann brauchen wir sogar noch einen«, ordnete sie an. »Ich habe jemand, der uns fabelhaft nützen kann.«

»Ein Athlet?«

»Ganz falsch. Aber laß mich machen! Du besorgst inzwischen das Auto und holst mich ab – sobald als möglich, verstehst du, Bruno?«

Sein Name von ihren Lippen, das Du und die Aussicht, den Rest der Nacht mit ihr unterwegs zu sein – selbst wenn ein Dritter mitkam, doch immer mit ihr! Brüstung beglückwünschte sich, daß er sie angerufen hatte.

Inge telefonierte ihrerseits hinunter zu Schattich und verlangte den Schauspieler. Eine verschlafene Stimme antwortete ihr, daß niemand mehr da sei.

»Auch nicht der Schauspieler, der mit Herrn von List angekommen ist? Sie wollen um sechs Uhr zusammen fortfliegen.«

Es wurde nachgesehen, und wirklich meldete sich die berühmte Stimme. »Das ist zu komisch«, äußerte sie, zunächst noch ohne Veranlassung.

»Ich möchte Ihnen etwas gestehen. Ich sehne mich nach Ihnen.«

»Das ist ein Schlager!« Das berühmte Lachen. Sie erkannte, daß der Prominente angeheitert war.

»Du hättest nicht so plötzlich fortlaufen sollen, Kind. Wir wären längst einig. Jetzt eile aber kreuzweise in meine Arme. O du!« stöhnte er.

»Ich denke es mir anders«, entgegnete Inge. »Sie kommen vor das Haus, Meister, und wir steigen in einen Wagen, ich entführe Sie.«

»Du, du!« machte er, und anstatt der vorigen Leidenschaft war es reizende Schelmerei. »Das geht nicht, mein Mädchen, denn der Meister hat Probe schon am hellen Vormittag, da staunste. Um sechs Uhr flieg ich hinüber, mach von unten winke, winke, ja?«

»Schatz«, sagte Inge kurz entschlossen. »Du könntest mir einen wirklichen Gefallen tun, wenn du aus deinem Freunde List möglichst genaue Informationen herausholst, was für Verhandlungen das eigentlich sind morgen bei ihm im Haus und was er mit seinem Gegner persönlich vorhat. Es interessiert mich.«

»Mich auch. Ich soll nämlich mitspielen.«

»Ach! Das ist der Fünfte«, bemerkte sie unwillkürlich. »Dann ist es grade für dich eine Kleinigkeit, Schatz. Du sorgst auch dafür, daß ich in das Haus gelassen werde. Wie? Es macht dir doch nichts, etwas gegen ihn zu arbeiten?«

»Das liegt auf meiner Linie«, behauptete der Prominente. »Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Gönner, der Geld gibt, und einer schönen Frau – die wenigstens keins nimmt –«

»Auf Wiedersehen.«

Inge wendete sich um, in der Tür stand Margo. Sie war vollkommen weiß; nie hätte Inge, außer durch Kosmetik, eine solche Farbe haben können; ihre Augen aber wurden davon größer und schwärzer. Inge dachte: ›Jetzt nur etwas Rot auf ihre Lippen, dann weiß ich nicht, was er an mir noch finden sollte. Sie ist viel, viel schöner.‹ Sie wartete. Endlich sprach Margo.

»Du bist so großartig informiert? Du? Und ich – ich hatte mir solche Mühe gegeben, dahinterzukommen. Ich habe eine Nacht gehabt, wie noch keine – keine!« Sie erhob die Stimme. »Du hast solche Nacht nie erlebt; dafür warst du mit ihm.« Aufschreiend: »Mit ihm! Klar, woher wüßtest du sonst alles!«

»Ich weiß auch nicht viel«, stammelte Inge. »Und ich habe rein zufällig etwas aufgeschnappt. Das ist zu lang zu erzählen, aber du kannst mir glauben.«

Sie stammelte und versprach sich, aber es kam nicht, weil sie log, soviel fühlte Margo.

»Ich habe ihn seit dem Sportpalast nicht gesehen«, versicherte Inge. »Und am liebsten sähe ich ihn gar nicht wieder. Warum? Warum?« fragte sie sich selbst. »Ja. Stimmt!« rief sie. »Weil ich seinetwegen nie ein Gesicht wie du und Augen wie du – nein, könnt ich seinetwegen nie machen!«

Sie starrte ihre Schwester an; sie selbst trug die Miene des Schreckens und des Staunens. In dieser Minute trat vor sie hin, was sie getan hatte, und Inge erfaßte es. Ihre Lippen begannen zu zittern, sie sagte ganz wie ein Kind: »Ich will es nicht wieder tun.«

Mit schüchterner Gebärde ging Inge auf ihre Schwester zu. Als sie vor ihr stand, wagte sie keine Regung mehr, und Margo war es, Margo fiel ihr in die Arme. Sie hielten einander sehr fest – nicht nur aus Freude, einander wiederzuhaben, noch mehr aus Not … Endlich Margo: »Du fährst mit Brüstung. Schön. Wenn einer was machen kann – Und grade den hast du an Hand.«

Sie trat einen Schritt zurück. Es hieß, daß sie selbst darauf verzichten müsse, zu handeln. Ihr Emanuel sollte sowohl seine Rettung wie seinen Erfolg nicht ihr, sondern anderen verdanken. Die Schwester erriet, was vorging.

»Ich tue es mehr anstatt deiner, Margo, als für mich selbst« – sie gab sich viel ernster, als sie den Ihren bekannt war. Außerdem sprach sie es beiseite, Inge, die doch jedem, was ihr paßte, ins Gesicht sagte. Dann fühlten beide, daß ihr Gespräch beendet war. Sie küßten einander schnell und wendeten sich ab. Jede in ihrem Schlafanzug verschwand nach ihrer Seite.

Ehmann und Bausch warteten vor dem Krankenhaus auf Emanuel und Williams. Ehmann war ungeduldiger als Bausch. Der Inhaber von Elektro-Lux rauchte und erklärte, daß selbst durch einen Zeitverlust von einer Stunde noch nichts verlorengehe.

»Einmal kommt unser Freund doch wieder heraus, und keine Hinrichtung beginnt, bevor der Delinquent da ist.«

»Bausch, Sie sind mir zu zynisch. Ich weiß wirklich nicht, ob ein Mann wie Sie mein Schwiegervater werden kann.« Denn Ehmann hörte gewisse Dinge ungern beim Namen nennen.

»Fahren Sie wenigstens Ihren Wagen um die Ecke! Soll er Sie durchaus überraschen? Dann glaubt er uns nachher doch nichts mehr.«

»Tatsächlich ist mir aber jede Tages- oder Nachtzeit für meine Unternehmungen recht. Halten Sie mich für den Spießer, der nicht ahnt, wie zwischen eins und sechs die Welt aussieht?«

Bausch war mehr als nötig angeregt von dem Abenteuer. Gleichwohl bewog Ehmann ihn schließlich, sein Auto unsichtbar zu machen. Dann kehrte auch Williams zurück, Ehmann wies ihn an, er habe bei Bausch in der Seitenstraße zu bleiben, noch wenigstens zehn Minuten, nachdem er selbst mit seinem Freunde losgefahren sei. Er eilte zu Bausch, auch ihm schärfte er es ein, voll Besorgnis, etwas Wichtiges zu versäumen.

»Ihr dürft niemals hinter uns in Sicht kommen. Er wäre imstande, umzukehren; manchmal fehlt nur noch eine Kleinigkeit. Vorfahren? Nein, ihr dürft nicht vor uns her fahren. Sie könnten eine Panne haben, Bausch, dann erwischt er euch. Falls aber er selbst Panne hätte –«

Bausch fiel ein.

»Kommt nicht vor. Wer so hereinschliddern soll, gelangt glatt hin.«

Ehmann lief schon wieder, um nur Emanuel nicht zu verfehlen. Er wischte sich die Stirn in all seiner angestrengten Tätigkeit.

Emanuel war mit Birk allein. Der Oberingenieur antwortete ihm hinsichtlich Ehmanns: »Er ist dein Freund. Wenn er dich verraten sollte, mußt du bedenken, daß ein Freund das nie genau weiß. Er glaubt zuletzt noch in deinem Interesse zu handeln. Vielleicht hat er damit auch recht.«

»Daß mir die große Sache glatt geklaut wird?« rief der Erregte.

»Wir können nicht sagen, was er in Wirklichkeit vorhat. Du hast übrigens noch keine Sicherheit, daß die große Sache auch eine Tatsache ist.« Da der Junge auffuhr, ergänzte Birk: »Oder daß sie so groß ist, wie du dir sie denkst.«

»Du als der Erfinder bist der letzte, der zu meckern hat. Wofür bin ich seit sechsunddreißig Stunden in der Fahrt!«

Birk sah ihn sich nur an. Der Junge war nicht aufzuhalten. Was man ihm auch gesagt hätte, aus seiner Fahrt war er bestimmt nicht zu reißen. Birk versuchte es nicht erst, er begann vielmehr:

»Schattich ist außer sich, ich könnte nicht beeiden, wie weit er geht, um das Geschäft zu machen.«

»Bis zum Verbrechen?«

»Auch du hast schließlich eins vor, mein Junge – um reich zu werden. Die Verbrechen liegen aber noch viel näher, wenn man reich bleiben will. Er hat erstens, wie jeder, seine Existenzangst, und im Augenblick fürchtet er besonders seine Frau. Rechne eins zum andern! Die meisten Katastrophen ergeben sich aus Furcht! Er ist seit dieser Sache nicht wiederzuerkennen.«

»Er war bei dir?«

Birk wich aus.

»Du selbst hast dich auch ganz schön herausgemacht – und was ist aus Margo geworden!«

Emanuel horchte auf, ob es der Ton des Vorwurfs sei. Birk schien indessen nur zu berichten, was er gesehen hatte.

»Inge ist noch die einzige, die bleibt, wie sie ist«, versetzte er.

Emanuel streckte den Kopf vor, auch der Rumpf folgte.

»Das muß ich wissen. Vater! Sag mir wenigstens das! Sie war hier, du kannst mir bezeugen, daß sie nicht bei Schattich war!«

»Wenn du durchaus willst.« Die Augen Birks irrten ab; er stockte. Der Junge drang in ihn.

»Ich bin die ganze Zeit in voller Fahrt und seh und höre nichts mehr. Du inzwischen sitzt hier und wirst informiert.«

Merkwürdigerweise verzog hier Birk das Gesicht zum Lächeln. Bisher erschien es dem Jungen traurig, so traurig wie nur alte Leute. Jetzt lächelte er in sich hinein, es war unverständlich.

»Wo war Inge zwischen elf und drei!« rief Emanuel verzweifelt.

Birk wurde wieder ernst.

»Sie war bei Schattich«, gestand er. Emanuel fiel auf eine Stuhlkante und faßte die Stirn in beide Hände. Birk berührte seine Schulter.

»Sie kann nichts dafür – und was auch sonst mit ihr geschieht, sie verrät dich nicht.«

»Sie verrät mich«, stöhnte der Junge. »Ich weiß es. O furchtbar!«

»Wenn du soviel weißt, was tust du hier noch? Es geht aber mit Inge, wie es bei Ehmann enden wird. Vielleicht wollte sie dich eigentlich schon aufgeben; seitdem sie aber bei Schattich gewesen ist, kannst du in gewisser Hinsicht auf sie rechnen. Die Freundschaften wider Willen sind die sichersten, Junge.«

»O furchtbar!« stöhnte der Junge. »Sie war die Sache selbst. Wenn ich gewußt hätte, daß ich nur das eine behalten darf, das Geschäft oder sie – dann Inge!« Er stieß den Laut in seine gekrampften Fäuste hinein. Birk fühlte bei sich Tränen kommen, unbewußt streichelte er noch immer die Schulter des Jungen. Keiner von ihnen entsann sich, daß sie verbotene und beschämende Dinge sprachen.

»Dann tritt von dem Geschäft zurück! Einmal kannst du sie noch zurückhaben – weil sie bereuen wird. Nachher natürlich – du kennst doch Inge: nachher nicht wieder.«

»Das Geschäft aus den Fingern lassen?« Hier kam er wieder auf die Füße. »Ich denke nicht daran; dann hab ich auch sie die längste Zeit gesehen. Das weißt du nicht, ich habe heute den ganzen Tag nach beiden zugleich gejagt – immer gejagt, und wenn ich das eine meinte, sichtete ich das andere. Inge und das Geschäft«, rief er im Ton des Erleuchteten, »sie sind überhaupt dasselbe. Ich schnappe beide oder nichts!«

Birk verriet durch eine unwillkürliche Bewegung, daß er eher an »nichts« glaubte. Er bemerkte es, und schnell tat er, als ob ein guter Ratschlag etwas ändern könnte.

»Hör mal, Junge, wenn sie dann wiederkommt – nicht gleich festlicher Empfang, das verträgt sie nicht. Sie ist nicht weichherzig. Sie hat kein Mitleid, darauf rechne lieber nicht, und deine Zärtlichkeit sparst du dir besser, die braucht sie nicht. Eine Art Frauen, die wir lieben, ist so, mach dir keine falschen Abbilder. Sachlichkeit, wie? Einer ließ sie mal die ganze Nacht auf der Treppe sitzen, was ihr gut getan zu haben scheint … Arme Inge«, schloß der Vater leise.

Emanuel entschied: »Ich werde reich werden. Das ist noch das Sicherste.«

»Einverstanden«, sagte Birk. »Nur los, die Autos mit deinen Freunden warten unten.«

»Mein Auto mit Ehmann, sonst doch keins? Was weißt du alles? … Vater, warum bist du eigentlich nicht im Bett?« Emanuel bemerkte auf einmal mehreres, wofür seine eigenen Angelegenheiten ihn so lange unempfänglich gemacht hatten. »Du bist ja angezogen, willst du ausgehen? Das erlaubt Rolf bestimmt nicht; er sagte –«

Emanuel verschluckte, was sein Schwager ihm anvertraut hatte.

»Du siehst schlecht aus, soviel ist richtig. In der Nacht solltest du keine Zicken machen. Oder wolltest du mit mir –? Das ist was anderes, komm mit! Die glauben vielleicht, du sackst nächstens ab. Wenn sie dich persönlich zu sehen bekommen, werden wir noch alle gesund!«

»Tut mir leid, ich bin grade verhindert. Aber notfalls kann ich immer noch erscheinen.«

»Müßtest du schon ein Flugzeug haben.«

»Damit fährt Schattich. Ich finde aber eventuell – Laß das meine Sorge sein, es gibt noch andere Verbindungen. Genug – ich werde dasein.«

Es wurde nicht laut gesagt, nur in einem Ton, der jede Frage ausschloß. Der Junge stutzte; aber sogleich befiel ihn wieder der heftige Gedanke an sich selbst.

»Mit mir werden die nicht fertig, das verspreche ich dir. Soll Ehmann mich in eine Mörderhöhle verschleppen. Na was denn!«

Er schlug an seine Tasche, eine ganz bestimmte Form zeichnete sich darin ab.

»Ich bin auf alles gefaßt!«

»Tu das nicht!« warnte Birk. »Damit besorgst du nur ihre Geschäfte. Laß alles geschehen, und eines Tages sind deine Feinde am Ende. Brauche Gewalt, und sie bekommen wieder um so viel mehr Tatkraft. Hast du das noch nicht gelernt?«

»Gute Nacht«, sagte Emanuel. »Das kannst du dir auch im Bett überlegen.«

Als der Junge die Tür schon geöffnet hatte, ließ Birk sich noch einmal hören.

»Dein Ehmann bringt dich zu einem Freunde Schattichs, Herrn Egon von List. Bevor du in die Tasche greifst, denke an mich! Sieh hin! Ich werde dasein.«

Er blieb allein zurück und dachte daran, daß solch ein Junge jetzt hinausstürmte in eine unerhört feindliche Wildnis. Oberingenieur Birk kannte die wirkliche Wüste und war zu seiner Zeit abgeschnitten gewesen von der Zivilisation. Er hatte in einer selbstgefertigten Hütte die Belagerung durch Eingeborene ausgehalten. Verhungert und als Beute von Krankheiten, die ihn an jene stürmische Einsamkeit noch lange erinnerten, gelangte er aber dennoch eines Tages zurück in die Gesittung. Die gab es, man konnte höchstens ihr Gebiet verlassen. Jetzt – wo verfügte die Gesittung jetzt noch über gesichertes Gebiet? ›Solch ein Junge geht ins Leben hinaus, genau so, wie damals ich unter Wilde.‹

Die große Freundschaft Birks für den jungen Rapp war gemischt aus Erinnerungen und wohlverstandenem Mitgehen. Ferner hatten beide ihrem Dasein dieselben begründeten Vorwürfe zu machen … Indessen bemerkte er im Spiegel sein Aussehen, die gelbbleiche Haut, den falschen Glanz im Blick. Merkwürdigerweise lächelte er hier zum zweiten Mal – gefaßt und nach innen. Er zog die Kleider wieder aus, er legte sich hin. Das Kruzifix ihm gegenüber, silbern auf dunklem Holz, er hielt es mit den Augen fest und wartete auf die nun schon bekannte innere Beschwingtheit, das Entferntwerden aus sich selbst, während er unverändert dalag, und die Ankunft anderswo. Er wußte, daß er sich schadete, dachte aber nicht daran, es aufzugeben.

Emanuel bestieg seinen Führersitz, Ehmann schwang sich voll Eifer neben ihn, und es ging los.

»Wenigstens hat dein Schwiegervater dir das Unternehmen nicht madig gemacht?« fragte Ehmann. Emanuel antwortete, freier und heiterer als vorher: »Denkt nicht daran. Beteiligt sich sogar an meiner Aktion.«

»Wie will er das machen?« Ehmann war beunruhigt; dann fiel ihm ein, daß dies ein Bluff sein mußte. Natürlich blieb sein Nachbar die Auskunft denn auch schuldig.

»Na um so besser«, äußerte Ehmann munter. Im stillen hielt er den Jungen für plemplem – mindestens aber für unverzeihlich leichtsinnig.

Der Leichtsinn kam dem Jungen, sobald die Fahrt begann, und nahm zu, je schneller sie wurde. Er dachte: ›Sie locken mich in eine Falle‹, und ganz gleichzeitig hiermit entschied er: ›Kommt gar nicht in Frage.‹ Er kannte doch nachgrade schon eine Menge Tatsachen, die gegen die Gutgläubigkeit seiner Teilhaber und den glatten Verlauf der Verhandlungen sprachen. Aber sie erschienen ihm, nun er in Bewegung war, wie ein schlechter Scherz oder sogar nur wie eine Idee. Fest stand: er handelte und erreichte ein beliebiges Ziel. Nur nicht zu viel vorauswissen wollen! Nein, Inge war nicht gegen ihn, sie nicht – was konnten dann andere! Die Hoffnung, geliebt zu werden, war dasselbe wie seine Gewißheit, daß auch alles übrige gelang.

Ein anderer Wagen folgte mit Abstand; sein Führer war Bausch, der mit seinem stummen Begleiter Williams durchaus sprechen wollte. Hatte der Zynismus des Inhabers von Elektro-Lux nur die Unruhe seines Gewissens verschleiert? Oder seine Unruhe schlechthin? Er bemühte sich ernsthaft, Williams zu dem Geständnis zu bringen, daß sie zum mindesten eine Unkorrektheit begingen.

»Williams«, sagte Bausch, »Warum lassen Sie sich eigentlich mitnehmen. Sie sind doch ein unabhängiger junger Mann, kein bedrängter Familienvater wie ich. Mit mir in meiner wirtschaftlichen Zwangslage machen die Leute, was sie wollen.«

Im Dunkeln spähte er nach der Miene des anderen. Wer war das und wo stand er? Schließlich schien es ebensogut möglich, daß Bausch nur mißbraucht wurde, nach getätigter Schiebung aber lieferte die Bande ihn aus. Dieser Engländer war vielleicht hauptsächlich zu seiner eigenen Bewachung da; er mußte unbedingt gewonnen werden.

»Williams«, sagte Bausch unverdrossen, »ich habe, genau wie Sie, nur meine Arbeitskraft, ich schufte für fremdes Kapital. Eine Ausbeuternatur bin ich nicht, Sie verstehen, mir ist es schrecklich, daß ein armer Mensch soll um seine ganze Arbeit gebracht werden. Man hat nur leider Pflichten gegen sich selbst. Aber wenn Sie meinen, kehren wir um!«

»Halten Sie!« befahl Williams. Er tauschte mit Bausch, der lieber nichts einwendete, den Platz und führte fortan selbst – stumm wie bisher, aber jetzt vor Entrüstung. ›Dieser Mensch‹, dachte Williams, ›achtet seine eigene Unterschrift nicht. Der Teufel soll ihn holen.‹ Zwar hatte Williams persönlich keineswegs die Absicht, zu tun, wozu er sich verpflichtet hatte. Aber er konnte sich auf berechtige Zwecke berufen. Williams glaubte nicht, daß andere Leute ihre Wortbrüche aus verzeihlichen Gründen begingen.

Diesem Wagen folgte mit Abstand wieder einer, darin saßen Inge und Brüstung. Der Boxer versicherte dem Mädchen, das er liebte, sie habe nicht das geringste zu fürchten, außerdem hätten sie viel Zeit.

»Das ist eine Frühlingsnacht«, bemerkte er, als sie grade durch ein Dorf fuhren und der Flieder duftete. »Weißkopf«, wie sie ihn nannten, verlangte von dem Zauber der Nacht keinen Vorteil für sich selbst, er erwartete von ihren Düften nicht, daß sie sein Mädchen in Stimmung brächten. Er fühlte nur, daß er Glück gehabt hatte, denn er durfte allein mit ihr noch stundenlang durch die stille Welt reisen, und in ihren Gedanken, wenn sie in sich versunken saß, kam er vor, denn sie brauchte ihn!

Inge wurde davon bedrückt, wieviel sie von den dunklen Machenschaften wußte, und überdies hatte sie vieles schon wieder vergessen. Ihr Gedächtnis hatte nicht ausgereicht für alle Einzelheiten, die Schattich und sein Freund List miteinander abgekartet hatten, als sie nackt dabeisaß. Trotzdem war sie nun damit belastet, versank in sich und grübelte, wie über einen Traum, der später mühsam wieder zusammengesetzt wird. Mittelpunkt war der schwer bedrohte Em. Doch, doch: die beiden hatten davon geflüstert, daß er im Notfall einfach zu beseitigen wäre! … In Wahrheit hatten die Geschäftsleute überhaupt nicht geflüstert; andrerseits waren sie ihrer eigenen Absichten noch nicht so sicher gewesen, wie Inge glaubte.

»Wann kommen wir an, Bruno?«

»Vor acht, verlaß dich drauf, Inge!«

»Gottes willen, dann haben sie ihn doch schon!«

»Wen?«

»Em! Weißt du denn nicht, daß der Dussel Millionenwerte mit sich rumträgt? Die schnappen ihn und Schluß.«

»Du stellst es dir zu einfach vor. Du denkst auch, wenn du Boxen siehst, das ist keine Kunst. Erstens machen sie so etwas nicht am hellen Vormittag. Wir haben Zeit.«

»Wir haben Zeit!« Sie äffte ihn erbittert nach. »Und wenn wir schließlich ranzuckeln, hat er Handfesseln und liegt im Keller.«

»Das wäre gelacht. Und Weißkopf?«

Sein Name von seinen eigenen Lippen klang nicht prahlerisch, aber vollauf überzeugend. Inge schwieg, denn im Augenblick schwieg ihre Sorge um ihren Em. Sie dachte: ›Vielleicht geht es auch mal gut, kann alles vorkommen. Dann fangen wir vielleicht wieder an?‹

Sie hätte so gern vergessen, daß beide, sie selbst und ihr Em, schon den gemeinsam begangenen Irrtum gefühlt hatten und daß Em, so wenig wie die vorigen, Dauer versprach. Sie vergaß auch Margo wieder und den schwesterlichen Kuß vorhin. Zuletzt entfiel ihr sogar Em selbst. Er oder ein anderer – Inge träumte minutenlang nur das Wort »immer« – und fuhr dabei den reichsten Wechselfällen ihres Lebens erst entgegen.

Dieser vorübergehende Zustand, sooft er auch wiederkehrte bei Inge, machte sie jedesmal weich gegen den, der zugegen war. Sie strich über die große Hand, mit der Brüstung das Steuer drehte. Sie sagte – verheißungsvoll, nur weil ihre Stimme so klangreich wurde: »Auf dich, Weißkopf, ist noch am meisten Verlaß. Der doofe Schauspieler wollte nicht mit, kann ruhig bleiben, wo er ist.«

Grade hier roch es wieder nach Flieder.

»Nun wird es auch hell«, gab Brüstung zur Antwort. »Wollen wir nicht Kaffee trinken? Gleich kommt ein Wirtshaus, wo ich bekannt bin. Hat auch schöne Zimmer.«

Den Augenblick vorher hatte er an nichts dergleichen gedacht. Unmittelbar nach seinem Satz mit den Zimmern blieb er stehen, ohne ihre Erlaubnis abzuwarten. Er wußte, sie war gewährt.

Margo hingegen erhielt um diese Zeit den Anruf Fritz Bergmanns.

»Großartige Neuigkeit!« verhieß der junge Pilot. »Ich fliege mit Karl dem Großen.«

»Wann? Wieso? Sind Sie wahnsinnig geworden?« Margo fand nicht den Atem für ihre Fragen.

»Ich bin noch bei Trost«, versicherte ihr Fritz Bergmann. »Mein Kollege, der Karl den Großen immer fährt, hat sich den Arm verstaucht, er sagt es wenigstens. Ich bin dran.«

»Sie sagen das so, Bergmann. Wissen Sie auch, daß hier die große Chance Ihres ganzen Lebens drin ist?«

»Jawohl, Frau Rapp, weiß ich. Darum hab ich Sie auch gleich angerufen. Jetzt kann ich Ihnen zeigen, daß die andere Geschichte von gestern abend tatsächlich nicht böse gemeint war. Wenn schon die ganze Sore aus dem Safe weg wäre, aber Sie haben ja noch alles, Frau Rapp – jetzt reden Sie mal zwei Worte mit Karl dem Großen höchst persönlich!«

»Ich?«

»Unter vier Augen – mit dem Mann, der bloß auf den Knopf zu drücken braucht, und die deutsche Republik wird 'n Negerstaat! Gibt nichts, was der nicht kann. Der wird Ihnen ja wohl zu Ihrem Recht helfen – wenn er Sie sieht, Frau Rapp.«

Dies Wort war das einzige, mit dem der arme Liebende eingestand, weshalb er die große Chance seines Lebens abtreten wollte.

»Was denken Sie sich eigentlich, Herr Bergmann?«

»Schnell auf den Flugplatz kommen! Sie sind fast so groß wie ich, und der Mantel macht Sie breiter. Nur nicht ängstlich, mich kennt er auch nicht, wie soll er wissen, ob Sie oder ich? Sie steigen statt meiner auf.«

»Bergmann, das ist Unsinn. Reden wir endlich mal vernünftig!«

Sie horchte. Fritz Bergmann hatte eingehängt.


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