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Hassan, der immer bei mir geblieben war, hatte mit mir und Ali den Weg durch die Stadt zu Fuß zurückgelegt und führte uns durch das Gedränge von Menschen, Tieren und Waren, das sich vor der Moschee gebildet hatte, bis an das Tor des Grußes hinan. Hier standen auch einige hundert Mekkawia, von denen die meisten Metuafin waren. Ein Metuaf ist ein frommer Kirchenführer, der sich ein Geschäft daraus macht, den Pilger an alle heiligen Orte zu führen und ihn überall zu lehren, welche Andachten dort zu verrichten sind. Er führt ihn aber nicht nur durch die Moschee, sondern auch zu allen übrigen heiligen Orten, vor allem zum Berge Arafa, er zeigt ihm auch die Merkwürdigkeiten von Mekka, er führt ihn in die Kaffee- und Barbierstuben, er handelt für ihn in den Läden, er verschafft ihm eine Wohnung, ja er begleitet ihn auch zu allerlei bedenklichen Vergnügungen.
Unter diesen religiösen Lohndienern befand sich auch ein spindeldürres, kleines Männchen, ein wandelndes Knochengerippe mit spärlichem weißen Bart und ein paar unheimlich funkelnden schwarzen Äuglein. Das Männchen konnte es an Körperkraft mit seinen Kollegen, die in dichten Scharen die Pilger umdrängten, nicht aufnehmen und mußte wehmütig sehen, wie jene die fettesten Bissen, einen nach dem andern, wegschnappten. Kaum aber hatte Hassan den hinfälligen Greis gesehen, als er plötzlich mit kräftigen Armen und Fäusten die unverschämten Tempeldiener zur Seite warf, rechts und links um sich hieb, sich einen Weg zu dem Alten bahnte und diesem mit kindlicher Zärtlichkeit um den Hals fiel. Dann entspann sich zwischen den beiden ein lebhaftes Gespräch, wobei der Junge dem Alten Wichtiges mitzuteilen schien. Gleich darauf drängten sie sich vereint durch die Menge der Tempelführer, von denen mich wohl dreißig dicht umdrängten, anschrieen und mir das dünne Gewand vom Leibe zu reißen drohten. Meinem Reisegefährten gelang es aber, die Zudringlichen zu verscheuchen, die nun wohl einsahen, daß ich meinen Mann schon gefunden hatte; und dann stellte er mir den Alten als seinen Vater vor, als Ssadak (der Gerechte) Ben Hanifa (Sohn der Hanifa, die eine Dame von ganz besonderer Heiligkeit gewesen sein sollte). Ich war froh, daß ich zwei Menschen bei mir hatte, die mir behilflich sein wollten, denn meine ägyptischen Reisegefährten waren alle in dem Gewühl am Tore des Friedens von meiner Seite weggedrängt worden; nur einer, der dicke Omar, war bei mir geblieben und hatte sich entschlossen, meinen Tempeldiener auf meine Kosten mitzubenutzen. Hassan nahm nun schnell von uns Abschied, nachdem wir einen Treffpunkt verabredet hatten, und dann traten wir in das Innere der Moschee ein.
Den größten Teil derselben bildet ein großer viereckiger Raum, in welchem sich die zehn oder zwölf Heiligtümer des Islam befinden, und der von allen vier Seiten von einem mächtigen überdachten und nach außen geschlossenen Säulenumgang eingefaßt wird. Auf der flachen Dachterrasse des Säulengangs erhebt sich in langer Linie ein Heer von kleinen, grellweiß angestrichenen Kuppeln. Seine Säulen sind von der allerverschiedensten Gestalt, ja auch von verschiedenem Gestein gefertigt und zum Teil auch mit Inschriften bedeckt.
Die ganze Anlage der Kirche ist sehr ungleichmäßig, bald ist hier, bald dort ein Teil angeflickt worden. Der Säulenumgang hat im ganzen achtzehn Tore, die ganz unregelmäßig auf seine vier Seiten verteilt sind. An dem Säulenumgang sind auch sieben Minaretts (Gebetstürme) aufgestellt, die ganz ungleichmäßig gebaut und geformt sind. Auf allen sieben aber stehen vergoldete Halbmonde, und außerdem wird auf ihnen zu jeder der fünf Gebetsstunden die weiße, am Freitag eine Stunde lang die heilige grüne Fahne aufgezogen, zu welcher Zeit die Mueddin (Gebetsausrufer) die Balkone der Türme besteigen und in singendem Tone das Glaubensbekenntnis des Islam ertönen lassen. Es bringt einen eigentümlichen Eindruck hervor, wenn man zu einer der fünf Gebetszelten im Hofe der großen Moschee steht und plötzlich, wie mit einem Schlage, die sieben weißen Fähnchen auf die Turmspitze stiegen, die zahlreichen Mueddin auf den Ballonen erscheinen und durcheinander singen und rufen, und oft ging ich in die Moschee, um diesem Schauspiel beizuwohnen.
Aber nur einen Augenblick konnte ich mich an diesem Morgen, an dem die sieben feierlichen Umgänge gemacht werden sollten, in den Anblick der Moschee vertiefen. Zuerst mußte ich zwei Rikats beten, welche als der erste Gruß des Pilgers an das Heiligtum gelten, ehe er in ihre nächste Nähe gehen darf; dann nahm mich mein Metuaf bei der rechten Hand, der dicke Omar begleitete mich zur linken, und beide führten mich schnurstracks nach der Mitte des Hofes, wo das wunderbare Heiligtum des Islam, die Kaaba thronte.
Da lag sie, eine finstere, viereckige, schwerfällige Masse, von schlechtbehauenen Steinen erbaut, da lag die Kaaba, das Ziel meiner Wallfahrt, das Zentrum des Islam. Sie ragte über alles empor, war höher als der Säulenumgang, höher als alle die Heiligtümer, die sonst noch im Hofe erbaut waren. Die Kaaba, die Würfel genannt wird, ist doch kein Würfel, denn ihre Höhe beträgt beinahe das doppelte ihrer Länge und Breite; so sieht sie aus wie ein barbarischer, abgeschnittener, vierseitiger Turm. Diese seltsame Form, dazu die schwarze Farbe, dazu die tollen Scharen halbnackter Pilger, die bald vor ihr niedersinken, bald aufspringen, um sie und ihre Heiligtümer an Herz und Mund zu drücken, bald in wildem Laufe um sie herumrennen – dies alles macht einen mächtigen, ja grauenerregenden Eindruck, denn dies ist nichts als Heidentum und Götzendienst! Aber mein Metuaf rüttelte mich bald wieder aus meinem Nachdenken und mahnte mich an die Pflichten meiner Pilgerschaft.
Die erste dieser Pflichten war, daß ich bei dem zweiten Tor des Grußes (denn es gibt noch ein zweites, das mitten auf dem Hofe steht) eine zweimalige Verbeugung zu Ehren der Kaaba machen mußte. Dann schritt ich durch dies völlig freistehende Tor nach den »Fußstapfen des Abraham«, um daselbst meine Sprüche aufzusagen. Nun kamen zwei Diener der Moschee mit Krügen voll Wasser aus dem links von Abrahams Fußstapfen gelegenen Semsembrunnen und gaben uns von der heiligen Flüssigkeit zu trinken, wofür sie natürlich eine Vergütung erhielten. Dies Wasser, welches die wunderbarsten Eigenschaften besitzen soll, besitzt jedoch nicht die wichtigste Eigenschaft, genießbar oder verdaulich zu sein, sondern ist bitter und liegt schwer im Magen. Aber dem Semsembrunnen durfte mein Besuch noch nicht gelten, zuerst mußte ich den schwarzen Stein küssen und den Umlauf um die Kaaba machen. Wir näherten uns also der östlichen Ecke der Kaaba, wo sich der schwarze Stein eingemauert befindet. Konnte ich ihn anfangs wegen des dichten Gedränges davor überhaupt nicht sehen, so schien es auch ganz unmöglich, vor den ihn umlagernden und ihn küssenden Pilgerscharen zu ihm zu gelangen. Wie eine Mauer unbeweglich, so standen die Leiber dieser Hadschadsch da, von denen man nichts sah als die knochigen Schultern, die kahlen Scheitel und die schmutzigen Lumpen. Man fühlte freilich desto mehr; denn hier kommt das Ungeziefer aus der ganzen Welt zusammen, das beißende und stechende, das kriechende und hüpfende, und man ist völlig wehrlos dagegen.
Nachdem ich etwa eine Viertelstunde gewartet und das übliche Gebet meinem Metuaf bereits nachgesprochen hatte, fragte ich endlich ungeduldig, ob es denn kein Mittel gebe, um diese beharrlichen Pilger von ihrem Heiligtums wegzubringen. »O ja,« erwiderte Ssadak, »es gibt eine List, aber sie wird dich einen Rial (etwa zwei Mark) kosten.« Neugierig gab ich ihm den Rial, und nun ging er nach dem Semsembrunnen, erschien aber bald darauf wieder, und zwar in Gesellschaft von vier kräftigen Kerlen, die auf ein Zeichen von Ssadak begannen, mit der vollen Kraft ihrer Baßstimmen zu rufen: »O ihr Pilger, ein frommer Hadsch hat dem Heiligtum ein Opfer dargebracht, damit ihr alle vom Wasser des geweihten Brunnens umsonst trinken möchtet. Kommt herzu, ihr Pilger! Wer das heilige Wasser trinken will, der komme! Allah hat es euch gespendet!« – Diese List gelang vollkommen, denn die meisten Pilger waren arme Leute, die die schöne Gelegenheit, von dem heiligen Wasser umsonst zu trinken, natürlich nicht unbenutzt vorübergehen ließen, sondern in dichten Scharen zum Brunnen drängten. So kam ich, von den Hintenstehenden vorwärtsgeschoben, in die erste Reihe und befand mich nun in unmittelbarer Berührung mit dem Kernpunkt des größten Heiligtums des Islam. Dieser Stein selber ist ein Engel, der seit Erschaffung der Welt in der Kaaba ruht, bei der Zerstörung des Tempels durch die Sündflut in den Himmel geflogen und, als Abraham und sein Sohn Ismael den Tempel wieder aufbauten, vom Erzengel Dschibrail (Gabriel) wieder in seine Mauer eingefügt worden ist. Ursprünglich war er weiß wie Milch, aber vor Grauen über die Sünden der Menschheit hat er seine Farbe gewechselt und ist jetzt schwarz wie Tinte. Sicher ist, daß dieser Stein schon vor Mohammeds Zeiten göttliche Verehrung erfuhr, und daß Mohammed nicht wagte, ihn aus seiner Religion fernzuhalten; statt dessen küßte er selbst den Stein und erfand die obenerwähnten Geschichten von ihm.
Diesen berühmten Stein sah ich also jetzt dicht vor mir. Der Stein ist von schwarzbrauner Farbe, etwa zwanzig Zentimeter lang und fünfzehn Zentimeter hoch und besteht offenbar aus mehreren Stücken, die aber durch Kitt und durch einen soliden silbernen Rahmen zusammengehalten werden. Die Oberfläche des Steines ist durch das viele Küssen von schmutzigen Pilgerlippen und das Daranreiben ihrer Hände ganz poliert und mit einer glänzenden Fettkruste überzogen, so daß er jetzt fast wie schön polierter schwarzer oder schwarzbrauner Marmor aussieht.
So ekelhaft es mir auch vorkam, ich mußte doch auch dies schwarze Monstrum küssen, beide Hände daran reiben, ihn mit der Stirn, mit den Wangen und dem Kinn berühren und ein kurzes Gebet sprechen, das mir von Sfadak vorgesagt wurde. Dann küßten und rieben wir den Stein noch einmal und wanden uns dann aus dem erdrückenden Gewühl heraus, um nun sogleich den Umgang um die Kaaba auszuführen.
Der Weg geht dicht um das Haus herum; weiterhin aber führt auch ein Halbrund von zweiunddreißig vergoldeten Bronzesäulen, zwischen denen abends Lampen aufgehängt werden, um den Tempel herum. Unterwegs mußten natürlich an allen bemerkenswerten Stellen Gebete gesprochen werden, unter anderem auch an der Tür der Kaaba, die ungefähr sieben Fuß über dem Erdboden angebracht ist und mit einer Leiter erreicht wird. Aber sonderbarerweise gehört der Besuch des Heiligtumes selbst gar nicht zu den Pflichten des Pilgers, ja das Innere ist viel weniger heilig als der schwarze Stein und die übrigen Heiligtümer, und wird mehr aus Neugier, als aus Andacht besucht.
Abrahams Fußstapfen, von denen schon die Rede war, ist eine fabelhaft große Vertiefung, welche etwa zehn Fuß von der Kaaba sich in einem Tempel im Boden befindet und bei der Gelegenheit durch den Fuß Abrahams hervorgebracht wurde, als Abraham seinen Sohn Ismael opfern wollte. Die ungeheure Fußspur ist aber stets mit einem hölzernen Deckel, auf dem ein rotseidener Teppich liegt, bedeckt, und die Pilger dürfen auch nicht in die Kapelle hineingehen, sondern müssen draußen an einem Gitter stehenbleiben.
Nachdem wir von Heiligtum zu Heiligtum weitergeschritten und überall unsere Gebete verrichtet hatten, unter anderem auch einem Wallfahrtsort an der südlichen Seite der Kaaba, dem sogenannten weißen Stein, der aber grau aussieht und sich einer weit geringeren Verehrung erfreut als sein schwarzer Kollege, einen Besuch abgestattet hatten, kehrten wir nach vollendetem ersten Umgang zum schwarzen Stein zurück, den wir ebenso umlagert fanden, wie das erste Mal. Es müssen im ganzen sieben Umläufe gemacht werden, und zwar die ersten drei in schnellem, beinahe laufendem Schritte, die anderen vier mit gemessener, bedächtiger Langsamkeit. Erst als ich dies alles vollendet hatte, war ich frei und konnte dem heiligen Hause den Rücken wenden.
Ein glücklicher Zufall wollte es, daß ich die Kaaba das erste Mal so sehen sollte, wie sie wirklich ist, das heißt entblößt von der schwarzen Umhüllung, welche sie das ganze Jahr, mit Ausnahme von vierzehn Tagen, bedeckt. Die Kaaba ist während dieser Zeit »nackt«, und man kann ihre plumpen unregelmäßigen Bausteine, welche bald aufrecht, bald breit gestellt und mit einem groben Mörtel verbunden sind, in aller Muße betrachten. Hat sie ihre schwarzseidene Hülle um, so sieht sie viel stattlicher, aber auch viel düsterer, ich möchte sagen, grauenerregend aus. An diesen Schleier knüpft sich mancherlei Wunderglauben. Zuweilen gefällt es ihm, in Bewegung zu geraten, was freilich die gewöhnlichen Sterblichen dem Winde zuschreiben würden, aber nach Ansicht des Moslems sind es die siebenzigtausend Engel, welche im Tanz und Reigen mit ihren Flügelpaaren so heftige Bewegungen machen, daß der Schleier in Schwingung gerät. Bei einem solchen Ereignis gibt es dann unter den Pilgern eine gewaltige Erregung; aus voller Kehle schreien sie »Labik« und »Malakka« (die Engel) fallen auf ihr Angesicht nieder und beten, schluchzen und weinen. Sieben Wunder sind es, welche die Kaaba bewirkt und welche sie vor allen anderen irdischen Orten auszeichnet.
Erstes Wunder: Die Herzen aller Gläubigen werden von der Kaaba wie von einem Magnet angezogen.
Zweites Wunder: Die Kaaba bildet die Gebetsrichtung, welche jeder wahrhaft fromme Moslem ganz ohne sein Zutun richtig erkennt. (Die meisten helfen aber mit einem kleinen Kompaß, den sie immer bei sich führen, ein wenig nach.)
Drittes Wunder: Es ist unmöglich, die Kaaba und den schwarzen Stein zu zerstören (was freilich, wie die Geschichte erweist, schon zweimal geschehen ist.)
Viertes Wunder: Selbst die Vögel haben vor der Kaaba Ehrfurcht und vermeiden es, sich auf derselben niederzulassen. (Ein Wunder, von dessen Unrichtigkeit ich mich selbst überzeugt habe, denn ich sah eine der vielen Tauben, welche von den Pilgern gefüttert werden, auf der Kaaba sitzen.)
Fünftes Wunder: Die Kaaba kann, obgleich sie nur klein ist, dennoch unzählige Pilger zu gleicher Zeit aufnehmen, da die Engel sie nach Belieben vergrößern und verkleinern.
Sechstes Wunder: Jeder, der die Kaaba sieht, muß Tränen der Rührung vergießen. (Ein Wunder, das sich an mir nicht bestätigte.)
Siebentes Wunder: Die Heiligen kommen aus der anderen Welt, um ihre Umgänge um die Kaaba zu halten. (Was die Gespenster betrifft, so sieht man allerdings genug, aber es sind lebendige, nämlich die elenden, abgemagerten, halbverhungerten Bettler, die den Pilger mit schwacher, fast sterbender Stimme um Almosen anflehen.)
Früher haben in der Kaaba eine Menge Götzenbilder Aufnahme gefunden. Auch wurde Abrahams Statue darin aufgestellt, und eine Figur der Jungfrau Maria mit dem Jesuskinde auf dem Schoß befand sich darin; ferner auch eine Nachbildung der heiligen Taube, die Noah aus der Arche losgelassen hatte. Erst Mohammed machte diesem Götzendienst ein Ende und zertrümmerte die Standbilder mit eigener Hand.
Obgleich die Kaaba oft durch Krieg, Feuersbrunst und Wassersnot leiden mußte, so berichtet die Geschichte doch nur von einer einzigen gänzlichen Zerstörung des heiligen Hauses. Diese fand im Jahre 1626 unserer Zeitrechnung statt, als eine große Überschwemmung Mekka heimsuchte. Ein durch Wolkenbrüche angeschwollener Gießbach, der vom »Berg der Blumen« ( Dschebel Nur) herniederstürzte, erfüllte im Nu den Moscheehof, ertränkte fünfhundert Pilger, welche gerade darin ihre Andacht verrichteten, und strömte mit solcher Gewalt weiter, daß er drei Seiten der Kaaba mit sich fortriß. Hierdurch war auch die vierte Wand so beschädigt worden, daß man nötig fand, auch sie niederzureißen, ehe man die neue Kaaba aufbauen konnte.
Nachdem ich unter Anleitung meines Metuaf die sieben Umgänge beendigt und alle an den einzelnen Stellen vorgeschriebenen Gebete ihm nachgesprochen hatte, führte mich Ssadak noch an den Semsembrunnen, dessen Gebäude ich noch nicht betreten hatte. Dieses Haus ist viereckig und sehr schwerfällig; durch eine kleine Tür gelangt man in das ganz mit Marmor ausgelegte Innere, wo man die vier bis fünf Fuß hohe Umfassungsmauer des Brunnens sieht, deren außerordentliche Dicke es erlaubt, daß sich die Tempeldiener, welche das Vorrecht des Wasserschöpfens besitzen, sich auf ihr aufhalten können. Diese Wasserschöpfer sind Nachkommen des Propheten und gelten vielfach als Heilige; sie verabreichen keinen Tropfen aus der Quelle, für den sie nicht bezahlt worden sind; jährlich erhalten sie große Summen von den Pilgern, um den Armen das Wasser umsonst zu reichen, was sie so wenig wie möglich tun.
Als ich von dem siebenmaligen Umgänge bis zum Hinsinken ermüdet, von den Sonnenstrahlen, denen ich mein nacktes Haupt und meinen beinahe nackten Körper über eine Stunde aussehen mußte, bis zum Fieber erhitzt, mit ausgetrockneter Kehle, durstend nach Wasser und lechzend nach Schatten, an den Semsembrunnen trat, da empfing mich unendlich wohltuend die kühlere Luft, welche den Raum des Gebäudes erfüllte. Ein junger stämmiger Mekkawi, wahrscheinlich ein angehender Heiliger, aber durchaus wie ein roher Bauer aussehend, stand gerade vor mir auf der Mauer, die den Ziehbrunnen umgibt, und fühlte wohl bei meinem hinfälligen Anblick Mitleid mit mir. Nachdem er mir eine beträchtliche Menge des gelobten, aber schlecht schmeckenden Wassers aus seinem Ledereimer zu trinken gegeben, wollte mir mein Mekkawi, durch mein Trinkgeld günstig gestimmt, noch eine besondere Freude machen. Er holte nämlich Eimer auf Eimer aus dem Ziehbrunnen hervor und schüttete mir ohne weiteres und ohne zu fragen einen nach dem anderen über den Kopf, so daß ich hier ein gründliches Bad nahm, wodurch vielleicht verhindert wurde, daß ich Fieber oder den Sonnenstich bekam. Ich sah zwar, daß andere Pilger auch ein solches Sturzbad bekamen; aber ich bekam wenigstens zehn Eimer über den Kopf, während die anderen mit zwei zufrieden sein mußten. Was nicht ein zu gehöriger Zeit gespendetes Trinkgeld alles vermag!
Von der Entstehung dieses Brunnens erzählen sich die Moslems folgende Geschichte: Als Hagar, Abrahams Magd, ihrem Herrn ein kleines Söhnlein geboren hatte, nämlich den Sidma Smaïl (Ismael), da wurde sie auf Saras Geheiß aus dem Hause gestoßen, und der Engel Gabriel entführte sie und ihr Kind durch die Lüfte nach dem Tal von Mekka, wo damals weder eine Stadt lag, noch weit und breit ein Bächlein oder etwas Grünes zu erblicken war. Verzweifelt suchte die arme Hagar nach einer Quelle; aber alles Suchen war vergeblich, trotzdem sie den siebenmaligen Umgang um die Kaaba vollführte (die allerdings noch nicht existierte!) und siebenmal verzweifelt zwischen den Hügeln Ssafa und Marua auf und ab eilte. Als sie endlich zu ihrem am Boden liegenden Söhnchen zurückkehrte, bemerkte sie zu ihrem Erstaunen, daß zwischen den Beinen des Kindes ein Wasserstrahl hervorsprudelte, der gar kein Ende nehmen wollte. Sie hob ihr Söhnchen auf, und jetzt erst sah sie, daß eine Quelle aus dem Boden hervorsprang. O Wunder, o Glück! Die arme verstoßene Hagar hatte in der wasserlosen Wüste eine Quelle gefunden; und was für eine Quelle! keine andere als den hochberühmten Brunnen Semsem!
Natürlich hat das Semsemwasser viele wunderbare Eigenschaften. Die hauptsächlichsten sind folgende: Erstes Wunder: Das Semsemwasser nimmt niemals ab. Millionen können daraus trinken, nie wird man eine Abnahme seiner Wassermenge entdecken.
Zweites Wunder: Man kann vom Semsemwasser ohne Schaden so viel trinken, als man nur mit einem stets gefüllten Eimer den ganzen Tag in sich hineinzuschütten vermag.
Drittes Wunder: Das Semsemwasser heilt alle Krankheiten. Wird der Kranke nicht gesund, oder fällt es ihm gar ein zu sterben, so ist das keineswegs ein Beweis gegen die Heilkraft des Wassers, sondern nur davon, daß der Kranke noch nicht genug getrunken hat.
Viertes Wunder: Das Semsemwasser kann nicht zum Kochen oder Waschen von Kleidern verwendet werden; denn eine Menge von Geistern haust in diesem Wunderwasser, die zwar gewöhnlich sehr harmlos sind, sich aber in die schlimmsten Teufel verwandeln und dem Bösewicht, der das Semsemwasser siedend machen wollte, die boshaftesten Streiche spielen würden.
Nachdem ich mich am Semsembrunnen durch Trunk und Bad erfrischt hatte, setzte ich meinen Weg durch die Moschee in völlig triefendem Zustande fort. Übrigens war ich in einer Viertelstunde nach dem Bade wieder vollkommen trocken. Wir hatten noch ein paar kleine Heiligtümer zu besuchen, und dann war ich endlich frei. Wir gingen durch das Tor des Propheten hinaus und fanden uns bald in der schönen, großen Hauptstraße El Emsa, in welcher die Pilger, wie Hagar, das siebenmalige Rennen abhalten. Ich hätte diesen frommen Galopp nun eigentlich auch gleich zurücklegen müssen; da ich aber zu müde und angegriffen war, so entschuldigte ich mich durch Krankheit und gelobte für diese Sünde einen Hammel zu schlachten. Dann ging ich mit Ssadak nach dem Kaffeehause, wo mich Hassan erwartete, um mich in meine Herberge zu führen.