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Der Waldpfad liegt voll goldner Blätter,
Still küßt der Herbst die holde Flur!
Käm noch ein Maientag auf Erden –
O, einer nur!
In einem hellen Gemache eines der an das Schloß grenzenden kurfürstlichen Wohnhäuser zu Spandau saß Frau Sybille von Bredow. Neben ihr stand eine kunstvoll geschnitzte Wiege mit rotseidenen Vorhängen, die, halb zurückgeschlagen, ein zartes, blondes Lockenköpfchen sehen ließen. Zwei winzige Händchen spielten auf der Decke, und ab und zu hörte man jene süßen, lallenden Töne, die jede junge Mutter entzücken. Auch Frau von Bredow hob den Blick von der Arbeit und schaute strahlenden Auges hinter den Vorhang, dann legte sie die Arbeit beiseite, kniete an der Wiege nieder und legte den Kopf neben ihrem Erstgeborenen auf das kleine Kissen.
»Nun, mein Sonnenschein, kannst du es garnicht mehr ohne dein Mütterlein aushalten?« jubelte sie. »Wart nur, mein kleiner Hans Jürgen, gleich hat das Kosen ein Ende, und der Junge muß schlafen!«
Sie küßte ihr Bübchen, welches fortwährend den Mund verzog und seine Mutter anlachte, als freue es sich darüber, wie hübsch sie sei. Nun erhob sie sich und ging an das Fenster. Weit hinaus spähten ihre Augen, den breiten Pfad entlang, der zum Schlosse führte.
»Er kommt!« rief sie errötend, wie in den Tagen der Brautzeit, und öffnete das Fenster, durch welches eine Fülle von Fliederduft hereinzog.
Mit der Linken über den Augen stand sie lächelnd hinausgelehnt und winkte dem Kommenden mit einem Tuche. Er schwenkte den Federhut, und seine Augen wanderten fröhlich hinauf.
»Was macht Hans Jürgen?« fragte er, als er dicht unter dem efeuumrankten Fenster stand.
»Danke, mein Schatz!« klang Sybillens Antwort, »er ist gerade so wohl und gesund wie sein gestrenger Herr Vater!«
Der Marschalk drohte ihr mit dem Finger und eilte die Treppen hinauf. Auf der obersten Stufe erwartete ihn sein Gemahl, sein rosiges Ebenbild im Arm.
»Siehst du, Hans Jürgen, er verdient seinen Namen!« sagte sie, ihm den Kleinen zum Kusse reichend. Er nahm ihn ihr ab und küßte den kleinen Schelm, der noch immer lachte. Sein Weib hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt, und so wanderte das glückliche Paar in das Gemach zurück. Sybille legte den Kleinen in die Wiege, zog die Vorhänge zu und setzte sich an die Seite ihres Gemahls.
»Die Kurfürstin ist weit besser,« begann er, den Arm um sein Weib legend, »und begehrt dich zu sehen. Nimmer glaub' ich, daß sie die Krankheit überwunden, hätte ihr nicht nächst Gott ihr getreuer Leibmedikus beigestanden. Tag und Nacht hat er die Kleider nicht abgelegt, und seine Weise als Arzt, sein rasches Erkennen des Übels, sein klarer Blick, seine kundige Hand machen dem Meister auf Leipzigs Lehrstuhl alle Ehre.«
»Man sagt,« erwiderte Sybille, »Bernhardus von Ribbeck habe schon, bevor er das Mönchsgelübde abgelegt, die medizinische Doktorwürde erworben. Später habe er als Mönch, so weit es tunlich, seinem alten Beruf gelebt und insonderheit dem armen Volk und fahrenden Leuten mit seiner Kunst geholfen.«
»Was trieb ihn denn, geistlich zu werden?« fragte Bredow erstaunt. »Rätselvoll bleibt's mir, seit ich ihn kenne – einen sonderlichen Grund muß es haben.«
»Ja, dem ist so,« bestätigte sie, »wenn das, was ich erfahren, Wahrheit ist. Bernhardus von Ribbeck soll in jungen Jahren Ingeburg Witzleben geliebt haben. Zum Manne erwachsen, brannte ihm die Burg ab, sein Hab und Gut war dahin, und ohne Abschied von der Geliebten zog er nach Leipzig. Ob sie gedacht, sein Herz sei falsch – ich weiß es nicht – Ingeburg hat nie zu mir von diesen Dingen gesprochen – man sagt, des Vaters Befehl habe sie gezwungen, daß sie Witzleben gefreit.«
»Aber trotz allem Zwang liebte sie ihn,« sagte der Marschalk.
»Ich glaube nicht, daß es Liebe war. Gehorsam und Treue möcht ich's benennen, Dankbarkeit für eine große Liebe, die sie empfangen,« klang ihre Entgegnung.
»Und wie mag's heut um die beiden stehen? Noch trägt Frau Ingeburg den Witwenschleier, und Ribbeck – so kurz ich ihn kenne – nimmer glaub' ich's, daß er ein Weib freit, das einem anderen gehört hat. Zudem sind sie verschiedenen Glaubens,« sagte Bredow.
»Im Herzen ist Ingeburg martinisch; ich weiß nicht, was sie hindert, sich zu Luthers Lehre zu bekennen,« erwiderte sein Gemahl. »Was Ribbeck betrifft,« fuhr sie fort, »so bin ich darinnen deiner Meinung, daß ihn jetzund der Mannesstolz seine Jugendliebe zurückdrängen heißt – leichtlich ist's auch das Bekenntnis, das ihn von ihr scheidet. Ein Frauenherz ist ein rätselvolles Ding – so lieb mir Inga ist und so nahe mir die Freundin steht – vor alles, was jetzund ihr Herz bewegen mag, schiebt sie den Riegel, und so oft wir der Vergangenheit gedenken, reden wir allein von Wolf Dietrich und den Kleinen. Die Englein mögen's wissen, ob Frau Ingeburgs Seele noch einmal auf Erden Frühling feiert!«
»Ich dachte, Sybillenhände fänden zu allem den Schlüssel,« scherzte er, mit den Löckchen an ihrer Stirn spielend, die sich aus dem blauen Sammethäubchen hervorgewagt.
»Ehen werden im Himmel geschlossen, und Sybillenhände haben kein Geschick für solch große Dinge,« sagte sie lächelnd.
Sie erhob sich, um nach dem Büblein zu sehen. Stolz und glücklich schaute er der schönen Frauengestalt nach, die sich über die Wiege beugte und leise ihr Kind küßte. »Er schläft,« sagte sie, zu dem Gemahl hinüber blickend.
Bredow nickte ihr zu. An seiner Seele zog sein Leben, das so lange einsam geblieben, vorüber; er gedachte des Mägdleins, das den Bürgerstolz nicht überwinden konnte, bis es an der Bahre des Geliebten, das Leid, das ihm vom Adel gekommen, vergessend, jubelte: »Ich habe dich geliebt mein Leben lang!« Könnte nicht auch in der Seele des Mannes die Liebe stärker werden als der Stolz! – – »Und dennoch wird sie sein eigen!« sprach er für sich.
Sybille hatte seine Worte nicht vernommen. Noch immer stand sie über die Wiege gebeugt und sprach mit dem Kleinen, der, eben erwacht, die Augen mit den runden Fäustchen rieb. Sie hob ihn empor und trat mit ihm ans Fenster.
»Komm her, mein Lieb, jetzt will ich dich und dein blondes Schatzkind genießen, später muß ich wieder ins Schloß,« rief Bredow, und sie setzte sich neben den Gemahl. –
Ein sonniges Stücklein Familienglück war's: das schöne Paar aneinander gelehnt, das rosige Bübchen auf des Junkers Knieen. Der Kleine griff fortwährend nach dem Goldhaar seiner Mutter und ruhte nicht, bis sie ihm ihre Löckchen zur Verfügung gestellt.
Draußen blühte der Flieder, und der Efeu streckte neugierig die jungen Ranken ins Fenster, denn er wollte gerne wissen, wie glückliche Menschen aussehen. – – – – – – – –
Zur selben Stunde saß Bernhardus von Ribbeck im Gemache der Kurfürstin, die, eben von schwerer Krankheit genesen, auf einem Ruhebett lag. Kaum in Spandau, ihrer neuen Heimat, dahin die Söhne die Mutter geleitet, angelangt, erkrankte sie ernstlich, und wochenlang bangte der treue Arzt um ihr Leben. Nun aber durfte sie schon seit etlichen Tagen das Bett verlassen und sah es gern, wenn ab und an ein bekanntes Gesicht bei ihr einsah. Eben hatte Ingeburg Witzleben, die der geliebten Kurfürstin nach Spandau gefolgt war, sie verlassen. Die treue Großmutter hatte die junge Witwe, kurz bevor sie Lichtenberg verlassen, in heißem Schmerz zur letzten Ruhe geleitet, – um so dankbarer war sie für alle durch die Kurfürstin ihr erwiesene Liebe, und ob ihr Leben fortan ein gar einsames war, so war es doch nicht freudlos und liebeleer.
Auf der Schwelle des fürstlichen Gemaches war ihr Bernhardus begegnet; ernst hatte er in das blasse, traurige Antlitz geblickt – dann war er seufzend an ihr vorübergegangen. So still und trübe wie heute war sie vom ersten Augenblick ihres Wiedersehens gewesen, ein seltsam kühles Zurückhalten lag in dem Wesen des jungen Weibes, so oft er ihr entgegentrat, und nur zu bald vermeinte er dessen gewiß zu sein, daß sie ihr Erdenglück und ihre Liebe mit dem Toten in der Kapelle von Hohenhaus zu Grab getragen. In harten Widerstreit zwischen Stolz und Liebe war sein Herz geraten, als er sie zuerst im Witwenschleier erblickt, doch als sie ihm immer in gleicher Weise traurig und ernst entgegentrat, ohne ein Wörtlein der Freude des Wiedersehens für ihn zu haben, da fühlte er, daß es kein Erdenglück für ihn mehr geben solle, und in heißem Schmerz begrub er ein zweites Mal seine Liebe. Hätte er nur einmal zurückgeblickt, eh' er an ihr vorüberging, und in die Augen gesehen, die ihm mit brennender Sehnsucht folgten – er hätte die Arme ausgebreitet und sie ans Herz genommen – aber er blickte nicht zurück – und schwerer und schwerer ward ihr der Gedanke an die Zukunft. Die jahrelang zurückgedrängte, tiefe, erste Liebe war bei seinem Anblick aufs neue in ihr erwacht, aber sie hatte ihm ihre Freude verborgen, ahnte sie doch nicht, wie es um sein Herz stand, ob er für das Weib, das einem anderen angehört, noch Minne hegte, ob der Mannesstolz der Liebe den Sieg lassen werde. Sie war ja nicht mehr das Mägdelein, das er einst unter der Linde geküßt – sie war ein Weib im Witwenschleier! Mit keinem Blick wollte sie ihm gestehen, was sie bewegte, mit keinem Schritt ihm entgegenkommen, er durfte nicht denken, daß sie seiner warte – das Liebeswerben des Jünglings sollte dem Manne nicht zur Kette werden. – Im Herzen längst martinisch, zögerte sie von einem Tage zum andern, sich öffentlich zu Luthers Lehre zu bekennen – ein Gedanke war durch ihre Seele gezogen, und sie hatte ihn nimmer bannen können – daß Bernhardus glauben möchte, sie verlasse um seinetwillen den Schoß der Kirche. Es war eine Zeit harter Kämpfe für Ingeburg. Mit warmer Liebe und klarem Herzen hing sie an Luthers Lehre – wäre Bernhardus ihr nicht bei ihrer Ankunft in Spandau in den Weg getreten, sie hätte sich in Bälde zu derselben bekannt, doch was sollte er von ihr halten, so sie jetzund plötzlich übertrat – wußte sie doch, daß er nimmer ein Weib freien werde, das anderen Glaubens war. Dann aber zog's wie ein schwerer Vorwurf in ihr Herz, als versäume sie um Menschenliebe eine heilige Pflicht, als verleugne sie ihren Herrn um Erdenglück. Unter der Last solchen Zwiespalts stand das junge Weib, und ihr Wesen schien ob all des Leides wie ausgewechselt. Fast herb wollte Bernhardus ihre Weise erscheinen – daß er es sei, der ihr solche Kümmernis schuf, kam ihm nicht in den Sinn, – es war lange her, daß Ingeburg Witzleben ihr Haupt an seine Schulter gelehnt, und heut' sprach ihr blasses Antlitz von der Trauer um einen Toten. Doch blieb ihm ihr Herz ein Rätsel – wenn es heute nicht für ihn schlug, hatte es dann je im Leben für ihn geschlagen? Ernst und gedankenvoll trat er bei der fürstlichen Frau ein, kaum erhellte der freundliche Willkommensgruß, den sie ihm bot, sein düsteres Antlitz.
Elisabeth bemerkte nicht die Sorgenfalten auf der Stirn des Getreuen; eine ernste Botschaft bewegte ihr ernstes Herz, das stets anderer gedachte.
»In den umliegenden Dörfern ist eine arge Seuche ausgebrochen,« begann sie. »Viele sind schon dahingerafft und manch einer ringt mit dem Tode. Die Schenken liegen voll von fahrendem Volk, das unterwegens erkrankt in den Dörfern liegen geblieben. Ein Krämer soll die Seuche eingeschleppt haben. Schwer liegt's mir auf der Seele, nicht selbst helfen zu können, wo die Not so groß. Aber leichtlich wißt Ihr Rat, und morgen wird der Propst nach dem Gottesdienst zur Hülfe der armen Bedrängten mahnen. Oft trifft ein gutes Wort einen guten Boden, und so nur etliche treue Hände zugreifen und der Armen pflegen möchten, so wären wir mit Gottes Hülfe ein Stücklein weiter.«
»Ich wußte schon um die Not, Fürstliche Gnaden,« erwiderte Ribbeck. »Die Bitte, mich in nächster Zeit meines Dienstes zu entbinden, führt mich her. Ew. Fürstliche Gnaden sind, Gott sei's gedankt, so weit genesen, daß ich ohne Unruhe für etliche Tage Spandau verlassen kann.«
Sie streckte ihm freudig bewegt die Hände entgegen. »Ich wußt' es, daß Ihr der Erste sein würdet, da es gilt, ein Samariterwerk zu üben. Gott segne Eure Arbeit und behüt' Euch in Gnaden! – Um mich sorgt Euch nicht; wenn's nach meinem Herzen ginge, so geleitet' ich Euch; da mir's versagt ist und jetzund das Gedulden mein Teil ist, so folg' ich Euch mit meinem Gebet!«
Sie hielt noch immer seine Hände fest. In den klaren Augen leuchtete es. Ehrerbietig beugte sich Ribbeck zu ihr nieder und zog die abgezehrten Finger an die Lippen.
»Ich seh' Euch noch, bevor Ihr geht, nicht wahr?« sagte sie liebreich. »Esther Sophie soll für Linnen und Lebensmittel sorgen, und des Torwächters Weib mag Euch begleiten.«
Er bejahte. »Morgen früh nach dem Gottesdienst sprech' ich bei Ew. Fürstlichen Gnaden vor,« erwiderte er. Gleich darauf verließ er das Gemach, und sie sah ihn durch den sonnigen Burggarten seiner einsamen Wohnung zu schreiten.
* * *
Seit länger als einem Jahr war Ribbeck der getreue Leibmedikus der Kurfürstin. Als er in jener Christnacht das Klosterkleid abgelegt und Fischbeck verlassen, hatte er seine Schritte nach Wittenberg gelenkt, um sein Herz im neuen Glauben zu fördern und zu tieferer Erkenntnis desselben zu gelangen. Nach Verlauf eines halben Jahres verließ er die Stadt wieder, um seinen armen Brüdern draußen zu helfen. Indessen hatte Luther ihn der Kurfürstin von Brandenburg empfohlen, und nach einigem Sträuben folgte er dem Ruf als Leibmedikus an ihren Hof zu Lichtenberg. Der Schritt reute ihn nicht. Was ihm noch fehlte an Glaubensfreudigkeit und Kraft, empfing er im Umgang mit der Frau, die um des Bekenntnisses willen den Fürstenthron verlassen und fröhlich in der ärmsten Hütte Magdsdienste tat. Seine Sorge, der Hofdienst möchte ihn am Werke der Barmherzigkeit unter den Ärmsten seiner Brüder hindern, hatte sich als nutzlos erwiesen – Elisabeth gab ihm am liebsten selber das Geleit in die Hütten der Armut und sorgte in edlem Sinn für geistige und leibliche Not. So einte bald ein festes Band treuer Freundschaft die evangelische Fürstin und den ehemaligen Mönch, und als Elisabeth nach Spandau übersiedelte, dachte keiner daran, daß Ribbeck ihr nicht folgen werde – er selbst zum wenigsten – als einer ihrer Getreuesten gab er der hohen Frau das Geleit in die neue Heimat.