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Der Prinz Bambu und die Prinzessin Zoraide.

Ein Mährchen.

Da die Königreiche noch klein waren und nicht größer werden wollten, lebten die Könige recht freundschaftlich mit einander; seit sie so groß geworden sind, und immer noch größer werden wollen, ist das freilich ganz anders, und man wird es mir kaum glauben, daß zwei Könige in Asien, die ich, weil ihre Titel, wie die der europäischen Könige, etwas zu lang sind, die Könige von Ix und Ypsilon nennen will, die herzlichsten Freunde waren; aber alle Nachrichten stimmen darin überein, daß sie nicht wohl ohne einander leben konnten, alle Vergnügungen gemeinschaftlich genossen und, um sich recht oft zu besuchen, zwei Lustschlösser an ihre Grenzen bauten, die in spätern Zeiten von ihren Nachfolgern in zwei Grenzvestungen verwandelt wurden, um sich einander von jedem Besuche recht nachdrücklich abzuhalten.

Der König von Ix hatte einen Sohn, der hieß Bambu, und der König von Ypsilon hatte eine Tochter, die hieß Zoraide.

Der Prinz Bambu war der schönste und tapferste Jüngling seiner Zeit. Sein nervigter und gewandter Körper war zu allen Uebungen stark und geschickt; er focht und turnirte wie ein alter Ritter, tummelte seinen Hengst wie der verwegenste Bereiter, überwand im Ringen und im Wettlauf Jeden, der es wagte, sich mit ihm zu messen, und die Jünglinge gestanden ein, der Prinz Bambu sei stärker und gewandter als sie Alle!

Uebrigens war er ein recht ehrlicher Schlag von einem Prinzen. Wer ihm seine Vorzüge einräumte, gegen den hatte er kein Arges, und wer sie nicht anerkennen wollte, den schlug er hinter die Ohren, und wenn er diesen handgreiflichen Beweis geführt hatte, der von jeher die Hauptsachen in der Welt entschieden hat, so war er wieder so gut als vorher. Wie man viel Verstand haben könne, konnte er gar nicht begreifen, und wie man sich auf ein Ding, das doch so wenig in die Augen fiel, wie der Verstand, etwas einbilden könne, war ihm noch unbegreiflicher. Einem Fuchs auf der Jagd die Fährte abzugewinnen, im Fahren ein geschicktes Gelenke zu treffen, beim Fechten und Ringen die Blößen des Gegners zu benutzen, das galt ihm für den höchsten Verstand, und was darüber hinauslag, war ihm lächerlich.

Die Prinzessin Zoraide war eben nicht schön, aber ihr zarter Körper, im schönsten Ebenmaaße gebaut, umschloß einen Geist, der mehr Witz und Verstand besaß, als alle schöne Geister und Philosophen der damaligen Zeit, und das will viel sagen; denn die damalige Zeit brachte gerade eben so viel schöne Geister und Philosophen hervor, als die jetzige, nur mit dem Unterschiede, daß sie schon vergessen sind, weil sie ihre Weisheit selten in Schriften aufstellten, und nie damit zu Markte zogen, die Jetzigen aber nie werden vergessen werden, weil sie Alle mit Meßgelegenheit zur Unsterblichkeit reisen.

Zoraide war in allen Wissenschaften bewandert. Die Logik war ihr angeboren; von der Metaphysik wußte sie gerade so viel, als man in allen Zeitaltern davon gewußt hat; in der Mathematik, Physik, Astronomie, Oekonomie und wie alle die Fächer heißen mögen, die mit ik und ie überschrieben sind, war sie völlig zu Hause, und dabei war sie witzig wie eine Berliner Jüdin, empfindsam wie eine deutsche Dichterin, und heroisch wie eine Heldin unserer Ritterromane. Ihren Witz ließ sie gewöhnlich an den Hofleuten aus, ihren Heroismus an ihrem Kammermädchen, ihre Empfindsamkeit an der Kunst; denn sie machte Verse, so rein, so schmelzend, daß sie beinahe noch wehmüthiger ausfielen, als die unsterblichen Klagelieder unserer jetzigen Musenalmanache. Kurz, wer einen großen Geist beschreiben wollte, der sagte: er hat Verstand wie die Prinzessin Zoraide.

Ihr Herz? ich muß es gestehen, es war so vortrefflich und zuverlässig wie das Herz aller witzigen und empfindsamen Leute. In ihrer satyrischen Laune spottete sie über Alles; in ihrer erhabenen war ihr Alles heilig: war sie empfindsam gestimmt, so konnte sie kein Würmchen kränken; in ihrem Heroismus hätte sie die Welt zertrümmert. Sie liebte Alles, aber sich am meisten; sie gönnte Jedem seinen Platz, nur mit der kleinen Bedingung, daß ihr selbst der höchste und oberste eingeräumt würde; denn sie hielt sich mit Recht für den Mittelpunkt aller Erhabenheit und Alles außer ihr für den Tummelplatz der Gemeinheit.

Daß der ehrliche Bambu und die geistreiche Zoraide keine sonderlichen Freunde sein konnten, ist leicht begreiflich, denn sie hatten wirklich weiter nichts mit einander gemein, als das Gefühl, daß sie sich gegenseitig unausstehlich fanden. Bambu war in ihrer Gegenwart so beklommen, als hätte ihn Jemand bei der Gurgel gepackt, und Zoraide wußte vor Verlegenheit nicht, was sie anfangen sollte, wenn ihr Bambu wie eine Bildsäule gegenüberstand und bei ihren witzigsten Einfällen gähnte. Beide suchten sich dann, so bald als möglich, von einander loszumachen, und wenn sie von ihren Vätern darüber getadelt wurden, so sprach Zoraide: »Was soll ich mit dem Menschen anfangen, er ist dumm und gemein!« Und Bambu sagte: »Was soll ich mit der Närrin reden, sie ist verrückt und hochmüthig!«

Niemand war über dieses Mißverhältnis mehr betreten, als die beiden guten Könige von Ix und Ypsilon. Denn da alte Leute immer eher ans Heirathen denken wie junge, so hatten auch die beiden Väter schon längst den Plan gemacht, daß sie ihre Kinder zusammen verheirathen wollten, und hatten schon in Gedanken die Enkel auf ihrem Schooße gewiegt, und sie als lebendige Denkmäler der großväterlichen Freundschaft und als die künftigen Beherrscher ihrer getreuen Unterthanen (zu welchem Geschäft in der Regel der Verstand allemal präsumirt wird) recht herzlich geküßt. Jetzt schien nun dieser schöne Plan den Weg aller Plane gehen zu wollen, und sie wußten sich weder zu rathen noch zu helfen.

Mitten in dieser Ungewißheit wurde der König von Ypsilon zu seinen Vätern versammelt und hinterließ seinem Freunde die Verwaltung seines Reichs, die Vormundschaft über seine Tochter und die Sorge für die projektirte Vermählung. Der König von Ix hielt sich, weil es der Lieblingswunsch des Verstorbenen gewesen war, für verbunden, die Ausführung dieses Projekts mehr als je zu beschleunigen, und es bekümmert ihn sehr, daß der Widerwille der beiden jungen Leute mehr zu- als abzunehmen schien. Zum Glück erinnerte er sich, daß, wenn Könige in der Noth sind, ihnen selten ihr eigner Kopf heraushilft, und dies veranlaßte ihn, seinen Premierminister, den getreuen Hassan, zum Teilnehmer eines Geheimnisses zu machen, das ihm allein zu tragen, zu schwer ward. Der getreue Hassan hatte die geläufigste Zunge, die nur je in einem leeren Kopfe sich bewegt hat; das Bretspiel verstand er meisterhaft; die Launen seines Monarchen ertrug er mit unnachahmlicher Geduld und war dabei das herzlichste und gutmüthigste Wesen unter der Sonne. Die erstern glänzenden Eigenschaften hatten ihm die Würde eines Premierministers verschafft, die letztere machte, daß man ihm diese Würde gönnte.

Unter den Kunstgriffen, die die Praxis des Lebens an die Hand giebt, hatte Hassan einen erlernt, der mit gutem Gewissen jedem Premier zu empfehlen ist; es war der, die Entscheidung wichtiger Angelegenheiten, so gut als möglich von sich abzulehnen und auf einen Andern überzutragen. Hassan war dabei immer wohl gefahren, und er schlug also auch jetzt vor, dieses wichtige Projekt vor dem geheimen Kabinet und allen geheimen Räthen geheim zu halten, aber die Fee Toratina, die Beschützerin beider Reiche, um Rath zu fragen. Der König war entzückt über die Weisheit seines Premiers und machte sich am andern Morgen allein, nur von dem getreuen Hassan begleitet, auf den Weg, um der Fee fein Anliegen höchstselbst zu eröffnen.

Die Fee – ich weiß nicht, ob sie es immer so zu halten pflegte, oder ob sie nur heute einmal so gelaunt war – ließ die Herren lange im Vorzimmer auf sich warten, und der gute König von Ix, der in seinem Leben zum ersten Mal die Beklemmung der Antichambre erfuhr, verlor darüber allen Muth so sehr, daß er seinem getreuen Minister befahl, an seiner Statt den Vortrag zu übernehmen.

Endlich erschien die Fee, und Hassan, im Wortmachen erfahren wie ein Parlamentsredner, und in Titulaturen bewandert wie ein deutscher Kanzleisekretär, nahm das Wort. Um einen geschickten Eingang zu machen, fing er vor der Hand von der Schöpfung zu reden an, ging dann auf die Sündfluth über, erwähnte die heiligen Patriarchen, hielt sich einige Zeit mit den Kindern Israel in der Wüsten auf, kam dann unvermerkt aus der alten Geschichte in die neue, aus der neuen in die neueste und gelangte endlich von seiner großen Wortreise glücklich und wohlbehalten bei der Hauptsache an. »Da aber,« schloß er endlich, »der unangenehme Vorfall eintritt, daß der tapfere Prinz Bambu die Prinzessin für verrückt, und die weise Zoraide den Prinzen für dumm hält, und Beide sich einander nicht ausstehen können, so flehen wir Dich an, großmächtigste Beschützerin, rathe uns, was wir in dieser verwickelten Angelegenheit, die unsere Herzen mit Sorgen überhäuft, beginnen sollen!«

Hier schwieg der getreue Premier und machte ein tiefes Kompliment, und der König von Ix machte auch ein tiefes Kompliment, ob er gleich nichts gesagt hatte; die Fee aber nickte gleichgültig mit dem Kopfe und entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen.

Bestürzt stand der gute König da, und glaubte, seine Gebieterin zürne, aber ein kleiner Genius aus Toratinens Gefolge trat herein und sprach: »Meine Gebieterin darf heute mit keinem Sterblichen sprechen, doch erlaubt sie Euch in den Garten zu gehen und in die Laube, wo das heilige Wasser über den Felsen herabstürzt, einzutreten; dort wiederholt Eure Frage und das Orakel der mächtigen Toratina wird Euch antworten.

Der König bedauerte, daß er sein Gefolge nicht bei sich hatte, denn es wurde ihm ganz wunderbar zu Muthe, wie er mit seinem getreuen Hassan so allein durch eine Reihe menschenleerer Zimmer zu der Treppe geführt wurde, die in den Garten hinabging. Der Garten selbst war von seltsamer Einrichtung. Hohe, schattige Bäume verbreiteten eine immerwährende Dämmerung; die Luft war mit Balsamgerüchen angefüllt, die aus schönen und unbekannten Blumen ausströmten; Altäre mit geheimnißvollen Inschriften standen in den Lauben, und Jünglinge an ihrer Seite, die leise Worte unter einander sprachen und die lodernden Flammen sorgfältig unterhielten; feierlich rührende Töne schwebten, als kämen sie von hohen Bergen herab, durch die Lüfte, und erhoben das Herz zu einer andächtigen Beschauung aller der Wunder, die hier versammelt waren.

»Sire!« sprach der Premier, »es ist doch eine närrische Sache mit den Künsten; sie nützen zu nichts, das weiß ich wohl, aber sie bringen doch so wunderliche Dinge zu Wege, daß man kaum seinen Augen traut.«

»Glaube mir, Hassan,« versetzte der König, »wenn man es bei Lichte besieht, steckt gar nichts dahinter! Junge Leute mögen wohl daran Gefallen finden, aber man kann in der Welt nicht zeitig genug alt und verständig werden!«

»Sire, von Euern Lippen strömt Weisheit die Fülle, und ich wundere mich nur, wie eine so kluge und verständige Frau, wie die Fee ist, sich mit dergleichen Possen abgeben kann.«

»Laß uns von ihr das Beste reden, Hassan! denn wo ich nicht irre, höre ich schon das Wasser rauschen, und das Orakel muß nahe sein.«

Sie standen still und hörten deutlich das Rauschen eines Bachs. Es schien aus einer nahen Laube zu kommen. Sie traten hinein, und seltsame Melodien klangen ihnen entgegen. Von einem schwarzen Marmorfelsen stürzte sich der Bach herab, und mitten in seinem Sturze lag eine Harfe, über deren Saiten das Wasser wegrollte, und sie zu wundersüßen, schwebenden Tönen bewegte, die wie Worte klangen und wie Geisterstimmen, aus dem Rauschen des Wasserfalls sich erhoben.

»Eine höchst remarquable Kuriosität!« rief der Premier aus und nahte sich schüchtern dem Felsen. Und die Harfe im Bache sang:

Sieh' meine hellen,
Silbernen Wellen!
Lustig über Kies und Stein
Hüpfen sie in die Welt hinein,
Küssen das grüne Land,
Blümchen an Ufers Rand,
Rauschen sich spät und früh
Ihre fröhliche Melodie!

Also, du Menschensinn,
Gieb dich der Freude hin!
Laß dir die schnellen
Stunden erhellen.

Dann wirst du, wie ich, auf fröhlichen Wogen
Hinab zum unendlichen Meere gezogen!

»Hast Du je gehört,« sagte der König von Ix und faltete seine Hände, »Hassan, hast Du je gehört, daß das Wasser in Versen spricht?«

»Die merkwürdigste Merkwürdigkeit, die ich in meinem Leben erlebt habe, ich wollte, man brächte sie zu Papiere!«

»Aber bei dem Allen,« fuhr der König fort, »sind wir doch nicht hierher gekommen, diese Possen mit anzuhören.«

»Beim Himmel, Sire, ich finde, daß man sehr zur Unzeit mit uns spaßt, aber sollte wohl diese Harfe das Orakel sein?«

»Ich muß Dir gestehen, Hassan, ich weiß eigentlich nicht, was ein Orakel ist; aber weil ich es nicht weiß, so glaube ich, diese Harfe ist das Orakel!«

»Wir wollen den Versuch machen; ich werde meine Rede von vorn anfangen.«

»Ich bitte Dich, Hassan, fange Deine Rede von hinten an, damit wir bald erfahren, woran wir sind!«

»Sire, wie Ihr befehlt; es ist aber um den Eingang Schade!«

»Ich sage Dir aber, ich bin auf den Ausgang zu begierig.«

»Ich habe in meinem Leben noch kein Orakel angeredet; ich bitte Euch, auf welchen Titel kann es wohl Anspruch machen?«

»Ach, ein König muß mit solchen Kreaturen nicht viel Umstände machen, ich will Dich aus der Verlegenheit reißen –: »Sage Er mir doch, mein Freund, oder wer Er sonst sein mag, was sollen wir denn thun, daß der Prinz Bambu die Prinzessin Zoraide heirathet?«

Da tönte es von den Saiten der Harfe:

Mächtig, wie sich die Woge schwellt,
Rasch, wie der Blitz die Nacht erhellt,
Freundlich, wie Mondenlicht,
Wenn es durch Wolken bricht,
Also kommen die seligen Triebe,
So waltet mit Freiheit der Geist der Liebe!

»Du lieber Gott, wer spricht denn von Geist und Liebe!« sagte der König; »heirathen sollen sie sich, und damit gut!«

»In der That, Sire, es ist um ein vernünftiges Orakel Schade, daß es nicht spricht, wie andere ehrliche Leute! Wasser, Blitz und Mondenschein – der Henker werde daraus klug!«.

»Du hast Recht, Hassan, es ist gegen allen Respekt, in meiner Gegenwart so zu faseln. Sage Er mir doch, ohne diesen Schnikschnak, wie bringen wir sie denn dazu, daß sie sich heirathen?«

Da ward das Wasser trübe, die Melodien schwiegen, und eine grell lachende Stimme rief aus den Wellen:

»Ihr müßt sie zwingen!«

»Zwingen? es ist kurios; Hassan, darauf bin ich auch gefallen! Gott sei Dank, daß wir endlich wissen, woran wir sind!«

Mit geheimnißvollen Mienen kamen sie wieder nach Hause. Jeder sah dem Könige an, daß er etwas im Kopfe hatte, und dem Premier, daß er über etwas nachdachte, und da das ein seltener und ungewöhnlicher Fall war, so wurden sie von ihrem Hofstaat mit einem ehrerbietigen Stillschweigen empfangen. Der König begab sich sogleich in das Thronzimmer, legte die Insignien seiner Würde an, setzte sich auf den Thron seiner Väter und ließ den Prinzen vor sich fordern. Nachdem der Premier eine langweilige Rede, gehalten hatte, von welcher Bambu wenig Notiz zu nehmen schien, so versuchte es der König selbst, dem Prinzen begreiflich zu machen, daß morgen sein Hochzeitfest mit der Prinzessin gefeiert werden müßte; aber Bambu blieb bei allen Bitten ungerührt, bei allen Ermahnungen unbewegt, und ward durch die väterlichen Drohungen so erbittert, daß er geradezu erklärte, er werde und wolle diese närrische und hochmüthige Zoraide nie heirathen, und zwingen lasse er sich nicht; auch werde sein Vater Niemanden finden, der es wagte, seine Drohungen an ihm zu vollziehen, »denn,« sagte er und legte seine Rechte an das Schwert und warf einen zornigen Blick auf den getreuen Hassan, der leichenblaß und zitternd neben dem Throne stand, »ich bin Bambu, stärker und tapferer, als sie Alle!«

Mit diesen trotzigen Worten verließ er das Zimmer, und der gute König saß wie versteinert auf dem Throne seiner Väter und sah die Thür an, wo sein lieber Sohn hinausgegangen war.

Eben so unglücklich, nur etwas theatralischer, liefen die Versuche des Königs bei Zoraiden ab, denn die Drohung des Zwanges bewirkte bei ihr eine so hochtragische Exaltation, daß der gute König vor Erstaunen außer sich war, wie es möglich sei, solche wohlgesetzte Redensarten hervorzubringen. Vergebens suchte er den Strom ihrer Worte aufzuhalten; sie ging aus dem Einfachen in das Erhabene, aus dem Rührenden in das Heroische über, und als ihre Rede den höchsten Affekt erreicht hatte, stürzte sie zum Zimmer hinaus und warf die Thür hinter sich zu, gleichsam als wollte sie alles Gesagte noch einmal in einem einzigen Laut zusammengepreßt wiederholen. Warum kommen denn die Theaterdirektoren nicht auf den vernünftigen Gedanken, ordentliche Thüren, die man mit Affekt zuwerfen kann, statt der jetzigen Vorhangsthüren anzubringen? Da man die Familiengemälde aus der wirklichen Welt so sehr liebt, so bleibt es doch immer ein Uebelstand, daß man das Zuwerfen der Thüren nicht einführt, um den wirklichen Familienzank recht wirklich zu machen! Ich wollte, mein Vorschlag käme für das neue Berliner Theater nicht zu spät, zumal da das Dach desselben einem so guten Resonanzbaden abgiebt.

Bekümmert sah der König seinen getreuen Hassan an und sagte: »Bei dem Throne meiner Väter! die Prinzessin hat Verstand wie ein Gott und spricht wie ein Prophet, aber sie ist unausstehlich wie ein böser Geist!«

»Doch wird sie Eurer Majestät nicht widerstehen können,« versetzte der Premier.

»Ach, Hassan, die Fee hat gut Reden mit ihrem Zwingen, aber ich sehe schon, ich kann sie nicht zusammenzwingen.«

»Mein Gebieter kann Alles, was er will.«

»Sieh' einmal, Hassan, das ist nicht wahr. Land und Leute zu regieren, ist, Gott weiß es, eine leichte Sache, aber das Hausregiment, will ich Dir sagen, das Hausregiment ist, bei dem Throne meiner Väter! das schwerste unter allen Regimentern.«

Ach, der gute König wußte noch nicht, welche harte Proben sein Hausregiment erfahren sollte.

Der Prinz war kaum allein, so fielen ihm die Drohungen des Vaters schwer aufs Herz. Ungeachtet er seiner Stärke Alles zutraute, so glaubte er sich doch nicht stark genug, einem Vater Trotz zu bieten, den er liebte, und bei allem Dem war es ihm unmöglich, die Prinzessin zu heirathen. Zum ersten Male in seinem Leben sah er sich in die fatale Lage versetzt, über etwas ernsthaft nachdenken zu müssen, um sich aus einer andern fatalen Lage herauszuziehen. Er mochte aber das Ding, das man gewöhnlich Verstand nennt, noch so sehr anstrengen, es fiel ihm doch kein anderer Ausweg ein, als der natürlichste, sich durch eine schnelle Flucht von dem drückenden Verhältnisse zu befreien;, und kaum war dieser Gedanke lebhaft in ihm geworden, so eilte er hinaus, schwang sich auf sein schnellstes Roß und jagte davon.

Die Prinzessin hielt nach jenem pathetischen Abgang einen nicht weniger pathetischen Monolog auf ihrem Zimmer. – »Heirathen? oder nicht heirathen?« sprach sie und lief mit starken Schritten auf und ab, »sich dem Zwange unterwerfen? oder allen Gefahren Trotz bieten? das ist die Frage!« Sie sann lange nach. – »Davonlaufen!« rief sie endlich und sprang vor Freuden hoch auf. »Ist es nicht ein großer Gedanke für ein schwaches Mädchen? Aber Zoraide ist nicht schwach! Ihr Thoren, glaubt ihr, sie bedürfe eines Throns, um zu glänzen? Ihr Verstand ist das Diadem, das ihr überall die Herrscherwürde ertheilen wird!« – Der Gedanke begeisterte sie. – »Was werde ich sehen! Welche Begebenheiten erwarten mich! Wie wird man mich bewundern!« sprach sie, indem sie einige Kleidungsstücke zusammenraffte und in ein Bündel schnürte. – Jetzt war sie zur Reise fertig. Sie sagte ihrem Zimmer ein theatralisches Lebewohl, hielt eine empfindsame Anrede an das Bild ihres Vaters, schlich sich leise zum Zimmer hinaus, zur Treppe hinab, durch die Säulengänge hin, drückte sich fest an die Wand, um von den Wachen nicht bemerkt zu werden, kam glücklich in den Garten, von da in den Park, und befand sich endlich mit ihrem kleinen Reisebündel auf freiem Felde. Die Wege waren ihr bekannt, sie wählte den, der am kürzesten nach dem Walde führte, und hoffte diesen hinter sich zu haben, ehe man ihre Flucht bemerken würde. Mit leichtem, begeistertem Herzen eilte sie fort und sang:

»Frisch auf! hinaus in die weite Welt!
Vor Sorgen und Grillen vorbei!
Ein freier Sinn sucht sich ein freies Feld,
Und bricht seine Ketten entzwei!
Juchheisa trallei!
Und bricht seine Ketten entzwei!

»Ueber Land und Meer die Vöglein ziehn
Und suchen den blumigen Mai;
Drum mache, wenn Scherz und Freuden fliehn,
Das alte Leben dir neu!
Juchheisa trallei!
Das alte Leben dir neu!«

Als sie in den Wald gekommen war, schlug sie mit Fleiß einen felsigen und unebenen Weg, der über die Berge zu führen schien, ein, um dem Prinzen nicht zu begegnen, der gewöhnlich hier zu jagen pflegte. Sie stieg, so schnell sie konnte, aber der Tag war heiß, der Weg zu steil, sie sank sehr bald ermattet nieder und machte die Bemerkung, daß das Davonlaufen doch nicht eine so leichte Sache sei, wie ihr Enthusiasmus bis jetzt geglaubt hatte. Ihre Unerschöpflichkeit im Planmachen tröstete sie aber bald. In wenigen Stunden glaubte sie das Haus eines alten Freundes von ihrem Vater erreichen zu können; diesem wollte sie ihre Noth klagen, durch seinen Beistand würden Mehrere bewogen werden, sich zu ihrer Partei zu schlagen, an der Spitze eines Heeres wollte sie dann dem Könige die Verwaltung des Reichs entreißen, sich auf den Thron ihres Vaters setzen, und der Prinz Bambu sollte, gedemüthigt, an den Stufen desselben um Gnade flehen. – »Ich ertheile ihm dann Gnade und Verzeihung,« fuhr sie in ihren Phantasien fort, »ich vergebe dem Könige seine Tyrannei, ein lautes Geschrei meines erstaunten Volkes erhebt sich durch die Lüfte, von jedem Munde tönt der Ausruf: »»Hoch lebe die große Zoraide!«« Und meine Feinde sind gezwungen, die Zeugen meines Triumphs zu sein!«

Zoraide schlief über diese Phantasien ein. Es ward Abend; einzelne Sterne glänzten am Himmel; ein tiefes Schweigen ruhte über der einsamen Gegend.

Schon war die Nacht eingebrochen, als sich ein Sturm erhob, und Zoraide von dem Rauschen des Windes, der durch die Wipfel der Bäume wogte, geweckt wurde. Ihr Blut war nun völlig abgekühlt; das Gefahrvolle ihrer Lage stellte sich mit aller Schrecklichkeit ihrer Phantasie vor: allein, auf einem Felsen, in einer kalten, stürmischen Nacht, im tiefen Walde, allen Gefahren preisgegeben – ihr Muth verschwand. Sie rief, aber Niemand hörte; sie weinte und klagte, aber der Sturm spottete ihrer Klagen; sie klimmte den Fußsteig herab, aber immer finsterer ward es in der Tiefe. Jetzt verlor sie den Fußsteig ganz, irrte jammernd umher, fiel, verwundete sich an den Zweigen und warf sich endlich voll Verzweiflung, zur Erde und glaubte sich ohne Rettung verloren.

Eine Stunde mochte sie in dieser qualvollen Angst zugebracht haben, da ließ der Sturm nach – und – horch! es war ihr, als hörte sie Töne aus der Ferne; sie raffte sich auf: deutlicher und immer deutlicher wehte ihr der Wind die Töne zu – es schien eine Laute zu sein. Sie wand sich durch das Gebüsch nach der Gegend hin, der Wald ward lichter, sie befand sich auf einem gebahnten Wege, und – wer beschreibt ihr Entzücken, als sie auf einmal einen freien Platz vor sich sah, und in der Mitte desselben ein Licht erblickte, das aus dem offenen Fenster eines Hüttchens freundlich und einladend zu ihr herüberglänzte? Sie hörte, daß die Töne der Laute aus dem Hüttchen kamen, und voll Freude, hier gastfreie Menschen zu finden, eilte sie darauf zu. Sie klopfte erst leise an, aber man hörte sie nicht; sie klopfte stärker, und eine weibliche Stimme rief: »Seid Ihr schon da?« – – »Mache auf!« rief Zoraide, »erbarme Dich eines armen verirrten Mädchens, und gönne mir ein Nachtlager!« – »Sogleich! sogleich! mein Töchterchen!« sprach das Weib und eilte nach der Thür.

Zoraide trat ein und erblickte eine schwarzgekleidete Frau, die sie freundlich willkommen hieß und in ein Zimmerchen führte, das reinlich und ordentlich, übrigens aber weder prächtig noch ärmlich aussah. Sie bot Zoraiden einen Sessel an und setzte sich wieder mit ihrer Laute ans Fenster und fuhr in ihrer Melodie fort.

Zoraide betrachtete sie genau. Sie trug in allen ihren Geberden einen Anstand, der von Erziehung zeugte, aber auch eine Feierlichkeit, die seltsam auffiel; ihre Miene war freundlich, aber tiefe Schwermuth sprach aus allen ihren Gesichtszügen; sie schien noch Ueberreste von ehemaliger Schönheit zu haben: aber das lange schwarze Kleid verhüllte ihren Wuchs, und der Flor, der über ihre Stirne hereinhing, verbarg ihr Auge. Im Zimmer war nichts, woraus man auf ihre Beschäftigung hatte schließen können; aber am seltsamsten waren Zoraiden eine Reihe Portraite, die an der Wand hingen. Es waren Jünglinge und Mädchen, Alle schwarz gekleidet und mit verwelkten Blumen in der Hand; nur ein einziges am Ende der Reihe war in bunten Kleidern und hielt frische Blumen. Zoraide hätte gern darnach gefragt, aber sie wagte nicht, die Frau zu unterbrechen, die in die Töne ihrer Laute verloren schien und nur dann und wann zum Fenster hinausblickte, als erwartete sie Jemanden.

»Die Sterne glänzen hell, wo mögen sie bleiben?« sprach sie endlich zu sich selbst.

»Wen erwartet Ihr?« fragte Zoraide.

»Kennst Du mich nicht, mein Töchterchen, ich bin ja die arme, alte Mutter, die ihre Kinder alle verloren hat; ja, sieh' mich nicht so verwundert an, ich bin alt, sehr alt, und habe Kinder, viele Kinder; sie waren so schön und so verständig, von so zarten Gedanken und so weichen Herzen, und ich hatte sie so lieb, wie sie bei mir waren, und hielt sie so zärtlich; aber der fürchterliche Zauberer hat sie mir Alle entrissen, und hält sie in einem finstern Gefängniß eingesperrt, und ich bekomme sie nur in heitern Nächten zu sehen. Denn wenn die Sterne am Himmel aufgehn und mit ihren lieben goldnen Augen auf die Erde herunterblicken, da endet seine Zauberkraft, und meine Kinder können zu mir kommen, und ich darf sie trösten; aber die häßliche Sonne, mit ihrem frechen Glanze, giebt ihm alle seine Macht zurück, und dann müssen meine Kinder wieder aus meinen Armen und dürfen nicht thun, als kennten sie ihre Mutter. Bin ich nicht unglücklich, mein Töchterchen?«

»Ich habe nie von Euch gehört, aber Euer Unglück rührt mich. Wer ist der fürchterliche Mann, der Euch Eure Kinder entrissen hat? Wißt, ich bin die Prinzessin Zoraide; wenn es möglich ist, Euch zu helfen, so habe ich die Macht dazu!«

»Und wenn alle Königreiche der Welt Dir zugehörten, Du könntest mir doch nicht helfen: dazu gehört bloß ein hohes Gemüth.«

»Und das traut Ihr mir nicht zu?« fragte Zoraide höhnisch lächelnd. – »Nein, mein Töchterchen,« fuhr die Alte in ihrem gewöhnlichen Tone fort; »denn siehst Du, alle meine Kinder glaubten, es könne sie Niemand an Vorzügen des Geistes übertreffen, und wagten in diesem Vertrauen dem Mächtigen zu trotzen, aber sie wurden Alle seine Beute. Sieh' nur, hier hängen ihre Bilder, sehen sie nicht recht schön und verständig aus? Ach, sie blühten wie die Blumen; aber seit sie in der Gewalt des Zauberers sind, sind sie und ihre Blumen verwelkt!«

»Aber ich sehe dort am Ende noch ein Portrait, das mit frischen Blumen und Farben gemalt ist.« –

»Das bist Du!« sagte die Alte gleichgültig.

Zoraide trat näher und erschrak; es war ihr eignes Bild! –

»Sage mir,« fragte sie zitternd, »wie kommt mein Portrait unter die Bilder Deiner Kinder?«

»Bist Du denn nicht auch mein Kind? – Ach, ich arme, unglückliche Mutter habe Dir nur den kleinsten Theil meiner Leiden erzählt, denn Du weißt noch nicht, daß mich meine Kinder nicht eher kennen, als bis sie sich nach Errettung aus der Gewalt des Zauberers sehnen.«

»Noch hast Du mir nicht gesagt, wer dieser Zauberer ist?«

»Bewahre Dich der Himmel vor ihm, mein Töchterchen! Er sieht anfänglich klein aus, wie ein Zwerg, und freundlich; Du glaubst mit ihm spielen zu können, und lachst Die aus, die sich vor ihm fürchten; aber, je näher Du mit ihm bekannt wirst, desto schrecklicher ist er, und wenn er Dir seine wahre Gestalt zeigt, so sinkst Du wehrlos in seine Arme und wirst seine Gefangene!«

»Und ist denn gar keine Befreiung aus seiner Gewalt?«

»O ja! wenn …«

Hier ward die Alte durch ein Geräusch außerhalb der Hütte unterbrochen; sie sah durchs Fenster. »Meine Kinder! meine lieben Kinder!« rief sie freudig und eilte zur Thür hinaus.

Zoraide sah eine Menge schwarzgekleideter Jünglinge und Mädchen, die sich liebkosend um die Alte versammelten. Die Frau selbst schien Zoraiden weit ehrwürdiger und heiliger als zuvor; sie drückte jedes ihrer Kinder an ihr Herz, dann schlossen Alle einen Kreis um die Mutter, und die Alte sang:

»Die ewigen Lichter des Himmels flammen!
Kinder des Unglücks, tretet zusammen,
Weinet Eure stillen Thränen!
Oeffnet Euer verborgnes Sehnen!
Was Eure Tage voll Kummer macht,
Klaget allein der verschwiegnen Nacht!«

Und Alle wiederholten:

»Was unsre Tage voll Kummer macht,
Klagen wir dir nur, verschwiegne Nacht!«

Die Mutter.

Auf und ab am Himmelsbogen
Werden die lichten Sterne gezogen!
Ewige Wandlung im All der Welt!
Haltet, o haltet dem seligen Hoffen
Eure bekümmerten Herzen offen!
Was Euch jetzt so traurig macht,
Endet vielleicht in der nächsten Nacht.

Die Kinder.

Was uns jetzt so traurig macht,
Endet vielleicht in der nächsten Nacht.

Eine sonderbare Wehmuth überfiel Zoraiden, da sie diese Stimmen hörte, die wie Klagetöne aus weiter Ferne zu kommen schienen, und doch so laut und vernehmlich waren«. Sie warf sich weinend auf ein Lager von Binsen, das in einem Winkel des Zimmers bereitet stand, und indem sie über den seltsamen Zusammenhang dieser Begebenheiten nachdachte, überraschte sie der Schlaf.

Die Sonne stand hoch, als sie von dem Gesange der Vögel geweckt wurde. Sie lag auf weichem Rasen; nirgends war die Spur von einer Hütte zu sehen. Ihre Kleider waren so durchnäßt, als wenn sie die ganze Nacht unter freiem Himmel zugebracht hätte, und so unmöglich es ihr auch schien, so glaubte sie doch, es sei weiter nichts als ein wunderbarer Traum gewesen, der ihr die Begebenheiten der vorigen Nacht lebhaft vorgespiegelt habe. Der Schlaf hatte sie gestärkt, der Morgen wehte frisch und lebendig: alle Furcht war aus ihrem Herzen verschwunden, und alle alten Phantasien und Plane hatten wieder davon Besitz genommen.

Um so bald als möglich aus dem Walde zu kommen, ging sie, ohne einen Weg zu verfolgen, nach der Gegend hin, wo die Bäume lichter zu werden schienen. Schon sah sie freies Feld und in einiger Entfernung ein Dorf; sie eilte darauf zu, aber, o Himmel! ein breiter und schnellfließender Strom lag dazwischen. Verdrießlich über das neue Hinderniß, ging sie am Strome hinauf, ob sie vielleicht eine Brücke oder eine Fuhrt finden würde, aber vergebens! Endlich sah sie am jenseitigen Ufer einen Nachen. Ein Knabe saß darin und plätscherte spielend mit dem Ruder. Zoraide rief, und der Knabe lächelte freundlich und ruderte über den Fluß.

»Willst Du mich wohl übersetzen?«

»Warum nicht, schönes Mädchen, wenn Du Muth hast, Dich mir anzuvertrauen?«

Zoraide stieg ein; der Knabe stieß vom Ufer ab; der Nachen schwamm den Strom hinunter.

»Hinüber sollst Du mich setzen!«

»Ja, warte nur, jenes Ufer ist zu steil, ich will einen bequemen Platz suchen!«

Immer weiter schwamm der Nachen hinab, der Strom krümmte sich wieder in den Wald hinein. Zoraide ward ängstlich.

»Ich will sogleich an jenem Ufer gelandet sein!« sagte sie, gebietend.

Der Knabe lachte und sang:

»Der Wille ist Dein,
Das Schiffchen ist mein,
Ich fahre lustig in Wald hinein!«

»Verwegner Knabe, weißt Du, daß ich Zoraide bin?«

Der Knabe lachte noch lauter und trällerte:

»Im Schiffchen mein
Gilt weder Groß noch Klein,
Müssen Alle geduldig sein!«

»Nein, länger ertrag' ich Deinen Muthwillen nicht!« sprach sie zornig und sprang auf und riß das Ruder aus seiner Hand: da brausten alle Wellen hoch auf, eine schreckliche Gestalt stand an der Stelle des Knaben vor ihr; Zoraide ward ohnmächtig, das Ruder entsank ihrer Hand und der Nachen schlug um.


Der Prinz Bambu jagte, was er jagen konnte, davon. Wohin? Das war ihm eine unnütze Frage, deren Entscheidung er seinem Pferde überließ, und dieses treue Thier vermied sorgfältig alle ungebahnten Wege und blieb in der breiten Straße, die nach der Stadt führte. Es würde auch ohne Zweifel erst am Stadtthore mit ihm stillgehalten haben, wenn nicht ein schöner großer Hirsch über den Weg gelaufen wäre, der die Aufmerksamkeit des Prinzen so auf sich zog, daß er Vater, Prinzessin, Flucht, Alles darüber vergaß und mit einem fröhlichen »Hurrah!« querfeldein lenkte und dem Hirsch nachsetzte.

Wie der Wind ging der Weg nach dem Walde, durch das Gebüsch durch, Berg auf und Berg ein, über Graben und Hecken weg, der Hirsch voraus, der Prinz hinterdrein, bis das arme Pferd vor Ermattung nicht weiter konnte, und der Abend schon so weit vorgerückt war, daß weder Hirsch noch Weg mehr zu sehen war. Bambu stieg ab, suchte einen Platz, wo frischen Rasen war, ließ sein Pferd grasen und legte sich ganz wohlgemuth unter einen Baum, um – wie er schon mehrmals gethan hatte – die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Er war eben im Einschlafen begriffen, als er in einiger Entfernung den Hufschlag von Pferden und Menschenstimmen hörte; es schienen Reiter zu sein, die mit einander sprachen.

»Wenn wir nur erst aus dem verdammten Walde heraus wären!« sagte der Eine.

»Ei was!« versetzte der Andere, »wir kriegen doch ein scheeles Gesicht, daß wir sie nicht mitbringen!«

»Wie es nur dem armen Prinzessel ergehen mag, die so mutterseelen allein in dem Walde steckt! Du lieber Gott! wer hatte dem Kinde den Muth zugetraut!«

»Und der Prinz ist auch fort, und wir haben von Beiden keine Spur!«

»Ei, der Prinz mag sein, wo er will! Hat er nicht immer mit seinem Muthe geprahlt, und kaum hat ihm der Herr-König ein hartes Wort gesagt, so läuft er davon.«

»Aber bedenkt doch nur, er hat Knall und Fall das Prinzessel heirathen sollen!«

»Ei, das ist wohl ein großes Unglück! Es ist doch gewiß ein recht liebes Mädchen, das Prinzessel! und nun ist das arme Kind seinetwegen so unglücklich!«

»Ihr habt Recht, sie ist wohl sehr zu bedauern! Und der Bambu hat an ihr nicht gehandelt wie ein Prinz oder ehrlicher Rittersmann, sondern wie ein feiger Knecht, der nur ans Davonlaufen denkt!«

»Ihr Halunken!« schrie Bambu und stürzte auf sie los, aber sie hatten den Vorsprung und sprengten mit fürchterlichem Geschrei davon. Der Prinz fluchte noch einige Zeit hinter ihnen drein, dann warf er sich wieder unter seinen Baum und versuchte zu schlafen; es wollte ihm aber nicht gelingen. In dem Dinge, wo des Menschen Gedanken ihr Spiel treiben, fühlte er eine so gewaltige Unruhe, daß er sich schlaflos hin- und herwarf. Sein gutes Herz konnte es nicht ertragen, daß Zoraide, deren Entschlossenheit er bewunderte und gegen die er zum ersten Mal eine gewisse Achtung empfand, seinetwegen unglücklich sein sollte, und es war ihm, als sagte ihm eine innre Stimme, diese Leute hätten so Unrecht nicht, und es sei unmännlich von ihm gehandelt, eines Mädchens wegen davonzulaufen. Was sollte er thun? Umkehren konnte er nun einmal nicht, wenn er nicht allen Spott vollends auf sich ziehen wollte. Zoraiden aufsuchen? Sein Herz verlangte es; aber es schien ihm lächerlich, und sein Stolz sträubte sich dagegen. Endlich behielt doch sein gutes Herz die Oberhand. »Ich will sie aufsuchen sprach er zu sich selbst, »und sie meinem Vater zurückbringen; dann will ich ausziehen und rühmliche Thaten thun, daß ich alle Die beschäme, die über meine Schwachheit triumphiren!«

Am andern Morgen, da kaum der Tag graute, sprang er auf. Er wollte sein Pferd besteigen, aber es war nirgends zu sehen; auch war ihm die Gegend des Waldes, in der er sich befand, völlig unbekannt. In der Hoffnung, sein Pferd wiederzufinden, ging er der Spur desselben nach, und dies führte ihn tiefer und immer tiefer in ein einsames von Felsen umgebenes Thal, wo nur das Geschrei der Raubvögel, die über den Bergen schwebten, die fürchterliche Stille unterbrach. Er sah die frische Spur seines Pferdes im Sande und hörte neben sich etwas im Holze rascheln; er eilte darauf zu. – Es war ein altes Weib, das dürre Reiser einsammelte.

»Habt Ihr nicht ein Pferd laufen gesehen?« fragte der Prinz.

»Ja,« sagte das Weib, »es lief dort am Bache hinunter; aber ich bitte Euch, lieber junger Herr, geht ihm nicht nach!«

»Warum nicht?«

»Ei! in diesem Holze treiben böse Dinge ihr Spiel, und dort unten haust eine grausame Fee!«

»Einfältiges Geschwätz! Glaubt Ihr, ich werde mich vor einem Weibe fürchten?«

»Ihr seid sehr kühn, wenn Ihr den Weibern zu trotzen glaubt!«

»Seid nicht besorgt um mich, gute Alte!« sagte der Prinz und ging rasch am Bache hinunter. Er war noch nicht weit gegangen, so begegnete ihm ein kleiner Knabe.

»Hast Du nicht ein Pferd laufen gesehen?« fragte Bambu wieder.

»Ja!« sagte der Knabe, »es kam vor unser Schloß und befindet sich im Stalle meiner Gebieterin.«

»Wer ist Deine Gebieterin?«

»Wer bist Du? möchte ich fragen, daß Du die weise Beherrscherin der Welt, die große Erzieherin des Menschengeschlechts nicht kennst!«

»Hoho!« sagte Bambu, »mich beherrscht sie nicht, und mich hat sie nicht erzogen; führe mich zu ihr, daß ich mein Pferd wiederbekomme!«

»An Deiner rohen Sprache höre ich, daß Du sie noch nicht kennst. Komm' mit mir und unterwirf Dich ihrer Weisheit.«

Sie gingen noch wenige Schritte, da wendete sich der Pfad um einen Felsen herum, und Bambu sah ein prächtiges Schloß vor sich liegen, und auf einem freien Platze vor demselben eine große Anzahl Knaben und Mädchen; sie hatten sich Alle um einen Thron versammelt, der in der Mitte des Platzes errichtet war, und auf dem Throne saß ein dickes, häßliches Weib. Die Kinder standen zitternd um sie herum und mußten lachen, wenn sie lachte, und weinen, wenn sie weinte. Sie blies sie mit ihrem kalten, frostigen Athem an, und sie mußten sagen, es sei warm, und wenn sie vor Hitze nicht bleiben konnten, mußten sie sagen, es sei kalt. Die Kinder bückten sich demüthig, wenn sie sprach, lächelten freundlich, wenn sie fürchterliche Grimassen zog, nannten jeden ihrer Einfälle vortrefflich, und wenn sie sich in einem Augenblicke zehnmal widersprach, so mußten sie eben so oft ihre Meinung bestätigen. Wer nur im Geringsten dagegen verstieß, wurde unbarmherzig gepeitscht, und da natürlich sehr oft dergleichen Verstöße vorkamen, so war des Prügelns und Peitschens kein Ende. Wie endlich die Exerzitien vorbei waren, fragte das Weib: »Wißt Ihr den goldnen Spruch der Weisheit?« Da sangen die Kinder:

»Alle Eigenheiten verriegelt,
Alle Gefühle des Herzens gezügelt,
Alle Weisheit mit Narrheit gepaart,
Das ist die gute Lebensart!«

Bambu hatte lange stillschweigend zugesehen; jetzt, da sich die Kinder entfernten, bemerkte ihn das Weib.

»Was willst Du hier?« fragte sie.

»Ich komme her, um mein Pferd zurückzufordern; seit ich aber Deine Grausamkeiten gesehen habe, verlange ich, daß Du die armen Kinder alle freigiebst, die unter Deiner Barbarei seufzen!«

»Armer Thor!« sagte das Weib lachend, »in wenigen Augenblicken wirst Du so klein sein wie sie. Alle, die Du sahst, waren groß und stark, aber ich habe sie zu Kindern gemacht!«

»Glaubst Du, altes, häßliches Weib, daß ich mich werde abrichten lassen, wie ein Jagdhund?«

Wüthend vor Zorn, schlug sie mit ihrem Stabe auf den Boden, und ein gewaltig großer Riese stieg aus der Erde empor.

»Entwaffne ihn und mache ihn klein!« schrie das Weib.

»Eher sterben!« rief Bambu und zog sein Schwert.

Der Kampf begann. Der Riese war dem Prinzen an Kraft unendlich überlegen, aber Bambu war gewandter: er wich seinen fürchterlichen Hieben aus und brachte ihm sogar, eine Wunde bei. Das alte Weib ward ungeduldig, daß sich der Kampf nicht schneller entschied, und schlug nochmals mit ihrem Stabe auf den Boden. Da kamen eine Menge kleiner Zwerge aus der Erde herauf und kletterten an dem Prinzen hinauf, und bissen und zwickten ihn, und suchten seine Kraft zu lähmen. Bambu hielt sich für verloren; in der Verzweiflung raffte er noch alle seine Kräfte zusammen, sprang schnell auf die Seite, und führte einen so kräftigen Hieb auf das alte Weib, daß sie laut aufschrie und leblos zu Boden sank. – In demselben Augenblicke erhob sich ein fürchterlicher Sturm, der Riese und die Zwerge waren verschwunden, und eine Menge Menschen stürzten aus dem Schlosse heraus und umringten den Prinzen, nannten ihn ihren Retter und Befreier und boten ihm die köstlichsten Geschenke an. Bambu war von solchen Auftritten kein Freund; er nahm nichts an, sondern zog nur, um doch ein Siegeszeichen mit sich zu nehmen, einen kleinen schwarzen Ring von dem Finger des Weibes, eilte sodann in den Stall, fand sein Pferd und ritt den Weg zurück, den er gekommen war, fest entschlossen, Zoraiden aufzusuchen oder in diesem Walde zu sterben.


Wie die Prinzessin zu sich selbst kam, befand sie sich in einer weitläufigen mit hohen Mauern umgebenen Burg, in deren Mitte ein großes Gebäude aufgeführt wurde. Sie sah eine ungeheure Menge Arbeiter an dem Baue beschäftigt; Einige bauten auf, Andere rissen nieder; die Meisten sahen froh und sorgenlos aus und verrichteten ihre Arbeit mit Scherz und Gesang, als wären sie hier gerade da, wo sie zu sein wünschten; Einige aber waren schwarz gekleidet; Schwermuth und Kummer über ein unpassendes und unverdientes Schicksal lag auf ihren Mienen, sie verrichteten ihre Arbeit still vor sich hin, aber man sah es ihnen an, daß sich ihre Gedanken über ihre Geschäfte erhoben, und sie blickten oft voll Sehnsucht über die großen Mauern hinüber, die sie von ihrer Heimath absonderten. Zoraide erkannte in ihnen jene Gestalten wieder, die sie in der Nacht gesehen hatte.

Noch war sie in der Betrachtung aller der Dinge, die sie umgaben, verloren, als der Herr der Burg, ein großer und starker Mann, vor sie hintrat und ihr befahl, mit an dem Baue zu arbeiten. Zoraide erkundigte sich nach dem Plane des Gebäudes, das ihr ziemlich unregelmäßig vorkam, aber der Mann lachte sie aus und sagte: »Was kümmert es Dich? Sand mußt Du fahren und Steine tragen, daß die Maurer arbeiten können, und diese führen ihre Mauern auf, wie es die Aufseher befehlen, und dann wird Alles wieder eingerissen, wenn ich es befehle.«

»Aber dieses zwecklose Arbeiten?«

»Ist eben der Zweck! und geschwind an die Arbeit und sei gutes Muthes! Wenn es Mittag wird, bekommst Du zu essen, und wenn es Abend ist, auch, und dann kannst Du ruhen bis die Sonne wieder aufgeht!«

Zoraide ging weinend an das mühselige Geschäft.

»Arme Schwester,« sagten die Schwarzgekleideten, »weine nicht! Wenn es Abend wird, gehen wir zu unserer Mutter und ruhen an ihrer Brust, und das stärkt uns wieder und hilft uns auf in dem martervollen Leben!« –

Zoraide hielt sich immer zu ihnen, ungeachtet sie härter gehalten und verspottet wurden, und wenn es Abend ward und die Sterne mit ihren goldnen Augen auf die Erde herunterblickten, ging sie, wie alle die andern Unglücklichen, zu der Mutter und dachte an ihre schöne Kindheit und an das selige Leben ihrer Jugend, und hoffte auf Befreiung.

Auch Bambu war schon viele Tage den Wald durchstreift, ohne die geringste Spur von ihr zu entdecken; aber je länger er sie suchte, desto größer ward seine Sehnsucht, sie zu finden, und es schien, als ob die Theilnahme an ihrem Schicksal und die Einsamkeit, in der er lebte, seine Rauheit gemildert hätten.

Eines Abends, da er, um seinen Hunger zu stillen, auf einen Berg geklettert war und Beeren suchte, kam er zu einer Höhle, die tief in den Berg hineinging. Sie war trocken und zum Uebernachten bequem; er trug sich frisches Moos hinein und wollte eben sein Nachtlager aufschlagen, als er tief im Hintergründe derselben ein Licht gewahr ward und einen alten Mann sah, der ein aufgeschlagenes Buch vor sich hatte und zu lesen schien. Vergnügt, endlich wieder einmal einen Menschen zu sehen, ging Bambu auf ihn zu.

»Verzeiht, Vater, daß ich Euch in Euren Betrachtungen störe!«

»Seid willkommen, Prinz Bambu,« versetzte der Greis, »ich habe Euch lange erwartet!«

»Woher kennt Ihr mich?«

»Ich kenne Alle,« sagte der Greis lächelnd.

»Kennt Ihr auch Zoraiden?« fiel Bambu hastig ein.

»Ihr werdet sie befreien, und mich mit meinem Weibe wieder aussöhnen!«

»Ist sie bei Euch?«

»Wollte Gott! aber ein fürchterlicher Zauberer hält sie gefangen!«

»Und Euer Weib?«

»Sonst erzogen wir unsere Kinder gemeinschaftlich: ich gab ihnen Stärke und Muth; mein Weib Zartheit und Gefühl, und sie waren glücklich. Seit mich mein Weib verlassen hat, sind sie unglücklich. Meine Erziehung macht sie roh und wild, und sie werden gehaßt und verfolgt; die ihrige macht sie zu weich und zu zart, und sie können dem Zauberer nicht widerstehen.«

»Ich verstehe Euch nicht, alter Mann; sagt mir, wie kann ich Zoraiden befreien?«

»Der Ring, den Ihr an Eurer Hand tragt, war lange Zeit das Werkzeug der Bosheit; benutzt ihn jetzt zu Zoraidens Befreiung.«

Bambu wollte noch mehr fragen, aber der Greis schlug das Buch zu und verschwand. – »Welche seltsame Begebenheit!« sprach Bambu für sich. »Also dieser Ring? Habe ich ihn doch nie geachtet!« – Er zog ihn vom Finger und besah ihn: es war ein schwarzer Stein, in einen goldnen Reifen gefaßt; in seiner Mitte schien ein trüber Flecken zu sein. Bambu rieb ihn an seinem Kleide. Auf einmal war es ihm, als hörte er unzählige Stimmen sprechen. Viele davon waren ihm bekannt, aber er konnte keine deutlich unterscheiden. Er steckte den Ring wieder an, und jetzt hörte er seinen Vater, wie er den getreuen Hassan beschwor, ihm seine Kinder wiederzuschaffen, und wie der Premier in der Angst seines Herzens wieder vorschlug, das Orakel der mächtigen Toratina zu befragen. – Kurz darauf hörte er Zoraiden, wie sie ihr Schicksal beklagte, wie sie sich thöricht schalt, den Prinzen verschmäht zu haben, wie sie seinen Namen zärtlich ausrief und ihn beschwor, sie zu retten.

»Ja, das will ich, bei Gott, das will ich!« rief Bambu aus und schlug mit geballter Faust gegen den Felsen an. Da bewegte sich auf einmal der ganze Berg; ein pfeifender Wind streifte durch die Höhle, und im Nu stand derselbe Riese, mit dem er vor einigen Tagen gekämpft hatte, vor ihm.

Bambu erschrak. »Ich diene Dir,« sagte der Riese, »Du hast gerufen, sage mir Deine Befehle!«

»Wohlan!« versetzte Bambu, »bringe mich zu Zoraiden.«

»Wenn der Tag erwacht,« sagte der Riese, »bringe ich Dich zu ihr!«

Traurig, daß von einem Tage zum andern ihre Erwartung getäuscht wurde, war Zoraide wieder an ihre mühselige Arbeit gegangen; sie verrichtete sie bloß maschinenmäßig, indeß sie mit den Gedanken auf den Fluren ihrer Heimath umherschweifte. Da hörte sie auf einmal ein Geräusch außerhalb der Burg; die Ketten an der Zugbrücke wurden gewaltsam niedergerissen, und ein junger Ritter trat herein und näherte sich ihr.

»Ist es möglich, Zoraide?«

»Ach, Prinz!« rief sie, und die Thränen stürzten aus ihren Augen.

»Wie hab' ich Sie gesucht!«

»Was hab' ich gelitten, seit ich aus dem Hause des Vaters bin!«

»Ist es möglich! solche niedrige Arbeiten?«

»Ach, Bambu, retten Sie mich!«

Bambu war heftig gerührt; er schlang seinen Arm um sie, nahm das Schwert in seine Rechte und führte sie nach dem offenen Thore. In demselben Augenblicke kam der Herr der Burg mit allen seinen Dienern und stürzte auf den Prinzen los und riß Zoraiden aus seinen Armen, aber Bambu kämpfte wie ein ergrimmter Löwe; ohne zu fragen, wie viel gegen ihn waren, bahnte er sich einen Weg zu Zoraiden. Die Prinzessin war dem Zauberer zu Füßen gefallen und rang die Hände. Der Unerbittliche spottete ihrer Thränen. »Aus meiner Gewalt,« sagte er höhnisch, »kann Dich kein Mensch befreien!«

»Aber ich!« tönte eine Stimme aus den Wolken.

»Und siehe! Toratina, die Mächtige, schwebte herab, und leblos starrte sie der ganze Haufe an. Der Prinz beugte sein Knie vor ihr, und sie legte lächelnd Zoraidens Hand in die seinige, und versetzte sie im Nu zu der heiligen Quelle in ihrem Garten, wo eben der gute König von Ix mit seinem getreuen Hassan angekommen war, um das Orakel über das Schicksal seiner Kinder zu befragen. Der alte König weinte wie ein Kind, und der Premier hatte einen so freudigen Schreck, daß ihm zum ersten Male in seinem Leben die Worte fehlten.

Aber die Harfe im Bache sang:

Wie des Bächleins Wellen mit Krümmen
Ueber Blumen und Kies und Gestein
Hinab- und hinunterschwimmen,
Ins weite Meer hinein:
Also, du Kind der Erde,
Zwischen Lust und zwischen Beschwerde,
Von Einem gestoßen zum Andern
Nach deinem Grabe mußt wandern!

Des Lebens Rausch, der Jugend Wahn
Lacht dich nur einmal freundlich an,
Des Stolzes Triebe
Führen dich ab vom Wege der Liebe;
Aber das Leben ergreift dich kalt und stumm,
Du siehst nach Gefährten und Freunden dich um,
Dann naht sich dir liebend die Bruderhand,
Ach, so lange verkannt!
Und du fühlst es in deiner erweichten Brust:
Nur Liebe giebt Frieden, nur Liebe giebt Lust!


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