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Nun wills auch Zeit sein, daß wir, nachdem wir wissen, wie weit weltliche Gewalt sich erstreckt, (auch darüber schreiben), wie ein Fürst sich verhalten solle um derer willen, die auch gern christliche Fürsten und Herrn sein wollen und auch in jenes Leben zu kommen gedenken, welcher (allerdings) gar sehr wenige sind. Denn Christus beschreibt selbst die Art der weltlichen Fürsten Luk. 22, 25, da er sagt: »Die Könige der Völker herrschen, und ihre Mächtigen heißet man gnädige Herren«. Denn sie denken nicht anders: wenn sie als Herren geboren oder erwählt sind, so haben sie ein Recht darauf, daß sie sich dienen lassen und mit Gewalt regieren. Welcher nun ein christlicher Fürst sein will, der muß wahrlich die Meinung ablegen, daß er [272] herrschen und mit Gewalt verfahren wolle. Denn verflucht und verdammt ist alles Leben, das sich selbst zu Nutzen und zugute gelebt und gesucht wird, verflucht alle Werke, die nicht in der Liebe erfolgen. Dann aber erfolgen sie in der Liebe, wenn sie nicht auf eigene Lust, Nutzen, Ehre, Sicherheit und Heil, sondern auf anderer Nutzen, Ehre und Heil von ganzem Herzen gerichtet sind.
Darum will ich hier nichts von weltlichen Händeln und Gesetzen der Obrigkeit sagen; denn das ist eine weitläufige Sache, und es sind allzuviel Rechtsbücher da. (Nur soviel dazu:) ein Fürst, der nicht selbst klüger ist als seine Juristen und nichts weiter versteht, als in den Rechtsbüchern steht, wird gewiß nach dem Wort Sprüche 28, 16 regieren: »Wenn ein Fürst ohne Verstand ist, so geschieht viel Unrecht«. Denn wie gut und billig die Rechte sind, so haben sie doch allesamt eine Ausnahme: daß sie gegen die Not nicht ankönnen. Darum muß ein Fürst das Recht ja so fest in seiner Hand haben wie das Schwert und mit eigener Vernunft ermessen, wann und wo das Recht der Strenge nach zu brauchen oder wo es zu lindem sei, so daß die Vernunft allezeit über alles Recht regiere, und das oberste Recht und Meister alles Rechts bleibe. Gleichwie ein Hausvater, obwohl er für sein Gesinde und Kinder bestimmte Zeit und Maß für Arbeit und Speise festsetzt, dennoch solche Satzung in seiner Macht behalten muß, daß er sie ändern oder mildern könne, wo sich ein Fall begäbe, daß sein Gesinde krank, gefangen, festgehalten, betrogen oder sonst verhindert würde, so daß er nicht mit (gleicher) Strenge mit den Kranken wie mit den Gesunden verfahre. Das sage ich deshalb, damit man nicht meine, es sei genug und köstlich Ding, wenn man dem geschriebenen Recht oder den Räten der Juristen folgt. Es gehört mehr dazu.
Wie soll dann ein Fürst tun, wenn er nicht so klug ist und sich durch Juristen und Rechtsbücher regieren lassen muß? Antwort: Deshalb habe ich gesagt, daß Fürstenstand ein gefährlicher Stand ist. Und wo er nicht selbst so klug ist, daß er selbst beides, sein Recht und seine Räte, regiert, da geht es nach dem Spruch Salomos Pred. 10, 16: »Weh dir, Land, dessen König ein Kind ist«. Das erkannte auch Salomo; darum verzagte er an allem Recht, das ihm auch Mose durch Gott vorgeschrieben hatte, und an allen seinen Fürsten und Räten, und wandte sich zu Gott selbst und bat ihn um ein weises Herz, das Volk zu regieren. Diesem Vorbild nach muß ein Fürst auch tun, mit Furcht verfahren und sich weder auf tote Bücher noch auf lebendige Köpfe verlassen, sondern sich bloß an Gott halten, ihm in den Ohren [273] liegen und um rechtes Verständnis über alle Bücher und Meister hinaus bitten, um seine Untertanen weise zu regieren. Deshalb weiß ich einem Fürsten kein Recht vorzuschreiben, sondern will nur sein Herz unterrichten, wie das in allen Rechten, Räten, Urteilen und Händeln gesinnt und beschaffen sein soll. Wo er sich so verhält, wird ihm Gott gewiß geben, daß er alle Rechte, Räte und Händel gut und göttlich ausrichten kann.
Aufs erste muß er seine Untertanen ansehen und dabei sein Herz recht rüsten. Das tut er aber dann, wenn er all seinen Sinn dahin richtet, daß er denselben nützlich und dienlich sei, und nicht so denke: Land und Leute sind mein, ich wills machen, wie mirs gefällt, sondern so: Ich bin des Landes und der Leute, ich solls machen, wie es ihnen nützlich und gut ist. Nicht soll ich suchen, wie ich hoch einherfahre und herrsche, sondern wie sie in gutem Frieden beschützt und verteidigt werden. Und er soll sich Christus vor seine Augen stellen und sagen: Siehe, Christus, der oberste Fürst, ist gekommen und hat mir gedient, nicht gesucht, wie er Gewalt, Gut und Ehre an mir hätte, sondern er hat nur meine Not angesehen und alles daran gewandt, daß ich Gewalt, Gut und Ehre an ihm und durch ihn hätte. So will ich auch tun: nicht an meinen Untertanen das Meine suchen, sondern das Ihre, und will ihnen auch so mit meinem Amt dienen, sie schützen, ihnen nachsichtig sein und sie verteidigen, und allein mit der Absicht regieren, daß sie und nicht ich Gutes und Nutzen davon haben. Daß also ein Fürst sich in seinem Herzen seiner Gewalt und Obrigkeit entäußere und sich des Bedürfnisses seiner Untertanen annehme und darin handle, als wäre es sein eigenes Bedürfnis. Denn so hat uns Christus getan, und das sind die Werke eigentlicher christlicher Liebe. Da sprichst du denn: Wer wollte dann Fürst sein? Auf diese Weise würde der Fürstenstand der elendeste auf Erden sein, da viel Mühe, Arbeit und Unlust drinnen ist. Wo wollten dann die fürstlichen Ergötzungen mit Tanzen, Jagen, Rennen, Spielen bleiben und was dergleichen weltlicher Freuden (mehr) sind? Da antworte ich: wir lehren jetzt nicht; wie ein weltlicher Fürst leben solle, sondern wie ein weltlicher Fürst ein Christ sein solle, daß er auch gen Himmel komme. Wer weiß das nicht, daß ein Fürst Wildbret im Himmel (d. h. mehr als selten) ist? Ich rede auch nicht deshalb davon, weil ich hoffe, weltliche Fürsten werdens annehmen, sondern falls irgendeiner wäre, der auch gern ein Christ wäre und wissen wollte, wie er verfahren solle. Denn ich bin dessen wohl sicher, daß Gottes Wort sich nicht nach den Fürsten richten noch beugen wird, sondern die Fürsten müssen sich nach ihm richten, Mir ist genug, wenn ich anzeige, daß es einem Fürsten nicht unmöglich sei, ein Christ zu sein, obwohl es selten ist und mühsam zugeht. Denn wo sie sich so drein schickten, daß ihr Tanzen und Jagen und Rennen den Untertanen ohne Schaden wäre, und sie ihr Amt sonst gegen sie in der Liebe gehen ließen, würde Gott nicht so hart sein, daß er ihnen nicht Tanz und Jagd und Rennen gönnen sollte. Aber es würde sich von selbst wohl ergeben, daß gar mancher liebe Tanz, Jagd, Rennen und Spielen unterbleiben müßten, wenn sie ihre Untertanen ihrem Amt nach betreuen und besorgen sollten. Aufs zweite (ist es erforderlich), daß er auf die großen Hansen, auf seine Räte, acht habe und sich gegen sie so verhalte, daß er keinen verachte, (aber) auch keinem so vertraue, sieh in allem auf ihn zu verlassen. Denn Gott kann keines von beiden leiden. Er hat einmal durch einen Esel geredet (4. Mose 22, 28), deshalb ist kein Mensch zu verachten, wie gering er sei. Umgekehrt hat er den höchsten Engel vom Himmel fallen lassen, deshalb ist auf keinen Menschen zu vertrauen, wie klug, heilig und groß er sei, sondern man soll einen jeglichen hören und darauf warten, durch welchen Gott reden und wirken wolle. Denn das ist der größte Schaden an den Herrenhöfen, wenn ein Fürst seinen Sinn den großen Hansen und Schmeichlern gefangen gibt und seine eigene Meinungsbildung hintanstehen läßt, sintemal es nicht einen Menschen betrifft, wenn ein Fürst Fehler macht und närrisch ist, sondern Land und Leute müssen solches Närrischsein ausbaden. Deshalb soll ein Fürst seinen Gewaltigen so vertrauen und sie schaffen lassen, daß er dennoch den Zaum in der Faust behalte und nicht sicher sei noch schlafe, sondern sich kümmere und das Land (wie Josaphat es tat, 2. Chron. 19, 4 ff.) bereise und allenthalben besehe, wie man regiert und richtet. Dann wird er selbst erfahren, wie man keinem Menschen ganz vertrauen soll. Denn du darfst nicht denken, daß sich ein anderer deiner und deines Landes so eifrig annehme wie du, er sei denn voll (heiligen) Geistes und ein guter Christ. Ein natürlicher Mensch tuts nicht. Weil du denn nicht weißt, ob er ein Christ ist, oder wie lange ers bleibt, so kannst du dich auch nicht auf ihn sicher verlassen.
Und hüte dich nur vor denen am meisten, die da sagen: Ei, gnädiger Herr, vertraut mir Euer Gnaden nicht mehr als so viel? Wer will Euer Gnaden dienen usw.? Denn der ist gewiß nicht rein und will Herr im Lande sein und dich zum Narren machen. Denn wenn er ein rechtschaffener Christ und fromm wäre, würde ers gar gern haben, daß du ihm nichts (an)vertrauest, und würde dich deshalb loben und lieben, weil du ihm so genau drauf siehst. Denn gleich wie er göttlich handelt, so will und kann er leiden, daß [275] sein Tun vor dir und jedermann am Tage hegt, wie Christus Joh. 3, 21 sagt: »Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, daß seine Werke offenbar werden, denn sie sind in Gott getan«. Jener aber will dir die Augen blenden und im Finstern handeln, wie Christus daselbst auch V. 20 sagt: »Wer Arges tut, der hasset das Licht, daß seine Werke nicht an den Tag kommen«. Darum hüte dich vor ihm. Und wenn er deshalb murrt, so sprich: Lieber, ich tue dir kein Unrecht, Gott will nicht, daß ich mir selbst noch irgendeinem Menschen vertraue. Zürne mit ihm selbst deshalb, weil er solches haben will oder dich nicht als mehr als einen Menschen geschaffen hat. Obwohl, wenn du gleich ein Engel wärest, wollte ich dir dennoch auch nicht so ganz vertrauen, weil doch (auch) Luzifer nicht zu vertrauen gewesen ist; denn Gott allein soll man trauen.
Denke nur kein Fürst, daß ers besser haben werde als David, der aller Fürsten Vorbild ist. Der hatte einen solchen weisen Rat, Ahithophel genannt, daß der Text sagt, es habe so viel gegolten, was Ahithophel vorschlug, als wenn man Gott selbst gefragt hätte (2. Sam. 16, 23). Dennoch fiel er dahin und kam so tief, daß er David, seinen eigenen Herrn, verraten, erwürgen und vertilgen wollte, und David dazumal wohl lernen mußte, wie auf keinen Menschen zu vertrauen ist. Warum, meinst du, daß Gott solch greulich Exempel habe geschehen und niederschreiben lassen? Doch nur um die Fürsten und Herren vor dem allergefährlichsten Unglück zu warnen, das sie haben können, nämlich, daß sie niemand vertrauen sollen! Denn es ist ein gar jämmerlich Ding, wo an Herrenhöfen Schmeichler regieren oder der Fürst sich auf andere verläßt und sich ihnen gefangen gibt, jedermann machen läßt, wie ers macht.
Sagst du dann: Soll man denn niemand vertrauen, wie will man Land und Leute regieren? Antwort: Es jemand anbefehlen und es mit ihm wagen sollst du, jemandem vertrauen und dich darauf verlassen sollst du nicht, außer allein auf Gott. Du mußt die Ämter jemandem anbefehlen und es mit ihm wagen; aber du sollst ihm nicht weiter vertrauen denn als einem, der Fehler begehen könne, so daß du weiter aufpassen mußt und nicht schlafen darfst. Wie ein Fuhrmann seinen Rossen und Wagen vertraut, die er treibt, aber er läßt sie nicht von selbst fahren, sondern hält Zaum und Peitsche in der Hand und schläft nicht. Und merke die alten Sprichworte, die ohne allen Zweifel die Erfahrung gelehrt hat und die zutreffend sind: Des Herrn Auge macht das Pferd fett; ferner; des Herrn Fußstapfen düngen den Acker gut. Das heißt: wo der Herr selbst nicht drein [276] sieht und sich auf Räte und Knechte verläßt, da geht es nimmer recht. Das will Gott auch so haben und läßt es geschehen, auf daß die Herren durch die Not gezwungen werden, ihr Amt selbst wahrzunehmen, wie ein jeglicher seinem Beruf und alle Kreatur ihrem Werk obliegen muß; sonst werden Mastsäue und unnütze Menschen aus den Herren, die niemand als sich selbst nütze sind.
Aufs dritte: daß er achthabe, wie er mit den Übeltätern recht verfahre. Hier muß er gar klug und weise sein, auf daß er ohne der andern Verderben strafe. Und ich weiß hier abermals kein besseres Beispiel als David. Der hatte einen Hauptmann, mit Namen Joab, der tat zwei böse, tückische Streiche und erwürgte verräterisch zwei fromme Hauptmänner, womit er zweimal redlich den Tod verdient hatte. Dennoch tötete er ihn nicht bei seinen Lebzeiten, sondern befahl es seinem Sohn Salomo, ohne Zweifel deshalb, weil ers nicht ohne größeren Schaden und Aufsehen tun konnte (2. Sam. 3; 20; 1. Kön. 2, 5 f.). So muß auch ein Fürst die Bösen strafen, daß er nicht einen Löffel aufhebe und eine Schüssel zertrete und um eines Schädels willen Land und Leute in Not bringe und das Land voll Witwen und Waisen mache. Deshalb darf er nicht den Räten und Eisenfressern folgen, die ihn hetzen und aufreizen, Krieg anzufangen und sagen: Ei, sollten wir solche Worte und Unrecht leiden? Es ist ein gar schlechter Christ, der um eines Schlosses willen das Land in Gefahr bringt. Kurz: hier muß man sich nach dem Sprichwort verhalten: Wer nicht durch die Finger sehen kann, der kann nicht regieren. Deshalb sei das seine Regel: Wo er Unrecht nicht ohne größeres Unrecht strafen kann, da lasse er sein Recht fahren, es sei wie billig es wolle. Denn seinen Schaden soll er nicht achten, sondern der anderen Unrecht, das sie über seinem Strafen leiden müssen. Denn was haben so viele Weiber und Kinder verdient, daß sie Witwen und Waisen werden, auf daß du dich an einem unnützen Maul oder böser Hand rächest, die dir Leid getan hat?
Da sagst du dann: Soll denn ein Fürst nicht Krieg führen, oder seine Untertanen ihm nicht in den Streit folgen? Antwort: Das ist eine weitläufige Frage. Aber aufs kürzeste: christlich hierin zu verfahren, sage ich, daß kein Fürst gegen seinen Oberherrn, wie den König und Kaiser [277] oder sonst seinen Lehnsherrn, Krieg führen soll, sondern er soll nehmen lassen, wer da nimmt. Denn der Obrigkeit soll man nicht mit Gewalt widerstehen, sondern nur mit Bekenntnis der Wahrheit. Kehrt sie sich dran, ist es gut; wo nicht, so bist du entschuldigt und leidest Unrecht um Gottes willen. Ist aber der Widerpart deinesgleichen oder geringer als du oder eine fremde Obrigkeit, so sollst du ihm aufs erste Recht und Frieden anbieten, wie Mose die Kinder Israel lehrt. Will er dann nicht, so gedenke auf dein Bestes und wehre dich mit Gewalt gegen Gewalt, wie Mose das alles 5. Mose 20, 10 fein beschreibt. Und hierin mußt du nicht das Deine ansehen und wie du Herr bleibest, sondern deine Untertanen, denen du Schutz und Hilfe schuldig bist, auf daß solch Werk in der Liebe geschehe. Denn dieweil dein ganzes Land in Gefahr steht, mußt du es wagen, ob dir Gott helfen wollte, daß nicht alles verderbt werde. Und wenn du auch nicht wehren kannst, daß etliche Witwen und Waisen darüber werden, so mußt du doch wehren, daß nicht alles zu Boden gehe und lauter Witwen und Waisen werden.
Und hierin sind die Untertanen schuldig zu folgen, Leib und Gut daranzusetzen. Denn in solchem Fall muß einer um des andern willen sein Gut und sich selbst wagen. Und in solchem Krieg ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost zu würgen, zu rauben und zu brennen und alles zu tun, was (den Feinden) schädlich ist, bis man sie nach Kriegsbräuchen überwinde, nur daß man sich vor Sünden hüten, Weiber und Jungfrauen nicht schänden soll. Und wenn man sie überwunden hat, soll man denen, die sich ergeben und demütigen, Gnade und Frieden erzeigen, so daß man in solchem Fall den Spruch gelten lasse: Gott hilft dem Stärksten. Gleichwie Abraham tat, als er die vier Könige schlug, 1. Mose 14, da er freilich viel umgebracht und nicht viel Gnade erzeigt hat, bis er sie überwand. Denn solchen Fall muß man achten als von Gott zugeschickt; damit er einmal das Land reinige und böse Buben austreibe.
Wie, wenn ein Fürst unrecht hätte, ist ihm sein Volk dann auch schuldig zu folgen? Antwort: Nein. Denn gegen das Recht gebührt niemand zu tun; sondern man muß Gott (der Recht haben will) mehr gehorchen als den Menschen (Apg. 5, 29). Wie, wenn die Untertanen nicht wüßten, ob er recht hätte oder nicht? Antwort: Solange sie es nicht wissen noch durch möglichen Fleiß erfahren können, so mögen sie [278] ihm ohne Gefahr für die Seelen folgen. Denn in solchem Fall muß man das Gesetz Mose gebrauchen, 2. Mose 21, 13, da er schreibt, wie ein Mörder, der, ohne es zu wissen und ungern jemand tötet, durch Flucht in eine Freistatt und durchs Gericht losgesprochen werden soll. Denn welcher Teil hier geschlagen wird, er habe recht oder unrecht, muß es für eine Strafe von Gott aufnehmen. Welcher aber in solchem Unwissen schlägt und gewinnt, muß seine Schlacht so ansehen, als fiele jemand vom Dach und schlüge einen andern tot, und Gott die Sache anheimstellen. Denn es gilt bei Gott gleich viel, ob er dich durch einen rechten oder unrechten Herrn um dein Gut und Leib bringt. Du bist seine Kreatur, und er kanns mit dir machen, wie er will, wenn nur dein Gewissen unschuldig ist, So entschuldigt auch Gott selbst König Abimelech, 1. Mose 20, 6, als er Abraham sein Weib nahm; nicht daß er recht daran getan hat, sondern weil er nicht gewußt hatte, daß es Abrahams Weib war.
Aufs vierte (das wohl das erste sein sollte, wovon wir auch oben geredet haben) soll sich ein Fürst gegen seinen Gott auch christlich halten, das heißt, daß er sich ihm mit ganzem Vertrauen unterwerfe und ihn um Weisheit bitte, gut zu regieren, wie Salomo tat (1. Kön. 3, 9). Aber vom Glauben und Vertrauen in Gott hab ich sonst so viel geschrieben, daß es hier nicht vonnöten ist, weiter davon zu erzählen. Deshalb wollen wirs hierbei bleiben lassen und mit der Zusammenfassung beschließen, daß ein Fürst sich in vier Richtungen wenden soll: aufs erste: zu Gott mit rechtem Vertrauen und herzlichem Gebet, aufs zweite: gegen seine Untertanen mit Liebe und christlichem Dienst, aufs dritte: gegen seine Räte und Gewaltigen mit freier Vernunft und unbefangenem Verstand, aufs vierte: gegen die Übeltäter mit bescheidenem Ernst und Strenge. So geht sein Stand auswendig und inwendig recht, der Gott und den Menschen gefallen wird. Aber er muß sich auf viel Neid und Leid deswegen gefaßt machen, das Kreuz wird solchem Vorhaben gar bald auf dem Hals liegen.
Am Ende, als eine Zugabe, muß ich hier auch denen antworten, die von der »Restitution« disputieren, das ist, vom Wiedergeben unrechten Gutes. Denn solches ist ein allgemeines Werk weltlichen Schwertes, und wird viel davon geschrieben und manch unbegründete Schärfe hierin gesucht. Aber ich wills alles in Kürze fassen und alle solche Gesetze und Schärfe, die davon gemacht sind, auf einmal verschlingen, und zwar so: Man kann hierin kein sichereres Gesetz finden als der Liebe Gesetz. Aufs erste: wenn ein solcher Handel vor dich kommt, da einer dem andern etwas wiedergeben soll: sind sie beide Christen, so ist die Sache bald entschieden; denn keiner wird dem andern das Seine vorenthalten, ebenso wirds auch keiner zurückfordern, Ist aber einer Christ, nämlich der, dem zurückgegeben werden soll, so ists abermals leicht zu entscheiden; denn er fragt nicht danach, obs ihm nimmer wieder (gegeben) werde. Desgleichen: ist der Christ, der zurückgeben soll, so wird ers auch tun. Es sei aber einer Christ oder nicht Christ, so sollst du so über das Wiedergeben urteilen: Ist der Schuldner arm und vermags nicht zurückzugeben, und der andere nicht arm, so sollst du hier der Liebe Recht frei gehen lassen und den Schuldner lossprechen. Denn der andere ist auch noch der Liebe Recht schuldig, ihm solches nachzulassen und (ihm) noch (etwas darüber hinaus) zu geben, wenn es nötig ist. Ist aber der Schuldner nicht arm, so laß ihn zurückgeben, soviel er kann, es sei ganz, die Hälfte, den dritten oder vierten Teil, (jedenfalls so), daß du ihm dennoch ausreichend Haus, Nahrung und Kleidung für sich, sein Weib und Kind lassest. Denn solches wärest du ihm schuldig, wenn du es vermöchtest; um so viel weniger sollst du es nun nehmen, dieweil du sein nicht bedarfst und er es nicht entbehren kann.
Sind sie aber beide Unchristen, oder der eine will nicht nach der Liebe Recht richten lassen, die sollst du einen andern Richter suchen lassen und ihm ansagen, daß sie gegen Gott und natürliches Recht handeln, ob sie gleich bei Menschenrecht die strenge Schärfe erlangen. Denn die Natur lehrt, wie die Liebe tut: daß ich tun soll, was ich mir getan haben wollte. Deshalb kann ich niemand so entblößen, ein wie gutes Recht ich immer habe, wenn ich selbst nicht gern so entblößt sein wollte; sondern wie ich wollte, daß ein anderer sein Recht an mir in solchem Fall unterließe, so soll ich auch auf mein Recht verzichten.
So soll man mit allem unrechten Gut handeln, es sei heimlich oder öffentlich, daß immer die Liebe und das natürliche Recht die Oberhand habe. Denn, wo du der Liebe nach urteilst, wirst du gar leicht alle Sachen ohne alle Rechtsbücher entscheiden und richten. Wo du aber der Liebe und Natur Recht aus den Augen tust, wirst du es nimmermehr so treffen, daß es Gott gefalle, wenn du auch alle Rechtsbücher und Juristen gefressen hättest. Sondern sie werden dich nur umso mehr irremachen, je mehr du ihnen nachdenkst. Ein rechtes gutes Urteil, das muß und kann nicht aus Büchern gesprochen werden, sondern aus freiem Sinn heraus, als gäbe es kein (Gesetz)Buch. Aber solch freies Urteil gibt die Liebe und das natürliche Recht, wovon alle Vernunft voll ist. Aus den Büchern kommen überspannte und wankende Urteile.
Deshalb sollte man geschriebene Rechte niedriger als die [280] Vernunft achten, aus der sie doch als aus dem Rechtsbrunnen gequollen sind, und nicht den Brunnen an seine Flüßlein binden und die Vernunft mit Buchstaben gefangen führen.
Quelle: Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers. In neuer Auswahl für die Gegenwart. Herausgeben von Kurt Aland. Band 7: Martin Luther. Der Christ in der Welt. 2., erweiterte und neubearbeitete Auflage 1967. Göttingen:Ehrenfried Klotz Verlag im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. S. 9-51.