Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das erste Hauptstück. Die Zehn Gebote

 

Das erste Gebot

Du sollst nicht andere Götter haben neben mir

 

Einen Gott haben bedeutet, etwas haben, an das ich mein Herz hänge und dem ich unbedingt vertraue

Das heißt: Du sollst mich allein für deinen Gott halten. Was ist damit gesagt und wie ist es zu verstehen? Was heißt »einen Gott haben«, bzw. was ist Gott? Antwort: Ein »Gott« heißt etwas, von dem man alles Gute erhoffen und zu dem man in allen Nöten seine Zuflucht nehmen soll. »Einen Gott haben« heißt also nichts anderes, als ihm von Herzen vertrauen und glauben; wie ich oft gesagt habe, dass allein das Vertrauen und Glauben des Herzens etwas sowohl zu einem Gott als zu einem Abgott macht. Ist der Glaube und das Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht, und umgekehrt, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zuhauf (zusammen), Glaube und Gott. Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und [worauf du dich] verlässest, das ist eigentlich dein Gott.

Der Sinn des ersten Gebotes: Häng dein Herz allein an Gott und nicht an andere Götter

Darum ist nun der Sinn dieses Gebotes der, dass es rechten Glauben und Zuversicht des Herzens fordert, welche sich auf den rechten, einzigen Gott richtet und an ihm allein hängt. Und zwar will es soviel gesagt haben: »Sieh zu und lasse mich allein deinen Gott sein (ego solus Deus) und suche ja keinen andern.« Das heißt: was dir mangelt an Gutem, das erhoffe von mir und suche bei mir, und wenn du Unglück und Not zu leiden hat, so kriech und halt dich zu mir. Ich, ich will dir genug geben und aus aller Not helfen; lass nur dein Herz an keinem andern hangen noch ruhn.

Konkret heißt das: Häng dein Herz nicht an den Gott Geld und Gut, sondern an den wahren Gott

Das muss ich noch ein wenig deutlicher ausführen, dass man's aus alltäglichen Beispielen von gegenteiligen Verhalten verstehe und erkenne. Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles zur Genüge, wenn er Geld und Gut hat; er verlässt sich darauf und brüstet sich damit so steif und sicher, dass er auf niemand etwas gibt. Sieh, ein solcher hat auch einen Gott: der heißt Mammon, d.h. Geld und Gut; darauf setzt er sein ganzes Herz. Das ist ja auch der allgemeinste Abgott auf Erden. Wer Geld und Gut hat, der weiß sich in Sicherheit, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies; und umgekehrt, wer keins hat, der zweifelt und verzagt, als wisse er von keinem Gott. Denn man wird ja ganz wenig Leute finden, die guten Mutes sind und weder trauern noch klagen, wenn sie den Mammon nicht haben; das klebt und hängt der [menschlichen] Natur an bis in die Grube.

Häng dein Herz nicht an den Gott Wissen, Macht und Einfluss, sondern an den wahren Gott

Ebenso ist`s auch [mit einem], der darauf vertraut und trotzt, dass er großes Wissen, Klugheit, Gewalt, Beliebtheit, Freundschaft und Ehre hat. Der hat auch einen Gott, aber nicht diesen rechten, alleinigen Gott. Das siehst du abermals daran, wie vermessen, sicher und stolz man auf Grund solcher Güter ist, und wie verzagt, wenn sie nicht vorhanden sind oder einem entzogen werden. Darum sage ich noch einmal, dass die rechte Auslegung dieses Stückes das ist: »einen Gott haben« heißt etwas haben, worauf das Herz gänzlich vertraut.

Wer sein Herz an die Heiligen und an den Teufel hängt, glaubt nicht an den wahren Gott

Sieh ebenso auf das, was wir bisher in der Blindheit unter dem Papsttum getrieben und getan haben: Wenn jemandem ein Zahn weh tat, so fastete er und verehrte die hl. Apollonia, fürchtete sich vor einer Feuersnot, so machte er den hl. Lorenz zum Nothelfer; flüchtete er sich vor der Pest, so geschah noch unzählig viel mehr, da jeder seinen Heiligen auswählte, anbetete und anrief, ihm in [seinen] Nöten zu helfen. Hierher gehören auch die, die es gar zu grob treiben und mit dem Teufel einen Bund machen, das er ihnen Geld genug gebe oder ihn zu ihrer Buhlschaft (Liebschaft) verhelfe, ihr Vieh bewahre, verlorenes Gut wiederbeschaffe usw., wie z.B. die Zauberer und Schwarzkünstler. Diese alle richten ja ihr Herz und ihr Vertrauen anderswohin als auf den wahrhaftigen Gott; sie erwarten nichts Gutes von ihm, suchen´s aber auch nicht bei ihm.

Der unfassliche Gott wird fassbar, wenn sich unser Herz an ihn hängt und ihm unbedingt vertraut

So verstehst du nun leicht, was und wieviel dieses Gebot fordert: nämlich das ganze Herz des Menschen und alle Zuversicht allein auf Gott und niemanden anderes. Denn das kannst du dem leicht entnehmen, wenn man Gott haben will, kann man ihn nicht mit den Fingern greifen und fassen und nicht in den Beutel stecken oder in den Kasten schließen. Vielmehr heißt das ihn fassen, wenn das Herz ihn ergreift und an ihm hängt; mit dem ganzen Herzen aber an ihm hängen ist nichts anderes als sich gänzlich auf ihn verlassen

Gott will uns alles Gute schenken, das wir von anderen Göttern erwarten, der er der einzige und bleibende Gott ist

Darum will er uns von allem andern, was außer ihm ist, abwenden und uns zu sich ziehen, weil er das einzige, ewige Gut ist. Es ist, als wollte er sagen: Was du vorher bei den Heiligen gesucht oder wofür du auf den Mammon und sonst etwas vertraut hast, das erwarte alles von mir, und halte mich für den, der dir helfen und dich mit allem Guten reichlich überschütten will. Sieh, damit hast du nun, was die rechte Ehrung Gottes und der rechte Gottesdienst ist, der Gott gefällt und den er auch bei seinem ewigen Zorn gebietet, nämlich: Das Herz soll sonst keinen Trost und keine Zuversicht kennen als zu ihm; es darf sich auch nicht davon wegreißen lassen, sondern muss darüber alles wagen und hintansetzen, was es auf Erden gibt.

Die Menschen verwechseln ihre Wunschvorstellungen von Gott mit Gott. Ihr Vertrauen ist fehlgeleitet und gründet auf dem reinen Nichts

Demgegenüber wirst du leicht einsehen und beurteilen, wie die Welt lauter falschen Gottesdienst und Abgötterei treibt; denn es ist nie ein Volk, so ruchlos gewesen, dass es nicht einen Gottesdienst eingerichtet und gehalten hätte. Da hat jedermann den zu seinem besonderen Gott aufgeworfen, von dem er sich Gutes, Hilfe und Trost versprochen hat. So warfen z.B. diejenigen Heiden, die ihr Vertrauen auf Gewalt und Herrschaft setzten, ihren Jupiter zum höchsten Könige auf; die andern, die nach Reichtum, nach Glück oder nach Lust und guten Tagen trachteten, den Herkules, den Merkur, die Venus oder andere; die schwangeren Frauen die Diana oder Luciana und so fort, es machte sich jedermann das zum Gott, wohin ihn sein Herz zog. So heißt also eigentlich, auch nach aller Heiden Meinung; »einen Gott haben« soviel wie vertrauen und glauben. Der Fehler liegt aber daran, dass ihr Vertrauen falsch und unrecht ist; denn es ist nicht auf den einzigen Gott gerichtet, außer dem es wahrhaftig keinen Gott gibt weder im Himmel noch auf Erden. Deshalb machen die Heiden eigentlich ihr selbsterdachtes Wahn- und Traumbild von Gott zum Abgott und verlassen sich aufs lautere Nichts. Ebenso ist es mit aller Abgötterei bestellt. Denn sie besteht nicht bloß darin, dass man ein Bild aufrichtet und anbete, sondern vor allem in einem Herzen, welches anderswohin gafft und bei den Kreaturen, bei Heiligen oder Teufeln Hilfe und Trost sucht: es kümmert sich nicht um Gott und verspricht sich von ihm nicht soviel Gutes, dass er helfen wolle; es glaubt auch nicht, dass das von Gott komme, was ihm Gutes widerfährt.

Wer sich durch eigene Werke den Himmel verdienen und mit Gott ins Geschäft kommen will, macht aus Gott einen Götzen und sich selber zum Gott

Außerdem gibt es auch einen falschen Gottesdienst und [zwar ist das] die höchste Abgötterei, die wir bisher getrieben haben und die noch immer in der Welt regiert; darauf sind auch alle geistlichen Stände gegründet. Sie betrifft allein das Gewissen, das da in eigenen Werken Hilfe, Trost und Seligkeit sucht und Gott den Himmel abzuzwingen sich vermisst. Und es berechnet, wie viel es gestiftet, gefastet, Messe gehalten hat usw., verlässt sich darauf und pocht darauf, als wolle es nichts von Gott geschenkt nehmen, sondern alles selbst erwerben oder mit überschüssigen [guten] Werken verdienen, gerade als müsste er in unserem Dienste stehen und unser Schuldner, wir aber seine Lehensherrn sein. Was heißt das anderes, als aus Gott einen Götzen, ja einen Apfelgott machen und sich selbst für Gott halten und aufwerfen? Aber das ist ein wenig zu scharfsinnig und gehört nicht vor die jungen Schüler.

»Gott« ist von »gut« abzuleiten, denn sein Wesen ist die Güte und alles Gute kommt von ihm

Das sei aber den einfachen Menschen gesagt, damit sie den Sinn dieses Gebots wohl in acht nehmen und behalten: man soll allein Gott (Deo soli) vertrauen und nur Gutes sich von ihm versprechen und von ihm erwarten. Denn er ist's, der uns Leib, Leben, Essen, Trinken, Nahrung, Gesundheit, Schutz, Frieden und alles Nötige an zeitlichen und ewigen Gütern gibt; dazu bewahrt er vor Unglück und errettet und hilft heraus, falls uns etwas wiederfährt. So ist also Gott, wie nun genug gesagt, allein der, von dem man alles Gute empfängt und durch den man alles Unglück los wird. Das ist auch meines Erachtens der Grund, dass wir Deutschen »Gott« mit eben diesem Namen von altersher nennen – feiner und treffender als irgend eine andere Sprache – nach dem Wörtlein »gut«, weil er ein ewiger Quellbrunnen ist, der von lauter Güte überfließt und von dem alles, was gut ist und gut heißt, ausfließt.

Die Drohung und die Verheißung, des ersten Gebots (oder Gesetz und Evangelium)

Damit man deshalb sehe, dass Gott das nicht in den Wind geschlagen haben will, sondern ernstlich darüber zu wachen gewillt ist, hat er zu diesem Gebot zuerst eine schreckliche Drohung, darnach eine schöne, tröstliche Verheißung dazugesetzt; das soll man auch recht einüben und dem jungen Volk einbleuen, dass sie es zu Herzen nehmen und behalten:

Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der an denen, die mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht bis zu den Kindern im dritten und vierten Glied, aber denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis in tausend Glied.

Diese Drohung und Verheißung gilt für das erste und Hauptgebot, aber auch für alle anderen Gebote: Gott zürnt denen, die sich auf Götzen verlassen, er ist gnädig denen, die ihm unbedingt vertrauen

Obwohl indessen diese Worte sich, wie wir nachher hören werden, auf alle Gebote beziehen, so sind sie doch gerade zu diesem Hauptgebot gesetzt. Kommt es doch am meisten darauf an, dass der Mensch ein rechtes Haupt hat; denn wo das Haupt recht geht, da muss auch das ganze Leben recht gehen, und umgekehrt. So lerne nun aus diesen Worten, wie zornig Gott über die ist, die sich auf irgend etwas außer ihm verlassen; [und] umgekehrt, wie gütig und gnädig er denen ist, die ihm allein von ganzem Herzen vertrauen und glauben: der Zorn lässt nicht nach bis ins vierte Geschlecht oder Glied, die Wohltat oder Güte dagegen wirkt sich auf viele tausend aus.

Das Gute, das Menschen tun, empfangen wir nicht von ihnen, sondern durch sie von Gott

Denn mag uns auch sonst viel Gutes von Menschen widerfahren, so gilt doch alles als von Gott empfangen, was man auf seinen Befehl und seine Anordnung hin empfängt. Unsere Eltern und alle Obrigkeit, ferner jedermann seinem Nächsten gegenüber, haben ja den Befehl, dass sie uns Gutes aller Art tun sollen. Wir empfangen es also nicht von ihnen, sondern durch sie von Gott. Denn die Kreaturen sind nur die Hand, das Rohr und das Mittel, wodurch Gott alles gibt, wie er der Mutter Brüste Milch gibt, um sie dem Kinde zu reichen, und wie er Korn und Gewächs aller Art aus der Erde zur Nahrung gibt: lauter Güter, deren keines eine Kreatur selbst machen kann. Deshalb soll sich kein Mensch unterstehen, etwas zu nehmen oder zu geben, wenn es nicht von Gott befohlen ist; denn man soll's als seine Gaben erkennen und ihm dafür danken, wie es dieses Gebot fordert. Darum soll man auch diese Mittel, [durch die wir] durch die Kreaturen Gutes empfangen, nicht ausschlagen noch in Vermessenheit andere Weisen und Wege suchen, als Gott befohlen hat. Denn das hieße nicht von Gott empfangen, sondern von sich selbst aus gesucht.

Erforsche dein Herz, ob es allein an Gott hängt!

Da sehe nun jeder bei sich selbst darauf, dass man dieses Gebot mehr als alle Dinge groß und hoch achte und nicht als einen Scherz behandle. Befrage und erforsche dein eigenes Herz genau; dann wirst du wohl finden, ob es allein an Gott (ex solo Deo) hängt oder nicht. Hast du ein solches Herz, das imstande ist, nur Gutes von ihm zu erwarten, besonders in Nöten und bei Mangel, [und] dazu alles gehen und fahren zu lassen, was nicht Gott ist, – dann hast du den einen rechten Gott. Umgekehrt, hängt das Herz an etwas anderem, von dem es als Trost sich mehr Gutes und Hilfe verspricht als von Gott, und läuft es, wenn es ihm übel geht, nicht zu ihm hin, sondern flieht vor ihm, – dann hast du einen andern, [einen] Abgott.

Diese Drohung hat Gott in der Geschichte wahr gemacht durch sein unerbittliches Gericht über alle Abgötterei

Man darf daher nicht so sicher hingehen und sich in Gefahr begeben, wie die rohen Herzen denken, es liege nicht viel daran. Er ist ein solcher Gott, der es nicht ungerächt lässt, wenn man sich von ihm abwendet, und der nicht aufhört zu zürnen bis ins vierte Glied, so lange, bis sie durch und durch ausgerottet werden. darum will er gefürchtet und nicht verachtet sein. Das hat er auch bei allen Historien und Geschichten bewiesen, wie uns das die [Hl.] Schrift reichlich bezeugt, und wie es noch die tägliche Erfahrung lehren kann. Denn er hat von Anfang an alle Abgötterei, und um ihretwillen sowohl Heiden als Juden ganz ausgerottet.

Die furchtbare Realität seines Zornes werden auch heute alle erfahren, die gegen Gott auftrotzen

Ebenso stürzt er auch heutigentages allen falschen Gottesdienst, so dass schlussendlich alle, die darin verharren, untergehen müssen. [Es mag] darum [sein], dass man gleich jetzt stolze, gewaltige und reiche Wänste findet, die auf ihren Mammon trotzen, ohne darnach zu fragen, ob Gott zürne oder lache, als könnten sie sich wohl getrauen, seinen Zorn auszuhalten. Aber sie werden es doch nicht ausführen, sondern werden, ehe man sich's versieht, zum Scheitern kommen mit allem, worauf sie getraut haben; wie alle andern untergegangen sind, die sich wohl [noch] sicherer und mächtiger gefühlt haben.

Drohung und Zorn sind notwendig wegen der menschlichen Selbstsicherheit und Vermessenheit

Und eben um solcher harten Köpfe willen, die meinen, weil [Gott] zusehe und sie so fest auf ihrem Sitze lasse, so wisse er nichts davon oder kümmere sich nicht darum, [um ihretwillen] muss er derartig dreinschlagen und strafen, dass er's nicht vergessen kann bis auf ihre Kindeskinder, damit jedermann daran stutzig werde und daraus sehe, dass es ihm kein Scherz ist. Denn diese sind's auch, die er meint, wenn er sagt: »Die mich hassen«. Das sind die, die auf ihrem Trotz und Stolz beharren: was man ihnen predigt oder sagt, wollen sie nicht hören; tadelt man sie, damit sie zur Selbsterkenntnis kommen und sich bessern, ehe die Strafe angeht, dann werden sie toll und töricht, damit sie den Zorn redlich verdienen. Diese Erfahrung machen wir auch jetzt täglich bei Bischöfen und Fürsten.

Stärker ist der Trost: Gott macht die Verheißung seiner ewigen Gnade wahr an denen, die ihm unbedingt vertrauen

So schrecklich aber diese Drohworte sind, – ein viel mächtigerer Trost liegt in der Verheißung, dass die, die sich allein an Gott halten, dessen gewiss sein sollen, dass er Barmherzigkeit an ihnen erzeigen will; d.h. [er will] lauter Gutes und Wohltat beweisen, nicht bloß an ihnen, sondern auch an ihren Kindern bis ins tausendste und abermals tausendste Geschlecht. Das sollt uns wahrlich dazu bewegen und antreiben, uns von Herzen auf Gott zu verlassen mit aller Zuversicht, wenn anders wir begehren, alles Gute in Zeit und Ewigkeit zu haben; kommt doch die hohe Majestät uns so sehr entgegen, ermuntert uns so herzlich und gibt uns so reiche Verheißungen.

Doch der Augenschein scheint der Verheißung des ewigen Segens und Glücks zu widersprechen

Darum lasse sich das jeder ernstlich zu Herzen gehen, dass man's nicht so ansehe, als hätte es [nur] ein Mensch gesagt. Denn es trägt dir entweder ewigen Segen, Glück und Seligkeit, oder ewigen Zorn, Unglück und Herzeleid ein. Was willst du mehr haben oder begehren, als dass er dir so freundlich verheißt, er wolle Dein sein mit allem Guten, dich schützen und dir helfen in allen Nöten? Der Fehler liegt nur leider daran, dass die Welt nichts davon glaubt und es nicht für Gottes Wort hält. Sie sieht nämlich: diejenigen Menschen, die Gott und nicht dem Mammon vertrauen, haben Kummer und Not zu leiden, und der Teufel widersetzt sich ihnen und hindert sie, so dass sie weder Geld noch Beliebtheit noch Ehre, dazu kaum das Leben behalten. Umgekehrt, diejenigen, die dem Mammon dienen, haben Gewalt, Beliebtheit, Ehre, Gut und Sicherheit vor der Welt. Deshalb muss man begreifen, dass jene Worte eben gegen diesen Augenschein gerichtet sind, und muss wissen, dass sie nicht lügen und trügen sondern wahr werden müssen.

Die Verheißung wird trotzdem gegen den Augenschein recht behalten

Denke du selbst zurück, oder frage darnach und sage mir [dann]: Was haben die, die alle ihre Sorge und ihren Fleiß darauf verwandt haben, viel Gut und Geld zusammenzuscharren, schließlich erreicht? Du wirst [dann] finden, dass sie Mühe und Arbeit verloren haben; oder wenn sie auch große Schätze zusammmengebracht haben, [so ist es] doch zerstoben und verflogen, so dass sie selber ihres Gutes nie froh geworden sind, und dass es nach ihnen nicht bis auf die dritten Erben gekommen ist. Beispiele [hierfür] wirst du genug finden in allen Historien, auch von alten, erfahrenen Leuten; sieh sie dir nur an und gib acht darauf. Saul war ein großer König, von Gott erwählt, und ein frommer Mann, aber als er fest auf dem Throne saß und sein Herz Niedrigerem zuwandte und sich an seine Krone und seine Gewalt hängte, da musste er untergehen mit allem, was erhatte, so dass auch von seinen Kindern keines am Leben blieb. Umgekehrt, David war ein armer, verachteter Mann, verjagt und gescheucht, so dass er seines Lebens nirgends sicher war; dennoch musste er vor Saul [bewahrt] bleiben und König werden. Denn obige Wort mussten in Geltung bleiben und sich bewahrheiten, weil Gott nicht lügen noch trügen kann. Überlass es nur dem Teufel und der Welt, [dich] mit ihrem Schein zu betrügen, der wohl eine Zeitlang währt, aber am Ende nichts ist.

Im ersten Gebot fordert Gott von uns nicht mehr, als dass wir alles Gute von ihm erwarten. Wird dieses Hauptgebot erfüllt, dann erfüllen sich alle anderen Gebote von selbst.

Darum lasset uns das erste Gebot gut lernen, damit wir sehen, wie Gott keine Vermessenheit und kein Vertrauen auf irgendein anderes Ding dulden will und nichts Höheres von uns fordert, als eine herzliche Zuversicht, [die] alles Gute [von ihm erwartet]. Wir sollen richtig und stracks unseres Weges gehen und von allen Gütern, die Gott gibt, keinen weiteren Gebrauch machen, als wie ein Schuster seine Nadel, Ahle und Draht zur Arbeit gebraucht und sie nachher weglegt, oder wie ein Gast die Herberge, die Verpflegung und das Lager nur für die zeitweiligen Bedürfnisse [benützt]. [So halte es] jeder in seinem Stand nach Gottes Ordnung, und lasse nur nichts davon seinen Herrn oder Abgott sein.

Das sei genug vom ersten Gebot. Wir haben es deshalb so ausführlich besprechen müssen, weil es darauf am allermeisten ankommt; denn, wie vorhin gesagt, wo das Herz mit Gott im reinen ist und dieses Gebot gehalten wir, da folgt die Erfüllung aller andern von sich selbst

 

Das zweite Gebot

Du sollst den Namen Gottes nicht unnütz gebrauchen

 

Gottes Namen missbrauchen heißt, mit Hilfe seines Namens lügen

 

Wie das erste Gebot das Herz unterwiesen und den Glauben gelehrt hat, so führt uns dieses Gebot nach außen und bringt Mund und Zunge in die rechte Stellung zu Gott. Denn das erste, das aus dem Herzen herauskommt und zutage tritt, sind die Worte. Wie ich nun oben gelehrt habe, [auf die Frage] zu antworten, was »einen Gott haben« heißt, so musst du auch lernen, den Sinn dieses und aller anderen Gebote in einfache Wort zu fassen und auf dich anzuwenden. Wenn man nun fragt: »Wie verstehst du das zweite Gebot« oder was heißt »Gottes Namen unnütz gebrachen oder missbrauchen?« so antworte aufs kürzeste so: »Das heißt 'Gottes Namen missbrauchen', wenn man Gott den Herrn nennt um Zweck einer Lüge oder Untugend irgendwelcher Art, in welcher Weise es auch geschehen mag«. Darum bedeutet das Gebot soviel, dass man Gottes Namen nicht fälschlich anführen oder in den Mund nehmen soll, wenn das Herz es gut anders weiß oder wenigstens anders wissen sollte, wie es bei denen [der Fall ist], die vor Gericht schwören und wo eine Partei der anderen gegenüber [etwas] ableugnet. Denn Gottes Namen kann man nicht mehr missbrauchen, als [wenn man] damit lügt und betrügt. Das lasse den deutlichen Wortlaut und nächstliegenden Sinn dieses Gebotes bleiben.

Dieser Missbrauch des Namens Gottes kommt im weltlichen, vor allem aber im geistlichen Bereich vor

Daraus kann es sich nun jedermann leicht selbst ausrechnen, wann und auf sie mancherlei Weise Gottes Namen missbraucht wird, obgleich alle Missbräuche aufzuzählen, nicht möglich ist. Doch sei es in Kürze angedeutet. Aller Missbrauch des göttlichen Namens geschieht in erster Linie bei weltlichen Händeln und Sachen, die Geld, Gut und Ehre betreffen. Das mag der Fall sein öffentlich vor Gericht, auf dem Markt, oder sonst, wo man auf Gottes Namen schwört und falsche Eide ablegt, oder die Sache auf seine Seele [Seelenheil] nimmt. Besonders ist das vielfach üblich in Ehesachen, wenn zwei hergehen, sich miteinander heimlich verloben und es nachher abschwören. Am allermeisten aber findet sich jener Missbrauch bei geistlichen Sachen, die das Gewissen belangen, wenn falsche Prediger auftreten und ihren Lügentand als Gottes Wort ausgeben. Sieh, das alles heißt mit Gottes Namen sich schmücken oder schön hinstellen und rechthaben wollen, gleichviel, ob es in groben Welthändeln geschieht oder in hohen, subtilen Sachen des Glaubens und der Lehre. Und unter diese Lügner gehören auch die Lästermäuler; nicht bloß die ganz groben, die jedermann wohlbekannt sind, die ohne Scheu Gottes Namen schänden – die gehören nicht in unsere, sondern in des Henkers Schule-; sondern auch die, die öffentlich die Wahrheit und Gottes Wort lästern und dem Teufel übergeben, wovon weiter zu reden jetzt nicht nötig ist.

Der Missbrauch des göttlichen Namens ist die größte Sünde, weil sie eine doppelte Lüge ist

Hier lasst uns nun lernen und zu Herzen nehmen, wieviel an diesem Gebot gelegen ist, damit wir uns mit allem Fleiß hüten und scheuen vor allerlei Missbrauch des heiligen Namens als vor der höchsten Sünde, die äußerlich geschehen kann. Lügen und Trügen ist ja schon an und für sich eine große Sünde; sie wird aber viel schwerer, wenn man sie [auch] noch rechtfertigen will und zu ihrer Bestätigung Gottes Namen heranzieht und zum Deckmantel nimmt; denn so wird aus einer Lüge eine zweifache, ja eine vielfache Lüge.

Gott bestraft den Missbrauch seines Namens mit Drangsalen

Darum hat Gott diesem Gebot auch ein ernstliches Drohwort angehängt; das heißt folgendermaßen: »Denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht«, d.h. es soll keinem geschenkt werden und ungestraft hingehen. Denn so wenig er das ungerächt lassen will, dass man das Herz von ihm abwendet, so wenig will er es dulden, dass man seinen Namen [im Mund] führt, um die Lügen zu beschönigen. Nun ist es leider eine allgemeine Plage in aller Welt, dass es derer gerade so wenige sind, die Gottes Namen nicht zur Lüge und Bosheit gebrauchen, ebenso wie nur wenige sind, die von Herzen allein auf Gott vertrauen. Haben wir doch alle von Natur die schöne Tugend an uns, dass, wer eine böse Tat begangen hat, seine Schande gerne verdecken und schmücken möchte, damit niemand [etwas davon] sehe oder wisse. Es ist keiner so verwegen, dass er sich einer begangenen Bosheit vor jedermann rühmte; wir wollen es alle im geheimen getan haben, ehe man es gewahr wird. Greift man dann einen [wegen seiner bösen Tat] an, so muss Gott mit seinem Namen herhalten und muss das Bubenstück fromm, die Schande zur Ehre machen. Das ist der allgemeine Lauf der Welt; wie eine große Sintflut ist es in allen Landen eingerissen. Darum haben wir auch zum Lohn, was wir suchen und verdienen: Pest, Krieg, Teuerung, Feuer, Wasser, ungeratene Weiber, Kinder und Gesinde, und allerlei Schade. Woher sonst sollte soviel Jammer kommen? Es ist noch eine große Gnade, dass uns die Erde trägt und nährt.

Vor allem der Jugend ist dieses Gebot ständig vor Augen zu halten

Darum sollte man vor allen Dingen das junge Volk ernstlich dazu anhalten, und [daran] gewöhnen, dass sie dieses und andere Gebote stets vor Augen haben; und wenn sie es übertreten, [sollte man] flugs mit der Rute hinter ihnen her sein und ihnen das Gebot vorhalten und es ihnen immer einbleuen. So sollen sie aufgezogen werden, nicht allein mit Strafen, sondern zur Scheu und Furcht vor Gott.

Das zweite Gebot verbietet nicht nur den Missbrauch des Namens Gottes, es gebietet sogar seinen Gebrauch

So verstehst du nun, was Gottes Namen missbrauchen heißt, nämlich um es in aller Kürze zu wiederholen, ihn entweder bloß zur Lüge [zu gebrauchen] und um etwas unter [seinem] Namen zu behaupten, was nicht der Fall ist; oder um zu fluchen, zu schwören, zu zaubern und, mit einem Wort: um etwas Böses anzurichten, wie [immer] man's kann. Daneben musst du auch wissen, wie man [Gottes] Namen recht gebraucht. Denn zugleich mit dem Wort, mit dem er sagt: »Du sollst den Namen Gottes nicht unnütz gebrauchen«, gibt er gleicherweise zu verstehen, dass man ihn recht gebrauchen solle; denn er ist uns eben darum geoffenbart und gegeben, dass er gebraucht und benutzt werden soll.

Der rechte Gebrauch des Namens Gottes besteht darin, dass er nicht benützt wird, um zu lügen, sondern um die Wahrheit zu sagen, nicht, um Böses, sondern um Gutes zu bewirken

Daraus folgt nun von selbst: indem hier verboten ist, den heiligen Namen zur Lüge oder Untugend [im Munde] zu führen, so ist umgekehrt geboten, ihn zur Wahrheit und allem Guten zu gebrauchen. So z.B. wenn man recht schwört, wo es nötig und gefordert wird; ebenso auch, wenn man recht lehrt; ebenso, wenn man den Namen in Nöten anruft, ihn lobt und ihm dankt, wenn man Gutes erfuhr, usw. Das alles ist zusammenfassend geboten in dem Spruch Psalm 50: »Rufe mich an zur Zeit der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen.« Denn das alles heißt ihn zur Wahrheit anführen und sogleich gebrauchen; und so wird sein Name geheiligt, wie das Vaterunser betet.

Zum rechten Gebrauch des Namens Gottes gehört das rechte Schwören nach dem Beispiel Christi und des Paulus

Damit hast du die Summe (Gesamtinhalt) des ganzen Gebots erklärt. Und aus diesem Verständnis heraus hat man die Frage leicht gelöst, mit der sich viele [Kirchen-]Lehrer gequält haben: Warum im Evangelium das Schwören verboten ist, wo doch Christus, der hl. Paulus und andere Heilige oft geschworen haben. Und zwar ist der Sinn kurz der: Schwören soll man nicht zum Bösen, d.h. zur Lüge und wenn es weder nötig noch nützlich ist; aber zum Guten und zu des Nächsten Besserung soll man schwören. Denn es ist ein rechtes, gutes Werk, durch das Gott gepriesen, Leute zum Frieden gebracht, Gehorsam geleistet und Hader beigelegt wird. Denn da legt sich Gott selbst ins Mittel und scheidet Recht und unrecht, Bös und Gut voneinander. Schwört eine Partei falsch, so hat sie damit ihr Urteil: sie wird der Strafe nicht entlaufen, und wenn es auch eine Zeitlang ansteht, soll ihnen doch nichts gelingen; alles, was sie damit gewinnen, soll ihnen unter den Händen zerrinnen und nimmermehr fröhlich genossen werden. So habe ich es bei vielen erfahren, die ihr Eheversprechen abgeschworen haben: sie haben nachher keine gute Stunde oder gesunden Tag mehr gehabt und sind so an Leib, Seele samt ihrem Gut jämmerlich zugrundegegangen.

Der rechte Gebrauch des Namens Gottes muss rechtzeitig eingeübt werden, dass sich die Jugend daran gewöhnt

Deshalb sage und ermahne ich wie vorhin, man solle die Kinder beizeiten durch Warnen und Abschrecken, Wehren und Strafen daran gewöhnen, dass sie sich vor dem Lügen und insbesondere davor scheuen, Gottes Namen dabei [im Munde] zu führen. Dann wenn man sie so hingehen lässt, wird nichts Gutes daraus, wie man jetzt vor Augen hat: die Welt ist böser als sie je gewesen ist, und es gibt keine Autorität, keinen Gehorsam, weder Treue noch Glauben, sondern lauter verwegene, ungebändigte Leute, bei denen weder Lehren noch Strafen etwas hilft; das alles ist Gottes Zorn und Strafe für solch mutwillige Verachtung dieses Gebotes. Zweitens soll man [die Kinder] auch umgekehrt dazu antreiben und reizen, Gottes Namen zu ehren und stets im Munde zu haben bei allem, was ihnen begegnen und unter die Augen kommen kann. Denn das ist die rechte Ehrung dieses Namens, wenn man allen Trost von ihm erhofft und ihn darum anruft, so dass zuerst, wie wir's oben gehört, das Herz durch den Glauben Gott seine Ehre gibt, darnach der mund durch das Bekenntnis.

Gott bewahrt uns vor teuflischem Urteil durch die Anrufung seines Namens

Das ist zugleich auch eine heilbringende, nützliche Gewohnheit und sehr kräftig gegen den Teufel, der immerdar um uns ist. Er lauert darauf, wie er uns in Sünde und Schande, Jammer und Not bringen könne, während er es höchst ungern hört und da nicht lange bleiben kann, wo man Gottes Namen von Herzen nennt und anruft. Es würde uns manches schreckliche und grauenvolle Unglück begegnen, wenn Gott uns nicht durchs Anrufen seines Namens erhalten würde. Ich habe es selbst versucht und wohl erfahren, dass oft ein plötzliches, großes Unheil bei solchem Rufen sich sogleich gewendet hat und vorübergegangen ist. Dem Teufel zum Trotz, sage ich, sollten wir den heiligen Namen immerdar im Munde führen, dass er nicht schaden kann, wie er's gerne wollte

Der Name Gottes ist ständig und regelmäßig anzurufen

Dazu dient auch, dass man sich's angewöhnt, sich täglich Gott anzubefehlen mit Seele und Leib, Weib, Kind, Gesinde und [allem, was wir haben, für alle zufallende Not. Aus diesem Grund ist auch das Benedicite, das Gratias und andere Segenssprüche für den Abend und den Morgen aufgekommen und in Übung geblieben, ferner die Kindergewohnheit, dass man sich bekreuzigt, wenn man etwas Ungeheuerliches und Schreckliches sieht oder hört, und dann sagt »Herr Gott, behüte«, »Hilf, lieber Herr Christus« oder dergleichen; ebenso dass man auch im umgekehrten Fall, wenn einem unverhofft etwas Gutes widerfährt, so geringfügig es auch sein mag, dann sagt: »Gott sei gelobt und gedankt«, »Das hat mir Gott beschert«, usw., so, wie man früher die Kinder daran gewöhnt hat, zu Ehren des hl. Nikolaus' und andere Heiligen zu fasten und zu beten. Das wäre Gott angenehmer und wohlgefälliger als ein Klosterleben und als die Heiligkeit von Karthäusermönchen

Die Ehrfurcht vor dem Namen Gottes darf der Jugend nicht aufgezwungen werden, sie muss in ihr wachsen

Sieh, so könnte man die Jugend auf kindgemäße Weise und spielend aufziehen in Gottes Furcht und Verehrung, so dass das erste und zweite Gebot fein im Schwange und in steter Übung wären. Da könnte etwas Gutes Wurzel fassen, aufgehen und Frucht bringen, dass solche Leute heranwüchsen, an denen das ganze Land einen Nutzen haben und froh werden könnte. Das wäre auch die rechte Weise, in der wohl zu erziehen, weil man sie mit Güte und Lust daran gewöhnen kann. Denn wenn man etwas bloß mit Ruten und Schlägen erzwingen muss, so entsteht keine gute Art daraus, und wenn man's weit bringt, so bleiben sie doch nicht länger fromm, als die Rute auf dem Nacken liegt. Hier dagegen wurzelt es im Herzen, so dass man sich mehr vor Gott als vor der Rute und dem Stock fürchtet. Das alles sage ich in so einfacher Weise für die Jugend, damit es doch einmal [in sie] eingehe, denn weil wir Kindern predigen, müssen wir auch mit ihnen lallen. Damit haben wir den Missbrauch des göttlichen Namens verhütet und den rechten Gebrauch gelehrt, der nicht bloß in Worten, sondern auch in der Übung und im Leben bestehen soll. Man soll also wissen, dass solcher [rechte Gebrauch] Gott herzlich wohlgefällt und dass er das ebenso reichlich belohnen will, wie greulich er jenen Missbrauch strafen will.

 

Das dritte Gebot

Du sollst den Feiertag heiligen

 

Das Gebot der äußerlichen Arbeitsruhe am Sabbat gilt nur für die Juden, nicht für die Christen

Das Sabbatgebot ist in seinem äußerlich-buchstäblichen Sinn aufgehoben, sein christlicher Sinn besteh darin, dass der Mensch einen Tag in der Woche zum Ausruhen und zum Gottesdienstbesuch benötigt.

Darum geht nun dieses Gebot uns Christen nach dem grob-äußerlichen Wortsinn nichts an. Denn es handelt sich um ein ganz äußerliches Ding, das, wie andere Satzungen des Alten Testaments, an besondere Weisen, Personen, Zeiten und Orte gebunden war; diese sind nun durch Christus alle freigegeben. Aber um für die einfachen Menschen ein christliches Verständnis dessen zu umreißen, was Gott in diesem Gebot von uns fordert, so merke: wir halten Feiertage nicht um der verständigen und gelehrten Christen willen, denn diese bedürfen dessen zu nichts. Vielmehr tun wir es erstens auch um leiblicher Ursachen und Bedürfnisse willen. Den die Natur lehrt und fordert das für das einfache Volk, für Knechte und Mägde, die die ganze Woche ihrer Arbeit und ihrem Geschäft nachgegangen sind, dass sie sich auch einen Tag lang zurückziehen, um sich auszuruhen und zu erquicken. Sodann allermeist deshalb, dass man an einem solchen Ruhetag, weil man sonst nicht dazu kommen kann, Gelegenheit und Zeit hat, um am Gottesdienst teilzunehmen; man soll also zusammenkommen, Gottes Wort zu hören und sich damit zu beschäftigen, um dann auch Gott zu loben, zu singen und zu beten.

Da es sowieso gleichgültige ist, an welchem Wochentag dieser Ruhetag ist, bleibt die alte Sitte des Sonntags um der Einheitlichkeit willen erhalten

[Dieser Gottesdienst] aber, sage ich, ist nicht dergestalt an eine Zeit gebunden wie bei den Juden, dass es gerade dieser oder jener Tag sein müsste; es ist ja keiner an und für sich besser als der andere. Vielmehr sollte das [eigentlich] alle Tage geschehen; aber weil die große Menge das nicht einhalten kann, muss man doch wenigstens einen Tag in der Woche dafür auswählen. Weil aber dazu von altersher der Sonntag bestimmt ist, soll man's auch dabei bleiben lassen, damit es nach einer einheitlichen Ordnung gehe und niemand durch unnötige Neuerung eine Unordnung anrichte. Somit ist das der einfache Sinn dieses Gebots, man solle, da man sowieso Feiertag hält, dieses Feiern [dazu] verwenden, um Gottes Wort zu lernen. So soll also das Predigtamt das eigentliche Amt dieses Tages sein, um des jungen Volkes und der armen Leute willen; doch soll das Feiern nicht so eng gefasst werden, dass deshalb andere anfallende Arbeit, die man nicht umgehen kann, verboten wäre.

Den Feiertag heiligen heißt, das Wort Gottes hören und tun

Wenn man deshalb fragt, was [mit dem Gebot]: »Du sollst den Feiertag heiligen« gesagt sei, so antworte: »Den Feiertag heiligen heißt soviel wie: ihn heilig halten.« Was ist dann heilig halten? Nichts anderes als in Worten und Werken und Leben sich heilig verhalten. Denn der Tag an und für sich bedarf keines Heiligens; er ist ja an und für sich [schon] heilig geschaffen. Gott will aber haben, dass er dir heilig sei. Somit wird er deinethalben heilig und unheilig, je nachdem du etwas Heiliges oder Unheiliges an ihm treibst. Wie geht nun ein solches Heiligen vor sich? Nicht so, dass man hinter dem Ofen sitzt und keine grobe Arbeit tut oder einen Kranz aufsetzt und seine besten Kleider anzieht, sondern, wie gesagt, dass man Gottes Wort betreibt und sich darin übt.

Entscheidend ist für den Christen am Feiertag der Umgang mit Gottes Wort nicht einfach das Ausruhen

Und wahrlich, wir Christen sollen immerfort solchen Feiertag halten, lauter heilige Dinge treiben, d.h. täglich mit Gottes Wort umgehen und es in Herz und Mund [mit uns] tragen. Aber weil wir – wie gesagt – nicht alle Zeit und Muße dazu haben, müssen wir wöchentlich einige Stunden für die Jugend bzw. wenigstens einen Tag für das ganze Volk dazu verwenden, dass man sich allein damit beschäftigt und eben die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser betreibt, und so unser ganzes Leben und Wesen nach Gottes Wort richtet. In der Zeit nun, in der das im Schwange geht und in Übung ist, wird ein rechter Feiertag gehalten; andernfalls soll es kein Christenfeiertag heißen. Denn Feiern und Müßiggehen können die Nichtchristen auch wohl, wie denn auch der ganze Schwarm unserer Geistlichen täglich in der Kirche steht, singt und klingt, ohne aber einen Feiertag zu heiligen; denn sie predigen und üben kein Wort Gottes, sondern lehren und leben geradezu dawider.

Gottes Wort allein macht uns heilig

Denn das Wort Gottes ist das Heiligtum über alle Heiligtümer, ja das einzige, das wir Christen wissen und haben. Denn wenn wir gleich die Gebeine oder die heiligen und geweihten Kleider von allen Heiligen auf einem Haufen beieinander hätten, so wäre uns damit doch nichts geholfen; denn das alles ist etwas Totes, was niemanden heiligen kann. Gottes Wort dagegen ist der Schatz, das alle Dinge heilig macht; durch ihn sind alle Heiligen selber [erst] geheiligt worden. Zu welcher Stunde man nun Gottes Wort betreibt, es predigt, hört, liest oder bedenkt – [immer] wird dadurch Person, Tag und Werk geheiligt, nicht äußeren Werkes wegen, sondern um des Wortes willen, das uns alle zu Heiligen macht. Deswegen sage ich allezeit, dass unser ganzes Leben und Werk in Beziehung zum Worte Gottes stehen müsse, wenn es Gott gefällig oder heilig heißen soll; wenn das geschieht, so ist dieses Gebot in Kraft und geht in Erfüllung. Umgekehrt ist alles Wesen und Werk, das ohne Gottes Wort geschieht, vor Gott unheilig, mag es scheinen und glänzen wie es will, auch wenn man's mit lauter Heiligtümern (Reliquien) behinge; so z.B. die selbsterdachten geistlichen Stände, die Gottes Wort nicht kennen und in ihren eigenen Werken Heiligkeit suchen.

Das Hauptgewicht liegt an diesem Tag auf dem Heiligen, nicht auf dem Feiern

Darum merke: die Kraft und Macht dieses Gebotes besteht nicht im Feiern, sondern im Heiligen; es soll also dieser Tag in besonderer Weise ein Tag heiliger Übung sein. Denn andere Arbeiten und Geschäfte heißen ja eigentlich nicht heilige Übungen, wenn nicht zuvor der Mensch heilig ist. Hier aber muss ein solches Werk geschehen, durch das ein Mensch selber heilig wird; und das geschieht, wie [schon] gehört allein durch Gottes Wort. Dazu sind denn [auch] die Stätten, Zeiten, Personen und der ganze äußerliche Gottesdienst gestiftet und angeordnet, damit dieses [Heiligen] auch öffentlich im Schwange sei.

Der Feiertag wird entheiligt, wenn man Gottes Wort nicht oder nicht mit dem nötigen Ernst hört

So ist also so viel an Gottes Wort gelegen, dass ohne dasselbe kein Feiertag geheiligt wird. Deshalb sollen wir wissen, dass Gott dieses Gebot streng gehalten haben will. Er will alle strafen, sie sein Wort verachten und es nicht hören und lernen wollen, besonders wenn das während der Zeit geschieht, die dazu bestimmt ist. Darum sündigen wider dieses Gebot nicht allein die, die den Feiertag gröblich missbrauchen und entheiligen, wie z.B. die um ihres Geizes oder ihrer Leichfertigkeit willen Gottes Wort zu hören unterlassen oder in Wirtshäusern liegen und toll und voll sind wie die Säue. Sondern [es sündigen] auch die andern, die Gottes Wort hören und wie irgendeinen andern Tand; sie kommen nur aus Gewohnheit zur Predigt und gehen wieder weg und, wenn das Jahr herum ist, so können sie heuer soviel als vor einem Jahr. Bisher hat man ja gemeint, es sei richtig gefeiert, wenn man am Sonntag eine Messe oder das Evangelium habe lesen hören; aber nach Gottes Wort hat niemand gefragt, wie es auch niemand gelehrt hat. Jetzt aber haben wir Gottes Wort; gleichwohl schaffen wir jenen Missbrauch nicht ab, lassen uns immerfort predigen und ermahnen, hören es aber ohne Ernst und Sorgfalt. Darum wisse, dass es sich nicht bloß ums Hören handelt, sondern dass es auch gelernt und behalten werden soll; und denke nicht, dass das in deiner Willkür stehe oder dass nicht viel daran liegt, sondern dass es das Gebot Gottes ist, der Rechenschaft darüber verlangen wird, wie du sein Wort gehört, gelernt und geehrt hast.

Der Feiertag wird entheiligt, wenn man sich hochmütig über die Predigt erhebt

Desgleichen sind auch die sich ekelnden Geister zu tadeln. Wenn sie eine Predigt oder zwei gehört haben, sind sie dessen satt und überdrüssig, wie wenn sie es nun selber gut könnten und keines Meisters mehr bedürften. Das ist nämlich eben jene Sünde, die man bisher zu den Todsünden gezählt hat; und zwar heißt sie acedia, d.h. Trägheit oder Überdruss. [Das ist] eine böse, gefährliche Plage; der Teufel bezaubert und betrügt damit die Herzen vieler, um uns zu übereilen und uns das Wort Gottes wieder heimlich zu entziehen.

Wer den Feiertag missachtet und Gottes Wort nicht hört. verfällt dem Teufel

Denn das lasse dir gesagt sein: auch wenn du es bestens könntest und aller Dinge Meister wärest, so bist du doch täglich unter des Teufels Reich; und der hört weder Tag noch Nacht auf, dich zu beschleichen, um in deinem Herzen Unglauben und böse Gedanken gegen die bisher besprochenen und alle [anderen] Gebote zu entzünden. Darum musst du fortwährend Gottes Wort im Herzen, im Mund und vor den Ohren haben. Wenn aber das Herz müßig steht und das Wort nicht erklingt, so bricht der Teufel ein und hat den Schaden angerichtet, ehe man's gewahr wird. Umgekehrt, wenn man [Gottes Wort] mit Ernst betrachtet, hört und damit umgeht, so hat es die Kraft, dass es nie ohne Frucht abgeht, sondern allezeit neues Verständnis, Lust und Andacht erweckt und ein reines Herz und [reine] Gedanken schafft. Denn es sind nicht faule oder tote, sondern geschäftige, lebendige Worte. Und wenn uns schon kein anderer Nutzen und [keine andere] Not dazu triebe, so sollte doch das jedermann dazu anreizen, dass dadurch der Teufel weggescheucht und verjagt und obendrein dieses Gebot erfüllt wird; und das ist Gott wohlgefälliger als alle andern glänzenden Heuchelwerke.

 

Das vierte Gebot

Überleitungen von den drei ersten Geboten, die sich auf Gott beziehen, zu den sieben anderen, die sich auf den Nächsten beziehen

Bisher haben wir die drei ersten Gebote gelernt, die sich auf Gott richten: Das erste, dass man ihm von ganzen Herzen vertraue, ihn fürchte und ihn liebe in unserem ganzen Leben. Das zweite, dass man seinen heiligen Namen nicht zur Lüge oder irgend einer bösen Sache missbrauche; vielmehr soll man ihn zu Gottes Lob, zu Nutzen und Seligkeit des Nächsten und seiner selbst [gebrauchen]. Das dritte, dass man beim Feiern und Ruhen fleißig mit Gottes Wort umgehe und es betreibe, damit all unser Tun und Leben darnach gehe. Nun folgen die anderen sieben Gebote, die sich auf unseren Nächsten beziehen. Unter ihnen ist das erste und höchste:

 

Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren

 

Gott will, dass wir die Eltern nicht nur – wie alle Menschen – lieben, sondern darüber hinaus auch ehren. Denn sie sind Gottes Stellvertreter

Diesen Vater- und Mutterstand hat Gott besonders ausgezeichnet vor allen [andern] Ständen, die unter ihm sind: er gebietet nicht schlechthin [nur], die Eltern lieb zu haben, sondern sie zu 'ehren'. Im Blick auf Brüder, Schwestern und Nächsten insgemein befiehlt er [nämlich] nichts Höheres als sie zu lieben; somit unterscheidet und sondert er Vater und Mutter von allen anderen Personen auf Erden und setzt sie neben sich. Denn 'Ehren' ist etwas viel Höheres als 'Lieben'. Es begreift ja nicht allein die Liebe in sich ein, sondern auch Zucht, Demut und Scheu einer Majestät gegenüber, die hier verborgen ist. Auch fordert es nicht bloß, dass man die Eltern freundlich und mit Ehrerbietung anspreche, sondern vor allem soll man sowohl im Herzen als auch mit seinem leiblichen Verhalten sich [ihnen gegenüber] so einstellen und zeigen, dass man viel von ihnen hält und sie nach Gott für die Obersten ansieht. Denn wen man von Herzen ehren soll, den muss man wahrlich für hoch und groß achten. Man präge es darum den jungen Leuten ein, ihre Eltern an Gottes Statt vor Augen zu haben und also zu bedenken, dass sie dennoch Vater und Mutter sind, von Gott gegeben, auch wenn sie gering, arm gebrechlich und seltsam wären. Ihres Lebenswandels oder eines Fehlers wegen sind sie dieser Ehre nicht beraubt. Darum sind nicht die Personen anzusehen, wie sie sind, sondern Gottes Wille, der es so anschafft und anordnet. Sonst sind wir zwar vor Gottes Augen alle gleich; unter uns aber kann es ohne solche Ungleichheit und ordnungsgemäßen Unterschied nicht abgehen. Darum ist auch von Gott geboten, sie zu beachten, so dass du mir als deinem Vater gehorsam seiest und ich die Oberhand habe.

Die Wertschätzung der Eltern kommt zum Ausdruck im ehrerbietigen Umgang mit ihnen und in Hilfeleistungen

So lerne nun zuerst, was die Ehre den Eltern gegenüber heißt, wie es in diesem Gebot gefordert wird. Man soll sie nämlich vor allen Dingen herrlich und wert achten als den höchsten Schatz auf Erden. Ferner soll man sich auch mit Worten gegen sie in Zucht halten, sie nicht übel anfahren, [auf sein Recht] pochen oder poltern; sondern man lasse sie recht haben und schweige, auch wenn sie zu weit gehen. Drittens soll man ihnen auch mit Werken, d.h. mit Leib und Gut solche Ehre erweisen; man soll ihnen dienen, helfen und sie versorgen, wenn sie alt, krank, gebrechlich oder arm sind. Und das alles soll man nicht bloß gerne tun, sondern mit Demut und Ehrerbietung als etwas das für Gott getan wird. Denn wer das weiß, wie er sie im Herzen halten soll, wird sie nicht Not und Hunger leiden lassen, sondern sie über und neben sich setzen und ihnen mitteilen, was er hat und vermag.

Hätte man dieses Gebot Gottes beachtet, dann hätte man nicht menschliche Formen der Heiligung ausdenken müssen

Zweitens siehe und merke, was für ein großes, gutes und heiliges Werk hier den Kindern vorgelegt ist. Leider verachtet man es ganz und schlägt es in den Wind, und niemand nimmt wahr, dass Gott es geboten hat, oder, dass es ein heiliges, göttliches Wort und Lehrstück ist. Denn wenn man's dafür gehalten hätte, hätte jeder daraus entnehmen können, dass die, die nach diesen Worten lebten, auch heilige Leute sein müssten. So hätte man kein Klosterleben oder geistliche Stände aufzubringen brauchen: jedes Kind wäre bei diesem Gebot geblieben und hätte sein Gewissen auf Gott hin richten und sprechen können: »Soll ich gute und heilige Werke tun, so weiß ich jedenfalls kein besseres, als meinen Eltern alle Ehre und allen Gehorsam zu leisten, weil Gott selbst es geheißen hat. Denn was Gott gebietet, muss viel und weit edler sein als alles, was wir selber erdenken können. Und weil kein höherer und besserer Meister zu finden ist als Gott, so wird es gewiss auch keine bessere Lehre geben als die, die er von sich aus gibt. Nun lehrt er ja reichlich, was man tun soll, wenn man rechtschaffene, gute Werke ausüben will, und damit, dass er's gebietet, bezeugt er, dass sie ihm wohlgefallen. Ist es denn Gott, der das gebietet und nichts Besseres aufzustellen weiß, so werde ich es jedenfalls nicht besser machen.«

Sieh, so hätte man ein frommes Kind recht lehren selig erziehen und daheim behalten können im Gehorsam und Dienst der Eltern; dann hätte man Gutes und Freude daran gesehen. Aber man hat es nicht nötig gehabt, in solcher Weise Gottes Gebot hervorzuheben, sondern man hat es liegen gelassen oder ist schnell darüber hinweggegangen, so dass ein Kind es nicht bedenken konnte; einstweilen konnte es nur das Maul aufsperren über dem, was wir aufgebracht haben, ohne Gott darüber um Rat zu fragen.

Im Unterschied zu selbsterwählten Werken ist der Gehorsam gegen die Eltern ein gottwohlgefälliges Werk. Er findet freilich seine Grenze am Gehorsam gegen Gott

Darum lasst uns um Gottes willen einmal das lernen: wenn das junge Volk Gott mit rechten, guten Werken dienen will, so muss es alles außer acht lassen und in erster Linie auf dieses Gebot sehen, dass sie tun, was Vater und Mutter oder denen lieb ist, denen sie an ihrer Statt unterstellt sind. Denn ein Kind, das das weiß und tut, hat damit in erster Linie den großen Trost im Herzen, dass es allen denen zutrotz und zuwider, die mit selbsterwählten Werken umgehen, fröhlich sagen und rühmen [kann]: »Sieh, dieses Werk gefällt meinem Gott im Himmel wohl; das weiß ich gewiss.« Lass sie mit ihren vielen großen, sauren, schweren Werken alle in einem Haufen hervortreten und sich rühmen: – lass sehen, ob sie irgend eines vorbringen können, das größer und edler wäre als der Gehorsam gegen Vater und Mutter, den Gott [unmittelbar] neben den Gehorsam gegen seine Majestät gesetzt und befohlen hat. Wenn es also Gottes Wort und der Wille Gottes vor sich geht und ausgerichtet wird, soll nichts sonst mehr gelten als der Will und das Wort der Eltern, so jedoch, dass [dieser Gehorsam gegen die Eltern] auch dem Gehorsam gegen Gott untergeordnet bleibt und den vorangegangenen Geboten nicht zuwiderläuft.

Ein Kind, das dieses Gebot befolgt, stellt die Heiligkeit aller Mönche in den Schatten

Deshalb sollst du von Herzen froh sein und Gott danken, dass er dich dazu erwählt und würdig gemacht hat, ein solch köstliches, angenehmes Werk für ihn zu tun. Und wenn es auch als das allergeringste und verachtetste angesehen wird, so halte es doch nur für etwas Großes und Teures; nicht um unserer Würdigkeit willen, sondern weil es in dem Kleinod und Heiligtum, nämlich in Gottes Wort und Gebot zusammengefasst ist und vonstatten geht. O wie teuer würden's alle Karthäusermönche und -nonnen erkaufen, wenn sie bei all ihrem geistlichen Wesen auch nur ein einziges Werk vor Gott bringen könnten, das auf Grund seines Gebotes getan wäre, und wenn sie mit fröhlichem Herzen vor seinen Augen sprechen könnten: »Nun weiß ich, dass dir dieses Werk wohlgefällt!« Wo wollen sie, die armen, elenden Leute bleiben, wenn sie vor Gott und aller Welt schamrot mit allen Schanden dastehen werden vor einem jungen Kind, das nach diesem Gebot gelebt hat, und bekennen müssen, dass sie mit all ihrem Leben nicht wert gewesen sind, ihm das Wasser zu reichen? Um der teuflischen Verkehrtheit willen, dass sie Gottes Gebot mit Füßen treten, geschieht es ihnen auch recht, wenn sie sich vergeblich mit selbsterdachten Werken abmartern müssen und dazu noch Spott und Schaden zum Lohn haben.

Dieses Gebot beruht – im Unterschied zum Mönchsstand – auf einem Schriftbeweis und Befehl Gottes

Solle da nun nicht ein Herz springen und vor Freude zerfließen, dass es, wenn es zur Arbeit ginge und täte, was ihm befohlen ist, sagen könnte: »Sieh, das ist besser als die Heiligkeit aller Karthäuser, wenn sie sich auch zu Tode fasten und ohne Unterlass auf den Knien beten?« Denn hier hast du einen sicheren [Bibel-] Text und ein göttliches Zeugnis dafür, dass er dies geboten hat, während er von jenem kein Wort befohlen hat. Aber es ist ein Jammer und eine leidige Blindheit bei der Welt, dass das niemand glaubt; so sehr hat uns der Teufel mit falscher Heiligkeit und dem Schein eigener Werke bezaubert. Deshalb wollte ich so gerne, ich wiederhole es, dass man Augen und Ohren auftäte und das zu Herzen nähme, damit wir nicht auf einmal wieder von dem reinen Gotteswort zu des Teufels Lügentand verleitet werden. So würde auch etwas Gutes herauskommen: die Eltern hätten desto mehr Freude, Liebe, freundlichen Umgang und Eintracht in ihren Häusern und ebenso könnten die Kinder ihren Eltern nicht eher tun, was sie sollen, als bis man ihnen einen Knüttel (Knüppel) auf den Rücken legt, so erzürnen sie sowohl Gott als die Eltern; damit entziehen sie sich selbst diesen Schatz und die Freude des Gewissens und sammeln sich lauter Unglück zusammen. Darum geht's auch jetzt in der Welt so zu, wie jedermann es beklagt, dass sowohl Junge als Alte ganz wild und unbändig sind. Sie haben keine Scheu und Ehrfurcht; sie tun nichts, ohne mit Schlägen dazu getrieben zu sein, und verleumden und verkleinern einander hinter des andern Rücken, soviel sie können. Darum straft sie auch Gott so, dass sie in alles Unglück und Jammer kommen. Ebenso können die Eltern meistens selbst nichts: ein Tor erzieht da den andern; wie sie gelebt haben, so leben die Kinder nachher auch.

Die Eltern ehren und ihnen gehorchen ist wichtiger als Almosen und alle anderen guten Werke gegenüber dem Nächsten

Das soll nun, sage ich, das Erste und Größte sein, was uns zu diesem Gebot treiben soll. Wenn wir keinen Vater und keine Mutter hätten, müssten wir um [dieses Gebotes] willen wünschen, dass Gott uns Holz und Stein hinstellte, damit wir sie Vater und Mutter heißen könnten. Wieviel mehr sollen wir nun, nachdem er uns lebendige Eltern gegeben hat, froh darüber werden, dass wir ihnen Ehre und Gehorsam erzeigen können? Wissen wir doch, dass das der hohen Majestät und allen Engeln so wohl gefällt und alle Teufel verdrießt. Obendrein ist es das höchste Werk, das man tun kann, nächst dem hohen Gottesdienst, der in den vorausgehenden Geboten beschrieben ist. Almosengeben und alle anderen Werke gegen den Nächsten kommen also diesem Werk noch nicht gleich, denn Gott hat diesen Stand der Eltern obenan gesetzt, ja zu seiner Stellvertretung auf Erden bestimmt. Dieser Wille Gottes und [sein] Wohlgefallen soll uns Ursache und Anreiz genug sein, um hier freiwillig und mit Lust zu tun, was wir können.

Man kann den Eltern nicht genug danken

Außerdem sind wir es ja auch vor der Welt schuldig, dass wir für die Wohltat und alles Gute, das wir von den Eltern haben, dankbar sind. Aber da regiert wieder der Teufel in der Welt, dass die Kinder ihre Eltern vergessen, wie wir alle Gott vergessen. Niemand denkt daran, wie Gott uns doch nährt, behütet und schützt und [uns] so viel Gutes an Leib und Seele gibt; besonders wenn einmal eine böse Stunde kommt, dann zürnen und murren wir ungeduldig, und es ist alles dahin, was wir unser Leben lang Gutes empfangen haben. Ebenso machen wir es den Eltern auch; es gibt kein Kind, welches dies erkennen und bedenken würde, wenn nicht der Heilige Geist es ihm eingebe. Diese Unart der Welt kennt Gott wohl; darum erinnert und treibt er sie an mit Geboten. Jeder soll drüber nachdenken, was ihm seine Eltern getan haben; dann findet er, dass er Leib und Leben von ihnen hat, dazu auch [von ihnen] ernährt und aufgezogen wurde; sonst wäre er ja huntertmal in seinem Unflat erstickt. Deshalb ist's recht und treffend von alten weisen Leuten gesagt worden: »Deo, parentibus et magistris non potest sais gratiae rependi«, d.h.: »Gott, den Eltern und den Lehrern kann man nie genug danken und vergelten.« Wer das sieht und bedenkt, der wird wohl – ohne dazu angetrieben zu werden – seinen Eltern alle Ehre antun und sie auf den Händen tragen, weil sie es sind, durch die ihm Gott alles Gute getan hat.

Die Verheißung, die Gott diesem Gebot beifügt, ist ein Anreiz, es zu erfüllen

Über dies alles soll auch das eine große Ursache sein, uns einen noch stärkeren Anreiz zu geben, dass Gott an dieses Gebot eine liebliche Verheißung heftet und sagt: »Auf dass du ein langes Leben habest in dem Lande, darin du wohnest.« Daraus magst du selbst ersehen, wie sehr es Gott mit diesem Gebot ernst ist. Denn er sagt ausdrücklich nicht bloß, dass es ihm angenehm sei und dass er Freude und Lust daran habe, sondern dass es auch uns wohlgeraten und zum Besten gedeihen solle, so dass wir ein sanftes, süßes Leben haben können mit allem Guten. Darum betont und rühmt auch der Hl. Paulus Eph 6 das so stark, wenn er sagt: »Das ist das erste Gebot, das eine Verheißung hat: auf dass dir's wohl gehe und du lange lebest auf Erden.« Denn obwohl auch die anderen [Gebote] ihre Verheißung in sich eingeschlossen haben, so ist's doch bei keinem so deutlich und ausdrücklich hinzugesetzt.

Wer den Eltern nicht gehorcht, wird von Gott bestraft

Da hast du nun die Frucht und den Lohn [dieses Gebotes]: wer es hält, der soll gute Tage, Glück und Wohlfahrt haben; umgekehrt weißt du auch die Strafe: wer ungehorsam ist, soll desto eher umkommen und seines Lebens nicht froh werden. Dann »langes Leben haben« heißt die Schrift nicht bloß [das, dass man] betagt wird, sondern dass man alles hat, was zu einem langen Leben gehört nämlich Gesundheit, Weib und Kind, Nahrung, Frieden, gut Regiment usw.; denn ohne das kann dieses Leben weder fröhlich genossen werden noch auf die Dauer bestehen. Willst du nun nicht Vater und Mutter gehorchen und dich von ihnen erziehen lassen, so gehorche dem Henker; gehorchst du dem nicht, so gehorche dem Streckebein, d.h. dem Tode. Denn kurz gesagt, so will es Gott haben: entweder wenn du ihm gehorchst, ihm Liebe und Dienst erweisest, will er dir's überschwenglich mit allem Guten vergelten; oder wenn du ihn erzürnst, will er sowohl den Tod als auch den Henker über dich schicken. Wo kommen so viele Bösewichter her, die man alle Tage hängen, köpfen und rädern muss, wenn nicht vom Ungehorsam? Weil sie sich nicht im Guten erziehen lassen, bringen sie es durch Gottes Strafe so weit, dass man Unglück und Herzeleid an ihnen sieht. Denn es geschieht ganz selten, dass solche verruchten Leute eines rechten oder rechtzeitigen Todes [im Alter] sterben.

Wer den Eltern gehorcht, wird von Gott reich belohnt

Die Frommen und Gehorsamen aber haben den Segen: sie leben, wie oben gesagt, lange in guter Ruhe und sehen ihre Kindeskinder bis ins dritte und vierte Glied. So macht man auch die Erfahrung: wenn es irgendwo feine alte Geschlechter gibt, die gut gestellt sind und viele Kinder haben, so ist das gewiss daher gekommen, dass einige von ihnen wohlgezogen gewesen sind ihre Eltern vor Augen gehabt haben. Umgekehrt steht von den Gottlosen geschrieben Ps 109: »Seine Nachkommen müssen ausgerottet werden und ihr Name müsse in der nächsten Generation untergehen.« Deshalb lass dir's gesagt sein, wie groß Ding es bei Gott um den Gehorsam ist: er stellt ihn so hoch, hat selber ein solches Wohlgefallen an ihm und belohnt ihn reichlich; dazu ist er so streng darauf bedacht, die zu strafen, die dawiderhandeln.

Schlusswort zur Anwendung des vierten Gebotes auf die Eltern

Das sage ich alles, damit man's dem jungen Volk recht einbleue. Denn niemand glaubt, wie überaus nötig dieses Gebot ist, das doch bisher unter dem Papsttum weder geachtet noch gelehrt wurde. Es sind schlichte und leichtverständliche Worte, und jedermann meint, er könne das schon von vornherein wohl; darum geht man oberflächlich drüber weg und gafft nach etwas anderem. Man sieht und glaubt nicht, dass man Gott so schwer erzürnt, wenn man das unterlässt, und dass man so köstliche, [Gott] angenehme Werke tut, wenn man dabei bleibt.

Dieses Gebot gilt nicht nur gegenüber den Eltern, sondern gegenüber allen Vorgesetzten, die stellvertretend für die Eltern handeln

Bei diesem Gebot muss weiter auch die Rede sein von all dem Gehorsam gegenüber Oberpersonen (Vorgesetzten], die zu gebieten und zu regieren haben. Denn aus der Obrigkeit der Eltern fließt und verbreitet sich alle andere. Denn wenn ein Vater sein Kind nicht allein erziehen vermag, so nimmt er einen Schulmeister dazu, der es lehren soll; ist er zu schwach dazu, so nimmt er seine Freunde oder Nachbarn zu Hilfe; stirbt er, so befiehlt und übergibt er das Regiment und die Oberhand andren, die man dazu verordnet. Gleichfalls muss er auch Gesinde, Knechte und Mägde im Hausregiment unter sich haben. Somit stehen alle, die man Herren heißt, an der Stelle der Eltern und müssen von ihnen Kraft und Vollmacht zum Regieren sich geben lassen. Deshalb heißen sie auch nach der Heiligen Schrift alle Väter, weil sie mit ihrem Regiment das Amt eines Vaters ausüben und ein väterliches Herz den Ihren gegenüber haben sollen. So hat man auch von altersher bei den Römern und in anderen Sprachen die Herren und Frauen im Haus patres et matres familias, d.h. Hausväter und Hausmütter genannt. Ebenso haben sie auch ihre Landesfürsten und Oberherren patres patriae, d.h. Väter des ganzen Landes geheißen. [Das muss man] uns, die wir Christen sein wollen, zur großen Schande sagen, weil wir sie nicht auch so heißen oder sie wenigstens dafür halten und ehren.

Nicht nur die Kinder, auch alle im Haus Angestellten stehen unter ihrem Gebot

Was nun ein Kind dem Vater und der Mutter schuldet, das schulden auch alle, die ins Hausregiment einbefasst sind. Darum sollen Knechte und Mägde darauf sehen, dass sie ihren Herren und Frauen nicht bloß gehorsam sind, sondern sie auch in Ehren halten wie ihre eigenen Väter und Mütter. Sie sollen alles tun, wovon sie wissen, dass man es von ihnen haben will, nicht gezwungen und widerwillig, sondern mit Lust und Freude, eben aus der vorhin erwähnten Ursache, dass es Gottes Gebot ist und ihm vor allen anderen Werken wohlgefällt. Um deswillen müssten sie eigentlich noch Lohn draufzahlen und froh darüber sein, dass sie Herren und Frauen bekommen können, ein solch fröhliches Gewissen haben dürfen und wissen, wie sie rechte, goldenen Werke tun sollen. Das sind freilich Werke, welche bisher unscheinbar und verachtet waren; statt dessen ist jedermann in des Teufels Namen in Klöster, zu Wallfahrten und Ablass gelaufen – zu seinem Schaden und mit bösem Gewissen.

Eine Magd, die treu ihre Hausarbeit tut, handelt gottwohlgefälliger als viele Mönche

Wenn man nun das dem armen Volk einprägen könnte, so würde eine Magd [vor Freude] nur lauter Sprünge machen, Gott loben und danken, sie würde mit ihrer säuberlichen Arbeit, für die sie ohnehin Kost und Lohn bekommt, einen solchen Schatz kriegen, wie ihn alle die nicht haben, die man für die Heiligsten hält. Ist's nicht ein vortrefflicher Ruhm, das zu wissen und sagen zu können: Wenn du deine tägliche Hausarbeit tust, so ist das besser als die Heiligkeit und das strenge Leben aller Mönche? Und obendrein hast du die Zusage, dass dir's zum Guten gedeihen soll und dass dir's wohl gehen soll. Wie willst du seliger sein oder heiliger leben, soweit es die Werke betrifft? Vor Gott macht ja ausschließlich der Glaube heilig. Mit dem Glauben dienen wir ihm allein, mit den Werken dienen wir aber den Leuten. Da hast du alles Gute, hast Schutz und Schirm unter dem Herrn, ein fröhliches Gewissen und einen gnädigen Gott dazu, der dir's hundertfältig vergelten will, und du bist gar ein Junker, wenn du nur fromm und gehorsam bist. Andernfalls hast du erstens lauter Zorn und Ungnade von Gott und keinen Frieden im Herzen, und weiter hast du alle Plage und Unglück. Wer sich nun dadurch nicht bewegen und fromm machen lassen will, den befehlen wir dem Henker und dem Streckebein. Darum bedenke jeder, der sich's sagen lassen will, dass mit Gott nicht zu scherzen ist; wisse, dass Gott mit dir redet und Gehorsam fordert. Gehorchst du ihm, so bist du das liebe Kind; verachtest du es aber, so habe denn auch Schande, Jammer und Herzeleid zum Lohn.

Auch gegenüber dem Staat gilt dieses Gebot, der Anteil hat an der Autorität der Eltern

In gleicher Weise ist auch zu reden vom Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit, die, wie gesagt, samt und sonders zum Vaterstand gehört und sich am allerweitesten erstreckt. Denn hier handelt es sich nicht um einen Vater einer einzelnen [Familie], sondern um einen, der sovielmal Vater ist, soviel er Einwohner, Bürger oder Untertanen hat. Durch [diese Obrigkeits-Väter] als durch unsere Eltern gibt und erhält uns nämlich Gott Nahrung, Haus und Hof, Schutz und Sicherheit. Darum weil sie diesen Namen und Titel als ihren höchsten Preis mit allen Ehren führen, sind wir auch schuldig, sie zu ehren und hochzuachten als den teuersten Schatz und das köstlichste Kleinod auf Erden.

Gott schenkt seinen Segen denen, die der Obrigkeit gehorchen und sie nicht verachten

Wer nun hier gehorsam, willig und diensteifrig ist und gerne alles tut, was die Ehre [gegenüber der Obrigkeit] belangt, der weiß, dass er etwas Gott Wohlgefälliges tut und Freude und Glück zum Lohn kriegt. Will er es nicht mit Liebe tun, sondern es verachten und sich sperren oder rumoren, so wisse er auch hinwiederum, dass er keine Gnade und Segen hat. Und wo er meint, damit einen Gulden einzusparen, so verliert er dafür anderswo zehnmal mehr oder fällt er dem Henker anheim; er kommt durch Krieg, Pest und Teuerung um oder erlebt an seinen Kindern nichts Gutes; er muss von Gesinde, Nachbarn oder Fremden und Tyrannen Schaden, Unrecht und Gewalt erleiden. So soll uns heimgezahlt und vergolten werden, was wir zu gewinnen und zu verdienen suchen. Wenn wir uns nur einmal das sagen ließen, dass solche Werke Gott so angenehm sind und so reiche Belohnung erhalten! Wir würden dann in lauter überschwenglichen Gütern sitzen und haben, was unser Herz begehrt.

Gott bestraft den, der sein eigener Herr sein will und der Obrigkeit nicht gehorcht.

Da man aber Gottes Wort und Gebot so ganz verächtlich behandelt, als hätte er irgend ein Gassenbube gesagt, so lass auch sehen, ob du der Mann bist, der ihm Trotz bieten könnte? Wir schwer wird's ihm wohl werden, dir's heimzubezahlen? Du lebtest drum gewiss viel besser mit Gottes Huld, Frieden und Glück als mit Ungnade und Unglück. Warum, meinst du, ist jetzt die Welt so voll Untreue, Schande, Jammer und Mord, als weil jeder sein eigener Herr und frei wie der Kaiser sein, auf niemand etwas geben und alles tun will, wonach es ihn gelüstet? Darum straft Gott einen Spitzbuben mit dem andern; wenn du einen Herrn betrügst oder verachtest, so kommt ein anderer, der dir wieder ebenso mitspielt; ja du musst dir in deinem eigenen Haus von Weib, Kindern oder Gesinde zehnmal mehr gefallen lassen. Wir fühlen unser Unglück deutlich, murren und klagen über Untreue, Gewalt und Unrecht, wollen aber nicht einsehen, dass wir selbst Spitzbuben sind, die eine Strafe redlich verdient haben, und wollen in keiner Beziehung uns dadurch bessern. Wir wollen keine Gnade und kein Glück haben, darum haben wir verdientermaßen lauter Unglück ohne alle Barmherzigkeit. Es muss doch noch irgendwo fromme Leute auf Erden geben, dass uns Gott noch so viel Gutes lässt; wenn es auf uns ankäme, so dürften wir keinen Heller im Haus, keinen Strohhalm auf dem Felde behalten.

Schlusswort zur Anwendung des vierten Gebotes auf die Vorgesetzten und den Staat

Das alles habe ich mit soviel Worten betreiben müssen, ob es vielleicht einmal jemand zu Herzen nehmen wollte. Dann könnten wir die Blindheit und den Jammer, worin wir so tief drinstecken, los werden und Gottes Wort und Willen recht erkennen und mit Ernst annehmen. Denn daraus würden wir lernen, wie wir Freude, Glück und Heil genug haben könnten für Zeit und Ewigkeit.

Neben den Vätern des Blutes, des Hauses und des Landes gibt es noch die geistlichen Väter, denen die höchste Ehre gebührt

So haben wir dreierlei Väter, die uns in diesem Gebot vor Augen gestellt sind: die [Väter] nach dem Blut, des Hauses und des Landes. Außerdem gibt es auch noch geistliche Väter. Nicht solche, wie im Papsttum, die sich wohl so haben nennen lassen, aber das väterliche Amt nicht geführt haben. Denn nur die heißen geistliche Väter, die uns durch Gottes Wort regieren und vorstehen, wie sich der hl. Paulus als Vater rühmt 1. Kor 4, wo er spricht: »Ich habe euch in Christus Jesus durch das Evangelium gezeugt.« Weil sie nun Väter sind, gebührt ihnen auch die Ehre, sogar wohl vor allen andern; aber da ist sie am wenigsten in Übung. Denn die Welt muss sie so sehr ehren, dass man sie aus dem Lande jagt und ihnen nicht [einmal] ein Stück Brot gönnt; und kurzum, sie müssen, wie Paulus sagt, das auch dem Volk eindringlich zu machen, dass die, die Christen heißen wollen, vor Gott schuldig sind, ihre Seelsorger zweifacher Ehre wert zu halten, ihnen wohlzutun und sie zu versorgen. Zu diesem Zweck will dir Gott auch genug geben und dir nichts mangeln lassen. Aber da sperrt und wehrt sich jedermann; sie haben alle Sorge, dass der Bauch verschmachte, und so können sie jetzt nicht einmal einen rechtschaffenen Prediger ernähren, wo wir früher zehn Mastbäuche gefüllt haben. Damit verdienen wir es auch, dass uns Gott seines Wortes und Segens beraubt und wieder Lügenprediger aufstehen lässt, die uns zum Teufel führen und obendrein unser Schweiß und Blut aussaugen.

Wir sollten Gott danken für die Verheißung, mit der er alle belohnt, die ihre leiblichen und geistlichen Väter ehren

Alle aber, die Gottes Willen und Gebote sich vor Augen halten, haben die Verheißung, dass ihnen reichlich vergolten werden soll, was sie sowohl leiblichen als geistlichen Vätern zuwenden und zu Ehren tun. Sie sollen nicht nur für ein oder zwei Jahre Brot, Kleider und Geld haben, sondern langes Leben, Nahrung und Frieden, und sie sollen ewig reich und selig sein. Darum tu nur, was du schuldig bist, und lasse Gott dafür sorgen, wie er dich ernähre und dir genug verschaffe. Hat er's verheißen und noch nie gelogen, so wird er dir auch nicht lügen. Das sollte uns immer aufmuntern und unser Herz so stimmen, dass es vor Lust und Liebe denen gegenüber zerschmelzen möchte, denen wir Ehre schulden; wir sollten die Hände aufheben und fröhlich Gott danken, dass er uns solche Verheißungen gegeben hat, nach denen wir bis ans Ende der Welt laufen müssten. Denn auch wenn alle Welt zusammenwirkte, so könnte sie uns doch kein Stündlein zum Leben zulegen oder ein Körnlein aus der Erde zugeben. Gott aber kann und will dir alles überschwenglich geben nach Deines Herzens Lust. Wer nun das verachtet und in den Wind schlägt, der ist es wirklich nicht wert, dass er ein Gottteswort höre.

Eltern, Vorgesetze und Regierende stehen ihrerseits unter Gottes Gehorsam und sie dürfen sich nicht selbst zum Gott machen. Sie haben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten

Damit wurde nun allen denen übergenug gesagt, die unter dieses Gebot gehören. Daneben wäre mit Recht auch den Eltern und allen, die der Eltern Amt ausführen, zu predigen, wie sie sich denen gegenüber verhalten sollen, die ihnen zur Leitung anbefohlen sind. Das steht zwar nicht ausdrücklich in den Zehn Geboten, ist aber doch sonst an vielen Stellen der [Heiligen] Schrift reichlich geboten; auch will es Gott gerade in diesem Gebot mitinbgriffen haben, insofern als er Vater und Mutter nennt. Denn er will nicht [böse] Buben und Tyrannen zu diesem Amt und Regiment haben; er gibt ihnen auch nicht darum die Ehre, d.h. die Macht und das Recht zu regieren, dass sie sich anbeten lassen. Vielmehr sollen sie bedenken, dass sie unter Gottes Gehorsam sind, und sollen sich vor allen Dingen von Herzen und treu ihres Amtes annehmen, indem sie ihre Kinder, ihr Gesinde, ihre Untertanen usw. nicht bloß ernähren und leiblich versorgen, sondern vor allem zu Gottes Lob und Ehre erziehen. Darum bedenke: das steht nicht in deinem Belieben und eigener Willkür, sondern Gott hat es streng geboten und auferlegt; vor ihm wirst du dich auch dafür verantworten müssen.

Die übergeordneten Personen vernachlässigen ihre Pflicht, die Jugend zu erziehen

Da ist nun wieder die leidige Plage, dass niemand das wahrnimmt, und beachtet. Sie gehen hin, als gebe uns Gott Kinder, damit wir unsere Lust und Kurzweil daran haben; dass wir das Gesinde wie eine Kuh oder einen Esel allein zur Arbeit gebrauchen oder an den Untertanen unsern Mutwillen auslassen. Man lässt sie laufen, als ginge es uns nichts an, was sie lernen oder wie sie leben. Niemand will einsehen, dass es der Befehl der hohen Majestät ist, die das ernstlich von uns fordern und rächen wird, auch nicht, dass es so sehr nötig ist, sich der Jugend mit Ernst anzunehmen. Denn wollen wir feine, geschickte Leute haben sowohl für das weltliche als auch für das geistliche Regiment, so dürfen wir wahrhaftig weder Fleiß noch Mühe noch Kosten an unseren Kindern sparen, um sie zu lehren und zu erziehen, damit sie Gott und der Welt dienen können. [Wir dürfen] nicht bloß daran denken, wie wir ihnen Geld und Gut sammeln; denn Gott kann sie wohl ohne uns ernähren und reich machen, wie er es auch täglich tut. Vielmehr hat er uns darum Kinder gegeben und anbefohlen, dass wir sie nach seinem Willen aufziehen und regieren; zu etwas anderem würde er Vater und Mutter nicht brauchen. Darum wisse jeder, dass er bei Verlust der göttlichen Gnade schuldig ist, seine Kinder vor allen Dingen zur Furcht und Erkenntnis Gottes zu erziehen und sie, falls sie dazu geschickt sind, auch lernen und studieren zu lassen, damit man sie, wo es nötig ist, gebrauchen könne.

Die Erziehung der Jugend kommt dem ganzen Land zugute

Wenn man nun das [wirklich] täte, so würde uns Gott auch reichlich segnen und Gnade geben, dass man solche Leute erziehe, durch die Land und Leute gebessert werden könnten, und dazu feine, erzogene Brüder und züchtige und häusliche Frauen, die dann weiterhin fromme Kinder und [ein frommes] Gesinde erziehen können. Da bedenke nun selber: du richtest einen mörderischen Schaden an, wenn du darin säumig bist und es bei dir daran fehlen lässt, dass dein Kind nützlich und seliglich erzogen werde. Obendrein lädst du alle Sünde und [Gottes] Zorn auf dich und verdienst so die Hölle an deinen eigenen Kindern, auch wenn du sonst fromm und heilig wärest. Weil man das verachtet, deshalb straft auch Gott die Welt so greulich, dass man keine Zucht, kein [rechtes] Regiment und keinen Frieden hat. Darüber klagen wir alle, sehen aber nicht, dass das unsere eigene Schuld ist. Denn wie wir [selber] erziehen, so haben wir ungeratene und ungehorsame Untertanen.

Das möge zur Mahnung genügen; denn um das ausführlich zu betreiben, dazu ist ein andermal Zeit.

 

Das fünfte Gebot

Du sollst nicht töten

 

Dieses Gebot verpflichtet den Einzelnen

Wir haben nun sowohl das geistliche als auch das weltliche Regiment besprochen, d.h. die göttliche und die väterliche Obrigkeit und den Gehorsam gegen sie. Hier aber gehen wir nun aus unserem Hause hinaus unter die Nachbarn, um zu lernen, wie wir untereinander leben sollen, jeder einzelne für sich selbst im Verhältnis zu seinem Nächsten.

Somit ist in diesem Gebot Gott und die Obrigkeit nicht mit einbegriffen noch wird ihnen die Macht genommen, die sie zum Töten haben. Denn Gott hat sein Recht, die Übeltäter zu strafen, der Obrigkeit an Stelle der Eltern übertragen – wie man bei Mose liest, mussten diese früher ihre Kinder selbst vor Gericht stellen und zum Tode verurteilen. Was hier verboten ist, ist deshalb der Einzelperson gegenüber einer anderen Person verboten, und nicht der Obrigkeit.

Christus verschärft dieses Gebot in der Bergpredigt

Dies Gebot ist nun leicht genug verständlich und wird oft behandelt, weil man es alle Jahre im Evangelium hört Matth 5. Dort legt Christus selber es aus und fasst es [dahingehend] zusammen, dass man nämlich nicht töten solle weder mit Hand, Herz, Mund, Zeichen, Gebärden, noch durch Mithilfe und Rat. Darum ist darin jedermann das Zürnen verboten, diejenigen – wie schon gesagt – ausgenommen, die Gottes Stellvertreter sind, d.h. Eltern und Obrigkeit. Denn Gott und was in göttlichem Stand ist, gebührt es, zu zürnen, zu schelten und zu strafen eben um deretwillen, die dieses und andere Gebote übertreten.

Dieses Gebot will eine Schutzmauer um den Mitmenschen errichten

Die Ursache aber und die Notwendigkeit dieses Gebotes besteht darin, dass Gott wohl weiß, wie böse die Welt ist, und wie viel Unglück dieses Leben mit sich bringt; deshalb hat er dieses und andere Gebote zwischen gut und böse gestellt. Nun gibt es mancherlei Anfechtung wider alle Gebote, und so geht es auch hier: wir müssen unter viel Leuten leben, die uns Leid zufügen, so dass wir Ursache haben, ihnen feind zu sein. Wenn z.B. dein Nachbar sieht, dass du ein besseres Haus und [einen besseren] Hof, mehr Gut und Glück von Gott hast, als er, so verdrießt es ihn; er beneidet dich und redet nichts Gutes von dir. So kriegst du, weil der Teufel dazu aufreizt, viel Feinde, die dir weder leiblich noch geistlich etwas Gutes gönnen. Wenn man dann solche [Leute] sieht, so will unser Herz auch seinerseits in Wut geraten und Blut fließen lassen und sich rächen; da fängt dann ein Dagegenfluchen und Dagegenschlagen an, woraus schließlich Jammer und Mord folgt. Dem kommt nun Gott zuvor wie ein freundlicher Vater; er legt sich ins Mittel und will den Hader beendet haben, damit kein Unglück daraus entstehe und keiner den andern verderbe. Und kurzum, er will hiermit jeden beschirmt, der Verfolgung entzogen und im Frieden gelassen haben vor jedermanns Frevel- und Gewalttat, und will dieses Gebot um den Nächsten herum zur Ringmauer, zur Festung und Freistätte aufgestellt haben, damit man ihm an seinem Leibe kein Leid noch Schaden antun möge.

Dieses Gebot will das Töten in seiner Wurzel beseitigen

So läuft nun dieses Gebot darauf hinaus, dass man niemandem ein Leid antun soll um irgend einer bösen Tat willen, auch wenn er es reichlich verdient. Denn wo das Totschlagen verboten ist, da sind auch alle Ursachen verboten, aus denen Totschlag entspringen kann. Manch einer tötet ja zwar nicht, aber flucht doch und stößt eine Verwünschung aus, mit der der andere nicht mehr weit laufen würde, wenn er es auf den Hals bekommen müsste. Weil nun dies jedermann von Natur anhängt, und es allgemein Brauch ist, dass keiner vom andern sich etwas gefallen lassen will, will Gott die Wurzel und den Ursprung davon wegräumen, durch welche das Herz gegen den Nächsten erbittert wird. Er will uns daran gewöhnen, dieses Gebot allzeit vor Augen zu haben und uns darin zu spiegeln, Gottes Willen anzusehen und ihm das Unrecht, das wir leiden anzubefehlen und mit herzlichem Vertrauen und unter Anrufung seines Namens. [Wir sollen] also jene in ihrer Feindschaft toben und zürnen lassen; mögen sie tun, was sie können! So lerne ein Mensch den Zorn stillen und ein geduldiges, sanftmütiges Herz in der Brust tragen, besonders denen gegenüber, die ihm Ursache zum Zornigwerden geben, d.h. gegenüber den Feinden.

Gott verbietet nicht nur, dass man mit der Hand tötet, sondern er verbietet auch, dass man mit der Zunge und mit dem Herzen tötet.

Will man darum den einfachen [Menschen] so deutlich als möglich einprägen, was »Nicht-Töten« heißt, so ist der zusammenfassende Inhalt [dieses Gebotes] folgender: Erstens soll man niemand ein Leid antun, zunächst einmal nicht mit der Hand oder Tat, sodann soll man auch die Zunge nicht dazu gebrauchen lassen, um [zu solchem Tun] zu reden oder zu raten. Außerdem soll man keinerlei Mittel oder Weise gebrauchen oder bewilligen, wodurch jemand beleidigt werden könnte; und schließlich soll das Herz niemandem feind sein oder aus Zorn und Hass jemand etwas Böses gönnen. So soll also Leib und Seele jedermann gegenüber ohne Schuld bleiben, besonders aber dem gegenüber, der dir Böses wünscht oder zufügt. Denn wenn du dem, der dir Gutes gönnt und tut, etwas Böses antust, so ist das nicht menschlich, sondern teuflisch.

Man tötet nicht nur, indem man Böses tut, sondern auch, indem man Gutes unterlässt: z.B. einem Hungernden nichts zu essen gibt, so dass er stirbt

Zweitens verschuldet sich gleichfalls diesem Gebot gegenüber nicht bloß, wer Böses tut, sondern auch, wer seinem Nächsten Gutes tun, [ihm] zuvorkommen, [Schädliches] abwehren, [ihn] schützen und retten kann, dass ihm kein Leid noch Schaden am Leib wiederfahre – und tut es nicht. Wenn du also einen Nackten gehen lässt und könntest ihn kleiden, so hast du ihn erfrieren lassen; siehst du jemanden Hunger leiden und speisest ihn nicht, so lässt du ihn Hungers sterben. Ebenso: siehst du jemanden zum Tode verurteilt oder in gleicher Not und rettest ihn nicht, wenn du Mittel und Wege dazu wüsstest, so hast du ihn getötet; und es wird dir nichts helfen, dass du vorwendest, du habest [zu seiner Lage] nicht mitgeholfen und durch Rat oder Tat dazu beigetragen. Denn du hast ihm die Liebe entzogen und ihn der Wohltat beraubt, durch die er am Leben geblieben wäre.

Gott wird diese Mörder der Unterlassung unerbittlich richten

Darum heißt Gott auch mit Recht alle diejenigen Mörder, die in Nöten und Gefahren für Leib und Leben nicht raten und helfen, und er wird ein gar schreckliches Urteil über die ergehen lassen am Jüngsten Tage. Da wird er, wie Christus selbst verkündigt, sprechen: »Ich bin hungrig und durstig gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.« D.h.: ihr hättet mich und die Meinen wohl an Hunger, Durst und Frost sterben, von wilden Tieren zerreißen, im Gefängnis verfaulen und in Nöten verderben lassen. Was heißt das anders, als [solche Leute] Mörder und Bluthunde schelten? Denn wenn du auch solches [Töten deines Nächsten] nicht mit der Tat begangen hast, so hast du ihn doch im Unglück stecken und umkommen lassen, soviel an dir gelegen ist. Und das ist geradeso, wie wenn ich sähe, dass jemand auf tiefem Wasser fährt und sich [im Unwetter] abarbeitet, oder in ein Feuer gefallen ist, und ich könnte ihm die Hand reichen, ihn herausreißen und retten, und täte es doch nicht: Wie würde ich, auch vor aller Welt, anders dastehen als wie ein Mörder und Bösewicht?

Letztlich ist mit diesem Gebot das Gebot der Nächstenliebe und Feindesliebe gemeint

Darum ist die eigentliche Meinung Gottes [von diesem Gebot] die, dass wir keinem Menschen Leid widerfahren lassen, sondern alles Gute und Liebe beweisen: und zwar ist das, wie schon gesagt, besonders auf die gerichtet (gemünzt), die unsere Feinde sind. Denn dass wir Freunden Gutes tun, ist nur eine gewöhnliche heidnische Tugend, wie Christus Matth 5 sagt.

Die Erfüllung dieses Gebotes ist gottwohlgefälliger als mönchische Werke

Da haben wir nun aufs neue Gottes Wort, mit dem er uns anreizen und antreiben will zu rechten, edlen, hohen Werken, wie Sanftmut, Geduld und – zusammenfassend gesagt – Liebe und Wohltat unseren Feinden gegenüber. Er will uns immerfort daran erinnern, dass wir an das erste Gebot zurückdenken, dass er unser Gott sei, d.h. uns helfen, beistehen und schützen wolle, auf dass er die Lust uns zu rächen, dämpfe. Das sollte man nun betreiben und einbleuen; dann würden wir alle Hände voll gute Werke zu tun haben. Aber das wäre nicht für die Mönche gepredigt, dem geistlichen Stand zuviel Abbruch getan, der Heiligkeit der Karthäuser zu nahe getreten und müsste wohl geradezu gute Werke verboten und Klöster ausgeräumt heißen! Denn auf diese Weise würde ja der gewöhnliche Christenstand ebensoviel, ja weit und viel mehr gelten, und jedermann würde sehen, wie sie die Welt mit ihrem falschen, heuchlerischen Schein von Heiligkeit äffen (zum besten haben) und irreführen! Sie haben ja dieses und andere Gebote in den Wind geschlagen und für unnötig gehalten, als wären es nicht Gebote, sondern bloße Ratschläge. Und daneben haben sie unverschämt ihren Heuchelstand mit seinen Werken als das vollkommenste Leben gerühmt und ausgeschrieen, um ja ein gutes, sanftes Leben zu führen ohne Kreuz und Geduld. Darum sind sie auch in die Klöster gelaufen, damit sie von niemand etwas zu leiden noch jemand etwas Gutes zu tun brauchten. Du aber wisse, dass dies die rechten, heiligen und göttlichen Werke sind, über welche [Gott] sich mit allen Engeln freut; diesen Werken gegenüber ist alle menschliche Heiligkeit Stank und Unflat, und überdies verdient sie nichts anderes als Zorn und Verdammnis.

 

Das sechste Gebot

Du sollst nicht ehebrechen

 

Dieses und die folgenden Gebote verbieten es, dem Nächsten Schaden zuzufügen

Diese [folgenden] Gesetze sind nun an und für sich leicht zu verstehen aus dem vorhergehenden; denn sie laufen alle darauf hinaus, dass man sich hüten solle vor aller Art von Schädigung des Nächsten. Sie sind aber geordnet zusammengestellt: zuerst wird [im fünften Gebot] auf seine eigene Person [Bezug genommen]; sodann wird fortgefahren zu der nächststehenden Person bzw. dem Gut, das als nächstes nach seinem eigenen Leibe kommt, nämlich zu seinem Ehegemahl. Das ist ja mit ihm ein Fleisch und Blut, so dass man ihm an keinem andern Gut einen höheren Schaden antun kann.

Das Verbot dieses Gebotes bezieht sich zunächst auf den Ehebruch

Darum kommt es hier auch deutlich zum Ausdruck, dass man [dem Nächsten] keine Schande zufügen soll an seiner Ehefrau. Dem eigentlichen Wortlaut nach geht [das Gebot nur] auf den Ehebruch. Im jüdischen Volk war es nämlich so geordnet und geboten, dass jedermann sich im Ehestand befinden musste. Darum wurde die Jugend auch möglichst frühzeitig verheiratet. Der jungfräuliche Stand galt somit nichts; auch wurde nicht, wie es jetzt der Fall ist, ein öffentliches Huren- und Bubenleben gestattet. Darum ist der Ehebruch die verbreitetste Unkeuschheit bei ihnen gewesen.

Dieses Gebot richtet sich aber darüber hinaus gegen jede Unkeuschheit, und zwar auch gegen die, die in Gedanken und Worten, nicht nur in Werken verübt wird

Weil aber bei uns ein solch schändliches Gemenge und ein solcher Bodensatz aller Untugend und Büberei ist, ist dieses Gebot auch gegen alle Unkeuschheit gerichtet, wie man sie nennen mag. Und zwar ist nicht bloß äußerliches Tun verboten, sondern auch alles, was Ursache, Anreizung und Mittel dazu ist. So soll also Herz, Mund und der ganze Leib keusch sein und der Unkeuschheit keinen Raum, keine Hilfe und keinen Rat geben. Und nicht allein das, sondern man soll auch abwehren, schützen und retten, wo solche Gefahr und Not ist, und andererseits helfen und raten, dass der Nächste in Ehren bleibe. Denn wenn du das unterlässt, wo du es doch verhindern könntest, oder wenn du daran vorbeisiehst, als ginge es dich nichts an, so bist du in gleichen Maße schuldig als der Täter selbst. Demnach ist, um es kurz zusammenzufassen, soviel gefordert, dass ein jeder sowohl für sich selbst keusch lebe als auch dem Nächsten dazu helfe; Gott will also durch dieses Gebot einen jeden Ehegemahl mit Schranken umgeben und ihn bewahren, dass sich niemand an ihm vergreife.

Gott will durch dieses Gebot den Ehestand schützen, der ein göttlicher Stand ist

Weil aber dieses Gebot so eben auf den Ehestand gerichtet ist, und Ursache ist, davon zu reden, so sollst du wohl erfassen und dir merken: Erstens wie Gott diesen Stand so herrlich ehrt und preist, indem er ihn durch sein Gebot sowohl bestätigt als bewahrt. Bestätigt hat er ihn oben im vierten Gebot: »Du sollst Vater und Mutter ehren.« Hier aber hat er ihn, wie gesagt, verwahrt und beschützt. Darum will er ihn auch von uns als einen göttlichen, seligen Stand geehrt, gehalten und geführt haben; hat er ihn doch zuerst vor allen anderen eingesetzt und deshalb, wie vor Augen, Mann und Weib verschieden geschaffen, nicht zur Büberei, sondern damit sie sich zusammenhalten, fruchtbar seien und Kinder zeugen, ernähren und aufziehen zu Gottes Ehre. Darum hat ihn auch Gott vor allen Ständen aufs reichlichste gesegnet und dazu alles, was in der Welt ist, ihm zugewandt und verliehen, damit dieser Stand ja gewiss wohl und reichlich versorgt würde. So ist es kein Scherz und Vorwitz, sondern ein treffliches Ding und ein göttlicher Ernst um das eheliche Leben. Denn es liegt [Gott] alles daran, dass man Leute erziehe, die der Welt dienen und helfen zu Gottes Erkenntnis, seligem Leben und allen Tugenden, um wider die Bosheit und den Teufel zu streiten.

Die Ehe ist der edelste Stand und er steht über allen anderen geistlichen und weltlichen Schulen

Darum habe ich immer gelehrt, man solle diesen Stand nicht verachten noch schimpflich beurteilen, wie es die blinde Welt und unsere falschen Geistlichen tun, sondern man solle ihn einschätzen nach Gottes Wort, durch das er geschmückt und geheiligt ist. Er ist nicht bloß anderen Ständen gleichgesetzt, sondern geht ihnen allen vor und übertrifft sie, mag es sich um Kaiser, Fürsten, Bischöfe und wer sie sein wollen, handeln. Denn was geistliche wie weltliche Stände sind, – beide müssen sich demütigen und sich alle in diesem Stande finden lassen, wie wir hören werden. Darum ist es nicht ein besonderer, sonder der allgemeinste, edelste Stand, der durch den ganzen Christenstand, ja durch alle Welt geht und reicht.

Die Ehe ist nicht nur ein ehrenvoller, sondern ein notwendiger Stand. Denn man kann außerhalb der Ehe nicht keusch bleiben, sieht man von wenigen Ausnahmen ab, die Gott von diesem Naturgesetz ausgenommen hat

Zweitens sollst du auch wissen, dass es nicht allein ein ehrenvoller, sondern auch ein notwendiger Stand ist. Es ist ernstlich von Gott geboten, dass sich insgemein durch alle Stände hindurch Männer und Frauen darin finden lassen, die dazu geschaffen sind. Einige jedoch, wenn auch nur wenige, sind davon ausgenommen, die Gott eigens davon ausgenommen hat, weil sie zum Ehestand nicht tauglich sind oder weil er sie durch eine hohe, übernatürlich Gabe dazu freigemacht hat, dass sie außerhalb des [Ehe]standes Keuschheit bewahren können. Denn wo es nach der Natur geht, wie sie von Gott eingepflanzt ist, ist es nicht möglich, außerhalb der Ehe keusch zu bleiben. Denn Fleisch und Blut bleibt Fleisch und Blut, und die natürliche Neigung und Reizung geht unverwehrt und ungehindert [ihren Gang] wie jedermann sieht und fühlt. Damit es desto leichter sei Unkeuschheit einigermaßen zu vermeiden, hat Gott deshalb auch den Ehestand befohlen, dass ein jeder sein zugemessenes Teil habe und sich daran genügen lasse. Freilich gehört noch Gottes Gnade dazu, dass das Herz auch keusch sei.

Die Verachtung der Ehe rächt sich durch Unkeuschheit. Man kann nicht aus dem Ausnahmefall einen Regelfall machen, wie es in den Klöstern und durch den priesterlichen Zölibat geschah

Daraus siehst du, wie unser päpstlicher Haufe, Priester, Mönche und Nonnen der Ordnung und dem Gebot [Gottes] widerstreben. Sie verachten und verbieten den Ehestand und vermessen sich und geloben, ewige Keuschheit zu halten; dazu betrügen sie die einfachen Menschen mit lügenhaften Worten und [täuschendem] Schein. Denn niemand hat so wenig Liebe und Lust zur Keuschheit als eben die, die den Ehestand aus großer Heiligkeit meiden und entweder offenkundig und unverschämt in Hurerei liegen oder es heimlich noch ärger treiben, dass man es nicht zu sagen wagt. Diese Erfahrung hat man leider allzuviel gemacht. Und kurz, auch wenn sie sich der Tat enthalten, so stecken sie doch im Herzen voll unkeuscher Gedanken und böser Lust, dass da ein ewiges Brennen und heimliches Leiden ist, das man im ehelichen Leben umgehen kann. Darum ist durch dieses Gebot jedes Gelübde, ohne Ehe keusch zu bleiben, verdammt und aufgehoben; ja es ist sogar allen armen, gefangenen Gewissen, die durch ihre klösterlichen Gelübde betrogen sind, geboten, dass sie selbst wenn sonst das Klosterleben gottgefällig wäre, so steht es doch nicht in ihrer Kraft, Keuschheit zu bewahren, und wenn sie [im Kloster] bleiben, müssen sie nur mehr und weiter gegen dieses Gebot sündigen.

Die Ehe muss wieder zu Ehren kommen. Sie soll daher Ziel der Erziehung der Jugend sein

Solches sage ich nun darum, dass man das junge Volk dazu anhalte, dass sie Lust zum Ehestand gewinnen und wissen, dass es ein seliger Stand ist und Gott wohlgefällt. Denn damit könnte man es mit der Zeit wieder dahin bringen, dass er wieder zu seiner Ehre käme; das unflätige, wüste, unordentliche Wesen würde abnehmen, das jetzt allenthalben in der Welt sich breit macht mit öffentlicher Hurerei und anderen schändlichen Lastern, die aus der Verachtung des ehelichen Lebens gefolgt sind. Darum sind es hier auch die Eltern und die Obrigkeit schuldig, auf die Jugend zu sehen: man soll sie zur Zucht und Ehrbarkeit aufziehen, und, wenn sie erwachsen sind, mit Gott in Ehren verheiraten. Dazu würde Gott seinen Segen und Gnade geben, dass man Lust und Freude daran hätte.

Das Wichtigste in der Ehe ist die gegenseitige Liebe und Treue der Ehegatten

Auf Grund von dem allem sei nun abschließend gesagt, dass dieses Gebot nicht allein fordert, dass jedermann mit Werken, Worten und Gedanken keusch lebe in seinem Stande, d.h. in den allermeisten Fällen im ehelichen Stande, sondern auch, dass er sein Gemahl als von Gott gegeben lieb und wert halte. Denn wo eheliche Keuschheit gehalten werden soll, da müssen Mann und Frau vor allen Dingen in Liebe und Eintracht beieinander wohnen, dass eines den andern von Herzen und mit ganzer Treue liebe. Denn das ist eines der wichtigsten Stücke, das Liebe und Lust zur Keuschheit macht; wo das in Übung ist, da wird wohl von selbst auch Keuschheit daraus folgen ohne alles Gebieten. Deshalb ermahnt auch der hl. Paulus die Eheleute so fleißig, dass eins das andere liebe und ehre. Da hast du nun abermals ein köstliches, ja viele und große, gute Werke, welche du fröhlich rühmen kannst allen geistlichen Ständen gegenüber, die ohne Gottes Wort und Gebot erwählt wurden.

 

Das siebte Gebot

Du sollst nicht stehlen

 

Ein Dieb ist nicht nur, wer Truhen und Taschen ausraubt, sondern wer seinen Mitmenschen übervorteilt

Nach deiner Person und deinem Ehegemahl ist das zeitliche Gut das nächste; auch das will Gott verwahren, und so hat er geboten, dass niemand dem Nächsten das Seine entziehe oder verkürze. Denn Stehlen heißt nichts anderes als eines anderen Gut mit Unrecht an sich bringen. Darunter ist, kurz gesagt, verstanden jeder Vorteil, [den man sich] bei allen möglichen Handelsgeschäften zum Nachteil des Nächsten [verschafft]. Das ist nun ein sehr weitverbreitetes, allgemeines Laster, das aber so wenig beachtet und wahrgenommen wird, so sehr geht es über alles Maß hinaus. Es ist so: müsste man sie alle an den Galgen hängen, die Diebe sind, ohne dass sie doch so heißen wollen, so würde die Welt bald menschenleer werden und es sowohl an Henkern als an Galgen fehlen. Denn es soll, wie soeben gesagt, nicht bloß das gestohlen heißen, wenn man Kasten und Truhen ausräumt, sondern es soll sich erweitern auf den Markt, auf alle Kramläden, Fleischbuden, Wein- und Bierkeller, Werkstätten, kurz [auf alle Orte], wo man Geschäfte macht und Geld um Ware oder Arbeit nimmt und gibt.

So ist ein Angestellter, der nicht gewissenhaft arbeitet, sondern nachlässig und faul ist, ein Dieb

Zum Beispiel, um es für das einfache Volk ein wenig handgreiflich zu erklären, damit man doch sehe, wie fromm wir sind: Angenommen, ein Knecht oder eine Magd dient im Hause nicht treu und richtet Schaden an oder lässt ihn geschehen, obwohl sie ihn verhindern könnte; oder sie verwahrlost und vernachlässigt sonst ihr Gut aus Faulheit, Unfleiß oder Bosheit dem Herrn oder der Frau zum Trotz und Verdruss, und aus welchen Gründen das sonst noch mutwillig geschehen kann, denn ich rede nicht von dem, was versehentlich und unabsichtlich getan worden ist. Da kannst du in einem Jahr dreißig oder vierzig Gulden und mehr entwenden. Wenn ein anderer das heimlich genommen oder weggetragen hätte, so müsste er am Strick ersticken; aber hier darfst du noch trotzen und pochen und niemand darf dich einen Dieb heißen.

Ebenso ist ein Handwerker, Arbeiter oder Tagelöhner ein Dieb, wenn er unzuverlässig in seiner Arbeit ist und andere betrügt

Das gleiche sage ich auch von Handwerksleuten, Arbeitern, Tagelöhnern, wenn sie mutwillig handeln und nicht wissen, wie sie die Leute übervorteilen sollen, und dabei doch lässig und untreu in der Arbeit sind. Diese alle sind weit schlimmer als die heimlichen Diebe. Gegen solche kann man Schloss und Riegel anbringen, oder wenn man sie erwischt, spielt man ihnen so mit, dass sie es nicht mehr tun. Vor diesen aber kann sich niemand hüten, es darf sie auch niemand unfreundlich ansehen oder irgend eines Diebstahl bezichtigen. Zehnmal lieber sollte man etwas aus dem Beutel verlieren; denn hier handelt es sich um meine Nachbarn, um gute Freunde, um mein eigenes Gesinde, denen ich Gutes zutraue, während sie mich am allermeisten betrügen.

Schlimmer als die heimlichen Diebe sind die öffentlichen Diebe, die unter dem Schein des Rechts stehlen: Geschäftsleute, die Wucher treiben, andere überlisten und ausbeuten, ebenso Landräuber

So ist es ferner auch auf dem Markt und bei den gewöhnlichen Handelsgeschäften mit aller Macht und Gewalt in Übung: Da betrügt einer den andern öffentlich mit falscher Ware, falschem Maß, falschem Gewicht, falscher Münze, und übervorteilt ihn mit List und seltsamen Finanztricks oder mit tückischen Geschäftskniffen; ebenso übernimmt er ihn mit dem Kaufpreis und beschwert, schindet und plagt ihn mutwillig. Und wer kann das alles aufzählen oder ausdenken? Kurzum, es ist das verbreitetste Handwerk und die größte Zunft auf Erden, und wenn man die derzeitige Welt in allen ihren Ständen ansieht, so ist sie nichts anders als ein großer, weiter Stall voll großer Diebe. Drum heißen sie auch Stuhlräuber, Land- und Straßendiebe. Es sind nicht Kastenräuber und Meucheldiebe (heimliche Diebe), die aus der Barschaft stehlen, sondern solche, die auf ihrem Stuhle sitzen und große Junker und ehrsame, rechtschaffene Bürger heißen und dabei unter dem Schein des Rechtes rauben und stehlen.

Während man die kleinen, heimlichen Diebe bestraft, gehen die großen, öffentlichen Diebe frei aus

Ja, man könnte hier noch schweigen von kleinen, vereinzelten Dieben, wenn man die großen, gewaltigen Erzdiebe angreifen sollte, mit denen die Herren und Fürsten gemeinsame Sache machen, [und] die nicht [bloß] eine Stadt oder zwei, sondern ganz Deutschland täglich ausstehlen. Ja, wo bliebe das Haupt und der oberste Schutzherr aller Diebe, der Heilige Stuhl zu Rom mit all seinem Zubehör, der die Güter der ganzen Welt durch Dieberei an sich gebracht und bis auf diesen Tag inne hat? Kurz, so geht's zu in der Welt: Wer öffentlich stehlen und rauben kann, geht sicher und frei dahin, von jedermann ungetadelt, und will dazu noch geehrt sein. Währenddessen müssen die kleinen, heimlichen Diebe, die sich einmal [an fremdem Eigentum] vergriffen haben, die Schande und Strafe tragen, und so jene als fromm und ehrbar erscheinen lassen. Doch sollen jene wissen, dass sie vor Gott die größten Diebe sind; er wird sie auch strafen, wie sie es wert sind und verdienen.

Die positive Forderung dieses Gebotes: das Hab und Gut des Nächsten zu beschützen und zu fördern

Weil nun dieses Gebot sich so weit erstreckt, wie soeben gezeigt wurde, ist's notwendig, es dem Volk nachdrücklich vorzuhalten und ausführlich zu erklären; man darf es nicht so freizügig und sicher hingehen lassen, sondern muss ihm immer Gottes Zorn vor Augen stellen und einbleuen. Wir müssen ja das nicht Christen, sondern allermeist Spitzbuben und Bösewichtern predigen, denen wohl mit Recht der Richter, der Stockmeister oder der Meister Hans predigen sollte. Drum soll jeder wissen, dass er es bei Gottes Ungnade schuldig ist, nicht allein seinem Nächsten Schaden zuzufügen noch ihm seinen Vorteil zu entwenden noch beim Kauf oder irgend einem Handelsgeschäft irgendwelche Untreue oder Heimtücke an ihm zu verüben, sondern er soll auch sein Gut treulich bewahren, seinen Nutzen bewirken und fördern, besonders, wenn er Geld, Lohn und Nahrung dafür nimmt.

Der Dieb wird vielleicht dem Henker entgehen, aber nicht Gott, der ihm zur gegebenen Zeit mit gleicher Münze heimzahlen wird und einem Angestellten seine Untreue in seinem eigenen Haus büßen lässt

Wer nun dies mutwillig verachtet, kann wohl seines Weges gehen und dem Henker entlaufen, wird aber Gottes Zorn und Strafe nicht entgehen; und wenn er es in seinem Trotz und Stolz auch noch lange treiben mag – er wird doch ein Landstreicher und Bettler bleiben und alle Plage und alles Unglück dazu haben. Jetzt gehst du hin, und wo du deines Herrn oder deiner Frau Gut bewahren solltest, da füllst du dir statt dessen deinen Kropf und Bauch, nimmst deinen Lohn wie ein Dieb, lässest dich dazu feiern wie ein Junker. So gibt es viele, die ihren Herren und Frauen obendrein noch trotzen und ihnen ungern die Liebe und den Dienst erweisen, einen Schaden abzuwehren. Sieh aber zu, was du daran gewinnst: Wenn du selber ein Eigentum bekommst und in einem Hause sitzest, – und Gott wird dir zu deinem eigenen Unglück dazu helfen , soll sich's wieder wenden und [das Böse] heimkommen: wo du für einen Heller Abbruch oder Schaden getan hast, sollst du es dreißigfältig heimzahlen müssen.

Auch unredliche Handwerker und Tagelöhner entgehen nicht der göttlichen Strafe

Ebenso soll es den Handwerksleuten und Taglöhnern gehen, von welchen man zur Zeit unerträglichen Mutwillen hören und ertragen muss, als wären sie Junker über fremdes Gut, und als müsse ihnen jedermann ohne weiteres geben, soviel sie verlangen. Solche Leute lasse nur getrost [Geld] herausschinden, so lange sie können; aber Gott wird sein Gebot nicht vergessen und ihnen auch, entsprechend wie sie verdient haben, lohnen. Er wird sie nicht an einen grünen, sondern an einen dürren Galgen hängen; sie sollen ihr Leben lang nicht gedeihen und nicht vor sich bringen. Und wahrlich, wenn ein rechtes, ordentliches Regiment im Lande wäre, könnte man einen solchen Mutwillen bald steuern und wehren, wie es einst bei den Römern gewesen ist, wo man einen solchen flugs beim Schopf nahm, dass sich andere eine Warnung daraus nehmen sollten.

Geschäftsleute, die aus dem freien Markt eine Räuberhöhle machen, werden ihres Gutes nicht froh werden

Ebenso soll es allen andern ergehen, die aus dem öffentlichen freien Markt nichts andres als einen Schindanger und ein Räuberhaus machen, wo man täglich die Armen übervorteilt und neue Beschwerung und Teuerung hervorruft. Jeder missbraucht den Markt nach seinem Mutwillen und ist dazu [auch noch] trotzig und stolz, als hätte er die Befugnis und das Recht dazu, das Seine so teuer herzugeben, als es ihn gelüstet, und als dürfe ihm niemand dreinreden. Denen wollen wir zwar zusehen, sie schinden, zwacken und geizen lassen, aber Gott vertrauen, der doch ohnehin das Seine dazu tun wird. Wenn du [nämlich] lange genug [Geld] geschunden und zusammengescharrt hast, wird er einen Segen darüber sprechen, dass dir dein Korn auf dem Boden, dein Bier im Keller, dein Vieh im Stall verderbe. Ja, wenn du jemandem um einen Gulden täuschst und übervorteilst, soll dir's den ganzen Haufen wegrosten und wegfressen, dass du seiner nimmermehr froh werdest.

Unrecht Gut gedeiht nicht, Gott straft einen Dieb mit dem anderen.

Das sehen und erfahren wir wahrlich täglich vor unseren Augen, wie es sich erfüllt, dass kein gestohlenes und mit falschen Mitteln gewonnenes Gut gedeiht. Wie viele gibt's, die Tag und Nacht scharren und kratzen und doch keinen Heller reicher werden! Selbst wenn sie viel sammeln, müssen sie doch [soviel] Plage und Unglück haben, dass sie es nicht mit Freuden genießen noch auf ihre Kinder vererben können. Aber weil sich niemand dran kehrt und wir unsres Weges gehen, als ginge es uns nichts an, muss Gott uns anders heimsuchen und Mores lehren, indem er eine Heimsuchung nach der andern über uns schickt oder einen Haufen Landsknechte bei uns zu Gaste lädt. Die räumen uns dann in einer Stunde Kasten und Beutel aus und hören nicht auf, solange wir noch einen Heller besitzen; dazu verbrennen und verheeren sie als Dank dafür Haus und Hof, schänden Weib und Kinder und bringen sie um. Und, zusammenfassend gesagt, stiehlst du viel, so mache dich fest darauf gefasst, dass dir noch einmal soviel gestohlen wird; und wer mit Gewalt und Unrecht raubt und gewinnt, muss einen andern erleiden, der ihm auch ebenso mitspielt. Denn diese Kunst versteht Gott meisterhaft, dass er einen Dieb mit dem andern straft, weil jedermann den andern beraubt und bestiehlt. Wo wollte man sonst genug Galgen und Stricke hernehmen?

Gott ist ein Anwalt der Armen. Sein Gericht wird besonders hart über die ergehen, die sich an den Armen vergreifen

Wer sich's nun sagen lassen will, der wisse, dass es Gottes Gebot ist, und nicht für einen Scherz gehalten sein will. Denn wenn du uns verachtest, betrügst, bestiehlst und beraubst, wollen wir uns zwar noch dreinfinden und deinen Hochmut ausstehen, erleiden und gemäß dem Vaterunser vergeben und barmherzig sein; denn die Frommen müssen doch genug haben und du tust dir selbst mehr Schaden als einem andern. Aber davor hüte dich: Wenn die liebe Armut kommt, und solche gibt es jetzt viel, die von ihrem täglichen Pfennig einkaufen und leben müssen, und du fährst zu, als müsste jedermann von deiner Gnade leben, und schindest und schabst sie bis auf die Knochen, weisest dazu mit Stolz und Übermut den ab, dem du geben und schenken solltest, dann geht sie dahin, elend und betrübt, und weil sie es niemand klagen kann, schreit und ruft sie zum Himmel. Davor hüte dich, sage ich noch einmal, wie vor dem Teufel selber. Denn ein solches Seufzen und Rufen lässt nicht mit sich scherzen, sondern wird eine Wirkung haben, die dir und aller Welt zu schwer werden wird. Denn es wird bis zu dem dringen, der sich der armen, betrübten Herzen annimmt und sie nicht ungerächt lassen will. Verachtest du das aber und trotzest, so siehe zu, wen du gegen dich aufgebracht hast; wird dir's gelingen und wohlgehen, so sollst du Gott und mich vor aller Welt Lügner schelten.

Der Staat muss ordnend in das Wirtschaftsleben eingreifen, um den Armen zu helfen

Wir haben genug ermahnt, gewarnt und gewehrt; wer es nicht beachten und nicht glauben will, den lassen wir gehen, bis er's erfahre. Doch muss man dem jungen Volk das einprägen, dass sie sich in Hut nehmen und nicht dem zügellosen Haufen der Alten nachfolgen, sondern sich Gottes Gebot vor Augen halten, damit nicht Gottes Zorn und Strafe auch über sie ergehe. Uns gebührt nichts weiter als zu reden und zu strafen mit Gottes Wort; um aber diesen öffentlichen Mutwillen zu steuern, dazu gehören Fürsten und die Obrigkeit, die selbst Augen dafür und den Mut dazu hätten, bei all den Handelsgeschäften und Käufen Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten, damit die Armut nicht beschwert und unterdrückt werde und sie selber sich nicht mit fremden Sünden zu beladen brauchten.

Der zusammenfassende Sinn dieses Gebotes, das uns vor allem auf die Armen verweist

Damit sei genug von dem gesagt, was stehlen heißt. Man darf also [den Begriff] nicht so eng fassen, sondern muss ihn so weit ausdehnen, als wir es mit dem Nächsten zu tun haben. Und, um es wie bei den vorigen [Geboten] kurz zusammenzufassen, so ist dadurch erstens verboten: wir sollen dem Nächsten keinen Schaden und Unrecht tun, einerlei, welche Art und Weise man sich dabei auch ausdenken mag, um ihm Hab und Gut zu verkürzen, zu schädigen und vorzuenthalten; auch sollen wir in solches [Unrecht] nicht einwilligen noch es gestatten, sondern ihm wehren und zuvorkommen. Andrerseits ist [etwas] geboten: wir sollen dem Nächsten sein Gut fördern und bessern, und falls er Not leidet, ihm helfen, ihm mitteilen, ihm etwas vorstrecken und das bei Freunden wie auch bei Feinden. Wer nun gute Werke sucht und begehrt, wird hier übergenug finden, die Gott von Herzen angenehm und wohlgefällig sind. Dazu sind sie mit vortrefflichem Segen begnadet und überschüttet: es soll reichlich vergolten werden, was wir unsrem Nächsten zum Nutzen und aus Freundschaft tun. So lehrt auch der König Salomo: »Wer sich des Armen erbarmt, der leiht dem Herrn; der wird ihm seinen Lohn wiedervergelten.« Da hast du einen reichen Herrn, der dir gewiss genug ist und dir nichts gebrechen und mangeln lassen wird; so kannst du mit fröhlichem Gewissen in den Genuss von hundertmal mehr kommen als du mit Untreue und Unrecht zusammenscharrst. Wer nun vom Segen nichts mag, der wird Zorn und Unglück finden.

 

Das achte Gebot

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten

 

Es geht in diesem Gebot um die Ehre und den guten Ruf

Außer unserem eigenen Leib, unserem Ehegemahl und unserem zeitlichen Gut haben wir noch einen Schatz, den wir auch nicht entbehren können, nämlich Ehre und guten Ruf. Denn es kommt darauf an, nicht unter den Leuten in öffentlicher Schande, von jedermann verachtet, zu leben.

Das Gebot bezieht sich ursprünglich auf das Gerichtswesen, wie sein Wortlaut erweist

Darum will Gott des Nächsten Leumund, guten Ruf und Gerechtigkeit so wenig wie Geld und Gut genommen oder verkürzt haben, damit jeder vor seinem Weib und Kind, vor Gesinde und Nachbarn in Ehren dastehe. Und [zwar] ist das nächstliegende Verständnis dieses Gebots gemäß seinem Wortlaut: »Du sollst nicht falsch Zeugnis reden« zuerst auf das öffentliche Gericht bezogen, wo man einen armen, unschuldigen Mann verklagt und durch falsche Zeugen unterdrückt, damit er an Leib, Gut oder Ehre gestraft werde. Das scheint uns nun jetzt wenig anzugehen; aber bei den Juden kam es außerordentlich oft vor. Denn dieses Volk hatte nach seiner Verfassung ein feines, geordnetes Regiment; und, wo sonst noch ein solch Regiment ist, da geht es ohne diese Sünde nicht ab. Die Ursache ist diese: Wo nämlich ein Richter, Bürgermeister, Fürst oder eine andere Obrigkeit (zu Gericht) sitzt, da bleibt es niemals aus; es geht nach der Welt Lauf, dass man niemanden gerne beleidigen will, und so heuchelt man und redet nach Gunst, Geld, Hoffnung oder Freundschaft; währenddessen muss ein armer Mann mit seiner Sache sich unterdrücken lassen, unrecht haben und Strafe erleiden.

Ohne Rücksicht auf Geld, Einfluss, Ansehen und Macht soll im Gericht das Recht gewahrt und wahrheitsgemäß verfahren werden

Es ist eine allgemeine Plage in der Welt, dass im Gericht selten fromme Leute sitzen. Denn es gehört vor allen Dingen ein frommer Mann zum Richter, und nicht bloß ein frommer, sondern auch ein weiser, gescheiter, und vor allen Dingen ein frommer Mann zum Zeugen. Denn wer alle Sachen recht richten und mit dem Urteil durchgreifen soll, wird oftmals gute Freunde, Schwäger, Nachbarn, Reiche und Gewalthaber erzürnen, die ihm in vielen dienlich sein oder schaden können. Darum muss er ganz blind sein. Augen und Ohren zutun, auf nicht sehen noch hören, als stracks vor sich hin auf die Sache selbst, die ansteht, und dementsprechend muss er seinen Entschluss fassen.

Darauf ist nun erstens dieses Gebot zu beziehen, dass ein jeder seinem Nächsten zu seinem Rechte helfen und es nicht hindern oder beugen lassen, sondern es fördern und stracks darüber wachen soll, mag er Richter oder Zeuge sein und mag es betreffen, was es will. Und besonders ist hiermit unseren Herrn Juristen ein Ziel gesteckt: sie sollen sich vorsehen und recht und aufrichtig mit den [Streit-]Sachen umgehen. Was Recht ist, sollen sie Recht bleiben lassen und andererseits nicht verdrehen oder bemänteln oder verschweigen, ohne Rücksicht zu nehmen auf Geld, Gut, Ehre oder Herrschaftsgewalt. Das ist ein Punkt dieses Gebotes und sein nächstliegendes Verständnis; [demnach bezieht es sich auf] alles, was vor Gericht vorkommt.

Dieses Gebot trifft außerdem auf die geistlichen und kirchlichen Gerichte zu, die häufig die Wahrheit des Evangeliums unterdrücken

Sodann erstreckt sich [das achte Gebot] sehr viel weiter, wenn man es [zweitens] aufs geistliche Gericht oder Regiment bezieht. da geht es so zu, dass jeder wider seinen Nächsten falsch zeugt. Denn wo fromme Prediger und Christen sind, da werden sie von der Welt so beurteilt, dass man sie Ketzer, Abtrünnige, ja aufrührerische und heillose Bösewichte heißt. Dazu muss sich Gottes Wort aufs schändlichste und giftigste verfolgen, lästern, Lügen strafen, verkehren und fälschlich anführen und deuten lassen. Aber das nehme seinen Gang! Es ist ja der blinden Welt Art, dass sie die Wahrheit und Gottes Kinder verdammt und verfolgt, und es doch nicht für eine Sünde hält.

Dieses Gebot richtet sich darüber hinaus generell gegen jede Zungensünde, vor allem gegen die üble Nachrede

Drittens ist – was uns alle zugleich betrifft – in diesem Gebot jede Zungensünde verboten, wodurch man dem Nächsten Schaden antut oder zu nahe tritt. Falsch Zeugnis reden ist ja nichts andres als ein Werk des Mundes: alles nun, was man mit dem Mundwerk gegen den Nächsten tut, das will Gott gewehrt haben, ob es nun falsche Prediger mit ihrer Lehre und ihren Lästerungen sind, oder falsche Richter und Zeugen mit ihrem richterlichen Urteil oder sonst, außerhalb des Gerichts [alles] Lügen und Übelreden. Hierher gehört besonders das leidige, schändliche Laster der falschen Nachrede oder Verleumdung, womit uns der Teufel reitet; davon wäre viel zu sagen. Denn es ist eine allgemein verbreitete schädliche Plage, dass jedermann lieber Böses als Gutes von seinem Nächsten sagen hört. Obwohl wir selber so böse sind, dass wir es nicht ertragen können, wenn uns jemand ein böses Stück nachsagt, sondern jeder gerne will, dass alle Welt nur das Beste von ihm redet, können wir trotzdem nicht hören, wenn man von andern das Beste sagt.

Auch wenn ich von der Sünde eines andern weiß, darf ich sie nicht weitererzählen und nicht über sie richten

Um eine solche Untugend zu vermeiden, sollen wir uns deshalb merken: niemand ist dazu befugt, über seinen Nächsten öffentlich zu urteilen und zu strafen. Denn es ist ein ganz großer Unterschied zwischen den zweien: dem Richten einer Sünde und dem Wissen einer Sünde. Wissen kannst du sie wohl, aber richten sollst du sie nicht. Sehen und hören kann ich wohl, dass mein Nächster sündigt, aber es andern gegenüber weiterzusagen, dazu habe ich keinen Auftrag. Wenn ich nun zufahre, richte und urteile, so gerate ich in eine Sünde, die größer ist als jene. Weißt du es aber, so tu nichts anderes, als dass du aus deinen Ohren ein Grab machst und es zuscharrst, bis du den Auftrag bekommst, Richter zu sein und von Amts wegen zu strafen.

Durch sein Richten greift der üble Nachredner dem Gerichtsurteil Gottes vor und er maßt sich eine Funktion an, die Gott dem Staat übertragen hat

Nachredner heißt man nun solche, die es nicht beim Wissen [einer Sünde] bewenden lassen, sondern weiter gehen und dem Gericht vorgreifen. Wenn sie ein Stücklein von einem andern wissen, so tragen sie es in alle Winkel, kitzeln und krauen sich vor Behagen, dass sie den Unrat eines andern aufrühren können wie die Säue, die sich im Kote wälzen und mit dem Rüssel darin wühlen. Das ist nichts anderes als Gott in sein Gericht und Amt fallen, urteilen und mit dem schärfsten Urteil strafen. Denn kein Richter kann strenger strafen oder weiter gehen, als indem er sagt: Der da ist ein Dieb, Mörder, Verräter usw. Wer sich deshalb untersteht, etwas Derartiges von seinem Nächsten zu sagen, der greift ebensoweit wie der Kaiser und die Obrigkeit. Denn wenn du auch nicht das Schwert führst, so gebrauchst du doch deine giftige Zunge dem Nächsten zu Schande und Schaden.

Wir sind verpflichtet, über die Sünden anderer zu schweigen, – zumal, wenn wir sie nicht beweisen können

Darum will Gott dem gewehrt haben: Niemand soll dem andern Übles nachreden, selbst wenn jener wirklich schuldig ist und dieser es genau weiß; noch viel weniger, wenn er es nicht weiß und es bloß vom Hörensagen vernommen hat. Aber vielleicht wendest du ein: »Soll ich's denn nicht sagen, wenn es die Wahrheit ist?« Antwort: »Warum trägst du es nicht vor den ordentlichen Richter« »Ja, ich kann's nicht öffentlich bezeugen, man könnte mir sonst vielleicht übers Maul fahren und mich übel abweisen.« Ei, Lieber, riechst du den Braten? Getraust du dich nicht, vor [dazu] verordneten [Amts]personen zu stehen und dich zu verantworten, dann halte das Maul. Weißt du es aber, so wisse es für dich, nicht für einen andern. Denn wenn du es weiter sagst, auch wenn es wahr ist, stehst du doch als ein Lügner dar, weil du es nicht als wahr beweisen kannst; und dazu machst du es wie ein Bösewicht. Denn man soll niemandem seine Ehre und seinen guten Ruf nehmen, solange sie ihm nicht öffentlich genommen wird.

Somit heißt nun »falsch Zeugnis« alles, was man nicht beweisen kann, wie sich's gehört. Was darum nicht durch genügende Beweisführung offenbar ist, soll niemand offenbar machen und als Wahrheit ausgeben. Und zusammenfassend gesagt, was heimlich ist, soll man heimlich bleiben lassen oder wenigstens heimlich strafen, wie wir [noch] hören werden. Wenn dir darum ein unnützes Maul vorkommt, das einen andern austrägt und verleumdet, so sage es ihm frisch ins Gesicht, dass er schamrot werde; so wird mancher das Maul halten, der sonst einen armen Menschen ins Gerede bringt, aus der er schwerlich wieder herauskommen kann. Denn Ehre und guter Name ist bald genommen, aber nicht bald wiedergegeben.

Von dem Verbot, über den Nächsten Böses zu reden, sind außer dem Staat der Prediger, Vater und Mutter ausgenommen, die das Böse nicht ungestraft lassen dürfen

So siehst du, dass rundweg verboten ist, von dem Nächsten etwas Böses zu reden. Davon ausgenommen sind jedoch weltliche Obrigkeit, Prediger, Vater und Mutter, da dieses Gebot [ja auch] so zu verstehen ist, dass das Böse doch nicht ungestraft bleiben dürfe. Da ist es nun wie beim fünften Gebot, nach dessen Wortlaut man niemandem am Leibe Schaden tun soll mit Ausnahme des Meister Hans, der von Amts wegen dem Nächsten nichts Gutes, sondern nur Schaden und Böses antut, ohne damit wider Gottes Gebot zu sündigen. Denn Gott hat dieses Amt um seinetwillen eingesetzt, da er sich ja, wie er im ersten Gebot droht, die Strafe nach seinem Belieben vorbehalten hat. Ebenso auch hier [beim achten Gebot]. Für seine eigene Person soll keiner jemanden richten oder verdammen; wenn jedoch diejenigen es nicht tun, denen es befohlen ist, so sündigen sie ebensosehr als einer, der es von sich selber aus täte, ohne den amtlichen Auftrag dazu zu haben. Denn hier erfordert es die Notwendigkeit, von dem Übelstand zu reden, Klage zu erheben. Aussagen zu machen, zu verhören und zu zeugen. Und zwar geht es hier nicht anders zu als bei einem Arzt, der zuweilen denjenigen, den er heilen soll, an verborgenen Stellen ansehen und betasten muss, [die man sonst nicht zeigt]. Ebenso sind Obrigkeit, Vater und Mutter, ja sogar Brüder und Schwestern und sonstige gute Freunde untereinander verpflichtet, das Böse zu strafen, wo es nötig und nützlich ist.

Die Regel Christi ist entscheidend: Wenn dein Nächster Böses tut, rede mit ihm, nicht über ihn

Das aber wäre die rechte Weise, wenn man sich an die Ordnung des Evangeliums hielte Matth 19, wo Christus spricht: »Sündigt dein Bruder an dir, so gehe hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein.« Da hast du eine köstliche, feine Belehrung, wie man die Zunge recht regiert, die zu merken ist gegen den leidigen Missbrauch. Darnach richte dich nun, dass du den Nächsten nicht so schnell anderswo ins Gerede bringst und ihm nachredest, sondern ihn im geheimen vermahnst, dass er sich bessere. In gleicher Weise [mach es] auch, wenn dir ein anderer etwas zu Ohren trägt, was der oder jener getan hat: belehre ihn auch so, dass er hingehe und den Betreffenden selber zurechtweise, falls er es gesehen hat: andernfalls soll er das Maul halten.

Das kannst du auch aus dem täglichen Hausregiment lernen. Denn so macht es der Herr im Haus: wenn er sieht, dass der Knecht nicht tut, was er soll, so redet er ihn selbst daraufhin an. Wenn er aber so toll wäre und ließe den Knecht daheim sitzen und ginge hinaus auf die Gassen, um es den Nachbarn zu klagen, so würde er gewiss hören müssen: »Du Narr, was geht das uns an? Warum sagst du es nicht ihm selber?« Sieh, das wäre nun recht brüderlich gehandelt: so würde dem Übel gesteuert und dein Nächster bliebe bei Ehren. So sagt auch Christus an der genannten Stelle: »Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.« Damit hast du ein großes, vortreffliches Werk getan. Denn meinst du, dass es ein gering Ding sei, einen Bruder zu gewinnen? Lass alle Mönche und heiligen Orden mit allen ihren Werken auf einen Haufen zusammenschmelzen und mit ihnen vortreten, ob sie den Ruhm aufbringen können, dass sie einen Bruder gewonnen haben?

Wenn dieses Mittel nicht zum Ziel führt, gilt die Regel Christi, andere in das Gespräch einzuschalten bzw. alles vor die Gemeinde zu bringen

Weiter lehrt Christus: »Will er dich aber nicht hören, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit alle Sache stehe auf zweier oder dreier Zeugen Munde.« Man soll also immer mit dem selber verhandeln, den es angeht, und nicht ohne sein Wissen ihm etwas nachreden. Will aber das nicht helfen, dann trage es öffentlich der Gemeinde vor, sei es vor einem weltlichen oder geistlichen Gericht. Denn hier stehst du nicht allein, sondern hast jene Zeugen neben dir, durch welche du den Schuldigen überführen kannst; darauf kann der Richter sich gründen, urteilen und strafen. So kann es in geordneter und rechter Weise dahin kommen, dass man den Bösen wehrt oder sie bessert. Sonst, wenn man einen andern mit dem Maul durch alle Winkel herumträgt und den Unflat aufrührt, wird niemand gebessert, und nachher, wenn man dafür einstehen und zeugen soll, will man es nicht gesagt haben. Darum würde es solchen Mäulern recht geschehen, wenn man ihnen ihren Kitzel tüchtig austriebe, damit andere sich dadurch warnen ließen. Wenn du es zur Besserung deines Nächsten oder aus Liebe zur Wahrheit tätest, würdest du nicht heimlich daherschleichen und den Tag und das Licht scheuen.

Über eine öffentliche Sünde kann man öffentlich reden

Das alles ist nun von geheimen Sünden gesagt. Wenn aber die Sünde ganz öffentlich ist, dass der Richter und jedermann wohl weiß, so kannst du [den Betreffenden] ohne alle Sünde meiden und fahren lassen als einen, der sich selbst zu Schaden gemacht hat; außerdem kannst du auch öffentlich über ihn zeugen. Denn bei dem, was offen am Tage liegt, kann es sich um kein übles Nachreden und um kein falsches Richten oder Zeugen handeln; so z.B. wenn wir jetzt den Papst mit seiner Lehre zurechtweisen, die ja öffentlich in Büchern an den Tag gegeben und in aller Welt ausgeschrieen worden ist. Denn wenn die Sünde öffentlich ist, soll auch verdientermaßen eine öffentliche Strafe darauf folgen, dass sich jedermann davor zu hüten wisse.

Wichtig ist vor allem: Sage über deinen Nächsten Gutes, nicht Böses. Rede von anderen, wie du willst, dass er von dir rede (Goldene Regel)

So haben wir nun [folgenden] zusammenfassenden Sinn und allgemeines Verständnis dieses Gebots: Niemand soll seinem Nächsten, er sei Freund oder Feind, mit der Zunge schaden noch etwas Böses von ihm reden, gleichviel, ob es wahr oder erlogen ist, sofern es nicht einem [amtlichen] Auftrag gemäß oder zur Besserung geschieht. Sondern man soll seine Zunge dazu gebrauchen und dienen lassen, von jedermann das Beste zu reden, seine Sünde und Gebrechen zudecken, entschuldigen und mit seiner Ehre beschönen und schmücken. Ursache davon soll vor allem das sein, was Christus im Evangelium anführt und womit er alle Gebote gegen den Nächsten zusammengefasst haben will. »Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihr ihnen auch.«

Als Glieder am selben Leib sollten wir alles, was wir voneinander hören, zum Besten kehren

Auch die Natur lehrt uns das an unserm eigenen Leibe, wie der hl. Paulus 1. Kor 12 sagt: »Die Glieder des Leibes, die uns die schwächsten zu sein scheinen, sind die nötigsten, und die uns am wenigsten ehrbar zu sein scheinen, denen tun wir am meisten Ehre an, und die uns übel anstehen, die schmückt man am meisten.« Das Gesicht, Augen, Nase und Mund deckt niemand zu, denn sie bedürfen dessen nicht, da sie an und für sich [schon] die ehrbarsten Glieder sind, die wir haben. Aber die allergebrechlichsten, deren wir uns schämen, die bedeckt man mit allem Fleiß; da müssen Hände, Augen samt dem ganzen Leibe zudecken und verhüllen helfen. Ebenso sollen auch wir alle untereinander das, was an unserem Nächsten nicht ehrbar und gebrechlich ist, schmücken und mit allem was wir können, zu seiner Ehre dienen, helfen und förderlich sein, und umgekehrt abwenden, was ihm zur Unehre gereichen kann. Und im besonderen ist es eine feine, edle Tugend, wenn einer alles, was er von einem Nächsten reden hört, sofern es nicht öffentliches Böses ist, gut auslegen und zum besten deuten oder wenigstens es ihm zuguthalten kann, im Gegensatz zu den giftigen Mäulern, die mit Fleiß suchen, wo sie am Nächsten etwas Tadelnswertes aufspüren und erhaschen können, und es dann aufs ärgste auslegen und verkehren, wie es jetzt vor allem dem lieben Gotteswort und seinen Predigern geschieht.

»Die Zunge ist ein kleines Glied und sie richtet große Dinge an«

Darum sind in diesem Gebot gar mächtig viel gute Werke zusammengefasst, die Gott höchlich wohlgefallen und die überfließendes Gut und Segen mit sich bringen, wenn nur die blinde Welt und die falschen Heiligen sie erkennen wollten. Denn es gibt nichts an und im ganzen Menschen, was in geistlichen und weltlichen Sachen mehr und weiter Gutes schaffen oder Schaden tun kann, als die Zunge, die doch das kleinste und schwächste Glied ist.

 

Das neunte und zehnte Gebot

Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Haus.
Du sollst nicht begehren sein Weib, Knecht, Magd, Vieh oder was sein ist

 

Anlass zu diesen Geboten war der Missbrauch der Leibeigenschaft und des Ehescheidungsrechtes der Juden

Diese zwei Gebote sind eigentlich ausschließlich den Juden gegeben, obwohl sie doch auch teilweise uns betreffen. [Die Juden] deuten sie nämlich nicht auf die Unkeuschheit und den Diebstahl, weil in Beziehung darauf oben [in den anderen geboten] genug verboten wurde; sie waren auch der Meinung, sie hätten jene [Gebote] alle gehalten, wenn sie äußerlich deren Werke getan bzw. nicht getan hätten. Darum hat Gott diese zwei Gebote noch hinzugesetzt, dass man auch [das schon ] für eine Sünde und verboten halte, des Nächsten Weib oder Gut zu begehren und irgendwie darnach zu trachten. Und dies vor allem darum: im jüdischen Gemeinwesen waren Knechte und Mägde nicht wie heutzutage frei, dass sie um Lohn dienen konnten, solange sie selber wollten, sondern sie waren Eigentum ihres Herrn samt ihrem Leib und ihrer Habe, geradeso wie das Vieh und anderes Gut. Ferner hatte auch jeder über sein Web die Vollmacht, sie durch einen Scheidebrief öffentlich zu entlassen und eine andere zu nehmen. Da mussten sie nun untereinander darauf gefasst sein, dass jemand, der gerne eines andern Weib gehabt hätte, irgend eine Ursache sich verschaffte, um sowohl sein [eigenes) Weib von sich zu tun als auch dem andern das seine zu entfremden, um es dann mit Fug und Recht an sich zu bringen. Das war nämlich bei ihnen keine Sünde und Schaden, so wenig als es das in unserer Zeit beim Gesinde ist, wenn ein Hausherr seinen Knecht oder seine Magd entlässt und sie sonst einer dem andern abspenstig macht.

Diese Gebote verbieten, dass wir dem Nächsten auf rechtmäßige Weise seine Habe ablocken und ablisten – ganz im Unterschied zum siebten Gebot, das die unrechtmäßige Aneignung fremden Guts untersagt

Darum nun, sage ich, haben sie diese Gebote folgendermaßen gedeutet, wie es auch recht ist, obwohl [ihr Sinn] auch noch etwas weiter und höher geht: niemand solle dran denken und sich vornehmen, das an sich zu bringen, was dem andern gehört, wie z. B. Weib, Gesinde, Haus und Hof, Äcker, Wiesen, Vieh, auch wenn es unter einem guten Schein und einem guten Vorwand, jedoch zum Schaden des Nächsten [geschehe]. Oben im siebten Gebot ist ja das Unrecht verboten, dass man fremdes Gut an sich reißt oder seinem Nächsten etwas vorenthält, worauf man kein Recht geltend machen kann. Hier aber ist auch verwehrt, dem Nächsten etwas abzulocken, selbst wenn man vor der Welt mit Ehren dazu kommen kann, so dass niemand dich zu beschuldigen oder zu tadeln wagt, als habest du's mit Unrecht erworben. Denn so, wie die Natur geartet ist, gönnt niemand dem andern soviel als sich selber, und jeder bringt an sich so viel er immer kann; ein anderer soll bleiben, wo er mag. Und dabei wollen wir dann noch fromm sein, können uns aufs feinste schmücken und unseren Bösewicht verbergen. Wir suchen und ersinnen so listige Kniffe und geschwinde Griffe, wie man sie zur Zeit täglich aufs beste ausdenkt, als [wäre es] aus dem Recht hergeleitet; wir wagen uns kecklich darauf zu berufen, trotzen darauf und wollen das nicht Bosheit, sondern Gescheidigkeit und Vorsichtigkeit genannt haben. Dazu helfen auch die Juristen und Rechtsprechenden, die das Recht so lenken und dehnen, wie es ihrer Sache förderlich ist; sie zwacken die Worte und benutzen sie zum Vorwand, ohne auf Billigkeit und Not des Nächsten Rücksicht zu nehmen. Und kurzum, wer in solchen Sachen der geschickteste und Gescheiteste ist, dem hilft das Recht am besten; so haben sie auch das Sprichwort: »Vigilantibus iura subveniunt« (den Wachsamen hilft das Recht).

Somit ist dieses letzte Gebot nicht für die bestimmt, die vor der Welt böse Buben sind, sondern gerade für die Frömmsten, die gelobt sein und redliche und aufrichtige Leute heißen wollen, weil sie ja gegen die vorhergehenden Gebote sich nichts zu schulden kommen lassen. So wollten vor allem die Juden dastehen, und noch viele große Junker, Herren und Fürsten; denn der andere gewöhnliche Haufen gehört noch auf eine weit tiefere Stufe, nämlich ins siebte Gebot, da sie nicht viel darnach fragen, wie sie das Ihre mit Ehre und Recht gewinnen.

Diese Gebote werden dauernd übertreten, wenn beim Rechtsstreit um Erb- und Liegenschaften dem Nächsten mit dem Schein des Rechts sein Eigentum abgejagt wird

So kommt nun das am meisten bei Rechtshändeln vor, die auf Grund eines Rechtstitels angestrengt werden, mit dessen Hilfe man dem Nächsten etwas abzugewinnen und abzudrängen sich vornimmt. So, um ein Beispiel zu geben, wenn man um eine große Erbschaft, liegende Güter usw. hadert und verhandelt. Da führt man ins Feld und nimmt zu Hilfe, was nur einen Schein von Recht an sich haben will; man putzt es heraus und schmückt es so aus, dass das Recht dem zufallen muss, und so behält man das Gut mit einem solchen Rechtstitel, dass niemand eine Klage oder einen Anspruch dagegen geltend machen kann. Ein weiteres Beispiel: es brächte jemand gerne ein Schloss, eine Stadt, eine Grafschaft oder sonst etwas Großes in seinen Besitz und er treibt durch seine Freundschaft und womit er kann so viel Finanzerei (Bestechung), dass es einem andern ab- und ihm zugesprochen und obendrein mit Brief und Siegel bestätigt wird, damit es mit einem fürstlichen Rechtstitel und redlich gewonnen heiße.

Gegen diese Gebote wird auch gesündigt, wenn bei Kaufgeschäften der Nächste mit dem Schein des Rechts um sein Hab und Gut gebracht wird

Das gleiche kommt auch bei gewöhnlichen Kaufgeschäften vor. Da reißt einer dem andern behende etwas aus der Hand , so dass jener das Nachsehen haben muss, oder er überfährt und bedrängt ihn [in einer Sache], bei der er seinen eigenen Vorteil und Nutzen wahrnimmt. Jener kann vielleicht infolge einer Notlage oder Verschuldung die Sache nicht halten und auch nicht ohne Schaden auslösen. So will es dieser halb oder mehr geschenkt haben, und dabei soll das dann doch nicht mit Unrecht genommen oder entwendet, sondern redlich gekauft sein. Da heißt es: »Der erste ist der Beste«; und »Ein jeder sehe auf seine Schanz (Chance)«; mag ein anderer haben, was er kann. Und wer wäre klug genug, um alles auszudenken, was man unter einem solch hübschen Schein [des Rechts] an sich bringen kann, so dass es die Welt für kein Unrecht hält! Denn sie will nicht sehen, dass damit der Nächste benachteiligt wird und [etwas fahren] lassen muss, was er nicht ohne Schaden entbehren kann. Und doch gibt es niemanden, [der haben wollte], dass ihm so etwas angetan würde. Daran ist deutlich zu spüren, dass ein solcher Vorwand und ein solcher Schein falsche ist.

Es ist eine Sünde, dem Nächsten seine Frau wegzunehmen und seine Angestellten abzuwerben

Ganz entsprechend ist es nun vorzeiten [im Judentum] auch mit den Weibern zugegangen. Da kannten sie Kniffe folgender Art: Wenn einem eine andere gefiel, so brachte er sie selbst oder durch andere, es ließen sich ja mancherlei Mittel und Wege ausdenken, dahin, dass ihr Mann einen Widerwillen gegen sie fasste oder dass sie sich gegen ihn sperrte und sich so benahm, dass er sie von sich tun und jenem [andern] überlassen musste. Derartiges ist zweifellos unter der Herrschaft des Gesetzes stark im Brauch gewesen; so liest man ja auch im Evangelium von dem König Herodes, dass er seines eigenen Bruders Weib noch bei dessen Lebzeiten freite; und dabei wollte er doch ein ehrbarer, frommer Mann sein, was ihm auch der hl. Markus bezeugt. Ein derartiges Beispiel aber, hoffe ich, soll bei uns nicht vorkommen, nachdem im Neuen Testament den Eheleuten verboten ist, sich voneinander zu scheiden: höchstens könnte der Fall eintreten, dass einer dem andern eine reiche Braut mit Geschick wegschnappte. Das aber ist bei uns nicht selten, dass einer dem andern seinen Knecht oder seine Dienstmagd weglockt und entfremdet oder sonst mit guten Worten wegnimmt.

Dieser »legale Diebstahl«, der in der menschlichen Habsucht und Missgunst wurzelt, wird von Gott bestraft. Was rechtens ist, ist deswegen noch lange nicht richtig

Mag das alles nun geschehen, wie es will: wir sollen jedenfalls wissen, dass Gott nicht haben will, dass du dem Nächsten etwas, was ihm gehört, so wegnimmst, dass er es entbehren muss und du deinen Geiz (Habgier) befriedigst, – auch wenn du es vor der Welt mit Ehren behalten kannst. Denn es ist eine heimliche, meuchlerische Bosheit und heißt, wie man sprichwörtlich sagt, unter dem Hut gespielt (im Geheimen betrieben), das man es nicht merken soll. Denn wenn du auch deines Weges gehst, als habest du niemandem unrecht getan, so bist du doch deinem Nächsten zu nahe getreten. Und heißt es nicht gestohlen oder betrogen, so heißt es doch des Nächsten Gut begehrt, d.h. du hast es darauf abgesehen gehabt und hast es ihm abspenstig gemacht ohne seine Einwilligung, und hast ihm nicht gönnen wollen, was ihm Gott beschert hat. Und wenn dir's auch der Richter und jedermann lassen muss, so wird dir's doch Gott nicht lassen, denn er sieht das böse Herz und die Tücke der Welt gut; wenn man der einen Finger breit einräumt, so nimmt sie eine Elle lang dazu, so dass sogar öffentlich Ungerechtigkeit und Gewalttat darauf folgt.

Diese zwei Gebote wollen insbesondere die Wurzel alles ösen bloßlegen und beseitigen: den Neid und die Sucht, immer mehr haben zu wollen

So lassen wir es für diese Gebot bei dem allgemeinen Verständnis bleiben, dass in erster Linie darin geboten ist, man solle nicht des Nächsten Schade begehren, und auch nicht dazu helfen oder Anlass geben; viel mehr solle man ihm gönnen und lassen, was er hat, dazu auch fördern und erhalten, was ihm zu Nutz und Dienst geschehen kann, so wie wir es auch uns getan haben wollten. Demnach soll es hier besonders auf die Missgunst und den leidigen Geiz (Habsucht) abgesehen sein; damit will Gott die Ursache und Wurzel aus dem Weg räumen, aus der alles entspringt, wodurch man dem Nächsten Schaden tut. Das spricht er darum auch deutlich mit den Worten aus: »Du sollst nicht begehren usw«. Denn er will vor allem das Herz rein haben.

Das Gebot, dem anderen das Seine zu gönnen, zeigt, wie sehr der Mensch im Spiegel der Gebote seine Sünde erkennt

Obwohl wir es, solange wir hier leben, nicht dahin bringen können. Somit bleibt dies ebensowohl ein Gebot wie die andern alle: es beschuldigt uns [nämlich] ohne Unterlass und zeigt an, wie fromm wir vor Gott sind.

 

Abschluss der Zehn Gebote

Die Erfüllung der Zehn Gebote im unscheinbaren Alltag zählt bei Gott, nicht auffällige Sonderleistungen, die er nicht geboten hat

So haben wir nun die zehn Gebote als einen Ausbund göttlicher Lehre für das, was wir tun sollen, damit unser ganzes Leben Gott gefalle, und als den rechten Quellborn und [das Kanal-]Rohr, aus und in das alles quellen und gehen muss, was ein gutes Werk sein will. Außer den zehn Gebote kann also kein Werk und Wesen gut und gottgefällig sein, sei es auch vor der Welt so groß und kostbar wie es wolle. Lass nun sehen, was unsere großen Heiligen rühmen können von ihren geistlichen Orden und ihren großen, schweren Werken, die sie erdacht und aufgebracht haben, während sie diese haben fahren lassen, gerade als wären diese viel zu gering oder alle schon längst ausgerichtet. Ich meine jedenfalls, man müsste alle Hände voll zu tun haben, um nur das [hier Gebotene] zu halten, wie Sanftmut, Geduld und Liebe gegen die Feinde, Keuschheit, Wohltätigkeit usw. und was solche Stücke mit sich bringen. Aber solche Werke gelten und scheinen nicht vor den Augen der Welt. Denn sie sind nicht seltsam und aufgeblasen, an eine besondere, eigene Zeit, Sitte, Weise und Gebärde gebunden; es sind vielmehr gewöhnliche, alltägliche Hauswerke, die ein Nachbar dem andern gegenüber üben kann; deshalb haben sie kein Ansehen. Jene [großen heiligen] dagegen richten Augen und Ohren auf sich; dazu helfen sie selber durch großes Gepränge, Aufwand und herrliche Bauten. Sie schmücken sie heraus, dass alles gleißen und leuchten muss: da räuchert man, da singt und klingt man, da zündet man Kerzen und Lichter an, damit man vor diesen [Werken] keine anderen mehr hören und sehen könne. Denn dass da ein Priester in einer goldenen Kasel steht oder ein Laie den ganzen Tag in der Kirche auf den Knien liegt, das heißt ein köstliches Werk, das niemand genug loben kann. Aber wenn ein armes Mägdlein ein junges Kind pflegt und treulich tut, was ihr befohlen ist, das soll nichts heißen. Was sollten sonst Mönche und Nonnen in ihren Klöstern suchen?

Es ist vermessen, sich über die Zehn Gebote zu erheben und nach höheren Wertmaßstäben leben zu wollen

Sieh aber: ist es nicht eine verfluchte Vermessenheit der unseligen Heiligen, wenn sie sich unterstehen, ein höheres und besseres Leben und [höhere, bessere] Stände zu finden, als die zehn Gebote es lehren? Sie geben vor, wie schon gesagt, es gebe ein schlichtes Leben für den gemeinen Mann, das ihrige aber sei für die Heiligen und Vollkommenen. Sie sehen nicht, die elenden, blinden Leute, dass kein Mensch es so weit bringen kann, [auch nur] eines von den zehn Geboten so zu halten, wie es zu halten ist; vielmehr muss erst noch, wie wir hören werden, das Glaubensbekenntnis wie auch das Vaterunser zu Hilfe kommen, durch die man das suchen und erbitten und es ohne Unterlass empfangen darf. Darum bedeutet ihr Rühmen gerade so viel, wenn ich mich rühmte und sagte: »Ich habe zwar keinen Groschen, um zu bezahlen, aber zehn Gulden getraue ich mich wohl zu bezahlen.«

Die Zehn Gebote sind ihrerseits schon ein so hoch gestecktes Ziel, dass sie niemand aus eigener Kraft erfüllen kann

Das sage und betone ich deshalb, dass man den leidigen Missbrauch, der sich so tief eingewurzelt hat und noch jedermann anhängt, loswerde und sich in allen Ständen auf Erden daran gewöhne, nur hierauf zu sehen und sich darum zu kümmern. Denn man wird noch lange keine Lehre und keine Stände aufbringen, die den zehn Geboten gleich sind; sind doch diese so hoch, dass niemand sie durch Menschenkraft erlangen kann; und wer sie erlangt, der ist ein himmlischer, engelhafter Mensch, weit [erhaben] über alle Heiligkeit der Welt. Nimm sie dir nur vor und versuche dich tüchtig daran, verwende alle Kraft und Macht darauf; dann wirst du wohl soviel zu schaffen bekommen, dass du keine anderen Werke oder [andere] Heiligkeit suchen und schätzen wirst.

Der Zusatz zum ersten Gebot gilt für alle Gebote

Das sei genug vom ersten Teil der Lehre und Ermahnung. Doch müssen wir zum Schluss den Text wiederholen, den wir auch oben beim ersten Gebot behandelt haben, damit man lerne, was Gott daran gewendet haben will, dass man die zehn Gebote wohl betreiben und üben lerne:

Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger (eifernder) Gott, der über die, die mich hassen, die Sünde der Väter an den Kindern heimsucht bis ins dritte und vierte Glied; aber denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis in tausend Gliedern.

Dieser Zusatz ist zwar, wie oben gehört, zunächst dem ersten Gebot angehängt, aber er ist doch um aller Gebote willen dazugesetzt, da diese sich sämtlich hierauf beziehen und darauf eingestellt sein sollen. Darum habe ich gesagt, man solle das auch der Jugend vorhalten und einbleuen, dass sie es lerne und behalte, damit man sehe, was uns dringen und zwingen soll, diese zehn Gebote zu halten. Man soll es nicht anders ansehen, als wie wenn dieses Stück zu jedem [Gebot] besonders hinzugesetzt wäre, so dass es in ihnen allen und durch sie alle hindurch in Geltung sei.

Das Drohwort und Verheißungswort dieses Zusatzes macht die Forderung der Gebote dringlich

Nun ist, wie [schon] zuvor gesagt wurde, in diesen Worten ein zorniges Drohwort und eine freundliche Verheißung zusammengefasst, um uns zu erschrecken und zu warnen und dazu uns zu locken und anzureizen. Denn man soll [Gottes] Wort als ein mit göttlichem Ernst [gesprochenes] annehmen und hoch achten, weil er selbst es ausdrücklich sagt, wieviel ihm daran gelegen sei, und wie hart er darüber wachen wolle. Will er doch alle greulich und schrecklich strafen, die seine Gebote verachten und übertreten, und will er's doch umgekehrt denen reichlich belohnen und wohltun und alles Gute geben, die sie hoch achten und gerne darnach tun und leben. Damit will er gefordert haben, dass sie alle aus einem solchen Herzen heraus getan werden, das allein Gott fürchtet und vor Augen hat und aus solcher Furcht alles unterlässt, was wider seinen Willen ist, um ihn nicht zu erzürnen, und das hingegen auch ihm allein vertraut und ihm zuliebe tut, was er haben will, weil er sich so freundlich als ein Vater hören lässt und uns alle Gnade und alles Gute anbietet.

Wer mit dem ersten Gebot Gott allein fürchtet und ihm alleine vertraut, hat alle Gebote erfüllt

Dies ist auch eben der Sinn und die rechte Auslegung des ersten und vornehmsten Gebotes, aus dem alle anderen quellen und gehen sollen. So will dieses Wort: »Du sollst keine andern Götter haben« ganz einfach nichts anderes gesagt haben als was hier gefordert ist: »Du sollst mich als deinen einzigen, rechten Gott fürchten, lieben und mir vertrauen.« Denn wenn ein Herz Gott gegenüber so steht, dann hat es dieses und alle anderen Gebote erfüllt. Umgekehrt, wer etwas anderes im Himmel und auf Erden fürchtet und liebt, der wird weder dieses noch sonst eines halten. So hat die ganze Schrift überall dieses Gebot gepredigt und betrieben und alles auf die zwei Stücke, Gottesfurcht und Gottvertrauen, hingelenkt. So vor allem der Prophet David durch den ganzen Psalter hindurch; wenn er [z.B.] sagt: »Der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten und auf seine Güte warten«, so ist's, als wäre hier das ganze Gebot in einem einzigen Vers ausgelegt und geradesoviel gesagt als: »Der Herr hat Gefallen an denen, die keine anderen Götter haben.«

Das erste Gebot ist der Reif im Kranz der Gebote der sie zu einem Sinnganzen zusammenfügt

So soll nun das erste Gebot leuchten und seinen Glanz in alle anderen [Gebote] geben. Deshalb musst du auch dieses Stück durch alle Gebote hindurchgehen lassen als den Verschluss oder den Reif im Kranz, der das Ende und den Anfang zu einem Ganzen zusammenfügt und alle zusammenhält. Man soll es also immer wiederholen und nicht vergessen, so z.B. beim zweiten Gebot: man soll Gott fürchten und seinen Namen nicht missbrauchen zum Fluchen, Lügen, Trügen und zu anderer Verführung oder Büberei; vielmehr soll man ihn richtig und gut brauchen mit Anrufen, Beten, Loben und Danken aus Liebe und Vertrauen, wie sie aus dem ersten Gebot geschöpft werden. Desgleichen soll [beim dritten Gebot] ein solches Fürchten, Lieben und Vertrauen dazu treiben und zwingen, dass man [Gottes] Wort nicht verachte, sondern es lerne, gerne höre, heilig halte und ehre.

Ebenso soll es dann weiter durch die folgenden Gebote [hindurch] dem Nächsten gegenüber sein; auch hier geht alles aus der Kraft des ersten Gebots. Man soll Vater und Mutter, Herren und alle Obrigkeit ehren, ihnen untertan und gehorsam sein, nicht um ihretwillen, sondern um Gottes willen. Denn du brauchst dabei weder Vater noch Mutter anzusehen und sie zu fürchten und ihnen zuliebe etwas zu tun oder zu lassen; [wohl] aber sieh darauf, was Gott von dir haben will und ganz getrost von dir fordern wir. Unterlässt du es, so hast du einen zornigen Richter oder andernfalls einen gnädigen Vater. Ebenso sollst du deinem Nächsten kein Leid noch Schaden noch Gewalt antun, noch ihm irgendwie zu nahe treten, gleichviel, ob es seinen Leib, sein Gemahl, sein Gut, seine Ehre oder sein Recht betrifft, wie es nacheinander geboten ist, auch wenn du Gelegenheit und Ursache dazu hättest und kein Mensch dich deswegen strafte. Vielmehr sollst du jedermann wohltun, helfen und fördern wie und wo du kannst, allein Gott zuliebe und zu Gefallen im Vertrauen darauf, dass er dir alles reichlich wiedererstatten will. Somit siehst du, wie das erste Gebot das Haupt und der Quellborn ist, der durch die andern alle hindurchfliesst, und wie umgekehrt alle sich auf dieses [Gebot] zurückbeziehen und von ihm abhängen, so dass alles, Ende und Anfang, aneinandergeknüpft und -gebunden ist.

Wir sollen die Zehn Gebote stets vor Augen haben

Es ist, so sage ich nun, nützlich und nötig, das alles dem jungen Volk immer vorzuhalten, es zu ermahnen und zu erinnern, dass sie nicht bloß mit Schlägen und Zwang aufgezogen werden wie das Vieh, sondern in der Furcht und Ehre Gottes. Denn das muss man bedenken und zu Herzen nehmen, dass es sich nicht um Menschentand handelt, sondern um die Gebote der hohen Majestät. Mit so großem Ernst wacht Gott darüber; er zürnt und straft die, die sie verachten, und vergilt umgekehrt so überschwenglich denen, die sie halten. Dies wird dann von selbst dazu anreizen und antreiben, gerne Gottes Willen zu tun. Nicht umsonst ist darum im Alten Testament geboten, man solle die zehn Gebote an alle Wände und Ecken, ja sogar auf die Kleider schreiben: nicht um es bloß dort geschrieben stehen zu lassen und zur Schau zu tragen, wie die Juden es taten, sondern um es ohne Unterlass vor Augen und stets im Gedächtnis zu haben. Wir sollen es in all unserem Tun und Wesen betreiben, und jeder soll sich täglich darin üben in allerlei Fällen, Geschäften und Handlungen, als stünde es an allen Orten geschrieben, wo er hinsieht, ja wo er geht oder steht. So würde man sowohl für sich daheim in seinem Haus als auch den Nachbarn gegenüber Ursache genug finden, die zehn Gebote zu betreiben; es brauchte niemand weit darnach zu laufen.

Die zehn Gebote sind der höchste Schatz, den uns Gott gegeben hat

Daraus sieht man abermals, wie hoch diese zehn Gebote über alle Stände, Gebote und Werke zu erheben und zu preisen sind, die man sonst lehrt und betreibt. Denn hier können wir trotzen und sagen: »Lass alle Weisen und Heiligen auftreten, ob sie ein Werk vorbringen können wie diese Gebote! Sie fordert Gott mit solchem Ernst und befiehlt sie bei seinem höchsten Zorn und Strafe. Weiter setzt er eine solch herrliche Verheißung dazu, dass er uns mit allen Gütern und allem Segen überschütten will.« Darum soll man sie jedenfalls über alle anderen Lehren teuer und wert halten als den höchsten Schatz, der uns von Gott gegeben ist.


 << zurück weiter >>