Jack London
Lockruf des Goldes
Jack London

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Daylight erwachte mit dem gewöhnlichen trockenen Halse, trank einen tiefen Schluck aus dem neben dem Bett stehenden Wasserkrug und nahm die am Abend unterbrochenen Gedanken wieder auf. Er erinnerte sich, daß die finanzielle Lage lichter geworden war. Endlich wurde es besser. Zwar lag noch ein tüchtiges Stück Weges vor ihm, aber das Schlimmste war doch überstanden. Und nicht einer von seinen Geschäftsfreunden war ruiniert. Er hatte sie gezwungen, durchzuhalten, bis er gerettet war, und gleichzeitig waren sie selbst gerettet worden.

Seine Gedanken kehrten zu dem Auftritt an der Ecke der Bar im Parthenon zurück. Er war von dem Ereignis nicht mehr gelähmt, aber er fühlte sich gekränkt, wie es nur ein starker Mann sein kann, wenn seine Kräfte im Abnehmen sind. Und der Ausgang war zu klar, selbst für ihn. Er wußte, warum seine Hand heruntergepreßt war. Nicht, weil er alt war. Er war ein Mann in den besten Jahren, und eigentlich hätte er und nicht der Hammerwerfer der Sieger sein müssen, Daylight wußte, daß er mit sich gespielt hatte. Es war richtig: Er hatte Gottes freie Natur mit dem Käfig der Stadt vertauscht. Er fuhr in Autos, Droschken und elektrischen Bahnen. Er hatte sich keine Bewegung verschafft und hatte seine Muskeln durch Alkohol geschwächt.

Und war es das wert? Was bedeutete schließlich sein Geld? Dede hatte recht. Trotz seines Geldes konnte er nur in einem Bett auf einmal schlafen, und dazu machte ihn sein Geld auch noch zum Sklaven. Es band ihn an Händen und Füßen. Selbst wenn er wollte, konnte er nicht den ganzen Tag in seinem Bett liegen. Sein Geld rief ihn. Die Morgensonne schien durchs Fenster herein – ein schöner Tag, um in die Berge zu reiten, Dede neben sich auf ihrer Mab. Und doch konnten alle seine Millionen ihm nicht diesen einen Tag kaufen. Es konnten unerwartete Störungen eintreten, und er mußte auf dem Posten sein. Dreißig Millionen! Und sie konnten Dede nicht dazu bringen, Mab zu reiten – Mab – die jetzt auf seiner Weide fett wurde, ohne daß jemand Freude an ihr hatte. Was waren dreißig Millionen, wenn sie ihm nicht den Ausflug mit dem Mädchen verschaffen konnten, das er liebte? Dreißig Millionen, die ihn hinderten, dieses junge Mädchen zu gewinnen, das für neunzig Dollar monatlich arbeitete.

Das war es ja gerade, was Dede meinte. Das war es ja, woran sie dachte, als sie betete, daß er Bankerott machen sollte. Er hob den rechten Arm, der ihn so gekränkt hatte. Es war nicht derselbe Arm wie früher. Er hatte ihn im Stich gelassen. Er setzte sich plötzlich auf. Nein, weiß Gott, er selbst war es, der den Arm im Stich gelassen hatte. Wie er sich selbst, wie er Dede im Stich gelassen hatte! Sie hatte recht, tausendmal recht, und sie hatte Verstand genug, um das zu wissen, Verstand genug, nicht einen Mann zu heiraten, dessen Körper vom Whisky zerrüttet und der Sklave seines Geldes war.

Er sprang aus dem Bette und betrachtete sich in dem großen Spiegel der Schranktür. Es war kein schöner Anblick. Die hageren Wangen von früher waren verschwunden. Jetzt waren seine Backen schwer und hingen wie unter ihrem eigenen Gewicht. Er suchte die Linien von Grausamkeit, von denen Dede gesprochen hatte, und er fand sie; er fand auch den harten Schimmer in den Augen, die mit Blut gesprenkelt waren von all dem Alkohol, den er am vorigen Abend und in den vergangenen Monaten und Jahren getrunken hatte. Dann krempelte er sich die Ärmel seines Pyjamas auf. Kein Wunder, daß der Hammerwerfer ihn bezwungen hatte! Das waren ja keine Muskeln mehr. Sie waren unter einer beginnenden Fettschicht begraben. Er warf die Jacke ab und erschrak von neuem: Die Muskeln auf Brust, Schulter und Leib, die sich so scharf abgezeichnet hatten, waren zu reinen Fettpolstern geworden.

Er setzte sich auf das Bett und durch seinen Sinn flog die Erinnerung daran, wie stark und schön er in alten Tagen gewesen war; er dachte an die Indianer und die Hunde, denen er in jenen verzweifelten Tagen und Nächten das Leben aus dem Leibe gejagt, und an die alten Taten, die ihn zum König über ein hartes Volk von Grenzern gemacht hatten.

Dies war also das Alter. Vor seinem Auge stand das Bild des alten Mannes, den er über die Berge hatte kommen sehen; weißhaarig, weißbärtig, vierundachtzig Jahre alt.

Dann erinnerte er sich Fergusons, des kleinen Mannes, der wie ein Kaninchen über den Weg gelaufen war. Der war einmal Schriftleiter eines großen Blattes gewesen und lebte jetzt zufrieden in seinem Eichenwäldchen mit seiner Gebirgsquelle und seinen sorgsam gezüchteten und gehüteten Obstbäumen. Ferguson hatte ein Problem gelöst. Ja, dachte Daylight, wenn ein Kranker, den die Ärzte aufgegeben hatten, sich zu einem kräftigen, gesunden Landarbeiter entwickeln konnte, was konnte dann nicht ein Mann wie er unter ähnlichen Verhältnissen erreichen? Er sah im Geiste, wie er seinen Körper mit der alten Kraft seiner Jugend zu neuem Leben erweckte, und er dachte an Dede und setzte sich auf den Bettrand, halb erschreckt von dem großen Gedanken, der ihm kam. Er blieb nicht lange sitzen. Sein Hirn begann, schnell und sicher wie stets, die Sache von allen Seiten zu untersuchen. Es war ein großer Gedanke – größer als alle, die er je zuvor gehabt. Und er sah ihm fest ins Auge, nahm ihn in seine beiden Hände, drehte und wendete ihn nach allen Seiten und betrachtete ihn. Es war alles so unendlich einfach, daß es ihn geradezu belustigte. Er lachte laut, traf seine Entscheidung und begann sich anzukleiden. Mitten im Ankleiden hielt er inne, um zu telephonieren.

Dede war die erste, die er anrief.

»Kommen Sie heute nicht ins Kontor«, sagte er. »Ich komme hinaus, um Sie einen Augenblick zu sprechen.« Er rief auch andere an. Er bestellte sein Automobil. Jones beauftragte er, Bob und Wolf nach Glen Ellen zu bringen. Hegan überraschte er, indem er ihn bat, die Papiere von Glen Ellen herauszusuchen und die Besitzung auf Dede Masons Namen zu übertragen. »Auf wessen Namen?« fragte Hegan. »Dede Mason,« antwortete Daylight mit unerschütterlicher Ruhe – »das Telephon muß heute nicht in Ordnung sein. D–e–d–e M–a–s–o–n. Verstanden?«

Eine halbe Stunde später jagte er nach Berkeley. Und zum erstenmal hielt das große rote Automobil gerade vor dem Hause. Dede wollte ihn ins Wohnzimmer führen, aber er schüttelte den Kopf und machte eine Bewegung nach ihrem eigenen Zimmer.

»Drinnen«, sagte er. »Anderswo will ich nicht.«

Als die Tür geschlossen war, streckte er die Arme nach ihr aus und zog sie an sich. Dann legte er ihr beide Hände auf die Schultern und sah ihr ins Gesicht.

»Dede, wenn ich Ihnen sage, mit reinen Worten sage, daß ich auf der Ranch von Glen Ellen leben und nicht einen Cent mitnehmen will, daß ich mir jeden Bissen erarbeiten und nie mehr eine Karte anrühren will von dem geschäftlichen Spiel, wollen Sie mich dann nehmen?«

Sie stieß einen kleinen Freudenschrei aus, und er schloß sie noch fester in seine Arme. Doch im nächsten Augenblick hatte sie sich frei gemacht und hielt ihn in der alten Stellung mit ausgestrecktem Arm von sich ab.

»Ich – ich verstehe nicht«, sagte sie atemlos.

»Und Sie haben mir noch keine Antwort gegeben – aber ich glaube im übrigen, daß das gar nicht nötig ist. Wir heiraten sofort und brechen auf. Ich habe Bob und Wolf schon hingeschickt. Wann sind Sie fertig?«

Dede mußte lächeln; Daylight lächelte auch. »Sehen Sie, Dede, wir müssen offen miteinander reden – die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Jetzt beantworten Sie mir einige Fragen, und dann will ich Ihnen antworten.« Er wartete einen Augenblick, ehe er fortfuhr: »Also, vor allem eine Frage: Lieben Sie mich genug, um sich mit mir zu verheiraten?«

»Aber – –« begann sie.

»Kein aber«, unterbrach er sie scharf. »Jetzt heißt es: Karten auf den Tisch. Wenn ich heiraten sage, so meine ich, was ich gesagt habe, daß wir von hier fortgehen und auf der Ranch leben wollen. Lieben Sie mich genug, um sich mit mir zu verheiraten?«

Sie sah ihn einen Augenblick an. Dann schlug sie die Augen nieder, und jede Linie ihres Körpers schien ihre Zustimmung zu verraten.

»Dann kommen Sie.« Unwillkürlich strafften sich seine Beinmuskeln, als wollte er sie gleich zur Tür führen. »Mein Auto wartet draußen. Sie brauchen sich nur noch den Hut aufzusetzen.«

Er beugte sich über sie. »Ich darf doch?« sagte er und küßte sie.

Es war ein langer Kuß. und sie sprach zuerst.

»Wie ist das möglich? Wie können Sie Ihr Geschäft im Stich lassen? Ist etwas geschehen?«

»Nein, noch ist nichts geschehen, aber es kommt verflucht schnell. Ich habe mir deine Predigt zu Herzen genommen, und ich verspreche, daß ich dir dienen werde. Alles übrige kann meinetwegen zum Teufel gehen. Du hast ganz recht. Ich bin ein Sklave meines Geldes gewesen, und da ich nicht zwei Herren dienen kann, lasse ich das Geld schwimmen. Ich will lieber dich haben als alles Geld auf der Welt, das ist alles.« Wieder schloß er sie in seine Arme. »Und jetzt habe ich dich, Dede. Ich habe dich.

Und ich will dir noch etwas sagen. Ich habe mein letztes Glas getrunken. Du heiratest einen Säufer, aber wenn ich dein Mann bin, wird die Geschichte anders. Er wird ein anderer Mensch, und das so schnell, daß du ihn gar nicht wiederkennst. Wenn wir ein paar Monate in Glen Ellen sind, wachst du eines Morgens auf und entdeckst, daß du einen ganz fremden Mann bei dir hast. Du wirst sagen: ›Ich bin Frau Harnish, und wer sind Sie?‹, und ich werde sagen: ›Ich bin Elam Harnishs jüngerer Bruder. Ich bin eben aus Alaska zur Beerdigung gekommen.‹ ›Was für eine Beerdigung?‹ wirst du dann fragen. Und ich werde sagen: ›Nun, die Beerdigung von dem Taugenichts, dem Spieler und Säufer Burning Daylight – dem Mann, der an Herzverfettung starb, weil er die Nächte hindurch das Geschäftsspiel spielte. Ja, gnädige Frau,‹ werde ich sagen, ›er ist um die Ecke gegangen, das ist sicher, aber jetzt bin ich gekommen, um seinen Platz einzunehmen und Sie glücklich zu machen. Und jetzt, gnädige Frau, werde ich mit Ihrer Erlaubnis auf die Weide gehen und die Kuh melken, während Sie das Frühstück bereiten‹.«

Wieder ergriff er ihre Hand und tat, als ob er sie zur Tür ziehen wollte. Als sie Widerstand leistete, beugte er sich zu ihr herab, nahm ihren Kopf in seine Hände und küßte sie wieder und wieder.

»Ich sehne mich nach dir, mein Herz«, murmelte er.

»Setz' dich und sei vernünftig«, bat sie mit brennenden Wangen, während das goldene Licht goldener flammte, als er es je gesehen.

Aber Daylight wollte seinen Willen durchsetzen, und als er sich jetzt hinsetzte, tat er es neben ihr und legte den Arm um sie.

»Du hast noch nicht auf meine Fragen geantwortet«, sagte sie vorwurfsvoll, während sie sich mit roten Wangen und strahlenden Augen aus der Umarmung löste.

»Also, was willst du denn wissen?« fragte er.

»Ich will wissen, wie das alles möglich ist? Wie du zu einem solchen Zeitpunkt dein Geschäft im Stich lassen kannst. Was du damit meintest, daß bald etwas geschehen würde. Ich –« Sie hielt inne und errötete. »Ich habe ja auch deine Fragen beantwortet.«

»Komm und laß uns heiraten«, sagte er, und der neckische Klang seiner Stimme wurde durch den Glanz seiner Augen verdoppelt. »Du weißt, daß ich meinem starken jungen Bruder weichen muß und nicht mehr lange zu leben habe.« Sie verzog das Gesicht ungeduldig, und er wurde plötzlich ernst. »Siehst du, die Sache ist so, Dede. Ich habe wie vierzig Pferde gearbeitet, seit die verfluchte Panik anfing, und unterdessen lagen die Ideen, die du mir gegeben hattest, zum Keimen bereit in mir. Nun, und heute morgen keimten sie wirklich, das ist alles. Ich stand auf mit der Absicht, wie gewöhnlich ins Kontor zu gehen. Die Sonne schien durchs Fenster herein, und ich wußte, daß es ein herrlicher Tag in den Bergen würde. Und ich wußte, daß ich gern mit dir in die Berge reiten wollte – dreißigmillionenmal lieber als ins Kontor gehen. Aber dabei wußte ich, daß es unmöglich war. Und warum? Des Geschäfts wegen. Das Geschäft erlaubte es nicht. Mein ganzes Geld stellte sich auf die Hinterbeine, versperrte mir den Weg und wollte mich nicht durchlassen. Eine Art und Weise hat dies verfluchte Geld, sich einem in den Weg zu stellen. Du weißt es selbst.

Und da sagte ich mir, daß es jetzt an einem Kreuzweg angekommen wäre. Der eine Weg führte ins Kontor. Der andere nach Berkeley. Und ich wählte den Weg nach Berkeley. Ich setze meine Füße nicht mehr ins Kontor. Das ist vorbei! Fertig! Und ich lasse alles zum Teufel gehen.«

Sie sah erschrocken zu ihm auf.

»Du meinst – –« begann sie.

»Eben das. Ich wische die Tafel rein. Ich lasse die ganze Geschichte zum Teufel gehen. Als die dreißig Millionen Dollar sich gegen mich erhoben und sagten, daß ich heute nicht mit dir in die Berge reiten könnte, da wußte ich, daß die Zeit zum Handeln gekommen war. Und nun handle ich. Jetzt hab' ich dich und die Kraft, für dich und für die kleine Ranch in Sonoma zu arbeiten. Das ist alles, was ich brauche und was ich aus den Trümmern retten will, dazu noch Bob und Wolf, eine Reisetasche und hundertvierzig Roßhaarzügel. Der Rest geht zum Teufel, und ich bin froh darüber.«

Aber Dede war hartnäckig.

»Dann ist dieser – dieser furchtbare Verlust nicht notwendig?« fragte sie.

»Ich sag' dir ja. Er ist notwendig. Wenn das Geld sich einbildet, es könne sich mir in den Weg stellen und mir verbieten, mit dir auszureiten –«

»Nein, nein, jetzt im Ernst«, unterbrach ihn Dede. »Das meine ich nicht, und das weißt du auch. Ich will wissen, ob der Bankerott vom geschäftlichen Standpunkt aus notwendig ist?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, das ist er nicht. Das ist ja gerade der Witz dabei. Ich lasse nicht nach, weil die Panik mich gelähmt hat und mich dazu zwingt. Ich gehe jetzt, da ich die Panik bezwungen habe und vor dem Siege stehe. Das zeigt doch gerade, wie wenig mir daran liegt. An dir liegt mir, Liebling, und dementsprechend spiele ich.«

Doch sie entzog sich seiner schirmenden Umarmung.

»Du bist verrückt, Elam!«

»Sag' das noch einmal«, murmelte er entzückt. »Das ist wahrhaftig süßer als der Klang von Millionen.«

Aber sie beachtete es nicht.

»Es ist Wahnsinn, Du weißt nicht, was du tust –«

»O doch«, versicherte er. »Ich gewinne das, was meinem Herzen am teuersten ist. Dein kleiner Finger ist ja mehr wert –«

»Sei doch nur einen Augenblick vernünftig.«

»Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so vernünftig gewesen. Ich weiß, was ich will, und ich tue es. Ich will dich haben und draußen mit dir leben. Ich will nicht mehr die Füße auf dem Pflaster und das Ohr den ganzen Tag am Telephon haben. Ich will eine kleine Ranch haben auf einem der schönsten Fleckchen Erde, die Gott geschaffen, und will selbst alles tun, was es da zu tun gibt – Kühe melken, Holz hacken, Pferde striegeln, den Boden pflügen und was sonst dazu gehört. Und ich bin sicher der glücklichste Mensch auf Erden, denn ich habe etwas, das man nicht für Geld kaufen kann. Ich habe dich, die ich nicht für dreißig Millionen, nicht für dreitausend Millionen und nicht für dreißig Cent kaufen könnte –«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn; Dede ging zum Telephon hinaus.

»Herr Hegan ist am Apparat«, sagte sie, als sie wiederkam. »Er wartet. Er sagt, es sei wichtig.«

Daylight schüttelte den Kopf und lächelte.

»Bitte, sage Hegan, er soll anhängen. Ich bin fertig mit dem Geschäft und will nichts mehr davon wissen.«

Nach einer Minute kam sie wieder.

»Er sagt, er will nicht anhängen. Er läßt dir sagen, daß Unwin im Kontor wartet und dich durchaus sprechen will. Und Harrison auch. Hegan sagte, es stehe schlimm mit Grimshaw & Hodgkins, und du müßtest sie stützen.«

Das war eine überraschende Nachricht. Sowohl Unwin wie Harrison repräsentierten Großbanken, und Daylight wußte, daß die Firma Grimshaw & Hodgkins, wenn sie Konkurs machte, eine ganze Reihe anderer Häuser mit sich reißen würde. Aber er lächelte nur, schüttelte den Kopf und sagte mit dem Ton, den er im Geschäft anzuschlagen pflegte:

»Fräulein Mason, wollen Sie so freundlich sein und Herrn Hegan sagen, daß nichts dabei zu machen ist, und daß er anhängen soll.«

»Aber das kannst du nicht«, drang sie in ihn.

»Wetten das«, sagte er kurz.

»Elam!«

»Sag' das noch einmal!« rief er. »Sag' das noch einmal, und dann kann meinetwegen ein ganzes Dutzend Grimshaw & Hodgkins zum Teufel gehen!«

Er ergriff ihre Hand und zog sie an sich.

»Laß Hegan nur am Telephon warten, bis er schwarz wird. An einem Tag wie heute können wir nicht eine Minute an ihn verschwenden. Er ist nur in seine Bücher und sein Zeugs verliebt, aber ich halte ein wirkliches, lebendiges Weib in meinen Armen, das mich liebt, wenn es auch versucht, über die Stränge zu schlagen.«

 

Aber ich weiß doch auch etwas von dem Kampf, den du geführt hast«, wandte Dede ein. »Wenn du jetzt aufhörst, so ist die ganze Arbeit umsonst gewesen. Du hast kein Recht, das zu tun. Du kannst es nicht tun.«

Daylight war unerbittlich. Er schüttelte den Kopf und lächelte neckisch.

»Nichts wird zu nichts, Dede, nichts! Du verstehst nichts vom Geschäft. Es steht ja alles nur auf dem Papier. Alles, wofür ich kämpfe, ist Papier. Für tausend Morgen Land habe ich Papier bekommen. Schön. Verbrenne die Papiere und mich dazu. Das Land bleibt, nicht wahr? Der Regen fällt darauf, die Saat keimt darin, Bäume wachsen, Häuser stehen darauf, die elektrischen Bahnen fahren darüber. Das ganze Geschäft ist Papier. Ob ich das Papier verliere oder mein Leben, das ist einerlei; das macht das Land nicht um ein Sandkorn geringer und beugt keinen Grashalm.

Nichts ist verloren – nicht ein einziger Pfahl in der ganzen Dockanlage, nicht eine Speiche von all den Eisenbahnen, nicht ein bißchen Dampf von den Fährbooten. Die Wagen laufen weiter, ob das Papier mir gehört oder einem andern. Die Hochflut in Oakland hat schon begonnen. Die Leute strömen herbei. Wir verkaufen wieder Grundstücke. Die Flut läßt sich nicht mehr eindämmen. Was mir und dem Papier auch geschieht, die dreihunderttausend Menschen kommen doch! Und es wird Straßenbahnen geben, Häuser, gutes Wasser, Elektrizität und alles, was sonst noch dazu gehört.«

Unterdessen war Hegan in einem Automobil gekommen. Das Fauchen klang durch das offene Fenster herein, und sie hörten, wie es neben dem roten Wagen hielt. Im Wagen befanden sich auch Unwin und Harrison, während Jones neben dem Chauffeur saß. »Hegan will ich sprechen«, sagte Daylight zu Dede. »Die andern kann ich nicht brauchen. Die können im Auto warten.«

»Ist er betrunken?« flüsterte Hegan Dede zu, die ihn an der Tür empfing.

Sie schüttelte den Kopf und wies ihn hinein.

»Guten Morgen, Larry«, grüßte Daylight. »Setz' dich und beruhige dich. Du scheinst ein bißchen aufgeregt zu sein.«

»Das bin ich«, antwortete der kleine Irländer heftig. »Grimshaw & Hodgkins gehen zum Teufel, wenn nicht schnell etwas geschieht. Warum bist du heute morgen nicht ins Kontor gekommen? Was willst du tun?«

»Nichts«, sagte Daylight nachlässig. »Ich denke, wir lassen sie zum Teufel gehen.«

»Aber –«

»Ich habe nichts mit Grimshaw & Hodgkins zu schaffen. Ich schulde ihnen nichts. Außerdem geht es mir selbst nicht besser. Hör', Larry, du kennst mich doch. Du weißt, wenn ich zu etwas entschlossen bin, dann tue ich es auch. Und nun habe ich mich entschlossen. Ich hab' das ganze Spiel satt. Ich will heraus, so schnell ich kann, und mit einem Krach geht es am besten.«

Hegan starrte seinen Chef an und wandte dann sein entsetztes Gesicht Dede zu, die mitfühlend nickte.

»Und daher sollst du alles zum Teufel gehen lassen, Larry,« fuhr Daylight fort, »was du zu tun hast, ist, daß du für dich selbst und deine Freunde sorgst. Hör' nun zu: Alles ist soweit in Ordnung. Keiner darf zugrunde gehen. Allen, die zu mir gehalten haben, muß geholfen werden, ohne daß sie Schaden leiden. Alle ausstehenden Löhne werden auf Heller und Pfennig bezahlt. Alles Geld, das ich vom Wasserwerk, von den Straßenbahnen und den Fähren genommen habe, wird zurückgezahlt. Und du selbst wirst auch keinen Schaden leiden. Alle Gesellschaften, bei denen du beteiligt bist, werden sich halten –.«

»Du bist verrückt, Daylight«, rief der kleine Rechtsanwalt. »Das ist der reine Wahnsinn. Hast du Gift gekriegt?«

»Wahrscheinlich«, erwiderte Daylight lächelnd. »Aber jetzt spucke ich's aus. Ich bin krank vom Leben in der Stadt und vom Geschäft. Ich will hinaus in den Sonnenschein, aufs Land und das grüne Gras. Und Dede geht mit mir. Du darfst mir als erster gratulieren.«

»Gratulieren – den Teufel will ich! Mit solchen Dummheiten will ich nichts zu tun haben. Was haben Sie denn nur mit ihm gemacht?« sprudelte Hegan heraus und wandte sich ärgerlich gegen Dede.

»Nichts weiter, Larry.« Zum erstenmal klang Daylights Stimme scharf, und die Linien in seinem Antlitz, die von Grausamkeit zeugten, traten stärker hervor. »Fräulein Mason wird meine Frau, und wenn ich auch selbstverständlich nichts dagegen habe, daß du mit ihr redest, soviel du willst, so mußt du doch einen andern Ton anschlagen. Und ich will dir noch etwas sagen. Es geht alles auf meine eigene Kappe. Sie sagt auch, daß ich verrückt bin.«

Hegan schüttelte traurig den Kopf, konnte aber kein Wort hervorbringen und stand mit weit aufgerissenen Augen da.

»Es wird natürlich vorläufig Zwangsverwaltung geben,« sagte Daylight, »aber die wird nicht lange dauern. Du hast unterdessen die Leute zu retten, die ihre Löhne bei mir haben stehenlassen, alle Gläubiger und alle Unternehmungen, die auf unserer Seite gestanden haben. Die New-Jersey-Leute sind nach ein paar tausend Morgen ausgewesen. Sie nehmen sie gern und schlagen sicher sofort zu, wenn du ihnen einen halbwegs anständigen Preis machst. Das hilft schon.«

Dede hatte kaum zugehört, aber plötzlich schien sie einen Entschluß zu fassen, und sie trat vor die beiden Männer. Sie war blaß, aber ihre Züge hatten einen Ausdruck von Entschlossenheit, der Daylight an den Tag erinnerte, als sie das erstemal Bob ritt.

»Halt!« sagte sie. »Ich will dir etwas sagen, Elam, wenn du diesen Unsinn machst, so heirate ich dich nicht.«

In seinem Elend sandte Hegan ihr einen dankbaren Blick.

»Ich werde aber doch –« begann Daylight.

»Halt!« unterbrach sie ihn wieder. »Und wenn du es nicht tust, heirate ich dich.«

»Den Vorschlag muß ich mir erst klarmachen.« Daylight sprach aufreizend langsam und nachdrücklich. »Wenn ich dich recht verstehe, so willst du mich heiraten, wenn ich das Spiel weiterspiele. Du willst mich heiraten, wenn ich weiter arbeite wie verrückt und weiter Martinis trinke.«

Nach jeder Frage machte er eine Pause, während sie zustimmend nickte.

»Und du willst mich gleich heiraten?«

»Ja.«

»Heute? Sofort?«

»Ja.«

Er grübelte einen Augenblick.

»Nein, mein Herz, ich tue es nicht. Das geht nicht gut aus, und das weißt du selbst. Ich will dich haben – dich mit Haut und Haar. Sieh, Dede, mit dir auf der Ranch, bin ich deiner sicher und auch meiner selbst. Du kannst sagen, was du willst, heiraten tust du mich doch. Und jetzt, Larry, ist es am besten, wenn du gehst. Ich bin bald wieder im Hotel, und da ich meine Füße nicht wieder ins Kontor setze, mußt du mir schon die Papiere und was sonst zu erledigen ist bringen. Du kannst mich jederzeit telephonisch erreichen. Der Krach muß seinen Weg gehen. Savvy? Ich bin fertig damit.«

Er erhob sich, um Hegan anzudeuten, daß er gehen solle. Der war wie gelähmt. Er erhob sich zwar, blieb aber dann stehen und sah sich hilflos um.

»Der reine Wahnsinn, völlig verrückt«, murmelte er.

Daylight legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Nimm dich zusammen, Larry. Ich bin ein größerer Träumer als du, das ist alles, und jetzt träume ich etwas, das in Erfüllung gehen wird. Das ist der größte und schönste Traum, den ich je geträumt habe.«

»Indem du alles verlierst, was du hast«, rief Hegan heftig.

»Gewiß, indem ich alles verliere, was ich nicht brauche. Aber die hundertundvierzig Roßhaarzügel will ich doch behalten. Und nun mach' lieber, daß du zu Unwin und Harrison hinauskommst und in die Stadt zurückfährst.«

 

Drei Tage darauf fuhr Daylight in seinem roten Wagen nach Berkeley. Es war das letztemal, denn morgen sollte die große Maschine einem andern gehören. Es waren drei anstrengende Tage gewesen, denn sein Bankerott war der größte, den die Panik in Kalifornien verursacht hatte. Die Zeitungen waren voll davon, und ein Wutgeschrei wurde von denen ausgestoßen, die später fanden, daß Daylight ihre Interessen in jeder Beziehung wahrgenommen hatte. Diese Tatsachen waren es, die, als sie allmählich bekannt wurden, die weitverbreitete Anschauung veranlaßten, daß der wilde Draufgänger von Alaska verrückt geworden wäre. Und Daylight hatte geschmunzelt und die Vermutung dadurch bestärkt, daß er sich weigerte, Reporter zu empfangen.

Er ließ das Auto vor Dedes Tür halten, und mit derselben gewaltsamen Taktik wie das letztemal schloß er sie in die Arme, ehe sie noch ein Wort hatte hervorbringen können.

»Erledigt!« kündigte er an. »Du hast natürlich die Zeitungen gelesen. Ich bin ausgepumpt bis auf den letzten Cent, und jetzt will ich nur wissen, an welchem Tage wir nach Glen Ellen ziehen können.«

Er hielt inne und sah sie an. Unentschlossenheit und Sorge stand auf ihrem Antlitz. Aber dann wich alles dem Lächeln, das er so gut kannte, sie warf den Kopf zurück und lachte auf ihre alte frische Knabenart.

»Wann kommen die Leute zum Einpacken?« fragte sie.

Sie lachte wieder und tat, als ob sie vergebens versuchte, sich aus seinen Bärentatzen loszumachen.

»Lieber Elam,« flüsterte sie, »lieber Elam.« Und zum ersten Male küßte sie ihn.

Sie strich ihm kosend mit der Hand übers Haar.

»Jetzt sind deine Augen ganz golden«, sagte er. »Ich kann genau in ihnen lesen, wie lieb du mich hast.«

»Sie sind schon lange golden für dich gewesen, Elam. Ich glaube, auf unserer kleinen Ranch werden sie immer golden sein.«

»In deinem Haar ist auch Gold, eine Art Feuergold.« Er drehte ihren Kopf gegen das Licht, hielt ihn zwischen seinen Händen und blickte ihr lange in die Augen. »Und neulich, als du sagtest, daß du mich nicht heiraten wolltest, da waren deine Augen auch golden.«

Sie nickte und lachte.

»Du wolltest deinen Willen haben«, gestand sie. »Aber ich konnte einen solchen Wahnsinn nicht mitmachen. All das Geld gehört ja dir und nicht mir. Aber ich liebte dich die ganze Zeit, Elam, weil du so ein großer Junge warst, der nun ein Spielzeug für dreißig Millionen zerbrechen wollte – nur weil er des Spielens müde geworden war. Und wenn ich auch nein sagte, so wußte ich doch die ganze Zeit, daß es Ja war. Und ich wußte, daß meine Augen die ganze Zeit golden waren.«

Sie barg einen Augenblick ihr Gesicht an seiner Brust, dann sah sie wieder mit strahlendfrohen Augen zu ihm auf.

»Siehst du, Elam, ich – ich mußte dich einfach heiraten. Aber ich betete, daß es dir glücken möge, alles zu verlieren.«

»Ich habe eine Idee,« sagte Daylight, »wir entfliehen ja dem Stadtleben und allem, was damit zusammenhängt. Es hat doch eigentlich keinen Sinn, daß wir uns in der Stadt trauen lassen. Also meine Idee: Ich fahre nach der Ranch, um das Haus ein wenig instand zu setzen. Du kommst in ein paar Tagen mit dem Morgenzug nach. Dann hab' ich alles mit dem Pfarrer in Ordnung gebracht. Und noch eine Idee: Du nimmst dein Reitkleid im Handkoffer mit. Ich bin mit ein paar Pferden da, und wir reiten dann über Land. Du kannst gleich dein Gut besichtigen – und es ist wirklich schön. Also, es ist alles in Ordnung, und ich erwarte dich übermorgen mit dem Frühzuge.«

Dede war rot geworden, und sie sagte:

»Du bist ein solcher Brausewind.«

»Ja, gnädige Frau,« sagte er langsam, »ich kann das Warten nicht vertragen. Und es ist ein Skandal, wie lange wir gewartet haben. Wir hätten uns schon vor mehreren Jahren heiraten können.«

 

Zwei Tage später stand Daylight wartend vor dem kleinen Gasthof von Glen Ellen. Die Trauung war vorüber, und Dede war hineingegangen, um ihr Reitkleid anzuziehen, während er die Pferde holte. Jetzt zog er Bob und Mab am Zügel hinter sich her, und im Schatten des Wassertroges saß Wolf und sah zu. Schon die zwei Tage der starken kalifornischen Sonne hatten Daylights früher so sonnenverbrannter Haut neue Glut verliehen. Aber wärmer noch war die Glut, die in seinen Wangen und Augen brannte, als er Dede zur Tür herauskommen sah, die Reitpeitsche in der Hand und in dem Reitkleid, das er so gut von früher her kannte. Auch in ihrem Gesicht waren Wärme und Glut, als ihr Blick dem seinen begegnete und dann auf die Pferde fiel. Da sah sie Mab. Aber ihr Blick suchte wieder den Mann.

»Ach, Elam!« flüsterte sie.

Es war fast ein Gebet, aber ein Gebet, das tausendfachen Sinn enthielt. Daylight versuchte sich dumm anzustellen, aber das Lied, das in seinem Herzen klang, war zu jubelnd, als daß er sich hinter seiner gewöhnlichen Scherzhaftigkeit hätte verschanzen können. Alles lag in dem einen Wort – Vorwurf, in Dankbarkeit geläutert, und hinter allem Freude und Liebe.

Sie trat vor, liebkoste das Pferd, und dann wandte sie sich wieder zu ihm und flüsterte:

»Ach, Elam!«

Wieder machte er eine Anstrengung zu scherzen, aber der Augenblick war zu feierlich selbst für Liebesscherze. Keiner von ihnen sprach. Sie ergriff die Zügel, und Daylight beugte sich nieder und nahm ihren Fuß in die Hand. Er hob ihn, sie sprang und saß im nächsten Augenblick im Sattel. Gleich darauf saß er selbst im Sattel, und während Wolf in seinem typischen Wolfstrott vorauslief, ritten sie Seite an Seite bergauf, den Weg, der sie zur Stadt hinausführte – auf zwei rotbraunen Pferden zwei frohe verliebte Menschen, die durch den warmen Sommertag ihren Flitterwochen entgegenritten. Daylight war wie berauscht. Höher konnte nie ein Mensch gelangen, war nie einer gelangt.

Sie erreichten den Gipfel des Hügels, und er sah ihr Antlitz vor Freude leuchten, als sie das schöne Land vor sich liegen sah.

»Das ist unser«, sagte er. »Und das ist nur eine Probe von der Ranch. Warte nur, bis du den großen Canjon siehst. Dort sind Waschbären, und dahinten in Sonoma gibt es Nerze. Tiere! – Weißt du, diese Berge wimmeln von ihnen, und ich glaube, wenn wir uns Mühe geben, können wir sogar einen Berglöwen erwischen. Und weißt du, da ist eine kleine Wiese – aber jetzt sag' ich nichts mehr. Wart', bis du alles selbst gesehen hast.«

Sie bogen in eine Gatterpforte ein, und beide sogen mit Entzücken den warmen Heuduft ein. Wie bei Daylights erstem Besuch sangen die Lerchen und flogen vor den Pferden auf, bis sie den Wald mit den blumenübersäten Lichtungen erreichten.

»Jetzt sind wir auf unserem eigenen Grund und Boden«, sagte er, als sie über die jüngst gemähte Wiese kamen. »Er erstreckt sich über den unebensten Teil des Landes. Aber warte nur, bis du alles gesehen hast.«

Er bog bei der Lehmgrube ab und bahnte sich den Weg durch den Wald zur Linken, an der ersten Quelle vorbei, wo die Pferde über die zerfallenen Gatter springen mußten. Neben der glucksenden Quelle, zwischen den Rottannen, wuchs wieder eine große wilde Lilie, die auf ihrem schlanken Stengel eine Fülle weißer, wachsartiger Glocken trug. Diesmal stieg er nicht ab, sondern ritt voraus zu dem tiefen Canjon, den der Fluß in die Höhen geschnitten hatte. Hier hatte er einen steilen, glatten Reitweg angelegt, der über den Boden des Canjons in die tiefe Dämmerung der Rottannen und dann durch einen fast undurchdringlichen Wald von Eichen und Madronjos führte. Dann kamen sie an eine kleine Rodung von einigen Morgen, wo das Getreide ihnen fast bis an den Leib reichte.

»Unser«, sagte Daylight.

Sie beugte sich vom Sattel herab, pflückte einen Halm und schmeckte ihn.

»Süßes Bergheu,« rief sie aus, »Mabs Lieblingsfutter.« Und den ganzen Ritt hindurch äußerte sie ihr Entzücken und ihre Überraschung in frohen kleinen Ausrufen.

»Und davon hast du mir nie etwas erzählt!« sagte sie vorwurfsvoll, als sie über die kleine Rodung und die bewaldeten Höhen blickten, die sich ganz bis zur großen Krümmung des Sonoma-Tales erstreckten.

»Komm«, sagte er, und sie machten kehrt und ritten im Schatten zurück, setzten über den Fluß und kamen wieder zu der Lilie an der Quelle.

Auch hier, wo der Weg den steilen, mit Buschwerk bewachsenen Berg hinanführte, hatte er einen primitiven Reitweg angelegt. Als sie im Zickzack hinaufritten, konnten sie durch den dichten Laubverhang einen Schimmer dessen sehen, was sich hinter ihnen bis zum Horizont erstreckte. Aber immer noch blieb die Aussicht versperrt durch die Reihen grüner Bäume, die sich den ganzen Weg entlang als Laubwölbung über ihnen schlossen und nur hier und dort einen schmalen Spalt ließen, der Bündel von Sonnenstrahlen eindringen ließ. Und zu allen Seiten wuchsen Farne aller Arten, von winzig kleinem Venushaar bis zu riesigen Adlerfarnen, die sich zu einer Höhe von sechs Fuß erhoben. Unten in der Tiefe konnten sie ständig die großen verzerrten Stämme und Äste der Bäume sehen, und über ihren Köpfen hingen ähnliche große verzerrte Äste.

Dede hielt ihr Pferd an und seufzte über all die Schönheit.

»Es ist, als wären wir Schwimmer, die aus der Tiefe eines stillen grünen Sees emportauchten!« sagte sie. »Hoch droben sind Himmel und Sonne, aber hier ist der See, und wir sind klaftertief unter seiner Oberfläche.«

Dann erreichten sie den Gipfel, kamen gleichsam in eine andere Welt, denn jetzt waren sie wieder in dem dichten Busch von jungen langstämmigen Madronjos und sahen hinunter auf den freien, sonnenbeschienenen Hang, über die nickenden Gräser, zu den großen Sträußen blauer und weißer Nemophilen, die wie ein Teppich über der winzigen Wiese zu beiden Seiten des kleinen Baches lagen. Dede klatschte in die Hände.

Sie setzten über den Bach und ritten auf dem Viehsteige über die niedrige Felshöhe und durch das Manzanitagebüsch, bis sie das nächste Tal mit seinem von Wiesen umkränzten kleinen Bach erreichten.

»Es sollte mich wundern, wenn wir nicht bald auf ein paar Wachteln stießen«, sagte Daylight.

Und kaum hatte er ausgesprochen, als auch schon wildes, aufgeregtes Trommeln erscholl und die alten Wachteln um Wolf aufflogen, während die jungen eilig Schutz suchten und wie durch Zauberwort gerade vor ihren Augen verschwanden.

Er zeigte ihr den Habichtshorst, den er in dem zersplitterten Wipfel der Rottannen gefunden, und sie entdeckte ein Waldrattennest, das er noch nicht gesehen hatte. Dann schlugen sie den alten Waldpfad ein und kamen an eine kleine Rodung, wo die Weintrauben in der roten vulkanischen Erde wuchsen. Hierauf folgten sie dem Viehsteig durch neue Wälder, neues Gestrüpp, durchritten hin und wieder ein bewaldetes Tal und erreichten den Hof, der am Rande des großen Canjons lag und erst in Sicht kam, als sie ihn fast erreicht hatten.

Dede stand auf der breiten Veranda, die rings um das Haus lief, während Daylight die Pferde anband. Es schien Dede, als wäre es sehr still. Es war die trockene, warme, atemlose Ruhe des kalifornischen Mittags. Die ganze Welt schien zu schlafen. Irgendwo gurrten träge Tauben. Sie hörte Daylight zurückkommen, und ihr Atem ging tief und schnell. Er nahm ihre Hand in die seine, und als er den Türgriff faßte, fühlte er, wie sie zögerte. Da legte er den Arm um sie; die Tür sprang auf, und zusammen traten sie ein.

 

Viele, die in der Stadt geboren und aufgewachsen, sind zum Mutterschoß der Erde geflohen und haben großes Glück gewonnen. Aber sie haben es sich nur durch eine Reihe bitterer Enttäuschungen erkämpft. Mit Dede und Daylight war es anders. Sie waren beide auf dem Lande geboren und kannten es. Sie glichen zwei Menschen, die nach langer Wanderung endlich heimgekehrt waren. Es war weniger das Unerwartete in ihrem Verhältnis zur Natur, als die Freude des Wiedererkennens.

Und noch etwas hatten sie gelernt, nämlich, daß es für sie, die sich an die Fleischtöpfe gewöhnt hatten, leichter war, sich an das trockene Brot zu gewöhnen, als für die, die nur das Brot gekannt hatten. Nicht etwa, daß sie ärmlich gelebt hätten, sie fühlten nur innige Freude und tiefe Befriedigung über die kleinen Dinge. Daylight, der das höchste und phantastischste Spiel gespielt hatte, fand, daß es hier auf den Hängen der Sonoma-Berge noch dasselbe Spiel war. Man hatte stets eine Arbeit zu verrichten, Kämpfe zu bestehen, Hindernisse zu überwinden. Wenn er im Kleinen Versuche anstellte und Geflügel für den Markt züchtete, interessierte ihn die Spekulation in Küken nicht weniger als früher das Rechnen mit Millionen.

Die Hauskatze, die verwildert war und einen Überfall auf seine Tauben gemacht hatte, war keine geringere Gefahr als ein Spekulant, der seinerzeit versucht hatte, ihn um mehrere Millionen zu plündern. Die Habichte, Wiesel und Waschbären waren ebenso viele Dowsetts, Lettons und Guggenhammers, die es insgeheim auf ihn abgesehen hatten. Das Meer von Unkraut, das seine Rodungen überspülte und sie zuweilen in einer einzigen Woche überschwemmen konnte, war auch kein zu verachtender Gegner. Sein Gemüsegarten in dem Winkel zwischen den Bergen, dessen Ertrag trotz des fetten Bodens nicht der beste war, bedeutete ihm ein äußerst wichtiges Problem, und als er es durch Anlegen von Drainröhren gelöst hatte, konnte er sich immer wieder über das Ergebnis freuen. Wenn er darin arbeitete und den Boden leicht zu bearbeiten fand, wurde er stets von Freude über den Erfolg durchbebt.

Dann die Klempnerarbeit. Er hatte seine Roßhaarzügel zu einem guten Preise verkaufen können, was ihn in den Stand setzte, das Material für neue Anlagen kaufen zu können. Er machte alles selbst, wenn er auch mehrmals gezwungen war, Dede zu Hilfe zu rufen. Und als schließlich die Badewanne und andere eingebaute Gefäße installiert waren und ordnungsgemäß funktionierten, konnte er kaum seine Augen von dem, was er mit eigenen Händen geschaffen, losreißen. Dede, die ihn am ersten Abend vermißte, suchte und fand ihn mit der Lampe in der Hand neben der Wanne, die er mit stiller Freude betrachtete. Er streichelte den glatten Holzrand und lachte laut, wurde aber verlegen wie ein Schulknabe, als sie ihn so in heimliche Freude über seine eigene Geschicklichkeit versunken fand.

Dieses Abenteuer von Tischlerei und Klempnerei zog den Bau der kleinen Werkstatt nach sich, wo er allmählich eine ganze Sammlung ihm lieber Werkzeuge anlegte. Und er, der frühere Millionär, der sich alles, was er sich wünschte, augenblicklich hatte kaufen können, lernte jetzt die neue Freude kennen, endlich Dinge zu besitzen, die man sich lange gewünscht und durch strenge Sparsamkeit erworben hat. Es dauerte drei Monate, bis er sich den Luxus erlauben konnte, einen Patentschraubenzieher zu kaufen, und seine Freude über diesen kleinen Wundermechanismus war so groß, daß Dede gleich einen großen Plan entwarf. Sechs Monate sparte sie ihr Eiergeld – dieser Teil der Wirtschaft war ihr durchs Los zugefallen – und schenkte ihm zum Geburtstage eine Drehbank, die ungeheuer leicht zu hantieren und zu vielerlei zu gebrauchen war. Und ihr Entzücken an diesem Stück, das ihm gehörte, wurde nur von der Freude über Mabs erstes Füllen erreicht, das Dedes ausdrückliches Privateigentum war.

Erst im zweiten Sommer errichtete Daylight den mächtigen Herd, der bei weitem den Fergusons an der andern Seite des Tales in den Schatten stellte. Denn all diese Dinge brauchten Zeit, und Dede und Elam hatten keine Eile. Sie begingen nicht den Fehler der meisten Städter, die aufs Land flüchten, ohne das geringste vom Leben dort zu kennen. Sie versuchten nicht zuviel. Sie hatten auch keine Schulden abzubezahlen und trachteten nicht nach Reichtum. Sie machten keine großen Ansprüche bezüglich des Essens und hatten keine Miete zu bezahlen. Und daher konnten sie ohne Ehrgeiz ihre Pläne schmieden, lebten ihr Leben füreinander und die Freuden des Landlebens, von denen der gewöhnliche Landbewohner abgeschnitten ist. Sie hatten auch ein ganz Teil von Ferguson gelernt. Er war ein Mann, der mit der einfachsten Kost vorlieb nahm, eigenhändig für seine bescheidenen Bedürfnisse sorgte, wenn er Geld brauchte, für Tagelohn arbeitete, um sich Bücher und Zeitschriften zu kaufen, und der dafür sorgte, daß der größte Teil des Tages dem Genusse des Lebens gewidmet wurde. Er liebte es, nachmittags der Länge nach im Schatten zu liegen und zu lesen, oder mit der Sonne aufzustehen und weite Ausflüge über die Berge zu machen.

Hin und wieder begleitete er Dede und Elam auf der Jagd durch die wilden Canjons und über die steilen, zerrissenen Hänge der Hood-Berge, in der Regel aber ritten sie allein. Diese Ausritte machten ihnen immer noch das größte Vergnügen. Sie untersuchten jede Falte, jeden Riß in den Bergen und kannten zuletzt alle verborgenen Quellen und heimlichen Täler in der Bergreihe, die wie eine Mauer das Tal umgab.

Von diesen Ausritten brachten sie häufig Samen und Zwiebeln wilder Blumen mit, die sie in geschützten Winkeln ihrer Besitzung pflanzen konnten. Längs des Pfades, der durch den großen Canjon zur Wasserleitung führte, pflanzten sie ihre Farne. Sie wurden nicht weiter gepflegt, sondern sich selbst überlassen. Nur von Zeit zu Zeit pflanzten Dede und Elam neue Gewächse dazwischen oder gaben ihnen einen andern Standort. Sie sammelten Samen des kalifornischen Mohns und streuten ihn über ihre Felder, so daß die orangefarbenen Blumen überall hervorguckten und in den Ecken der Gehege und an den Rändern der Rodungen flammten.

All dies machte ihnen nicht viel Mühe. Sie blieben gewissermaßen im Vorübergehen stehen und reichten der Natur eine helfende Hand. Diese Blumen und Büsche wuchsen von selber, und ihr Vorhandensein bedeutete keine Beeinträchtigung der natürlichen Umgebung. Die Pferde mit ihren Füllen, die Kühe und Kälber weideten dazwischen, und Büsche und Blumen mußten zusehen, wie sie fertig wurden. Aber die Tiere vernichteten nicht viele von ihnen, denn das Gut war groß.

Ferguson kam herüber, um der feierlichen Einweihung des großen Steinherdes beizuwohnen. Daylight war mehr als einmal durch das Tal geritten, um sich mit ihm über dies Unternehmen zu beraten, und er war der einzige Fremde, der dem großen Augenblick, als das erste Feuer in dem neuen Kamin angezündet werden sollte, beiwohnte. Daylight hatte eine Scheidewand niedergerissen und zwei Räume zu einem gemacht, und in diesem großen Raum waren Dedes Schätze untergebracht – ihre Bücher, Bilder und Photographien, der Flügel mit der Venus. Ihre Felle hatten sich um einige neue Hirsch- und Coyotenfelle vermehrt, zu denen ein von Daylight geschossener Berglöwe kam. Er hatte sie selbst, langsam und mühselig, nach Grenzerart gegerbt.

Er reichte Dede das Streichholz, und sie zündete das Feuer im Kamin damit an. Das trockene Manzanitaholz knisterte, während die Flammen herausschlugen und die Rinde der trockenen Holzstücke erfaßten. Dann lehnte sie sich an die Schulter ihres Mannes, und alle drei standen in atemloser Spannung da und sahen zu. Als Ferguson endlich sein Urteil sprach, tat er es mit strahlendem Gesicht.

»Der zieht! Weiß Gott, der zieht!« rief er.

Er drückte Daylight begeistert die Hand, und dieser erwiderte den Händedruck mit gleicher Wärme, und dann beugte er sich herab und küßte Dede auf den Mund. Sie waren ebenso glücklich über den Erfolg ihrer Arbeit wie ein großer Heerführer über einen erstaunlichen Sieg. Fergusons Augen waren verdächtig blank, während die Frau sich noch enger an den Mann preßte, dessen Werk es war. Plötzlich hob er sie in seine Arme, trug sie zum Flügel und rief: »Los. Dede! Spiel Gloria, Gloria!«

Und während die Flammen auf dem Herde emporstiegen, klangen die siegreichen Töne der Zwölften Messe durch den Raum.

 

Daylight hatte kein Enthaltsamkeitsgelübde getan, aber dennoch seit dem Tage, da er sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, nicht einen Tropfen Alkohol angerührt. Bald war er jedoch stark genug, ein Glas trinken zu können, ohne sofort ein zweites folgen zu lassen. Andererseits war der Drang zu trinken von dem Augenblick an, als er sich auf dem Lande niedergelassen hatte, vollkommen verschwunden. Er spürte kein Verlangen nach Alkohol und vergaß sogar, daß er existierte. Doch er wollte sich nicht davor fürchten, und wenn ihm der Kaufmann in der Stadt hin und wieder etwas anbot, pflegte er zu sagen: »Schön, mein Sohn! Wenn es Ihnen Spaß macht, daß ich ein Glas mit Ihnen trinke, gern. Geben Sie mir einen Whisky.«

Burning Daylight, der Finanzmann, war, wie er Dede prophezeit hatte, eines schnellen Todes verblichen, sein jüngerer Bruder, der Daylight aus Alaska, war auf die Ranch gekommen und hatte seinen Platz eingenommen. Sein Körper hatte die frühere Schlankheit und Geschmeidigkeit wiedergewonnen, und in den Wangen hatten sich die schwachen Höhlen wieder eingestellt, die an ihm den Höhepunkt körperlichen Wohlbefindens bezeichneten. Alljährlich feierte er seinen Geburtstag auf die alte Grenzerweise und lud das ganze Tal ein, auf den Hof zu kommen und sich werfen zu lassen. Und ein großer Teil des Tales folgte der Einladung, brachte Frau und Kinder mit und machte einen richtigen Familienausflug daraus.

Anfänglich war er, wenn er bares Geld brauchte, Fergusons Beispiel gefolgt und hatte einfache Tagelöhnerarbeit verrichtet, aber es dauerte nicht lange, so fand er eine Erwerbsform, die angenehmer und befriedigender war und ihm zugleich mehr freie Zeit ließ. Seit der Grobschmied ihn einmal im Scherz aufgefordert hatte, ein ganz unzähmbares Füllen zuzureiten, und es ihm glänzend gelungen war, galt er für einen vorzüglichen Zureiter. Und bald konnte er mit dieser Arbeit, die ihm wirklich ausgezeichnet lag, soviel Geld verdienen, wie er wollte.

Ein Zuckerkönig, dessen Zuchtfarm und Rennstall in Caliente, drei Meilen von Glen Ellen lag, schickte, wenn Not am Mann war, nach ihm und bot ihm, ehe ein Jahr vergangen war, die Stellung eines Oberaufsehers über die Ställe an. Aber Daylight schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich will mich nicht abrackern«, versicherte er Dede, und er übernahm derlei Arbeit nur, wenn er durchaus Geld brauchte.

»Wir haben die Ranch und uns,« sagte er zu seiner Frau, »und ich will viel lieber mit dir nach den Hood-Bergen reiten als vierzig Dollar verdienen. Man kann nicht Sonnenuntergänge und zärtliche Frauen und kaltes Quellwasser und all das für vierzig Dollar kaufen; und für vierzig Dollar kann ich nicht einen einzigen Tag zurückkaufen, den ich dazu verwandt habe, mit dir nach den Hood-Bergen zu reiten!«

Sein Leben war außerordentlich gesund und natürlich. Er ging früh ins Bett, schlief wie ein Kind und war mit der Sonne auf. Es gab immer etwas zu tun, tausenderlei Kleinigkeiten, die ihn lockten, aber nicht riefen, und er überanstrengte sich nie. Dennoch mußte er sowohl wie Dede zuzeiten zugeben, daß sie müde waren, wenn sie zum Beispiel siebzig Meilen geritten waren.

Als sie eines Tages vor der Post in Glen Ellen hielten, um einen Brief abzuschicken, wurden sie von dem Grobschmied angesprochen.

»Hören Sie, Daylight,« meinte er, »ein junger Mensch namens Slosson hat Sie grüßen lassen. Er kam in einem Automobil durch und war auf dem Wege nach Santa Rosa. Er wollte wissen, ob Sie nicht in der Nähe wohnten, aber die Leute, mit denen er zusammen war, hatten keine Zeit zu warten. Und da sagte er nur, ich sollte Sie grüßen und sagen, daß er Ihren Rat befolgt habe und immer noch seine eigenen Rekorde schlage.« Daylight hatte Dede längst die Geschichte erzählt.

»Slosson?« sagte er nachdenklich. »Slosson, das muß der Hammerwerfer sein. Er hat meine Hand zweimal runtergedrückt, der verdammte Kerl.« Dann wandte er sich plötzlich an Dede. »Hör', es sind ja nur zwölf Meilen bis Santa Rosa, und die Pferde sind frisch.« Sie erriet, was er im Sinne hatte, denn seine glänzenden Augen und sein verlegenes jungenhaftes Lächeln sprachen deutlicher als Worte, und sie lächelte und nickte zustimmend.

»Wir können den Richtweg durch das Bennet-Tal einschlagen,« sagte er, »der ist näher.«

Als sie erst nach Santa Rosa gekommen waren, hatten sie keine Schwierigkeiten mehr, Slosson zu finden. Er und seine Gesellschaft hatten sich im Oberlin-Hotel einlogiert, und Daylight traf ihn in der Bar.

»Hören Sie mal, mein Sohn,« sagte Daylight, sobald er Dede vorgestellt hatte, »ich bin hergekommen, um Ihnen eine neue Chance zu geben. Wollen wir die Sache noch mal versuchen? Hier ist Platz genug.«

Slosson lächelte und ging auf seinen Vorschlag ein. Die beiden Männer standen einander gegenüber, legten die Ellbogen auf den Schanktisch und griffen zu. Slossons Hand wurde schnell heruntergepreßt.

»Sie sind der erste, der das je fertiggebracht hat,« sagte er, »lassen Sie uns noch einmal versuchen.«

Wieder umspannten die Hände sich, und wieder wurde die Slossons heruntergedrückt. Er war ein breitschulteriger junger Riese mit kräftigen Muskeln und mindestens einen halben Kopf größer als Daylight, er machte kein Hehl aus seinem Ärger über die Niederlage und verlangte eine dritte Probe. Diesmal spannte er seine Kräfte aufs äußerste an, und einen Augenblick schien der Ausfall zweifelhaft. Mit brennenden Wangen und zusammengebissenen Zähnen begegnete er dem kräftigen Griff des andern, bis seine Muskeln knackend nachgaben. Seine gefüllten Lungen ließen die Luft explosiv entweichen, seine Widerstandskraft erlahmte, und die Hand hing kraftlos herab.

»Sie sind mir zu stark«, gestand er. »Ich hoffe nur, daß Sie nicht auch noch mit Hammerwerfen anfangen.«

Daylight lachte und schüttelte den Kopf.

»Wir können einen Kompromiß schließen, daß jeder bei seinem Sport bleibt. Sie beim Hammerwerfen, und ich beim Händedrücken.«

Aber Slosson wollte sich nicht endgültig ergeben.

»Hören Sie«, rief er, als Elam und Dede ihre Pferde wieder bestiegen hatten und aufbrechen wollten. »Hören Sie – haben Sie etwas dagegen, daß ich Sie nächstes Jahr besuche? Ich hätte Lust, es noch einmal mit Ihnen aufzunehmen.«

»Gewiß, mein Sohn, Sie sind jederzeit willkommen. Aber ich sage Ihnen ganz offen, Sie müssen sich anstrengen, Sie müssen trainieren, denn ich pflüge, hacke Holz und reite Pferde zu.«

So wurde ihnen die Zeit nie lang. Immer gab es einen wunderbaren neuen Morgen, wenn sie erwachten, oder eine schöne, kühle Dämmerung, wenn die Arbeit des Tages beendet war, und bei all dem Tausenderlei, das seine Zeit in Anspruch nahm, war sie stets mit dabei. In dem neuen Spiel, das er spielte, fand er dieselbe Befriedigung wie früher in den wahnsinnigen Spekulationen. Und der Tisch, an dem er sein neues Spiel spielte, war jedenfalls rein. Hier gab es keine Lüge, keinen Betrug, keine Heuchelei. Das andere Spiel hatte nur zu Tod und Verderben geführt, das Ziel des neuen aber war Kraft. Und daher kam es, daß er, Dede an seiner Seite, mit großer Zufriedenheit dem Wechsel der Tage und Jahreszeiten von dem kleinen Hause hoch oben am Rande des Canjons folgte; daß er durch den klaren, frostigen Morgen oder unter der brennenden Sommersonne ritt und Schutz in dem großen Raum suchte, wo das Feuer auf dem Herde flammte, den er selbst gebaut hatte, während die Welt draußen sich vor Kälte schauernd unter dem harten Griff des Südostwindes wand.

Nur einmal fragte Dede ihn, ob er je bereut hätte, was er getan, und seine Antwort war, daß er sie stürmisch an sich zog und seine Lippen auf die ihren preßte. Und eine Minute später wurde diese Antwort durch die Worte ergänzt:

»Mein Herz, wenn du auch dreißig Millionen gekostet hast, so bist du doch der billigste Gebrauchsgegenstand, den ich mir je angeschafft habe.« Und er fügte hinzu: »Ja, einen Wunsch hab' ich noch, und dazu einen ganz großen. Ich möchte dich noch einmal erkämpfen müssen, ich möchte so gern wieder durch die Berge reiten und Ausschau nach dir halten. Ich möchte so gern wieder zum erstenmal in deine Stube in Berkeley treten. Es hilft ja nichts, darüber zu reden, aber ich bin ganz krank vor Bedauern, daß ich nicht noch einmal meinen Arm um dich legen kann wie damals, als du in Sturm und Regen deinen Kopf an meine Brust lehntest und weintest.«

 

Aber dann kam ein Tag im April, da Dede in einem Lehnstuhl auf der Veranda saß und an einigen winzigen Kleidungsstücken nähte, während Daylight ihr vorlas. Es war am Nachmittag, und die Sonne schien hell auf eine Welt von jungem Grün herab. Die Rieselkanäle im Gemüsegarten waren voll Wasser, und hin und wieder hielt Daylight im Lesen inne und lief hin, um das Wasser in eine andere Richtung zu leiten.

Von dem Platz, wo sie saßen, konnten sie das ganze Land übersehen. Wie die Klinge eines Krummsäbels lag das Mondtal vor ihnen, übersät mit Gehöften, die mit Wiesen, Feldern und Weinbergen abwechselten. Dahinter erhob sich die Mauer, die das Tal von der Umwelt schied, und von der Dede und Elam jeden Winkel kannten, und an einer Stelle, wo die Sonnenstrahlen die Erde trafen, lag der weiße Schuttplatz der verlassenen Mine und flammte wie ein Edelstein. Im Vordergrund, auf der eingezäunten Weide, erging sich Mab und hütete das neugeborene Füllen, das sich auf seinen wackligen Beinen tummelte. Die Luft zitterte vor Hitze, es war ein träger, sonnenwarmer Tag. Die Wachteln pfiffen aus dem Gebüsch hinter dem Hause ihren Jungen. Die Tauben girrten leise, und aus der grünen Tiefe des großen Canjons war das klagende Schluchzen einer Waldtaube zu hören. Einmal erklang ein warnender Chor von den Hühnern, die dort gingen und Körner suchten, und sie hasteten in wilder Flucht in ihre sicheren Verstecke, während ein Habicht hoch oben am blauen Himmel seinen Schatten über die Erde gleiten ließ. Das war es vielleicht, was die alten Jagdinstinkte in Wolf erweckte. Auf jeden Fall entdeckten Dede und Daylight plötzlich eine Erregung im Gehege und sahen die harmlose Wiederholung einer alten grimmigen Tragödie aus der Urzeit. Brennend vor Eifer, auf Samtpfoten und lautlos wie ein Geist, gleitend, schleichend und am Boden entlang kriechend, suchte der Hund, der eigentlich ein gezähmter Wolf war, das verlockende junge Geschöpf zu fangen, das Mab erst vor kurzem zur Welt gebracht hatte. Und die Stute, deren Vorzeitinstinkte ebenfalls wieder erweckt wurden und bebten, kreiste beständig zwischen dem Füllen und dieser drohenden Erinnerung an die wilden alten Zeiten, da ihr ganzes Geschlecht in Angst vor ihm und seinen jagenden Brüdern gelebt hatte. Einmal drehte sie sich blitzschnell um und schlug nach ihm aus, meistens aber versuchte sie mit den Hufen seine Vorderfüße zu treffen oder mit weit aufgerissenem Maul und zurückgeworfenem Kopf auf ihn loszustürzen, um ihm das Rückgrat zwischen den Zähnen zu zermalmen. Doch der Wolfshund kroch zusammen und schlich mit flach am Kopfe liegenden Ohren auf seinen Samtpfoten weg, aber nur, um das Füllen von der andern Seite wieder anzuschleichen und die Stute wieder zu erschrecken. Da stieß Daylight auf Dedes Bitten einen leisen, drohenden Ruf aus; und Wolf sank plötzlich ganz in sich zusammen, trat augenblicklich wieder in sein gewohntes Abhängigkeitsverhältnis zu den Menschen und verschwand hinter der Scheune.

Wenige Minuten später unterbrach Daylight wieder das Lesen, um dem Wasser in einem der Rieselgräben eine neue Richtung zu geben. Aber da sah er, daß der Kanal trocken war. Er nahm Hacke und Schaufel auf die Schulter, holte Hammer und Kneifzange aus dem Werkzeugschuppen und kehrte dann auf die Veranda zu Dede zurück.

»Ich muß sicher das Rohr ausgraben«, sagte er zu ihr. »Es ist der Erdrutsch, der den ganzen Winter gedroht hat. Jetzt ist er wohl endlich gekommen.«

»Aber lies nicht allein weiter!« rief er, während er um das Haus den Pfad entlang schritt, der zum Canjon führte.

Als er halbwegs den Pfad hinuntergeschritten war, kam er zu dem Erdrutsch. Es war nichts von Bedeutung, nur ein paar Tonnen Erde und zusammengestürztes Gestein, aber es hatte fünfzig Fuß darüber angefangen und Kraft genug gehabt, die Wasserleitung bei einer Zweigstelle zu zerreißen. Ehe er an die Arbeit ging, blickte er zu der Stelle hinauf, von der der Erdrutsch gekommen war, und er tat es in der Weise des geübten Minenarbeiters. Und was er sah, ließ fast seine Augen aus den Höhlen treten.

»Das müssen wir uns doch mal näher ansehen!« sagte er laut.

Sein Blick wanderte über die steile Oberfläche des Bruches. Hier und dort standen kleine, schwankende Manzanitabüsche mit verflochtenen Wurzeln, aber im großen und ganzen war dieser Teil des Canjons nackt und nur von Gras und Unkraut bedeckt. Man konnte sehen, daß die Oberfläche sich geändert hatte, sooft der Regen seine Flut von der Erde über den Rand des Canjons gespült hatte.

»Ein richtiger Quarzgang, so wahr ich lebe!« rief er leise aus.

Und wie vorher die alten Jagdinstinkte in dem Wolfshund erwacht waren, so kehrte in ihm jetzt die alte, brennende Gier nach dem Golde zurück. Er warf Hammer und Kneifzange hin, behielt aber Hacke und Schaufel und kletterte zu dem Erdrutsch hinauf, wo der vorspringende, aber größtenteils mit Erde bedeckte Fels zum Vorschein kam. Der Vorsprung war undeutlich, fast unsichtbar, aber sein geübtes Auge zeichnete sofort die versteckte Formation, die unter der Erde liegen mußte. Hier und da hieb er mit der Hacke auf das zerbröckelnde Gestein los und schaufelte die überflüssige Erde fort. Einige Male untersuchte er auch den Stein selbst. Der war so morsch, daß er mit den Fingern Stücke davon abbrechen konnte. Dann kletterte er ein paar Dutzend Fuß höher und begann von neuem mit Hacke und Schaufel drauflos zu arbeiten. Und als er diesmal die Erde von einem Felsblock geschabt und ihn untersucht hatte, richtete er sich plötzlich auf und schnappte vor Freude nach Luft. Dann sah er sich hastig um, wie um sich zu vergewissern, daß ihn niemand sah, wie ein Hirsch, der an der Tränke im Walde steht und sich ängstlich nach Feinden umsieht, ehe er trinkt. Er lachte laut über seine eigene Dummheit und machte sich wieder an die Untersuchung des Felsens. Die Sonne warf ein Streiflicht darüber, und es glitzerten winzig kleine Stellen darin, die nichts als reines Gold sein konnten.

»Von den Graswurzeln abwärts«, murmelte er mit Ehrfurcht in der Stimme, während er die Axt in die weiche Oberfläche trieb.

Er schien ein anderer Mensch geworden. Die größte Menge Cocktail hätte nicht diese Flamme in seinen Augen entzünden, nicht seine Wangen mit solcher Glut färben können. Während er arbeitete, fühlte er sich von neuem von der alten Leidenschaft gepackt, die ihn den größten Teil seines Lebens beherrscht hatte. Ein wilder Wahnsinn überkam ihn und wuchs von Minute zu Minute. Er arbeitete wie verrückt, bis er vor Anstrengung keuchte und der Schweiß ihm über die Stirn troff. Er suchte die ganze Breite des Erdrutsches ab und grub durch die rote vulkanische Erde, die von dem eingestürzten Felsen über ihn herabgekommen war, bis er Quarz fand, mürben Quarz, der ihm unter den Händen zerbröckelte und von reinem Golde wimmelte.

Zuweilen verursachte er kleine Erdrutsche, die seine Arbeit wieder zunichte machten und ihn zwangen, die Erde wegzugraben. Einmal wurde er fünfzig Fuß tief bis auf den Boden des Canjons mitgerissen, kam aber mit einiger Mühe auf die Beine und kroch wieder hinauf, ohne auch nur Luft zu schöpfen. Hier war der Quarz bröckelig, daß er fast Lehm glich, und hier war er reicher an Gold als irgendwo sonst. Es war die reine Schatzkammer. Er verfolgte die Ader bergauf und bergab auf eine Strecke von hundert Fuß. Er kletterte sogar über den Rand des Canjons, um möglicherweise etwas von dem Quarzgange zu erspähen. Aber das hatte Zeit, und er kehrte schnell zu seinem Funde zurück.

Er arbeitete weiter in derselben wahnsinnigen Eile, bis Ermattung und unerträgliche Rückenschmerzen ihn zum Aufhören zwangen. Er richtete sich an einem Quarzblock auf, der noch goldhaltiger als die vorhergehenden war. Als er gebückt dagestanden hatte, war der Schweiß ihm von der Stirn auf die Erde getropft, jetzt lief er ihm in die Augen und blendete ihn. Er wischte ihn mit dem Handrücken ab und machte sich von neuem an die Untersuchung des Goldes. Es würde dreißigtausend auf die Tonne, ja fünfzigtausend oder noch mehr ergeben, das wußte er gut. Und als er so das gelbe, lockende Gold anstarrte, nach Luft schnappte und sich den Schweiß aus den Augen wischte, begannen in seinem Innern plötzlich die großen Gesichte aufzutauchen. Er sah die Eisenbahnschienen, die vom Tal in die Höhe, quer über die Wiesen bis zum Gipfel des Berges laufen mußten, und sein Blick glitt über die Hänge und baute die Brücke über den Canjon, bis alles vor seinen Augen zur Wirklichkeit wurde. Auf der andern Seite des Canjons mußte die Mühle errichtet werden, und er stellte sich dorthin und hing auch die endlose Kette von Eimern auf, die sich mittels Schwerkraft durch den Raum bewegten, um das Metall über den Canjon zum Quarzbecher zu schaffen. Die ganze Mine lag zu seinen Füßen mit ihren Tunneln, Schächten, Galerien und Kränen. Er konnte die Sprengungen in der Mine hören, während von der andern Seite das Poltern des Stampfwerkes ertönte. Die Hand, die das kleine Stückchen Quarz hielt, zitterte, und er spürte in seinem Magen ein müdes, nervöses Klopfen. Plötzlich wußte er, daß er etwas trinken mußte – Whisky, Cocktail, irgend etwas, nur Spiritus. Und in diesem Augenblick, als der brennende Drang nach Spiritus ihn ganz beherrschte, hörte er in der Ferne Dedes Stimme, die über die grüne Tiefe des Canjons schwach und undeutlich zu ihm herüberdrang:

»Komm, put, put, put, put, put! Komm, put, put, put!«

Er war erstaunt, wieviel Zeit vergangen war. Sie hatte die Veranda verlassen und fütterte jetzt die Küken, ehe sie das Abendessen bereitete. Der Nachmittag war vergangen. Er konnte nicht fassen, daß er so lange fortgeblieben war.

Wieder hörte er ihr Rufen: »Komm, put, put, put, put, put! Komm, put, put, put!«

So rief sie immer, erst fünf-, dann dreimal. Er hatte es längst bemerkt. Und als er so an sie dachte, stiegen auch andere Gedanken in ihm auf, die allmählich den Ausdruck von Angst über seine Züge bereiteten. Denn ihm war, als hätte er sie schon fast verloren. Nicht ein einziges Mal hatte er in diesen wahnsinnigen Stunden an sie gedacht, die ganze Zeit war sie ihm wahrhaftig verloren gewesen.

Er warf das Quarzstück fort, ließ sich den Erdrutsch hinabgleiten und begann mit schweren Schritten den Pfad entlang zur Ranch zu laufen. Am Rande der Rodung verlangsamte er seinen Schritt und kroch fast bis zu einer Stelle, von wo aus er sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Sie fütterte immer noch die Küken, streute ihnen Hände voll Korn aus und lachte über ihre drolligen Bewegungen.

Bei ihrem Anblick war ihm, als verließe ihn plötzlich der panische Schrecken, der ihn ergriffen hatte, er machte kehrt und lief den Pfad zurück. Dann kletterte er wieder den Erdrutsch hinauf, kletterte jetzt aber höher und nahm Hacke und Schaufel mit. Und wieder arbeitete er wie rasend, aber diesmal mit einer andern Absicht. Er berechnete genau, lockerte die rote Erde, so daß sie herabstürzte, alles, was er ausgegraben hatte, unter sich begrub und den Schatz, den er entdeckt hatte, wieder vor dem Tageslicht verbarg. Er ging sogar in den Wald, schaufelte ganze Arme voll des im vergangenen Jahre gefallenen Laubes zusammen und streute es über den Erdrutsch. Aber diese Arbeit gab er bald als zwecklos wieder auf und ließ wieder Erde über den Schauplatz seiner harten Arbeit nachstürzen, bis jede Spur des vorspringenden Quarzganges vollständig verwischt war.

Dann setzte er das beschädigte Wasserrohr instand, nahm sein Werkzeug und machte sich auf den Heimweg. Er ging langsam, denn er fühlte eine große Müdigkeit, wie ein Mensch, der eine furchtbare Krisis durchgemacht hat. Er legte das Werkzeug fort, nahm einen tüchtigen Schluck von dem Wasser, das jetzt wieder durch die Kanäle strömte, und setzte sich auf die Bank an der offenen Küchentür. Dede war drinnen dabei, das Abendessen zu bereiten, und der Klang ihrer Schritte erfüllte ihn mit unendlicher Zufriedenheit.

Er atmete die balsamische Bergluft in tiefen Zügen, wie ein Taucher nach dem Aufsteigen aus der Tiefsee. Und während er die Luft einsog, tranken seine Augen die Schönheit der Wolkentäler, als wollten sie sich nie wieder davon losreißen.

Dede wußte nicht, daß er zurückgekommen war, und er wandte hin und wieder den Kopf und blickte sie verstohlen an – ihre geschickten Hände, den Bronzeschimmer über ihrem braunen Haar, das aufflammte, wenn sie in den breiten Sonnenscheinstreifen trat, der durch das Fenster hereinströmte, die Verheißung ihrer Gestalt, und ihn durchfuhr es wie ein Stich, so lieb und teuer war ihm das alles. Er hörte, wie sie sich der Tür näherte, und wandte absichtlich den Kopf nach dem Tale. Und dann wurde er von dem seligen Gefühl durchbebt, das er immer spürte, wenn ihre Finger weich und kosend durch sein Haar fuhren.

»Ich wußte nicht, daß du zurückgekommen bist«, sagte sie. »War es schlimm?«

»Ja, ein ziemlich schlimmer Erdrutsch«, antwortete er, während er noch fortsah und unter ihrer Liebkosung zitterte. »Es war ernster, als ich gedacht hatte. Aber ich habe eine gute Idee bekommen. Weißt du, was ich tun will? Eukalyptusbäume pflanzen. Die werden die Erde schon halten. Ich will sie so dicht wie Gras pflanzen, so daß nicht einmal ein hungriger Hase durchschlüpfen kann, und wenn die erst mal richtig Wurzeln geschlagen haben, kann keine Macht der Welt die Erde wieder zum Rutschen bringen.«

»Ja, war es denn so schlimm?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, du brauchst nicht bange zu sein. Aber ich will keine Mühe mehr haben durch diese verdammten Erdrutsche, das ist alles. Ich will die Erde auf dem Boden festnageln, daß sie Millionen Jahre dort bleibt. Und wenn die letzte Posaune ertönt, und der Sonoma-Berg und alle anderen Berge vom großen Nichts verschlungen werden, dann wird hier die Erde noch stehen, von den Wurzeln gehalten.«

Er legte den Arm um sie und zog sie auf seine Knie. »Hör', mein Kind, dir ist ja doch allerlei versagt geblieben, weil du hier auf der Ranch lebtest – Musik, Theater und dergleichen. Sehnst du dich nicht doch danach, alles hier zu lassen und zu den andern zurückzukehren?«

So groß war seine Angst, daß er sie gar nicht anzusehen wagte; als sie aber lachte und den Kopf schüttelte, fühlte er eine unsagbare Erleichterung. Und er bemerkte auch den ewig jungen Klang in ihrem frohen, knabenhaften Lachen.

»Hör',« sagte er plötzlich heftig, »geh' nicht in die Nähe des Erdrutsches, bevor die Bäume, die ich pflanzen will, Wurzeln geschlagen haben. Es ist sehr gefährlich, und ich kann es mir jetzt nicht leisten, dich zu verlieren.«

Er zog sie an sich, preßte seine Lippen auf die ihren und küßte sie heiß und leidenschaftlich.

»Was für ein verliebter Mann!« sagte sie; und in ihrer Stimme lag Stolz über ihn und über ihre eigene weibliche Anziehungskraft.

»Sieh mal, Dede.« Er zeigte mit einer weit umfassenden Armbewegung über das Tal und die Berge drüben. »Das Mondtal – das ist ein guter Name, ein guter Name. Weißt du, wenn ich das alles sehe und an dich und an alles denke, was das bedeutet, so bekomme ich gleichsam Halsschmerzen, es rührt sich mir etwas im Herzen, das ich nicht in Worten ausdrücken kann, und ich habe ein Gefühl, daß ich beinahe Browning und die andern hochtrabenden Dichter verstehen kann. Sieh den Hood-Berg drüben im Sonnenschein. Dort unten im Spalt fanden wir die Quelle.«

»Und an dem Abend war es, als du die Kühe erst um zehn Uhr melktest«, sagte sie lächelnd. »Und wenn du mich hier jetzt noch lange aufhältst, dann wird das Abendessen nicht früher fertig als damals.«

Sie erhoben sich beide von der Bank, und Daylight nahm den Milcheimer von seinem Nagel neben der Tür. Dann blieben sie einen Augenblick stehen, um noch einmal über das Tal zu schauen.

»Wirklich großartig«, sagte er.

»Wirklich großartig«, sprach sie ihm nach und lachte lustig über und mit ihm, lachte über sich selbst und über die ganze Welt, während sie ins Haus trat.

Und wie der alte Mann, den er einst getroffen, schritt Daylight jetzt selbst durch das Feuer des Sonnenunterganges mit einem Milcheimer am Arm den Hang hinab.

 


 


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