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IX.
An Bord der »Blender«

Ein Ruderboot streifte die Bordwand der Blender und riß Joe aus seinen Träumereien. Er wunderte sich, daß er die Riemen nicht in den Dollen hatte knirschen hören. Zwei Männer sprangen über die Reling in den Ruderstand und kamen in die Kajüte.

»Heiliger Seesack! Die ganze Bande pennt!« sagte der erste der Neuankömmlinge. Dabei rollte er Frisco Kid mit einer einzigen geschickten Handbewegung aus dem Bett, und mit der anderen langte er nach der Weinflasche.

Franzosen-Petes Kopf tauchte auf der anderen Seite des Mittelschwertes auf. Mit vom Schlaf verquollenen Augen hieß er sie willkommen.

»Wer ist das?« fragte der Londoner, der nach seiner Heimatstadt so genannt wurde. Schmatzend trank er seinen Wein und rollte Joe auf den Boden. »Passagier?«

»Nein, nein«, versicherte Franzosen-Pete eilig. »Därr neue Matrose. Sährr gutes Junge.«

»Gut oder nicht gut, auf jeden Fall muß er das Maul halten«, knurrte der andere Besucher, der bis jetzt nichts gesagt hatte. Sein Blick schien Joe zu durchbohren.

»Hör mal«, sagte der erste, »wieviel kriegt denn der von der Beute ab? Mein und Bills Anteil stehen ja wohl fest!«

»Die Blender, er kriescht ein Teil – was man nennen Drittel. Dann wir machen der Rest in fünf Teile. Fünf Mann, fünf Teile, sährr gut!«

In aufgeregtem Kauderwelsch bestand Franzosen-Pete darauf, daß die Blender zu Recht drei Mann Besatzung fahre, und er forderte Frisco Kid auf, ihn zu unterstützen. Aber Frisco Kid ließ sie den Streit untereinander ausfechten und machte heißen Kaffee. Joe kam alles spanisch vor, wenn er auch spürte, daß er irgendwie der Anlaß zu dem Gezänk war. Schließlich setzte Franzosen-Pete seinen Kopf durch, und die Besucher gaben murrend nach. Nachdem sie ihren Kaffee getrunken hatten, gingen alle an Deck.

»Bleib hier beim Ruder und kümmere dich nicht um sie«, flüsterte Frisco Kid Joe zu. »Ich zeig' dir, wie man mit den Leinen und all dem anderen Kram umgeht, wenn wir mehr Zeit haben.«

Joe verspürte eine plötzliche Dankbarkeit gegenüber Frisco Kid, denn er hatte das merkwürdige Gefühl, daß von all denen, die er bisher an Bord getroffen hatte, nur Frisco Kid und sonst keiner ihm beistehen würde, wenn er einmal in Not geraten sollte. Schon begann sich Abneigung gegen Franzosen-Pete in ihm zu regen. Warum, wußte er nicht. Die Abneigung war einfach da.

Nun knarrten vorne die Blöcke, und schon ragte das mächtige Großsegel über ihm in die Nacht. Bill warf die Bugleine los, darauf der Londoner die am Heck. Frisco Kid setzte den Klüver, Franzosen-Pete legte die Ruderpinne an, die Blender ging an den Wind und hielt auf die Fahrrinne zu. Joe hörte davon sprechen, daß sie keine Positionslampen setzen und scharfen Ausguck halten wollen. Er begriff nicht, warum, verstand jedoch, daß gegen eine Schifffahrtsverordnung verstoßen wurde.

Die Lichter des Hafens Oakland glitten an ihnen vorbei. Schon bald begannen sich Kaianlagen und die Schatten der Schiffe mit trüben Streifen flachen Marschlandes abzuwechseln. Joe wußte nun, daß sie auf die Bucht von San Franzisko zusteuerten. Der Wind blies in lauen Stößen von Norden her, und die Blender glitt lautlos durch das vom Land umschlossene Wasser.

»Wo fahren wir hin?« fragte Joe den Londoner. Er wollte freundlich erscheinen und gleichzeitig seine Neugier befriedigen.

»Oh – hm – mein Partner hier, der Bill, der hat eine Fabrik, und da wollen wir eine Ladung abholen«, antwortete der Ehrenwerte obenhin.

Der komische Bursche sieht eigentlich nicht wie ein Fabrikbesitzer aus, dachte Joe. Aber da ihm klar war, daß es bestimmt noch viel merkwürdigere Dinge in dieser neuen Welt gab, die er eben erst betreten hatte, sagte er nichts. Schließlich hatte er sich schon einmal vor Frisco Kid blamiert, als er »vorm Segel« anstatt »vorm Mast« sagte, und er hatte kein Bedürfnis, seine Unwissenheit noch weiter an die große Glocke zu hängen.

Kurz darauf wurde er in die Kajüte geschickt, um die Lampe auszublasen. Die Blender wendete und arbeitete sich gegen die nördliche Küste vor. Keiner sprach ein Wort. Nur der Kapitän und Bill flüsterten sich dann und wann kurze Fragen und ebenso kurze Antworten zu. Schließlich luvte die Schaluppe an, und der Klüver und das Großsegel wurden vorsichtig eingeholt.

»Kurze Ankerklüse!« flüsterte Franzosen-Pete Kid zu. Der ging nach vorn und warf den Anker. Das Tau hielt er so knapp wie möglich.

Das Beiboot der Blender wurde längsseit gebracht, ebenso das kleine Boot, mit dem die beiden Fremden an Bord gekommen waren. – »Paß auf, daß der Grünschnabel kein Theater macht!« befahl Bill, als er zu seinem Genossen in sein eigenes Boot kletterte.

»Kannst du pullen?« fragte Kid, während sie in das andere Boot stiegen.

Joe nickte.

»Dann nimm die Riemen da. Aber mach keinen Krach!«

Frisco Kid ergriff das zweite Paar Riemen, und Franzosen-Pete steuerte. Joe stellte fest, daß die Riemen mit einem Taupolster umwickelt waren und daß selbst die Pinne der Dollen einen Lederschutz trugen. Es war unmöglich, Lärm zu machen, wenn einem nicht gerade der Riemen ausrutschte, und Joe hatte auf dem Merritsee genug rudern gelernt, um das vermeiden zu können.

Sie folgten im Kielwasser des ersten Bootes, und als Joe einmal zur Seite blickte, sah er, daß sie an einer vom Land vorspringenden Mole entlangfuhren. Ein paar Schiffe, deren Ankerlaternen hell leuchteten, hatten daran festgemacht, aber die Boote hielten sich knapp außerhalb des Lichtkreises. Joe stellte auf Frisco Kids geflüsterten Befehl das Rudern ein. Gespenstern gleich liefen die Boote auf einen schmalen Strand auf. Sie kletterten an Land.

Joe folgte den Männern, die sich vorsichtig einen gut sechs Meter hohen Hang hinauf tasteten. Oben angekommen stand er auf dem Geleise einer Feldbahn, die zwischen gewaltigen Haufen rostigen Schrotts hindurchlief. Diese durch Bahngeleise voneinander getrennten Berge erstreckten sich in alle Richtungen. Wie weit, konnte Joe nicht sehen, aber in einiger Entfernung ließen sich die undeutlichen Umrisse eines großen, fabrikähnlichen Gebäudes ausmachen. Die Männer gingen daran, Eisenschrott nach dem Strand hinunterzuschleppen. Franzosen-Pete packte Joe am Arm und befahl ihm, mitzuhelfen. Gleichzeitig schärfte er ihm aufs neue ein, ja keinen Lärm zu machen.

Unten am Strand übergaben sie ihre Ladungen Frisco Kid, der sie erst in dem einen und dann in dem anderen Boot verstaute. Als die Boote unter dem zunehmenden Gewicht allmählich tiefer sanken, schob er sie, um sie flott zu halten, immer weiter ins Wasser hinaus.

Joe schuftete unverdrossen, wenn er auch nicht umhin konnte, sich über das höchst sonderbare Unternehmen seine Gedanken zu machen. Warum mußte denn bloß alles so geheimnisvoll vor sich gehen? Und warum in aller Stille? Als er sich diese Fragen stellte und gerade ein schrecklicher Verdacht in ihm aufzukeimen begann, hörte er vom Strand her den Schrei einer Eule. Verwundert darüber, daß es in dieser Gegend Eulen gab, wollte Joe sich gerade nach einer neuen Ladung Schrott bücken. Da sprang plötzlich ein Mann aus dem Dunkeln hervor und richtete den Lichtkegel einer Laterne voll auf ihn. Geblendet taumelte Joe zurück. Wie eine Kanone brüllte der Revolver in der Hand des Mannes auf. Joe begriff von all dem nur, daß man auf ihn schoß, und seine Beine verspürten den übermächtigen Drang, fortzulaufen. Es hatte keinen Zweck zu versuchen, dem aufgeregten Mann mit dem rauchenden Schießeisen die Situation zu erklären, selbst wenn er es gewollt hätte. Also nahm er beide Beine in die Hand und riß zum Strand hinunter aus, knallte aber mit einem anderen Mann zusammen, der mit einer Blendlaterne um einen der Schrotthaufen herumgerannt kam. Der Mann war schnell wieder auf den Beinen und ballerte hinter Joe her, als der den Hang hinunterhetzte.

Joe stürzte sich ins Wasser und watete auf das Boot zu. Franzosen-Pete saß auf der vorderen und Frisco auf der hinteren Ruderbank des größeren Bootes. Sie hatten das Boot seewärts gedreht und warteten seelenruhig auf Joe. Beide hielten ihre Riemen zum Pullen bereit, rührten sich aber nicht. Dabei hatten die beiden Männer vom Ufer her das Feuer auf sie eröffnet!

Das andere Boot lag näher zum Land hin und saß zur Hälfte auf Grund. Bill versuchte, es freizuschieben, und rief dem Londoner zu, er möge ihm helfen. Aber der hatte völlig den Kopf verloren. Er stolperte hinter Joe durch das Wasser. Kaum war Joe über das Heck hinweg in das Boot geklettert, da wollte der andere ihm nach. Mit diesem zusätzlichen Gewicht auf dem Heck wäre das schwerbeladene Boot fast abgesackt. Es nahm eine gefährliche Menge Wasser über. Unterdessen hatten die beiden Männer am Ufer ihre Pistolen wieder geladen und feuerten eine neue, besser gezielte Salve.

Die ganze Gegend war nun alarmiert. Auf den an der Mole liegenden Schiffen hörte man Schreie und Stimmengewirr. Männer liefen den Pier entlang. Irgendwo in der Ferne ertönte der schrille Triller einer Polizeipfeife.

»Raus mit dir!« rief Frisco Kid. »Sonst saufen wir ab. Geh lieber und hilf deinem Kumpel!«

Aber dem Londoner klapperten vor Angst die Zähne, und er war so mit den Nerven fertig, daß er weder sprechen noch sich rühren konnte.

»Schmeiß ihn iber Borrd, der Verrickte!« befahl Franzosen-Pete vom Bug her. In diesem Augenblick zerfetzte eine Kugel den Riemen, den er in der Hand hielt. Kaltblütig griff er nach einem der Ersatzriemen.

»Anfassen, Joe!« kommandierte Frisco Kid.

Joe verstand. Gemeinsam packten sie den vor Schreck halb lahmen Kerl und warfen ihn über Bord. Mehrere Kugeln platschten dicht neben ihm ins Wasser, als er wieder an die Oberfläche kam. Bill, der in diesem Augenblick wieder flott war, konnte ihn gerade noch rechtzeitig in sein Boot ziehen.

»Los!« rief Franzosen-Pete. Mit ein paar Ruderschlägen waren sie aus der Feuerzone heraus und in der Dunkelheit verschwunden.

Das leichtere Boot hatte jedoch so viel Wasser übergenommen, daß es jeden Augenblick zu sinken drohte. Während die anderen beiden pullten, schickte Joe sich an, auf Geheiß des Franzosen den Eisenschrott über Bord zu werfen. Das rettete sie zunächst einmal. Aber als sie gerade bei der Blender längsseit gehen wollten, schlug das Boot mit einem plötzlichen Ruck um, und der Rest des alten Eisens verschwand in der Tiefe. Joe und Frisco Kid kamen nebeneinander wieder hoch und kletterten mit der Fangleine des Ruderbootes in den Händen an Bord. Franzosen-Pete stand bereits an Deck und half ihnen.

Als sie das Wasser aus dem gekenterten Boot geschöpft hatten, trafen auch Bill und sein Partner auf dem Schauplatz ein. Sie arbeiteten in fliegender Hast, und fast bevor Joe es bemerkte, waren Großsegel und Klüver gesetzt und der Anker gelichtet. Die Blender sprang die Fahrrinne hinunter. Einem öden, verlassenen Streifen Marschland gegenüber verabschiedeten sich Bill und der Londoner und stießen mit ihrem Boot von der Schaluppe ab. In der Kajüte beklagte Franzosen-Pete laut und in mehreren Sprachen ihr verfluchtes Pech und suchte Trost in der Weinflasche.


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