Hermann Löns
Der Wehrwolf
Hermann Löns

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12. Die Schweden

Was die Kinder gesungen hatten, sollte bald wahr werden. Der Schwede kam; vor ihm ging die Angst her, hinter ihm die Not und neben ihm die Pest.

»Bet', Kinder, bet', morgen kommt der Schwed', morgen kommt der Ossenstern, der wird die Kinder beten lern'«, damit brachte man die Kleinen zu Bette; sie lernten es und sangen es auf dieselbe lustige Art, wie sie den Maikäfer und die Sonnenkälbchen das Fliegen lehrten, so daß es den großen Leuten kalt über den Puckel lief.

Überall wurde vom Frieden gesprochen, aber kein Mensch glaubte, daß es dazu kommen würde, noch nicht einmal, als Oxenstierna in Celle Aufenthalt nahm und von da nach Osnabrück reiste, wo die anderen waren, die das Fell des Reiches versoffen. Eher glaubte man an das Ende der fielt und überall liefen Leute herum und schrien: »Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichtes ist gekommen!«

Selbst der Prediger ließ mitunter den Kopf hängen und sagte zu seiner Frau: »Margarete, es ist schwer, nicht an Gott zu zweifeln, wenn man hören muß, wie es zugeht. Der Viekenbauer hat erzählt, daß die Schweden Kinder zum Spaß martern, und bei dem Troßzuge, den er zuletzt überfallen hat, waren acht junge Mädchen von Stande als Packträgerinnen und die Schweden schlugen mit den Peitschen auf sie ein wie auf das Vieh. Doch das ist das wenigste, was sie aus zustehen hatten. Gott, mein Gott, warum lässest du ein solches geschehen!«

Er hatte es sehr schwer, denn die Bauern murrten wider den Herrn. »Was hilft uns das ganze Gutsein«, hatte Schewenkasper gesagt, »wenn man davon nichts hat als Angsten und Sorgen!« Aber er hatte doch geschwiegen, als der Prediger ihm sagte: »Schäme dich, Kasper! Hast gesunde Kinder und eine blanke Frau und jeden Tag genug zu essen!«

Dem geistlichen Herrn ging es aber oft nicht anders als dem Hausmann und dem Wulfsbauern und allen übrigen ebenso, sogar dem Rammlinger, denn er war eines Tages angekommen und hatte gesagt: »Ich habe es dicke! Ich will hinter dem Pfluge hergehen und abends mit den Lütjen spielen, aber nicht alle paar Tage lebendige Menschen umbringen!«

Er hatte sich bei kleinem an seine Trina gewöhnt, besonders, als hinter dem Jungen ein Mädchen ankam, denn ein Schürzennarr, wie er einmal war, hatte er sich darüber ganz verdreht vor Freude angestellt, und wenn er eben Zeit hatte, schleppte er sich mit dem Kinde ab. Auf seine Trina ließ er nichts mehr kommen. Sie hatte ihn einmal dabei betroffen, wie er die Lütjemagd im Arme hatte, ihm eine gräßliche Schande gemacht und geschrien: »Noch ein einziges Mal und ich gehe mit den Lütjen ins Wasser!« Da hatte er es mit der heiligen Angst gekriegt und ihr hoch und teuer gelobt, daß er die Jungensschuhe ausziehen und sich wie ein Kerl aufführen wolle. Was seinen Hof und das Dorf anbetraf, so hielt er auch Wort, aber er war viel unterwegs, und da es in den Dörfern an Männern mangelte, so wurde es ihm sauer, sein Versprechen einzuhalten.

An einem schönen Maimorgen ritt er mit einem der wildesten der jüngeren Wehrwölfe, Schierhorns Helmke, durch das Bullenbruch. Er hatte eine Laune wie ein Schneekönig, denn er hatte es bei Weesemanns Lotte gut getroffen. »Schöne Luft von Tage, Helmke«, sagte er und schlug sich seine Pfeife an. Als sie brannte, sah er über die Haide. »Helmke, kiek, zwei fremde Reiter, Schweden oder so etwas! Wollen doch einmal ein bißchen hin und ihnen die Tageszeit bieten! Was meinst du? Immer höflich, sagte die Krähe und machte jedesmal einen Diener, wenn sie dem Piewitt ein Ei aussoff.«

Schierhorn war gleich mit dabei. Sie hingen die Bleiknüppel über die Handgelenke, zogen die Pistolen und ritten in guter Deckung den Reitern entgegen. Den ersten Schoß der Rammlinger aus dem Sattel, aber da sah er auch, daß er nicht zwei, sondern ein ganzes Dutzend Schweden vor sich hatte, und jetzt hieß es den Hasen machen und aus den Gäulen herausholen, was darin war. Es knallte zwar ein paarmal hinter ihnen her, aber außer Helmkes Grauschimmel, der den halben Steert missen mußte, blieben sie heil. Als sie aber meist an der Wohld waren, kamen ihnen zehn andere Schweden in die Möte, und da konnten sie nicht anders, als daß sie sich im Lusche bargen.

Die Schweden suchten noch eine Weile herum, zogen dann aber ab. Unterwegs trafen sie zwei Taternweiber an und bekamen aus denen heraus, daß in der Wohld ein Dorf lag. »Beeses Leit sich da wohnen, Herr hiebsches«, sagte die Alte, und die junge schmiß dazwischen: »Machen alles tott, was gutes Leit ist, Suldatten un Zigeiner!« Der Wachtmeister sagte: »O ha! also da stekken die Brüder! Na, die wollen wir aber ausschwefeln!« Er nahm die Weiber mit und ritt spornstreichs nach Fahrberg, wo Graf Königsmark mit viel Volk lag, und machte Meldung. Mitten in der Nacht wurden hundertundfünfzig Mann losgeschickt, die solange in der Magethaide lagern mußten, bis es schummerte.

Es war noch ganz grau, da hörte Gird, der mit Bolles Atze die Wache vor dem Bullenbrache hatte, sie herankommen; er blies, aber da hörte er es auch schon am Kohlenberge tuten, und bei der Dornkuhle ging es auch los; die Schweden waren von drei Seiten zugleich gekommen. Mit knapper Not konnten die Peerhobstler sich und ihr Vieh in dem Walle bergen; der letzte war der Wulfsbauer und hinterher kam Schewenkasper gewankt; er hatte noch schnell das Bild des Herzogs aus der Dönze mitgenommen und die gelbbunte Katze. »Damit die Kinder doch was zu spielen haben währenddem«, sagte er.

Die Schweden pürschten sich vorsichtig an das Dorf heran. Alles war still, bloß daß die Hühner gackerten und die Schwalben zwitscherten. Die Gewehre in der Hand machten die Soldaten sich an die Häuser heran; kein Mensch war zu finden. Sie suchten Schuppen und Keller nach; alles war leer. Es wurde ihnen unheimlich zumute. Aber da kam ein Reiter mit einem schwedischen Mantel angelaufen, den er auf Horstmanns Hofe gefunden hatte, und nun wurde gründlich nachgesucht und eine ganze Menge Waffen und Kleider wurden gefunden, die augenscheinlich totgeschossenen Schweden gehört hätten. »Und wenn ich ewig und drei Tage suchen soll«, fluchte der Hauptmann, »finden will ich sie, und dann könnt ihr euch mit ihnen einen kleinen Scherz machen, Leute!« Die Soldaten lachten, aber nicht so ganz von Herzen.

An die drei Stunden dauerte es, bis sie den Ringwall fanden, und elf Mann stürzten sich dabei in den Wolfskuhlen zu Tode. Die anderen kamen heil hin, konnten aber nichts sehen, denn die Dornen lagen haushoch und waren fest ineinandergewrickt. »Paar Mann auf die Bäume; zusehen, was das nun ist!« befahl der Anführer. Zwei Leute kletterten in die Tannen. Kaum waren sie so hoch, daß sie den Mund aufmachen wollten, da knallte es zweimal und beide fielen wie die Säcke herunter.

»Schweinebande!« schimpfte der Hauptmann; »fort mit dem Kram da!« Die Soldaten zogen die Dornen weg, maßten aber Stück um Stück losbrechen, so fest saßen sie ineinander. Aber dann horchten sie auf; im Walle wurde geblasen. Unheimlich hörte sich das an, als wenn die Katzen quarrten und die Wölfe hinterher heulten, und dann fing es an zu bimmeln, erst langsam und dann immer schneller, und hinter dem Walde fing das Tuten und das Bimmeln an drei Stellen zugleich an. Die Soldaten sahen sich um; die Sache gefiel ihnen nicht so ganz besonders.

»Na wird's bald!« schrie der Offizier und schlug die Leute, die bei dem Dornverhau waren, mit der Peitsche über den Rücken, daß es klappte. »Dreißig Mann hierher, aber 'n bißchen fix.« Die Soldaten arbeiteten, daß es krachte. Ein Rabe flog über den Wall hin, rief laut und machte einen Bogen, der Schwarzspecht lachte und die Markwarte schimpften über den Lärm. »Feste feste!« schrie der Hauptmann; »in einer Stunde müssen wir sie haben! Wollen den Buschkleppern mal zeigen, was es heißt, fromme schwedische Kriegsleute abzuschießen wie Rehböcke. Immer weiter! Je früher wir hier fertig sind, um so eher kommt ihr zu euren Mädchen!«

Viekenludolf lachte: »Oder auch nicht!« sagte er und sah den Wulfsbauern von der Seite an. Mit dem war den Tag schlecht Kirschen essen: »Du treibst dich bei den Weibsleuten rum«, sagte er, »und wir können dafür den Puckel hinhalten. Eine Schande wert ist es! Ich habe es mir aber immer gedacht, daß du uns noch einmal eine schöne Suppe anrühren wirst. Aber was hilft das alles? Jetzt heißt es: keine Kugel unnütz, keinen Zoll Fell gezeigt, und alles getan, was ich sage. Und wer sich danach nicht richten tut, der soll es so haben, wie er es verdient!«

Viekenludolf lief ein Schudder über, als er den Mann da so stehen sah, das Gewehr in der Faust, ganz gelb im Gesicht, blau unter den Augen, und mit einem Mund wie ein Strich. Aber dann wurde ihm besser, denn der Obmann befahl: »Sorge dafür, daß die Immen zur Stelle sind! Und die Frauensleute sollen Pech heiß machen und Wasser. Komm aber gleich wieder! Warte mal: auch die Jungens sollen jeder ein Schießgewehr haben; heute muß ein jeder helfen. Es geht um Kopf und Kragen und um noch mehr, denn kriegen sie uns, dennso lassen sie uns lange sterben!«

Die Dornen wurden durchsichtig; man sah die Gesichter der Soldaten und Viekenludolf wollte schießen. »Bist du verrückt?« schnauzte ihn Wulf leise an; »erst muß das Haupt fallen, dann kommt das andere ran!« Er sah durch das Schießloch, ging zurück, schob sein Gewehr durch, zielte lange und Schoß. Ein Gebrüll kam von drüben. »Der läßt das Prahlen für eine Weile sein«, flüsterte er dem Rammlinger zu; »Blattschuß! Er war weg wie ein Wieselchen.« Er stieß einen Jungen an: »Sie sollen tuten und bimmeln, so toll sie können; wir müssen Hilfe haben, hörst du? Und wenn ihnen das Blut aus den Ohren spritzt, blasen sollen sie oder ich blase ihnen was!«

Die Schweden standen um ihren Hauptmann; der lag im Grase mit dem Rücken gegen eine Fuhre, und jedesmal, wenn er atmete, sprang ihm das helle Blut aus der Brust. Ein ganz junger Offizier, ein Junge meist noch, kniete bei ihm und wischte ihm den Todesschweiß von der Stirn. Der Sterbende bewegte die Lippen; der junge Mann bückte sich ganz tief, nickte und sprang auf: »Wir müssen unseren Herrn Hauptmann rächen. Freiwillige vor!« Bloß ein Dutzend meldete sich, voran der alte Wachtmeister. »Lumpenpack!« schrie der Offizier; »bei den Weibern, da seid ihr Helden, aber hier geht's euch in die Hosen!« Er zeigte auf einige Leute, die sich nach hinten drücken wollten. »Ihr da, voran, und wehe, wer einen Zoll zurückgeht!« Er hielt ihnen die Pistole vor die Augen.

Die Männer murrten; es waren alles Bluthunde schlimmster Art, aber diese unheimliche Burg mitten im nassen Busche, die Scharfschützen darin, das sonderbare Tuten und Bimmeln in der Runde, das klemmte ihnen die Hälse zusammen. Der Offizier rief zwanzig bei Namen: »Ich zähle eins, zwei, drei, und wer dann nicht im Graben ist, der schluckt sein eigen Blut. Denkt an Gustav Adolf, denkt an Breitenfelde, denkt daran, daß ihr Schweden seid und keine Krabatten! Also: jeder zwei Pistolen in den Brustlatz und das Finnmesser zwischen die Zähne! Und jetzt mit Gott für Schweden! Eins, zwei, drei!« Er faßte sich nach der Brust und stürzte in das Gras; der Wulfsbauer hatte ihn mitten durch das Herz geschossen.

Einen einzigen Blick schmiß der Wachtmeister nach ihm hin; dann schrie er: »Vorwärts marsch!« und sprang mit einem Satze in den Graben und mit einem Male war das Wasser voll von Schweden; aber es war, als wenn es kochend war, so schrien sie alle auf einmal auf, denn wie sie da waren, ein jeder von ihnen war in die spitzen Pfähle gesprungen.

»Schießt sie doch wenigstens tot, das ist Ja schrecklich!« rief der Prediger, aber der Obmann schüttelte den Kopf: »Nein, Euer Ehren, wir haben dazu keine Zeit, und je länger sie da quietschen, um so später trauen sich die anderen heran. Aber geht hin und sagt, daß überall gut aufgepaßt wird und daß geblasen und gebimmelt wird, und dann haltet Euch zu den Frauen und den Kindern, da seid Ihr nötiger!«

Es war auf einmal ganz still. Man hörte die Finken schlagen und die Meisen piepen und ab und zu brüllte eine Kuh in den Ställen. Es hörte sich bald an, als ob die Schweden abgezogen wären. Aber nach einer Weile hörte man Artschläge. »Haltet die Immen zur Hand!« sagte der Obmann zu Kasper, »und das heiße Wasser und den Teer! Sie werden wohl eine Brücke machen wollen. Na, viel soll ihnen das auch nicht helfen, glaube ich.«

Er frühstückte, behielt aber die Augen am Kuckloch, und dann steckte er sich eine Pfeife an. Er hatte den Ärger über den Rammfinger hinter sich und außerdem hatten die Wachen gemeldet, daß von zwei Seiten Antwort gekommen war, und so dachte er: »Es wird schon gut gehen!«

Aber dann ärgerte er sich, daß er eine große Dummheit gemacht hatte. Einen kugelsicheren Kiekturm hätte er in der Burg aufschlagen lassen sollen, dann konnte er sehen, was drüben gemacht wurde. »Na, dümmer werde ich da auch nicht von«, dachte er.

Zwei Stunden hatte er so dagesessen, da ließ das Hacken drüben nach. Man hörte, wie die Leute schleppten und stöhnten. Der Wulfsbauer schickte den Jungen hin: »Sie sollen sich immenfest machen und die Körbe hierher bringen! Und dann alles an die Löcher, aber um den ganzen Wall, und hier«, er drehte sich nach Viekenludolf um, »die Scharfschützen her, aber erst geschossen, wenn ich sage, und auch dann noch nicht, wenn ich einmal schieße!«

Nach einer Weile standen zwanzig Popanze rechts und links bei ihm. Die Bauern hatten die Immenmasken aufgesetzt, sich Tücher um die Hälse gewickelt, dicke Röcke und drei Paar Hosen angezogen und diese unten zugebunden. Alle hatten dicke Handschuhe an und jeder sein Schießgewehr vor sich stehen. Hinter dem Vorsteher und Viekenludolf lagen die Immenkörbe; sie waren an lange Stangen gebunden und es brummte darin wie in einem Wasserkessel, denn die Ausflüge waren verrammelt.

Der Fuhrberger flüsterte: »Ich habe einen frei!« Der Obmann nickte: »Denn man zu!« Es knallte; ein Schrei kam von drüben, dann ein lautes Fluchen. Man hörte die Dornbüsche krachen. Eine Brücke aus Fuhrenstangen bohrte sich durch und kam erst langsam, dann schneller über das Wasser. Der Burvogt drehte die Büchse nach der Seite, zielte und Schoß. Drüben wurde wieder geflucht. »Wer einen frei hat, soll ihn totschießen«, befahl er; »aber Vorsicht! wir haben keinen einen Mann über!« Es knallte fünfmal, die Brücke fiel in das Wasser, ging aber wieder in die Höhe und wies eine breite und hohe Schutzwand aus Tannhecke und Fuhrenzweigen auf.

»Wer will die Immen werfen?« fragte Wulf; »kein verheirateter Kerl darf es sein, du auch nicht, Ludolf. Aber Helmke, du!« Schierhorn kam und stellte sich neben den Oberobmann. »So«, befahl der, »jetzt, so wie ich rufe, ihr sechs da, so schnell wie es geht, die Körbe offen, Helmke die Stangen in die Hand gegeben, und ihr andern paßt auf und sorgt dafür, daß keiner ihm was tun kann. Und hat er Unglück, gehst du an seine Stelle, Hinrich, und dann du, Jochen. Und beileibe nicht die Immen in das Wasser schmeißen; alle mitten in die Dornen! Die Leute auf der Brücke kriegen wir so schon klein!«

In der Burg wieherte eine Stute; drüben antworteten die Hengste. Von der Haide her hörte man es tuten und dann bimmeln, aus der Burg wurde geantwortet. Der Kuckuck rief. Ein gelber Schmetterling flog über das Wasser, setzte sich auf den Kopf von einem der toten Männer in dem Graben und flog über die Dornbüsche. »Er will die anderen auch holen«, flüsterte der Rammfinger und griente.

Von drüben hörte man keinen Laut. Dann knasterten die Dornen und mit einem Male schoß die Brücke über das Wasser und stieß sich in dem Walle fest. »Aufpassen, ruhig schießen!« flüsterte der Obmann. Sechs Schweden liefen wie verrückt die Brücke entlang; es knallte ein paarmal und bloß einer kam oben an, ein junger Kerl mit Haaren, so hell wie bei einem Kinde. »Nicht schießen!« rief Wulf; »lebendig fangen!« So wie der junge Mann über das Schutzdach wollte, riß ihn Schierhorn herüber und warf ihn dem Viekenbauer zu. »Binden und hinlegen, aber nichts tun!« schrie der Obmann und schoß, und dann rief er: »Die Immen!«

Schierhorn, der mit der Maske und dem vielen Zeug wie der leibhaftige Satan aussah, stand gebückt hinter der Schutzwand, den Bleiknüppel am Handgelenk und schielte über sich. Eine Hand packte in die Tannhecke. Der Bauer schlug mit dem Tötschläger danach, ein Schrei kam, die Hand verschwand, das Wasser quatschte und dann schrie es lange. Ein Schuß fiel; wieder spritzte das Wasser auf. Ganz sachte, als machte er das alle Tage so, stellte sich Schewenkasper hinter den Ehlershäuser, ließ sich einen Immenkorb geben, riß den Boden ab, stellte die Stange hoch und gab sie Schierhorn in die Hände. Der nahm sie, wog sie, und dann schrie er: »Aufgepaßt, ihr da!« und kippte die Stange um und hinterher noch eine, und die dritte, die vierte, und die fünfte und die sechste.

Wieder liefen Schweden über die Brücke. Drei bekamen Kugeln, vier kletterten über das Schutzdach, aber Schierhorn und Kasper warfen sie in den Graben. Dann hörte man es drüben fluchen, darauf schreien, dann ging ein Summen und Brummen los. Das Fluchen und Schreien nahm kein Ende, es wurde immer schlimmer damit, man hörte, wie die Pferde um sich schlugen und sich losrissen, Hunde heulten auf, das Brummen wurde immer gefährlicher, die ganze Luft war voll von Immen und hinter dem Wall stand Viekenludolf, bog sich vor Lachen krumm, schlug sich auf den Schinken, daß es knallte, und rief: »Ich gehe dot, ich gehe dot!«

Der Wulfsbauer mußte auch lachen. Dann ging er hin, band dem Schweden die Hände Ios und sagte: »Steh' auf!« Der junge Mensch stand da, kreideweiß um die Nase. Der Bauer griff ihn an die Brust. »Kannst du deutsch?« Der Junge zitterte am ganzen Leibe: »Ja!« brachte er heraus. »Bist am Ende selber ein Deutscher?« Der Mensch nickte. »Woher?« Er würgte: »Aus Sachsen!« Der Bauer holte tief Luft: »Schweinehund! Eigentlich solltest du sterben. Aber lauf hin und sage ihnen, sie sollen machen, daß sie fortkommen. Wir haben noch genug Immen und unsere Freunde kommen all. Und wenn dich einer fragt, wo du warst, dann sag' ihnen: bei den Wehrwölfen! Du bist der erste, den wir lebendig fortlassen.« Der Soldat zitterte so, daß er kaum über die Brücke konnte, und als er am Ufer ankam, fiel er hin.

Der Wulfsbauer hielt die Hand hoch: »Pst! sie tuten sich wieder zusammen! Was ist denn das? Das sind ja unsere Leute! Hört ihr, ein Schuß! Junge, das ist gut, ich bin halb verdurstet!« Er trank den ganzen Krug Dünnbier aus, den der Junge ihm reichte, und dann sagte er: »Nun müssen wir erst wieder zusehen, daß unsere Immen ihren Ärger vergessen. Die werden schön falsch sein! Na, Brägenschülpen werden sie aber auch wohl alle haben. Und jetzt lauft hin und sagt den Frauensleuten Bescheid, aber sie sollen nicht herauskommen, wenn sie ihre glatten Gesichter behalten wollen, denn sonst kriegen sie Mäuler wie die Baumaffen, So, und nun kann die Hälfte losgehen und sehen, was unsere Mutter ihm gekocht hat. Aber laßt mir was über!«

Er horchte nach der Wohld hin und nickte. Da fielen immer mehr Schüsse und das Tuten und Blasen hörte nicht auf. Der Bauer stand wie ein Baum da. Dann lachte er: »Hörst du sie, Ludolf?« Der nickte: »Ja, Unsere kühlen ihnen jetzt die Immenquaddeln«, sagte er; »mit 'm Bleiknüppel, das ist da gut für!« Der Wulfsbauer hob den Finger hoch: »Unsere haben sie zwischen sich. Stille! Hörst es? Junge, Junge, ein Schade, daß wir da nicht bei sind!« Er zitterte vor Aufregung: »Hör bloßig, wie sie bölken: Schlah dooot!« Er hielt die Hände neben den Mund und brüllte über den Graben hin: »Slah doot, slah doot, all doot, all doot, all dooot!«

Und dann kam es aus den Blockhütten heraus wie Gesang; die beiden Bauern horchten; die Frauen und Kinder sangen: »Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen!«

Es dauerte nicht lange, da waren die Wehrwölfe da. Sie lachten und riefen über den Graben: »Na, die Hauptarbeit war ja schon gemacht; wir hätten ruhig zu Hause bleiben können! So, nun wollen wir erst dieses dummerhaftige Dings wegnehmen und zu Feuerholz machen!« Der Wulfsbauer schrie: »Nee, das können wir hier ganz gut brauchen, bringt es nach der Brücke! Aber erst kann einer von euch herkommen und uns verzählen, wie es geworden ist; denn daß wir höllschen neugierig sind, könnt ihr euch wohl denken!«

Jasper Winkelmann aus Fuhrberg und Ehlershinnerk aus Engensen kamen über die Brücke. »Junge«, sagte der Fuhrberger und schlug dem Rammlinger auf die Schulter, »hast du dich aber fein gemacht! Willst wohl wieder fründjen gehn! Ein Schade, daß du nicht mit dabei warst! Wir konnten vor Lachen meist nicht schießen. Ich glaube, kein einer von ihnen ißt in seinem ganzen Leben ein Honigbrot wieder. Du hättest mal sehen sollen, wie die Pferde auskeilten, und die Kerls, Mensch, ich sage dir, zum Krempeln war es! Sie flöhten sich als wie die jungen Hunde, und ich glaube, hinter jedem Machangel in der Haide sitzt einer und pult sich die Immenangeln aus der Pelle. Was haben wir gelacht!«

Der Wulfsbauer nahm die Maske ab. »Sonst heißt es: erst die Arbeit, dann das Vergnügen«, sagte er, »aber bei uns ist das umgekehrt. Holt mal noch ein paar Mann ran und Nägel und Wieden und Barten; wir wollen hier schnell einen Turm machen, damit, wenn sie wiederkommen, wir sie von oben begrüßen können, denn das mit den Immen, das ist auf die Dauer denn doch zu teuer. Und was sollen die Kinder sagen, wenn wir so mit dem Honig aasen!«

Die Schweden kamen aber nicht wieder, weder diese noch andere. Was kein Mensch für möglich gehalten hatte, das schien wahr werden zu wollen. Es sprach sich bis in die Haide hinein, daß es nun bestimmt, aber auch ganz bestimmt Frieden werden sollte. Man merkte es an allerlei Vorzeichen: die Störche brüteten wieder auf den Dächern und nicht mehr in den Wäldern; die Winterkrähen gingen früher weg als vordem; der Mäusefraß hörte auf; man fand keine Sternschnuppen mehr; die feurigen Männer am Himmel kamen nicht wieder; die Pest‑ und Sterbevögel waren wie weggeblasen.

Die Marodebrüder und Parteigänger zogen immer noch im Lande um; aber ihre gute Zeit war vorbei. Wo sie sich blicken ließen, lief das Volk zusammen und schlug sie tot und die Tatern, und was sonst ohne Haus und Herd war, desgleichen. Die Bauern kamen langsam aus den Büschen herausgekrochen und hingen die Kesselhaken wieder über die Herde, wenn die Häuser noch da waren, oder bauten sich neue so gut es ging. Hier und da wurde auch wieder gepflügt und gesät, und die Toten kamen unter die Erde, wie es sich gehörte, und wurden nicht in einem alten Sack beigerodet.

Aber so ganz traute man dem Frieden doch nicht. Es war ja auch gar nicht zu denken. Frieden? Arbeiten und essen und schlafen ohne Angst und Bange? Keinen Feuerschein mehr am Himmel sehen? Kein Ach‑ und Wehgeschrei mehr zu hören? 'Weder lachen und singen dürfen? Und spielen und tanzen? Und sich darüber freuen, wenn ein Kind geboren wird? Wer das glaubt, der ist unklug! Dem hat der Krieg den Verstand verrückt! Für den ist es Zeit, daß man für ihn aufpaßt! Denn es geht ja doch bald wieder los! Das kennt man ja! Nach dem Lübecker Frieden Anno 1629 wurde es bloß noch schlimmer! Und das waren nun schon sechzehn Jahre her, nein, siebzehn. Und vor vier Jahren, hatte der Herzog da nicht seinen Frieden mit dem Kaiser gemacht? Und was hat es geholfen? Gar nichts, es wurde bloß noch einmal so doll!

Aber zuletzt mußten sie es doch glauben. Es war wirklich anders geworden in der Welt. Not und Elend gab es ja noch überall genug, aber das Morden und Martern war doch nicht mehr so im Gange. Es blühten auch viel mehr Blumen, die Vögel sangen schöner denn je und die Luft war so ganz anders, gar nicht mehr so, als wenn es immer nach Rauch und Blut roch. Es mußte also doch wohl stimmen, was der Prediger in der Kapelle vortrug, daß es dem Kaiser und den Fürsten ernst damit war. Sonst würde der alte Drewes nicht den Kopf wieder so hoch halten. »Das will ich noch beleben, aber dann ist es Zeit für mich«, sagte er.

Er erlebte es noch. Es war Anfang November, da kam Viekenludolf angejagt, schrie wie ein Ungetüm, sprang vom Pferde wie ein Junge, drehte die Wulfsbäuerin herum, daß man ihre halben Beine sah, lachte wie unklug und rief: »Ihr glaubt wohl, ich bin besoffen? Keine Spur! Ich bin so nüchtern wie ein ungebörntes Kalb. Aber es ist Friede, Friede für immer, gewiß und wahrhaftig, und wenn ihr es mir nicht glauben wollt, hier lest, oder der Prediger soll es vorlesen! Das habe ich von einem Manne gekauft, der mehr solche Blätter aus Celle mitgebracht hat. Unserem Herzog sein Siegel ist darunter. Da, Euer Ehren!« Er fiel auf die Bank und jappte und mit einem Male lief ihm das Wasser aus den Augen.

Er sprang aber gleich wieder auf, denn der Wulfsbauer kam angelaufen. Er war im Grasgarten gewesen und hatte das Schreien und Weinen und Lachen gehört. Und nun stand er da und beberte an allen Gliedern und sah wie eine frisch gekalkte Wand im Gesichte aus. »Wawawas ist llos?« stotterte er. Der Prediger hob die Hand. »Ich werde vorlesen.« Alle falteten die Hände, bloß der Burvogt nicht; der hatte keine Kraft dazu. Er stand an der Hauswand, sah ganz elend aus, hatte den Mund offen und ganz unglückliche Augen, und holte so tief Luft, als wenn er ersticken müßte.

Der Prediger hatte zu Ende gelesen. Alles lachte und weinte wie verrückt durcheinander. Mit einem Male drehten sich alle um. Was war denn das? Der Wulfsbauer hatte ganz schrecklich aufgeschrien, und jetzt stand er mit dem Kopfe gegen die große Tür, hatte die Hände vor dem Gesicht und weinte wie ein Kind. Dann drehte er sich um, ging wie ein todkranker Mann auf seine Frau los, nahm sie an den Arm und sagte: »Mutter, bring mich zu Bett; ich bin ja so müde!«

Die Frau faßte ihn unter den Arm, wischte ihm die Tränen ab und sagte: »Ja, ja, ich bringe dich zu Bett, mein Junge. Du sollst nun auch schön schlafen.« Da lachte keiner von den Leuten mehr; es wurde ganz still, nur daß auf der Wiese die Kinder das neue Lied sangen, das sie in der Schule gelernt hatten:

Herzlich tut mich erfreuen
die fröhliche Sommerzeit,
all mein Geblüt erneuen,
die Mai in Wollust freit ;
die Lerch tut sich erschwingen
mit ihrem hellen Schall,
lieblich die Vögelein singen,
dazu die Nachtigall.


 << zurück weiter >>