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Schwäche ist stark, Stärke ist nichts. Wenn der Mensch geboren wird, ist er schwach und weich, wenn er stirbt, ist er stark und hart. Wenn ein Baum heranwächst, ist er weich und zart, und wenn er trocken und hart wird, stirbt er ab. Härte und Kraft sind die Begleiter des Todes. Schwäche und Weichheit kündigen das frische Leben an. Darum wird was hartgeworden niemals siegreich sein. |
Zur Zeit der Regierung des Kaisers Theodosius des Großen lebte ein vornehmer Mann in Konstantinopel, ein »Patrizier und Eparch« namens Hermius. Er war reich, von hoher Herkunft und angesehen; sein Charakter war gerade und ehrenhaft; er liebte die Wahrheit und haßte die Heuchelei, beides aber wollte sich zu jener Zeit, in der er lebte, nicht eben recht schicken.
In jener fernen Zeit gab es in Byzanz, oder wie man es heute nennt, Konstantinopel, und in dem ganzen byzantinischen Reiche eine Unmenge von Streitigkeiten über den Glauben und die Gottesfurcht, und da infolge dieser Uneinigkeiten die Leidenschaften der Menschen entbrannten, herrschten überall Zwist und Zank, und die Folge hiervon war, daß, obzwar sich alle um die Gottesfurcht kümmerten, doch nirgends Frieden war und ebenso nirgends wahre Gottesfurcht. Sogar im Gegenteil: in den niederen Bevölkerungsschichten herrschten damals die widerwärtigsten Laster, die man sich schämen muß auszusprechen, die höhergestellten Personen dagegen waren ganz allgemein der greulichsten Heuchelei ergeben. Alle stellten sich gottesfürchtig, und lebten doch ganz und gar nicht nach Christenart: alle waren nachtragend, jeder haßte den anderen, keiner hatte das geringste Mitleid mit dem armen und niederen Volke; man schwelgte im unglaublichsten Wohlleben und schämte sich dessen nicht, daß die einfachen Leute zu der gleichen Zeit die allerquälendste Not litten. Die Armgewordenen gerieten einfach in Leibeigenschaft, oder in Sklaverei, und nicht selten geschah es, daß die Bettler an den Türen der schmausenden und zechenden Reichen und Würdenträger vor Hunger starben. Bei alledem wußte aber das einfache Volk nur zu gut, daß diese selben reichen Leute in ständigem Unfrieden lebten, ewig im Streit miteinander lagen und sich häufig gegenseitig zu Grunde richteten. Sie verleumdeten nämlich einander nicht nur unablässig vor dem Kaiser, sondern vergifteten ihre Gäste auf den Festlichkeiten in ihren eigenen Häusern mit tödlichen Giften, indem sie zu diesem Zwecke die Köche und die anderen Bedienten bestachen.
Und ganz wie in den oberen Schichten, so war die Gesellschaft auch in ihren unteren Schichten angefüllt mit Verderbtheit.
Die Seele des bereits erwähnten Hermius war eine friedliebende, er hatte sie zudem in der Liebe zu dem Nächsten bestärkt, ganz so, wie Christus dieses im Evangelium gelehrt hat. Hermius wollte wahrhafte Gottesfurcht in der Welt haben, keine erheuchelte, die niemand Gutes erweisen kann, sondern nur der Prahlerei und dem Betruge dient. Hermius pflegte zu sprechen: Wenn man glaubt, daß das Evangelium von Gott ist und uns lehrt, wie wir leben sollen, um das Böse auf der Welt zu vernichten, so muß man alles genau so tun, wie es vom Evangelium vorgeschrieben wird, nicht aber etwa jenes, das dort geschrieben steht, für recht und gut erklären und selber völlig entgegengesetzt handeln: also nicht etwa lesen »vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern«, und trotzdem niemand auch nur das geringste nachlassen, und trotzdem wegen jeder Beleidigung gekränkt sein und dem Nächsten jede Schuld anzurechnen, ohne dabei seine Kräfte oder sein Leben zu schonen.
Hermius wurde freilich hierfür von den anderen Würdenträgern verlacht und verspottet: sie sprachen zu ihm: »Sicherlich willst du, daß wir alle Bettler würden und nackt voreinander stünden und uns gegenseitig ein Hemde zuwürfen. Das geht aber nicht in einem Staate.« Er erwiderte: »Ich spreche auch nicht vom Staate, ich spreche nur davon, wie man nach Christi Lehre, die ihr doch alle als göttlich bezeichnet, leben müßte.« Sie aber pflegten dann zu antworten: »Es gibt vieles, das gut wäre, es ist aber unmöglich!« Und stritten mit ihm und stellten ihn zum Schluß dem Kaiser als einen Mann dar, der kindisch geworden wäre und nicht mehr recht an seinen Platz passe.
Hermius erkannte das bald und begann nachzugrübeln, daß es in der Tat eine schwierige Aufgabe sei, den Rang einzunehmen und dennoch gleichzeitig ein Leben zu führen, das völlig Christi Lehre entspräche.
Und kaum fing Hermius an, tiefer in diese Frage einzudringen, da war ihm alsobald, daß es eigentlich nicht anginge, diese Dinge miteinander zu vereinigen, sondern es wäre notwendig, von den zweien eines zu wählen: entweder müßte man Christi Lehre verleugnen oder aber die gesamten Würden der Welt, denn die beiden gingen nicht zusammen, und wenn einer sie auch gewaltsam für irgendeine Stunde zusammenschweißte, so hielte der Bund dennoch nicht lange und müßte in kurzem noch schlimmer als zuvor auseinanderfallen. »Der eine Teufel entweicht, kommt jedoch zurück und bringt dann noch sieben andere mit sich.« Und wenn Hermius es alsdann von der anderen Seite betrachtete, kam er zu Erwägungen der Art, daß, wenn er nun alle bezichtigen wolle und mit allen Streit bekäme, er sehr bald lauter Unfreunde rings hätte, und daß dann die andern Würdenträger vermutlich vor den Kaiser treten und diesem lauter Verleumdungen über ihn erzählen würden, und dann könnte es leicht geschehen, daß man ihn über kurz oder lang gar des Landesverrats zeihen und völlig zugrunde richten würde.
Tu ich's den einen recht, dachte er, so verschütte ich's mit den anderen: schlag ich mich auf die Seite der Schlauen, dann beschmutze ich meine Seele, geh ich aber zu den Nichtlistigen, dann werd ich ihnen nicht von Nutzen sein, sondern nur mich selber ins Elend stürzen. Man wird mich als einen böswilligen Menschen hinstellen, der nichts als Unruhe sät, ich aber werde mich darüber ereifern und mich zu rechtfertigen beginnen, und meine Seele wird zornig werden wie ein Raubtier, ich werde meine Angreifer beschuldigen und selber genau so böse werden, wie sie es sind. Nein, das soll nicht geschehen. Ich will niemand beschämen und will auch keinem Vorwürfe machen, denn dieses ist meiner Seele zuwider; lieber will ich allsogleich mit allem diesem ein Ende machen: ich will vor den Kaiser treten und ihn bitten, mir zu gestatten, alle meine Macht und Würde niederlegen zu dürfen, damit ich mein Leben irgendwo friedlich als einfacher Mensch beschließen könnte.
Wie Hermius es sich erdacht, so führte er es auch nach seinem Ratschlusse aus. Er trat mit keiner Klage vor den Kaiser Theodosius, und schwärzte auch niemanden vor ihm an, sondern bat bloß, ihn von der Führung seiner Geschäfte zu entbinden. Lange redete der Kaiser Theodosius ihm zu, sein Amt weiter zu versehen, schließlich aber ließ er ihn ziehen. Hermius erhielt den vollen Abschied. Zu der gleichen Zeit starb auch die Gemahlin des Hermius, und da der vormalige Würdenträger nun ganz allein war, stellten sich folgende Überlegungen bei ihm ein:
Ist das nicht ein Wink von oben? dachte Hermius. Der Kaiser hat mich von meinen Dienstgeschäften befreit, der Herr aber hat mich des ehelichen Standes enthoben. Mein Weib ist gestorben und in meiner Verwandtschaft ist keiner mehr da, um dessentwillen ich meine Güter verwalten müßte. Jetzt kann ich munterer dem evangelischen Ziele zuschreiten und weiter kommen. Was soll mir mein Reichtum? Ewig sind mit ihm Sorgen verknüpft, und wenn ich auch keine Dienstgeschäfte mehr habe, so ist doch mein Reichtum Anlaß genug, daß ich mich darum kümmere und wieder in solche Dinge verfalle, die dem nicht taugen, der ein Schüler Christi sein will.
Reichtümer nannte Hermius in großer Zahl sein eigen, er hatte Häuser und Dörfer und Sklaven und viele Kostbarkeiten.
Hermius ließ alle seine Sklaven frei, den ganzen anderen Reichtum aber verkaufte er und verteilte den Erlös unter den armen Leuten, die Not litten.
Er handelte so, weil ihn danach gelüstete, vollkommen zu werden, und weil Christus demjenigen, der die Vollkommenheit erreichen wollte, kurz und klar nur den einen Weg dazu wies: »Gib alles, was du besitzest, hin, und folge Mir nach.«
Hermius erfüllte dieses Gebot mit aller Genauigkeit, so daß er auch nicht die kleinste Kleinigkeit für sich selber behielt, und freute sich sogar darüber, daß ihm das gar nicht schwer vorkam oder irgendwie bedauerlich. Nur der Anfang war nicht ganz leicht, nach und nach aber war es sogar angenehm, alles auszuteilen, damit nichts nachbliebe, was ihn verwirren könnte, nichts, das ihn irgendwie behindern könnte, seinen unbeschwerten Weg zum höchsten Ziele des Evangeliums zu nehmen.
Nachdem Hermius sich dergestalt nicht nur seiner Macht, sondern auch seines Reichtums begeben, verließ er die Hauptstadt in aller Heimlichkeit und machte sich auf, einen einsamen Ort zu finden, wo ihn niemand stören konnte, sich in Reinheit und Heiligkeit zu erhalten und ein gottgefälliges Leben zu führen.
Nach einem langen Wege, den er zu Fuß und ohne Schuhe vollbracht, gelangte Hermius zu der entfernten Stadt Edessa, in der er ganz unvermutet jene gewisse Säule für sich fand. Das war eine hohe Steinklippe mit einer Felsspalte, und in der Mitte dieser Felsspalte befand sich ein Platz, auf dem nur ein einzelner Mensch stehen konnte.
Dies, dachte Hermius: dies ist der rechte Ort für mich. – Und er erklomm augenblicklich die Säule vermittels einer halbverfaulten Stange, die irgendwer an die Klippe gelehnt hatte, und stieß darauf die Stange mit dem Fuß fort. Das Holz fiel in den Abgrund und zerschellte in der Tiefe, Hermius aber blieb stehen und stand auf dieser seiner Säule dreißig Jahre lang. Während dieser ganzen Zeit betete er zu Gott und wünschte nichts, als all die Heuchelei zu vergessen und jene anderen Bosheiten, die er früher zu Gesicht bekommen und die ihn so sehr in Zorn gebracht hatten.
Hermius hatte auf seine Klippe nichts mit sich genommen außer einem langen Seil, an das er sich geklammert hielt, während er auf den Felsen kroch, und dieses Seil sollte ihm noch sehr nützlich werden.
Schon in den ersten Tagen, als Hermius noch nicht darauf geachtet hatte, das Seil einzuziehen, bemerkte es ein Hirtenknabe, der hierher gekommen war, um seine Ziegen zu weiden. Der Hirtenknabe begann mit dem Seil zu spielen, Hermius aber rief ihn an und sagte ihm:
»Bring mir Wasser, mich dürstet sehr.«
Der Knabe band seine leere Kürbisschale, die er zuvor mit Wasser füllte, an das Seil und antwortete:
»Trink und behalt den Kürbis oben.«
Und gab ihm ferner ein Körbchen, in dem eine Handvoll schwarzer und herber Beeren lag.
Hermius aß die Beeren und sprach:
»Gott hat mir einen Ernährer geschickt.«
Der Junge erzählte, als er seine Ziegenherde abends wieder ins Dorf zurücktrieb. seiner Mutter sogleich, daß er einen alten Mann auf der Klippe gesehen, und die Mutter des Hirten ging zum Brunnen und erzählte es dort den anderen Weibern, und so wurde es alsbald den Leuten in jener Gegend bekannt, daß ein neuer Säulenheiliger bei ihnen weile; die Leute aus dem Dorf eilten flugs, ihn zu betrachten, und brachten Hermius mehr Linsen und Bohnen, als er jemals zu verzehren imstande war. Und so ging es auch weiter.
Denn kaum ließ Hermius sein geflochtenes Körbchen und den ausgehöhlten Kürbis an dem langen Seil hinunter, beeilten sich die Leute, ihm Kohlblätter und gedörrte, ungekochte Erdfrüchte in das Körbchen zu tun, den Kürbis aber füllten sie mit Wasser. Und von dieser Nahrung lebte der byzantinische Würdenträger und reiche Mann Hermius dreißig Jahre lang. Er aß weder Brot noch irgend etwas, das über dem Feuer zubereitet worden war, und er vergaß nach und nach den Geschmack gekochter Speise. Es war die Ansicht jener Zeit, daß solches Gott gefällig und angenehm sei. Die Reichtümer, die er verteilt hatte, taten Hermius nicht leid, er dachte nicht einmal mehr an sie. Gespräche führte er mit keinem Menschen und machte auf alle einen überaus rauhen und strengen Eindruck. da er in seinem Schweigen dem Propheten Elias nachahmte.
Die Landbevölkerung glaubte, daß Hermius ein Wundertäter sei. Zwar hatte er es ihnen nicht gesagt, allein sie glaubten es. Die Kranken kamen und stellten sich in den Schatten, den die Sonne auf die Erde warf, und sagten, gingen sie fort, daß sie Erleichterung verspürten. Er aber schwieg und schwieg, den Sinn in ein Gebet versenkt, oder er sagte in seinem Geiste auswendig die drei Millionen Verse des Origenes her und die zweihundertundfünfzigtausend Verse des Gregor, Pierius und Stephan.
Also verbrachte Hermius seine Tage, des Abends jedoch, wenn die Siedehitze nachgelassen und die einsetzende Kühle sein Gesicht erfrischte, dann gedachte Hermius, nachdem er seine Gebete beendet und seine Betrachtungen über Gott abgeschlossen, zuweilen auch der Menschen. Er grübelte darüber nach, wie sehr wohl im Verlaufe dieser dreißig Jahre das Böse in der Welt zugenommen habe und in wie hohem Maße unter dem Schleier der Scheinheiligkeit und der Frömmelei, die vermittels ausgeklügelter Dinge die wahre Lehre nach und nach verdrängten, jetzt in den Menschen die wirkliche Tugend versiegt sein müßte, so daß nur noch die Form ohne jeden Inhalt zurückgeblieben.
Die Eindrücke, die der Säulenheilige aus der von ihm verlassenen heuchlerischen Hauptstadt mit sich davongetragen, waren so äußerst ungünstig, daß er allmählich an der ganzen Welt zu verzweifeln begann und gar nicht zu bemerken schien, wie er durch diese seine Verzweiflung nicht nur den Plan, sondern auch das Ziel der Schöpfung erniedrigte und sich selber für das vollkommenste Geschöpf hielt.
Und sprach er auch die Verse des Origenes vor sich hin, heimlich dachte er dennoch: mag es denn so sein, mag denn diese ganze irdische Welt nur der Ewigkeit halber geschaffen sein, und die Menschen darin sich wie Schüler in der Schule vorbereiten, in die Ewigkeit einzugehen, um dort ihre Erfolge in der hiesigen Schule zu zeigen. Welche Erfolge jedoch können sie wohl aufweisen, sie, die so selbstzufrieden und sündig leben und nichts von Christus lernen und keine ihrer heidnischen Gewohnheiten vergessen wollen? Wird nicht am Ende die Ewigkeit leerstehen? Und obgleich Origenes trostvoll aussprach, daß der Schöpfer in keinen Fehler verfallen konnte, als er sah, daß »alles sehr gut war«, obwohl es in der Tat zu nichts nutze war, Hermius wollte es dennoch scheinen, daß »die ganze Welt im Argen liege«, und vergebens bemühte sich sein Geist, zu erfassen, wo diejenigen wären, die Gott wohlgefällig und der Ewigkeit würdig seien?
Nicht gelang es Hermius, sich solche Menschen vorzustellen, die der Ewigkeit würdig wären, alle Menschen kamen ihm viel zu schlecht vor, alle mit bösen Neigungen ins Leben getreten und vom Leben auf dieser Welt immer noch mehr verdorben.
Und immer stärker kam die Verzweiflung über den Säulenheiligen, daß die Ewigkeit leer stehn müßte, da keine Menschen mehr da wären, würdig, in sie einzugehen.
Und es geschah, daß einst, als beim Hereinbrechen des Vorhangs der Nacht der Säulenheilige in seinem Geiste bewegte, wie er wohl in Erfahrung bringen könnte, ob es noch Leute gäbe, die Gott wohlgefällig seien, daß er den Kopf an den Rand des Felsspaltes seiner Klippe lehnte und ihm ein sonderbares Ereignis zustieß: ein sanfter und gleichmäßiger Lufthauch umwehte ihn, und gleichzeitig schlugen folgende Worte an sein Ohr:
»Vergebens grämst du dich, Hermius, und vergebens verzweifelst du, denn freilich gibt es noch solche, die Gott wohlgefällig und in das ewige Buch des Lebens eingeschrieben sind.«
Der Säulenheilige freute sich der sanften Stimme und entgegnete:
»Herr, wenn ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, so erlaube, daß mir ein solcher gezeigt würde, damit mein Geist sich beruhigen könnte.«
Da wehte der feine Hauch sanft in das Ohr des Alten:
»Vergessen mußt du alle, die du bisher gekannt, von deiner Säule sollst du herabsteigen und den Menschen Pamphalon anschauen.«
Und mit diesem verging der Lufthauch, der Greis aber richtete sich auf und dachte nach: war es Wahrheit, was er gehört, oder hatte nur ein Traum es ihm eingeblasen? Die kalte Nacht ging vorüber und es verstrich auch der heiße Tag, als jedoch wieder die Dämmerung anbrach, lehnte Hermius aufs neue seinen Kopf an den Stein und wieder hörte er:
»Steige herab auf die Erde, Hermius, du mußt gehen und Pamphalon anschauen.«
»Doch wer ist er denn, der Pamphalon?«
»Er ist einer derjenigen, die du so sehr zu sehen begehrst.«
»Und wo wohnt er denn, der Pamphalon?«
»Er wohnt in Damaskus.«
Und wieder richtete sich Hermius auf und wieder war er im Zweifel darüber, ob er nicht dieses alles nur im Traume gehört. Und darum beschloß er in seinem Geiste, es noch ein drittes Mal zu versuchen, und wenn dann zum drittenmale genau so klar von Pamphalon die Rede wäre, dann wollte er nicht länger mehr zweifeln, sondern von seiner Säule herabklettern und nach Damaskus ziehen.
Allerdings beschloß er heimlich, mit aller Genauigkeit in Erfahrung zu bringen, was das für ein Pamphalon sei und wie man ihn wohl in Damaskus am besten finden könnte.
So verging wiederum der heiße Tag, und wiederum erklang in der abendlichen Kühle wie ein feines kühles Wehen der Namen Pamphalons.
Und wiederum sprach die unbekannte Stimme:
»Warum zauderst du noch, Greis, und kletterst nicht auf die Erde herab, um nach Damaskus zu wandern und Pamphalon zu betrachten?«
Der Greis entgegnete:
»Wie mag ich gehen, einen mir unbekannten Menschen aufzusuchen?«
»Der Mensch ist dir genannt.«
»Genannt ist mir ein Mensch Pamphalon, doch wird es in einer so großen Stadt, wie es Damaskus ist, sicherlich mehr als einen Pamphalon geben? Nach welchem von diesen soll ich dann fragen?«
Und wiederum klang es in feinem kühlen Wehen:
»Das ist nicht deine Aufgabe. Klettere du nur schneller herunter und wandere nach Damaskus, den Pamphalon, den du brauchst, kennen dort alle. Frage den ersten besten, der dir begegnet, nach ihm, ein jeder kann ihn dir zeigen. Er ist allen bekannt.«
Nach dieser dritten Unterhaltung zweifelte Hermius nicht länger daran, daß dieses eine Stimme gewesen sei. der man Folge leisten müsse, und zu welchem Pamphalon er in Damaskus gehen müsse, beunruhigte ihn nicht mehr. Der Pamphalon, den »alle kannten«, war ohne Zweifel entweder ein sehr berühmter Poet, oder war ein Krieger, oder aber ein Würdenträger, den eben jedermann kannte. Mit einem Worte, es gab für Hermius nichts mehr zu überlegen, er mußte sich aufmachen, das auszuführen, was er selber so sehr gewünscht hatte.
Und so fiel denn Hermius das Los zu, nach dreißigjährigem Verharren auf einem Fleck aus seiner Steinschlucht hervorzukriechen und nach Damaskus zu wandern …
Einem so völligen Einsiedler, wie Hermius es geworden war, mußte es natürlich seltsam vorkommen, zu einem Menschen zu pilgern, der in Damaskus wohnte, denn die Stadt Damaskus war damals in bezug auf die Reinheit der Sitten etwa dasselbe, wie heutzutage etwa Paris oder Wien, Städte, die nicht gerade durch die Heiligkeit ihres Lebens berühmt sind, sondern für Brutstätten der Sünde und des Lasters gelten; allein es gab im Altertum noch mehr solcher Sonderbarkeiten, und häufig wurden die Apostel des Anstandes eben zu den Orten entsandt, die als die allerverrufensten galten.
So war denn die Stunde gekommen, nach Damaskus zu wandern. Aber da schoß es Hermius durch den Kopf, daß er nackt sei, denn sein Hemd, in dem er vor dreißig Jahren hierhergekommen, war schon längst vermodert und ihm vom Leibe gefallen. Seine Haut war ganz verbrannt und schwarz geworden, seine Augen blickten wild, die Haare flatterten um seinen Kopf und waren ganz verblichen, seine Fingernägel aber waren lang geworden, wie die Krallen eines Raubvogels … Wie konnte er sich in dieser Gestalt in der großen und prunkvollen Stadt zeigen?
Die Stimme hörte nicht auf, ihn zu ermahnen, und tönte jetzt von ferne:
»Zaudere nicht, Hermius, geh nur: deine Blöße wird eine Hülle finden.«
Da nahm Hermius sein Körbchen mit den gedörrten Erdfrüchten und seinen Kürbis und beförderte sie hinunter, und schließlich verließ auch er mit Hilfe desselben Seiles, das ihm dazu gedient hatte, sich Speise von unten herauf zu ziehen, die Felssäule.
Der Körper unseres Säulenstehers war bereits dermaßen ausgedörrt, daß seine Last dem dünnen und halbverfaulten Stricke nicht zuviel wurde. Freilich krachte der Strick beträchtlich, aber Hermius erschrak darüber nicht: wohlbehalten erreichte er den Erdboden und schritt aus, wobei er anfangs wie ein Kind taumelte, denn seine Beine waren verwöhnt, sich zu bewegen, und hatten die Festigkeit verloren.
Und so schritt denn Hermius durch die menschenleere und heiße Wüste dahin und wanderte sehr lange und begegnete während seines ganzen Weges keinem einzigen Menschen, und hatte darum auch keinen Grund, sich seiner Nacktheit zu schämen; als er sich jedoch Damaskus näherte, fand er im Sande einen verwitterten und gänzlich ausgedörrten Leichnam und daneben ein altes Ziegenfell, wie es dazumal von den Mönchen, die gemeinschaftlich lebten, getragen wurde. Die Knochen scharrte Hermius im Sande ein, das Ziegenfell aber warf er sich über die Schultern und freute sich darüber, denn er sah hierin einen besonderen Akt der Vorsehung.
Hermius näherte sich Damaskus, als die Sonne bereits im Untergehen war. Der Greis hatte seine Schritte nicht recht bemessen und wußte jetzt nicht, was tun: schneller gehen, oder vielleicht im Gegenteil, sich nicht beeilen und den Morgen erwarten? Den Augen schien es sehr nah, das Ziel, den Füßen aber kam es hart an. Hermius beeilte sich, noch hineinzukommen, solange es hell war, als er jedoch ankam, ging gerade die rote Sonne unter, immer dichter wurden die Schatten, und es war, als umhülle die Finsternis die ganze Stadt. Es war ganz so, als versänke nunmehr die Stadt in tiefe, undurchschaubare Sünde.
Das Grauen kam über Hermius, – fast wollte er zurückfliehen … Und wieder kam ihm der Gedanke in den Kopf, ob nicht am Ende alles nur ein Traum war, oder vielleicht sogar eine Versuchung? Welcher Gerechte wäre in dieser geräuschvollen Stadt nicht in Versuchung geraten? Wo war hier irgendwelche Rechtschaffenheit zu finden? War es nicht besser, zurückzufliehen, wieder die Steinritze zu erklimmen und dort zu stehen, ohne sich je wieder vom Fleck zu rühren?
Und schon wollte er umkehren, allein da versagten die Beine ihm den Dienst, und wieder war in seinen Ohren das »feine Wehen«:
»Mache dich auf, beeile dich, Pamphalon in Damaskus zu begrüßen.«
Und wieder kehrte sich der Greis Damaskus zu, und nun gingen seine Füße.
Hermius langte vor der Stadtmauer genau in dem Augenblick an, als der Stadtwächter gerade das Tor zur Hälfte zugeschlagen hatte.
Nur mit großer Mühe gelang es dem armen Alten, den Wächter zu erbitten, ihn durch das Tor zu lassen, und auch das gelang ihm erst, als er dafür seinen Korb und den Kürbis opferte; und so befand er sich denn nun völlig von Hab und Gut entblößt in der unbekannten und so ungemein sündhaften Stadt.
Die Nächte im Süden brechen schnell herein, da gibt es keine langen Dämmerungen, und die Dunkelheit pflegt so dicht zu sein, daß man nichts mehr sehen kann. Zu jener Zeit, als sich dieses Ereignis zutrug, wurden die östlichen Städte nachts noch nicht beleuchtet, und früh schon schlossen die Bewohner ihre Häuser ab. Es war zu jener Zeit nicht ungefährlich, sich nachts auf der Straße aufzuhalten, und darum auch pflegten die Menschen alle Eingänge in ihre Häuser fest zu verriegeln, damit nicht etwa irgendein toller Bursche sich in der Dunkelheit einschleichen könnte und sie bestehle oder ermorde oder gar das Haus ihnen anzünde. Die Eingänge wurden nachts entweder gar nicht mehr geöffnet, oder doch höchstens nur für die verspäteten eigenen Leute oder Freunde, und auch nur in dem Falle, wenn man sich zuvor davon überzeugt hatte, daß dort an der Türe eben jener Mensch poche, den man einlassen müßte.
Geöffnet blieben nachts nur die Türen der Buhlerinnen, denn zu ihnen stand jedem der Weg frei, und je mehr Leute von ihrem Licht angelockt wurden, desto besser gingen ihre Geschäfte.
Als der alte Hermius sich auf diese Weise in der tiefsten Dunkelheit auf den Straßen von Damaskus befand, wußte er wahrhaftig nicht, wo er sich wohl bis zum Morgen aufhalten sollte. Freilich gab es damals auch in Damaskus Gasthäuser, aber Hermius konnte es nicht wagen, an die Türe eines von diesen zu klopfen, denn er wußte, daß man ihm für die Nachtruhe Bezahlung abverlangen würde, und er hatte überhaupt kein Geld bei sich.
So blieb denn Hermius stehen und entschloß sich, nachdem er lange reiflich überlegt, was wohl in seiner Lage das Schicklichste sei, an das erste beste Haus, an dem er vorüberkäme, zu klopfen, und zu bitten, ob man ihm nicht erlauben wollte, zu übernachten.
Er tat es auch und näherte sich dem nächsten Hause und klopfte.
Von innen wurde gefragt:
»Wer klopft da?«
Hermius entgegnete:
»Ich, ein armer Wanderer.«
»Ach so, ein armer Wanderer! Es treiben sich nicht wenige solcher herum. Was willst du?«
»Ich bitte um Obdach.«
»Dann bist du an den unrichtigen Ort geraten. Geh in ein Gasthaus.«
»Ich bin sehr arm und kann das Gasthaus nicht bezahlen.«
»Das ist schlimm, doch wende dich in dem Fall an die, die dich kennen; leicht möglich, daß sie dich einlassen werden.«
»Mich kennt niemand hier.«
»Nun, wenn das so ist, und dich niemand hier kennt, dann klopf du auch nicht an unsere Türe vergebens, sondern mach dich schneller fort.«
»Ich bitte im Namen Christi.«
»Laß bitte diesen Namen. Viele deinesgleichen ziehen durchs Land und führen beständig den Namen Christi im Munde und haben doch nichts als Lügen im Sinn und versuchen mit diesem Namen alle möglichen Uebeltaten zu verschleiern. Mach fort, bei uns gibt es kein Obdach für dich.«
Hermius näherte sich darauf einem anderen Hause und begann auch hier zu klopfen und zu bitten.
Und auch hier wurde er wieder von innen befragt, ohne daß man dabei die Türe geöffnet hätte:
»Was willst du?«
»Ich bin ganz erschöpft, ich bin ein armer Wanderer … laßt mich ein, laßt mich in eurem Hause ausruhen!«
Aber auch hier ward ihm wieder die gleiche Antwort: geh in ein Gasthaus.
»Ich habe kein Geld,« entgegnete Hermius und nannte auch hier Christi Namen, aber zur Antwort erhielt er nichts als Vorwürfe.
»Wahrhaftig, genug mit diesem Namen,« wurde ihm hinter der Türe des zweiten Hauses zugerufen: »alle Faulpelze und Bösewichte verschanzen sich heuer hinter diesem Namen.«
»So glaubt mir doch,« erwiderte Hermius: »ich habe niemand jemals ein Böses getan: ich kam geraden Wegs aus der Wüste hierher.«
»Und kamst du aus der Wüste, so wäre es besser gewesen, du wärest dort geblieben. Es war völlig vergebens, hierherzukommen.«
»Ich kam nicht aus eigenem Antriebe her, sondern ich erhielt einen Befehl.«
»Nun, dann geh doch zu jenem, zu dem man dich geschickt hat, und laß uns in Ruhe: wir haben vor jenen, die sich Väter nennen und in Ziegenfellen gehen, nicht geringe Furcht: zwar seid ihr sehr heilig, doch folgen einem jeden von euch sieben Teufel auf dem Fuß.«
Oho! dachte Hermius: wie die Zeit die alten Gewohnheiten verändert hat. Wahrhaftig, verschwunden scheint sie ganz und gar zu sein, die alte Gastlichkeit gegen Wanderer. Und alle kennen bereits die Überlieferung der Wüste, daß mehr Teufel hinter dem Asketen her sind, als hinter dem gewöhnlichen Sterblichen, allein es scheint hierdurch keineswegs besser geworden zu sein, eher schlimmer. Da bin ich nun in Damaskus, ein Einsiedler, der dreißig Jahre lang gestanden, – Leute fanden im Schatten meiner Säule Heilung, – aber mich will niemand unter sein Dach lassen, und ich kann jetzt nicht nur von Bösewichten getötet werden, sondern kann auch von Schamlosen, die die Natur verkehrt haben, bitterer als der Tod beleidigt und verunehrt werden. Es ist mir bereits ganz klar, daß ich einem Teufelsspott zum Opfer gefallen bin, und daß ich hierher nicht etwa zum Heil meiner Seele gesandt worden bin, sondern damit sie völlig verderbe, wie Sodom und Gomorrha.
Gleichzeitig jedoch gewahrte Hermius, daß jemand eilig in der Dunkelheit über die Straße lief, und hörte, wie dieser Jemand ihn lachend anredete:
»Hast du mich aber lachen gemacht, mein Alterchen!«
»Und wodurch denn?« fragte Hermius.
»Wie kannst du nur so dumm sein und bitten, daß man dich in die Häuser der Hochgeborenen und Reichen einließe, damit du dort übernachten könntest! Es ist ganz augenscheinlich, daß du in der Tat nichts vom Leben weißt.«
Der Säulenheilige überlegte: dieser da ist sicherlich nicht viel mehr als ein Dieb oder ein unzüchtiger Bube, doch immerhin ist er gesprächig: so will ich ihn denn fragen, was ich tun soll, um ein Nachtlager zu erlangen.
»Verziehe noch ein wenig«, sagte Hermius: »und teile mir, wer immer du auch seiest, mit, ob es hier nicht irgendwelche Leute gibt, die wegen ihrer Menschenliebe bekannt sind?«
»Freilich,« entgegnete jener: »es gibt auch hier solche.«
»Wo wohnen sie denn?«
»Du klopftest soeben an ihre Häuser und unterredetest dich mit ihnen.«
»Nun, dann ist ihre Menschenliebe wenig wert.«
»So sind alle diejenigen, die ihre Menschenliebe zur Schau tragen.«
»Aber vielleicht sind dir welche bekannt, die gottesfürchtig sind?«
»Auch diese sind mir bekannt.«
»Wo sind sie?«
»Jetzt bei Sonnenuntergang werden sie sich gerade zum Gebet begeben haben.«
»So will ich zu ihnen.«
»Das kann ich dir nicht raten. Gott behüte dich, wenn du etwa mit deinem Pochen ihr Gebet stören solltest, ihre Diener werden dich dafür auf den Boden werfen und dir sogar Wunden schlagen.«
Der Alte schlug die Arme zusammen.
»Ja, was soll denn das,« rief er aus: »eure Menschenfreundlichen kann man um nichts in der Welt davon überzeugen, daß man Not leidet, die Frommen aber darf man nicht in ihrem Gebet stören, und dazu kommt noch, daß eure Nächte dunkel und eure Gewohnheiten wahrhaft entsetzenerregend sind. Wehe mir! wehe!«
»Du solltest, statt lange zu verzagen oder etwa die Gottesfürchtigen aufzusuchen, zu Pamphalon gehen.«
»Was sagtest du da?« fragte der Einsiedler und erhielt die gleiche Antwort zum zweitenmal:
Wie freute sich unser Einsiedler, als er von Pamphalon sprechen hörte. Er war also nicht vergebens hierhergekommen. Allein wer mochte wohl jener sein, der in der Dunkelheit mit ihm sprach: gut, wenn es ein Schutzengel war, wie aber, wenn es vielleicht der Teufel schrecklichster war?
»Pamphalon,« rief Hermius: »Pamphalon eben brauche ich ja, da ich zu ihm geschickt worden bin, ich weiß allerdings nicht, ob es der gleiche Pamphalon ist, von dem du sprichst?«
»Was hat man dir von deinem Pamphalon gesagt?«
»Allerhand ist mir berichtet worden, was ich nicht einem jeden wiedererzählen mag, als Kennzeichen jedoch hat man mir mitgeteilt, daß ihn ein jeder hier kennt.«
»Nun, wenn das so ist, dann spreche ich von dem gleichen Pamphalon, von dem dir berichtet worden ist. Er allein kann nur der Pamphalon sein, den alle kennen.«
»Und wieso kommt es denn, daß er allen so gut bekannt ist.«
»Schon darum, weil er ein angenehmer Mensch ist und überall Heiterkeit hinbringt. Ohne ihn gibt es hier kein Fest und kein Vergnügen, und von allen wird er gleich gern gesehen. Denn hört man von ferne seinen grauen Hund mit der langen Schnauze traben und die Schellen, mit denen er verziert ist, lustig tönen, dann rufen alle sogleich freudig: da läuft der Akra des Pamphalon! also wird Pamphalon selber gleich da sein, und es wird was zu lachen geben.«
»Wie kommt es denn, daß er immer den Hund mit sich führt?«
»Der Unterhaltung halber. Sein Akra ist ein wunderbarer, kluger und treuer Hund und hilft ihm nach Kräften, die Leute zu belustigen. Und außerdem hat er noch einen vielfarbigen Vogel, den er in einem Reif an einer langen Stange trägt; auch dieser Vogel ist ihm sehr viel wert, denn er kann vortrefflich pfeifen und wie eine Schlange zischen.«
»Doch wozu braucht Pamphalon das alles: den Hund und den vielfarbigen Vogel?«
»Es ist doch klar, daß Pamphalon ohne solche lächerlichen Dinge nicht bestehen kann.«
»Ja, wer ist er denn, dieser euer Pamphalon?«
»Weißt du es denn selber nicht?«
»Ich weiß nichts. Ich habe von ihm in der Wüste gehört.«
Der andere wunderte sich sehr.
»Schau mal an!« rief er: »Also nicht nur bei uns in Damaskus und in den anderen Städten, man kennt unseren Pamphalon sogar schon in der Wüste! So gehört es sich auch, denn freilich wird man einen zweiten so lustigen Kauz wie unseren Pamphalon schwerlich mehr auftreiben: niemand kann ohne Lachen mitansehen, wie er seine lustigen Späße treibt, wie er mit den Augen zwinkert, die Ohren bewegt, die Füße setzt und pfeift, oder wie er mit der Zunge schnalzt und den lockigen Kopf biegt.«
»Die Füße setzt … den Kopf biegt …« wiederholte der Einsiedler: »Schaustellungen, Körperbewegungen und Sprünge … Ja, wer ist er denn, sag es endlich!?«
»Ein Gaukler.«
»Wie? … jener Pamphalon! … Zu dem ich mich begebe! … Er ist ein Gaukler!«
»Freilich, Pamphalon ist ein Gaukler, darum kennen ihn auch alle; er springt durch die Straßen, schlägt ein Rad auf den Plätzen, zwinkert mit den Augen, stampft mit den Beinen und verdreht den Kopf.«
Vor Schrecken ließ Hermius seinen Wanderstab fallen und konnte nur noch stammeln:
»Verschwind! hebe dich fort, Satanas, hast du mich noch nicht genügend verhöhnt!?«
Jener aber, der aus dem Dunkel zu ihm sprach, hörte diese Beschwörungen nicht und fuhr fort:
»Das Haus des Pamphalon ist hier gleich um die Ecke, und sicherlich wird in seinem Fenster noch Licht sein, denn abends richtet er immer seine Gauklergewänder her, um bei den Hetären Vorstellungen zu geben. Sollte aber kein Licht bei ihm sein, so zähle du in der Dunkelheit das dritte kleine Haus rechts nach der Straßenecke, tritt ein und übernachte dortselbst. Pamphalons Türe steht immer geöffnet.«
Und nach diesen Worten verschwand der Mann, der aus dem Dunkel zu ihm gesprochen hatte, verschwand so spurlos, als wäre er überhaupt nie dagewesen.
Bestürzt über all das, was er über Pamphalon zu hören bekommen, blieb Hermius im Finsteren stehen und überlegte:
»Was soll ich jetzt tun? Es ist doch völlig ausgeschlossen, daß der Mensch, um dessen Anblick ich von meiner Säule herunter und meine Einöde verlassen mußte, ein Gaukler ist?! Welche Tugenden, des ewigen Lebens würdig, könnte man bei einem Komödianten finden, einem Schausteller, einem Taschenspieler, der auf den Märkten seine Possen reißt und die Müßiggänger in den Häusern belustigt, in denen man Wein trinkt und sich den Ausschweifungen hingibt?«
Das war unverständlich, aber da die Nacht dunkel war und nirgends ein Unterkommen zu finden, blieb ihm dennoch nichts anderes übrig, als zu dem Gaukler zu gehen.
Ein Obdach zur Nacht war für unseren Einsiedler unerläßlich, denn wenn er auch an jedes Unwetter gewöhnt war, so war es doch zu jener Zeit weitaus gefährlicher, sich nachts in der Stadt auf der Straße aufzuhalten, als etwa heutzutage. Damals gab es nicht nur Diebe, die einen ausplünderten, es strichen auch wilde Menschen herum, wie man sie nur noch vor der Einäscherung von Sodom und Gomorrha erblickt hat. Diese waren schlimmer als die Tiere und schonten niemand, ein jeder konnte von ihnen die allerschmachvollste Kränkung gewärtigen.
Dies alles wußte Hermius und darum war es für ihn ein großer Trost, als er, kaum daß er um die Ecke bog, das freundlich erleuchtete Fenster gewahrte. Das Licht kam aus einem kleinen Häuschen und flimmerte in der Dunkelheit so hell wie ein kleines Sternchen. Es war anzunehmen, daß dort der Gaukler seinen Wohnsitz hatte.
Hermius schritt auf das Licht zu und sah, daß dort in der Tat ein niedriges kleines Häuschen war, dessen Türe offen stand; die Schilfmatte war aufgehoben, so daß man das ganze Innere der Behausung zu erblicken vermochte.
Die Wohnung war nicht groß, sie bestand aus einem einzigen Raum, der ziemlich niedrig aber um so geräumiger war, und so konnte man alles auf einmal überschauen: den Hausherrn selber, als auch sein Hausgerät und sein Handwerkszeug. Und nach all dem, was man erblicken konnte, war es nicht allzu schwer, festzustellen, daß hier kein würdiger, gesetzter Mann wohne, sondern eben ein Gaukler.
An der grauen Wand, die sich gegenüber der geöffneten Tür befand, hing eine tönerne Lampe mit einem langen Halse, in dem ein mit Fett getränkter Docht mit roter Flamme brannte. Dieser Docht rußte stark, und feurige Tropfen kochenden Fettes fielen von ihm herunter. Rings an den Wänden hingen die sonderbarsten Dinge, die man allerdings besser mit Kram bezeichnen könnte. Dort gab es Sarazenengewänder, allein auch griechische und ägyptische, es hingen dort bunte Federn, aber auch Schellen und Klappern und rote Stangen und vergoldete Reifen. In einer Ecke war ein Haken in der Decke, und an diesem hing ein dünner Stab, der wie eine große Angelrute aussah, am Ende dieses Stabs aber hing an einem Strick ein hölzerner Reifen und in diesem Reifen schlief, den Kopf unter dem Flügel verborgen, der bunte Vogel. An seinem Fuß war eine schmale Kette, mit der er an den Reifen gefesselt war. In einer anderen Ecke waren biegsame Dachschindeln zu einem Halbkreis gebogen, und dort lagen Schellen, Klappern, Hörner und allerhand noch sonderbarere Dinge, deren Bedeutung sich der Einsiedler, der ja schon lange den Tand des Stadtlebens nicht mehr gesehen, nicht einmal zu erklären vermochte.
In der einen Ecke war auf dem Fußboden ein Bett aus Schilfmatten, in der anderen stand ein Kasten; auf diesem Kasten saß vor einer Bank, die den Tisch zu ersetzen hatte, der Hausherr selber und war mit irgendeiner Arbeit beschäftigt.
Sein Aussehen war sonderbar; er war kein junger Mann mehr, man konnte ihn eher gealtert nennen, seine Gesichtsfarbe war dunkel, der Ausdruck freilich war gutmütig und heiter und deutete auf eine gewisse maßvolle Beständigkeit, seine Augen glänzten ein wenig; sein Gesicht war allerdings geschminkt, und das bereits grauwerdende Haar zu lauter kleinen Locken gekräuselt, ein dünner kupferner Reifen war darüber gespannt, von dem eine Menge kleiner glänzender Ringe und Sternchen hinunterhingen und bei jeder Bewegung klirrten. So sah Pamphalon aus. Er saß über die Bank gebeugt, auf der allerhand Gauklerkram ausgebreitet lag, gerade vor ihm stand ein kleines tönernes Kohlenbecken und er selber hielt einen Lötkolben. Durch das Lötrohr blies er in die glühenden Kohlen und fachte sie zu höherer Glut an, er beschäftigte sich gerade damit, kleine Ringe aneinanderzuschmieden, und bemerkte dabei nicht, daß ihn von außen der strenge Einsiedler schon geraume Zeit beobachtete.
Endlich spürte der zu Pamphalons Füßen im Schatten liegende langschnäuzige Hund die Nähe eines fremden Menschen, richtete den Kopf auf und erhob sich knurrend; bei dieser Bewegung begannen die Schellen, die an einem kupfernen Halsbande hingen, zu klirren, und augenblicks erwachte hierdurch der buntgefiederte Vogel und streckte den Kopf, der bis dahin unter dem Flügel gebettet lag, vor. Der Vogel schien erregt zu sein und gab einen Laut von sich, der fast wie ein Pfeifen klang, oder wie ein schrilles Wetzen des Schnabels. Pamphalon richtete sich auf, tat auf eine Sekunde die Lippen von seinem Lötrohr und rief:
»Still, Akra! Und still auch du, Zoe! Ihr erschreckt mir sonst den wackern Menschen, der dort naht, um mich zu rufen, die gelangweilten reichen Leute zu unterhalten. Du aber, leichtfüßiger Bote,« fuhr er fort und erhöhte die Stimme dabei, »von wem immer du auch kämest, tritt schneller ein und sage mir ohne Zaudern, was du von mir willst?«
Hermius entgegnete hierauf mit einem Seufzer:
»O Pamphalon!«
»Ja, ja, ja, gewiß bin ich Pamphalon, schon längst bin ich es, der Tänzer und Gaukler, Sänger und Wahrsager, und alles, was man von mir verlangt. Welche meiner Gaben stehen dir zu Diensten?«
»Du täuschest dich, o Pamphalon.«
»Worin denn täusche ich mich, mein Freund?«
»Dem Menschen, der hier vor deinem Hause steht, tun keineswegs diese deine Gaben not: ich kam durchaus nicht aus dem Grunde, und nicht, um dich zu einem Gaukelspiele zu rufen.«
»Dann ist es eben auch kein Unglück! Noch liegt die ganze Nacht vor mir, es wird ein anderer kommen und uns zu einem Spiel laden, und morgen werden ich und mein Hund wieder was zu essen haben. Du aber, willst du mir nicht sagen, was du von mir wünschest?«
»Ich bitte dich um ein Obdach zur Nacht und möchte mit dir ein wenig plaudern.«
Als der Gaukler diese Worte hörte, drehte er sich schnell um, tat die Ringe und das Schmelzrohr auf den Kasten und beschattete seine Augen mit der Handfläche; er sagte:
»Ich kann nicht sehen, wer du bist, und auch deine Stimme ist mir unbekannt … Ich heiße dich übrigens in meinem Hause willkommen und bitte dich, über mein Hab und Gut nach Gutdünken zu verfügen … was aber das Plaudern anlangt … Du spottest wohl über mich?«
»Nein, ich spotte nicht,« entgegnete Hermius; »allen, die hier wohnen, bin ich fremd und kam von weither, um mit dir zu sprechen. Das Licht deiner Lampe führte mich vor deine Türe und ich bitte um ein Obdach.«
»Nun, so freue ich mich, daß das Licht meiner Lampe nicht nur Müßiggängern leuchtet. Wer du auch seiest, verweile nicht länger auf der Straße, und wenn du in Damaskus kein besseres Nachtlager finden kannst, so bitte ich dich, einzutreten, damit ich mich deiner annehmen könnte.«
»Ich danke dir,« erwiderte Hermius; »und möge dich Gott für deinen Empfang segnen, der das gastfreundliche Dach Abrahams so reich gesegnet hat.«
»Spare die vielen Worte! Darüber braucht man doch gar nicht zu reden, du aber gehst gleich bis zu Abraham zurück. Nimm die Dinge einfacher, mein Alterchen. Es wird eher nötig werden, daß du, wenn du mein Haus, in dem du von deiner Reise ausruhen willst, verläßt, mir deinen Segen erteilen wolltest, jetzt aber komme schneller herein; solange ich noch zu Hause bin, kann ich dir helfen, dich zu waschen, es könnte leicht sein, daß jemand käme, mich zu einer nächtlichen Vergnügung zu rufen, und dann werde ich keine Zeit mehr haben, mich um dich zu kümmern. Unsere Geschäfte sind nämlich ein wenig in Verfall geraten: fremde Gaukler aus Syrakus sind zu uns gekommen und singen so süß und spielen die Harfe dazu, daß sie uns unsere Kundschaft abwendig gemacht haben. Nichts darf man jetzt mehr außer acht lassen: sobald man gerufen wird, muß man sich sogleich aufmachen; zudem ist es jetzt die Stunde, da die reichen und vornehmen Herren zu den lustigen Hetären gehen, um dort zu tafeln.«
Welche verwünschte Stunde, – dachte Hermius.
Aber Pamphalon fuhr fort:
»Beweise mir die Güte, tritt ein und habe keine Angst vor meinem Hunde: Akra heißt er, mein treuer Hund, mein Kamerad, – Akra lebt hier nicht etwa zum Abschrecken, sondern ist ganz wie ich dazu da, um anderen Menschen Spaß zu machen. Tritt ein, Wanderer.«
Mit diesen Worten streckte Pamphalon dem Gaste seine beiden Hände hin und geleitete ihn vorsichtig aus dem Dunkel der Nacht über die wenigen Stufen in das erleuchtete Zimmer; allein kaum hatte er ihn betrachtet, da fuhr er entsetzt zurück.
So grauenhaft und wild erschien ihm der eingetretene Einsiedler.
Der vormalige Würdenträger hatte, nachdem er dreißig Jahre lang in Wind und flammender Sonne gestanden, jedes menschliche Aussehen verloren. Seine Augen waren völlig farblos geworden, sein verbrannter Körper war ganz schwarz und eingeschrumpft, seine Hände und Füße waren ausgedörrt, die langgewordenen Fingernägel hatten sich gekrümmt und waren in die Handfläche gedrungen, auf seinem Kopf aber ragte nur noch ein einziger Haarbusch, und zwar war die Farbe dieser Haare nicht etwa weiß oder gelb, sie spielte auch nicht ins Grünliche, sondern war bläulich, bläulich wie ein Entenei, und dieses Haarbüschel ragte genau in der Mitte seines Schädels, wie der Schopf eines Enterichs.
Erstaunt standen die zwei völlig verschiedenen Menschen voreinander: der eine war ein Gaukler, dessen natürliche Gesichtsfarbe unter der Schminke verborgen lag, der andere ein verblichener Einsiedler. Der langschnäuzige Hund und der buntgefiederte Vogel schauten die beiden an. Und alle schwiegen. Aber Hermius war zu Pamphalon gekommen, nicht um zu schweigen, sondern um mit ihm ein Gespräch zu führen, und zwar noch was für ein großes Gespräch.
Pamphalon kam als erster zu sich.
Er bemerkte nämlich, daß Hermius keinerlei Gepäck mit sich führe, und fragte ihn daher erstaunt:
»Wo sind denn dein Korb und dein Kürbis?«
»Ich führe nichts mit mir,« entgegnete der Einsiedler.
»Dann muß ich Gott dafür danken, daß ich heute etwas da habe, womit ich dich speisen kann.«
»Ich brauche nichts,« unterbrach ihn der Alte, »ich kam nicht zu dir, um bewirtet zu werden. Ich will wissen, wie du es anstellst, Gott wohlgefällig zu sein.«
»Was sagst du da?«
»Wie du es anstellst, Gott wohlgefällig zu sein?«
»Was sagst du da? Was sprichst du, o Greis! Was denn für ein Wohlgefallen könnte Gott an mir nehmen?! Ich darf ja nicht einmal wagen, an so etwas auch nur zu denken.«
»Warum solltest du nicht daran denken dürfen? Ein jeder muß an sein Seelenheil denken. Nichts soll für den Menschen so teuer sein wie sein Seelenheil. Es ist aber nur möglich, seine Seele zu retten, wenn man Gott wohlgefällig ist.«
Pamphalon hörte ihn ruhig an, lächelte ein wenig und entgegnete:
»Ach, Vater, Vater! Wenn du nur wüßtest, wie lächerlich es für mich ist, dich anzuhören. Wahrhaftig, es ist sehr offensichtlich, daß du schon lange aus der Welt geschieden bist.«
»Ja, ich habe mich schon lange aus der Welt fortgemacht; dreißig Jahre ist es her, daß ich nicht mehr unter Menschen weile, allein, wie immer dem auch sei, was ich spreche, ist wahrhaft und stimmt mit den Grundsätzen des Glaubens überein.«
»Ich streite mit dir nicht darüber,« erwiderte Pamphalon; »aber ich sage dir, daß ich ein Mensch bin, der ein sehr unbeständiges Leben führt, denn ich bin meinem Gewerbe nach ein Gaukler; ich kann wenig an Gottesfurcht denken, sondern muß springen und mich krümmen und spielen, mit den Händen muß ich klatschen, mit den Augen zwinkern, die Beine verdrehen und den Kopf schütteln, damit man mir für meine komische Vorstellung etwas schenkt. Wie hätte ich wohl bei einem solchen Leben viel an Gottesfurcht denken können!«
»Warum lässest du denn dieses Leben nicht, um ein besseres zu beginnen?«
»Das, mein wertester Freund, habe ich auch schon bereits versucht.«
»Und der Erfolg?«
»Es geht nicht.«
»So versuch es noch einmal.«
»Es verlohnt sich nicht mehr, es noch einmal zu versuchen.«
»Warum denn?«
»Weil ich mir dieser Tage eine solche Gelegenheit, mein Leben zu verbessern, habe entgehen lassen, wie sie nie wiederkehren wird.«
»Woher weißt du das? Deiner Ansicht nach wird es nie wieder geschehen, allein Gott ist kein Ding unmöglich.«
»Ach nein, ich bitte dich, sprich hierüber lieber nicht mit mir, ich will Gott nicht noch einmal versuchen, da ich es nicht verstehe, von seiner Gnade den rechten Gebrauch zu machen. Ich habe mir selber die Möglichkeit der Rettung genommen, mag es denn jetzt dabei bleiben.«
»Du verzweifelst also?«
»Nein, ich bin durchaus nicht am Verzweifeln, ich bin nichts als ein sorgloser und lustiger Mensch, dem es sogar … völlig überflüssig vorkommt, wenn man mit ihm über den Glauben sprechen will.«
Hermius schüttelte nur den Kopf und fuhr weiter fort:
»Worin besteht eigentlich dein Glauben, o du lustiger und sorgloser Mensch?«
»Ich glaube, daß ich aus meiner eigenen Kraft heraus selber nicht fähig bin, etwas Gutes aus mir zu machen, sollte es aber Ihm, der mich geschaffen hat, gelingen, im Lauf der Zeit etwas Besseres aus mir zu machen, nun, dann ist es eben seine Sache. Er kann ja alle in Erstaunen versetzen.«
»Warum jedoch kümmerst du dich um dich selber so wenig?«
»Wie ist das möglich, daß man dazu zu wenig Zeit haben könnte?«
»Und doch ist es so, ich lebe im Trubel des Alltags, wenn ich mich aber zusammenraffe und an mein Seelenheil zu denken beginne, kommt jedesmal eine Schwermut über mich, und es wird, statt besser zu werden, nur noch immer schlimmer.«
»Du redest törichtes Zeug.«
»Nein, es ist die Wahrheit. Wenn ich über mich nachdenke, dann macht mein schwacher Charakter mich sehr unruhig, und ich muß alles wieder zerstören und aufs neue auf meinen Gauklerstandpunkt zurückkehren.«
»Du bist also ein verlorener Mensch.«
»Das kann sehr leicht möglich sein.«
»Und ich denke wahrlich, daß du gar nicht der Pamphalon bist, den ich brauche.«
»Hierauf kann ich dir nicht antworten,« entgegnete der Gaukler; »aber mir will scheinen, daß ich für diese Stunde, da ich so glücklich bin, deiner Notdurft, o Wanderer, dienen zu können, dennoch vielleicht gerade der Pamphalon bin, den du brauchen kannst, und was dir weiter von Nutzen sein wird, darüber wollen wir morgen nachdenken. Jetzt jedoch will ich deine Füße waschen, du aber iß derweilen, was ich dir vorsetzen kann, und leg dich dann schlafen, während ich meiner Beschäftigung als Gaukler nachgehe.«
»Ich brauche nichts, als dein Gespräch.«
»Gespräch!« rief Pamphalon wieder.
»Ja, wahrlich, ich brauche nur dein Gespräch, deswegen bin ich gekommen und werde jetzt nicht mehr von dir weichen.«
Pamphalon blickte den Alten an, er berührte seinen blauen Haarschopf und mußte plötzlich lachen.
»Was denn, du spaßhafter Gesell, kommt dir in meinen Worten so komisch vor?« fragte Hermius.
Pamphalon indessen entgegnete:
»Verzeihe mir meine Tollheit. Ich brach in das Gelächter nur aus, weil es meine Gewohnheit ist, immer Späße zu machen. Du sagtest, daß du nicht von mir weichen wolltest, und da mußte ich denken, daß es mir sogar von Nutzen sein könnte, dich zu ergreifen und in der Stadt herumzuführen. Es könnte für mich sehr einträglich sein, dich durch Damaskus zu führen und zur Schau zu stellen; – ein jeder würde kommen, dich anzuschauen; aber nun schäme ich mich, daß ich also von dir dachte, und darum bitte ich dich, auch du solltest dich schämen, über mich zu lachen.«
»Ich lache über niemand, o Pamphalon.«
»Warum sagtest du dann, du wünschtest mein Gespräch zu deiner Belehrung? Welche Belehrungen könnte denn ich, ein niedriger Gaukler, dir geben, der du zu den Männern gehörst, die die Kraft in sich spüren, im heiligen Schweigen der Wüste über Gott und über die Menschen nachzugrübeln? Der Herr hat es nicht gewollt, daß ich seiner heiligsten Gabe verlustig ginge, den Verstand habe ich noch nicht verloren, und somit kenne ich den Unterschied zwischen dir und mir. Also kränke mich nicht länger, o Greis, sondern gestatte mir, deine Füße zu waschen, und ruhe danach hier auf meinem Bette aus.«
»Gut denn,« entgegnete Hermius; »du bist der Herr in deinem Hause, tue denn, was du für richtig hältst.«
Pamphalon trug eine Bütte voll frischen Wassers herbei und wusch die Füße seines Gastes, hierauf gab er ihm zu essen, wobei er sagte:
»Morgen wollen wir weiter sprechen. Jetzt jedoch bitte ich dich nur noch um das eine: reg dich nicht auf, wenn irgendeiner der Angeheiterten etwa an meine Tür klopfen oder etwas gegen die Wand schleudern sollte. Das hat nichts anderes zu bedeuten, als daß irgendwelche Müßiggänger mich zu sich rufen, damit ich sie erheitere.«
»Und du, stehst du dann auf und gehst?«
»Freilich gehe ich, um welche Zeit es auch immer sei.«
»Und ist es denkbar, daß du überall hingehst?«
»Gewiß geh ich überall hin: ich bin doch ein Gaukler und kann mir den Ort nicht erst aussuchen.«
»Armer Pamphalon!«
»Was tun, mein Vater! Die Weisen und die Philosophen fragen nicht viel nach meinen Fertigkeiten, nur die Müßiggänger haben Verwendung dafür. Ich treibe mich auf den Märkten herum, weile in der Nähe der Rennbahnen, drehe mich auf Festen, besuche die Gärten, die vor der Stadt liegen, aber am häufigsten findet man mich nachts in den Häusern der lustigen Hetären …«
Als er diese Worte hörte, fing Hermius fast zu weinen an und rief noch kläglicher:
»Armer Pamphalon!«
»Daran ist nichts zu ändern,« erwiderte Pamphalon; »ich bin in der Tat sehr arm. Ich bin ja ein Sohn der Sünde, und genau so, wie ich in Sünden erzeugt wurde, wuchs ich auch mit Sündern heran. Außer meinen Gaukeleien habe ich nie etwas gelernt und mußte in jener Welt leben, weil meine Mutter dort lebte, die mich in Sünden empfangen und geboren hatte. Ich konnte es nicht ertragen, daß meine Mutter, um Brot zu haben, ihre Hand einem fremden Mann hinstrecken mußte, und darum ernährte ich sie denn mit meinen Gaukeleien.«
»Und wo ist deine Mutter jetzt?«
»Ich glaube, daß sie bei Gott ist. Sie ist auf dem gleichen Bette gestorben, auf dem du jetzt liegst.«
»Liebt man dich in Damaskus?«
»Ich weiß nicht genau, was das Wort ›lieben‹ zu bedeuten hat, allein es könnte zutreffen, daß man mich gern hat, denn man wirft mir für meine Späße Geld hin und bewirtet mich an vornehmen Tafeln. Ich trinke für fremde Rechnung teuren Wein und bezahle dafür mit meinen lustigen Einfällen.«
»Du trinkst Wein?«
»O freilich, es besteht kein Zweifel daran, daß ich Wein trinke und sogar liebe, ihn zu trinken. Ohne den ginge es für einen Menschen, der sich in einer lustigen Gesellschaft befindet, nicht gut.«
»Wer hat dich gelehrt, dich in solchen Gesellschaften aufzuhalten?«
»Der Zufall, oder um es dir noch treffender zu sagen, ich kann es deiner Frömmigkeit nicht erklären. Meine Mutter war in ihrer Jugend sehr lustig und schön. Mein Vater war ein vornehmer Mann. Er verstieß mich bald, und von den anderen angesehenen Leuten wollte mich niemand haben, doch nahm mich schließlich ein solcher, wie ich es jetzt bin, ein Gaukler, zu sich, er schlug mich viel und verrenkte meine Knochen, allein ich bin ihm noch heute dafür dankbar, denn er war es, der mich dieses Geschäft betreiben gelehrt hat, und jetzt gibt es keinen, der es besser verstünde, Ringe in die Höhe zu werfen, so daß sie im Fluge zusammentreffen und sich vereinigen; niemand versteht es wie ich, mit der Zunge zu schnalzen und Grimassen zu schneiden, mit den Beinen zu tänzeln, oder den Kopf baumeln zu lassen.«
»Aber ward dir denn dein Gewerbe noch nie zuwider?«
»Das nicht, obwohl es mir zuweilen weniger gefällt, zumal, wenn ich mit anschauen muß, wie die Würdenträger, die eigentlich an das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Völker denken müßten, ihre Zeit bei den Hetären verprassen, oder wenn man blühende Jugend in diese heiteren Häuser bringt; aber da ich in dieser Umgebung aufgewachsen bin, verstehe ich nur auf diese Weise mir mein Brot zu erwerben.«
»Armer, armer Pamphalon! Schau nur, dein Kopf fängt schon an, weiß zu werden, und dennoch mußt du immer noch mit den Händen klatschen und mit den Beinen strampeln und den Kopf bei den ewig verlorenen Buhlerinnen baumeln lassen. In ihrer Gesellschaft wirst wohl auch du selber ins Verderben geraten.«
Pamphalon entgegnete:
»Du sollst mich nicht beklagen, daß ich meine Beine schwingen muß und in den Häusern der Hetären aus und ein gehe. Freilich sind die Hetären Sünderinnen, doch sind sie zuweilen voll Mitleid gegen uns arme und schwache Menschen. Wenn ihre Gäste betrunken sind, pflegen sie selber aufzustehen und bei den Müßiggängern Almosen für uns einzusammeln, und zuweilen bitten sie sogar mit besonderem Nachdruck für uns und scheuen nicht einmal Liebkosungen, um ihr Ziel zu erreichen.«
Pamphalon bemerkte, daß Hermius sich abgewendet hatte, er berührte ihn freundlich an der Schulter und sprach fast ermahnend weiter:
»Glaube mir, ehrwürdiger Greis, das Leben bleibt immer das Leben, und auch in der Brust der Hetären kann häufig das beste Herz schlagen. Viel trauriger ist es, wenn wir zu den Festen geladen werden, die die reichen Leute geben. Dort begegnen wir häufig häßlichen Menschen, die stolz und hochmütig sind, und die wohl nach jedem verlangen, was ihnen Luft schafft, die jedoch ein freies Lachen und Scherzen nicht ausstehen können. Dort wird das gefordert, wovor die Natur des Menschen schamhaft zurückschaudert, dort wird man mit Schlägen bedroht und wohl auch mit Verwundungen, dort wird mein buntgefiederter Vogel gezaust und dort ist es, wo man meinem Hund Akra in die Nase bläst und wohl auch spuckt. Dort werden Kränkungen, die man dem Geringeren zufügt, für nichts gehalten, am Morgen aber … am Morgen darauf geht man zum Gebet, um auf die Mitmenschen Eindruck zu machen.«
»O Jammer! o Jammer!« flüsterte Hermius; »ich sehe, er ist noch immer weit davon entfernt, klar zu erkennen, was ihn beschmutzt; sein Geist jedoch und seine Natur scheinen nicht schlecht zu sein … Augenscheinlich bin ich deswegen zu ihm gesendet worden, um seine begabte Seele auf einen anderen Pfad zu führen.«
Und wandte sich darauf ohne das Feuer der Begeisterung zu jenem:
»Pamphalon, laß dein ekelhaftes Gewerbe fahren.«
Jener aber entgegnete ihm ruhig:
»Ich tät es gern, allein ich kann es nicht.«
»Erheb dein Wort zum Herrn, und Er wird dir helfen.«
Pamphalon erbebte und antwortete mit leiser Stimme:
»Das Wort … warum liesest du in meiner Seele, was ich nur zu gerne vergessen möchte!«
»Aha! du hast offenbar bereits ein Versprechen gegeben und es wieder gebrochen?«
»Ja, du hast es erraten: ich habe diese Übeltat begangen und mein Versprechen verpfändet.«
»Warum nennst du ein Gelübde eine Übeltat?«
»Weil es den Christen verboten ist, zu schwören und zu geloben, und weil ich, wie schlecht ich auch sei, immerhin ein Christ bin, – und dennoch habe ich ein Gelübde geleistet und es kurz darauf gebrochen. Jetzt freilich weiß ich es besser, ich weiß, daß es für den schwachen Menschen unmöglich ist, dem Allmächtigen zu geloben, denn Er hat ihn dazu auserkoren, das zu sein, was er ist, und Er knetet ihn, wie der Töpfer seinen Ton auf seinem Rundholz knetet. Ja, höre denn, mein Alterchen, höre es nur, ich hatte die Möglichkeit, der Gaukelei zu entsagen, und habe ihr dennoch nicht entsagt.«
»Warum nur hast du ihr nicht entsagt?«
»Ich konnte es nicht.«
»Was ist das für eine Antwort, die du beständig im Munde führst: immer sagst du, du konntest nicht! Also wieso konntest du und konntest wieder nicht?«
»Freilich konnte ich und konnte doch wieder nicht, weil ich … weil ich nachlässig bin, – ich kann nicht an meine Seele denken, wenn ich weiß, daß noch jemand da ist, dem geholfen werden muß.«
Der Alte richtete sich, als er dieses hörte, auf seinem Lager auf und rief, indem er den Gaukler starr ansah:
»Was hast du da gesagt?! Du hältst es für nichts, deine eigene Seele auf alle Ewigkeit ins Verderben geraten zu lassen, wenn du in diesem flüchtigen Dasein etwas für einen anderen tun kannst! Weißt du denn nichts von den verzehrenden Flammen der Hölle oder von der Tiefe der ewigen Nacht?«
Der Gaukler aber lächelte nur kurz und erwiderte:
»Nein, ich weiß allerdings nichts von alledem. Und wie vermöchte ich auch irgend etwas vom Leben der Verstorbenen zu wissen, da ich ja nicht einmal alles vom Leben der Lebendigen weiß? Und du, Greis, weißt du denn etwas vom Tartarus?«
»Gewiß!«
»Und doch gewahre ich, daß du vieles von dem, was es auf der Welt gibt, noch nicht kennst. Das kommt mir sonderbar vor. Ich sagte dir vorhin, daß ich ein nichtsnutziger Mensch sei, du aber wolltest mir nicht glauben. Nun wirst du mir gestatten, dir nicht zu glauben, daß du so viel von den Verstorbenen weißt.«
»Unglückseliger! ja hast denn du überhaupt einen rechten Begriff von der Gottheit selber?«
»Ich habe ihn; es ist allerdings nur ein sehr geringer Begriff, aber ich erwarte mir hierfür kein zu strenges Urteil, denn schließlich wuchs ich doch in keiner wohlgeborenen Familie auf und habe nicht die Möglichkeit gehabt, in Byzanz die Vorträge der Scholastiker zu hören.«
»Man kann Gott erfassen und Ihm dienen ohne die tiefe Wissenschaft der Scholastiker!«
»Ich bin ganz deiner Ansicht und habe in meinem Geiste immer mit Gott gesprochen: ›Du bist der Schöpfer, ich bin Dein Geschöpf, es ist nicht meines Amtes, Dich verstehen zu wollen; Du hast mich in diesen ledernen Sack gesteckt und mich auf die Erde geschickt, damit ich hier mein Werk verrichte, und so krieche ich denn auf der Erde und mühe mich ab. Ob ich auch manchmal wissen möchte, warum das alles so und nicht anders erschaffen und bestimmt ist, so will ich doch nicht die Rolle des müßigen Sklaven spielen und mit Dir über alles rechten. Ich will Dir einfach gehorsam sein und nicht erst lange darüber nachgrübeln, was Du wohl gedacht haben magst, sondern will einfach das tun und befolgen, was Dein Finger in mein Herz geritzt hat! Und sollte ich es übel verrichten, so verzeihe mir Du, denn Du warst es ja, der mich mit diesem mitleidigen Herzen erschaffen hat. Darum muß ich denn auch mit ihm mein Leben leben.‹«
»Und du hoffst wirklich, dich hiermit rechtfertigen zu können?«
»Ich hoffe auf nichts, aber andrerseits fürchte ich mich auch vor nichts.«
»Wie! dann fürchtest du wohl auch Gott nicht?!«
Pamphalon zuckte nur mit den Achseln und entgegnete:
»Ja, wahrlich, ich fürchte Ihn nicht: ich liebe Ihn.«
»Es wäre besser, du zittertest vor Ihm!«
»Warum? Zitterst du etwa vor Ihm?«
»Ich zitterte.«
»Und jetzt nicht mehr?«
»Ich bin nicht mehr derselbe, der ich vormals war.«
»Gewiß bist du besser geworden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das hast du gut gesagt. Denn nur derjenige, der zuschaut, kann es wissen, nicht aber der, der sein Werk verrichtet. Denn jener, der sein Werk tut, kann sich selber dabei nicht beobachten.«
»Sage mir, hast du dich irgendeinmal bereits besonders wohl gefühlt?«
Pamphalon schwieg.
»Ich flehe dich an, mir zu antworten,« wiederholte Hermius, »ob du dich irgendeinmal besonders wohl gefühlt hast?«
»Ja,« entgegnete der Gaukler, »ich habe es.«
»Und wann war das?«
»Stell dir bitte vor, es geschah genau in der gleichen Stunde, als ich mich von Ihm entfernte …«
»Mein Gott! was spricht dieser Wahnsinnige da?«
»Ich spreche nichts, als die lautere Wahrheit.«
»Wodurch aber und wie hast du dich von Gott getrennt?«
»Ich tat es einem einzigen Seufzer zuliebe.«
»So sage mir doch, was du getan hast?«
Pamphalon wollte antworten und jenem erzählen, was ihm zugestoßen war, allein im gleichen Augenblick wurde der Vorhang, der vor der Türe hing, von zwei jungen gebräunten Frauenarmen, an denen Armbänder klirrten, zurückgeschlagen, und zwei helle Frauenstimmen drangen so schnell herein, als wollte eine der anderen zuvorkommen:
»Pamphalon, du lachenerzeugender Pamphalon! steh schneller auf und komm mit uns. Wir liefen im Finstern von unserer Hetäre, so schnell wir konnten, zu dir … Komm schneller: unsere Grotte und unsere Alleen sind voll von reichen Gästen aus Korinth. Nimm die Reifen mit dir und die Saiten und Akra und den Vogel. Du kannst heute nacht viel mit deinem Lachen verdienen und wirst deinen großen Verlust, wenn auch nur zu einem geringen Teile, wieder ersetzen.«
Hermius blickte die Weiber an, – und ihre glänzende warme Haut, ihre halbgeöffneten Münder, ihre matten Augen, deren Blick sich unbestimmt in den Raum verlor, die völlige Gedankenlosigkeit ihrer Gesichter und der Duft ihrer leidenschaftlichen Leiber verwirrten ihn. Dem Einsiedler war, als könnte er sogar das dumpfe Murmeln des Blutes in ihren Adern vernehmen und in einiger Entfernung Hufestampfen und Schnauben und den Geruch des strengen Schweißes Silens.
Hermius bebte vor Furcht, drehte sich zur Wand und verbarg sein Gesicht mit der Matte.
Pamphalon aber flüsterte leise, indem er sich in der Richtung zu ihm bückte:
»Da siehst du nun, ob ich Zeit habe, mit dir über erhabene Dinge zu reden!« Gleich darauf jedoch wurde der Ton seiner Stimme laut und lustig und er entgegnete den Frauen:
»Gleich, gleich komme ich zu euch hinaus, ihr meine Schlänglein vom Nil.«
Pamphalon pfiff seinem Hunde Akra, ergriff die Stange, an welcher der Reifen hing, in dem der bunte Vogel saß, und ging, nachdem er noch einige seiner Gauklergerätschaften ergriffen, fort und löschte die Lampe aus.
Hermius blieb in der leeren Behausung allein zurück.
Hermius konnte lange nicht einschlafen. Er grübelte tief darüber nach, wie wohl sein Verstand diese beiden Dinge miteinander vereinigen könnte: jenes eine, weswegen er hierhergekommen, mit jenem anderen, das er hier angetroffen. Das eine freilich hatte er sogleich erkannt, nämlich, daß der Gaukler ein gutes Herz habe, doch war er nicht dennoch ein außerordentlich leichtfertiger Mensch? Ein Spaßvogel war er, mit den Händen klatschte er, mit den Beinen tänzelte er und wackelte mit dem Kopf, und wollte trotzdem nicht von dieser teuflischen Lust lassen. Ja, und war es ihm überhaupt noch möglich, davon zu lassen, nachdem er schon so tief im lockeren Leben versunken war? Dort, zum Beispiel, wo er sich jetzt eben aufhielt, nachdem er diesen sittenlosen Weibern gefolgt war, deren Spur noch immer wie ein dumpfes Raunen des Blutes und wie ein Hauch des leidenschaftlichen Schweißes Silens in der Luft hing?
Wenn das ihre Boten waren, wie mußte jene erst beschaffen sein, der in dem lasterhaften Hause alles diente! …
Der Einsiedler erschauerte.
Und mußte er darum nach dreißig Jahren des Ausharrens von seiner Säule klettern und so viele Tage hindurch von entsetzlicher Mattigkeit geplagt wandern, um endlich anzukommen und in Damaskus nichts anderes zu gewahren … nichts anderes, als die gleiche dunkle Unzucht der Sünde, vor der er bereits aus Byzanz geflohen war? Nein, wahrhaftig, kein Engel Gottes hatte ihn hierhergeschickt, sondern ein Dämon der Versuchung! Daran war nicht mehr zu zweifeln, mithin blieb nichts anderes mehr übrig, als sogleich aufzustehen und zu fliehen.
Schwer kam es dem Alten an, sich aufzurichten, erschöpft waren seine Beine, denn weit war der Weg gewesen und so heiß die Wüste und voll von Gefahren; aber trotzdem will er seinen Körper nicht schonen … er erhebt sich, er irrt im Dunkeln durch die Abgründe von Damaskus und durchirrt sie. Lieder und trunkener Becherklang schallt aus den Häusern, die leidenschaftlichen Seufzer der Nymphen und Silen selber stemmen sich gegen ihn wie die Wellen einer Brandung; aber ungewöhnliche Kraft und Lebendigkeit ist seinen Beinen gegeben. Er eilt, er läuft, schon sieht er seine Klippe, er klammert sich an ihre steinigen Rippen, und schon will er in seine Höhle klettern, da reißt ihn eine furchtbare starke Hand an den Beinen hinunter und stellt ihn auf die Erde, und eine unsichtbare Stimme ruft ihm drohend zu:
»Nicht sollst du von Pamphalon weichen, bitte ihn, dir zu erzählen, wie er das Werk seiner Rettung vollbracht.«
Kaum waren diese Worte verhallt, da wurde Hermius zurückgewirbelt, so daß ihm im Sturm fast Hören und Sehen verging; als er aber die Augen aufschlug, sah er, daß es Tag war und daß er sich aufs neue in Pamphalons Behausung befand; der Gaukler lag daneben, er hatte sich auf den nackten Fußboden gebettet und schlief, und sein Hund und der buntgefiederte Vogel träumten ebenfalls …
Neben Hermius' Kopfkissen standen zwei Tongefäße – in dem einen war Wasser, im anderen Milch –, und lagen auf frischen grünen Blättern ausgebreitet weicher Ziegenkäse und saftige Früchte.
Am Abend zuvor war nichts dergleichen in der Wohnung gewesen.
Das bedeutete, daß der Einsiedler sehr fest geschlafen hatte, allein daß sein müder Hauswirt sich nicht bei seiner Heimkehr schlafen gelegt, sondern sich zuvor um das Wohlbefinden seines Gastes bemüht hatte.
Der Gaukler hatte dem Gast alles hingestellt –, was er erlangt hatte, damit sein Gast sich, wenn er morgens frühzeitig aufstünde, stärken könnte …
Weder Käse noch Früchte hatte es am Abend zuvor bei Pamphalon gegeben, und so war es augenscheinlich, daß er alles das dort bekommen, wo er die Nacht zugebracht und die Müßiggänger bei den Hetären belustigt hatte.
Und er nahm dieses Almosen der Hetären und brachte es dem fremden Wanderer.
Ein Sonderling ist mein Gastfreund, dachte Hermius, erhob sich von seinem Bett und trat dicht an Pamphalon heran, um in sein Gesicht zu schauen, und konnte sich an ihm nicht sattschauen. Gestern abend hatte er Pamphalon beim Schein der Lampe erblickt und zwar in einem Augenblick, da jener schon völlig vorbereitet war, sich zu seinem Gaukelspiel zu begeben, mit Löckchen im Haar und einem Gesicht, ganz verschmiert von Farben, jetzt jedoch sah er den Gaukler, nachdem dieser sich die Farben vom Gesicht gewaschen, schlafen, und wie sanft und schön war dieses Antlitz. Hermius wollte fast glauben, daß es gar kein Mensch wäre, den er dort sähe, sondern ein Engel.
»Jenun!« dachte Hermius; »leicht möglich, daß ich dennoch nicht getäuscht worden bin: leicht möglich, daß es keine Versuchung war, in die ich fiel, sondern daß der da wahrhaftig jener Pamphalon ist, vollkommener als ich es bin, von dem ich lernen soll. Allein, mein Gott! Wie soll ich das wohl in Erfahrung bringen? Wie soll ich diese Zweifel lösen?«
Der alte Mann begann zu weinen, er kniete vor dem Gaukler hin, umarmte sein Haupt und begann unter Tränen ihn beim Namen zu rufen.
Pamphalon erwachte und fragte:
»Was willst du von mir, mein Vater?«
Jedoch als er gewahr wurde, daß der Greis weinte, fuhr Pamphalon erregt in die Höhe, stand eilfertig auf und fragte weiter:
»Wie kommt es, daß ich Tränen auf deinem greisen Antlitz sehe? Hat dich am Ende irgend jemand gekränkt?«
Hermius entgegnete:
»Niemand hat mich gekränkt, niemand außer dir, denn ich kam zu dir aus meiner Wüste, um von dir etwas zu hören, das mir nützlich sein könnte, du aber willst mir nicht mitteilen, wodurch es dir gelungen ist, Gott wohlgefällig zu werden; verbirg dich nicht länger und quäle mich nicht mehr: ich sehe zwar sehr wohl, daß du inmitten des eitlen Leben lebst, allein ich habe von dir ein Gesicht gehabt, daß du Gott wohlgefällig wärest.«
Pamphalon war ganz in Gedanken, schließlich aber erwiderte er:
»Glaube mir, Vater, es gibt nichts in meinem Leben, das mir zum Lobe gereichen könnte, denn im Gegenteil, es ist alles sehr übel.«
»Wie leicht kann es sein, daß du selber nichts davon weißt?«
»Wie sollte ich das nicht wissen! Ich weiß sehr wohl, daß ich, wie du selber gesehen hast, inmitten des eitelsten Daseins lebe, und habe zu alledem ein so törichtes Herz, das mir nicht leicht erlauben will, mich auf eine höhere Stufe zu erheben.«
»So erzähle mir zum mindesten etwas hierüber: erzähle mir, welchen Schaden dir dein Herz gemacht und wieso es dir nicht erlaubt, dich auf eine höhere Stufe zu erheben? Und erzähle, wie das kam, daß du ein solches Wohlgefühl hattest, trotzdem du eine schlechte Handlung begingst?«
»Aha! das kannst du hören,« entgegnete Pamphalon; »wenn du es schon so unweigerlich verlangst, so will ich dir die Begebenheit erzählen, doch fürchte ich, daß du, wenn meine Erzählung zu Ende ist, sicherlich kein Verlangen mehr tragen wirst, zu mir zurückzukehren. Darum meine ich, wir machen uns am besten auf und gehen ein wenig vor die Stadt ins Feld: dort im Freien will ich dir den Vorfall schildern, der mir die Hoffnung, daß ich mich jemals bessern könnte, so völlig genommen hat.«
»Laß uns um Gottes willen schneller gehen,« antwortete Hermius und hüllte sich mit seinen schon ziemlich morschen Lumpen zu.
So gingen denn die beiden vor die Stadt und nahmen am Abhang eines wilden abschüssigen Grabens Platz, Akra lag zu ihren Füßen, und alsbald begann Pamphalon zu erzählen.
»Um nichts in der Welt hätte ich dir das erzählt, worum du mich bittest,« begann Pamphalon. »Allein da du mich unbedingt für einen guten Menschen ansehen willst und ich mich dessen schäme, da ich es nicht wert bin und nichts als einzig Verachtung verdiene, so will ich dir meine Geschichte erzählen. Ein großer Sünder bin ich und bin ein Zecher, allein, was noch schlimmer ist, ich bin auch ein Betrüger, kein gewöhnlicher Betrüger, ich habe Gott um ein Gelübde, das ich ihm gab, betrogen, und zwar zu einem Zeitpunkt betrogen, da mir auf eine völlig unverhoffte Weise die Möglichkeit gegeben ward, dieses Gelübde zu erfüllen. Ich bitte dich, höre mich an und richte mich mit aller Strenge. Ich wünschte, daß dein Urteil mir die heilsame Wunde zufügen möchte, die ich als Strafe verdient habe.
Den Schmutz meines Gauklerdaseins hast du mitangesehen und kannst darum alles weitere leicht verstehen. Ich bin ganz und gar schmutzig und schlecht. Ich sprach die lautere Wahrheit, als ich dir sagte, daß ich zu ungebildet sei, um meine Betrachtungen über das Göttliche anstellen zu können, außerdem ist mein Lebenswandel derart, daß mir so hohe Gedanken nur selten kommen; du aber bist scharfsinnig – und hast es erraten, daß es Stunden gab, da auch ich an mein Seelenheil dachte. Nachts tanzt man, um die Trunkenbolde zu erheitern; wenn man jedoch in der Morgenfrühe nach Haus kehrt, denkt man darüber nach, ob es sich wirklich verlohne, so zu leben. Man sündigt, um seinen Unterhalt zu finden, und nährt sich, um wiederum weiter zu sündigen. In diesem Zirkel geht es hin. Da jedoch die menschliche Natur listig ist, o Vater, sucht sie in jeder Lage, in der sie sich befindet, nach einem Feigenblatt, um ihre Blöße zu bedecken. Also bin auch ich; auch ich habe gelegentlich über mich nachgedacht, wie tief ich vor Not in Sünden stäke, und daß mir das, was ich erlange, kaum hinreiche, um mich durchzubringen; wenn ich mit einem Schlage, dachte ich, einmal soviel Geld bekäme, um mir das kleinste Feld damit zu kaufen, auf dem ich arbeiten könnte, augenblicks wollte ich dann meine ganze Gaukelkunst lassen und ein Leben beginnen, wie es alle ehrlichen Leute führen. Allein es wollte mir nicht gelingen, und nicht etwa, weil ich niemals Geld gehabt hatte, es kam schon hie und da vor, daß ich Geld hatte, aber dann geschah regelmäßig etwas, das mich verhinderte, so viel zu sparen, wieviel ich brauchte, und meist verschwendete ich alles, was ich hatte; des öfteren war jemand in Not geraten und tat mir leid, und so verlor ich immer alles, was ich besaß. Wäre es mir geglückt, auf einen Schlag soviel Geld in die Hand zu bekommen, wieviel ich benötigte, ich hätte sicherlich mein Gauklergewerbe gelassen und wäre ehrlich geworden; nach und nach jedoch Flicken an Flicken zu nähen, verstehe ich nicht. Warum nur hat Gott mich so geschaffen? Wenn er aber mit seiner freigebigen Hand mir einmal gründlich helfen wollte, – nun, dann würde ich mich auch recht zusammennehmen und auf die rechte Weise zu leben beginnen, wie es die anderen guten Menschen tun, die von den Mönchen geehrt werden und von den Klerikern und allen, die einmal das Himmelreich für sich in Anspruch nehmen dürfen.
Jedoch, was glaubst du wohl! plötzlich traf es ein, als hätte mein Wort es herbeigerufen: plötzlich ergab sich eine so erstaunliche Begebenheit für mich, an die, wie mir scheint, sogar zu denken für mich völlig ausgeschlossen war. Höre mich aufmerksam an und richte mich streng.
Einmal in meinem Leben geschah folgendes:
Ich wurde gerufen, die Gäste einer hier am Ort lebenden Hetäre Asella zu belustigen. Sie ist nicht mehr jung, doch hat ihre Schönheit die Jahre überdauert, und so kommt es, daß Asella schöner ist als alle anderen hier, aber auch prunkvoller und klüger. Sie hatte viele Gäste, Ausländer aus Rom und prahlerische Reiche aus Korinth. Alle tranken Wein und veranlaßten mich, unablässig ihnen vorzuspielen und zu singen. Einige wollten auch, daß ich sie zum Lachen brächte, und ich erfüllte nach Möglichkeit den Wunsch eines jeden. Als ich schließlich müde wurde, beachteten sie es nicht, sondern lachten mich auf eine kränkende Weise aus, stießen mich, tränkten mich gewaltsam mit Wein, in den sie etwas Unangenehmes gestreut hatten, begossen mich und ärgerten meinen armen Hund Akra. Sie zwickten ihn in die Beine und spuckten ihm in die Nase, und wenn Akra knurrte, dann schlugen sie ihn und drohten sogar, ihn zu erschlagen; dennoch trug ich das alles ruhig, um nur möglichst viel Geld von ihnen zu bekommen, denn ich muß dir sagen, daß ich damals eine Sorge hatte, ein verkrüppelter Soldat war da, den ich gerne in seine Heimat zurückschicken wollte. Die kluge Hetäre Asella jedoch wendete, als sie bemerkte, wie ich beleidigt wurde, alles zu meinen Gunsten: sie breitete ihre Tunika aus und veranlaßte alle, einiges Geld für mich hineinzuwerfen; in ihrer Trunkenheit warfen die Gäste viel Geld hinein, zumal ein hochmütiger und fetter Korinther, Horus mit Namen, der keinen Hals hatte, dafür jedoch einen aufgeblähten Bauch. Er sagte laut:
»Zeig doch mal, Asella, ob man dir viel Gold in deine Tunika gelegt hat?«
Sie wies ihm die Tunika.
Horus schaute auf, blickte die Römer an, wobei ein hochmütiges Lächeln sein Gesicht verzog, und fügte hinzu:
»Hör mal, was ich dir sagen werde, Asella: jag mal augenblicks alle die Gäste da hinaus und laß dir dafür von meinem Diener zehnmal mehr Gold geben, als man dir dort in deine Tunika für deinen Gaukler hineingetan hat.«
Sogleich wendete sich Asella ihren Gästen zu:
»Oh, ihr weisen Leute: nicht oft geschieht es, daß Fortuna zu den Sterblichen heruntersteigt, zu Pamphalon aber ist sie während seines ganzen Lebens noch nie gekommen. Gebt ihr denn jetzt Platz und gehet selber friedlich schlafen.«
Die unzufriedenen Gäste gingen, doch als Asella mich als den letzten zur Türe brachte, gab sie mir einen solchen Haufen Geld, daß ich ihn gar nicht zählen konnte; erst morgens, als ich nachzuzählen begann, stellte ich fest, daß es zweihundertunddreißig Goldstücke waren. Ich freute mich unsäglich, gleichzeitig aber erschrak ich darüber.
Jetzt ist die Gelegenheit da, dachte ich, und nun brauche ich nicht mehr mich mit Gauklerpossen abzugeben. Es ist, als hätte Gott mein Gelübde erhört. Soviel Geld auf einen Schlag hatte ich noch nie beisammen. Jetzt habe ich es satt, mich von allen beleidigen und auslachen zu lassen. Jetzt bin ich kein Bettler mehr. Um dieses Geld zu erlangen, habe ich gestern große Kränkungen ertragen, aber das soll fürder nicht mehr geschehen. Ein Ende dem Gauklertum! Ich will gehen, mir ein kleines Feld suchen, in dem ein Quell reinen Wassers springt und auf dem eine vielblättrige Palme wächst. Dieses Feld will ich kaufen und in Ehren leben, wie die anderen Menschen es tun, deren Bekanntschaft weder die Mönche, noch der Klerus scheuen.
Und gab mich den verschiedenartigsten Träumereien hin; ich spielte mit dem Gedanken, wie schön es sein würde, ein ehrliches Leben zu führen: früh am Morgen würde ich aufstehen, nicht wie jetzt, da ich mich erst am Morgen zur Ruhe begebe; ich würde nie wieder pfeifen, sondern Psalmen singen; tags würde ich in meinem Weinberg arbeiten, abends mich an meinen Quell unter meine Palme setzen und hätte dann genügend Muße, über meine Seele nachzudenken, und könnte Ausschau nach verspäteten und müden Wanderern halten. Und wenn dann ein solcher Wanderer käme, erheben würde ich mich und ihm entgegeneilen, einladen würde ich ihn zu mir, in mein Haus würde ich ihn führen, ihn beschwichtigen und speisen, um dann endlich in der Stille unter dem Sternenhimmel mit ihm ein Gespräch über Gott zu führen. So würde sich auch mein Leben zum Besseren wenden, und ich brauchte auf meine alten Tage, da meine Kräfte nachlassen, kein Gaukler mehr zu sein. Und damit mein Entschluß noch kräftiger würde und keine Schwäche, welcher Art sie auch sei, mich wieder zu überwältigen vermöchte, fesselte ich mir die Hände mit einer unzerreißbaren Kette … Ich tat ebendas, wovon ich dir bereits sprach, ich gelobte, von jetzt ab ein anderer Mensch zu werden. Doch höre, was darauf geschah und wieso es kam, daß ich weder meinem Gelübde, noch meinem Versprechen treu zu bleiben vermochte.
Um nichts von meinem Vermögen zu verschwenden, verzichtete ich auf meine Absicht, jenen verkrüppelten Krieger nach Hause zu schicken, sondern verscharrte mein Gold in die Erde unter meinem Kopfkissen und machte morgens meine Türmatte nicht auf. Ich stellte mich krank und lehnte es jedesmal ab, zu den Zechern auf eines der ausgelassenen Feste zu gehen. Allen, die mich holen wollten, entgegnete ich, ich sei krank und würde vermutlich auf einige Zeit die Stadt verlassen, da ich in die Berge gehen wolle, um dort frische Luft zu atmen und heilsame Kräuter gegen meine Krankheit zu suchen. Ich begab mich jedoch in aller Stille zum Juden Kapiton, dem Vermittler, der alles weiß, wo und was zu verkaufen ist, und bat ihn, mir ein hübsches Feld mit Wasser und Palmenschatten zu verschaffen. Kapiton als Vermittler hatte sogleich eine erfreuliche Nachricht für mich.
»Ich habe«, meinte er, »gerade so etwas, wie du es zu brauchen scheinst.«
Und schilderte mir ein zum Verkauf gestelltes Feld so vortrefflich, wie ich es nie zu denken gewagt hätte. Dort gab es nicht nur eine Quelle und eine Palme, es gab dort sogar auch einen Balsamstrauch, dessen Duft den ganzen Umkreis erfüllte.
»Geh denn,« rief ich, »und kauf mir schneller dieses Feld.«
Der Jude versprach mir, es zu tun.
Und nun, dachte ich, nun beginnt das Ende meines unordentlichen Lebens, jetzt ist es aus mit all meinen Schreien und Pfiffen, die lächerlichen Gewänder tu ich jetzt ab und ziehe ein gesetztes Gewand an, ein Tuch soll meinen Kopf bedecken, tags will ich auf meinem Felde arbeiten, abends aber werde ich vor meinem Zelt sitzen und Abrahams Gastfreundschaft nachahmen.
Und doch verhehlte ich mir nicht, daß ich die ganze Zeit über eine gewisse Unruhe verspürte. Denn es wollte mir immer scheinen, daß nichts von all dem, was ich mir vorgenommen, eintreffen würde.
Als ich von Kapiton heimkehrte, hatte ich sogar Angst: ob nicht am Ende jemand erfahren, daß ich so viel Geld von dem stolzen Korinther erhalten, und war nicht gar jemand in meiner Abwesenheit gekommen und hatte das Geld von dem Platze, wo ich es unter meinem Bett verscharrt, weggenommen? … Ich lief in einer Aufregung, die ich noch nie zuvor verspürt, nach Hause und warf mich, kaum daß ich heimgekehrt war, auf den Fußboden, um das Versteckte wieder auszuscharren; ich zählte das Geld, allein die zweihundertunddreißig Goldstücke, die mir der stolze Korinther Horus hingeworfen hatte, waren vollzählig da, und somit verscharrte ich sie denn aufs neue und streckte mich selber wie ein Hund über der Stelle aus.
Willst du vielleicht wissen, wen ich fürchtete? Nicht einzig und allein jene Diebe fürchtete ich, die von Haus zu Haus schleichen und stehlen, ich fürchtete auch den Dieb, der in meinem eigenen Herzen ewig mit mir lebte. Von keinem Ungemach wollte ich mehr hören, um nicht meine Festigkeit zu verlieren, denn sie ist mehr als alles dem Menschen vonnöten, der den Pfad seines eigenen Lebens verbessern will, ohne acht darauf zu geben, was in der Welt mit den anderen Menschen geschieht. Ich lebte mich in den Gedanken hinein, daß ich an ihrem Unglück nicht schuld wäre.
Da mein Gang zu Kapiton und der Rückweg mich müde gemacht hatten, wurde ich bald schläfrig, doch auch mein Schlaf war voll von Unruhe: ich sah im Traume, daß ich schon längst das von Kapiton geschilderte Feld gekauft hätte, und sah mich in einem hellen Häuschen leben, nebenan murmelte eine Quelle voll frischen Wassers, der Balsambusch verschwendete seinen reichen Wohlgeruch und eine schöne Palme spendete kühlenden Schatten. Und doch war in all dieser Schönheit immer etwas, das sie verdarb: in der Quelle sah ich eine Unzahl von Blutegeln, um die Palme herum hüpften riesige Kröten, unter dem Balsambusch aber ringelte sich eine abscheuliche Schlange. Und als ich diese Schlange sah, erschrak ich so sehr, daß ich stracks aufwachte und mir als erstes der Gedanke kam, ob wohl auch mein Geld noch da sei? Es war da, ich lag ja darauf und niemand hätte es mir nehmen können, ohne Gewalt anzuwenden. Und da kam mir auch schon der Gedanke, daß sicherlich der Reichtum, den mir Horus im Hause der Asella zugeschleudert, längst kein Geheimnis für Damaskus mehr sei. Nicht zu dem Zwecke hatte mir der stolze Korinther Horus das Geld auf dem Fest bei der Hetäre hingeworfen, damit alles geheim bliebe. Er hatte es natürlich nur aus dem Grunde getan, damit ihn alle seines Reichtums wegen beneiden sollten, damit ein Gerücht verbreitet wurde, das für seine Eitelkeit schmeichelhaft wäre. Darum war anzunehmen, daß jetzt alle Leute wüßten, daß ich Geld hätte, und nachts würden sie zu mir kommen und mich berauben und mich zu Boden schlagen, und wenn ich es wagen wollte, mich ihnen zu widersetzen, würden sie mich wohl gar erschlagen.
Da meine Vorhangmatte noch immer herabgelassen blieb, wurde es in meinem Raume bald unerträglich heiß, und ich dachte bereits daran, die Matte aufzuheben, als ich sah, wie zwei kleine Burschen auf der Straße mit Körben, die voll Brotes waren, zogen, vor ihnen ein Esel, der ebenfalls mit Körben bepackt war, in denen sich Brot befand. Die Burschen trieben den Esel und plauderten miteinander … und zwar plauderten sie über mich!
»Da schau mal,« meinte der eine; »unser Pamphalon hebt heuer seine Matte gar nicht mehr auf.«
»Wozu sollte er sie auch aufmachen,« erwiderte der andere; »er hat es nicht mehr nötig, Possen zu reißen; er ist ein reicher Mann geworden – er kann jetzt schlafen, so lang es ihm beliebt. Ich meine, du hast doch gehört, was alle heute erzählten, die zu uns in die Bäckerei kamen, um Brot zu holen?«
»Freilich, freilich, ich hörte so eifrig zu, daß der Hausherr mir dafür eine Maulschelle mit der ganzen Handfläche verabreichte. Irgendein Prahler aus Korinth schmiß, um unsere Reichen aus Damaskus zu erniedrigen, bei der Hetäre Asella dem Pamphalon mir nichts dir nichts zehntausend Goldstücke hin. Und jetzt wird er sich ein Haus kaufen und Gärten und Sklavinnen, und kann den ganzen Tag lang am Springbrunnen liegen.«
»Nicht zehn, nein, zwanzigtausend Goldstücke waren es,« verbesserte ihn der andere; »und das Geld war außerdem in einem Kasten, der mit Perlen nur so übersät war. Er wird sich jetzt sicher ein Stück Land mit einem Palast kaufen und die hübschesten Jungen mit Fächern um sich aufstellen und die gelehrtesten Leute versammeln, um mit ihnen in den verschiedensten Sprachen über den Heiligen Geist zu reden.«
Aus dem Gespräch dieser Knaben, die das Brot austrugen, konnte ich nur zu klar ersehen, daß die Geschichte meiner unverhofften Bereicherung bereits ganz Damaskus bekannt war, zudem wurde auch die Summe, die ich dank der Laune des prahlerischen Horus besaß, weit übertrieben.
Wer konnte freilich auch mit Bestimmtheit sagen, daß die Summe, die mir der stolze Horus zugeworfen, keineswegs aus zwanzigtausend Goldstücken bestand? Denn allerdings wußte nur ich das, da Horus selber ohne Zweifel gar nicht erst nachgezählt hatte, wieviel er mir zuwarf.
Allein wie unwichtig war das alles im Vergleich zu dem, womit die vorübergehenden Burschen ihr Gespräch beendeten. Einer von ihnen fuhr nämlich fort, daß die eine Frage alle Menschen jetzt sehr beschäftige, wohin ich einen solchen Reichtum, wie ihn zwanzigtausend Goldstücke darstellten, getan hätte. Besonders interessiere sich für diese Frage der Flötenspieler Amon, ein verzweifelter Halsabschneider, der vormals in zwei gegeneinander kämpfenden Heeren gleichzeitig Soldat gewesen, hernach jedoch Räuber geworden war, der die gottesfürchtigen Pilger umbrachte, er war eine Zeitlang Mönch in der Nitrischen Wüste und kam schließlich mit einer Flöte und einer schwarzen Buhlerin, die er in das Fell eines nitrischen Wüstenmönches gesteckt hatte, nach Damaskus. Den Mönch hatte er zweifellos erschlagen, die Buhlerin verkaufte er nackt an ein Freudenhaus, das Fell jedoch benutzte er noch lange, um damit den Staub und den Kot von den Füßen der Müßiggänger zu wischen, die sich nachts den Schwellen der Hetären näherten. Er spielte häufig die Flöte, wenn ich meine Vorstellung gab, noch häufiger aber jagten ihn die Hetären hinaus. Amon trug selber die Schuld daran, denn er schminkte sich schamlos die Wangen und malte sich auch die Augenbrauen, als wäre er eine Person des anderen Geschlechtes. Er machte sich hierdurch den Frauen ekelhaft, zumal sie in ihm einen Nebenbuhler zu fürchten begannen. Mich haßte Amon ganz ungewöhnlich. Ich wußte, daß er schon mehrere Male trunkene Leute angestiftet hatte, mich zu überfallen, wenn ich nachts heimginge, und mir Schaden anzutun.
Mithin mußte wohl jetzt der Wunsch, mir ein Böses anzutun, in Amon noch stärker werden, und seine räuberischen Gewohnheiten würden ihm gewiß die Mittel geben, die von ihm geplante Missetat zu vollbringen. Er besaß einiges Gold und konnte sich mithin leicht Leute dingen, die er zwingen konnte, zu tun, was er ihnen befahl.
Der Gedanke an die Gefahr, die mir von seiten Amons drohte, schoß wie ein Blitz durch meinen Kopf und ergriff so stark Besitz von mir, daß es mir unmöglich war, die Matte von meinem Fenster zu tun und die vorübergegangenen Knaben aufzuhalten, obwohl sie es waren, von denen ich täglich mein frisches Brot kaufte.
Als ich noch für Belohnungen, die mir zugeworfen wurden, springen und hüpfen mußte, war ich immer satt und hatte sogar häufig Gelegenheit, Wein zu trinken, wieviel immer ich wollte, jetzt aber, da ich reichlich Geld besaß, verbrachte ich zum erstenmal einen Tag ohne einen Bissen, ja ich hatte nicht einmal einen Schluck Wein, und dazu kam noch die Unruhe, die beständig und schnell anwuchs, so schnell, wie sich hierzulande die Schatten verdichten, die in die dunkle Nacht hinüberführen.
Mir stand der Sinn nicht nach Speise: ich mußte für die Erhaltung meines Reichtums fürchten, aber auch für mein Leben. Vor den Augen meiner verängstigten Seele stand unabänderlich das Bild des Flötenspielers Amon und seiner gedungenen Mörder. Und ich hatte mir sogar ausgedacht, wie er es tun würde: tags war er bestimmt zu all jenen gelaufen, die zu jeder Uebeltat fähig waren wie er, und nun, da die Dämmerung anbrach, saßen sie bestimmt bereits in irgendeiner Höhle oder Schenke versammelt und warteten nur darauf, daß es vollends dunkel würde, dann aber würden sie sich aufmachen, um die zwanzigtausend Goldstücke von mir zu holen. Und sollten sie bei mir nicht soviel finden, wieviel sie annahmen, würden sie mir gewiß nicht glauben, daß mir der Korinther Horus keine solche Summe geschenkt, sondern mich martern und brennen.
Und da erinnerte ich mich zu meinem Entsetzen, daß ich mich niemals um die Festigkeit der Riegel gekümmert hatte, die meine arme Behausung versperrten … Für die Zeit meiner Abwesenheit verschloß ich meine Wohnung eigentlich mehr des Scheines halber, nachts aber schlief ich häufig, ohne meine Türe oder die Fenster auch nur zu schließen.
Das alles taugte jetzt nicht viel, doch da die Zeit vorgerückt war und die Nacht schon nahe herangerückt, mußte ich mich beeilen, alles zu prüfen und die Riegel so schnell als möglich in Ordnung zu bringen, damit es nicht so leicht wäre, bei mir einzubrechen.
Ich überlegte gerade, was ich wohl tun könnte, um meine Türe wenigstens von innen ein wenig zu stützen, und war gerade dabei, etwas zu diesem Zwecke herzurichten, als plötzlich vor meinen eigenen Augen mein Türvorhang beiseite geschoben wurde und eine völlig vermummte menschliche Gestalt nicht etwa hereintrat, sondern wie von fremder starker Hand geschleudert geradezu hereinflog. Die Gestalt fiel vor mir nieder, umschlang meinen Hals und verharrte in dieser Stellung, nachdem sie zuvor mit einer Stimme, aus der alle Verzweiflung sprach, gestöhnt hatte:
Die Gedanken, die mich in dem Augenblick erfüllten und die wegen Amon voll Unruhe waren, da ich mancherlei von ihm zu befürchten hatte, ließen mich im ersten Moment den Verdacht schöpfen, daß dies der Beginn der Ereignisse sei, denn der Vorfall sah nach einer Hinterlist aus und ich wußte, daß Amons räuberischer Geist außerordentlich geschickt war, Finten zu ersinnen.
Schon spürte ich fast den Schmerz, den die Hand des zu mir hereingeschleuderten fremden Gastes mir verursachen mußte, denn sicherlich war sie mit einem spitzen Dolch bewaffnet, den sie in meine Brust zu stoßen gewillt war, und ich stieß daher den Unbekannten, im Trieb der Selbsterhaltung, mit einer solchen Kraft von mir, daß er gegen die Wand flog und über einen Holzklotz stolpernd in die Ecke fiel. Im gleichen Augenblick kam mir jedoch die Überlegung, daß es für mich leichter wäre, mit dem einen Menschen, der mir außerdem schwach erschien, fertig zu werden, als mit mehreren, die ihm sicherlich folgen würden; ich machte darum schleunigst die Türe zu und schob den kräftigen Riegelbalken vor, dann aber ergriff ich meine Axt und lauschte angestrengt. Ich war fest entschlossen, jedem, der meine Behausung betrat, mit dem Beil den Schädel zu spalten, gleichzeitig jedoch behielt ich den Ankömmling, den ich in die Ecke geschleudert hatte, fest im Auge.
Er kam mir sonderbar vor, sonderbar schon deswegen, da er in seiner Ecke, in die er gefallen war, regungslos liegenblieb und so wenig Raum darin einnahm, als wäre er ein Kind, gleichzeitig bekundete er in seinem Verhalten nichts, das irgendwie gegen mich gerichtet war, es machte sogar fast den Eindruck, als stünde er auf meiner Seite. Gespannt verfolgte er eine jede meiner Bewegungen und flüsterte, während sein Atem fieberhaft ging:
»Schließ dich ein! … schließ dich schneller ein! … schneller schließ dich ein, o, Pamphalon!«
Ich war darüber sehr erstaunt, doch antwortete ich rauh:
»Schon gut, du siehst, ich schließe mich ein, jedoch was willst denn du von mir?«
»Gib mir deine Hand, laß mich ein wenig Wasser trinken und erlaube mir, an deiner Lampe Platz zu nehmen. Dann will ich dir sagen, was ich von dir will.«
»Gut denn,« entgegnete ich; »welches auch deine Absichten seien, hier hast du meine Hand, hier ist ein Becher voll Wasser und dort ist der Platz vor meiner Lampe.«
Mit diesen Worten reichte ich dem Gast die Hand und ein leichter Kinderkörper flatterte empor.
»Du bist kein Mann, du bist ein Weib!« rief ich erstaunt.
Mein Gast, der bis dahin nur im Flüstertone gesprochen hatte, entgegnete mir jetzt mit einer Frauenstimme:
»Ja, Pamphalon, ich bin ein Weib,« und öffnete dabei ihren dunklen Mantel, in den sie gewickelt war, und vor mir sah ich ein junges und schönes Weib stehen, dessen Antlitz mir bekannt war. Allein nicht nur Schönheit schimmerte auf diesem Gesicht, ein entsetzlicher Kummer stand ebenfalls darin geschrieben. Ihr Haupt war von kunstvoll geflochtenem Haar bedeckt, der Körper schien stark mit Ambra gesalbt zu sein, doch fehlte ihr jede Spur von Schamlosigkeit, obwohl sie die entsetzlichsten Dinge sagte.
»Schau mich an, ob ich schön bin?« fragte sie und beschattete mit der einen Hand ihr Antlitz, damit der Schein der Lampe nicht gar zu grell darauf fiele.
»Ja,« entgegnete ich: »keiner wird leugnen, daß du schön bist, und darum verlierst du unnütz deine Zeit mit mir. Was willst du von mir?«
Sie antwortete nichts als dies:
»Du hast mich nicht erkannt. Ich bin Magna, die Tochter des Ptolemäus und der Albina. Kaufe mich, kauf mich, Gaukler Pamphalon, kauf die Tochter des Ptolemäus – man sagt, du besitzest jetzt Reichtümer, und Magna braucht so sehr dein Gold, um ihren Gatten zu erretten und um ihre Kinder aus der Knechtschaft zu befreien.«
Und während Tränen reichlich über ihre Wangen strömten, begann Magna mit eilfertiger Hand den Gürtel ihrer Tunika zu lösen.
O Greis! Viele Leute erblickte ich bereits, allein so einen sonderbaren Gast hatte ich noch nie bei mir gehabt … Sie wollte sich verkaufen und litt gleichzeitig darunter, mir aber wollte all das fast das Herz zusammenpressen.
Den Namen Magna trug die schönste, vornehmste und unglücklichste Frau in ganz Damaskus. Ich kannte sie noch aus ihrer Kindheit her, doch hatte ich sie seit jener Zeit nicht mehr gesehen, da Magna sich auf Wunsch ihres Vaters und ihrer Mutter, der stolzen Albina, mit dem Byzantiner Rufinus vermählt hatte und abgereist war.
»Halt ein!« rief ich laut. »Jetzt erkenne ich dich: du bist in der Tat die edle Magna, die Tochter des Ptolemäus, in dessen Gärten ich mit der Erlaubnis deines Vaters dich oft in deiner Kindheit mit meinen Spielen belustigt habe und aus deinen lieblichen Händen Geldstücke und Weizenbrote erhielt, und zuweilen auch Rosinen und Granatäpfel! Sage mir schneller, was mit dir geschehen ist, und wo dein Gatte weilt, der prachtliebende und reiche Byzantiner Rufinus, den du so sehr liebtest? Ist es denkbar, daß ihn die Wogen des Meeres verschlungen haben, oder hat gar das Schwert eines über den Pontus geschwommenen skythischen Barbaren sein junges Leben abgeschnitten? Und wo sind deine Angehörigen, wo sind deine Kinder?«
Magna schwieg verwirrt.
»Sage mir zum wenigsten, seit wann du in Damaskus weilst und warum du nicht bei deinen Verwandten lebst, oder zum mindesten bei deinen vormaligen reichen Freundinnen, der klugen Photis, der gelehrten Taor oder der keuschen Jungfrau Sylvia? Warum trugen deine flinken Füße dich zu der armen Behausung des ruhmlosen Gauklers, den du noch soeben so grausam verlacht hast, indem du ihm zum Scherz diesen völlig unangebrachten Vorschlag machtest?«
Allein traurig schüttelte Magna den Kopf und gab mir nichts als dies zur Antwort:
»Du kennst nicht, o Pamphalon, den ganzen Umfang meines entsetzlichen Unglücks! Ich spottete nicht; es war nicht etwa ein Scherz, daß ich zu dir kam, mich zu verkaufen. Mein Gatte und meine Kinder! … Mein Gatte und meine Kinder schmachten in der Sklaverei. Mein Jammer ist grenzenlos!«
»Dann künde mir schneller, was das für ein Unglück ist, das dich getroffen, und wenn es mir möglich ist, dir zu helfen, so werde ich augenblicks mit Freuden alles für dich tun.«
»Gut denn, ich will dir alles sagen,« entgegnete Magna.
Und nun, o Einsiedler, trat jene Versuchung an mich heran, der zuliebe ich alles vergaß: mein Gelübde sowohl, als auch meinen Schwur, als auch schließlich das ganze ewige Leben.
Ich kannte Magna schon in den frühesten Tagen ihrer Kindheit. Ich war zwar nur im Garten ihres Vaters gewesen und niemals in seinem Hause, ich war ja nur ein Gaukler, der geholt wurde, damit er das Kind belustige. Es gab nur wenige ständige Gäste in jenem Hause, denn der prachtliebende Ptolemäus war sehr zurückhaltend und pflog mit Leuten, die keinen strengen Lebenswandel führten, keinerlei näheren Umgang. In seinem Hause wurden keine Feste gefeiert, zu denen ein Gaukler zugezogen werden konnte, bei ihm versammelten sich die gelehrten Theologen und tauschten dort ihre Ansichten über verschiedene erhabene Gegenstände aus, oder sie unterhielten sich über den Heiligen Geist. Albina, die Gattin des Ptolemäus und Mutter der schönen Magna, war ein würdiges Gegenstück zu ihrem Gemahl. Keine der prunkvollen Damaszenerinnen mochte sie leiden, allein eine jede von ihnen erkannte ihre Keuschheit an. Und in der Tat, man konnte Albinas Treue wahrhaft vorbildlich nennen. Die vortreffliche Magna war hierin ihrer Mutter gleich und war ihr auch in der Schönheit des Antlitzes nachgeraten, doch brachte es ihre Jugend mit sich, daß sie viel mildherziger war als diese. Der prächtige Garten ihres Vaters Ptolemäus grenzte an einen tiefen Graben, hinter dem sich ein weites Feld erstreckte, über dieses Feld hatte ich oft zu gehen, um einen großen Umweg zu dem in der Vorstadt gelegenen Haus der Hetäre Asella zu vermeiden. Ich wanderte meist beladen mit den Gegenständen, die ich zur Ausübung meines Gauklergewerbes benötigte, dorthin, und gewöhnlich in Begleitung dieses selben Hundes hier. Akra war damals noch jung und konnte noch längst nicht alles, was der Hund eines Gauklers können muß.
Sobald ich aufs Feld gekommen war, machte ich gewöhnlich auf halbem Wege Rast, um mich ein wenig auszuruhen, meinen Gerstenfladen zu verzehren und um gleichzeitig meinen Hund Akra derweilen zu unterweisen; ich hatte mir hierzu zufällig einen Platz, der dem Garten des Ptolemäus gegenüberlag, gewählt. Meist setzte ich mich an den steilen Grabenrand, verzehrte dort mein Brot und ließ Akra im freien Felde die Lektionen wiederholen, die ich ihm in meiner engen Behausung erteilt hatte. Während ich hiermit beschäftigt war, gewahrte ich einmal das wunderschöne Gesicht der herangewachsenen Magna. Vom Zweigicht gut verdeckt, schaute sie aus dem Grün neugierig den lustigen Späßen zu, die mein Akra auszuführen hatte. Ich sah es gut und beschloß, ohne Magna merken zu lassen, daß ich sie erblickt, ihr mit den Vorführungen meines Hundes ein noch größeres Vergnügen zu machen, aber ich vergaß, daß Akra damals noch nicht so gut geschult war. Um den Hund zu noch größerer Geschicklichkeit anzuspornen, gab ich ihm ein paar Schläge mit dem Riemen, doch mußte ich sogleich die Bemerkung machen, daß im selben Augenblick, da der Hund aufwinselte, das Laub, hinter dem Magna sich versteckt hielt, in Bewegung geriet und das schöne Antlitz des Mädchens verschwunden war …
Das brachte mich in eine solche Wut, daß ich Akra noch zweimal schlug; als der Hund jedoch sein klagendes Gewinsel anstimmte, drangen hinter dem Gartenzaun folgende Worte an mein Ohr:
»Grausamer Mensch! Aus welchem Grunde quälst du dieses arme Tier! Warum willst du deinen Hund das zu tun zwingen, was seiner Natur völlig widerstrebt!«
Ich drehte mich um und erblickte Magna, die aus ihrem Baumversteck hervorgetreten war und jetzt, über die niedere, von Gebüsch dicht umrankte Brüstung schauend, mit einem zornglühenden Gesicht zu mir sprach.
»Verurteile mich nicht, o junge Herrin,« entgegnete ich; »ich bin kein grausamer Mensch, aber die Schulung dieses Hundes hängt eng mit meinem Gewerbe zusammen, das uns beide ernährt.«
»Verächtlich ist dein Gewerbe und nur verächtliche Müßiggänger haben Verwendung dafür,« antwortete mir Magna.
»Oh, meine Herrin!« erwiderte ich; »ein jeder ernährt sich dadurch, womit er sich seinen Unterhalt erwerben kann, und wenn er nicht auf Kosten anderer lebt, oder das Unglück seines Nächsten damit hervorruft, so ist es auch schon gut.«
»Aber das bezieht sich nicht auf dich, du verführst und verdirbst deinen Nächsten,« warf Magna hin, und ich konnte dabei in ihren Augen die gleiche Strenge wahrnehmen, die immer im Blick ihrer Mutter lag.
»Nein, meine junge Herrin,« gab ich ihr zur Antwort; »du urteilst so streng, weil du selber noch wenig erfahren hast. Ich bin ein einfacher Mensch, wie sollte es mir möglich sein, die Menschen mit höherer Bildung zu verderben?«
Sprach's und drehte mich um, um fortzugehen; doch da hielt sie mich mit einem Laut zurück und rief mir zu:
»Es steht dir nicht zu, über die Menschen mit höherer Bildung zu sprechen. Fang lieber hier meinen Beutel; ich werf ihn dir zu … damit du deinem armen Hunde genügend Nahrung geben kannst.«
Und warf mir mit diesen Worten ihr seidenes Beutelchen herüber; aber es flog nicht ganz bis zu dem Fleck, auf dem ich stand, und als ich mich reckte, um es zu ergreifen, verlor ich das Gleichgewicht und stürzte in den Graben hinunter.
Bei diesem Sturz zerschlug ich mich furchtbar.
Mein einziger Trost in meiner schlimmen Lage war, daß all die zehn Tage hindurch, die ich in einer kleinen Höhle, die sich auf dem Grunde des Grabens befand, verbrachte, Magna sich Tag für Tag zu mir herunterbemühte. Sie brachte mir so köstliche Speisen und in einem solchen Ueberfluß, daß es nicht nur für mich, nein, auch für Akra reichte, und außerdem tränkte Magna mit ihren eigenen jungfräulichen Händen das Tuch, das um meine kranke Schulter geschlungen war, um wenigstens etwas die unerträgliche Hitze der Entzündung, die eine Folge des Sturzes war, zu lindern. Wir führten derweilen Gespräche, die mir große Freude machten, und mich entzückte dabei nicht nur die Reinheit ihres Herzens, sondern auch die Klarheit ihres Verstandes. Nur das eine konnte mich zuweilen verdrießlich stimmen, daß sie niemals auf irgendwelche Schwächen eingehen wollte und sich in allem allzusehr auf sich selber verließ.
»Warum,« pflegte sie zu sprechen, »warum leben nicht alle so, wie meine Mutter lebt und meine Freundinnen Taor, Photis und Sylvia, deren ganzes Leben rein ist wie Kristall.«
Ich konnte leicht aus solchen Worten schließen, daß sie diese sehr verehrte und ihnen in allem ähnlich sein wollte. Trotz ihrer Jugend wollte sie auch mich bessern und dem Leben, das ich führte, abwendig machen, da ich mich jedoch nicht entschließen konnte, ihr das zu versprechen, ärgerte sie sich über mich.
Ich aber legte ihr die Dinge so aus, wie sie in Wirklichkeit lagen.
»Weißt du denn etwa nicht,« sagte ich ihr, »daß ein Gefäß zur Ehrung da sein muß und ein Gefäß für die Schmach? Lebe du, um Ehren zu erlangen, ich aber bin bestimmt, meiner Schmach zu leben, und da ich nichts bin, als Lehm, so will ich mit meinem Töpfer nicht hadern. Das Leben hat mich dazu gebracht, ein Gaukler zu sein, und so gehe ich denn meinen Pfad, wie ein Stier, den man an seinem Strick führt.«
Magna konnte meine einfachen Worte nicht verstehen und hielt alles nur für Gewohnheit.
»Ein Weiser sagt,« entgegnete sie, »daß die Gewohnheit zu uns als ein Wanderer kommt, sie verweilt als Gast und wird schließlich mit der Zeit zum Hausherrn. Pech, das man in eine reine Tonne getan hat, macht, daß die Tonne zu nichts anderem mehr tauglich ist, als immer wieder Pech aufzunehmen.«
Es war mir nicht schwer, zu erraten, daß sie ungeduldig wurde, und daß ich in ihren Augen nicht mehr als eben eine solche Pechtonne war, darum verstummte ich und bedauerte, daß ich nicht in der Lage war, schneller den Graben zu verlassen. Ihre Zweifel bedrückten mich, und ich sah, daß sie selber besorgt war, wie sie mich aus dem Graben und in meine Behausung schaffen könnte.
Das war nicht so leicht, denn ich konnte noch nicht gehen, das Mädchen jedoch war andererseits viel zu schwach, um mir dabei behilflich zu sein. Und zu Hause wagte sie es nicht, ihren stolzen Eltern zu beichten, daß sie mit einem Menschen meines verächtlichen Standes gesprochen habe.
Und da ein Fehltritt häufig den andern nach sich zieht, geschah ein gleiches auch mit der tugendhaften Magna. Um mir, dem verächtlichen Gaukler, dessen Unwürdigkeit ihrer Achtsamkeit gar nicht wert war, beistehen zu können, sah sie sich gezwungen, sich noch einem weiteren Menschen anzuvertrauen, und zwar einem Jüngling, namens Magistrian.
Magistrian war ein junger Künstler, der die Wände der prunkvollen Paläste auf das prächtigste auszumalen verstand. Und so geschah es denn einmal, daß er sich mit seinen Pinseln zu der Hetäre Asella begab, die ihn beauftragt hatte, auf den Wänden ihres neuerrichteten Gartenhauses ein Festmahl der Satyrn und Nymphen darzustellen; als Magistrian einmal zufällig über das Feld in der Nähe des Ortes, wo ich im Graben lag, ging, erkannte meine Akra ihn und begann jämmerlich zu heulen.
Magistrian blieb stehen, doch wollte er eigentlich, da ihm der Gedanke kam, daß vermutlich auf dem Grunde des Grabens irgendein Erschlagener liege, sich schleunigst entfernen. Und er wäre auch zweifellos fortgegangen, wenn nicht Magna, die alles beobachtet hatte, ihn zurückgehalten hätte.
Magna ließ sich vom Mitleid, das sie mit mir hatte, fortreißen, sie schlug das dichte grüne Zweigicht zurück und rief:
»Vorübergehender! eile nicht fort, ohne zuvor deinem Nächsten Hilfe erwiesen zu haben. Hier auf dem Grunde des Grabens liegt ein Mensch, der heruntergestürzt ist und sich zerschlagen hat. Ich bin zu schwach, um ihm zu helfen, hinauszukommen, du jedoch bist ein kräftiger Mann, und es liegt in deinem Vermögen, ihm diesen Beistand zu erweisen.«
Augenblicks stieg Magistrian in den Graben herunter, prüfte meinen Zustand und eilte darauf in die Stadt, um Träger zu holen, die mich zu meiner Wohnung tragen könnten.
Nicht lange, und er kehrte zurück, und als er einige Zeit darauf mit mir allein war, begann er mich auszufragen, wieso dies mit mir geschehen sei, daß ich in den Graben gefallen und mich so zerschlagen, und auf welche Weise es wohl möglich geworden sei, daß ich zwei Wochen lang ohne Speise zugebracht hätte?
Da Magistrian und ich schon lange bekannt und befreundet waren, lag es nicht in meiner Absicht, ihm etwas Erdachtes aufzubinden, und so erzählte ich ihm denn die reine Wahrheit, wie alles sich zugetragen.
Doch kaum ich in meiner Erzählung bis zu der Stelle, wie Magna mich gespeist und mit ihren eigenen Händen das Tuch im Wasser um meine zerschlagene Schulter gewunden hatte, gekommen war, verklärte sich das Gesicht des jungen Magistrian, und er rief mit dem Ausdruck hohen Jubels:
»O Pamphalon! wie glücklich bist du zu nennen, und wie beneidenswert erscheint mir dein Los! Wie gerne würde ich gestatten, meine Arme und meine Beine zu zerbrechen, um nur diese Nymphe an meiner Seite zu erblicken, die großmütige Magna.«
Nun erkannte ich freilich, daß jenes starke Gefühl, das man gemeinhin die Liebe nennt, das Herz des jungen Künstlers berührt hatte, und beeilte mich, ihn zur Vernunft zu bringen.
»Unverständiger,« redete ich ihn an, »des Ptolemäus Tochter ist schön, darüber ist kein Wort zu verlieren, dennoch aber bleibt die Gesundheit für einen jeden Sterblichen das höchste Gut, und zudem ist Ptolemäus so rauh, und Albine, die Mutter Magnas, so hochmütig, daß, obwohl deine Seele die Flamme der Schönheit dieser Jungfrau spürt, dennoch nichts Gutes dabei herauskommen kann.«
Magistrian erblaßte nur und antwortete:
»Was soll dabei herauskommen! Ist es nicht genug, daß sie mich in Begeisterung versetzt?«
Und also fuhr er fort, sich für sie zu begeistern.
Als ich wieder genesen war, begab ich mich schon am ersten Abend zu Asella; Magistrian zeigte mir dort die Bilder, mit denen er inzwischen die Wände im Gartenhäuschen der Hetäre geschmückt hatte. Das geräumige Gebäude des Gartenhauses war in soviel »Stunden« abgeteilt, als sie der Tag eines jeden Menschen hat. Und eine jede dieser Abteilungen diente der Bestimmung, zu ihrer Stunde ihr Teil Freude in das Leben zu bringen. Das ganze Gartenhaus war dem Saturn geweiht, dessen Abbildung unterhalb der Kuppel glänzte. Der Hauptkreis hatte zu Ehren der Horen, der Töchter Jupiters und der Themis, zwei Flügel, und diese bestanden wiederum aus verschiedenen Unterabteilungen: dort gab es einen Raum der Auge, von wo die Morgenröte sichtbar wurde, und ferner einen Raum der Anatolè, von dem aus man den Aufgang der Sonne beobachten konnte; einen Raum gab es, der Musia geweiht, in diesem konnte man sich mit den Wissenschaften abgeben; einen der Nymphe, in dem gebadet werden konnte, und der Sponde, wo man sich begießen ließ; im Raum der Cypris hatte man Gelegenheit, den Vergnügungen nachzugehen, und ein Raum war sogar da, wo gebetet wurde … Und an dieser Stelle, in einem der entfernten Winkel, der für einsame Träumerei gedacht war, hatte der Maler mit anmutigem Pinsel ein tugendhaftes Traumgesicht geschaffen … Es stellte ein Fest dar mit geschmackvoll und reich geschmückten Frauen, die ich alle dem Namen nach aufzählen konnte. Es waren nämlich alle die bekannten Hetären. Sie lagen in Gesellschaft von Gästen blumengeschmückt auf ihren Ruhelagern rund um einen prunkvoll hergerichteten Tisch, ein jugendlicher Gast aber schlief, das Gesicht in einen Korb voll Blumen gepreßt. Sein Antlitz war nicht sichtbar, doch erkannte ich an der Toga, daß sich Magistrian in diesem Schläfer selber dargestellt hatte, über dem Schläfer war eine Zirkushetze gemalt: Löwen, die auf eine Jungfrau gehetzt wurden … sie aber stand ruhig da und flüsterte Gebete. Es war Magna.
Ich klopfte ihm auf die Achsel und sagte:
»Schön! … du hast sie gut getroffen; warum allein glaubst du, daß sie keine Furcht vor den Tieren hat? Ich kenne ihr Haus gut: Ptolemäus und Albina sind bekannt durch ihre Vornehmheit und ebenso durch ihren Stolz, doch was will das bedeuten: das Verhängnis ist bisher immer noch an ihnen vorübergegangen, und auch an ihre Tochter ist bis zu dieser Stunde noch keine Versuchung herangetreten.«
»Was folgerst du daraus?«
»Nur dieses, daß die wunderschöne Magna bisher keinerlei Not des Lebens kennengelernt hat, und daß ich nicht begreifen kann, aus welchem Grunde du ihr diesen Zug der Furchtlosigkeit und Standhaftigkeit vor der Wut des Tieres gegeben hast? Wenn das nur ein bildlicher Ausdruck sein soll, so glaube ich wahrlich, daß das Leben viel furchtbarer ist als ein jedes Tier, und daß es noch einen jeden, den du nur willst, verzagt machen kann.«
»Aber nicht Magna!«
»Ach, ich glaube, sogar Magna!«
Ich sagte das nur, damit er sich nicht zu sehr von seinem Gefühl für Magna fortreißen lasse; er unterbrach mich jedoch und flüsterte mir zu:
»Ich habe den Auftrag erhalten, Schirme für ihr jungfräuliches Schlafgemach herzustellen, und während ich die flüchtige Kohlenzeichnung machte, sprach ich mit ihr. Sie fragte mich nach dir …«
Der Maler verstummte.
»Sie bedauert, daß du das Gewerbe eines Gauklers betreibst! Ich entgegnete ihr zwar: ›Herrin, es kann nicht jeder so glücklich sein, sein Leben so verbringen zu dürfen, wie er es sich gewünscht hatte. Das Schicksal ist unüberwindlich: es kann den Sterblichen zwingen, auch aus der trübsten Quelle zu trinken, sogar aus einer, in der Blutegel sind und auf deren Grund eine Schlange haust.‹ Allein sie hatte nur ein verächtliches Lächeln hierfür.«
»Ein Lächeln?« fragte ich … »Daran erkenne ich die Tochter des Ptolemäus und der stolzen Albina. Mir, weißt du … mir hätte es bei weitem besser gefallen, wenn sie geschwiegen, oder noch besser, wenn sie voll Mitleid leise geseufzt hätte.«
»Gewiß,« meinte Magistrian; »doch sie sagte noch dies: ›Tod ist besser als Schmach‹, und ich glaube, daß sie dazu fähig wäre.«
»Du urteilst voreilig,« erwiderte ich; »zwar will ich nicht bestreiten, daß der Tod besser als die Schmach ist; aber glaubst du wirklich, daß eine Mutter, die Kinder hat, so etwas sagen könnte?«
»Und warum nicht? Erinnere dich nur daran, was die Mutter der Makkabäer getan hat!«
»Allerdings. Die Makkabäer wurden getötet. Wie jedoch, wenn man ihrer Mutter gedroht hätte, sie zu solchen Gauklern zu machen, wie ich einer bin, oder zu Fußwaschern im Hause einer Hetäre … Was? wenn Magna ihre Mutter gewesen wäre, – Gott weiß, was sie vorgezogen hätte: die Schande oder den Tod für ihre Befreiung?«
»Wozu so etwas sprechen!« rief Magistrian, indem er von mir fortging, »möge ihr während ihres ganzen Lebens nie etwas Schlimmes begegnen.«
»O ja,« rief ich ihm nach, »von ganzer Seele schließe ich mich an und wünsche Magna gleich dir alles Gute.«
Einen Tag nach diesem Gespräch kam Magistrian noch vor Anbruch der Dunkelheit sehr traurig zu mir und sagte:
»Pamphalon, hast du schon die allertraurigste Neuigkeit gehört? Ptolemäus und Albina verheiraten ihre Tochter.«
»Warum meinst du, daß das eine so traurige Neuigkeit sei?« entgegnete ich. »Seit wann denn ist der Bund zweier Herzen etwas Trauriges und nicht etwas Fröhliches?«
»Immer schon war es so, wenn man ein Herz mit der Herzlosigkeit verband.«
»Magistrian!« sprach ich ernst zum Maler, »ein unruhiges Gefühl spricht aus dir: man heißt es Eifersucht. Du mußt dieses Gefühl in dir ersticken.«
»Oh, ich habe es schon lange erstickt,« erwiderte der Maler. »Nicht ist Magna meine Braut, und nicht bin ich ihr Bräutigam; entsetzlich aber ist dennoch, daß ihr Verlobter Rufinus der Byzantiner ist.«
Dieser Name war mir so gut bekannt, daß ich erbebte und meine Arbeit mir aus der Hand fiel.
Rufinus der Byzantiner war aus einem vornehmen Geschlecht und ein Mann, der viel Sorgfalt auf sein Äußeres verwendete, gleichzeitig aber war er ungemein schlau und heuchelte so geschickt, daß man es sogar in Byzanz als außergewöhnlich bezeichnete. Der prahlerische Korinther Horus und alle die anderen, die ihre Gelder und Kräfte auf den Festlichkeiten, die bei der Hetäre Asella stattfanden, verpraßten, waren meiner Ansicht nach wertvoller als Rufinus. Er kam mit einer offenen Botschaft nach Damaskus und wurde hier von Ptolemäus ausgezeichnet empfangen. Als ein erfahrener Heuchler verbrachte Rufinus ganze Tage zu Hause in seinem Bett, ließ jedoch ausstreuen, daß er theologische Schriften lese; wenn es Abend wurde, begab er sich vor die Stadt, um erbauliche Gespräche zu führen, denn um jene Zeit lebte ein alter Einsiedler in der Nähe von Damaskus, der tags auf einem Felsblock stand, nachts jedoch in einem offenen Sarge lag und sein Leben bejammerte. Zu diesem nun ging Rufinus, um bei Sonnenuntergang in seinem Schatten zu beten; ein geflügelter Äolus aber brachte ihn von hier regelmäßig unter Asellas Dach, wobei er freilich die Vorsicht gebrauchte, sein Gesicht, dank der Kunst Magistrians, völlig zu verändern. Darum eben kam es, daß wir ihn so gut kannten, denn da Magistrian mein Freund war, machte er mir kein Geheimnis daraus, daß er jedesmal Rufinus' Gesicht in ein anderes umgestaltete, und wir lachten gar nicht so selten über diese byzantinische Doppelgesichtigkeit. Auch die Hetäre Asella wußte es, denn wie alle anderen Hetären verschloß sie häufig ihre Tür den fremden Gästen und plauderte mit uns, den einfachen Leuten, denn sie fand in uns Verstand und Herz, und hatte uns deswegen gern, zumal sie diese Eigenschaften sehr häufig bei ihren reichen und vornehmen Besuchern nicht fand.
Ich muß ferner melden, daß Asella meinen Maler liebte, und zwar liebte sie ihn, ohne daß ihre Liebe von ihm erwidert wurde, denn Magistrian dachte nur an Magna, deren reines Bild immer vor seinen Augen stand. Asellas feinfühliges Herz hatte bald das Geheimnis erraten, doch um so zarter und lieblicher war sie mit Magistrian. Wenn ich und Magistrian bei Sonnenaufgang noch ein wenig in ihrem Hause weilten, sprach sie, nachdem sie ihre Gäste verabschiedet, häufig mit uns und sagte uns freimütig, was sie von einem jeden hielte, und hierbei konnte sie ihre besondere Abneigung gegen Rufinus nicht verbergen. Sie nannte ihn einen verächtlichen Heuchler, der fähig wäre, einen jeden zu betrügen und die allerniedrigsten Gemeinheiten zu begehen, und Asella kannte sich gut in den Menschen aus. Einmal sagte sie, nachdem der Korinther Horus wieder einmal auf das unsinnigste sein Geld verschwendet hatte:
»Er ist ein armer Pfau … Alle rupfen ihn, und es wäre, wenn der Byzantiner Rufinus in seiner Gesellschaft hier weilt, manchmal gut, dessen Oberkleid tüchtig zu schütteln.«
Das bedeutete, daß Rufinus auch stehlen konnte … Asella täuschte sich nie, das wußten Magistrian und ich sehr wohl.
Ptolemäus und Albina sahen jedoch den Byzantiner mit ihren Augen an, und da die gute Tochter dem Willen der Eltern gehorsam war, war ihr Schicksal bald erfüllt. Magna wurde die Gattin des Rufinus, er nahm sie und die reiche Mitgift, die Ptolemäus ausgesetzt hatte, und brachte beide nach Byzanz.
Es währte nicht lange, und Ptolemäus und Albina hatten ihre Strafe vom Schicksal weg. Der heuchlerische Rufinus war weder reich, noch war er so vornehm, wie er sich in Damaskus ausgegeben hatte; zu alledem aber kam, daß er nicht einmal ehrlich war und so große Schulden hatte, daß die ganze reiche Mitgift, die Magna mitgebracht hatte, nur zur Befriedigung der ihn bedrängenden Wucherer diente. Nicht lange, und Magna war sehr arm, ja, es drangen sogar Gerüchte zu uns, daß sie viel unter Grausamkeit ihres Gemahls zu leiden hatte. Rufinus wollte sie zwingen, aufs neue Silber und Gold von ihren Eltern zu fordern, und behandelte sie, als sie darauf nicht eingehen wollte, mit großer Härte. Alles, was Magna von den Eltern geschickt bekam, wurde schamlos von Rufinus verpraßt, an eine Verringerung seiner Schulden dachte er nicht und ebenso nicht an die zwei Kinder, die ihm Magna geboren hatte. Außerdem hatte er, wie die meisten Byzantiner, noch eine weitere Herzensverpflichtung in Byzanz, und dieser zuliebe plünderte und erniedrigte er seine Frau.
All dies bekümmerte den stolzen Ptolemäus so sehr, daß er immer häufiger zu kränkeln begann und bald darauf starb; er hinterließ seiner Gattin ein sehr geringes Vermögen. Albina gab alles ihrer Tochter: sie hoffte, diese zu retten, aber ihr Geld diente nur zu Geschenken an die nähere Umgebung des Eparchs Valens, der selber ein gieriger Wollüstling war und nur auf die Gelegenheit wartete, die schöne Magna zu besitzen. Es hatte fast den Anschein, als hätte ihm Rufinus selber hierfür seine Zustimmung gegeben. Ja man sprach sogar, Rufinus hätte seine Gattin genötigt, den Nachstellungen des Valens nachzugeben, und sie beschworen, auf alles einzugehen, da Valens ihm gedroht hätte, ihn anderenfalls mitsamt seiner ganzen Familie in die Hand seiner Gläubiger zu geben.
Das war zu viel für Albina und sie siedelte bald in die Ewigkeit über, Magna jedoch blieb mit ihren Kindern in der allerbittersten Armut zurück, gab aber trotzdem den lasterhaften Zumutungen des Valens kein Gehör. Und daraufhin entschloß sich der erzürnte Würdenträger Valens, sie alle in die Gewalt ihrer Gläubiger zu geben.
Die Gläubiger ließen Rufinus ins Gefängnis werfen, seine Kinder jedoch und die arme Magna wurden von ihnen zu Sklavendiensten verwendet. Und um die Sklaverei noch furchtbarer zu machen, trennten sie Magna von ihren Kindern: die Kleinen schickten sie zu einem verschnittenen Dorfbewohner, Magna aber wurde dem Besitzer eines schmachvollen Hauses überantwortet, und dieser verpflichtete sich, den Gläubigern jeden Tag drei Goldstücke für sie zu zahlen.
Vergebens flehte die arme Magna ihre Bekannten an und suchte um Schutz. Man antwortete ihr: »Über uns allen steht das Gesetz. Das Gesetz beschützt diejenigen, die viel haben. Sie sind stärker als alle anderen im Staate. Wenn unser vormaliger Vorgesetzter Hermius noch auf seinem Posten wäre, würde er, als ein gerechter und mildherziger Mann, vielleicht für dich eingetreten sein und hätte es nicht so weit kommen lassen; er ist jedoch ein Sonderling geworden: er hat sich von der Welt zurückgezogen, um nur mehr an seine Seele denken zu können. Grausamer Greis! Verzeihe ihm der Himmel seine einsiedlerische Eigenliebe.«
Als der Gaukler diese Worte sprach, bemerkte er, daß der neben ihm sitzende Einsiedler erbebte und Pamphalons Hand ergriff. Pamphalon fragte ihn:
»Nicht wahr, du bedauerst sie?«
»Ja, ich bedaure … ich bedaure … Ich bedaure sie und bedaure auch mich,« entgegnete Hermius: »Doch fahre nur in deiner Erzählung fort.«
Und so erzählte denn Pamphalon weiter.
Um alles Aufsehen in der Hauptstadt zu vermeiden und um auf sicherere Weise zu seinem Gelde zu kommen, schaffte der Besitzer des schmachvollen Hauses Magna aus Byzanz nach Damaskus, wo, wie er wußte, ein jeder sie als die vornehmste und unnahbarste Frau kannte und alle mithin den Wunsch verspüren dürften, sie zu besitzen.
Man gab auf Magna sehr acht, es wurden ihr alle Mittel zur Flucht genommen. Sie wäre nicht einmal in der Lage gewesen, sich das Leben nehmen zu können, doch freilich dachte sie keineswegs hieran, denn sie war ja Mutter, und ihre Absicht ging einzig darauf hin, ihre Kinder aus der Sklaverei bei dem Verschnittenen zu befreien.
Sie wurde streng abgeschlossen und gut bewacht nach Damaskus gebracht, und tags darauf, das heißt eben an dem Tage, als ich mich auf meinem Golde liegend versteckt hielt, wurde durch Ausrufer bekanntgegeben, daß der und der Verkäufer Magna in seinem Hause hätte und sie für fünf Goldstücke jedem auf vierundzwanzig Stunden gäbe. Und daß ein jeder sie erhalten könnte, der diese Goldstücke bezahle.
Der Mann, der es übernommen hatte, soundso viele Goldstücke für Magna zu erzielen, zauderte natürlich nicht, diese möglichst schnell zu sammeln, so daß noch ein guter Gewinn für ihn selber dabei herauskäme, darum schickte er sogleich einen Boten zu allen reichen Leuten in Damaskus, um sie zu benachrichtigen, welch eine wundervolle Ware er jetzt da hätte.
Die lasterhaften Menschen stürmten das Haus des Verkäufers, und Magna hatte den Tag hindurch Mühe genug, mit ihren Tränen einen Aufschub zu erwirken. Als es jedoch Abend wurde, drohte der Verkäufer, sich mit jenem in Verbindung setzen zu wollen, der ihre Kinder zu sich genommen hatte, um sie zu verschneiden, und brachte sie hierdurch zum Entschluß, sich nicht länger mehr zu widersetzen … Ihre Kräfte verließen sie, sie schlief fest ein und hatte einen Traum: ihr war, als käme jemand leise zu ihr und als spräche er zu ihr: »Freue dich, Magna! Du hast heute das eine gewonnen, das dir während deines ganzen bisherigen Lebens gefehlt hat. Rein warst du, aber du warst gleichzeitig stolz auf deine Unbeflecktheit, genau so wie deine Mutter, du urteiltest hart über die Frauen, die gefallen waren, obwohl du gar nicht wußtest, was jene zu ihrem Fall gebracht hatte. Das war schlimm, jetzt aber, da du selber zum Fall bereit bist und weißt, wie quälend es ist, jetzt schwand er hin, dein gottwidriger Hochmut, und nun wird Gott dich rein erhalten.«
Um die gleiche Stunde klopfte an das Haus, in welchem Magna gefangen war, ein schüchterner Besucher, der um sein Antlitz ein einfaches Tuch geschlungen hatte; er rief leise den Hausherrn herbei und sagte ihm flüsternd:
»Ich bin zwar ein wenig blöde, doch sterbe ich vor Leidenschaft. Führe mich schneller zu Magna, und hier nimm die zehn Goldstücke.«
Der Verkäufer war äußerst erfreut, allein er sagte, bevor er den Unbekannten zu Magna führte:
»Mein Herr, ich muß dir sagen, daß diese Frau aus einem sehr vornehmen Geschlechte stammt, und daß sie mich sehr große Summen gekostet hat, die ich noch keineswegs für sie gelöst habe, denn noch einen jeden, den ich zu ihr führte, verstand sie durch ihr Jammern weich zu machen. Es geht mich nichts an, wenn du auf ihre Worte hörst und wenn dich ihre Reden mitleidig stimmen sollten. Dein Gold werde ich trotzdem behalten, denn ich bin ein armer Mann und habe sie um einen sehr teuren Preis erhalten.«
»Sorge dich nicht,« entgegnete der Fremde, wobei er immer sein Gesicht verhüllt hielt, »nimm deine zehn Goldstücke, ich bin kein solcher, ich kenne den Wert von Frauentränen.«
Der Verkäufer nahm die zehn Goldstücke und zog an einer Schnur, eine kupferne Schale fiel um, und aus ihr rollte ein kupferner Ball heraus. Der Ball glitt eine Leinenbahn entlang und fiel, als er Magnas Raum erreicht hatte, hell klingend in ein Kupferbecken, das sich am Kopfende ihres Bettes befand. Gleich darauf führte der Verkäufer den Gast zu Magna.
Der Unbekannte betrat den ziemlich entfernt liegenden Raum, der von Ambraduft erfüllt war, und sah Magna; sie schlief, beleuchtet von einer Laterne mit farbigen Gläsern. Der Fall der Kugel hatte sie nicht aufgeweckt, sie träumte in jenem Augenblick gerade jenen Traum, in welchem ihr enthüllt wurde, daß ihr Hochmut nunmehr verschwunden sei, und daß sie zum Lohn für das Eingeständnis ihrer Schwäche gerettet werden sollte.
Der Verkäufer machte Magna Vorwürfe darüber, daß sie den Fall der Kugel in das Becken überhört hätte, und sagte ihr, indem er auf den Unbekannten wies, mit rauher Stimme:
»Mach mir nicht vor, daß du nicht gehört hättest, wie ich die Kugel zu dir rollen ließ! Diesem da habe ich alle Gewalt über dich bis zum nächsten Morgen gegeben. Sei verständig und gehorsam. Solltest du jedoch immer noch fortfahren, die Ursache zu sein, daß ich deinetwegen Verlust erleide, so will ich dich dorthin geben, wo nur noch wilde Kriegsleute zu dir kommen werden, von denen du keine Gnade zu erhoffen hast.«
Nachdem er diese Worte gesprochen, nahm der Verkäufer die Kugel und schritt hinaus; der Gast aber schloß die Tür hinter ihm, drehte sich um und flüsterte Magna sehr leise zu:
»Fürchte dich nicht, unglückliche Magna, ich kam, um dich zu retten.« Er sprach's und warf seinen Mantel ab.
Magna erkannte Magistrian und brach in Tränen aus.
»Laß die Tränen, schönste Magna. Jetzt ist nicht die Zeit, sie zu vergießen, oder etwa zu verzweifeln. Beruhige dich und glaube nur, daß, wenn der Himmel dich bis zu dieser Stunde erhalten hat, deine endgültige Errettung nunmehr über jedem Zweifel steht, freilich mußt du bereit sein, mir zu helfen, damit es mir möglich sei, dich zu erlösen und dich deinem Gatten und deinen Kindern zurückzugeben.«
»Ob ich dazu bereit bin!« rief Magna. »O guter Jüngling, kann darüber wohl ein Zweifel herrschen!«
»Beeile dich, zu tun, was ich dir sagen werde; ich wende mich jetzt ab, – laß uns die Gewänder so schnell wie möglich wechseln.«
In großer Eile schlüpfte Magna in die Tunika und wickelte sich sein Tuch um, er aber sagte ihr:
»Zaudere nicht länger! Verhüll dein Gesicht mit dem Tuch, und zwar ganz so, wie ich es tat, als ich eintrat, und verlaß dreist das Haus! Dein verächtlicher Hausherr wird dich selber aus dieser verächtlichen Tür geleiten.«
Magna tat's und kam ungefährdet von dannen; doch kaum war sie draußen, da geriet sie in die bitterste Betrübnis: wohin sollte sie fliehen, wo sollte sie sich verbergen, und welches würde das Los des armen Jünglings sein, wenn morgen der Betrug an den Tag käme? Magistrian würde, da er gegen das Schuldgesetz verstoßen, gefoltert werden, es war nur zu klar, daß er nicht soviel besitzen konnte, um die ganze Schuld zu bezahlen, um derentwegen Magna in diese Leibeigenschaft geraten, und so würde man ihn wohl für die gesamte Zeitdauer seines Lebens in den Turm werfen und ihn peinigen, sie aber konnte trotzdem nicht zu ihren Kindern, denn auch sie besaß nicht die Mittel, um sie aus ihrer Sklaverei loszukaufen.
Und da war es, daß dieser Frau jener Gedanke durch den Kopf schoß, der mir auf immer die Möglichkeit nahm, meinen Lebensweg zu verbessern und ein ordentliches und tugendhaftes Leben zu führen.
Als Magna mir so ihre Not entdeckt und die Gefahr geschildert hatte, in die sich Magistrian ihr zuliebe begeben, war mir, als öffnete sich ein Abgrund vor mir. Denn ich wußte ja, daß Magistrian keineswegs über zehn Liter Gold verfügte, obwohl er diese Summe für Magna bezahlt hatte, und ich wußte ferner, daß diese Summe zu gering war, um sie vor Erniedrigung zu bewahren, denn der Betrag, um den Magna ihre Freiheit verloren hatte, war viel höher, – und was wurde schließlich aus den Kindern, die der Verschnittene aus Byzanz zu sich genommen? Und von wem konnte Magistrian selbst diese wenigen Goldstücke erhalten haben? Er arbeitete beständig in Asellas Haus, und es war mir bekannt, daß sich dort ein Kasten mit dem gesamten Schmuck der grenzenlos in ihn verliebten Hetäre befand … Entsetzen überkam mich … unwillkürlich mußte ich denken: wie, wenn nun die Liebe zu der armen Magna ihn bis zum Wahnsinn gebracht und er den Schmuckkasten gestohlen hätte; wie, wenn von nun an Magistrians Name ehrlos wäre: mit dem Zusatz, der Dieb!
Die arme Magna, die immer noch fortfuhr, die Luft mit ihren Klagen zu erfüllen, stammelte derweilen aufs neue jene Worte, mit denen sie in meine Behausung eingedrungen war.
»Pamphalon!« rief sie, »ich hörte, daß du reich geworden, daß irgendein prahlerischer Korinther dir unermeßliche Summen gegeben. Ich kam zu dir, um mich dir zu verkaufen, ich will deine Sklavin sein, nur gib mir das Geld, um meine Kinder aus der Sklaverei loszukaufen und um Magistrian zu befreien, der meinetwegen ins Elend stürzt.«
Einsiedler, vernimm! Du hast dein Leben in der Wüste verbracht, und jene Qual ist dir vielleicht unbekannt, die ich empfand, als ich hören mußte, was die Verzweiflung für Worte auf die Lippen dieser Frau brachte, dieser Frau, die ich kannte, als sie noch so rein war und so stolz über ihre Tugend! Du freilich bist jetzt bereits stärker als alle Leidenschaften, und nicht können sie dich mehr erschüttern, ich aber hatte schon seit jeher ein weiches Herz, und da ich diese furchtbare Not eines anderen Menschen sah, mußte ich zum Verschwender werden … und mußte höchst leichtfertig die Errettung meiner eigenen Seele vergessen.
Ich brach in Schluchzen aus und rief ihr tränenerstickt zu:
»Um Gottes Barmherzigkeit willen, verstumme endlich, unglückselige Magna! Mein Herz kann das nicht länger tragen! Ich bin ein einfacher Mensch, ein Gaukler nur, der sein Leben inmitten von Hetären, Müßiggängern und Verschwendern verbracht hat, eine Tonne voll Pech bin ich, nichts mehr, und doch kann ich das nimmermehr kaufen, was du mir da im Wahnsinn deines Kummers bietest.«
Aber Magnas Leid war bereits so ungeheuer, daß sie mich ganz und gar nicht verstand.
»Du verschmähst mich!« rief sie schaudernd: »O, ich Unglückliche! wo soll ich das Gold hernehmen, um meine Kinder vor der Verstümmelung zu bewahren?« und sie rang dabei die Hände und fiel zu Boden.
Und nun überkam mich ein noch gewaltigeres Entsetzen … Ich erbebte, denn ich sah ja, daß der Schmerz sie bereits so tief erniedrigt hatte, daß sie es fast als ein Glück betrachtet hätte, wenn jemand sich bereit gefunden, ihre Liebkosungen zu kaufen.
Ich beeilte mich, sie zu trösten.
»Nein,« rief ich, »keineswegs ist es etwa so, als verschmähte ich dich. Ich bin dein wahrer Freund und will dir das durch meine Bereitwilligkeit, dir in deinem Kummer zu helfen, beweisen. Aber sprich mir nicht mehr davon, weswegen du hergekommen. Und zerstöre so schnell als möglich dieses künstliche Haargeflecht, das dir das Aussehen einer Hetäre gibt, wasch mit reinem Wasser den Duft des wohlriechenden Nardens von deinen Schultern, mit dem jene Menschen dich gesalbt, die nichts als deine Schande wünschten, und sage mir dann, wie hoch die Schuld deines Gatten ist?«
Sie seufzte nur und entgegnete sehr leise:
»Zehntausend Goldstücke.«
Ich sah, daß man sie getäuscht hatte: der Reichtum, den mir der verschwenderische Horus zugeworfen hatte, war gering im Vergleich zu dem, was erforderlich war, um ihre Schuld zu bezahlen und um ihre Kinder loszukaufen.
Magna war inzwischen schweigsam aufgestanden und wickelte Magistrians Tuch von neuem um ihr Haupt.
Ich erriet, daß keine gute Absicht sie dazu trieb, mich zu verlassen, und rief daher:
»Willst du fortgehen, o Herrin Magna?«
»Gewiß, ich will dorthin zurückkehren, von wo ich zu dir kam.«
»Du willst Magistrian befreien?«
Sie nickte zum Zeichen ihres Einverständnisses schweigend mit dem Haupt.
Gewaltsam hielt ich sie zurück.
»Tu das nicht,« sprach ich zu ihr. »Es wird vergebens sein. Magistrian ist so edel und dir in solchem Maße ergeben, daß er sich weigern wird, von dort fortzugehen, du wirst durch deine Rückkehr die Verwirrung nur noch größer machen. Ich besitze nicht mehr als zweihundertunddreißig Goldstücke … Das ist alles, was ich vom Korinther Horus erhielt. Wenn man sagt, daß ich mehr besäße, so ist das entweder eine Erfindung des Gerüchtes, oder aber eine Prahlerei des aufgeblasenen Horus. Doch du sollst meine zweihundertunddreißig Goldstücke als dein Eigentum betrachten. Widersprich mir nicht, o Herrin Magna, widersprich mir mit keinem einzigen Worte! Dieses Gold ist dein; aber wir brauchen noch viel mehr, damit die Schuldsumme deines Gatten erreicht würde. Zwar weiß ich nicht, wo ich es hernehmen soll, doch ist die Nacht erst in ihrem Beginn … Bis zum Morgen droht Magistrian keinerlei Gefahr. Dein Verkäufer ist sicherlich davon überzeugt, daß ihr in Umarmungen verschmolzen seid. Bleibe jetzt hier und sei ruhig. Mein Akra wird in meiner Abwesenheit niemand an dich heranlassen, ich aber will sogleich deine vornehmen Freundinnen Taor, Photis und Sylvia die Jungfrau, deren Tugenden in ganz Damaskus wohlbekannt sind, benachrichtigen … Ihre Bedienten kennen mich und werden mich für ein Geringes einlassen, damit ich ihre Herrinnen sprechen kann. Sie sind reich und tugendhaft und werden gewiß das Gold nicht anschauen, um dich und deine Kinder loszukaufen.«
Magna unterbrach mich schnell.
»O, Pamphalon, weder Taor, noch Photis, noch die jungfräuliche Sylvia sollst du belästigen, denn keine von ihnen wird auch nur das geringste tun, deine Bitte zu erfüllen.«
»Du täuschest dich,« entgegnete ich; »Taor, Sylvia und Photis sind sittenstrenge Frauen, sie verfolgen das Laster, und ihnen zuliebe wurden bereits mehrere Hetären aus Damaskus verbannt.«
»Das hat nichts zu bedeuten,« antwortete mir Magna, und entdeckte mir, daß schon, lange bevor das Unheil, das ihr Haupt betroffen, die jetzige Höhe erreicht, sie sich an die von mir aufgezählten hochgeborenen Frauen mit der Bitte um Hilfe gewandt hätte, doch daß keine von diesen ihre Bitten auch nur beachtet hätten.
»Und da jetzt«, fuhr sie fort, »noch die Schande dazukommt, der ich verfallen bin, so werden sie alle Bitten, die mich betreffen, sogar als Beleidigung auffassen. War ich nicht selber auch so eine, wie sie, und muß ich denn nicht wissen, daß nicht von ihnen die Hilfe für eine Gefallene kommen kann?«
»Gleichviel,« schloß ich, »wie dem immer auch sei: du erwarte hier, was uns der gütige Himmel schicken mag.« Ich verlöschte mit diesen Worten die Lampe und riegelte die Tür, die zu meiner Behausung führte, zu; Magna blieb dort unter dem Schutz meines Hundes Akra zurück, ich aber lief, so schnell ich nur laufen konnte, durch die dunklen Straßen von Damaskus.
Ich hörte auf Magnas Rat nicht und gelangte durch Vermittlung der Bedienten sowohl zu Taor, als auch zu Sylvia und Photis … Und ich schäme mich, mich dessen entsinnen zu müssen, was ich von ihnen zu hören bekam … Magna hatte in allem, was sie gesagt, durch und durch recht. Meine Worte erregten nur den flammenden Zorn dieser Frauen, und ich wurde schmählich hinausgejagt, weil ich es gewagt hatte, mit solch einer Bitte in ihre Häuser zu dringen … Zwei von ihnen, Taor nämlich und Photis, befahlen, mich fortzujagen und mir einzuschärfen, daß ich Schläge verdient hätte; die jungfräuliche Sylvia jedoch gab den Befehl, mich vor ihren Augen zu züchtigen, und ihre Bedienten schlugen mich mit einer kupfernen Rute, so daß, als ich sie verließ, mein Körper ganz blutig war und meine Kehle wie ausgedörrt. Darum eilte ich, von Durst getrieben, zur Küche der Hetäre Asella, um dort um einen Trunk Wein mit Wasser zu bitten, bevor ich meine Wanderung fortsetzte. Wohin ich freilich noch gehen sollte, – ich wußte es selber nicht.
Sobald ich ihr Haus erreicht hatte, begegnete mir unter dem gedeckten Vordach die blondlockige Ada, die Vertraute der Hetäre. Und als geschähe es mit Vorbedacht, trug sie einen Eimer voll erfrischenden Getränkes; ich redete sie an:
»Sei mildherzig, schönste Ada, und erfrische meine Lippen, – ich verschmachte vor Durst.«
Sie lächelte nur und entgegnete mir mit einem Scherz:
»Nicht an dir ist es jetzt zu sterben, Herr Pamphalon, du bist jetzt nicht mehr arm und kannst dir Sklaven halten, die nichts weiter zu tun haben, als Wasser für dich zu kühlen.«
Ich antwortete ihr:
»Nein, Ada, Gott sei Dank, nein, ich bin schon wieder nicht mehr reich, – ich bin wieder so arm, wie ich gewesen, und zudem … ich muß es gestehen … ich bin sehr verwundet.«
Sie neigte das Gefäß, das sie trug, zu mir, und gierig machte ich mich über das Getränk her; allein während ich trank, bemerkte Ada auf meinen Schultern das Blut, das aus den Striemen sickerte, die mir die Schläge der kupfernen Rute zugefügt hatten. Das Blut drang durch die dünne Tunika, und erschreckt rief Ada:
»O Unglücklicher! wahrhaftig, du bist ganz voll Blut! Du bist wahrscheinlich von nächtlichen Wegelagerern überfallen worden! … O Unglücklicher! Wie gut, daß du dich vor ihnen unter unser Dach gerettet hast. Bleibe hier und warte ein wenig auf mich: ich will dies erfrischende Getränk den Gästen bringen und kehre sogleich zurück, um deine Wunden zu waschen …«
»Gut,« sagte ich, »ich will gerne auf dich warten.«
Sie fügte noch hinzu:
»Ist es vielleicht dein Wunsch, daß ich Asella ein Wort hierüber zuflüstere? Bei ihr tafelt gerade der Stadtoberste von Damaskus mit einigen Freunden: er kann Leute ausschicken, um jene ausfindig zu machen, die dich gekränkt haben?«
»Nein,« erwiderte ich, »das ist nicht nötig. Bring mir nur ein wenig Wasser und vielleicht auch eine reine Tunika.«
Denn es war mein Wunsch, nachdem ich ein reines Gewand angezogen, zu dem mir bekannten Ammonius zu gehen, der sich, wie ich wußte, mit allerhand Geschäften abgab, und mich ihm für mein ganzes Leben zu verkaufen, um nur schnell Geld zu erhalten, das ich dazu verwenden wollte, um Magnas Kinder von dem Verschnittenen loszukaufen.
Ada kehrte bald zurück und brachte mir alles, was ich brauchte.
Jedoch sie hatte auch zu ihrer Herrin von mir gesprochen, und so kam es denn, daß, kaum daß Ada mit einem feuchten Schwamm meine Wunden gesäubert und meine Schultern mit einer leinenen Tunika bedeckt, in dem Gang, wo ich auf dem Boden mit der Seite an einen Baum gelehnt lag, Asella in ihrem prunkvollsten Gewand erschien.
Asella war ganz in Gold und Perlen, deren eine einen besonders hohen Preis hatte. Diese selten schöne Perle war ihr von einem ungemein reichen Ägypter geschenkt worden.
Mitleidig näherte sich Asella und veranlaßte mich, ihr alles zu erzählen, was mir zugestoßen war. Mit wenigen Worten schilderte ich ihr die Ereignisse, als ich jedoch die Not berührte, in die Magna geraten war, bemerkte ich, daß Asellas Augen ernsthaft wurden und daß Adas Blick ins Ferne glitt, während ihr Antlitz von Tränen überströmt wurde.
Und da kam mir der Gedanke, es wäre vielleicht Zeit, das Geheimnis des Magistrian zu enthüllen, und ich sagte darum ziemlich unvermittelt:
»Asella, trägst du alle Kostbarkeiten, die du besitzest?«
»Nein, das sind nicht alle,« erwiderte Asella. »Allein, was kümmert das dich?«
»Es geht mich sogar sehr an, und ich flehe dich an: Sage mir, wo du sie verbirgst, und ob sie noch alle da sind?«
»Ich bewahre sie in einem kostbaren Kasten auf, und sie sind alle da.«
»Oh, welches Glück!« rief ich und hatte im Nu alle meine Schmerzen vergessen. »Alles da! Aber wo hat dann Magistrian die zehn Liter Goldes hergenommen?«
»Magistrian?!«
»Ja, er!«
Und als ich dann zu erzählen begann, was Magistrian getan, flüsterte Asella:
»Ja, das ist Liebe in Wahrheit! Meine Ada sah, wie er aus dem Hause des Ammonius kam … Ich begreife jetzt alles: er hat sich dem Ammonius verkauft, um Magnas Flucht zu ermöglichen!«
Die Hetäre Asella fing leise zu weinen an, ihre Hand streifte die goldenen Spangen ab, die sie trug, die Armbänder und auch die große Perle aus Ägypten, und sie sprach zu mir:
»Nimm das alles, nimm und lauf, so schnell du kannst, und befrei die Kinder der Magna aus der Sklaverei bei dem Verschnittenen, bevor es ihm gelungen ist, sie zu verstümmeln!«
Ich tat's: ich legte mein Geld, das ich von Horus, dem Korinther, bekommen hatte, zu dem, was ich von der Hetäre erhielt, und schickte Magna, damit sie ihren Mann und ihre zwei Söhne aus der Knechtschaft befreie. Es gelang mit vollem Erfolg, dafür jedoch sind nunmehr mein Traum von der Verbesserung meines Lebens und meine Hoffnung auf eine glückselige Ewigkeit auf immer dahin. Und so werde ich denn wohl oder übel ein Gaukler bleiben müssen, – ein Lachreizer, ein liederlicher Mensch, – und werde springen und spielen, die Schellentrommel schlagen, pfeifen, mit den Beinen stampfen und mit dem Kopfe wackeln. Mit einem Wort: ich bleibe eine Tonne, eine Tonne voll Pech, ein unnützer Kehricht, den man auf keine Weise mehr verbessern kann. Das ist meine ganze Geschichte, Einsiedler, meine ganze Erzählung, wie ich die Möglichkeit, mein Leben zu verbessern, verloren, und wie ich mein Gelübde, das ich Gott gegeben, gebrochen habe.
Da erhob sich Hermius, ergriff sein Ziegenfell und sprach zum Gaukler:
»Du hast mich beruhigt.«
»Laß doch die Späße!«
»Du gabst mir Freude.«
»Worin besteht die wohl?«
»Die Ewigkeit wird nicht leer stehn.«
»Sicherlich!«
»Allein warum?«
»Ich weiß es nicht.«
»Weil viele von denen, die die Welt verachtet, auf dem Wege der Gnade in sie eingehen werden, viele von denen, die ich, hochmütiger Einsiedler, in meiner Selbstliebe vergessen habe. Kehre jetzt wieder in dein Haus zurück, o Pamphalon, und treibe weiter, was du getrieben, ich aber will wieder zurückgehn.«
Sie verneigten sich voreinander und schieden. Hermius gelangte wieder in seine Wüste und erstaunte sehr, als er in dem Felsspalt, wo er gestanden, nunmehr ein Rabennest vorfand. Die Bewohner des Dorfes berichteten ihm, daß sie auf jede nur erdenkbare Weise versucht hätten, die Vögel zu verscheuchen, allein daß diese die Klippe um keinen Preis verlassen wollten.
»So mußte es auch geschehn,« entgegnete Hermius. »Hindert sie nicht, ihre Nester dort zu bauen. Die Vögel haben auf Klippen zu hausen, der Mensch aber hat dem Menschen zu dienen. Ihr habt mancherlei Sorgen, ich will euch beistehn. Zwar bin ich schwach, aber ich will dennoch tun, was in meinen Kräften steht. Vertraut mir hinfort eure Ziegen an, ich will sie auf die Weide treiben und hüten, und wenn ich dann mit der Herde zurückkehre, dann sollt ihr mir Brot und Käse geben.«
Sie waren's einverstanden, und Hermius hub an, die Ziegenherde auf die Weide zu treiben, auch unterwies er während seiner Mußezeit die Kinder der Dorfbevölkerung. Wenn aber das ganze Dorf sich zur Ruhe begeben hatte, dann ging er ins Freie, setzte sich auf einen Hügel und richtete seine Augen dorthin, wo Damaskus lag. Und dort sah er Pamphalon. Der Greis liebte es, an den guten Pamphalon zu denken, und noch ein jedes Mal, wenn Hermius sich in seinem Geiste nach Damaskus begab, war ihm, als sähe er den Gaukler mit seinem Akra durch die Straßen laufen, und als sähe er außerdem auf der Stirn des Gauklers einen kupfernen Kranz. Mit diesem Kranz jedoch ging ein Wunderliches vor: von Tag zu Tag wurde der Kranz heller und heller und begann eines Nachts endlich so hell zu leuchten, daß es Hermius zu schwer wurde, ihn noch fernerhin anzublicken. Überrascht preßte der Greis die Hand vor die Augen, das Licht drang von allen Seiten her zu ihm. Und noch durch seine gesenkten Augenlider bemerkte Hermius, daß der Gaukler nicht nur ganz und gar ein Schimmern war, sondern daß er sich immer höher und höher erhob, – ganz so, als stiege er von der Erde in die Luft empor und als flöge er geradeswegs auf die glühende Morgenröte los.
Wohin fliegt er nur! Verbrennen wird er dort, zu Asche wird er werden! Hermius schwang sich hinter Pamphalon her, um ihn zurückzuhalten, oder um zum mindesten sich nicht von ihm zu trennen, da plötzlich aber stand im warmen Glanz der Morgendämmerung eine Schranke zwischen den beiden … Es war etwas wie ein Zaun oder wie ein Gitter, freilich war keiner seiner Stäbe dem anderen ähnlich. Und Hermius sah, daß es Zeichen waren, der ganze Himmelsraum war erfüllt von riesigen hebräischen Lettern, mit Kohle und Asche war ein Wort dort hingeschrieben: »Eigendünkel«.
Das ist sie, meine Grenze! dachte Hermius und hielt still. Pamphalon aber faltete sein Gauklergewand und fuhr mit ihm darüber hin und hatte in einem Nu das ganze Wort von dem ganzen unendlichen Raum abgewischt, und augenblicks darauf befand sich Hermius in einem unsäglichen Licht und fühlte, daß er in die Höhe schwang, und daß er Hand in Hand mit Pamphalon flog, und daß sie plauderten.
»Wie vermochtest du die große Sünde meines Lebens so einfach auszulöschen?« fragte Hermius den Pamphalon, während sie so dahinflogen.
Pamphalon aber entgegnete:
»Ich weiß nicht, wieso ich das vermocht: ich sah nur, daß du mit Hindernissen kämpftest, und wollte dir beistehn, so gut ich konnte. Solange ich auf Erden weilte, habe ich das immer so getan, und gehe jetzt mit der gleichen Gewohnheit in eine andere Wohnung ein.«
Weitere Reden der beiden hat der Schreiber dieser Geschichte nicht mehr gehört. Ihren ferneren Flug verbarg ein kühles Wölkchen mit tiefem Schatten, und ihre befreiten Seelen verschmolzen mit der purpurnen Röte des Sonnenaufgangs.
Dieses Buch wurde im Auftrag des Verlags Georg Müller in München
von Mänicke und Jahn in Rudolstadt in Unger-Fraktur gedruckt.
Den Einband entwarf Heinrich Jost.