Meinrad Lienert
Der König von Euland
Meinrad Lienert

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IV.

Am Sonntagnachmittag thronte Zachris, der König von Euland, wie nun fast immer, auf dem obern Umgang des großen Kachelofens in der Sonnenhaldenstube, die Krone auf dem Haupt, den weinroten Mantel um die Schultern und den Hirtenstab in der Hand.

Das Marieli hatte seinen Flachskopf in des Großvaters Schoß gebettet und ließ nun seine träumerischen Augen an der Diele herumwandern.

Zu des Königs Füßen aber, auf dem untern Umgang, hockten des Holzschuhmachers märzentupfiges Trutli und das zappelige Wiseli des Hornputzers, das immer, wie ein Brünnelein, ein singendes Summen im Munde hatte. Das Trutli hielt zärtlich eine hölzerne, von seinem Vater gar rohgeschnitzte Puppe im Arm, die es beim Eintritt in die Stube, wie sich selber, mit dem Weihwasser bekreuzt hatte und die es nun mit allerlei Blumen bekränzte. Aber alle drei Kinder horchten mit Aug und Ohr zum Greise auf.

Der besonnte Ofen warf einen grünlich flimmernden Läufer über den ausgetretenen Stubenboden und darüber hinweg blitzten Sebimarias, des Bauers, doppelschneidiges Schwert und sein Blechhut, die neben einem 109 harthölzernen hohen Kasten hingen. Sebimaria, der immer grauer werdende Hirte, kauerte gedankenschwer auf einer Stabelle am offenen Fenster und schaute schier schwermütig in den Tag hinaus. Kaum hörte er nach dem Ofen hin, auf dem sein weißer Vater aus seinen Reisläuferzeiten erzählte.

»Also will ich euch noch mehr erzählen, wenn ihr mir schön ruhig, wie bisher zuhören wollt«, sagte der Alte zu den Kindern, und nachdem er das Marieli ins heitere Haar geküßt hatte, redete er weiter: »Gut also. Wie ich nun also im Palast der königlichen Wittfrau zu Paris Türhüter geworden war, kam da ab und zu auch jener Mann, der Verse machen konnte, an den Hof, zu meiner Herrin, die ihn gar wohlleiden mochte. Das war ein merkwürdiger Mann, denn er konnte hexen. Aber trotzdem, hieß es, sei er arm und wohne in einem engen Gäßlein der großen Stadt Paris. Eines Tages nun, als ich die Frau Königin Katharina und ihre Hofdamen, mit andern Wächtern von der Leibgarde, durch die Gänge des Schlosses geleiten mußte, war auch dieser Ronsard, von dem ich euch schon einmal berichtete, in ihrem Gefolge. Da hielt meine hohe Frau auf einmal an und winkte den Dichter zu sich heran. ›Mein Freund‹, redete sie zu ihm, ›wo habt ihr denn eigentlich euere Poetenwerkstätte? Man sagt, sie sei in einem engen dunklen Schlupf des geringsten Viertels unserer Stadt Paris.‹ Da machte ihr der Dichter eine tiefe Verbeugung und ohne ein Wort zu 110 erwidern, bedeutete er ihr, sie möchte die Gnade haben, ihm zu folgen. So führte er sie denn hinauf zuhöchst in den Palast. Dort blieb er an einem gar weitausschauenden Bogenfenster neben der Königin stehen und über Paris hin, bis an die in blauer Ferne kaum noch sichtbaren Höhenzüge, mit großartiger Geberde zeigend, sprach er: ›Madame, meine Werkstätte, la voici!‹«

Die Kinder sahen den Greis verständnislos an, aber er fuhr, auch seine Augen ins Weite gehen lassend, zu erzählen fort: »Und eines Tages, Kinder, da begab es sich, daß der Bischof von Reims am Hofe zu Gast war. Als nun der hohe geistliche Herr mit der Königin all ihre Säle und Gemächer angesehen hatte und endlich mit ihr und dem ganzen Hof auch in die Schloßkapelle gelangte, blieb er unversehens stehen und indem er sich ihr zuwandte und sie mit seltsamen, fast ein wenig auffälligen Blicken ansah, sagte er zu ihr: ›Madame, ihr habt ein wundervolles Haus und alles ist so spiegelblank und klar, daß die Schatten nicht wissen, wohin sie sich verstecken sollen. Jedoch will mir scheinen, verzeiht, daß ihr wohl nicht zu oft auf eurem Gebetschemel kniet, an dessen Pültlein sich ein so großes Spinngewebe ansetzen konnte.‹ Da ward die Königin Katharina blutrot, fast finster. Aber Ronsard, der Dichter, fing flugs einen Sonnenstrahl ein, der eben durch das herrliche Glasgemälde eines Spitzbogenfensters kam und ihn durch die Finger gehen lassend, trat er zum Betstuhl seiner Herrin und sprach zum Bischof: ›Pardon, 111 euer Gnaden, seht, was da am Pültlein hängt, ist kein Spinngewebe, es ist ein Fetzen vom Schleier der Königin, der sich wohl löste, als sie sich im Gebete besonders demütig neigte.‹ Erstaunt beschaute der Bischof das Gespinst an des Dichters Hand, alsdann lächelte er und sagte: ›Ei, wie wunderbar! Noch nie ist wohl ein so feiner Schleier aus Brabant in die Stadt der allerchristlichsten Könige gekommen. Das ist, in Wahrheit, ein Gewebe, wie es kein Spinnlein, höchstens noch die Sonne und die Gedanken eines Poeten zu wirken vermögen.‹

So ein großer Hexenmeister war also dieser Ronsard, daß er die Sonnenstrahlen hat einfangen und weben können. Ja, am Hofe flüsterte man einander zu, er sei sogar imstande, die Strahlen aus den Augen der Frauen einzufädeln.

Dieser Dichter nun«, erzählte der Alte nach einer Pause erinnerungsvollen Schweigens weiter, »mochte mich recht wohlleiden. Oft, wenn er zu Hofe kam und mich an einer Tür der Gemächer meiner Herrin stehen sah, verweilte er für einen Augenblick bei mir und sprach mich an. Er wollte dann allerlei von mir wissen. Ob die Berge meiner Heimat so hoch seien, daß man von ihnen aus Paris sehen könne, ob die Mägdlein dort auch so weiße lachende Zähne hätten wie ich. Noch viel anderes fragte er mich. So hatte er auch bald heraus, daß mich das Heimweh quälte und wie mir die Tränen über die Backen liefen, wenn ich von unserm Bergland erzählte. Eines Tages 112 aber, wie er das wieder an mir gewahrte, lächelte er mich an und sagte, das Heimweh sei eine Krankheit, die einem Mann in fremdem Solde recht gefährlich werden könnte. Er vermöge sie mir zwar nicht zu heilen, jedoch ließe sie sich allenfalls auf die Frauen überleiten. Dabei gab er mir einen gelinden Backenstreich, sah mir wunderlich in die Augen und weg war er. Erst nach langer Zeit redete er mich wieder einmal an. ›Nun, mein wohlgewachsener Hirtensohn von den Schneebergen‹, fragte er, ›wie gefällt dir Madame, unsere schöne Königin?‹ Ich erschrak fast zutode und es fuhr mir eiskalt bis ins tiefste Herz hinein. Gewiß war ich weißer als die Sonne im Nebel. Doch lächelte er mich herzlich an und aber warnend den Finger hebend, verließ er mich. Nun wußte ich ja, wer mir's angetan hatte, daß ich die Königin Katharina so wahnsinnig lieb haben mußte, wer also mein Heimweh auf sie übergeleitet hatte.

Ja, Kinder, das war ein Hexenkünstler, aber bös könnte ich ihm doch nie werden, denn er hat mich durch seine Zauberei über alles glücklich gemacht.«

Der Greis wurde still und staunte ins Weite. Aber Sebimaria Ruhstaller, sein Sohn, trommelte seufzend aufs Fenstergesimse.

»Sagt, Großvater«, wollte jetzt das Marieli wissen, »hat es denn die Königin Katharina bald gemerkt, daß ihr auch ein König seid?«

Der Alte liebkoste den Blondkopf, der in seinem 113 Schoße lag, alsdann redete er: »Nein, Marieli, so bald hat sie's nicht gemerkt. Zuerst hat sie in mir wohl nur den starken, jungen Wächter erblickt. Alsdann wohl auch den scheuen und doch beherzten Sohn der Berge, der ihre Farben trug. Aber nach und nach müssen es ihr meine Augen verraten haben, denn niemand konnte einem so tief hineinsehen wie sie. Auf einmal hat sie's gewußt, daß ich ein König bin.«

Die Türe ging. Die Kinder schauten sich um. Es ward still in der Stube. Vitus Wiler, der Knecht, trat, einen Zwerchsack über die Schulter und einen langen Stock in der Faust, langsam, schier zögernden Schrittes ein.

Er schaute sich mit scheuen Augen rundum. »So«, begann er aber dann, ziemlich lebhaft, zu reden, »nun bin ich gerüstet, zum Ausrücken gerüstet. Euere Tagner, der Langresl und der Gängeli, warten schon auf mich unten im Euthal. Sie wollen mich bis in die Waldstatt Maria Einsiedlen begleiten. Und nun«, seine Stimme sank etwas und ward recht schwerschattig, »ich möchte jetzt euch allen noch Lebewohl sagen. Das Lachbethli, das Bethli«, machte er fast dumpf, »habe ich freilich im ganzen Hause, auch im Stall, nirgends habe ich sie finden und errufen können. Sie ist mich wohl«, es schien ihm nicht leicht zu werden, es auszusprechen, »sie wird mich wohl geflohen sein.«

Es ward erst recht still in der Stube.

So ging denn der Knecht auf den Greis zu, der auf dem Ofen thronte. Und wie er unter ihm stand, suchte er die furchige Hand, die auf Marielis Kopf lag, zu 114 erlangen. »Nun, lebt wohl, Großvater, ich muß jetzt fort, ich gehe jetzt ins Tiefland hinunter, heimzu.«

Zachris, der Alte, schaute ihn, wie aus tiefen Träumen erwachend, eine Weile still an, es war, als müsse er sich erst erinnern, wer da unter ihm stand. Die kleinen goldenen Kugeln an seinen Ohrenringen wurden unruhig. Er entzog dem zu ihm aufsehenden Burschen langsam die Hand. Aber jetzt kam ein Lächeln in seine Augen und den weißen Bart dem Knecht zuhäldend, nickte er ihm schweigend, freundlich zu.

Verwirrt, geduckt, schritt Vitus vom Ofen weg, auf Sebimaria, den grauen Sonnenhaldenbauer zu.

Der hatte sich erhoben und ohne dem Burschen die Hand zu geben, ohne ihn recht anzusehen, sagte er trocken zu ihm: »So leb denn wohl! Mit Gott und Glück! Hab Dank für deine guten Dienste, komm gesund heimzu und grüß mir deinen Vater!«

Das war alles.

Als der Knecht jedoch, düster, aber sich heimlich straffend, auf die Türe zuschritt, folgte ihm der Bauer. In der offenen Türe reichte er ihm die Hand, sich gleich wieder auf seine Stabelle zurückmachend.

Jetzt ging die Küchentüre. Lunn, die Magd, tschampte barfuß, eine Pfanne in den roten, wülstigen Fäusten, in die Stube. »Vitus«, rief sie, »ja, muß es denn sein, willst du wirklich heim? Nun, in Gottesnamen denn, ich wünsche dir einen guten Heimweg und daß du gesund zu 115 deinen Leuten kommst und alles in Haus und Stall wohlauf antriffst. Heja, und wenn du bei der Muttergottes davorne zu Einsiedlen vorbeikommst, so bet ein Vaterunser für mich, gelt.«

Ja, freilich, das wolle er gerne besorgen, gab er zurück. Und der Magd herzhaft die Hand drückend, schritt er aus der Stube, noch einen langen Blick nach dem Alten auf dem Ofen tuend. Die Lunn begleitete ihn bis vor die Türe aufs Stiegenbrücklein, alsdann kehrte sie um.

Aber das Marieli, das sich vom Ofen gemacht hatte, ging dem Burschen übers Vorstieglein hinab nach bis vors Haus. Dort verabschiedete es sich herzlich von ihm und seine Augen waren voll Tränen. Doch als er wissen wollte, wo denn die Große, ihre Schwester auf einmal hingekommen sei, ward es rot, raunte ihm aber zu: »Weißt halt, Vitus, unser Bethli ist, schon vor's recht getagt hat, in unsere Sattelalphütte hinaufgelaufen.«

Da dunkelte er zu, als wäre über ihn der Schatten einer Wolke gekommen, und biß die Zähne zusammen.

»Ja, aber Vitus«, sagte das Kind, mit großen, warmen Augen zu ihm aufschauend, »warum willst du denn so auf einmal von uns fortgehen? Gelt nur, du kommst aber recht bald wieder. Weißt, ich glaube halt, das Bethli bekomme sonst stark Heimweh nach dir.«

»Heimweh nach mir?« Er lachte ungut, bitter auf, »Heimweh nach mir, eine, die sich meinetwegen davonmacht, als wäre ich der schwarze Tod.«

116 »Ja, weißt Vitus«, meinte es bekümmert, »du hättest halt auch nicht so auf einmal gehen sollen.«

»Lebwohl, Maiteli, folg immer schön! Und«, raunte er ihm zu, sich zuvor umsehend, »sag dem Lachbethli, wenn ihm der Narr, der Torenbub dann nicht völlig verleidet sei, wisse man ja den Weg zu mir. Ich lasse mich allenfalls schon finden.«

So schritt er denn, ziemlich hurtig, das Marieli noch einmal warm ansehend, vom Sonnenhaldenhaus weg und bald klapperten seine schweren Holzschuhe das Steinplattenweglein hinunter.

Das Marieli hatte sich auf den Brunnen gehöckt und sah ihm nun mit traurigen Augen nach.

Aber plötzlich sprang es vom Trog. »O, o,« rief es in heiliger Entrüstung aus, »nun wirft er die auch noch weg!«

Im Abstieg nämlich war Vitus Wiler unversehens stillgestanden, nachdem er den Zwerchsack bald auf diese, bald auf die andere Achsel gehängt hatte. Und dann hatte er ihm, tiefhineinlangend, zwei kugelrunde, kindskopfgroße Bachsteine entnommen. Überrascht hatte er sie einen Augenblick angestaunt und darauf wütend in die Matten hinausgeschleudert.

Mit enttäuschten Augen, gekränkt, schaute ihm das Marieli nach, wie er nun wieder, ohne sich mit einem Auge umzusehen, nidsich ging, bis er unten an der Sonnenhalde hinter einem Gesträuch verschwand. Wohl sprang es aufs Stiegenbrücklein, um ihm noch weiter nachsehen 117 zu können, aber er war nicht mehr zu erblicken. »Ach«, rief es trostlos aus, »nun habe ich dem Vitus die zwei größten Steine, die gewiß ganz voll Gold sind, aus des Königs Kammer heimlich in den Zwerchsack hineingetan und nun hat er sie weggeworfen, als wären es bloß Tannzapfen. Und der Großvater hat mich doch selber geheißen, sie ihm in den Sack zu tun, denn, hat er gesagt, er wolle ihm damit zum Abschied ein rechtes Geschenk machen, eines Königs Diener müsse auch königlich belohnt werden. Und nun hat er sie . . .«

Es brach in ein Schluchzen aus. Tiefbetrübt machte es sich wieder vom Stiegenbrücklein und lief gleitig ein Stück Wegs über den Rain, um den so schwer mißachteten Schatz wieder zu holen und darnach verstohlen in des Großvaters Kammer hinaufzutragen. Er durfte es ja auf keinen Fall merken, denn dieser Undank des Knechtes hätte ihm gewiß sehr weh getan.

Es war schon spät am Abend, als die Sonnenhaldentochter, das Bethli, von der Sattelalp herabgestiegen kam. Sie machte sich hinten ins Haus hinein und schlich sich in ihr Dachkämmerlein hinauf.

Als man nach Zunachten nach ihr sah, lag sie zu Bett. Sie weigerte sich zum Nachtessen in die Stube herunterzukommen. Und als gar Sebimaria, ihr Vater, selber vor ihre Türe kam, gab sie auf seinen Anruf keine Antwort. Es war ihm aber, er höre ein halbersticktes Schluchzen.

Andern Tags wollte den Leuten auf der Sonnenhalde 118 der Verstand fast stillstehen, denn jauchzend rumpelte das Bethli aus seinem Guckaus herunter und in die Stube herein, wo alles eben, samt den zwei Tagnern Langresl und Gängeli, um den Tisch hockte, außer dem Großvater, der wohl noch zu Bett lag.

Toll auflachend, fiel sie über das Marieli und die Buben, den Sebeli und den Bäneli, her, sie verküssend und in den Haaren zausend und sie an sich drückend, daß sie mörderlich aufschrien. Und gleich packte sie auch die graue Katze, die auf dem untern Ofenumgang lag, tanzte mit ihr in der Stube herum und warf sie dann einfach zum Fenster hinaus und ihr nach auch noch die Holzschuhe ihrer kleinen Brüder. Der Lunn aber, der dicken Magd, die offenen Mundes und starren Augs auf sie staunte, stülpte sie die leere Milchmutte über den Kopf, daß sie die Aussicht völlig verlor, und sich vor Sebimaria, ihrem Vater, der nur so staunen mußte, tief verbeugend, rief sie aus: »Euere Tochter, das Königskind von Euland, wünscht euch guten Morgen! habt ihr wohl geschlafen?« Flugs hatte sie auch seinen grauen Kopf in den Armen und dreimal küßte sie ihn auf die Stirne, daß es schnalzte, darnach den ziemlich giltmirgleich, fast dumpf nach ihr gaffenden Tagnern huldvoll, freundlich zunickend. Und da war sie auch schon auf dem Ofen und hüpfte auf seinen zwei Umgängen alleweil auf und ab, bis ihr der Atem ausging. Da sprang sie herunter und sank mit einem ausgelassenen Gelächter auf eine Stabelle.

119 »Wohl, wohl, beim Strahl«, machte jetzt unwirsch die Magd, die sich mit plumper Umtunlichkeit ihrer hölzernen Kappe entledigt hatte, »man merkt den Lachvogel wieder, die gestutzten Flügel sind ihm wieder gewachsen. Potz Heiland, läßt die wieder umgehen! Des Lebens ist man vor dieser Haspel nicht mehr sicher. Sie ist in unserem Hause wie der Schwengel in einer Glocke: heut läßt sie alles hängen und morgen klopft und tollt sie uns die Wände und Ohren voll. Ach, ach, ach!«

Aber die Buben, der Sebeli und der Bäneli, waren von Bethlis Lustigkeit schon angesteckt. Sie hatten mit großem Vergnügen ihrem wilden Spiel zugeschaut und lachten fröhlich weiter, als sich nun ihre große Schwester, ruhig an den Tisch tretend, ein Näpfchen Milch aus der großen Zinnkanne vollschenkte. Das Marieli jedoch hatte sie alleweil verwundert angesehen und jetzt erfaßte es ihre herabhängende Hand, sie streichelnd, drückend, auf Kopf und Herz legend und in jeder Weise liebkosend.

Sebimaria, der Bauer, hatte sich erhoben und seine Tochter scharf ins Auge fassend, sagte er: »Bethli, Bethli, was bist du denn für ein Geschöpf?! Allweg hast du das Lachen und das Weinen im gleichen Trühlein und gewiß so eng beisammen und verschwistert, daß man's kaum auseinander kennt. Wer denn kommt aus dir? Gestern nacht hab ich gemeint, du werdest dich wie ein armer Wurm so tief in die Erde hineinverkriechen, als es Grund gebe, du könnest den Tag so wenig mehr vertragen, als ein 120 Scheermäuslein. Und heut nun, nein, könnte es, beigott, der hundertfältige Lerchenflug des ganzen Hochmoors der Schachensihl nicht höher in alle Himmel hinaufbringen als du. Schau«, redete er, nach kurzem, tiefem Schweigen, schwerstimmig weiter, »so gerne ich dein Lachen höre, ist's mir doch immer, es wolle etwas Dunkles zudecken, es sei wie ein Sonnenrain, der die Schatten im Leib habe. Du gefällst mir die letzte Zeit gar nicht mehr recht, Bethli. Irgend etwas geht mit dir. Wie hast du's nur so ungeschickt angestellt, daß du mit unserm Knecht, dem Vitus, so einem ordentlichen, gewehrigen und wohlhablichen Bauernsohn, auseinander gekommen bist. Maitli, nein, das habe ich von dir nicht verstehen können, obschon es von ihm auch nicht schön war, sich so unversehens, von einem Tag auf den andern, davonzumachen. Nun, das ist jetzt, wie's ist; was vorüber ist, ist vorüber; wir wollen da nicht lange mehr den Hättich und den Wärich machen und vom Hundertsten ins Tausendste werweisen. Die Katz hat den Vogel und damit Holla und fertig. Es gibt ja, gottlob, noch Mannsvolk genug im Land, auch Burschen, die sich gewiß mit fremden messen können. Aber Bethli, das mag sein wie's will, das sage ich dir, du mußt dich mehr zusammennehmen. Höchste Zeit wär's, daß du aus einer wilden Hornisse eine brauchbare honigvolle Biene würdest. Schau, es fürchtet einem ja bald wie du tust und dein Lachen, so hell es im Haus und im Land umgeht, tut einem nicht recht wohl. Ich weiß nicht recht warum, aber es ist einem 121 dabei, wie wenn das Schwegelpfeiflein und die Geigen einen Tanz aufspielen, der einem die Beine lustig und das Herz traurig macht. Ach, potz Donner doch auch! Du tust auch gar wie hintersinnig.«

Die Tochter gab keine Antwort, aber sie verbarg ihr Gesicht hinter ihrem Holznäpflein bis der Vater, gefolgt von den Tagnern, zur Stube hinaus war, bis ihre schweren Schritte vor dem Hause gegen die Scheune hin verhallten. Alsdann stellte sie das Näpflein wieder vor sich hin und staunte aus dunkeln, immer mitternächtiger werdenden Augen in den Tisch hinein, dessen Schrammen und Rissen traumversunken mit einem Finger nachfahrend.

»Was hast du, Bethli?« fragte, mit erschrockenen Augen, das Marieli. Und als es keinen Bescheid erhielt, rückte es auf seiner Stabelle ganz dicht an die Schwester heran und ihr binsenrotschimmerndes Haupt zu sich herabzwingend, raunte es ihr zu: »Sag, Bethli, bist du etwa so traurig wegen dem Vitus, hast du schon Heimweh nach ihm?«

»Närrlein, Herzlein«, sagte das Mädchen zu ihrer kleinen Schwester, sie küssend und anlächelnd. Aber als sie aufsah und die Glotzaugen der Lunn gradlinig auf sich gerichtet sah, schnörzte sie über den Tisch hin: »Was machst du denn für Bollaugen an mich hin, wie eine Kuh aus dem Stall in die Mondnacht hinaus, du Stande!«

»Heja, 'sKuckucks«, gab die überraschte Magd, gekränkt, entrüstet zurück, »man wird dich etwa auch anschauen dürfen, du bist ja keine Königstochter.«

122 »Meinst du?« sagte mit wunderlichem Lächeln das Bethli, »das fragt sich dann noch.«

Sie schoß auf, packte das Marieli und die beiden Brüderchen und ringelreihte mit ihnen in der Stube herum, sprang hochauf und tanzte und stampfte drauflos, daß es stob.

Die Lunn schlug die Hände über den Kopf zusammen. »Nein, aber so was«, rief sie aus, »wie tut die heut wieder einmal! So verrückt hat sie's denn doch noch nie getrieben. Wenn man diesen Wirbel eines Tages nicht noch anbinden muß, so will ich der Narr sein. Nein aber auch, jeregott, jeregott!«

Kopfschüttelnd, brummend, begann sie den Tisch abzuräumen.

Als aber dann, eine geraume Weile nachher, der alte Zachris Ruhstaller, als regierender König von Euland, auf dem obern Ofenumgang saß, hatte er einen guten Tag. So froh, so hellauf war ihm sein Großkind noch nie vorgekommen, so durch alle Mauern und Böden hindurch, so über alle Berge hinaus, hatte er das Bethli noch nie lachen hören. Nun war ja wohl alles wieder in guten, gangbaren Geleisen. Der Bursche aus dem St. Gallischen war fort. Er hatte ihn ja wohl auch gut leiden mögen, denn er war ein wackerer, ein fleißiger Bauernknecht, aber eben nur ein Knecht. Wie könnte er sich seine Enkelin in eines Bauers Armen denken, so hoch er diesen Stand hielt. Es müßte denn ein Hirtenkönig sein, wie er selber einer 123 war. Jetzt aber hatte Gott die Lösung ja vollzogen, das Bethli, die künftige Königin von Euland, war frei und konnte nun in aller Ruhe auf einen fürstlichen Freier warten. Wie werden sich einst die Herrensöhne der halben Welt um sie streiten, wenn sie von ihrer Anmut hören und von ihrer Schatzkammer in der Hagelfluh. Wenn's doch nur der Gotteswillen wäre, daß Katharina, seine Herrin, endlich einmal aus dem Frankenland kommen möchte! Wie wird sie dann entzückt sein über sein Großkind, über dieses an Leib und Seele so eigenfärbige Bethli! Wie freudig wird sie diese Wildtaube im Palast auf der Hagelfluh bei sich nisten lasten!

Ei sieh, da guckte der Schelm, dieses Lachbethli eben wieder durch ein Fenster hinein und lachte ihn mit lieben Augen an. Sie hing wohl am Gesimse oder war auf die Scheiterbeigen geklettert, wie vorletzten Winter die Nachtbuben, die so sehr darnach trachteten, in ihre warme Stube hineinzukommen. Er lächelte vor sich hin. Nun, dieses Jungvolk, die Nachtbuben, werden sich ja wohl bald genug auch wieder zeigen, da jetzt dieser fremde Bursche ihnen aus dem Gau gelaufen ist. Aber dieser Gedanke schien ihn doch nicht recht zu freuen. Er ward auf einmal ernst und machte verdrossene Augen. »Vielleicht«, redete er nach langem vor sich hin, »es kann sein, daß die Nachtbuben doch nicht kommen oder wenn sie sich dennoch da herauf und über die Scheiter machen«, er ward wieder heiterer, »so sind sie meiner Enkelin ein ländliches Spiel 124 und ein Zeitvertreib bis zu dem Tag, an dem unser Haus vom Felsen mit tausend Fenstern in die Welt hinausschaut und bis dem Bethli ganz andere Freier, zwar nicht über die Scheiterbeigen, aber ans vergoldete Tor kommen.«

Zachris, der Alte auf der Sonnenhalde, sollte es doch erraten. Eines Spätabends machten sich die Nachtbuben, Burschen aus den Tälern des Euthals und der Sihl, wieder auf die Sonnenhalde, kurz nachdem der Fremdling, der St. Gallerbursch, aus dem Lande war. Nun hatten sie ja wohl wieder freie Weide und mußten nicht mehr in grimmiger Ohnmacht zusehen, wie sich der Knecht nach und nach an die schöne Sonnenhaldentochter hatte machen können. Jetzt aber schien er das Spiel doch noch verloren zu haben. Das Lachbethli, das sie ja auch als ein heikelnäschiges, ja wunderliches Mädchen kannten, mußte ihm im letzten Augenblick noch ab der Schaukel gesprungen sein. Die Tagner, der Langresl und der Gängeli, die ja dort oben ihr Brot aßen, hatten ihnen da allerlei erzählt, aus dem sie nicht recht kamen. Nun, mochte das sein wie's wollte, das Haus auf dem Sonnenrain war ihnen wieder offen und keiner mehr dort, der ihnen vor die Türe stehen konnte.

Schon lange waren ihre Jauchzer durch die Nacht gegangen, bevor sie sich auf die Sonnenhalde gemacht hatten, aber nun schlichen sich die Burschen still rainauf und mit einem Male hatte das Lachbethli wieder eine Horde 125 stimmverstellender, stürmisch Einlaß heischender Nachtbuben ums Haus. Es sei ihr gerade, sagte die Lunn, die in der Stube des Sonnenhaldenhauses, den Kopf auf die Arme gestützt, am Tische hockte, die Nachtbuben seien solange sie wisse, Vitus hin, Vitus her, auf den Scheitern gelegen, denn so oft sie nachts durch die Fenster geschaut habe, habe sie immer Mannsvolk draußen gesehen.

»Ja, beim Eid«, sagte halblaut, mit zweideutigem Grinsen, der Gängeli, »das glaube ich dir.«

Der Langresl lachte eine Scholle heraus, daß die Wände zitterten.

»Bezapf du dich nur!« herrschte die erboste Magd den Gängeli an, »wenn schon du ein Oberst bist«, sie lachte dreckig auf, »du und dein Buckel sind mir unter dem Mannsvolk vor den Fenstern nie vor Augen gekommen, nicht einmal im Traum.«

Aber als jetzt der hagschwartendürre Langresl wieder seiner Lachsame die Schleuse auftat, also, daß sein Gelächter durchs ganze Haus hulterpulterte, legte Sebimaria, der Bauer, seinen Holzlöffel in die hohlgewordene Musgelte, die mitten auf dem Tisch stand und sagte, mit einem ernsten Blick auf die Tagner und die Magd: »Jetzt wollen wir noch den Englischen Gruß beten«, er sah flüchtig zum Ofen auf, wo sein Vater auf dem obern Umgang saß, »und darnach macht euch auf den Laubsack, ihr Mannen, so mögt ihr morgen zeitig wieder auf.«

Also beteten sie um den Tisch das Nachtgebet, wobei 126 die Lunn immer hintendrein kam, wie die alte Fastnacht. Aber die kleinen Buben, der Sebeli und der Bäneli, so sehr ihre Stimmen die der andern überhöhten, machten nicht so recht mit. Sie mußten immer zum Ofen hinaufsehen, wo das Marieli neben dem König von Euland kniete und ihm beim Essen half. Er hatte eine kleine Holzmutte voll Weißmus im Schoß. Jedesmal nun, wenn er einen dampfenden Löffel voll heraushob, blies es mit roten Pausbacken, aber gar behutsam darüber, bevor er ihn zum Munde führte. Nein, brennendheiß durfte der Großvater den Brei auf keinen Fall essen.

Das schien dem Alten sehr zu behagen, denn er neigte den weißen Bart schier andächtig seinem Großkinde zu.

Mit stillem Vergnügen schaute auch der Bauer allweil wieder zum Ofen auf.

Und als nun das Nachtgebet zu Ende war und auch die nachschleppende Magd zum Amen hatte kommen mögen, erhoben sich die zwei Tagner und trampten, an der Türe ins Weihwassertröglein langend und sich bekreuzend, aus der Stube.

Da warf der Sebimaria seine Hirthemdkapuze vom grauen Kopf und tat einen raschen Blick nach den Fenstern, vor denen nun der Lärm der Nachtbuben immer toller ward. Und schon lagen sie auf den Scheitern vor den offenen Fensterlädlein und sperberten jetzt, kichernd, tuschelnd, die Stimmen verkehrend und wohl auch aufjauchzend, in die Sonnenhaldenstube herein.

127 Der Bauer sah unruhig, nachdenklich auf den Tisch hin. Er hatte die Euthaler Nachtbuben schon lange gemerkt. Er wußte auch, daß sie kommen würden, er hatte es sehnlich gehofft. Sie sollten ihm seine Tochter, deren Wesen und Tudichum ihm in letzter Zeit immer weniger gefallen wollte, allmählich auf andere Gedanken bringen. Alsdann würde sich vielleicht doch unter ihnen einer finden lassen, der das Bethli zu gewinnen und völlig zuweg und landesbräuchlich zu machen vermochte. Es ward ja immer schwieriger mit ihr. Alles brachte sie aus der Ordnung. War sie heute Ostertag und Pfingstfest miteinander so glich sie morgen wieder ganz und gar dem Karfreitag. Alle und alles litt darunter und die Tochter, das sah er ja wohl genug, am meisten. Er hatte ihr auf Umwegen verdeuten lassen, durch das Marieli, er wolle den Vitus wieder rufen, aber da war sie wahrhaft fürchterlich geworden und hatte ihm gedroht, sie laufe auf Ehre und Seligkeit davon, wenn er ihr diese Schmach antue. Hundertmal lieber wolle sie sterben, als einen Menschen zurückrufen, der also von ihr fortgegangen sei. So ging's weiter und es war eine ewige Unrast im Hause. Nur der Großvater schien nichts Ungerades zu merken. Er freute sich offenbar, daß der fremde Knecht weg war, daß er nun das Bethli mehr für sich hatte. Gar oft saß sie jetzt bei ihm auf dem obern Umgang, was sie sonst nie getan hatte und ließ sich von ihm von seiner geliebten Königin Katharina erzählen, soviel er wollte.

128 Aber nun waren die Nachtbuben draußen. Der Bauer hatte wohlbemerkt, wie Bethli rot ward, als sie den Lärm ums Haus hörte und wie sie dann zudunkelte. Aber plötzlich war sie in ein Gelächter ausgebrochen, aus dem kein Mensch kommen konnte. Und auf seine Frage, was es nun sei, ob er die Jungen hereinlassen solle, hatte sie ihn erst fremd angesehen, aber gleich darauf giltmirgleich gesagt: »Vater, wenn's euch ein Gefallen ist, so mögen sie eben hereinkommen.« Darnach hatte sie ihren Löffel in die Musgelte gelegt und war in die Küche hinausgehuscht.

Der Sonnenhaldenbauer erhob sich. Noch einen langen, nachdenklichen Blick tat er zu seinem Vater hinauf, alsdann schritt er an ein Fenster und das halboffene Lädlein noch weiter auftuend, rief er in die Nacht hinaus: »Ihr Ledigen, die Türe steht euch offen. Wenn's euch so wohlgefällt, so mögt ihr, Gottsnamen, hereinkommen!«

Kaum hatte er die Türe auf den Flurboden hinaus aufgetan, so kamen die Nachtbuben, zögernd, fast scheu, mit bloßen Füßen, einer schön hinter dem andern, in die Stube herein. Bedächtig höckten sie sich, den Alten auf dem Ofen so ehrerbietig, als ihnen bei ihren graden Rücken möglich war, grüßend, um den großen, kuhbeinigen Tisch, von dem eben die Lunn die umfängliche Musgelte aufgehoben und in die Küche hinausgetragen hatte.

Der König auf dem Ofen gab den Euthalerburschen ihre Gutenabendwünsche freundlich, ja herzlich zurück. Er hatte die Krone abgenommen und sie neben sich auf den 129 obern Umgang gestellt. Es mochte ihm wohl zu warm machen in der dumpflüftigen Stube, in der er mit zitterndem Holzlöffel, den Rest, die Kruste des Weißmuses, aus dem Muttelein herauszukratzen suchte. Doch bald legte er den Löffel ins kleine Gefäß und es dem rasch zulangenden Marieli übergebend, wandte er sich nun völlig den Kindern zu. Er schien die Nachtbuben, die neugierig zu ihm aufsahen, vergessen zu haben, denn jetzt hatten sich auch seine zwei kleinen Enkel auf den untern Umgang des Ofens gehöckt. Der Sebeli bot ihm ein Stück weißen Zigers auf einem Holzteller an und der Bäneli hielt gar ein Handzainlein voll kleiner roter Bergkirschen zu ihm empor. »Nehmt, Großvater, nehmt!«

Doch der Greis sah mit immer schläfrigern Augen auf seine Großkinder, sie freundlich, lächelnd über die Scheitel streichelnd. Aber wenn er, mit ein wenig unsichern Fingern, ein paar Kirschen aus dem Zainlein heraushob, kam er damit nicht immer bis über den weißen Bart herauf, die Augen sanken ihm und die Kirschen fielen ins Zainlein zurück. »Ihr nehmt ja gar nicht, Herr König. So greift doch zu, Großvater!« ermunterte ihn das Marieli immer wieder. »Schaut wie schneetaubenweiß der Ziger ist und wie lind, da auf Sebelis Teller!« »Ja und was ich für gute Kirschen in meinem Zainlein habe!« rief der Bäneli, »wegen was nehmt ihr denn nicht, wegen was schlaft ihr denn alleweil wieder ein? Eßt doch, Großvater, nehmt doch!«

130 »So, ihr Ledigen«, sagte nun Sebimaria, der Bauer, nachdem er mit den Euthaler Burschen ein Zeitchen dem anmutigen Spiel auf dem Ofen zugesehen, »nun habt euch warm und bleibt mir nicht zu lang! Es freut mich, daß ihr gekommen seid, ich will's euch frei und offen sagen. Nun aber tut so, daß ich's immer lieber sehe, je fleißiger ihr anrückt. Jetzt gute Nacht beieinander! Ich muß noch in den Stall hinüber und darnach auf den Laubsack. Also habt ihr die Stube, ihr Ledigen. Ich denke, ich werde euch das Bethli aus der Küche hereinschicken müssen. Wie's mir ist, wird sie mich bei euch wohl zu ersetzen vermögen. Oder«, machte er mit schalkhaftem Augenzwinkern, »wollt ihr etwa lieber die Lunn haben? Die gebe wohler aus.«

Ein Gelächter polterte durch die Stube.

»Ja, ja«, rief's aus den Nachtbuben, »schick uns das Lachbethli ins Gau! Wir möchten wieder einmal sein hellstimmiges Glöcklein auf der Sonnenhalde läuten hören, des Langresls drei Sentenschellen tun's uns nicht. Haarus, haarus!«

Der Bauer Sebimaria trampte bedächtig in die Küche hinaus. Und wie sie bald darnach seine schweren Schritte über die Steinplatten gegen den Stall hingehen hörten, sprang die Küchentüre auf und herein kam, lachend über und über, wie ein Sommermorgen, der aber Gewitterwolken und den Blitz im Leibe hat, das Bethli.

Erst sah sie zum Großvater hinauf. Der schien sich 131 ganz an die Kinder verloren und alles außer ihnen vergessen zu haben. Dann machten sich ihre Augen unter die Nachtbuben. Doch war kein Bursche in der Stube, der hätte behaupten können, des Mädchens Blicke seien solange wie ein Falter oder auch nur der Schatten eines vorüberziehenden Vogels auf ihm haften geblieben. Sie schien alle und keinen anzuschauen. Aber jetzt lachte sie hellauf, wie sie einen weißborstigen Ledigen, mit keckem roten Schnurrbärtchen vor sich sah. »Oha, Weißgokel, du bist auch da!«

»Jawohl, bin ich«, sagte der Weißköpfige frischheraus, »und wie's scheint, hast du mich noch nicht einmal völlig aus den Augen, geschweige aus dem Herzen herausbringen können.«

Sein lärmendes Auflachen ging durch die Stube.

»Du bildest dir wohl ein, Bälzel«, rief ein anderer, »du seiest es, der in ihr den St. Gallischen, den fremden Fetzel, gebodigt hat. Ich nehme aber an, für einen solchen Lupf brauche es schon meinesgleichen. Einen Menschen, der's nicht bloß im Maul, der's in den Ellenbogen und Waden hat.«

Das Bethli sah einen Augenblick kühl, fast abweisend, in das frohgestimmte, angriffige Jungvolk hinein. Aber gleich lachte auch sie wieder los und über alle hinweg und rief aus: »Ihr möchtet's nun wohl ein Zeitchen kurzweilig haben hier in der Sonnenhaldenstube, ihr Buben, oder nicht? Ein wenig den Hund ablassen tätet ihr gern und vielleicht gar ein Tänzlein mit mir stieben, aber . . .«

132 »Aber«, machte einer, mit Grabesstimme, zu den Kindern auf dem Ofenumgang hinblinzelnd, die um den Alten lagerten, schläfriger als die Jünger am Ölberg, »es sind drei Kacheln zu viel im Ofen.«

Es ging ein Auflachen um den Tisch.

»Wohl, wohl, da kann man abhelfen, man muß sie nur herausheben«, meinte mitlachend das Bethli. »Kinder, Marieli, Sebeli, Bäneli, es ist für euch hohe Zeit auf den Laubsack! Befleiß dich, weidlich, weidlich, Marieli, bring deine Brüderchen zu Bett! Du bist ja unser Hausmütterchen. Was wollten wir denn anfangen, wenn wir dich nicht hätten.«

So machte sie sich an den Ofen und hob die zwei halbwegs schlafenden Knaben, samt ihrem Holzgeschirr, vom untern Umgang. Das Marieli aber küßte den Großvater noch in den weißen Bart hinein, also angelegentlich, daß sein schmales Gesichtlein sich drin fast verlor. »Schlaft gesund, Herr König!« rief's aus und darnach hatte es gleich an jeder Hand einen kleinen Bruder und zog und lockte sie mit zärtlichen Zurufen aus der Stube.

Im Hui verging das Getappe und Getrippel ihrer bloßen Füße im Hause.

Kaum waren sie weg, ließ der alte Zachris Ruhstaller auf seinem Ofenhock das Haupt völlig sinken und gleich nickte er ein, sich am Hirtenstab, den er wieder zuhanden genommen hatte, festhaltend.

Jetzt lagen auf einmal zwei Schwegelpfeiflein auf 133 dem Tisch. Die Hirthemden rundum wurden unruhiger. Ein lockendes, kurzes Aufjauchzen kam aus der Horde. Die nackten Füße begannen zu stampfen, aber der Greis auf dem Ofen schlummerte ruhig weiter.

Der heiterschopfige Bursche, mit dem roten Schnurrbärtchen, sprang auf, also, daß seine Stabelle umflog. Und sich hart vor die Haustochter stellend, die nun am Spinnrad saß und das Rädlein blitzschnell gehen ließ, sagte er: »Lachbethli, Kind Gottes, sag's nur einmal vor allen frei heraus: wo hast du mich gern?«

»Dich?« antwortete sie, lachend zu ihm aufschauend, »am liebsten hätte ich dich zuoberst in einer Wettertanne auf der Schräh.«

»Nein, das wäre mir zu weit weg von dir«, sagte er, während die andern lachten. »Ich meinerseits, hörst du, Lachbethli, möchte dich und deine Küsse gern so nahe bei mir haben, wie allenfalls die Eichhörnchen in jener Wettertanne auf der Schräh die Tannzapfen, so daß ich sie völlig bei Hand hätte und sie nur zu schütteln brauchte, um sie haufenweise zu haben. Schau so!«

Er jauchzte auf und da hatte er das Mädchen schon vom Stuhl und in seine Arme gerissen und küßte sie ab, was er konnte. Doch dauerte das alles nicht einmal ein Gegrüßtseistdu! lang, denn er bekam vom Bethli einen Stoß vor die Brust, der sie im Hui wieder aus seinen Fängen brachte. »Wart ich will dir, du Lecker!« rief sie aus, ihn an den Schultern packend und auf seine Stabelle 134 niederzwingend, »kommst du mir nochmals so, geht's dir dann bös.« Sie fuhr ihm in die weißen Borsten und schüttelte ihn wie eine Sentenschelle. Aber er lachte nur, schien sich das ganz gern gefallen zu lassen und sein rotgewordenes Gesicht, mit den breiten Kinnbacken, aus denen die Zähne nur so hervorbrachen, als wollte jeder als erster zum Anbeißen kommen, zu ihr aufhebend, sagte er heiß: »Hau nur zu, Maitli! Was du zu hauen vermagst, halten meine Backen mit Freuden aus.«

Alles lachte, auch das Bethli. Aber als jetzt die Schwegelpfeifen auf einmal aufspielten und also ein bodenguter, lüpfiger Gautanz umging, erwachte der Alte auf dem Ofen.

Verwundert erst, alsdann kalt, schaute er in die so rasch aufgegangene Lustigkeit. Wie jedoch seine Blicke auf die Enkelin fielen, die eben zwei bäumige Burschen, deren Hände sich zu einer gar lebendigen Schaukel verbunden hatten, hin und her läuteten, ja aufwarfen, wurde er unmutig. Seine dichten weißen Brauen hingen dräuend über die Augen herein und die kleinen goldenen Kugeln an seinen Ohren wollten nicht zur Ruhe kommen. Er erhob sich und suchte sich mit zitterigen Händen vom Ofen herunterzuhelfen.

Das Bethli hatte das alles und mit zunehmendem Unbehagen wohlbemerkt. Sie sprang den Nachtbuben von der allzulebendig gewordenen Schaukel und machte sich geschwind auf den untern Ofenumgang, um dem 135 Großvater beizustehen. Willig nahm er ihre Handreichungen an und so war er rasch auf dem Stubenboden.

Und nun schritt er durch die Jungen, die ihm, fast scheu, Platz machten. Er nickte ihnen stumm, ohne sie jedoch anzusehen, zu und also machte er sich, an seinem schwach vergoldeten Hirtenstab, geführt von seiner Großtochter, über das Trepplein hinterm Ofen hinauf, in die Stubenkammer.

Kaum war die weinrote Schleppe seines Mantels hinterm Ofen verschwunden, gerieten die Nachtbuben schon ins Kichern. Wie sie nun die Falltüre oben zuklappen hörten, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus.

Aber bald ward es wieder ruhiger in der Stube. Sie begannen über den Tisch zu tuscheln und allerlei Sprüche und Witze zu machen. Nach und nach verleidete ihnen das auch, sie hörten immer angelegentlicher zur Stubenkammer hinauf und ihre Augen wollten nicht mehr so recht von der Ofenecke wegkommen, um die der Alte mit seiner Enkelin verschwunden war. Mit schwerverhaltener Ungeduld, sehnsüchtig warteten alle aufs Bethli.

Jetzt erblickte der Weißkopf, in dessen Haarborsten noch des Mädchens Griffe brannten, die starkzackige, goldene Krone auf dem obern Ofenumgang. Der schlafbefangene Greis hatte wohl vor seinem Abzug vergessen, sie sich aufzusetzen. Er lachte auf, zeigte auf den Ofen und sagte halblaut in die Nachtbuben hinein: »Seht ihr, der alte Sonnenhaldenzachris, unser König«, er lachte kurz 136 auf, wobei er die verschmitzten Grauäuglein bedeutungsvoll umgehen ließ, »hat seine Krone auf dem Ofen stehen lassen. Potz Blut, ihr Strahlhagel«, redete er mit säfzgendem Mund, »mit dieser Krone könnte man sich nun einmal einen rechten Spaß machen. Meint ihr nicht auch? Ja, beim Eid sterb ich, da bekämen die Vögel wieder einmal Hanfsamen haufensgenug. Ich hab's schon im Kopf, wie ich's meine und es ist mir, wir könnten da etwas anreisen, einen Streich, über den das Bethli acht Tage lang das Lachen nicht abznstellen vermöchte. Ja, da könnte sie einmal lachen, daß ihr die Toten zwei Spieß tief im Boden noch das Echo machen müßten. Heja, was meint ihr Ledigen, wie wär's, wenn wir der dicken Lunn, diesem wandelnden Laubsack, die Krone aufsetzen würden?«

»Jaha, potz Wetter«, rief einer aus der Tischrunde, »das könnte wieder einmal einen Landspaß abgeben, über den man über alle Berge hinauslachen täte.«

»Soll's also losgehen?«

»Allweg, ja, ja, ja!« lärmte es allseitig.

»Ja, aber wenn's der alte Zachris zu merken käme?« meinte einer.

»Behüt uns Gott!« rief's aus der Schar zurück, »wenn so ein Alter einmal auf dem Laubsack liegt, so ist er gewiß und heilig gehörloser als ein Schneemann.«

»Also denn, gut«, sagte der Weißborstige. Flink erhob er sich und ihnen aus seinen Fuchsenäuglein nochmals hinterhältig zuzwinkernd, machte er sich stillfüßig in die Küche hinaus.

137 Alle horchten gespannt. Sie hörten in der Küche aufgeregt flüstern. Doch dauerte es nicht lange, so tat sich die Türe wieder auf und da zog, zerrte und fleischte denn der Bursche schon die umfängliche, bis an die Stirne und drüber hinaus noch fettglänzende Lunn, die Magd, in die Stube herein.

Sie wehrte sich mit Hand und Fuß und ihrem zwar wohlgeschmalzten, aber gleichwohl etwas langsamen Stimmwerk, so gut sie's vermochte. Doch als sie die Nachtbuben nun in ihrer Mitte hatten und allseitig auf sie einredeten und ihr schön taten, sie sogar Lunneli nannten, ward ihr umundum warm, wie einer alten Katze auf dem Ofen. Eine derartige, ungewohnte, aber hochwillkommene Zutunlichkeit von der Mannenseite ward ihr zu stark, es übernahm sie. Und siehe da, was sie eben noch mit Unwillen, ja Entrüstung angehört hatte, fing auf einmal an, ihr wie Schlagrahm einzugehen. Henein, meinte sie, nach einigem Getue, am End wolle sie ihnen denn doch auch nicht die Spielverderberin machen. Eigentlich, wenn sie's sagen wolle, wie's ihr sei, so müsse sie's bekennen, daß sie fürs Leben gerne sehen möchte, was das Bethli zu dem Spaß für ein Gesicht mache und wie sie dann ins Lachen komme, wie der April ins Hochwasser. Das werde wieder ein Umtrieb und ein Tanz im ganzen Haus herum absetzen.

Kurzum, recht bald hatten die Burschen die schwerfällige Lunn auf den obern Umgang des Ofens 138 hinaufgefuhrwerkt. Da hockte sie nun, also massig und bodengut, wie man sie hingehöckt hatte und ließ sich's, wenn auch in verlegener Scheu und unbehaglicher Verschämtheit, gefallen, daß ihr die behenden Jungen des Königs Krone auf den fettigen Haarwulst stülpten und ihr als Herrscherstab den aus der Küche hereingeholten Tannreisbesen in die rechte Hand drückten, die aufgequollen, wie eine Laubkröte nach der Schneeschmelze, auf ihren Knien lag.

Die Nachtbuben hatten eine unbändige Freude an dem dicken, schlampigen Weibervolk, das nun, mit dummem, gelächerigem Gesicht, auf dem Ofen hockte und König spielte. Sie hielten aber an sich und suchten ihre Lachsame zu stauen.

Und als sie nun die Falltüre der Stubenkammer aufheben und bedächtige, fast zögernde Schritte hinterm Ofen herabkommen hörten, zwangen sie geradezu den Atem zurück. Sogleich mußte ja das Lachbethli die Lunn sehen. Sie wollten aber sein Gelächter voll und ganz zu vernehmen und auszugenießen bekommen.

Langsam, fast auffallend still, kam des Sebimarias Tochter, das Bethli, um die Ofenecke und mit traumverlorenen, schier dämmerdunklen Augen vor sich hinsehend, setzte es sich ans Spinnrad.

»Ja, 'sKuckucks abeinander«, rief's jetzt aus den Hirthemden, »bist du denn blind geworden, Bethli, daß du die so lange und so feuerzündheiß vom König von Euland, deinem Großvater, erwartete Königin aus 139 Frankenland nicht siehst. Nun ist sie ihm endlich doch gekommen, sie hockt schon auf dem Ofen.«

Die Spinnerin schaute auf und erblickte die gekrönte Lunn auf dem Ofenumgang. Einen Augenblick stutzte sie, geisterhaft und aus halbgeöffnetem Munde lächelnd, aber miteinemmale brach sie los und ihr tolles Gelächter erfüllte die Stube, das ganze Haus, die Welt.

Die Burschen mußten erst nur so zuhören. Nein, das war ja noch viel toller als sie sich's doch gedacht hatten. Da lachte und lachte nun dieses Bethli, wie verrückt; es jauchzte geradezu.

Aber nun riß es sie alle mit. Doch kaum fuhr ihnen ihr mühsam gestautes Gelächter heraus, verstummte das Bethli jählings. Und zu ihrer großen Überraschung, ja zu ihrem Schreck, sahen es die Nachtbuben erbleichen und sie sahen, wie nun aus einem dunkel gewordenen Gesicht, zwei brennende Augen zum Ofen aufstaunten, als würden sie die Magd erst jetzt gewahr.

Ein wilder, wütender Aufschrei, das Bethli war aufgeschossen, daß das Spinnrad unter den Tisch flog; ein paar Sprünge, und nun stand das Mädchen schon bei der Lunn und riß der entsetzten Magd die Krone vom Kopf, sie eilig zuhöchst auf dem Ofen, hinterm Umhänglein verbergend.

Als jedoch die Lunn, die in ihrer Vertaterung und in ihrem Schrecken keinen kleinen Finger zu regen vermochte, nach ihr sehen wollte, packten sie schon des Bethlis Griffe 140 an den halbwegs aufgegangenen Zöpfen. »O, o, du Gans, du Grundlawine, du dummes Huhn!« schrie es kreischend auf. »Wie hast du dich nur«, lärmte es, sie vom Ofen herabschleppend, »von diesen verdrückten Heimlichtückern, von diesen Füchsen und Luchsen, zu solch einem Lumpenstreich mißbrauchen lassen können?! Hinunter mit dir, du Erdbreche, du erzdumme Truhe!«

Wie sie nun die Magd, schäumend vor Wut, auf dem Stubenboden hatte, entriß sie ihr den Tannreisbesen und trieb die Aufheulende, Jammernde in die Küche hinaus. Und kaum schlug die Türe hinter ihr zu, kehrte sich das Mädchen aufschreiend, zornglühend gegen die Burschen, die alle unwillkürlich vom Tisch aufgefahren waren. Und jetzt bedünkte sie, es spränge ihnen aus Bethlis Augen ein Wirbel blauer Schmiedenfeuerlein ins Gesicht. »Hinaus mit euch, hinaus, hinaus!«

Bevor sich die Nachtbuben ihres maßlosen Staunens über das so blitzgeschwind verwandelte Bethli bewußt wurden, tanzte der rauhe Besen schon einen grimmigen Tanz um ihre Köpfe. Und bevor sie auch nur einen Laut von sich zu geben vermochten, fanden sie sich, wie ein Gehüt Schafe, über die ein Gewitter mit Blitz und Hagelschlag hereinfährt, gehetzt und verjagt.

Und da standen sie nun in der Nacht draußen, so selbstverständlich, als wären sie nie auch nur mit einer Zehe in der Sonnenhaldenstube drin gewesen. Mit großen Augen staunten sie sich allweil an.

141 Endlich erwachten sie völlig und taten allerlei Ausrufe der Verwunderung. Aber nach und nach fingen sie an zu lachen, doch wollte es zu keinem frohgemuten, herzlichen Lachen werden. Sie blickten immer unfreundlicher und endlich fast böse auf die Fensterlädlein der dunkel gewordenen Stube. Sie bekamen allmählich Fäuste, hart und rund wie Bachsteine. Aber sie bezähmten sich.

Ein Nachtbub, der Weißkopf, hatte sich auf den Brunnen gestellt. »Maitli!« rief er ans Haus hin, gegen das Guckauskämmerlein hinauf, »Maitli, nun kannst du lange genug warten, bis wir dir wieder ans Lädlein klopfen. Merk! Wir verstehen jetzt auch, wegen was dein fremder Gespönsling von der Sonnenhalde fort ist. Heja, es wird ihm eben verleidet sein, einer Königstochter zu hofen. Zum Melken und zum Mistanlegen würde man gewiß auch in den eidgenössischen Tieflanden so hoffärtiges Weibervolk nicht wohl brauchen können. Schlaf gesund!«

»Heijo, du daoben, sag, bist du denn nicht das Lachbethli?« redete eine andere Stimme in der Nacht, »bist du denn nicht ein Spottvogel über alle Dächer hinaus? Und heja, red, warst nicht du es, die sich geschämt hat, in ihres Großvaters sonderbaren Sonnabendumgängen ihn zu begleiten? Ja, du Strahlsmaitli, warst denn nicht du es, seine leibhaftige Enkelin, die ihm mit der Krone so schlimm mitgespielt hat, als er in den Äckern seinen goldenen Steinen nachgegangen ist? Red, red, rück aus! Und dennoch hast du mit uns heute eines Spaßes wegen 142 getan, als hätten wir den König von Euland mit glühenden Zangen gezwickt und gevierteilt, als wärest du selber auch hintervürköpfig geworden. Mit Gott und Glück, Lachbethli! Uns Euthaler Nachtbuben siehst du auf der Sonnenhalde ein Zeitchen nicht wieder. Haarus, haarus!«

Aber als die Burschen über das Steinplattenweglein mit fast lautlosen Barfüßen hinunterschlichen, wurden sie immer einsilbiger. Es wollte nicht, wie sonst immer, wenn sie vom Zulichtgang bei einem Mädchen heimzogen, ein Jauchzen das andere überhöhen. Unruhig, verdrossen stiegen sie ins Tal hinab. Es mußte da wohl etwas Unheimliches mit ihnen gehen; irgendein Alpkobold, ein Nachtbutz mußte ihnen auf den Nacken gesprungen sein und sie also bedrücken und würgen, daß ihr Jauchzen nicht in die sternenklare Hochlandsnacht hinaus wollte. 143

 


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