Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Weshalb hat sich der alte Bastian Borg erhängt?
Man hätte vor allem fragen können, weshalb er sich verheiratete. Die Antwort auf diese letztere Frage wurde seit drei Jahren auch in der ganzen Umgegend aufgeworfen, und die Antwort lautete bei allen Variationen doch im wesentlichen dahin, daß Mads Foß infolge der Verluste aus einer fehlgeschlagenen Roggenspekulation Borgs Schuldner geworden und dessen Forderungen nicht anders zu tilgen wußte, als indem er jenem seine Tochter Marianne zur Gattin gab. Mads Foß, so pflegten die Leute wohlwollend hinzuzufügen, liebe es, seine Schulden mit seinen hübschen Töchtern zu liquidieren. Die wunderlichsten Partien seien dadurch zustande gekommen. Ein gewisses herrschaftliches Auftreten, eine flotte Leichtlebigkeit bilde einen charakteristischen Zug der ganzen Familie. Jeder Besuch der Frauen im väterlichen Hause hätte eine ununterbrochene Reihe von Gesellschaften und nebenbei auch ein Pfandanlehen nach dem andern zur Folge, man könne mindestens auf je eine Kindstaufe eines rechnen.
Daß sich Bastian Borg erhängt, war übrigens leider so ziemlich unzweifelhaft.
Es betraf denn auch nicht so sehr die Frage, ob er es gethan, worüber halbwegs gescheite Leute sich sonderlich den Kopf zerbrachen, als vielmehr weshalb der reiche Borg zu der That geschritten. Über dieses Geschehnis lag völliges Dunkel, es stand zum mindesten im Widerstreite mit zwei Verabredungen, welche der Mann noch am selben Vormittage getroffen, sich nämlich den nächsten Morgen unten am Stapelplatze einzufinden, um wegen gelieferter Mastbäume Abrechnung zu halten und sodann nach abgewickeltem Geschäfte oben beim Zollinspektor vorzusprechen.
Er war allerdings ein wunderlicher Kauz gewesen, der alte, abgetakelte Reeder mit den buschigen Brauen, den runden kleinen Augen, der krummen Nase und der von einem Sprengschuß herrührenden Schramme im Antlitz, und er machte für den Beschauer einen wenig anheimelnden Eindruck, wenn er mißtrauischen Blickes, wortkarg und mit gekrümmtem Rücken zwischen seinen gelbbraunen Baulichkeiten umherschlich. Der Volksmund nannte den Alten den Uhu.
Und so erregte es denn grenzenloses Aufsehen, als man davon erzählte, daß Marianne Foß, die schöne, lebhafte Marianne, ins »Uhunest« einziehen, sich mit Bastian Borg verheiraten sollte.
Aber hinüber nach Borgswiek bekam er sie, wie es auch immer zugegangen sein mochte. Und jedesmal, wenn der alte Bastian vom Landungsplatze kam, war er mit Präsenten aller Art beladen, mit Kleiderstoffen und Spitzenschleiern und Nähetuis und feinen Stiefelchen. »Denn der Mann ist ein Thor,« Pflegte er zu sagen, »der dem nicht Rechnung trägt, was einer jungen Frau naturgemäß Freude macht.«
Begreiflicherweise ging es jetzt im Hause des Herrn Borg mit Besuchen und Gästen anders her als früherhin, und das war ja auch nur natürlich, wie er recht wohl einsah.
Sein Wesen aber wurde immer wunderlicher.
Er ging still und in sich gekehrt umher. Die Leute sahen ihn oft in der Dämmerung bald da, bald dort stehen, wo man's am wenigsten erwarten sollte, und wie es schien, nach etwas hinhorchen. Sie meinten in ihrer abergläubischen Weise, daß sein alter Schiffskobold ihm wohl Unruhe schaffe, und daß er Gesichte von dem gespenstischen Gesellen habe.
Dieses Frühjahr nun ersuchte der junge Ferdinand Wiese, der während der Weihnachtsfeiertage stets bei dem Vogte, dem Sohn des Schiffbauers, drüben am Fjord, zu Besuch zu sein pflegte, ihm für ein paar Wochen Gastfreundschaft zu gewähren. Er müsse sich behufs Ankaufs von Schiffshölzern und Eichenmaterial zu Krahnen aus den umliegenden Wäldern in der Gegend aufhalten.
Es war eines Nachmittags in der Dämmerstunde, da es Herrn Borg unten in seinem Comptoir doch wohl etwas zu einsam dünken mochte. Er stieg die Treppe zu dem gelben Gemach hinauf, wo Marianne, wie er wußte, mit Wäscheeinräumen beschäftigt war. Hier blieb er an der Thürschwelle stehen.
Was er im Zimmer gesehen, niemand erfuhr es. Nur die Magd, die eben vom Boden kam, wo sie die Waschleine gezogen, hatte bemerkt, daß er kreideweiß im Gesicht war, als er sich wendete und die Bodentreppe hinaufstieg. Die Bretter knarrten unter seinem langsamen, schweren Tritt, worauf es so still wurde, daß das Mädchen die Tropfen draußen aus der Dachrinne fallen hörte.
Als sie später, mit dem Wäschkorbe und den Klammern in der Hand, auf den Boden zurückkehrte, glaubte sie anfangs, der Alte stehe wieder wie gewöhnlich und horche und grübele. Doch alsbald erkannte sie, was sich Schreckliches hier zugetragen, und da war es, daß man ihren Schrei über alle Treppen hinweg hörte.
In dieser Weise erzählte Stina am selbigen Abend die Geschichte. Tags darauf wußte sie dagegen haarklein zu berichten, wie sie ihn, rücklings über dem Balken liegend und vom Schlage getroffen, aufgefunden habe. – Und heute war im Hause der Leichenschmaus gehalten worden, ein ordentlicher Leichenschmaus. Das heißt, nicht eben ein gar zu reicher, flotter, bei dem die Tische sich unter der Last der Speisen biegen, und der Wein in Strömen fließt, wie man das seitens derer vom Foßhofe eigentlich hätte erwarten müssen. Nein, es ging ordentlich in der Bedeutung von schicklich und wohlanständig zu, und das in einem Grade, der fast an Nüchternheit streifte.
Es war ein stilles, gemessen-feierliches Totenmahl. –
Daß der alte Foß nach seiner Krankheit etwas bleich und mitgenommen erschien, gab ihm nur ein um so sympathischeres, würdigeres Aussehen; er berührte kaum die stärkeren Getränke und nur insoweit, als es durch die vielen Toaste durchaus geboten war.
Der Sohn des alten Foß, der Großhändler aus der Küstenstadt unten, dankte in wohlgesetzter Rede den vielen von nah und fern Gekommenen im Namen seiner Schwester für die dem Hause erwiesene Ehre.
Über etwas, das drückend in der Luft geschwebt, war man durch das allseits von den Freunden beobachtete Benehmen glücklich hinweggekommen. Bastian Borg durfte nicht anders als in geweihter Erde begraben werden. Man hatte sogar demonstrativ in der Hauptstadt ein Eisengitter mit vergoldeten Knäufen für sein Grab bestellt.
Es war ein offizielles Geheimnis, dem man sich hier schweigend und mit wohlversiegelten Lippen gegenüber befand. Und ein jeder, der nur im geringsten Anspruch machen zu können glaubte, sich zu »den Oberen« in der Gegend zu zählen, rechnete es sich zur Ehre, an diesem Privatissimum der Familie vom Foßhofe teil zu haben und das Seinige beizutragen, es der Öffentlichkeit zu entziehen.
Ein jeder – ausgenommen der alte Zollinspektor, der den Kopf in den Nacken geworfen, mit herausfordernder Miene, wie jemand, der es besser wisse, herumging. Er behauptete ungescheut, daß Bastian Borg sein unselig Ende durch Selbstmord gefunden. Stina, die Magd – und sie nicht allein – wären einfach bestochen worden. Da nütze eben kein Gitter; denn es sähe doch ein jeder durch die Stäbe.
Die Witwe, welche nur Auserwählte der Gesellschaft für kurze Augenblicke zu Gesicht bekamen, nahm sich in dem schwarzen, wollenen Anzuge, wie sich nicht leugnen ließ, ungemein schön aus. Diese junge Frau mit dem schlanken Wuchs und den grauen, sprechenden Augen unter den dichten, schwarzen Brauen machte einen sehr sympathischen Eindruck. Auf dem sonst so lebhaften und leichtbeweglichen Antlitz lag heute eine stille Niedergeschlagenheit. Diese Marianne Borg besaß Takt, und wie sollte es auch jemandem vom Foßhofe daran fehlen?
Wer würde sie – diese Marianne Borg – wohl jetzt bekommen? Oder richtiger, wen würde sie wohl nehmen? Das war die geheime, zu allen möglichen Mutmaßungen und neugierigen Spekulationen Anlaß gebende Frage, die leise in der trauertrüben Luft über dem Sarge und den gestreuten Tannenreisern umherschwirrte und hier und da von zwei und zwei der roten Gesichter über dem Kranzkuchen und den Portwein- und Madeiragläsern sich bereits auch zugezwinkert und zugeflüstert wurde. Und später, als man weinselig in den Zimmern umherschlenderte, da hatte man sogar schon ganze Kapitel von Kombinationen aufgestellt; doch seltsam, es kamen dabei, obwohl die Witwe erst vierundzwanzig Jahre zählte, lediglich gereiftere, ja sogar schon zu Jahren gekommene Männer, natürlich nur von den vornehmsten der Gegend in Betracht. Warum es gerade Bejahrtere oder Witwer sein sollten und nicht junge Leute, dafür wurde keinerlei Grund angegeben. Es schien einfach aus einer Art Instinkt hervorzugehen, der alle gleichmäßig beherrschte.
Marianne wußte so verständig und traulich zu plaudern. Mit ihrem halbverstohlenen Lächeln vermochte sie, wenn sie wollte, solch alten Kavalier derart zu berücken, daß Kopf und Herz sich wie im Wirbel mit ihm drehten. Und wahrhaftig, nicht dem alten Griesgram von einem Reeder zu Liebe war es geschehen, wenn der und jener von den grauhaarigen, kahlköpfigen Koryphäen der Gegend sich so fleißig auf Borg eingefunden hatten.
Die Frühlingsluft und der Südwind hatten schon ernstlich auf der Fahrstraße aufgeräumt. Sie lag bereits so gut wie frei zu Tage; nur auf dem einen Wegerande zog sich noch ein Streifen Schnee oder Eis. Lange Strecken glitten die Schlittenläufe in bloßem Sande hin, der unter ihnen knirschte.
Im Breitschlitten mit dem vorgespannten kräftigen Braunen, dem schwarzumflorten Schellengeschirr und der Bärenfelldecke fuhr Mads Foß nach dem Foßhof zurück. An seiner Seite saß dicht verschleiert seine Tochter Marianne. Sie hatte entschieden darauf bestanden, sofort das Trauerhaus zu verlassen und mit nach dem Mühlengute zu kommen.
Das Pferd hatte nun volle anderthalb Meilen weit in immer gleichem Trabe zurückgelegt, und zwischen Vater und Tochter waren unterwegs nicht viele Worte gewechselt worden. Marianne wußte, er sei es zufrieden, sie wieder daheim bei sich zu haben; konnte ihm doch ihre Anwesenheit in dem großen Hause nur in jeder Beziehung vorteilhaft und wünschenswert sein. Sie betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Das Haar und der kurze Backenbart waren nun silberweiß, und das davon umrahmte Antlitz hatte einen so gutmütigen und jovialen Ausdruck. Es war ihr, da sie noch Kind, immer so strenge erschienen, hatte ihr stets soviel Furcht eingeflößt, … diese war allerdings mehr und mehr gewichen, nachdem sie allmählich mit ihm umzugehen, ihn beschwatzen gelernt, – und vornehmlich damals fiel ein Teil der Coulisse, da er sie bat, Borg zu nehmen, da er deshalb bettelte und sie schließlich zwang.
Sie schauderte über die finstere, herbe Unbeugsamkeit, die bei ihm zum Vorschein kommen konnte, die allen den Kindern ihr Merkmal aufgedrückt. Sein Bild, die kräftige Gestalt mit dem schwarzen Haar und dem zorngeröteten Antlitz, wie es sich ihr einst als Kind eingeprägt – kam ihr eben lebendig wie eine innere Vision in die Erinnerung. Es war damals gewesen, als die Mutter das Kindermädchen Anna so Knall und Fall aus dem Hause gejagt. Der Vater hatte noch die Reisemütze auf, wie er eben vom Markte aus der Hauptstadt gekommen und fuhr wie ein Tobsüchtiger umher, die Mütze mitten unters Theegeschirr schlagend. Die Mutter drinnen in der Stube bekam Krämpfe; wir Kinder wurden ins obere Stockwerk hinauf geschafft, und der kleine Bruder, der Henrick, geriet ganz außer sich und bearbeitete mit seinen Stiefelabsätzen die Schlafzimmerthür.
So saß sie, von ihrem Schleier verhüllt, träumend in dem Schlitten. Wie bunte Schattenbilder schwebte all das, was so plötzlich über sie hereingebrochen, an ihr vorüber.
Und ihre Gedanken eilten vorwärts, rascher, immer rascher – hinweg von etwas, das beständig hinterherjagte und sich melden wollte, und das sie einen Augenblick auch einholte.
Die Gedanken ließen es indes wieder hinter sich zurück. Etwas ganz neues war es, dem sie nun entgegenging – aus ihrem Gaard, ihrem Hauswesen heraus – aus ihrer Ehe, dort. –
Es war, als sei sie plötzlich einem Grabgewölbe entronnen, als sei sie, die Lebende, dem Leben wieder zurückgegeben. Verhaßt war ihr alles da unten – die Wagen, die Pferde, die Zimmer, die Leute! Mochten der Vater und das Gericht über das Vermögen nach Gutdünken bestimmen.
Sie sollte nun wieder als Tochter im väterlichen Hause weilen, und zwar als eine Tochter, die selbst etwas besaß.
Wie in jedem Winter zog sich auch jetzt, durchfurcht von der scharfen Kante des Schneepfluges, dieselbe große und je nach der Strenge des Frostes höhere oder niedrigere Schneewehe, über die man vorsichtig fahren mußte, quer vor dem Zaun des heimatlichen Gutshofes dahin. Jenseits lag der Weg mit frischem, reinen, glitzernden Schnee überdeckt, so daß der Schlitten, während ihn nun die Thoröffnung aufnahm, plötzlich fröhlicher dahinzugleiten begann, und er alsbald in der Lindenallee, die bis an die Vortreppe des Herrenhauses führte, verschwand.
Der mächtige, überhängende Ziegelsteinfirst des Gebäudes mit seiner Menge von Bodenerkerchen sah aus, als sei eine ganze Etage allein dazu verwendet worden, über die kleinen Scheiben der vielen, in zwei Reihen längs des Gemäuers hinlaufenden Fenster ein Dach zu bilden. Mit seiner förmlichen kleinen Stadt von großen und kleinen Wirtschaftsgebäuden, die – alte und neue – bunt durcheinander standen, der langen, roten Scheuer, dem kleinen Bohlenhäuschen mit der wuchtigen Speiseglocke, machte das Ganze trotz seines altväterlichen Aussehens einen herrschaftlichen Eindruck. Es thronte innerhalb seines sich weithin dehnenden Zaungeheges, das jetzt im Tauwind die weißen Fluren mit schwarzen Strichen durchkreuzte. Hier war Raum genug, Gäste sowohl als Wagen und Pferde unterzubringen.
Oben auf dem Felsenvorsprung stand der alte Aussichtsturm, von welchem man auf die Seebucht hinaussehen und sogar die Raaenspitzen der Schiffe zwischen den Werdern unten bei der Küstenstadt unterscheiden konnte. Unterhalb donnerte der Wasserfall und dröhnte das Mühlwerk, und weiterhin schaute das graubemooste Dach der verfallenen Ziegelei von der Anhöhe herüber.
So lag die heimatliche Stätte vor Marianne, und es war ihr so seltsam zu Mute, als habe sie gar lange – seit Jahren schon – nicht mehr daselbst geweilt.
Erinnerungen bei jedem Schritt in den Gemächern, – ach, wenn Thüren und Wände erzählen könnten! –
Marianne wurden die zwei schönen Zimmer an der Südseite des Hauses zugeteilt, jene, deren Fenster hinausgingen nach dem weitläufigen, parkähnlichen Obstgarten mit den Lusthäuschen, den vielen zwischen Stachel- und Johannisbeerhecken hinführenden Wegen, dem Birkenwäldchen, den überwachsenen Rasenbänken und freundlichen Anlagen.
Weiter unten hinter dem Parke war eine Strecke weit Sumpfland, aus dem da und dort Gebüsch auftauchte, und über welchem stets die Morgen- und Abendnebel lagerten, des Sommers als leichter Dunst, im Herbste als ein dichter, sich längs der Flur hinziehender weißer Streifen.
Es war eigentlich ein mit grünen Wasserpflanzen fast gänzlich überwucherter Teich. Der verschimmelte grüne Gartenzaun lief quer durch den untersten Teil desselben, wo alle die üppigen Gewächse dicht zusammengedrängt standen. Zuweilen konnte zur warmen Jahreszeit ein stiller Lauscher einen dumpfen Platsch vernehmen – wohl eine gelbbauchige Karausche, die oben nach einer Fliege oder einem formlosen Froschembryo schnappte. Im übrigen lag der Teich lang, schmal und schweigend und beinahe vollkommen überwachsen da, sein Dasein unter der Pflanzendecke verbergend, die ihn beim herannahenden Winter wärmte, während die Herbstnebel sich wie eine Wolke darüber legten, bis dann das Eis kam, und die Karauschen mitten im Schlamm in einer Tiefe, zu welcher der Frost nicht hinabdrang, die Köpfe zusammensteckten, oder auch zu dunklen, geheimnisvollen, wohl geschützten Stellen weit drinnen im Moore hinflüchteten.
Der Foßhof war früher wegen seiner großen, fetten Karauschen berühmt gewesen. Es ging die Sage, ihr Dasein datiere noch aus der Zeit eines dänischen Vogtes und Justizrates, der einstmals in einem früheren Jahrhunderte auf dem Foßhof gesessen, und dem das ganze Gebiet über den Fluß hinauf zu eigen und unterthänig gewesen. Wie dem auch immer war, das stand fest: gegenwärtig konnte man der Karauschen ungemein schwer habhaft werden.
Eine Erklärung dieser Erscheinung mag vielleicht darin zu finden sein, daß die Karauschen, die nun an die zweihundert Winter Kopf an Kopf und Auge an Auge beisammensteckten und ihre Betrachtungen über die Dinge an der Oberfläche austauschten, daß diese Karauschen doch auch endlich Klugheit und Erfahrung gewonnen haben konnten.
Ob sich in ihrem Hirn nach Darwinscher Theorie das stumme Staunen allmählich zu einer, wenn auch nur dunkel zum Bewußtsein kommenden Idee, zu einer Art ahnungsvoller Spekulation entwickelt, was ihrer wohl harren dürfte, wenn das Schicksal in Gestalt eines Hamens mit einem Sacknetze hinabtauchen und etliche unter ihnen zappelnd in die höhere Sphäre emporheben würde, – bleibe dahingestellt Sicher und gewiß ist nur, daß ihre scharfsichtigen Augen bei dem Gartenzaune und dem Buschholze Ausschau hielten, und daß der geringste verdächtige Schatten, der sich dort zeigte, das Signal zu einer allgemeinen scheuen Flucht tief hinab unter die Grasdecke gab.
Der versumpfte Karauschenteich lag gleich einem dunklen Auge da, den Blick darauf gerichtet, was von Geschlecht zu Geschlecht sich hier umherbewegte.
Es hatten ihn oft kleine Mädchen und Knaben aus seiner Ruhe aufgestört, die sich damit vergnügten, Holzklötze in seinen Schoß zu werfen, mit Zweigen in ihm umherzuwühlen und zu graben, sowie Boote aus der Spielzeugbude auf seinem Rücken segeln zu lassen. Er sah sich von ihnen stets befreit, sobald die Tischglocke ertönte.
Das alte Auge mit der grünen Brille hatte von fern auf junge Mädchen in weißen Gewändern geblickt, die zur Sommerszeit bei Hochzeit und Fest sich draußen erlustigten und drüben auf dem Plane im Tanze schwangen; er hatte den Park des Abends mit Pechfackeln erleuchtet und unter den Bäumen allerhand taumelnde und lallende Gestalten einherschwanken gesehen und auch wohl in der Zeiten Lauf ein oder das andere bleiche, verstörte Antlitz eines Mannes oder eines Weibes, das sich über ihn beugte und hinabstarrte, als wollte es erspähen, wie tief es da drunten unter der grünen Decke sei. Der Großvater des nunmehrigen Besitzers, der Kommerzienrat und Schiffsreeder John Foß, wanderte, da er Konkurs ansagen mußte, eines Nachmittags lange mit verschränkten Armen hier auf und nieder und grübelte über die Karauschen.
Damals war es, daß die sämtlichen, sich bis hinab zur Seeküste erstreckenden Besitzungen in fremde Hände übergingen; doch damals auch, daß das Mühlenwerk erbaut wurde, welches Tag wie Nacht klapperte und als der einzige Betrieb weit und breit, der das ganze Jahr Wasser hatte, dem Foßhofe bedeutende Summen einbrachte, – freilich nur solange, als der Prozeß wegen des Teichrechts, der verloren ging, nicht dazwischen kam. Da wurde es dann stille, und das Klappern verstummte für geraume Zeit des Jahres.
Warum der Hamen seine verheerenden Griffe jetzt seltener als in früheren Tagen in den Teich hinab that, dürfte sich noch dadurch erklären lassen, daß Mads Foß die Karauschen durchaus nicht leiden mochte. Den Grund dieser Abneigung, – daß nämlich einst, noch zu seines Vaters, des Kriegskommissarius Zeit, eine Haushälterin vom Gutshofe verschwand und im nächstfolgenden Frühjahre im Teich wieder zum Vorschein kam, – fand er nicht für gut, jedermann zu erzählen.
Es gab so manches, worüber die alten Karauschen dort unten im Schlamm sinnen und ihre Betrachtungen anstellen konnten.
Doch wir wollen die Rasendecke nicht allzusehr lüften.
Die schlimmste aller Heimsuchungen indes, welche seit der Urväter Tagen die braven, alten Teichinsassen nur je getroffen, bildete denn doch die Unmasse gefährlicher, spitzer Flaschenscherben und scharfkantiger Bouteillentrümmer, welche in jüngster Zeit alljährlich während der Sommerferien aus sie hinabgeschleudert wurden.
Indeß die Erwachsenen oben im Hauptgebäude schmausten, führten in dem Lusthause ganz unten im Garten, in dem untermauerten Bretterpavillon, die beiden Söhne des Hauses ein lustiges Leben. Sie hatten Kameraden von der Schule mit heimgebracht, und nun stahl man im Vereine Wein aus dem Keller und begrub die Flaschen, nachdem man ihnen an der Wand die Hälse gebrochen, sorgsam im Karauschenteiche, wo sie noch mit herausragenden Spitzen im Schlamme steckten.
Der Vormann der kleinen Bande war derselbe lange, blondhaarige, kecke Junge – Johnny, der Lord vom Foßhofe, wie sie ihn nannten, – des Hauses Ältester, der so geschickt erfunden hatte, auf welche Weise geleerte Flaschen am besten aus der Welt zu schaffen seien. Und der Zweitälteste, Henrick, jener mit dem dunklen Haarschopf, der nebenbei das Netz so tief unter die Grasdecke hinabzutreiben verstand, folgte getreulich dem edlen Beispiel.
Im Sommer wurden es gerade acht Jahre, seit die letzte Auflage Flaschenscherben über die Karauschen niederhagelte. Es war die ganze Nacht im Gartenhause jubiliert und geschrien und im Chor gesungen worden, worauf die jugendlichen Zecher, sechs Mann in einer Reihe, taumelnd und johlend abzogen.
Soweit ungefähr reichte die Kenntnis der Karauschen. Mads Foß jedoch ward in den folgenden Tagen näherer Bescheid.
Sein Zweitältester, siebzehnjähriger, der binnen kurzem Student werden sollte, war nachts in ein Weinlager unten im Hafenstädtchen eingebrochen und hatte seinen Kameraden, – zwei Steuermännern und einigen Seeleuten von einem fremden Schiffe, mit denen er zufällig Bekanntschaft geschlossen, – die gefüllten Flaschen herausgelangt. Und als man sie darauf festnehmen wollte, hatten sie gegen den Wächter Gewalt gebraucht und ihn obendrein draußen vor der Schiffsbrücke mehrmals untergetaucht.
Erst nach Verlauf von einigen Monaten erhielten sie auf dem Foßhof aus Havre einen Brief von dem Jungen. Er beabsichtige, sich in der Welt umzuschauen, sintemalen er dem Namen der Familie daheim nicht Schande anthun wolle u. s. w.
Das war ein Schlag mitten in Mads Foß' stolzes Herz!
Er mochte von nun an den Sohn nicht mehr nennen hören; er besaß von jetzt ab nur einen einzigen – John – den ältesten.
Marianne, der jungen Witwe, sollte daheim, was sie nur wünschte, geboten werden und ihr jederzeit eines der Pferde zur Verfügung stehen; so hatte Mads Foß befohlen.
Die Sonne seiner Gunst wendete sich ihr voll zu, und es war ihm augenscheinlich ein wohliges Gefühl, daß wieder jemand die Stelle der Hausfrau an seinem Tische versah. Denn ein etwas, ein weniges an weiblichem Ballast müsse ein jedes Haus haben, solle es nicht zu sehr aus dem Gleichgewicht geraten, und aus dem Kurse kommen, meinte er. Nun herrschte nicht mehr solche Öde und Verlassenheit um ihn her, wenn er sich mit der Pfeife in die Sofaecke setzte.
Und noch gewisse andere Betrachtungen traten hinzu. Seit der Krankheit im Winter hatte es nämlich etwas Beängstigendes für ihn, so allein umherzugehen, den Eckschrank mit dem kleinen, altmodischen, vergoldeten Flaschenaufsatz stets vor Augen.
Marianne und Hilda, die Jüngste, kutschierten zu kurzen Besuchen bald da, bald dorthin, – zu Majors, zu Schwager Biermann unten auf dem Niederwerk, über den Elf hinüber zur Familie des Vogts. Zuweilen machten sie wohl auch die längere Tour nach der Stadt hinab, wo dann gewöhnlich beim Bruder, dem Großhändler und Schiffsreeder, übernachtet wurde.
Unten in der Stadt ließ sich mit ziemlicher Sicherheit auf irgend ein gesellschaftliches Vergnügen zählen, und bei Bruder »Johnny« traf man immer jemanden zu Gaste. Flott und lustig ging es dort zu. Er hatte so viele Verbindungen aufrechtzuerhalten, so viele Geschäftsfreunde, denen er, wenn sie von der Hauptstadt oder dem Auslande her mit ihren Dampfern vorbeikamen, die Honneurs machen mußte.
Dann und wann brachten die beiden jungen Damen von ihren Ausflügen auch eine und die andere Freundin auf Besuch mit nach Hause.
Übrigens waren ja auch die Spielgesellschaften und Toddypartien unter den Familien in der Gegend nach wie vor im Schwang, und wenn auch das Mühlwerk auf dem Foßhof nicht das ganze Jahr hindurch im Gange war, sondern während der paar Sommermonate feiern mußte, so stand doch jedenfalls, wie der Zollinspektor sich ausdrückte, »das Kartenwerk in ganzjährigem Betrieb«. Die Spieltische sollten allerdings eine Art geregelten Rundgang halten, von oben beim Kirchspielvogt und Dr. juris Robarth angefangen, bis hinab zu Henschens. Aber gewöhnlich kam man doch drei- bis viermal die Woche auf dem Foßhofe zusammen, der eigentlichen Betriebscentrale, besonders seit Marianne wieder daheim weilte, und Mads Foß minder beweglich und nicht immer gelaunt war, sich in die Kariole zu setzen. Es ging jetzt übrigens aufs ordentlichste und solideste, wie es sich nur wünschen ließ, dabei her; niemand, der nach zwölf oder ein Uhr in der Nacht sich noch am Kartentische hätte betreten lassen.
Der Foßhof mochte eben, wie seinerzeit das Borgsche Haus, auch noch eine weitere Anziehungskraft gewonnen haben.
Der Arzt und der vermögende Dr. juris Robarth, beide Witwer, träfen, wie der Major auseinandersetzte, – nicht eben gern daselbst zusammen; wohl aber nehme einer und der andere jeden passenden Anlaß zu Besuchen wahr und scheine von einem gemütlichen tête-à-tête mit der jungen Witwe ganz merkwürdig gehoben und erquickt.
»Wie die Kater verliebt alle beide,« behauptete der Zollinspektor. »Sitzt da der Dr. medicinae bei Mads Foß oben und spielt bis tief in die Nacht hinein, den Kopf voll von Freiersgedanken, und der Dr. juris macht gar Ve–erse!« Der alte Hechelmeister schüttelte sich vor Lachen. »Ja, wahrhaftig, Verse … ha … ha,« er fuchtelte mit dem Stock in der Luft umher, »Verse wie ein Sekundaner zur Tanzstundenzeit.«
Spät am Abende kam Johnny allein in seiner neuen leichten Kalesche auf dem Foßhof angefahren. Er sagte, er hätte ein solches Bedürfnis gefühlt, nach den vielen Geschäften ein wenig Luft zu schnappen, sich's im alten Heim wieder einmal so recht bequem zu machen und con amore zu faulenzen. Jungfer Holst möchte ihm doch eine ordentliche Mischung ihres köstlichen Punsches auf die Terrasse hinausbesorgen. – »Welche Erquickung, so dasitzen, seine Cigarre schmauchen und sich zwanglos seinen Träumereien überlassen!«
»Nein, nein, nicht den Alten wecken!« rief er. »Wie steht es jetzt mit ihm?« Er blickte Marianne forschend ins Gesicht.
Sie verstand den eigentlichen Sinn der Frage und nickte beruhigend.
Für den schönen, flotten Bruder hegte man in der Familie einen hohen Grad von Bewunderung.
Unter einer Schar von Schwestern als Ältester, als der zukünftige Herr auf Fossegaard auferzogen, war sein zuversichtliches, selbstbewußtes Auftreten nur zu natürlich, und die Reisen, die vielen Bekanntschaften hatten seiner gewinnenden Persönlichkeit einen nicht geringen Anstrich überlegenen weltmännischen Wesens gegeben.
Es war ein Fest für die Familie, so oft der Lord daheim vorsprach.
»Vaters Cigarren?«
»Nein, danke!« Er holte eine aus seiner eigenen Cigarrentasche hervor. »Dieser Duft, Marianne, ach! – fühlst du den Unterschied? Die letzte, die ich heute an Bord des Nordstern einem Bremer anbot, trug mir, – laß sehen, Emballage, Tara, Fracht, Courtage abgerechnet, – o, einen Gewinn von an die hundertundfünfzig ein. Ich schloß nämlich bei der Gelegenheit, siehst du, ein Geschäft wegen einer Partie Fische mit ihm ab.«
»Lege das Geld in der Bank an.«
»Du redest, wie du's eben verstehst; das war so Bastians Weisheit. Ach ja!« atmete er tief auf, – »es ist langweilig, so den ganzen Tag an nichts als an Geld und Geschäfte denken zu müssen. Und wenn man noch wenigstens dabei nicht so viel Verdienst fahren lassen müßte. Aber siehst du, Marianne, – willst du mir wohl ein wenig zuhören? – Komm, setz' dich neben mich her und koste ein Gläschen von dem Punsch. Zu allen Spekulationen bedarf es – verstehst du? – und wenn man auch noch soviel Grütze hat, eines gewissen Rückhaltes an Baarmitteln. Geld, Geld, Geld, das ist die Munition für unser Geschütz! Ja, wer bei seinen Unternehmungen über reichere Barmittel verfügte, – gerade jetzt – nur über soviel, daß ich nach Riga eine rechtschaffene Ordre hinabtelegraphieren könnte! Ich würde meine hundert Prozent verdienen. Ich brauchte eigentlich nicht mehr als armselige vier- bis fünftausend,« warf er in leichtem Ton hin. »Ich sage dir, an Hanf und Werg werden jetzt die Leute reich,« – er nahm einen Schluck aus dem Glase, – »so reich, daß es eine wahre Schande ist, müßig dabei stehen und zusehen zu müssen.«
Er hatte sich der Länge nach auf die Bank gestreckt und blickte zur Decke des Altans empor.
»So schwindelt man sich jetzt auch mit Werg in die Höhe?« spottete Marianne, von einem gewissen Instinkt geleitet. Ihr Depot in der Sparbank betrug netto viertausendfünfhundert Kronen.
Er schleuderte etwas verdrießlich den Cigarrenstumpf fort. War er doch nur eigens deshalb zu so vorgerückter Abendstunde herausgefahren, um mit Marianne allein in aller Vertraulichkeit plaudern zu können; jetzt wollte das Gespräch nicht in das rechte Geleise kommen. Abermals that er einen tiefen Zug aus dem Glase.
»Schmählich geradezu, wenn man bedenkt,« begann er wieder, »daß es just dein Geld ist und das so vieler anderer, mit dem sie spekulieren, – mit den Darlehen der Sparbank, verstehst du wohl?«
»Nun, diese stehen ja auch dir zu Gebote.«
»Ach ja, – puh! – spürst du nicht den Rauchgeruch? Sie müssen irgendwo Torf brennen. Das ist mir das Unleidlichste, das ich kenne. Möchtest du nicht drinnen ein wenig Musik machen, Hilda?« rief er der jüngsten Schwester durch das offene Fenster zu.
Er nahm eine zweite Cigarre. »Ich bereue fast, daß ich Alette und die beiden Buben nicht mit in dem Wagen herausgebracht habe; aber freilich! Mama hätte ja nicht über Nacht von ihrem Bébé wegbleiben können. Ich sage dir, Marianne, sobald mir nur von fern das Brausen der Mühlwehre entgegentönt, ist mir auch schon völlig heimatlich zu Mute. Und wäre es nichts, als nur so dazusitzen und den Schwalben zuzuschauen, wie sie dort oben im Halbdunkel unter dem Giebel des Blockhauses ein- und ausschwirren und flattern. Ich war seinerzeit nicht selten dort hinter ihnen her. Ich zeige dir nächstens den Entwurf zu einem Blockhaus, den der Architekt Schiörn mir neulich machte, als er abends zu Besuch bei mir war, – echter, altnordischer Baustil! So schön, daß man Lust hätte, den Zimmermann sogleich Hand anlegen zu lassen. – – Aber was nützt das? Man muß sich vorderhand daran genügen lassen, Luftschlösser zu bauen,« seufzte er. »Dazu braucht es Geld, viel Geld, ich muß wohl in anderem spekulieren als immer nur in Korn für die Mühle da. – Und siehst du, der Alte, – ich fürchte, es würde ihm etwas im Herzen springen, wenn ich die Balken niederzureißen begänne.«
Er füllte sein Glas. »Ach ja, gemütlich ist's hier.«
Das peinliche Gespräch mit Marianne über die Geldangelegenheit schien ihm rätlich, auf morgen zu vertagen.
Die Heumahd war den nächsten Tag seit Stunden bereits im vollsten Gange, und die Sonne verbarg sich mehr und mehr hinter jenem Dunstschleier, den die Hitze zu erzeugen pflegt.
Johnny hatte mit dem Vater die Mühle unten besucht, und seine schlanke Gestalt präsentierte sich nun in Hemdärmeln, lässig zu einem der Stubenfenster hinausgelehnt, wo noch etwas Schatten und Kühle zu finden gewesen.
Der Vormittag war gründlich warm. Zwischen der Feuerleiter und der nach Süden gehenden Wand surrten und summten die Fliegen.
»Meiner Treu, ich glaube gar, die Feuerleiter steht nur noch auf einem Beine, das andere ist völlig weggefault.« – Er pfiff vor sich hin.
»Kein Wunder, wenn der Alte die ganze Zeit so gar nichts aufgewendet, und sei es auch nur ein bißchen Farbe, – die Sprünge in den Wänden klaffen ja von Jahr zu Jahr immer weiter. Kannst du dich noch erinnern, Marianne, wie sie damals die Scheune anstrichen, und wir, Henrick und ich, dich mit der roten Farbe schminkten? So lange ist es her, daß sich kein Anstreicher mehr auf den Foßhof verirrte, – wohlgezählte vierzehn Jahre!«
Er erhob sich und ging pfeifend im Zimmer umher, die eine Handspitze in der Tasche seiner langen, eleganten Weste, über welche die goldene Uhrkette wie ein kurzes, gewundenes Stück Tau herabbaumelte.
Marianne saß auf dem Sofa bei einer Schale Stachelbeeren, die Jungfer Holst frisch aus dem Garten heraufgebracht. »Was hat dir das arme Fußkissen gethan, daß du es vor dir herstößt?« fragte sie.
»Ach so! Die Wahrheit zu gestehen, war ich eben in Gedanken damit beschäftigt, alle diese verfallenen Neben- und Wirtschaftsgebäude über den Haufen zu stoßen – nur so als Anfang, verstehst du? Denn an dem Tage, an dem ich auf dem Foßhof einziehe, muß diese ganze schwere Kappe von einem Dach herunter. Und dann wird eine ordentliche, oberste Etage aufgesetzt mit einem Balkon, und am ganzen Hause müssen moderne große Fenster sein. So gewinnen wir eine Aussicht über die Meerbucht und das Ganze präsentiert sich, daß einem das Herz im Leibe lacht. Was? – meinst du nicht auch? Es würde sich unser Foßhof, das alte bekannte Herrenhaus, hier oben zwischen den Bäumen prächtig ausnehmen, wenn sie da unten vom Dampfschiff mit ihren Guckern aufs Land herüberschauen.«
»Weißgetüncht, mit glänzenden blauen, holländischen Dachziegeln, nicht wahr?« rief Marianne eifrig, von dem Gedanken mit fortgerissen.
»Und das Vorhaus, diese schwerfällige Rumpelbude, wird geteilt, – Doppelthüren, – warmes Entrée – habe alles bedacht … alles!«
»Auch in welche Ecke der große, schwere Geldschrank soll, dessen du dann durchaus benötigst?« scherzte sie.
»Das ist es ja, weshalb ich meine Kräfte anspanne; weshalb ich arbeite und mir die Seele herausspekuliere, – nur um das Ganze wieder emporzubringen … Aber der Vater treibt es in der althergebrachten, möglichst unpraktischen Weise, – beutet fort und fort aus, – rasiert zuletzt noch den ganzen Berg glatt mit seinen unglückseligen Holzlieferungskontrakten. Das hat kein gutes Gesicht vor den Leuten. Und wieviel, glaubst du, bleibt nach Abzug des Fuhrlohns denn ganz und gar übrig? – Das paßt nun einmal nicht, siehst du, für einen Namen wie den unseren; es ähnelt gar zu sehr einem notgedrungenen Devastieren. Der Vater meint damit schon alles gethan zu haben, wenn er nur hier auf dem Foßhof die Mühle klappern läßt. – Im Südflügel die Zimmer, siehst du, die habe ich für dich bestimmt, aber umgebaut, mit Spiegelscheiben und eigenem auf den Garten hinausgehenden Altan. Du sollst, sozusagen, deinen eigenen Winkel auf dem Mühlenhofe haben, wo du nach Belieben schaltest. Aber,« er blieb vor ihr stehen und drehte mit gewichtiger Miene an seinem Schnurrbart, »eine Bedingung! Du darfst nicht wieder heiraten, Marianne! Du magst dir's an dem einen Mal genügen lassen.«
Es ging wie ein Zittern durch ihre Glieder. Sie beugte den dunklen Kopf ganz auf den Obstteller herab, und ihre Hände arbeiteten mit nervöser Hast in den Stachelbeeren.
»Es giebt übrigens viele, die Augen dafür haben, welch einen seltenen Vogel sie an dir fangen würden, – sehr viele, viel zu viele. Man spricht unten in der Stadt nun nicht weniger von Marianne Borg, als man früher von Marianne Foß gesprochen … Aber du besitzest ja selbst Verstand genug.«
Er nahm seine Promenade im Zimmer wieder auf.
»Um ruhig bei dir im Käfig zu sitzen, meinst du?« scholl es leise, beinahe wie ein Zornesausbruch von ihren Lippen, während sie die Stachelbeeren von sich stieß.
»Bis auf weiteres, – nur bis auf weiteres,« entgegnete er, von dem eigentümlichen Ton ein wenig betroffen. »Man gewinnt Zeit, sich in Ruhe umzuschauen. So vollkommen als eigene Herrin zu leben, siehst du! – eine schöne, unabhängige Witwe von vierundzwanzig Jahren. Da hat es keine Eile, sich wieder unter Kommando zu begeben … Und dann,« – er schlenderte wieder langsam mit lässiger Gleichgültigkeit zum Fenster hin, – »dürfte es wohl auch nicht schaden, wenn du deine Gelder etwas besser als zu den lumpigen fünf Prozent, wie sie sie in der Sparbank zahlen, verwertetest. Würdest du sie bei einem Geschäfte anlegen,« – er wendete sich vom Fenster zurück, – »mit Anteil am Ertrage, sie würden sich mit fünfzehn verzinsen, – vielleicht noch höher. Man lasse nur ruhig das Geld für sich arbeiten, und es wächst wie ein Schneeballen.«
»Danke sehr, – aber das Risiko!« Sie streifte ihn von der Seite mit ihrem Blick.
»Sie fallieren wohl alle? Und vertraut man sein Geld denn jemandem an, den man nicht kennt? – Aber Weiber und Geschäfte!« Er wendete sich abermals ab.
»Pu–uh! … Unmöglich in dieser Hitze auch nur das Geringste zu unternehmen; kultivierten Leuten zum mindesten! Bleibt nichts übrig als eine Cigarre; das vertreibt doch wenigstens die Mücken.
»Hieß es nicht, Jungfer Holst bereite unten Kirschliqueur? – Prr … Prr … Eine Staubwolke wirbelt auf der Straße daher; – wenn ich nicht irre, kommt jemand, der auf ein gutes Glas Madeira zu Mittag hält. Ich möchte wetten, es ist der Doktor, der dahertrabt und Staub schluckt.«
Er schleuderte, die Cigarre im Munde, hinaus.
»Ein junger Mann im Panamahut kommt mit Extrapost angefahren,« rief er aus dem Hausflur hinein. »Laßt es den Vater wissen!«
Er legte die Cigarre zwischen die Blumentöpfe auf der Fensterbrüstung und sprang rasch ins Zimmer hinauf, um seinen Rock überzuwerfen.
Einen Augenblick später war auch Marianne am Fenster. Sie stand in steigender Gemütsbewegung da, sich mehr und mehr mit der Gardine deckend, als fürchte sie gesehen zu werden, und als könne sie sich doch nicht losreißen.
Der hübsche, schmächtige, ein wenig nervös aussehende Mann im modernen, kleinkarrierten Anzuge, welcher, mit raschem Blicke zum Fenster emporspähend, dem Wagen entstieg, wurde aufs kameradschaftlichste und mit lauter Freude von Johnny begrüßt. Er war im Antlitz bis über den Hals hinab von der Sonnenhitze ganz rot und verbrannt und trug ein blaues Hemd, unter dessen Kragen das Halstuch mit flotter Eleganz geknüpft war.
»Ich komme einer kleinen Geschäftsangelegenheit halber, die ich zum Abschluß zu bringen wünsche, herüber,« sagte er, als er einige Augenblicke später mit Johnny ins Zimmer trat. »Ich soll bis nach Solberg hinauf, um mich nach Eichen zu Stevenbäumen umzuschauen, und versuche dabei, wie du siehst, schon unterwegs etwas Geschäfte zu machen.«
»Marianne! – Wo ist Marianne? – Melden Sie dem Vater,« rief Johnny in die Küche hinaus, »daß der junge Herr Wiese hier ist … Vater ging unten nach der Mühle. Und lassen Sie uns ein Glas Wein hereinholen.«
Fräulein Holst erschien alsbald mit einem reich mit Wein und Kuchen besetzten Präsentierbrett.
»Stellen Sie es auf die Terrasse hinaus. Wir lassen das Sonnensegel herunter. Ist meine Schwester nicht da?« fragte er, während er einschenkte und die Karaffe über das dritte Glas hielt.
»Frau Borg hat so heftige Kopfschmerzen bekommen – von der Hitze; sie mußte sich zu Bette legen.«
Am behaglichen, wohlbesetzten Mittagstische wurde lebhaft konversiert. Man unterhielt sich mit großem Interesse über die Preise der Wasserfahrzeuge, über Schiffsmaterial; man besprach die Verhältnisse oben im Gebirge, die Zahlungsfähigkeit der Leute, die Aussichten für die Ausfuhr und berührte nebenbei auch eine Lieferung von Hanf und Werg für die Seilerbahn der Firma Wiese & Co.
»Ich hoffe, du rückst zu Ehren unseres Gastes mit deinem alten Cognak heraus, Vater, mit dem guten, ganz hinten im Keller auf dem Eckgesims. – Cigarren? – Halte dich an mich, Wiese, du fährst gut dabei; die hier auf dem Foßhof rauchen zu wollen, dazu gehört die reine Sohnesliebe.«
Nach Tisch war Mads Foß immer am aufgeräumtesten. Ein Bote wurde an den Major abgesandt, damit es beim Kaffeewhist nicht an einem Vierten fehle, und zu größerer Sicherheit, falls jener nicht zu Hause sein sollte, als Notersatzmann auch der alte Zollinspektor eingeladen.
Es ging einstweilen lebhaft zu dreien her, bis sich die eingeladenen Herren nach und nach eingefunden. Es war Leben in dem jungen Wiese; er spielte ausgezeichnet, so rasch, so umsichtig, – genau wie es bei Geschäften seine Art war, – und zeigte dabei keine Spur von Mißmut, wenn er bête wurde. Es kam sofort ein rechter Zug in das Spiel. Mads Foß geriet in die trefflichste Laune. Es wurden die größten Spiele gemacht, – ein Großschlemm nach dem andern.
Und mitten in der eifrigen Unterhaltung wendete sich Johnny plötzlich von seinem Stuhl nach rückwärts und rief der im Nebenzimmer weilenden Hilda zu, er fahre am Nachmittage nicht fort; er bleibe bis morgen. Vielleicht käme auch Schwester Antonie noch heute mit dem Dampfer aus der Hauptstadt herüber. »Warte nur ein wenig; ich muß doch im Notizbuche nachsehen.«
Mit dem Goldstifte in der Hand, ging er es eilig durch.
»Ja, da; wie ich sage! … Du bist am Ausspielen, Vater!«
Von Johnnys Entschluß, bis zum andern Morgen zu bleiben, ließ man eiligst Schwager Biermann auf seinen Gaard hinaus Mitteilung machen; mindestens würde Mina herüberfahren können; es sollten auch noch ein paar von den Nachbarfamilien zum Thee eingeladen werden.
Der Kaffeewhist nahm ungestört seinen Fortgang, ungeachtet bereits der Vortrab der Gesellschaft, die Jugend des Pfarrhofes, zwei oder drei sommerlich gekleidete Damen in Begleitung von zwei aufgeschossenen Burschen und deren Hauslehrer, dem Kandidaten philologiae Hysing, auf dem Foßhofe anlangte.
Allmählich fanden sich mehr und mehr der Gäste ein.
Als nun aber auch Antonie, die mit dem alten Konsul Grüner vermählte Tochter, – sie wohnten über den Sommer in der Villa Folkvang, – mit einer Unzahl von Paketen hinter sich in der Kalesche angefahren kam, da half alles nichts, – Marianne mußte sich entschieden Gewalt anzuthun versuchen, ob der Kopfschmerz sich nicht etwa durch eine Tasse starken Thees vertreiben ließe. Johnny kam ihr unten mit einem Glase Sodawasser und Punsch entgegen, – einer probaten Medizin, wie er behauptete. »Es ist ja ein Jammer, wie bleich und hergenommen du aussiehst,« meinte er.
Und kam es nun von dem Punsch, oder von der Zerstreuung, die schöne Witwe sah schon etwas munterer aus, als sie nach allseitiger Begrüßung einigen der Gäste in den Garten hinabfolgte. Sie kam nur hastig nochmals zurück, ihren Sonnenschirm zu holen.
Kirsten Holst stand, mit Gläserabtrocknen beschäftigt, am Fenster, von wo sie die Damen unten bei den Stachelbeerbüschen gewahrte. Und diese augenblickliche Abwesenheit der Gesellschaft, mußte rasch benutzt werden, den Theetisch abdecken zu lassen und die Aufsätze mit dem Eingemachten aufzustellen. Eben im Begriff, die Assietten drinnen auf dem Tisch zu ordnen, hielt sie in ihrer eiligen Arbeit plötzlich inne. Sie hörte nämlich Marianne in der Thüre eifrig mit Johnny flüstern.
»Sieh nur ja zu, daß er nicht über Nacht hier bleibt. So können wir dann abends miteinander plaudern – in Ruhe – über das Geld, von dem du mir heute Morgen sprachst.«
Dann eilte die junge Witwe wieder in den Garten zurück.
»Tilde braucht also nicht das Gastzimmer für Wiese instand zu setzen,« dachte Jungfer Holst.
»Mit Marianne geht heute entschieden etwas vor,« grübelte sie, während sie langsam eine Glasvase, die mit Vorsicht auf das Brett gesetzt werden mußte, herabnahm. Doch im nächsten Augenblicke hatte sie sich mit ihren Gedanken schon wieder in das Meer von Obliegenheiten und Sorgen für den zu bestellenden Abendtisch verloren. –
Der Tau begann draußen zu fallen, und die Lampen wurden angezündet.
Unter den Damen, die im mittleren Zimmer am Sofa und in den Lehnstühlen um den Tisch gruppiert waren, saßen die Töchter des Hauses, Frau Grüner, die herrische, kräftig gebaute Älteste, die dein Vater ähnelte und in ihrer Art eine Schönheit genannt werden konnte, die kleine, wohlbeleibte, lustige Frau Biermann, die Gattin des Sägewerksbesitzers, und Frau Marianne Borg. Prächtige, lebhafte Augen hatten sie alle drei und auffallend reiches, dunkles Haar, so daß die blonde siebzehnjährige Jüngste, gegen sie beinahe matt erschien.
Auf dem Tische und dem Sofa lagen in buntem Durcheinander alle die Einkäufe der Frau Grüner, um von den Damen besichtigt zu werden: Kleiderstoffe, Spitzen, Handschuhe, Kindersocken und Spielzeug, und mitten darunter, mit aufgepreßtem Warenzeichen, in trübem Ernst, ein Paar gefütterte schwere englische Patentpantoffel mit Elastik »für den Alten«, wie Frau Grüner den Konsul nannte; er wäre, fügte sie hinzu, der Gicht so sehr ausgesetzt.
Das Gespräch wurde äußerst lebhaft geführt, so daß man die Unterhaltung bis zu den Kartentischen hinein hörte, und mancher der daran wie angewurzelt Sitzenden zerstreut von dem Spiele aufhorchte. Für den Augenblick jedoch genoß nur der Kandidat Hysing des Vorteils, sich in vollerem Maße an der unter den Damen herrschenden vergnügten Stimmung zu beteiligen.
Er hatte seine ziemlich nachlässig gekleidete Person am Eingange zum Damenzimmer angebracht und saugte dort an seiner Pfeife. Ein stilles, überlegenes Lächeln lag auf seinem Antlitz. Es belustigte ihn dieses »Weibergeschwätze, diese große Sauce über nichts.« … Doch während er ab und zu ein Wort an Frau Biermann dazwischen warf, die, ganz vertieft, die Brust gegen den Tisch vorgeneigt, dasaß und mit den vor Vergnügen fast feuchten Augen blinzelte, wurde seine forschende Aufmerksamkeit doch eigentlich nur von Marianne gefesselt. Er hatte einen raschen, verständnisinnigen Blick in der Richtung nach ihm, nach der Thüre zu, aufgefangen. Diese schwarzgekleidete, bleiche, junge Witwe, sie hatte etwas sehr Interessantes.
Hinter ihm, an dem der Thüre zunächst befindlichen Bostontische saßen Johnny, der Zollinspektor, Biermann und Ferdinand Wiese. Trotz der Importierten des Großhändlers, der Pfeife des Zollinspektors und des einfachen Krautes des Herrn Hysing duftete es Wiese »förmlich wie eine Traubenkirschenhecke« von drinnen herüber. Er bat, sich ein wenig bei den Damen niederlassen zu dürfen, erlaubte sich die Frage, ob ihm wohl gleichfalls ein Gläschen vergönnt sein möchte; für Traubenkirschenliqueur hätte er seit jeher eine Schwäche.
Als der junge Wiese das kleine Glas von der Tablette nahm, es füllen zu lassen, hielt er es Frau Borg zunächst hin. Etwas eilig griff sie nach der Karaffe und fragte hastig, ob sie nicht auch Herrn Hysing einschenken dürfe? Zugleich deutete sie leicht nach dem leeren Platze neben sich.
»Wenn der Tabakrauch nicht geniert?« sagte Hysing und rückte seinen Stuhl näher, so daß er bequem nach dem Glase langen und schluckweise beim Rauchen die schwarzbraune Flüssigkeit schlürfen konnte. »Offenbar,« so dachte er, »besitzt sie ein Auge dafür, daß es noch andere, schätzbarere Dinge giebt, als dieses merkantile Geckentum, mit der Diamantnadel im blauen Hemde.«
»Der Herr Kandidat hat das bessere Teil erwählt; ich wünschte, ich hätte nie ein Kartenblatt gekannt,« rief Wiese aus.
»Glaube nicht, daß Sie es ernst meinen,« erwiderte Hysing und verzog verächtlich den Mund; »bei unseren engen Verhältnissen hier heraußen auf dem Lande, – sehen Sie, – wo man immer nur auf seichte Damen-Konversation angewiesen ist … was sich natürlich nicht auf die Damen vom Fossegaard beziehen kann,« suchte er seine bévue wieder gut zu machen.
»Seichte Damen-Konversation?« fuhr Frau Grüner dazwischen. »Übrigens wüßte meine Wenigkeit sich wahrhaftig nicht zu entsinnen, daß die Herren mit ihrem Ernste gar so tiefsinnige Dinge miteinander verhandelten. – Wenn man so zuhört, worüber sie oftmals sprechen, brrr! Ich gebe keine taube Nuß dafür, geschweige denn auch nur ein Kinderstrümpfchen. Und da hat noch mein Alter allgemein den Ruf, ein ungewöhnlich klarer und scharfer Kopf zu sein. Darüber sind alle einig. Ich, meinesteils, kann es nicht finden.«
»Sie vergessen, der Mann ist des Weibes Haupt, Frau Grüner!« scherzte Hysing. »Haben Sie denn Ihren Katechismus abgeschworen?«
»Haupt ist Kopf. Wenn nun aber der Mann keinen Kopf hat?«
»Vielleicht dann doch nur in Anbetracht dessen, daß die Frauen denselben so fleißig verdrehen,« meinte Wiese etwas scharf.
»Partner – Partner!« erscholl von drinnen ungeduldig Johnnys Stimme.
Wiese schlürfte eilig den Rest seines Liqueurs aus. »Winziges Glas rein wie ein Fingerhut, wenn man die ganze Hand begehrt!« murmelte er im Hineingehen.
Der Tisch mit den eingemachten Früchten, dem Kuchen und dem Traubenkirschenliqueur bildete eigentlich einen Punkt, zu dem es wie eine leise Strömung die fünften und beim Spiele gerade Überzähligen hinzog. Man wollte gelegentlich den Gesprächen lauschen; es gab immer diese oder jene Neuigkeit zu erhaschen, sobald die muntern Töchter vom Foßhofe beisammensaßen. Vorsicht war ihre Sache eben nicht. Sie wußten Leben in die Unterhaltung zu bringen und sie auch ein wenig durch eingehende Kritik des Thuns und Lassens ihrer lieben Mitmenschen zu würzen.
Und so oft es den Major vom Kartentische hineintrieb, – er wollte sich nur die Pfeife stopfen, oder sich mit einem Gläschen regalieren, – glichen die Ohren an seinem steifen Bartgesicht förmlichen Muschelschalen und die Augen wahren Photographieapparaten. Das war denn aber auch eine Lust für die Damen, der Extrapost allerlei Erdichtetes und absichtlich laut gezischelte Heimlichkeiten zur Weiterbeförderung aufzubinden.
Die Schwestern waren eigentlich nur so recht in ihrem Element, wenn sie sich hier in ihrem alten, stolzen Heim, das bis zu dem Tode ihrer Mutter, vor vier bis fünf Jahren, unbestritten das erste in der ganzen Gegend gewesen, zusammenfanden. Mit dieser Frau war dem Hause jenes leitende, weibliche Element verloren gegangen, das es verstanden, die überschäumende Geselligkeit soviel als möglich in korrekten Formen zu halten.
Das war heute, da drei der verheirateten Töchter sich eingefunden, wieder einmal einer von den guten, alten Abenden auf dem Foßhofe. Die bekannte große Punschbowle mit der silbernen Schöpfkelle dampfte auf dem Tische, und der Tabaksrauch hing grau und schwer über den Spieltischen, sich bis ins Eckkabinett hineinziehend, in welchem man Mads Foß' großes, über die Whistkarten gebeugtes graues Haupt mit den noch kohlschwarzen, geradegeschnittenen Augenbrauen und dem etwas selbstzufriedenen Rassegesicht gewahrte.
Ein wenig abseits und zurückgezogen von dem durcheinanderschwirrenden Geplauder und Lachen der übrigen saßen Marianne und Hysing im Gespräch vertieft, sie in die Sofaecke gelehnt, er auf einem Sessel neben ihr.
Der Kandidat war ungewöhnlich animiert. Die junge Witwe hatte eine so eigene Art, Vermutungen zu äußern, zu fragen, sich zu verwundern; – in dem stillen, ausdrucksvollen Lächeln, mit dem sie seinen Auseinandersetzungen folgte, entdeckte er so viel verborgenen Sinn, so viel Verständnis, und wenn sie zuweilen einen Augenblick ihr Auge zu ihm aufschlug, um es dann wieder verschleiert, gleichsam traumverloren, ruhen zu lassen, fühlte er etwas in sich, das da zog und reizte.
Seinem Auge entging die Wirkung, die er hervorbrachte, keineswegs, und sein etwas nikotinbleiches Antlitz widerstrahlte an diesem Abende von einem stärkeren Selbstgefühl als gewöhnlich, während der blonde Kopf mit dem glatt herabgekämmten Haar und dem etwas spitzen Scheitel selbstgefällig nickte. Hier fand er Boden für etwas anderes als Weiberschnack!
»Du, Marianne,« flüsterte die kleine Frau Biermann, »worüber schwatzt er wieder? Über Saturn und die Himmelskörper? Ich sehe, er schwebt hoch über uns … Waren 18 oder 20 Maschen auf je einer Holznadel?« sprach sie dann laut.
Drinnen in den Nebenzimmern entstand ein plötzliches Rücken und Scharren mit den Sesseln. Man war zu Tische gebeten worden, und aus dem Tabaksqualm hervor kamen sie plaudernd und sich in die Höhe richtend, einer nach dem andern zu den Damen hinein – voll Courtoisie, wenn auch ein wenig laut, den Blick umflort und nach den Libationen des Abends in ziemlich weinheiterer Stimmung.
Der kleine, dicke Biermann, – man hieß ihn den Sägemühlenstöpsel, – setzte dem Major mit großem Eifer auseinander, warum er die Atouts so ohne weiteres herausgeschlagen. Es wäre aufgelegtes Spiel gewesen, – geradezu aufgelegtes Spiel …
Aber der Major hörte nicht. Sein gerötetes Antlitz mit den starrenden, hellblauen Augen und dem glänzend gewichsten schwarzen Barte reckte sich aus der Halsbinde hervor, um Hysing und Frau Borg ins Auge zu fassen; es war ihm früher schon etwas aufgefallen. Wahrhaftig, da saßen sie schon wieder beieinander – ganz vertieft und unbekümmert um die anderen.
»Laß dich von Schwester Grüner lotsen, du, Wiese,« forderte Johnny den letzteren mit kameradschaftlicher sans façon auf, da er ihn, in sich gekehrt, an der Thüre lehnen sah, »die bugsiert dich zum heitern Port und würzt dir das Mahl, verlaß dich d'rauf.«
Der alte Zollinspektor stand und musterte die Truppen; es beschäftigte ihn offenbar etwas, das ihn nicht ruhen ließ. Endlich ging er auf Marianne zu.
»He, he, he,« begann er mit etwas heiserem Flüstern, das sich vertraulich anhören sollte, – he, he, he, – der Wiese hat heute 'ne schwere Menge Bêten zu verzeichnen, – 'ne schwere Menge, – he, he, – hatte den ganzen Nachmittag die Augen immer nur draußen bei den Aalbeerhecken … Sehen Sie – ein rechter, alter Lunteriecher, dieser Zollinspektor, nicht wahr, Frau Marianne …?«
Er duckte seinen grauen Kahlkopf zwischen die in der blauen Uniform mit den Ankerknöpfen steckenden Schultern nieder.
»Ach, sind das Männer, die immer nur Süßes naschen möchten! Kommen Sie, Inspektor,« sagte sie, indem sie ihn unter dem Arme faßte, »ich sorge, daß Sie bei dem Fischpudding, wie Sie ihn so gern haben, nicht zu kurz kommen.«
Es war schon ziemlich spät in der dämmerhaften, lauen Nacht, als endlich die Wagen vorfuhren, und die Gäste sich in den Thüren und auf den Treppen verabschiedeten.
»Ob Frau Grüner auch alle Pakete bei sich hätte?« – »Nein, – ja,« – sie suchte im Wagen umher, – »hier sind die Baumwollsträhne …, aber die beiden Ledergürtel für die Kinder, Hildchen? – und das Hutbouquet … oben in den Zimmern, bei Marianne, Jungfer Holst, ich bitte – –«
»Ach, liebe Mina,« scholl es von einer andern Stelle, »sieh doch darauf, daß Biermann seinen Überrock nicht vergißt; er ist so ins Plaudern vertieft. – – Grüßen Sie schön im Pfarrhofe … Vater und Mutter!«
Da standen endlich noch Biermanns und der Major und der Zollinspektor und zogen draußen vor der Thüre die Überröcke an; die Pfarrhofjugend drängte sich im Gange nach ihren Hüten und Shawls zusammen, und ganz hinten im Halbdunkel suchte Wiese zwischen den Mänteln und Überkleidern nach seinem Panamahut.
»Nicht ein Wort, nicht einen Blick den ganzen Tag, Marianne!« flüsterte er. – »Und so läßt du mich von hinnen gehen?«
»Findest du nicht, es sei des Schrecklichen so schon genug gewesen?« hauchte sie beklommen.
»Schrecklich? – Dich auf allen Seiten vor mir abzusperren, das ist schrecklich! – Aber ich geb' dich noch nicht los, Marianne!«
»Wie unverantwortlich, – wie unvorsichtig, – hierher zu kommen! – Der Zollinspektor hegt Verdacht.«
»Ist es das Gerede der Leute, das du fürchtest?«
»Geh, geh …, ich werde es nie verwinden können, – nie!« klang es leise, zitternd und angstvoll zurück.
»Willst du dich abermals treten und herabziehen lassen – den Nacken aufs neue unter das Joch beugen?« höhnte er mit bebender Stimme. – »Stürze dich nur wieder in den Schlamm. Verspiele unser beider Glück … Ich sage dir, du hast nicht Schuld … du nicht!«
»Geh, ich bitte dich, Ferdinand …, ich kann nicht weiter hören …, will nicht …«
»Bist du da, Wiese?« scholl Johnnys Stimme.
Letzterer konnte es noch immer nicht fassen, weshalb er eigentlich Wiese nicht einladen sollte, über Nacht dazubleiben. Indes war es nicht geraten, Marianne gerade am heutigen Abende entgegen zu sein. »Adieu, – Wiese! – In der Stadt steigst du bei mir ab und nicht im Hotel, hörst du!« rief er noch der bereits davonrollenden Kariole nach.
Johnny hatte an einer der Lampen noch eine frische Cigarre angezündet und beschäftigte sich nun damit, in den leeren Zimmern die Fenster zu öffnen. Seine flotte Gestalt lavierte etwas unsicher zwischen den Möbeln und Spieltischen dahin.
Marianne saß am Sofa, in ihren Shawl eingehüllt.
»Dieser Hysing, du!« – er ahmte dessen Tonfall nach, – »unterhält mich da des langen und breiten von deinem Charakter, – deiner Intelligenz; du wärst, versicherte er, ein interessantes weibliches Problem, – – und was es solcher zärtlich gekräuselter Hobelspäne mehr giebt. Hm, Dampf!« Und er blies demonstrativ die Rauchwirbel aus seiner Cigarre.
»Du ermutigtest ihn aber auch nicht wenig.« Er blieb vor ihr stehen und wiegte sich langsam in den Hüften. – »Ja, ja, er hat Aussicht, sagen die Leute, Stipendiat zu werden,« – er kniff die Augen zusammen, als ob ihn der Tabaksrauch brenne, – »vielleicht sogar einmal Professor.« Dabei drehte er sich mit der freien Hand und mit ironischer Nachdenklichkeit die Bartspitze.
Er schob einen Fauteuil vom Kamin neben sie hin und legte sich bequem in denselben zurück.
»Aber Scherz beiseite, Marianne, 's ist doch nirgends so behaglich wie auf dem Foßhof! Sich so hinzustrecken, nachdem alles fort ist, seine Cigarre schmauchend und plaudernd … Aber freilich müssen wir beide nun das ganze Spiel in die Hand nehmen, – das Menuett anführen … Mit Hilfe jenes Zaubermittels, das man Geld nennt … pu–uh! Schwager Grüner? … Glaube ja nicht, von dieser Seite wäre irgendwie verwandtschaftliches Unter-die-Arme-greifen zu erwarten, auch nur soviel, daß er seinen Namen unter ein Papier setzte, und könnte er mit dem Opfer einer Krone zehntausend retten. Nein, nein! das Wort Noblesse steht nicht in seinem Tagebuch. Und gerade jetzt, wo ich noch Unternehmungsgeist besitze, wo mir der Kopf von Plänen schwirrt, und ich in mir die Thatkraft fühle, sie auszuführen, – jetzt thäten mir Baarmittel not. Später mag man dann auf seinem Geldsack sitzen.«
Er hatte den Kopf zurückgelehnt und blies den Tabaksrauch langsam in dünnen Fäden in die Luft.
Sie warf einen Blick auf das von den Strapazen des Tages etwas schlaffe Antlitz des Bruders. Sie wußte wohl, worauf alle diese Anspielungen hinausliefen.
»Du, Marianne, über etwas habe ich schon öfters nachgegrübelt. Du mußt mir das aufklären. Da im Frühjahr, als gerade Wiese bei euch in Borg zu Besuch war – –«
»Ach, lösch die Lampe aus, Johnny,« unterbrach die junge Frau. »Nimm sie weg, die Flamme sticht mich so empfindlich in die Augen …«
»Bist du nervös?«
»Nein, es sind nur noch Mahnungen meines früheren Kopfwehs.«
»Siehst du, damals …, ich begreife nicht, weshalb dein Mann nicht selbst die Lieferungen an Wiese übernahm. Steht doch der ganze Wald voller Schiffshölzer. Und das ist's nun, was unsern Freund Wiese jetzt hierher geführt hat; er will mit dem Vater wegen Lieferungen von ganz oben aus den Wäldern bei der Bjölstadmark abschließen.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du weißt, Geschäfte … Lieber, schließ doch das Fenster; hier zieht es so sehr.« Sie schauerte.
»Gescheiter, tüchtiger Kerl, der Wiese; paßt das Sinken der Preise ab. Nun reist er, verstehst du, umher und schließt Kontrakt um Kontrakt. Wunderbar, wahrhaftig, wie er sich emporgearbeitet hat, nachdem sein Vater noch vor wenigen Jahren mit seinem Schiffswerft so gut wie fallit dastand. Wertvolle Verbindung. Ich spekuliere darauf, ihn für das Hanfgeschäft zu gewinnen. Er schien nicht abgeneigt.«
Sie richtete sich im Sofa heftig in die Höhe.
»Nimm meine fünftausend aus der Sparkasse, Johnny! Ich habe heute den ganzen Tag daran gedacht, sie dir anzubieten. Das war ja doch die Summe, deren du bedurftest. Laß dich nur mit niemand anderem ein, – dann haben wir beide doch den ganzen Gewinn allein … Du sagtest,« fügte sie hinzu, »es wäre ein so gutes Geschäft!«
»Ja wohl, das schwöre ich, ja wohl!« fuhr er heraus. Er sprang rasch von seinem Sitze empor und schleuderte den Cigarrenstumpf in den Ofen. »Du und ich, Marianne, wir sind vom gleichen Drange beseelt, dem Foßhof wieder emporzuhelfen. – – Höre, es war ja noch etwas von dem feinen Cognak übrig, von dem wollen wir jetzt noch ein wenig nippen!« rief er vergnügt.
Das Strazzabuch lag offen, noch feucht von der Eintragung des letzten Mahlzettels. Andreas saß davor, den Ellbogen auf das Fensterbrett gestützt, die Tischschublade halb herausgezogen, und starrte grübelnd vor sich hin. Drinnen in der Schublade lagen, mit Band und Schleife versehen, einige verstaubte, unordentlich hingeworfene Pakete Rechnungen, und hinten in der Ecke thronte auf einer Unterlage von Kontobüchern und Papieren eine kleine, verschlossene Geldschatulle aus Blech.
Die äußere Aufschrift eines Briefes, den er hier verwahrt hatte, beschäftigte ihn im hohen Grade.
»Die Handschrift gleicht … zum Teil wohl nur …, nein … ganz und gar; – daß mich der Satan …, wenn es nicht Henricks Handschrift ist. – – Ja, und weshalb nicht? Warum sollte Henrick nicht darauf verfallen sein, den Schwestern zu schreiben? Aber dann würde der Poststempel von irgendwo aus dem Auslande her sein, und dieser ist doch deutlich und klar gut norwegisch. Und so müßte sich der Junge denn vor allem hier im Lande aufhalten, – – und dann? – Ja, das war's ja eben, was« – Andreas schnüffelte in die Luft, als wittere er etwas – »so absonderlich!«
Herr Andreas hatte auch eine gar feine Nase, wiewohl sie an der Spitze unten etwas schief geraten war, und sein wechselnder Gesichtsausdruck verriet, daß er mit seinen Spekulationen zu gewissen Resultaten gelangte, – einer Art Echo der heimlichen Beängstigung, die jahrelang über dem Hause schwebte.
»Gieb acht, Andreas, der kommt heim, steckt vielleicht schon in einem der Schiffe unten im Hafen!« –
Als später am Vormittage Mads Foß in dem kühlen Herbstwetter seinen Überrock angezogen und sich zur Mühle hinabbegeben hatte, sahen Marianne und Hilda auf dem Zimmer oben im Südflügel beisammen und lasen voll Bestürzung den Brief Bruder Henricks:
»Liebe Schwestern!
Wie lange, wollt Ihr, soll ich denn noch hier herumschleichen, wie der Fuchs um den Bau? Einmal muß es ja doch ans Licht kommen! Hier bei Antonie weiter einquartiert zu sein und mich von diesem Konsul mit den in Watte gewickelten Beinen in aller Höflichkeit hofmeistern und mit mißtrauischen Blicken messen zu lassen, dazu habe ich nun einmal nicht länger Lust. Er ist offenbar seiner Sache nicht so recht sicher, ob ich mich nicht nur deshalb bei ihm einsperren ließ, um eine schöne Nacht bequem in seinen Geldschrank einbrechen zu können. Solch einer Art von Vagabunden, der sich diesseits und jenseits des Oceans, zu Lande und zu Wasser herumgetrieben, um dann schließlich von San Francisco mit magerem Portemonnaie heimzukommen, – dem ist wahrhaftig nicht zu trauen. Solcher Wicht hat natürlicherweise auch Gold gegraben und auf Rothäute geschossen, und die armseligen acht- oder neunhundert Thaler, die er aufweisen kann, rühren nur von einem Raube her. Mir ist, als könnte ich dem Schwager bei aller seiner Freundlichkeit diese und verschiedene andere schmeichelhafte Vermutungen an den Augen ablesen.
Bei Biermanns eine Woche oder mehr zubringen, meint Ihr?
Ich danke! Ich mag nicht, daß seine Windigkeit der Herr Sägemüller förmlich platzt vor Wichtigthuerei und Gönnerschaft, und Mina mit den kleinen, blinzelnden Augen mich in schwesterlicher Angst fortwährend wie eine aufgeschreckte Schwalbe umkreist.
Und Johnnys Gastfreundschaft will ich auch nicht länger mißbrauchen. Er möchte gern für mich den letzten roten Heller hergeben. Er war nicht davon abzubringen, ich müßte irgendwo in der Welt Schulden haben, die er durchaus für mich bezahlen wollte, und brachte mich schließlich zur Verzweiflung mit seinem verwünschten Schneider, der mir in aller Stille Maß – zu drei Anzügen! – nehmen sollte; natürlich nur in der edlen Absicht, die väterlichen Nerven nicht allzu gewaltsam zu alterieren, wenn einmal die Stunde schlagen wird, in der ich den alten Herrn mit meiner Person überraschen darf. Aber seht Ihr, ganz so wie ich mich damals, als ich die Heimat verließ, in meinem Matrosenanzuge mit der abgeschliffenen Jacke und mit meinem alten Notizbuche – immer nur mit Wenigem beginnend – nach Amerika und auch wieder hierher durchschlug, ganz so will ich, – und sei es auch nur, um keinen falschen Schein aufkommen zu lassen, – gerade hineinsteuern auf den Foßhof, direkt in die väterlichen Arme, wie sie auch um mich zusammenschlagen mögen. Bin doch ein Knüppel, so breit und lang, als nur er selbst; er wird mir also mit solchen Narrenspossen wohl vom Leibe bleiben.
Nun also, um zum Schluß wieder auf den Anfang zurückzukommen, – hier bleibe ich nun einmal nicht länger, und sei es nur deshalb, weil ich und Antonie uns zu sehr gleichen. Sie möchte mir zuletzt noch vorschreiben, was für Stiefel ich anziehen soll, obwohl ich kein anderes Paar als just das eine, das ich an den Füßen trage, besitze. Sie gemahnt mich an eine Lokomotive, die ich einst in Chicago ins blanke Feld tanzen sah, so viel unruhiger Dampf steckt in ihr, – und der Konsul, der seinen Wagen an sie gekoppelt, wird's wohl noch fühlen, wie sie bald da-, bald dorthin hopst.
Nun denn, liebe Marianne und Hilda, – da er es nicht langer auszuhalten vermag, spaziert Euch der verlorene Sohn morgen Nachmittag zu Fuß nach dem Foßhof, direkt in die Stubenthür hinein, – Ankunftszeit präcis 6 Uhr nach der städtischen Turmuhr. Bereitet den Alten vor, wie es Euch am vernünftigsten dünkt; alle die Briefe, die ich ihm zu schreiben versuchte, gerieten entweder zu kurz oder zu lang.
Euer durchaus nicht von so großer Zuversicht, als er zur Schau trägt, erfüllter Bruder
Henrick.«
»Heute Nachmittag!«
Hilda starrte Marianne mit ausdrucksloser Miene an und wiederholte, ohne es zu wissen, in trostlosem Tone: »Heute Nachmittag!«
Sie begann, im Zimmer rundumher zu gehen.
Auch Marianne saß in ratlosem Bangen da gegenüber dem Eindrucke eines bevorstehenden Ereignisses, dem die Familie stets mit Angst entgegengesehen. In früherer Zeit war der Vater ruhigen Auseinandersetzungen nicht eben geneigt gewesen. Er konnte so maßlos bitter sein, sich bei dem geringsten Anlasse gleich in den schrecklichsten Andeutungen ergehen. Und sie gedachte mit Grauen, daß diese Leidenschaftlichkeit, während sie als Frau dem väterlichen Hause ferne geweilt, nur immer mehr überhand genommen.
Viele gewaltsame, stürmische Scenen mit den Brüdern und dann jener unbändige Ausbruch, als Bruder Henrick der Familie die Schande angethan, lagen ihr noch frisch in der Erinnerung. Es war gar nicht abzusehen, was geschehen konnte, wenn Henrick so ohne weiteres dem Vater unter die Augen zu treten sich erdreistete. Mariannens Phantasie malte sich in steigender Erregung das Bild eines wilden, unnatürlichen Auftritts zwischen dem Vater und dem zum Manne gewordenen Sohn.
Erst das hilflose Jammern und Klagen der Schwester Hilda rief sie zu einigermaßen vernünftiger Überlegung zurück.
»Jemand muß ihn natürlich vorbereiten; aber freilich nicht du, Hilda! – Vielleicht versuche ich es nach Tische beim Kaffee.«
»Ja, ja,« flehte Hilda, »ich vergehe vor Angst!« –
Nicht gerade in bester Stimmung kam Mads Foß um Mittag von der Mühle nach Hause. Drüben, jenseits der Seebucht, hatten sie die Mahlpreise abermals herabgesetzt.
»Nun, gar so schlimm,« meinte er auf die Frage Mariannens, die sich bei Tische in ganz besonders eifriges Gespräch mit ihm einließ, »wird es wohl nicht sein … 's ist eben die Folge der Konkurrenz, … werden deshalb doch zusammenkommen und nach wie vor gute Freunde sein … Delikate Leber das! – – Nein, nein, nichts mehr davon, Marianne!«
Hilda rannte in plötzlicher Verwirrung, nur weil er auf die Butterschale geschaut, hinaus, um frische Butter zu holen, und kam dann in solcher Hast wieder hereingeschossen, daß sie unterwegs den Henkel der Schale abschlug.
Marianne wurde immer lebhafter und erzählte mit großem Humor von dem alten Müller drüben, der, wie die Leute munkelten, auf Freiersfüßen ging. Nach Tische befaßte sich Marianne mit Vaters Mütze, deren Futter inwendig zerrissen war.
Aber der verhängnisvolle Augenblick näherte sich unbarmherzig, und wie durch einen Nebel sah Hilda den Vater seine Pfeife stopfen und anzünden. Als Jungfer Holst mit dem Kaffeebrett erschien, verschwand Hilda auf einmal aus der Stube, um etwas, man verstand nicht was, zu holen. Aber jedenfalls kam sie damit nicht wieder.
»Nein, wenn ich denke, wie alt diese Mütze hier ist, Vater!« sagte Marianne, »Ich erinnere mich noch recht gut, als du sie kauftest, und wir uns mit dem weichen Pennsylvaniafell über die Wangen strichen, Mina und ich. Es war damals ein Goldstempel im Futter, – und Johnny stülpte sie quer auf den Kopf, damit sie ihm nicht über die Ohren rutsche, und stolzierte damit im Zimmer herum, und Mütterchen lachte und sagte, ich erinnere mich so genau, – »daß doch den Lord alles so trefflich kleidet.« Das hat er wohl von der Mutter, das angenehme Wesen und die schöne, elastische Figur? … Alle Leute erzählen, was sie für eine nette, schlanke, feine Erscheinung gewesen, als sie jung war.«
»Ja, Kind, du hättest sie sehen sollen, wie sie als Braut am Altare stand, – das Porträt da drinnen reicht ihr nicht das Wasser.«
»Ach – ja!« – Marianne seufzte und sah einen Augenblick zu Boden; sie fühlte kalten Schweiß auf der Stirn. – »Er dagegen sah zum Sprechen dir ähnlich, Vater … er, unser Henrick, dieselbe breitschultrige, brünette Kraftgestalt, – ganz der Abkömmling deines Geschlechts, Vater. Ach – ja!«
»Marianne!«
»Ich kam nur darauf, Vater, weil wir, Johnny und ich, erst neulich, wie wir so oft thun, wieder von ihm sprachen.«
»So–o?« scholl es wie dumpfes Grollen.
»Jetzt ist ja schon längst Gras über das Vergangene gewachsen, und,« – sie wagte den Angriff, – »endlich wird er ja doch auch wieder in die Heimat zurückkehren müssen.«
»Etwa um sein mütterliches Erbe zu holen,« brach er zornig aus, »und das Nest zu plündern?«
Er starrte sie an, von einem jähen Verdacht durchzuckt. »Kommt er … jemals … hierher, ehe ich draußen auf dem Kirchhof liege, so,« – er erhob sich mit solcher Heftigkeit, daß die Tasse vor ihm umstürzte, und schritt, als fühle er, sich nicht länger beherrschen zu können, mit Ungestüm zur Thüre hinaus und die Treppe empor ins obere Stockwerk. Sie hörte lange von dorther seine polternden Schritte.
Später sah sie ihn ohne Überrock zur Mühle hinabgehen und sandte eines der Mädchen mit demselben nach.
Die übrigen peinlichen Stunden, die sie noch von Henricks Ankunft trennten, brachten die beiden Schwestern in ängstlicher Spannung oben in Mariannens Stube zu.
Der Alte war noch nicht aus der Mühle zurück, und so fehlte nur gerade, daß Vater und Sohn auf dem Wege aufeinander stießen.
Noch war es indes nicht so spät, daß der Vater nicht noch hätte kommen können. Beinahe eine Viertelstunde Zeit blieb übrig; aber soweit sie den Weg zur Mühle überblicken konnten, war nichts zu sehen als eine schwerfällig vorwärts strebende Mehlfuhre, die ab und zu stehen blieb.
Die Weiser der Uhr liefen jetzt entsetzlich rasch; nur noch sieben, sechs Minuten, und noch immer niemand von der Mühle her in Sicht. Wenn er nur jetzt nicht eher, als bis nach sechs Uhr kommen wollte!
»Wenn er nur nicht käme!« stöhnte Hilda mit stockendem Atem und rang die Hände; denn daß Henrick unfehlbar mit dem Glockenschlage erscheinen würde, daran zweifelte keine von den beiden auch nur einen Augenblick.
Und dort tauchten jetzt Mütze und Schultern des gefürchteten Mannes auf, wie er daher zu kommen pflegte, den dicken, messingbeschlagenen Stock mit der eingelassenen Stahlstachel ruhig vorwärts setzend. Er ging plaudernd mit Andreas. Ach Gott, ach Gott! Jetzt hieß es, die Allee im Auge behalten.
Warum sie in dem Bruder eine Hünengestalt zu sehen erwartete, darüber konnte sich Hilda eigentlich keine Rechenschaft geben. Sie hatte nur eine dunkle Vorstellung von etwas Ungeheuerlichem, wie von zwei Mühlsteinen, die unwiderstehlich aneinander gerieten, und zwischen die sich nichts drängte als ihre knirschende Angst.
Der Vater und Andreas waren ins Haus getreten.
Der erstere hatte vorher noch eine Weile nach der Straße ausgeschaut; doch das war so seine Gewohnheit wegen der Aussichten für den Abend; vielleicht daß sich drüben auf der Mohbergseite irgend ein Vehikel blicken lieh, welches in der Hoffnung einer Whist- oder Bostonpartie den Weg nach dem Foßhof einschlüge.
Die Uhr zeigte inzwischen acht Minuten über die angegebene Zeit, und eine thörichte Hoffnung begann in den Wartenden aufzudämmern, daß vielleicht Henrick seinen Entschluß geändert, daß Antonie im letzten Augenblick ihn davon abgebracht habe.
Es war das hoffende Aufatmen einer Sekunde, in der sie gegenseitig ihre Gedanken errieten, – als plötzlich außerhalb der Gartenpforte eine Gestalt mit tief herabgezogenem Hut und weiter Matrosenjacke erschien.
Die Schwestern wechselten kein Wort, währenddes die Gestalt sich mit einer entschiedenen und maßvollen Schnelle die Allee heraufbewegte, und die kräftige, breitschultrige Männergestalt immer unzweifelhafter den Bruder Henrick offenbarte.
»Es darf um keinen Preis geschehen!« schrie Marianne auf und stürzte die Treppe hinab.
Sie war durch die Küche und den Garten hinausgeeilt und fing den Bruder noch rechtzeitig in der Allee auf, ehe er vom Comptoirfenster aus gesehen werden konnte.
»Henrick! – – Henrick!« – –«
Er starrte sie mitten in der Überraschung des Wiedersehens an voll Staunen, wie sie sich entwickelt hatte; – vermutlich meinte er, nicht gerade zu ihrem Nachteil.
»Henrick! … Du darfst den Vater diesen Abend noch nicht treffen. Ich habe heute versucht, ihn vorzubereiten; aber er geriet ganz außer sich, – und dabei ahnte er doch nicht einmal, daß du zurückgekehrt sein könntest.«
»Er wird sich darein finden müssen, daß ich mir das Recht zu existieren herausnehme; – wenn auch,« stieß er bitter hervor, »das Verlangen nach mir nicht eben übertrieben glühend bei ihm ist.«
»Du darfst nicht, Henrick! Es wird ein Unglück geschehen, – thue es heute Abend nicht!«
»Glaubst du, es ist besser, wenn es morgen geschieht? – Nein, wir wollen die Entscheidung gleich haben, – jetzt, heute Abend!«
»Ich sage dir, er kann einen Schlaganfall haben, wenn es so unvorbereitet über ihn kommt.«
»Vor lauter Freude, seinen Sohn wiederzusehen, – – ein gar wohlthuender Gedanke das!«
»Jedenfalls mußt du erst zu mir hinauf,« bat sie in fieberischer Hast, indem sie ihn mit sich fortzuziehen versuchte. »Wir müssen erst etwas aussinnen, – etwas, etwas, womit wir ihn vorbereiten …«
»So meinst du allen Ernstes, man riskiert beim Vater einen Schlaganfall?«
Er sah finster vor sich nieder und folgte ihr.
Dort oben, ja, da war guter Rat teuer. Henrick saß schweigend da; er wollte keine Erquickung annehmen, kein Glas Wein, keinen Bissen Brot.
Hilda strich ihm unbemerkt ein paar Mal von hinten über das Haar, als fürchte sie eine Explosion.
Da standen sie da, alle drei Frauen, die hinzugerufene Jungfer Holst gerade wie die anderen beiden.
Marianne fühlte sich nicht fähig, den Kampf mit dem Vater jetzt wieder aufzunehmen. Sie hatte sich ein paar Mal aufgerafft; doch jedesmal schwand ihr auf der Treppe unten plötzlich der Mut; denn – auf welche Weise sollte sie eigentlich die Sache neuerdings anfassen?
Nein, so konnte es nicht gehen, das sah Jungfer Holst nur zu wohl ein. Da saß der arme Henrick und verlangte ja auf Gottes Welt nichts anderes, als daß man ihm gestatte, in sein väterliches Haus zurückzukehren. – Solch ein prächtiger, wackerer Junge, wie er dasaß, bleich wie der Tod! Je öfter sie ihn ansah, desto höher stieg ihre Entrüstung. – Hier widerfuhr ja einem rechtmäßigen Kinde des Hauses das schreiendste Unrecht. Und da laufen sie alle hin und her und haben den Kopf verloren. Sie werden ihn doch wohl am Ende nicht vom Hofe treiben wollen, Wie einen Hund?
In ihrem selbstvergessenen Eifer stand sie schließlich, ehe sie sich dessen recht versehen, bei Mads Foß auf dem Comptoir und redete von Kindern und einem Vaterherzen, und von einem Mutterherzen nicht minder, ja, und was die Frau selig gethan hätte, wenn dem Hofe solch ein Sohn zurückgekehrt wäre – wie Henrick, – der nun drinsäße, das Herz hungrig nach dem Anblick seines Vaters.
Kirsten Holst begriff eigentlich ebensowenig, wie sie aus dem Comptoir heraus, als wie sie vorher hineingekommen war; doch daß sich die Wange von einer Ohrfeige von Mads Foß' schwerer Hand über und über gerötet hatte, ließ sich nur allzu deutlich erkennen, da sie jetzt, erhitzt und mit Thränen in den Augen, oben wieder anlangte.
»So, so, Jungfer Holst,« sagte Henrick und erhob sich, »das weitere von dieser Sorte fühle ich mich verpflichtet, selbst in Empfang zu nehmen.«
Damit ging er ruhig hinab, klopfte an die Comptoirthüre und trat dann, als keinerlei Antwort erfolgte, ein.
Die Frauen oben hielten die Thür auf dem Gange offen, vernahmen von unten herauf Mads Foß' herrischen, lauten, kurz abweisenden Zornesausbruch und dazwischen Henricks ruhigeren Ton. Die Stimme des Alten erscholl einen Augenblick mit wilder Heftigkeit; dann aber wurde wieder leiser gesprochen, und endlich ward es ganz still.
Wohl über eine halbe Stunde währte nun die Stille dort unten. Hilda hatte die ganze Zeit den messingbeschlagenen Stock wie in einer Vision gesehen.
Es fing an, ordentlich beängstigend zu werden, und Kirsten Holst mußte die Treppe hinabschleichen und horchen.
Sie hörte Henrick drinnen ruhig erzählen und vernahm, daß er den Ausdruck »Vater« gebrauchte; die beiden Männer saßen im Dunkeln.
Endlich klingelte es im Comptoir, und Kirsten Holst dachte, es sei wohl das Beste, wie gewöhnlich mit den zwei Kerzen hineinzugehen.
»Müssen wir Licht haben, um uns den Jungen ordentlich anzuschauen, Kirsten,« sagte Mads Foß mit einer gewissen Bewegung in der Stimme, »so zünde es drüben in der Stube an. Sag' Marianne und Hilda, sie treffen Henrick dort.«
Der Major fuhr sich und sein schaumtriefendes Pferd förmlich zu Schanden, um mit allen den Neuigkeiten und Gerüchten betreffs der Heimkunft des Zweitältesten auf dem Foßhof á jour zu bleiben. – Nein, er war nicht Goldgräber gewesen, hatte auch nicht an der Küste des Stillen Oceans ein Geschäft in tätowierten Rothäuten für die Museen etabliert. Herrn Henrick hatte es nur so zu scherzen beliebt; was dieser Scherz aber verschleiern sollte, war eine andere Frage. All das Gerede, er wäre Heizer bei einem Dampfschiffe auf dem Hudson gewesen, dann Zimmermann in Chicago, wäre hierauf in ein Redaktionsbureau in Madison gekommen, sodann in ein Handelscomptoir in San Francisco, um schließlich in einer Maschinenfabrik Verwendung zu finden, klang doch etwas gar zu bunt und abenteuerlich.
Überhaupt – ein Sohn vom Foßhofe sollte sich darein gefunden haben, schweißtriefend und schwarz wie ein Nigger, mitten unter den gemeinsten Arbeitern dazustehen und Schaufeln voll Kohlen in die Glut zu werfen? Halte das, wer da wolle, für etwas anderes als für Herrn Henricks sinnreiche Märchen, zur Erbauung der Einfältigen daheim ersonnen!
Jeder Versuch zur Lösung des Problems, was Henrick bisher getrieben haben mochte, was er wohl weiter vorhabe, wurde natürlich unter überschwenglichsten Freuden- und Herzlichkeitsbezeugungen, in einer Flut von Gastereien, zu der seine Heimkehr den Anlaß gab, ertränkt. Da war niemand, zu dem die Fossegaardfamilie nur in irgend einem Umgangsverhältnisse stand, der nicht die Gelegenheit wahrgenommen hätte, die Aufrichtigkeit seiner Freundschaft ins rechte Licht zu setzen.
Und so hatte der Ankömmling sich's gefallen lassen müssen, der Reihe nach die Gesellschaften, die ihm zu Ehren bei den verschiedenen Familien gegeben wurden, mitzumachen. Die Ansichten begannen sich allgemach zu klären, und es bildete sich da und dort, zuvörderst unter den Seinen, eine bestimmtere Meinung über ihn.
»Aber hast du eine Idee, Marianne,« machte eines Tages Mads Foß seinem Verdrusse Luft, »was er mit dem Wasserfall dort unten in Solumswick eigentlich will? Er faselt davon, den ganzen Birkenwald an sich zu bringen, eine Fabrik für Holzschäfte und Axtstiele anzulegen, und weiß Gott, was ihm sonst noch für Pläne im Kopfe stecken. Heute ist er schon wieder hinunter.«
Er blieb stehen und sah sie fragend an: »Aber all das verlangt Kapital, siehst du. Der Junge wird doch wohl nicht im Sinn haben, sein mütterliches Erbe zu beheben? Ärgeren Schaden könnte er uns gar nicht zufügen, jetzt, wo Johnny so viel Geld zum Geschäftsbetriebe braucht.«
»Der amerikanische Dampf ist ihm eben ins Blut gefahren, Vater! Das verrät sich ja bei ihm auf Schritt und Tritt.«
»Ach ja, ja! mag er ihn hier auf dem Foßhof verwenden, wenn schon durchaus gedampft werden muß. Da giebt's genug, wozu er seinen Kessel heizen kann; denn es muß ja jetzt alles vom obersten zum untersten gestürzt werden, wie sie sagen.«
»Als ob es hier nicht riesig für ihn zu schaffen gäbe!« wiederholte er nach einer Weile.
»Hast du bemerkt, Vater,« warf Marianne, von ihrer Näherei aufblickend, hin, »was für ein Glück er bei den Leuten macht und besonders bei den Damen? Und man müßte doch wahrhaftig lügen, wollte man behaupten, daß er gerade etwas von einem Kavalier an sich hätte. Aber sei dem, wie ihm wolle, sie schwärmen für ihn.«
»So – – o – o? – Hm! hm! – – Warst nicht du es, die behauptete, er sähe mir gleich?« schmunzelte Mads Foß, die Pfeifenspitze im Munde. »Glück bei Frauenzimmern, he, he …, Glück bei Frauenzimmern, …,« – er schmunzelte und kicherte leise, – »hat ja auch jemandem nachzuarten, der sich nicht spotten ließ.«
Er wanderte auf und ab und qualmte dicke Rauchwolken in die Luft.
»Hm – hm – ja – ja, – kann da just ein Kapital stecken, wo man's am wenigsten erwartet. Der Schlingel bei Frauenzimmern beliebt!«
Das Thema beschäftigte ihn augenscheinlich.
»Du, Marianne, fällt dir denn gar nie ein, Ellingsens Töchter aus Sandkilden zu uns zu bitten? Die Gouvernante hat aus den Dingern etwas gemacht. Bertha besonders hat sich zu einem bildsauberen Mädchen herausgewachsen, – und seine Lagerplätze und Schiffsanteile, die werfen was ab, hoh! – ganz gehörig. Er hat sich emporgeschwungen, der Ellingsen, zählt dir seine blanke vierzig bis fünfzigtausend jeder der beiden Töchter auf den Tisch hin. Die Bertha, das ist ein Prachtmädel.«
»Ach ja, rot und weiß ist sie und aufgeblasen. Sie haben nun einmal nie zu unserm Umgang gehört, und ich dächte, Henrick –«
»Henrick!« klang es hart; etwas von der alten Brutalität wollte wieder herausfahren; aber er nahm sich zusammen. »Henrick ist ein vernünftiger Junge, der wohl weiß, worauf es ankommt, wenn hier alles hübsch aufrecht bleiben und nicht schließlich über den Haufen stürzen soll.«
»Nun, und was wär's wohl mit Mina Henschen? Sie ist gerade in einem Alter mit mir, vierundzwanzig Jahre, – früher sollte man gar nie heiraten, – dabei so liebenswürdig, als man sich eine Frau nur wünschen kann. Und an Mitteln würde es auch nicht fehlen, sollte ich meinen … Der alte Prokurator Henschen lebt ja ganz allein von seinen Renten.«
»Der Schinder, ja!« brauste Mads Foß auf. »Weißt du, wieviel ich ihm an – hm, hm!« – er räusperte sich und zeterte fort: Das sei ihm der rechte Schwäher, an den sie ihn da verweise; wie er jahraus, jahrein sich von diesem Henschen martern und schrauben und mit Mahnbriefen peinigen lassen müsse! Der alte Blutegel sauge den Foßhof wohl nicht dazu aus, um hinterher die Tochter hineinzusetzen. Von dem Gelde, das Henrick mit der Mina allenfalls erheiraten könnte, würde er nicht einen Pfennig vor Henschens Tode in die Hand bekommen. »Nein, Ellingsens dagegen, siehst du, das sind Leute, die empor wollen; der ist dir ein Mann, der Jahr für Jahr sich mehr und mehr hinaufarbeitet, und dem es auch nicht darauf ankommt, ordentlich mit Geld herauszurücken. Sich mit dem Foß vom Foßhof verschwägern – das klingt den Leuten wie Musik in die Ohren. Und siehst du, Marianne, was wir vor allein hier bedürfen? Es sind Baarmittel!« fügte er mit Betonung hinzu.
Gegen Abend in der Dämmerung kehrte Henrick von seinem Ausfluge zurück. Er war unten in der Stadt gewesen und hatte einen alten Schulkameraden besucht, der nun in der Strandgasse einen Kleinhandel betrieb.
»Wahrhaft schnurrig, was alles aus den Leuten wird in dieser Welt,« philosophierte er, ging auf und ab und plauderte mit Marianne, die in der Ecke beim Ofen saß und dessen angenehme Glut auf sich einströmen ließ. »Dieser Anton Johannesen schwärmte immer nur von Seeromanen und trug sich mit Plänen, wie er zur See entweichen wolle. Ich war einmal sein heimlicher Mitwisser; aber er wurde im Hundehause an Bord der »Bellona« entdeckt und vom Vater wieder abgeholt. Hui, was es da setzte! Solch ein unbändiger Taugenichts von einem Jungen ist mir mein Lebtag nicht vorgekommen, es wäre denn ich selbst; und jetzt findest du einen ruhigen, gesetzten, vorsichtigen Mann, der sich kleinweise ein Vermögen zusammenhäuft. Er macht sich nichts daraus, mit fettiger Mütze dazustehen und den Leuten schwarze Seife zuzuwiegen, und wird dabei ein reicher Mann, so sicher als das Amen in der Kirche. Er weiß dir genau, woher in der ganzen Stadt der Wind bläst. Es ist, als setzte man ein paar Brillen auf die Nase, wenn man in seinem Laden sitzt und mit ihm plaudert. Ein guter Kopf! – Mir sind bei ihm über manches die Augen aufgegangen. Die Kleinstadt ist unstreitig im Aufschwung begriffen, und Johnny hat bei allem und jedem seine Hand. Geht irgendwo etwas schief, wendet man sich an ihn. Für das Kleine aber, – meinte Anton Johannesen, – hätte der Bruder keinen Sinn. Da ist auch nicht einer von den Dampfern, welche die Stadt anlaufen, bei dem er nicht wohlbekannt wäre. Wenn er in seinem Boote herankommt, den Cigarrenstummel im Munde, den schwarzen, englischen Cylinderhut auf dem Kopfe, und bei der Fallreeptreppe anruft, dann heißt es Herzbruder und du und du mit dem Kapitän. Er wird sofort an Bord zu einem Toddy geladen, dabei werden schnell allerhand Geschäfte mit dem und jenem Reisenden abgemacht, und läge das Schiff auch nicht länger als eine Viertelstunde im Hafen, nur gerade solange, als die Pfeife zum Signal braucht. Und daheim liegt Alette am Fenster, um zu sehen, wen er vielleicht mitbrächte, – ob sie Gäste haben würden. Man sagt, bei solch einem Mittagessen mache er seine besten Geschäfte … A – aber, du Marianne, – so eigentlich den Tag halb und halb zu verschlendern, den Cigarrenstummel vom frühen Morgen an im Munde,« er verzog mißbilligend den Mund, – »drüben in Amerika würde einer, der es so triebe, sich lange nach Kredit umschauen können.«
»Bei alledem muß dieser Johnny eine verteufelte Geschicklichkeit zum Geldverdienen haben,« fügte er nachdenklich hinzu. »Es soll dir unnachahmlich gewesen sein, erzählt man sich unter den Kaufleuten, mit welchem Air, mit welcher vernichtenden Grandezza der »Lord« einen Hamburger, der einige Wechsel, mit denen es nicht seine Richtigkeit haben sollte, protestieren kam, kurz und bündig abfertigte, – nur so mit einem Check, indem er auf einem Blatt, das er aus seinem Notizbuche herausriß, ein paar Worte mit Bleistift hinwarf und den Zettel durch einen Boten an die Sparbank sandte. Als dieser zurückkam, wandte sich Johnny an den Hamburger: »Hier! Haben Sie die Güte, neuntausend Mark Banko. Steht sonst noch etwas zu Ihrem Belieben?«
»Es ging nachher förmlich wie ein geflügeltes Wort von Mund zu Mund. Johnny hatte sich nicht einmal deshalb ans Land bemüht, und der Hamburger verduftete ganz beschämt. Es ist diese Geschichte keine zwei oder drei Monate her. Johnny war eben vom Foßhofe zurückgekehrt, – erzählt mir Johannesen …«
Marianne verfiel in Nachdenken. Das war just damals gewesen, als sie auf die Hanfspekulation mit ihm einging. Kein Wort hatte sie seither von dieser vernommen.
Es war zu Weihnachten. Grüners weilten mit den Kindern zu Besuch auf dem Foßhofe. Johnny und Alette waren gleichfalls mit allen den Ihren gekommen; sogar das jüngste hatte man mitsamt der Wiege, der Flasche und dem Kindermädchen hinaufgenommen. Auch Biermanns vom unteren Mühlwerk schlugen Nacht für Nacht ihr Lager im Hofe auf.
Und vom Morgen beim Frühstückstische mit dem gesülzten Schweinskopf, aufgeputzt mit zierlichen Papierfranzen und umgeben von blinkenden Aquavitflaschen, den Ferkelfüßen, dem Pökelfleisch, dem kalten Braten, dem Buttergebäck, dem Würzkuchen mit Rosinen und all' der Menge anderer Delikatessen bis zum Abendbrot, das oft bis unberechenbar tief in die Nacht hinein währte, fanden der Reihe nach die verschiedenen Freunde und Bekannten sich ein und halfen das Weihnachtsfest mit verherrlichen. Es war ein Kommen und Gehen; es stand die Thüre keinen Augenblick still.
Johnny fühlte sich nun einmal nirgends so wohl, als zu Weihnachten daheim im Vaterhause. Er äußerte dies mit behaglichem, echt feiertagsmäßigem Recken und Strecken beim Erwachen gegen Alette; er wiederholte es beim Gabelfrühstück, während sie bei der Schweinesülze saßen, und vertraute es abends spät mit etwas starren, glänzenden Augen zum soundsovielten Male den guten Freunden, die er mit sich in eine Ecke zu den frisch mit Toddy gefüllten Gläsern gezogen. Er klopfte Hilda auf die Wange und war von überströmender Zärtlichkeit; das arme Kind hätte es nicht gar gut, meinte er. Aber dies Jahr bekäme es sicher eine Uhr von ihm. Er machte dann mit Schwester Mina, die das Lachen nie lassen konnte, Späße, sprach vertraulich mit Marianne, baute den Familiensitz auf das zeitgemäßeste, nach den allerneuesten Errungenschaften im Baufache um und ging schließlich mit Schwester Grüner umher, den Arm um ihren Hals geschlungen, bis sie dessen müde wurde und, tief und ungeduldig Atem schöpfend, den Bruder abschüttelte.
Vaters Idee, daß eine verständige Heirat der einzig richtige Ausweg für Henrick sei, hatte sich der Frau Grüner ganz bemächtigt. Sie ließ es auch nicht daran fehlen, ihn ins gehörige Licht zu setzen. Sie sprach von nichts anderem, als dem soliden, unerwartet prächtig entwickelten Charakter und den ganz besonderen Verstandesfähigkeiten des heimgekehrten Bruders. Ein förmlicher ökonomischer Umschwung mußte sich in jedwedem Betriebe vollziehen, dem er seine Kräfte widmete. Und wenn er auch in seinen Reden ein wenig schlimm und derb sei, so hätte das nicht viel zu bedeuten. Das läge so in der Familienart.
Sie erachtete es überdies für geboten, daß man für die Jugend eines Abends ein wenig Tanz arrangieren sollte. Etwas müsse doch für Hilda geschehen. Man könnte bei dieser Gelegenheit auch einmal Ellingsens herüberbitten. Es sei nun schon so viele Jahre her, seit auf dem Foßhof nicht mehr getanzt worden, und der Vater schulde ja da und dort Revanche für die vielen Gastereien, die man Henrick zu Ehren veranstaltet.
Antonie verhielt sich wie eine treibende Kraft.
»Jetzt,« drängte sie, »in der Weihnachtswoche natürlich, muß das Tanzfest stattfinden, damit den anderen auch Zeit bleibt, etwas zu veranstalten. – – Grüner,« drohte sie, »kommt sonst noch auf den Einfall, zu desertieren. Er ist nicht gewöhnt, die Tage unthätig hinzubringen.«
Henrick meinte, daß der Konsul, der bedächtig und einen Fuß schwer hinter dem andern schleppend einhermarschierte, nicht eben den Eindruck mache, allzuheiß nach einem Ball zu schmachten.
Henrick war übrigens zur Zeit ganz und gar von der Idee in Anspruch genommen, den Bjölstadsmoor trocken legen zu lassen; denn dadurch würde, wie er den Vater versicherte, die Mühle das ganze Jahr Wasserzufluß gewinnen.
»He, he – nun ja – wohl wahr,« räusperte sich der Alte, – »schaff' nur auch gleich die hübschen paar tausende her, die das kosten würde. Denn siehst du, Henrick,« sagte er mit Bedeuten, »der Foßhof ist nicht finanziell stark genug für zwei Campagnen, lastet schon Johnny schwer genug darauf.«
Mads Foß begleitete den letzten Satz mit einem besonders nachdrücklichen Brummen.
Das that wohl, sich gegen den Sohn einmal ausgesprochen zu haben; nun würde der Junge ja doch nicht im Zweifel darüber sein, was er zu thun habe, um Kapital herbeizuschaffen – Ellingsens Bertha! …
Der Alte und Grüner zogen sich zum Whisttisch ins Eckkabinett zurück, dessen Thür sie schlossen; denn nun mußte alles für die Tanzgesellschaft ausgeräumt und hergerichtet werden.
»Nur hinein mit dir, Grüner,« ließ sich die gebieterische Stimme der eifrigen Antonie vernehmen, – »nur wieder hinein ins Kabinett. Man hängt hier die Thüren aus, und dann entsteht im ganzen Hause der entsetzlichste Zug.«
»Stellen Sie die Gelees hier durchs Fenster heraus, Jungfer Holst, – eine Schüssel neben die andere in die Kälte aufs Kellerbrett. – Wonach hast du hier unten zu fahnden, Lina? Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst wie angemauert oben sitzen bleiben und dich nicht von den Kindern wegrühren? Sonst kriegen sie in dem Zug auf den Treppen wieder den Husten. Warte, warte, ich gebe dir ein paar Bissen von dem Mandelpudding zum Naschen für die Kleinen mit; sieh' her – jedem so einen Löffel voll. Alettens Kleinster erhält natürlich nichts; so viel Verstand wirst du wohl selbst haben. – Etwas mehr Fruchtsauce, liebste Kirsten!«
Antonie trippelte fort mit Kerzen für den Kronleuchter.
Johnny kam erst in der Dämmerung nach Hause. Er hatte im Schmalschlitten eine Besuchstour zu etlichen Nachbarn unternommen, um dem Lärm und Wirrwarr daheim zu entgehen und auch einigen Aufforderungen Folge zu leisten. Beim Vogt drüben mußte er zu Mittag bleiben. Ferdinand Wiese war den Abend zuvor dort angekommen.
Es würden so im ganzen ungefähr fünfzig Personen sein, rechnete er zusammen, wenn alle einträfen, zu denen Einladungen gesandt worden. Das wäre gerade so die rechte Zahl.
Er wollte nun ein wenig den Getränkevorrat mustern und wenn noch etwas fehle, ihn ergänzen.
Echtes Weihnachtswetter! Ein milder Südwind mit einer Wand schwarzer, unruhiger Wolken hinter sich ließ den Meernebel sich dicht und feucht über dem Lande stauen, und noch in der Höhe des Foßhofes lag er, von leisem Schneefall untermischt, grau und seedunstschwer.
Auf dem Hofplatze kamen des Abends die Schlitten, breite und schmale, angefahren, denen nacheinander, eingemummt, die Insassen, die Familien aus der Umgegend zusamt ihren Weihnachtsbesuchern, entstiegen, während die große Angel an der Gangthüre mit eigentümlich schnarrendem Laut unausgesetzt ihr Willkommen schrie.
Oben im Saale stand der alte Flügel mit offenem Deckel. Walzer und Galopps von Strauß und Falbe wechselten ab und zu mit einem Contre, einem Fandango oder auch einem schottländischen Tanze nach alter Weihnachtsweise. Man fühlte wohl heraus, wer jedesmal am Flügel saß. Mina Biermann ließ die Fingerspitzen leicht und flüchtig über die Tasten fliegen, ohne Spur einer Anstrengung zu verraten, – sie würde ohne weiteres die halbe Nacht aufgespielt haben; Frau Grüners kräftige, entschiedene Bearbeitung des Instruments war dagegen dem Gang eines starken, schweren Artilleriepferdes vergleichbar, präzise, taktfest, ohne die geringste Ungleichartigkeit im Tempo; aber man ahnte die Ermüdung und innerliche Verdrossenheit. Und es gab unter den gewandten pianospielenden Damen der Umgegend ja genug Kräfte, die ablösen konnten.
Der Flügel hatte auch schon frühere Male an diesem Platze seine Pflicht gethan. Die breiten, weißen Dielen des Saals waren glattgewetzt von so mancher durchtanzten Nacht. Es ging nichts über solch einen Weihnachtsball auf dem Foßhofe.
Es gehörte für Tilda, das Stubenmädchen, eine besondere Kunst dazu, mit dem großen Brette voll Bischof-, Punsch- und Limonadegläsern sich vorwärts zu bewegen.
Eben kam sie nach einem neuen Feldzüge ganz rot und aufgeregt mit den leeren Gläsern wieder in die Küche hinab.
… Jemand habe gerade gegen das Brett getanzt, während sie vor dem Sofa stand und es der Frau Vogtin hinhielt. Das schwere Atlaskleid hätte hübsche Flecke davongetragen, wäre es ihr nicht geglückt, sich noch schnell beiseite zu drücken; aber knien mußte sie beinahe! – »Sehr geschickt, liebes Kind!« hatte die Frau Vogtin zu ihr gesagt … Ei wohl, Tilda wußte am besten, über wessen Kleid das Glas Bischof am äußersten Rande hinübergegangen! … »Frau Grüner tanzt und hat dabei überall ihre Augen,« erzählte das Mädchen lachend, »und der Konsul sitzt drinnen im Saal mit seinem Stock und brummt und reibt sich die Beine!« – Und so sprang Tilda in ihrer Erzählung von dem einen zum andern, – während sie mit dem Präsentierbrette an einem Punkte eingekeilt gewesen, hätte dieser Major dicht hinter ihr gestanden und ihr ein Glas Weinpunsch nach dem andern für die Damen über die Schulter hinweg abgenommen. Und des Vogtes Stellvertreter habe gemeint, Frau Borg dürfte sich des alten Bastian halber recht wohl einen Tanz gestatten; hätte sie sich doch auch schon einen dieser Weihnachtsabende ein wenig geschwungen. Wie sie alle da wären, es käme ihr keine gleich – eine Gestalt wie eine Weide. Worauf der Major leise gewiehert: »Frau Borg hat wohl ihre besonderen Gründe; denn auch Herr Hysing tanzt nicht.«
»Der und Frau Borg!« schloß Tilda ihren Bericht und zuckte mit spöttischem Auflachen die Achseln.
Das Brett war inzwischen wieder frisch besetzt.
Die meisten der älteren Gäste hatten sich zu der späten Abendmahlzeit zurückgezogen.
Die kurzen, über und über betropften Lichtstümpfchen im altmodischen Glaskronleuchter flackerten in dem durch die Tanzenden verursachten Winde. Der Kotillon war eben im vollsten Zuge.
In der auf den Gang führenden Thüre standen die Mägde Kopf an Kopf und schauten zu.
»Es muß wieder Limonade herumgereicht werden, Tilda! Wo bleibst du denn damit?« rief Frau Grüner. »Macht das Fenster im Korridor auf. Ist die Köchin noch nicht hier oben? Sag', sie soll ein ander Kleid überwerfen und auch zuschauen; jetzt muß sie ja in der Küche schon fertig sein. – Und den Kaffee brauchen wir erst – warte,« – sie sah auf ihre schwere, goldene Uhr, – »höchstens nach einer Stunde, – gegen vier, halb fünf. – Tanzen Sie nicht, Wiese?«
Der Angeredete war eben aus dem Rauchzimmer herübergekommen; es lag etwas Unruhiges, Falkenartiges in seinem Antlitz oder wenigstens in dem Bück, den er durch den Saal schweifen ließ.
»Keine Dame?« eiferte Frau Grüner. »Aber dort sitzen ja zwei, drei beim Piano. Ich werde Sie gleich mit einer Tänzerin versorgen.«
Während sie sich indes in Bewegung setzte, wendete er sich plötzlich und verbeugte sich vor Jungfer Holst, die neben der Thüre saß.
Sie wäre nicht einmal dazu gekommen, nein zu sagen, erinnerte sich Kirsten später; denn ehe sie noch recht ein Wort davon wußte, war sie schon von ihrem Sessel in die Höhe und mitten im Saale zwischen den sich wiegenden Paaren. Dann aber, als sich Wiese dicht neben Marianne mit ihr hinsetzen wollte, kam sie doch wohl zur Besinnung, dankte und ging wieder zur Thür zurück. Unterwegs aber fing sie Henrick auf, und rundum ging es durch den Saal, ein-, zwei- und dreimal. – Nicht, daß die gute Kirsten davor bange gewesen wäre, mit dem Tanzen nicht fort zu können; aber so in dem bis hinauf geschlossenen, einfachen schwarzen Kleide!
»Es ist dir ganz nach Wunsch geglückt, mir den ganzen Abend zu entgehen, Marianne,« begann Wiese inzwischen mit gedämpfter Stimme, während er mit wohlbeherrschter, ruhiger Miene ihr gerade ins Antlitz schaute. Nur die Augen funkelten. »Du hieltest dich beständig mitten zwischen den Frauen eingekeilt. Meinst du, – – meinst du, das könne so fortgehen? Ich müßte rein von Sinnen sein, wollte ich mich von allen deinen ängstlichen Rücksichten beherrschen lassen.«
»Ihr Handschuh, Frau Borg.« Er beugte sich rasch zur Erde, da Alette und Johnny nach einem Tanze gerade vor ihnen zu stehen kamen.
»Denke dir, Marianne,« sagte Alette in scherzendem Tone, »Johnny war so gnädig, auch einmal eine Tour mit mir zu tanzen.«
Alette war eine zarte, blonde, rührende Erscheinung; es bedurfte keines großen Scharfblicks, ihr anzusehen, wie blind verliebt sie in ihren Johnny sei, und wie sie in Bewunderung für ihn aufgehe.
Marianne fühlte einen stechenden Schmerz bei dem sonnigen Liebesglück, das aus dem Lächeln ihrer Schwägerin brach; sie sah mit stummem, schmerzlichem Blick zu Wiese empor, als das Paar sich wieder entfernt hatte; etwas wie ein wilder Ausbruch ihrer Gefühle für ihn drängte sich einen Augenblick in ihre Augen, und dann trat wieder jenes wohlbekannte Unüberwindliche hervor, das ihm sagte, wie alle ihre Hoffnung tödlich getroffen sei; er las in ihrem Antlitz jenes stumme, angstvolle Flehen mit Schonung, daß er ihr doch nicht weiter diese entsetzliche Pein bereiten möchte! Sie wünsche ja nur noch, innerlich tot zu sein, für ihn, wie für sich selbst. Und dennoch wußte er nur zu wohl, wie empfänglich sie für jedes seiner zugeflüsterten Worte sei.
»Marianne,« sagte er, »ich habe nichts auf der Welt als dich; und auch du empfindest ja für keinen anderen, als für mich allein.«
Sie saß lächelnd da, als sei sie in einer einfachen Konversation begriffen; aber sie lauschte und lauschte, keine Silbe hätte sie sich mögen entgehen lassen, – und nun nickte sie.
»Erinnerst du dich noch jenes ersten Weihnachtsballes, an dem wir zusammentrafen? – Es war beim Vogte, Frau Borg! – Es wurden in damaliger Zeit immer Weihnachtsbälle beim Vogte gegeben,« schaltete er kühlen Tones ein, da wieder Tanzende vor ihnen stehen geblieben waren.
»Höchst unterhaltende Bälle für die jungen Leute,« antwortete Frau Borg. »Der Vogt war immer ein so überaus liebenswürdiger Hauswirt.«
»Ach, Frau Biermann, die ganze Fraise ist von der Garnierung herunter,« rief eifrigst ein Tänzer.
»Stecknadeln findest du in Hildas Zimmer, Mina!« sagte Marianne hastig.
»Ich weiß nicht, ob du damals so schön warst, als du mir jetzt, heute Abend erscheinst. Deine Schönheit war wohl mehr von anderer, kinderhafter Art; aber reizend warst du mit deinen fünfzehn Jahren, so keck und geschmeidig, behend wie ein verkleideter Schiffsjunge. Und mit welch unschuldiger, schelmischer Miene du dich über die Leute, ihnen gerade ins Gesicht, lustig machtest! Mich hattest du so zum besten, daß es die ganze Nacht in mir kochte. Die Gummisprungriemen, mit denen ich damals paradierte, wurden in Stücke gehackt.«
Sie lächelte verbindlich. »Nein, wirklich? Ach ja, ich erinnere mich, sie waren damals in der Mode!«
»Die Pantalonstrupfen!« rief Henrick, der eben mit Bertha Ellingsen vorbeitanzte, dazwischen. »Ei wohl! … O, wie wir fest anzogen und hinkten, du, Wiese! Damit sie nur recht stramm und gespannt säßen. Das Muster wurde immer größer karriert, bis es endlich platzte.« Er lachte über die Schulter seiner muskulösen Tänzerin herüber.
»Dann den Sommer darauf, Marianne,« begann Wiese wieder. »Damals, glaube ich, fingst du schon an, mir ein wenig gut zu sein. Oder,« sprach er langsam, »weshalb würdest du mir im Pfarrgarten mit solcher Leidenschaftlichkeit erklärt haben, du für dein Teil würdest nie einwilligen, jemanden zu heiraten, der schon einmal verlobt gewesen? Ich möchte wissen, ob du nicht damals ein wenig eifersüchtig warst?«
Ein Lächeln umspielte Mariannes Mund; sie nickte leise; mehr und mehr vergaß sie der verbindlichen Miene. Jawohl hatte sie sich damals Minda Henschens willen gekränkt gefühlt.
»Und wieder kam Weihnachten. Siehst du, von jener Zeit an war mir klar, was ich wollte, nämlich, daß ich das daniederliegende Geschäft daheim emporarbeiten müsse, um vor die Tochter vom Foßhof hintreten zu können. Nun ja, das war es, was mich Kaufmann zu werden trieb. Wenn jeder Schilling uns soviel wie einen Tropfen unseres Herzbluts bedeutet, da schärft sich der Verstand. Aber nein, nein, davon wollte ich nicht sprechen; ich möchte dir um alles in der Welt nicht wehe thun. Heute Abend sah ich dich so an, Marianne!«
»Ja, sprich davon,« flüsterte sie. Sie war ganz bleich geworden und starrte gerade vor sich hin. Wohl hatte sie ihm einmal erzählt, wie sie mit ihrem Vater gerungen, als dieser sie zur Verheiratung zwang; doch das eigentlich erklärende Wort, daß es nämlich gegolten, ihn vom drohenden Ruin zu retten, konnte und durfte sie nicht sprechen, – das lag in schmerzlichem Schweigen versiegelt. Nicht zum erstenmale geschah es, daß sie empfand, welche Opfer der Foßhof geheischt, und doch fiel es ihr in diesem Augenblicke wie in neuer, kaltdüsterer Färbung auf die Seele. Ihr Auge glitt zu Antonie hinüber, die sich darein gefunden, den alten Grüner zu nehmen. Sie schaute auf die Wände umher mit einem beinahe haßerfüllten Blick; sie erschienen ihr gleichsam mit kaltem Reif und Schweiß bedeckt.
»Sprich, sprich davon,« stammelte sie.
»Wir wollen davon sprechen, wie wir einander doch noch besitzen werden. Wir beide wollen leben, Marianne!«
Es flammte in wahnwitziger Vergessenheit einen Augenblick wie Hoffnung in ihr auf; er sagte es ja, also könne sie es glauben. Doch da häufte sich plötzlich dunkle Graberde darüber, Erde von Bastians Grab. Es durfte nicht geschehen!
Sie wendete sich lebhaft zu ihm; eine wilde Wollust ergriff sie, in ihrem Leiden zu wühlen.
»Wir wollen leben,« hatte er gesagt. Ihr Blick haftete mit dem Hunger der Entbehrung auf diesem feinen, männlichen Antlitz, mit dem aus der Stirne gestrichenen Haar und dem energischen, stempelscharfen Zug um Mund und Kinn. Sie sah die in ihm arbeitende Gemütsbewegung in den Tropfen auf dem bleichen Antlitz zittern. O, wenn sie nur mit der Hand darüber hinfahren, wie aus Versehen mit dem Taschentuch die Stirn berühren könnte!
Das Taschentuch glitt nieder, und wie er sich beugte, beugte auch sie sich, und er empfand die Wärme ihres Handgelenks und fühlte das feine Spitzentuch hastig über sein Antlitz streifen.
»Ich danke, Herr Wiese!« Sie hatte Hysing in der Nähe entdeckt.
»Marianne,« sagte er hastig und kühn, »antworte!«
»Weshalb ich nicht tanze, Herr Wiese?« kam es mit leisem, entschiedenem, bitterem Tone von ihren Lippen. »Sehen Sie denn nicht, daß ich schwarze Kleider mit schwarzem Steinkohlenschmuck trage? – Ich stehe außerhalb des Kreises der Fröhlichen, und so werden Sie es begreiflich finden, wenn ich lieber die ernste Unterhaltung des Herrn Kandidaten Hysing suche,« fügte sie hinzu, da sie diesen auf sich lossteuern sah.
»Arme Marianne! Sie haben dir schweres auferlegt, – allzuschweres!« flüsterte Wiese in tiefer Bewegung, indem er sich hastig hinwegwandte.
Er verschwand hinter den Reihen der zur Pyramidentour geordneten Tänzer, wobei Henrick, dem die Aufgabe, den Kotillon anzuführen, zugefallen war, abermals mit Glück einen Rest der Tanzerinnerungen aus seiner Jugend zum besten gab.
Auch den Major und den Zollinspektor sah man, alten, morschen, im Strome schlingernden Schüten gleich, vom Gewühl der sich aufrollenden Paare und im Kreise sich drehenden Reihen mit fortgerissen. Sie waren von den Kartentischen herbeigekommen, um zum Aufbruch zu mahnen; doch ließ sie die lockende Aussicht auf den Frühmokka noch länger verziehen.
Der Sägemüller schwang mit voller Vigueur bald diese, bald jene Tänzerin im Arme, sich dabei wesentlich nur um die eigene Axe drehend, und seine unermüdlich muntere Mina zerrte lachend den steifen Zollinspektor herum.
Die älteren Truppen mußten ins Feuer, und wahrhaftig zum drittenmal an diesem Abende sah der Major den Kandidaten Hysing dort bei der jungen Witwe sitzen.
Das Erscheinen des dampfenden Kaffees gab der jungen Welt das Signal, sich beim letzten Aufflackern der Lichter noch rasch in einen Tanz mit freier Wahl zu stürzen.
»Und jetzt noch einen Extrawalzer!« rief Johnny, in die Hände klatschend, der am Klaviere sitzenden Antonie zu. Er ging, ein wenig schwankend, in weinseligem Weihnachtstaumel umher.
»Nein, jetzt muß endlich Schluß sein!« rief der Zollinspektor und wendete sich mit solcher Entschiedenheit zur Thür, daß Lona, seiner Schwestertochter, nichts übrig blieb, als sich eilig zu verabschieden und ihm zu folgen.
Antonie fühlte sich am andern Morgen von dem Tanzabende nicht ganz befriedigt. Vor allem hatte sie Henrick so wenig empfänglich, so wenig Feuer zu fangen geneigt gefunden, und sie erinnerte sich doch recht wohl, wie er sonst in den Weihnachtstagen, als blutjunger Fant in die Mädchen verschossen zu sein pflegte, und außerdem nahm er so gar keine Rücksicht darauf, wem er sich gegenüber befand, ließ seiner Zunge über alles in der Umgegend so ungehörig die Zügel schießen.
Antonie hielt sich verpflichtet, ihm darüber ein wenig den Text zu lesen, während die anderen sich am Nachmittage nach dem Kaffee zu einer Siesta zurückgezogen hatten. Antonie schonte den Bruder nicht.
Er wäre, behauptete sie, auf bestem Wege gewesen, heftiges Ärgernis zu erregen. Die Leute liebten es nicht, sich fortwährend widersprochen zu sehen.
»Du benahmst dich gestern, fand ich, auch nichts weniger als taktvoll gegen den Prokurator Henschen. Ihm Vorschriften zu machen, daß er seinen Leuten höhere Löhne zahle, – das ist doch außer dem Spaß. Ich habe wohl vernommen, wie er brummend erwiderte, es gehöre wenig Witz dazu, mit seinem Gelde fertig zu werden; aber es hereinzubringen, das sei die Kunst, und dann dich hinzusetzen und die Damen damit zu unterhalten, was für eine mörderische Fratze du geschnitten hast, um dem Diebsgesindel im Proletarierviertel von San Francisco weiszumachen, du wärest noch mehr zu fürchten als sie selbst. So die Augen zu rollen und zu verdrehen! – Wahrhaftig, ich dächte, dein schwarzes Gesicht mit dem breiten Rüssel wäre ohnehin nicht gar zu verführerisch. – Aber gut! Wie gefällt dir eigentlich Mina Henschen? Nicht wahr, wie sie sich zu kleiden versteht? Sie sah reizend aus gestern.«
»Sie ist nicht ohne Anmut,« gab Henrick zu, »aber etwas dürr, – so recht eine Greisentochter, – vom zweiten Schnitt, wie man beim Heuen sagt.«
»Das sind so wieder deine beliebten Derbheiten, Henrick! Es ist nicht schwer zu erraten, woher dir diese kommen, es ist väterliches Erbe!«
Sie schaukelte sich einen Augenblick in gereizter Stimmung in ihrem Stuhle, dann aber gewann das Interesse an dem Gegenstande wieder die Oberhand.
»Vaters Liebling, Bertha Ellingsen, ging von Arm zu Arm gestern; sie segelte mit vollem Winde.«
»Zwei ganz gewichtige Damen, sie und die Schwester,« ergänzte Henrick gähnend.
»Und wie ausgezeichnet Bertha spielt!«
»Ja–a, ich habe sie aufrichtig bewundert. Sie saß da und bearbeitete den alten Flügel mit ihren dicken Armen, als knete sie Teig im Backtroge. Sie hat sich im Auslande prächtig vervollkommnet.«
»Ein Vorzug, dessen ja auch du dich rühmen kannst.« fuhr sie ärgerlich auf.
»Du hast so gar nichts vom Vater geerbt, du Arme,« bedauerte er mit frommer Miene.
Der Ernst des Lebens sollte mit rauher, störender Hand einen Augenblick hereingreifen in die fröhliche Weihnachtsfeier.
Johnny hatte nicht eher die Sache berühren wollen, als eben an diesem letzten Tage, da die Festtage zu Ende gingen, und alle den nächsten Morgen fort sollten. Von St. Thomas Tag bis zum 7. Januar sollten nur Friede und Freude herrschen.
Er erschien mit etwas gezwungener Munterkeit gleich am Morgen bei seinem Vater und legte diesem ein Schreiben vor. Die Hand war ein wenig kaltfeucht, die es hinhielt; es datierte vom 19. Dezember. Laut Inhalts gefiel es dem Londoner Hause, ohne daß es auch nur den Schatten eines Grundes angegeben, oder irgendwelche vorgängige Mahnung vorausgeschickt hätte, hinfort allen Blancokredit zu verringern, wofern die Herren Mads Foß, Biermann und Konsul Grüner ihre Garantie nicht auf eine um soundsoviel tausende erhöhte Summe ausdehnten.
»Es ist das ebenso unverschämt als albern, natürlich,« raisonnierte Johnny; »ich sehe jedoch nicht ab, was sich anderes dagegen thun läßt, als sich eben einfach darein zu finden. Es handelt sich ja schließlich weder um eine Auslage noch um einen Verlust, sondern bloß um dieselben Unterschriften unter einen etwas höher lautenden Betrag.«
Mads Foß saß über die Messingschüssel mit dem dampfenden Wasser gebeugt, eingeseift, in Hemdärmeln vor dem Spiegel und rasierte sich eben. Er machte mit der schiefen Miene eine ärgerliche Grimasse, als wollte er sagen, er hätte es wohl gedacht, daß etwas kommen würde.
»Ich fürchte sehr, du läßt dich zu tief ein, Johnny.«
Er blieb einen Augenblick mit zusammengekniffenem Munde, das weiß beschmierte Kinn gegen den Spiegel vorgestreckt, regungslos sitzen, und starrte grübelnd vor sich hin. »Es bleibt nichts übrig als einzuwilligen. Wer A gesagt, muß auch B sagen,« – brummte er. »Ich sehe aber voraus, daß du nicht so leichtes Spiel haben wirst – bei Grüner – es ist am besten, du gehst mit dem Papier zuerst zu Mina.«
Er trocknete den Seifenschaum vorsichtig vom Rasiermesser ab und legte es auf den Spiegel. »Bring' mir die Feder!« Gerade in diesem Jahre hätte er bedeutende Avancen genommen und unschätzbare Verbindungen angeknüpft, erklärte Johnny der Schwester, als er sie später ersuchte, Biermann das Papier zu zeigen und ihn zu veranlassen, seine Unterschrift unter die des Vaters zu setzen.
»Natürlich unterschreibt Biermann,« versicherte Mina, indem sie getrost mit dem Schriftstück zu ihrem Manne hineintrippelte.
»Du weißt, daß Johnny sicher ist, Biermann. Es ist ja nur eine Ehre, mit Vater und den anderen zu unterschreiben, bei dem Ansehen, das Johnny genießt!« …
Mina wußte eine Fülle von Überredungsgründen ins Feld zu führen. – Sie könnten, meinte sie, diese gemütlichen Weihnachten doch nicht mit einem Verdruß abschließen, namentlich diesmal, wo nach so langer Zeit Henrick das Fest wieder mitgefeiert habe! »Und wer weiß, Biermann,« fügte die Gattin elegisch hinzu, »wie oft wir an diesen Tagen noch so alle hier vereint sein werden – beinahe die ganze Familie. Vater wird alt.« –
Es war mit einer gewissen, auf alle Eventualitäten vorbereiteten Entschiedenheit, daß Antonie gegen Mittag mit dem doppelt unterzeichneten Papier ihre Schritte in das Gemach lenkte, wo sie Grüner, einen Wandschirm zwischen sich und dem Fenster, einquartiert.
Antonie hatte in den letzten Jahren mit gewohnter Kraft und Energie dafür Sorge getragen, daß er gegen die Gicht eine Kissinger- und eine Karlsbader- und eine Apfelsinenkur gebrauchte; nun sollte eine Luftkur mit Zubehör von Einpackungen und Frottierungen an die Reihe kommen; die liebe Frau hatte bereits die ganze Art des Verfahrens studiert.
Der Konsul durchlas das Papier und warf es sodann auf den Tisch.
»Unverschämt, wie sie Johnny behandeln, Grüner, sieh nur selbst!«
»Sehe es ja!« Er verzog höhnisch den Mund.
»Vater und Biermann haben sofort unterschrieben.«
»Wohl bekommt's!«
»Das ist Sache der ganzen Familie!«
»Familiensolidarität gegenüber von Schuldhaftungen! – habe von so etwas noch niemals gehört.«
Er schüttelte mit aller Bestimmtheit den Kopf.
»Wo sollte sie sich denn bekunden, Grüner,« entgegnete sie scharf, »als wo man ihrer bedarf? Liegt sie etwa allein darin, daß man sich gegenseitig schöne Worte und alberne Phrasen sagt?« –
»Ehe ich meine Unterschrift, gebe, muß ich mir klar darüber sein, inwieweit ich – der Familie zu Liebe, wie du sagst, Antonie, – mich zu Verlusten verstehen will und inwieweit nicht, und dasselbe, hoffe ich, werden Biermann und dein Vater wohl auch wissen.«
»Grüner!« Sie sah ihn an mit einer Miene, die ein heraufziehendes Ungewitter verkündete. »Ich will voraussetzen, dein Zögern ist nur so deine beliebte Geschäftsmanier.«
»Merke wohl auf, ich sage nicht, daß ich etwas verliere, auch nicht, daß ein anderer etwas verliert, – ich sage nur, ich weiß, wieviel ich vorkommendenfalls verloren geben will, und daraufhin erhieltest du auch damals meine Unterschrift, Antonie, – und zwar gegen mein Prinzip.«
»Höchst nobel. Du gehst davon aus, daß mein Bruder ein Schwindler ist, der nicht für sich einstehen kann.«
»Ich gehe davon aus, daß ich mit dieser Krücke mir nicht noch einmal ein Vermögen zu schaffen imstande bin.« Er deutete hitzig auf seinen Stock.
»So ist es wirklich deine Absicht, dich zu entziehen, Grüner?« – Sie nahm das Papier vom Tische auf, als bereite sie etwas Entscheidendes vor.
»Ich glaube, wir sollen jedenfalls möglichst bald abreisen, so wird es weniger peinlich für uns sein.«
»Du meinst, wir sollen uns beeilen, uns davonzuschleichen von meines Vaters Gaard wie nasse Pudel? Ja, – sag' es nur frei heraus! – – Aber siehst du, mein Lieber!« – es blitzte und wetterte in ihrem Antlitz, – »auf dieser Fahrt werden nicht so viele mit dir heimkehren, als dich hierher begleitet haben. Bei uns hier auf dem Foßhofe ist es nicht Brauch, sich den Verpflichtungen der Ehre zu entziehen.«
Er zuckte resigniert mit den Achseln. »Wir haben auch die Pflicht, für unsere Kinder zu sorgen!«
»Sage lieber für deine engherzige, kleinliche Person, – ja – die mich tyrannisiert, – mich zur Sklavin macht tagaus, tagein.« Sie beugte sich, groß und stark wie sie war, mit flammendem Antlitz über ihn.
»Will nicht, – will nicht!« rief er mit krankhafter Reizbarkeit. »Ich mag nicht!« Er machte einige heftige Drehungen mit der Hand, als wollte er den Geldschrank fest und sicher mit dem Schlüssel versperren.
»Nein, nein, Grüner!« sie legte das Papier wieder vor ihn auf den Tisch, – »hier, das ist deine Schuldigkeit.«
»Ja, ja, meine Schuldigkeit,« kreischte er, die Zähne zusammenpressend.
»Aber ich weiß auch, was mir zu thun zukommt, Grüner! Ich werde sehen, wozu du dich entschlossen hast, wenn ich vor Tische wieder heraufkomme. – – Denn, – hast du mich einst gekauft,« sprach sie dann kalt und langsam, »so weiß ich auch, wofür ich mich verkaufte, ich habe das meine in vollem Maße gethan … Ich werde dir deine Hafersuppe heraufschicken.« Sie verließ, einen harten Zug im Antlitz, das Zimmer.
Unten wurde nichts erwähnt. Grüner mußte immer etwas Zeit zum Überlegen haben. Aber man ahnte, daß etwas vorgehe, und es herrschte eine schwüle Atmosphäre; wenn Antonie, wie eben jetzt, finsterblickend umherging, meinte man, Mads Foß selber vor sich zu sehen.
Es war nicht früher, als bis man sich bereits zu Tische gesetzt, daß sie mit dem unterschriebenen Papier von oben wieder herabkam.
»Laß nur gut sein, werdet schon sehen, – werdet schon sehen! – Hab' ich's nicht gesagt? – Was man mit hineingelegt ins Grab mit dem goldenen Gitter rundum – he, he, – das kommt jetzt zutage – es kommt zutage! – Habt ihr nie von Dieben gehört, ihr naiven Seelen, die, wenn sie Papiergeld stehlen, es solange versteckt halten, bis die Nummern vergessen sind, – – ja wohl, vergessen sind. Dann holen sie es hervor und – he, he, – machen den Versuch, es auszugeben, als – ehrlich verdientes …«
Der Zollinspektor zwinkerte mit den Augen und zog die eine Seite des etwas schiefen Gesichts in die Höhe, während er seinen Zuhörern seine Vermutungen auseinandersetzte und allen Scharfsinn aufbot, um einige weit auseinanderliegende Umstände in Zusammenhang zu bringen.
Er hatte sich's mit aller Hartnäckigkeit in den Kopf gesetzt, hinter dieser Bastianischen Selbstmordgeschichte stecke etwas, ob es auch den Leuten zehnmal beliebte, ihn deshalb ein giftiges Lästermaul zu nennen, und er war's vom Zollamt her gewohnt, den Sachen auf den Grund zu kommen.
»Herr Ferdinand Wiese taucht so allmählich auf. Er ist beim Lord und bei Grüner gewesen, – setzt sich hier fest, um so zu sagen Wasser für die Meeresbucht zu holen, – macht Geschäfte – he, he – mit Biermann und – ha! – – Gott behüte, es wird doch jedermann frei stehen, nach Belieben Geschäfte zu machen, – besonders wenn man dabei so wunderbar vorsichtig verfährt, wie Herr Wiese.« Er zog die Brauen zusammen, als durchdringe er mit seinem Blick das ganze Getriebe.
»Dann kommt man auch ab und zu auf den Foßhof, natürlich, – man will Schiffsmaterial vom Gebirge oben haben, he he! – – Werden sehen, ob man zum Schlusse nicht noch ganz sachte dazu kommt, auf Bastians Grab zu tanzen, – he, he. – – Das Gitter, das Gitter – es sollte nicht so durchbrochen sein. – –
»Mögen sie mich immerhin einen giftigen Kläffer nennen, Ihr werdet schon sehen, mein Lieber, werdet schon sehen, ob nicht die Spürnase eines solchen Zollinspektors gewittert hat, was so heimlich beim Nachbar im Topf bratet, – he, he!«
Er stieß den Stock in den Kies, und seine knöcherne Gestalt im Uniformsrock lehnte sich vornüber.
Frau Biermann, der die intimen Freundinnen dies Gerede natürlich nicht zu hinterbringen unterließen, geriet in hellen Zorn und beeilte sich, ihrem Vater mitzuteilen, welche Lästerungen sich der Zollinspektor erlaube. Der gute Freund hätte doch über sie vom Fossegaard immer ein Paar Liebenswürdigkeiten zur Hand.
»Gewäsche und Getratsche, Mina!« antwortete Mads Foß barsch. »Schweig, – laß nicht gleich dein Mühlwerk klappern. Weißt du denn nicht, daß der Kaffee um so trüber wird, je mehr du den Satz aufrührst? Sag' nur Marianne nichts; es könnte ihr wehe thun. Und Ihr braucht Euch mit dem Wiese gerade nicht viel einzulassen.«
»Nein, weder mit ihm noch mit diesem Zollinspektor,« eiferte Mina.
»Ach, ja wohl! dieser Zollinspektor! – Laß dir nur nichts merken, als wüßten wir von seinem Gerede, – Aber du, Mina,« kam er später nochmals darauf zurück, – »du könntest doch Marianne so unter der Hand eine leise Andeutung machen; – am besten, sie ist vorsichtig.«
Nicht diese Seite der Sache war es, über die Mads Foß sich eben viele Gedanken machte. Er brummte: »Gekränkte Weibergefühle und dergleichen – bah!« – Aber sein Entschluß stand jetzt fest. Er wollte mit Wiese nicht in Geschäftsverbindung treten, um was es sich auch immer handeln möge. »Nein, danke schön, – dem schieben wir einen Riegel vor. Das Borgsche Haus ist beinahe noch gänzlich unbelastet. Marianne kann gelegentlich auch einmal mit einem Darlehn aushelfen, wenn es bei Johnny nicht klappt. Warum soll denn gerade ich immer derjenige sein, der herhalten muß?«
Mina war gerade für den ganzen Tag mit Schalen und Schüsseln auf den Gutshof herübergekommen, um Stachel- und Johannisbeeren zum Einsieden nach Hause zu nehmen, und sie benutzte sofort unten im Garten die Gelegenheit, Marianne gegenüber die Sache – nur so ganz obenhin – zu berühren. »Ich und Hysing?« Marianne schlug die Augen zu ihr auf, als wäre dies ihr erster Gedanke und ließ, sich ruhig umwendend, eine Handvoll Stachelbeeren, die sie eben gepflückt, in die Schüssel gleiten. – – »Ach! – Wiese!«
Marianne stand in dem Gange zwischen den Hecken, der Schwester schräg gegenüber, und ihre Hand griff ebenso unausgesetzt und gleichmütig in die stacheligen Büsche als vorher. Sie sah unter dem feinen, breiten Strohhute etwas mager und angegriffen aus. Ein Zug von Schwermut hatte sich in das brünette, schmale Antlitz gegraben, und das etwas lange Kinn schien manchmal ein wenig scharf vorzufallen.
Es war ihr im Nu klar gewesen, worauf die Schwester hinauswolle, und ein Gefühl, wie von plötzlicher Gefahr, hatte im Moment ihr das Herz zusammengeschnürt.
Und Mina plauderte und scherzte.
Marianne hatte damals, als sie Wiese so entschieden zurückgewiesen, eine Art innerer Ruhe zu gewinnen erhofft, – eine solche zum mindesten, wie wenn über das, was welk ist oder doch sein soll, sich eine Eisdecke breitet.
Sie hatte so geglaubt.
Aber gerade der Gedanke, daß sie alle Hoffnung unwiederbringlich vernichtet hatte, erfüllte sie hinterher gegen alle Vernunft, gegen alles Gewissen, mit einer nagenden Reue, einer tiefen Bitterkeit, die sich durch nichts beschwichtigen lassen wollte; den ganzen langen, düstern Winter hatte sie so gelitten und gerungen.
Zu Beginn des Frühjahrs erfuhr sie, daß Wiese sich eines Geschäftes wegen bei Biermanns aufgehalten und unten in der Küstenstadt bei Johnny gewohnt habe. Sie gab sich keine klare Rechenschaft darüber, suchte jedem Nachdenken aus dem Wege zu gehen, wußte, wovor sie ja doch wieder Halt machen würde. Aber sie konnte dennoch nicht lassen, eine Freudigkeit bei dem heimlichen Bewußtsein zu empfinden, daß er noch immer Hoffnung hege.
Später wieder war er bei Grüners zu Besuch gewesen und ein paar Mal in Geschäftsangelegenheiten abermals bis herauf zu Biermanns gekommen. Und die Unterhandlungen mit ihrem Vater hatte er, – sie erkannte seine Absicht, – die ganze Zeit leise zu unterhalten gesucht. Sie verfolgte sein zähes Vorwärtsstreben … die stille, langsame Belagerung, die wohlbedachte, nichts überhastende, welche volle Zeit zum Vergessen ließ, auch ihr! – Und in williger Selbsttäuschung begann sie eine Art unklarer, schimmernder, phantastischer Hoffnung zu nähren.
Er wurde jetzt im Sommer wieder bei Biermanns erwartet; möglich, daß er noch diesen Monat kam.
Dem nachzuhängen, war in letzterer Zeit in der Stille ihre Beschäftigung gewesen. Vielleicht, daß der Zufall sie einander doch begegnen, einen flüchtigen Blick austauschen lassen würde. Sie wußte … sie war dessen sicher … nach dem Foßhofe kam er nicht – noch nicht.
Und nun stürzte bei den Stachelbeerhecken dort, unter Minas arglosem Geplauder, das ganze Gebäude übereinander. Sie war also im Munde der Leute! Es krampfte sich ihr das Herz zusammen – man beschäftigte sich mit ihm und ihr, überwachte sie, spürte jedem ihrer Schritte nach, ahnte, daß es sich hier um etwas wie ein Sakrileg handeln könnte!
Sie übersah mit einemmale den ganzen Umfang ihrer Selbstverblendung, sich mit dem Gedanken einlullen zu wollen, es sei möglich, darüber hinwegzukommen. –
Vom Garteneingange her erschallten soeben Stimmen. Henrick und Hysing kamen. Des letzteren langbeinige, schlenkernde Gestalt, mit dem etwas schäbigen, schwarzen Frack und dem verbogenen Hute, in der sich die souveräne Verachtung alles Äußerlichen kundgab, steuerte geradenwegs auf die Stelle los, wo die Strohhüte der Damen sichtbar wurden.
Ein kurzer Sommerspaziergang, begann der Kandidat, habe ihn vom Pfarrhofe herübergeführt.
Das intelligente, bleiche, selbstbewußt lächelnde Antlitz tauchte neben dem Strauche, an dem Frau Biermann Posto gefaßt, auf.
Wie immer waren es wohlerwogene Gründe, die ihn leiteten, und wenn er heute das Gespräch mit der lebhaften, leicht zugänglichen Frau Biermann eröffnete, geschah es bloß, weil er mit gutem Vorbedacht sein Geschütz nur auf Umwegen nähern wollte; das Ziel war Frau Borg, die in der letzten Zeit sich weit weniger entgegenkommend gezeigt, als der so warme Beginn der Bekanntschaft verheißen hatte. Er sah sich nun zu dem Punkte gedrängt, es lieber sozusagen mit einem Flankenangriff zu versuchen, ihr Interesse durch diese oder jene plötzliche Bemerkung wie durch Überrumpelung gefangen zu nehmen.
Er stand, die Pfeife im Munde, als der feine, durchdringende Beobachter da.
»Man kann beinahe,« fuhr er in seinem Gespräch fort, »den Charakter einer Dame aus der Art und Weise erkennen, wie sie Stachelbeeren pflückt, … fallen Ihnen so glücklich leicht in die Hand, Frau Biermann; und ein paar unreife Beeren, etwas Abfall, der sich darunter mischt, hat nichts zu sagen. Sie gleichen, gnädige Frau, jetzt ganz und gar einem Vogel im Busch; Sie sind mit Leib und Seele dabei; Sie möchten wohl auch auf einem Zweige sitzen und sich wiegen und zwitschern.«
Er blies nach dieser geistreichen Bemerkung langsam, mit überlegener Miene einen Rauchstrahl über die Hecke gerade in die Luft, die vordere Kehlkopfpartie dabei entblößend, daß sie dem Kropfe eines Geiers glich, und schielte hastig nach Marianne hin.
»Wieder andere pflücken in einer Weise, die ich ›zum Verzweifeln akkurat‹ nennen möchte; nicht eine unreife Beere fällt in die Schüssel; das greift so sicher, wie die Nachtwandlerin an der Dachrinne einherschreitet. – – Das sind die Frauen, die mit den Augen und Mienen das eine und mit den Lippen etwas anderes sagen. Nur die Natursprache läßt die richtige Deutung, auf die man sich verlassen kann, zu, – und Frauen dieser Art weilen mit ihren Gedanken nicht im Busch, Frau Biermann.«
Er sandte Frau Borg einen festen, forschenden Blick zu. Sie war ihm ein interessantes, ihn stets beschäftigendes Rätsel, ein so interessantes, daß er sich nahe daran fühlte, sich in demselben zu verstricken. Wie diese wunderbaren Augen mit ihrer geheimnisvollen Tiefe ihm doch vom ersten Augenblicke an zu raten gegeben!
Und heute empfing er zu seiner Überraschung den ihn nicht wenig befriedigenden Eindruck, daß Frau Borg, nach einer geistreicheren Unterhaltung als der über Stachelbeermus und was sonst Frau Biermann aus den Leiden und Freuden in der Sägemühle zu berichten wußte, geschmachtet habe.
Sie bot den Teller, den sie soeben selbst mit Beeren vollgepflückt, Herrn Hysing an, der auch heute nichts weniger als blind gegen die Reize der schlanken, feinen, ausdrucksvollen Gestalt jenseits der Hecke war.
»Bitte,« sagte sie, »vertreiben Sie mir doch ein wenig die Mücken mit dem Rauche Ihrer Pfeife.«
»Die Damen beschützen, wie ich sehe, ihre Hände mit Halbhandschuhen,« fing der Kandidat mit Kathederwürde wieder an und dirigierte seine Tabakswölkchen gegen die Stirn der schönen Frau; »die Römerinnen der Kaiserzeit entwickelten ein wahres Raffinement in diesen Dingen, besaßen hunderte von Schönheitsmitteln zur Pflege der Haut, sie wuschen sich in Eselsmilch – –«
Er vertiefte sich in eine wissenschaftliche Untersuchung, ob der Palast, in welchem Messalina ermordet worden, auf der Nord- oder der Südseite von Ostia gelegen gewesen, und sein Antlitz leuchtete von römisch-geschichtlicher Begeisterung. Seine Auseinandersetzung gedieh zu einem förmlichen Kolleg, und er hatte das Gefühl, daß er mitten in einem wahren Stimmungsmoment abbreche, als er Abschied nehmen mußte, um zur Nachmittagsstunde im Griechischen rechtzeitig zu Hause zu sein.
Frau Borg rief dem Davoneilenden nach, nächster Tage, am Mittwoch vielleicht, würde hier große Haselnußernte abgehalten werden; sie wisse, daß er daran Geschmack finde und sei er freundlichst eingeladen.
Marianne starrte der etwas eckigen Frackgestalt im hohen Hute nach, wie sie, die Pfeife mit dem fettigen Schlauche in der Hand schwingend, dahinwandelte; es lag etwas wie Siegesstolz in seiner Haltung. Ein ängstliches Gefühl überkam die junge Witwe, daß er am Ende sich ernstlichen Hoffnungen hingeben könnte. Es mußte Einhalt gethan, ein Gegengewicht geboten werden.
»Aber liebe, gute Marianne,« machte sich nun Frau Biermann Luft, »bist du wirklich imstande, allen diesen Spitzfindigkeiten zu folgen? Er möchte einem ja förmlich die Seele aus dem Leibe studieren, und mir ist immer, wenn er da ist, als hätte ich nicht genug Kleider auf mir!«
Dort unten zwischen den Hagebutten an der Mauer des Lusthäuschens steckte der Karauschenhamen.
»Muß doch sehen, eine heraufzuholen,« murmelte Henrick.
Allerlei Gedanken beschäftigten ihn. Er hat um beinahe ein ganzes Jahr hier vertrödelt und geschlemmt, ohne je zu etwas Rechtem zu kommen. So kann er noch Jahr um Jahr hier schlaraffen, und sich auch nicht um einen einzigen Schritt vorwärts gebracht sehen. Man wird ordentlich dumm im Kopf, wie in einer ewig sausenden Mühle.
Er begann kleine Verletzungen am Netze des Hamens auszubessern und begleitete seine Thätigkeit mit allerlei Grimassen, die übrigens nicht in direkter Verbindung mit den Beweisen seiner Handfertigkeit standen.
»Da sitzt Bertha Ellingsen dort oben und möchte für ihr Leben gern auf den Foßhof,« hatte der Alte gesagt. Diese Worte waren nicht mißzuverstehen; der Herr Sohn sollte hin und freien.
Diesen Morgen war es gewesen, da er dem Vater wieder einmal erklärt, etwas müsse er nun beginnen, sei es hier auf dem Foßhofe oder anderswo. Es ließe sich nur eins von den beiden Projekten unternehmen, – entweder das Austrocknen des Sumpfes, um auf diese Weise dem Gut ganzjährigen Wasserzulauf zu schaffen, oder unten in der Solumswiek den Wasserfall anzukaufen.
»Der Meinung bin ich auch … ganz und gar,« hatte der Alte erwidert, »bin vollkommen einverstanden, Henrick.« – Der Papa war geradezu gemütlich aufgelegt gewesen, ging im Comptoir, seine Pfeife schmauchend, auf und ab und schmunzelte behaglich. »Ich verstehe nur nicht, warum du dich nicht mehr beeilst. Ellingsens Bertha ist ja rein vernarrt in dich.«
Platsch! Der Hamen klatschte zwischen den Wasserpflanzen.
»Solch ein Prachtmädchen; du, so gemütlich und fein! – Das Prächtige ist natürlich der Geldsack, denn sonst –«
Henrick zog das Netz ein und sah, ob etwas gefangen war. Dann klopfte er es ins Wasser aus, – nichts als Schlamm gab es.
»Verliebt … verliebt! – Wäre darein verliebt, etwas Tüchtiges zu schaffen, wohl! – U–uf!« Er hob abermals das Fanggarn, das von ablaufendem Sumpfwasser schwer war.
»Na! etwas kommt doch immer zu Tage, wenn man nur tief genug in den Schlamm fährt, – eine alte Schuhsohle – und eins – zwei kleine Molche, possierlich klein! – Ach,« – sagte er, ärgerlich lachend, laut, indem er die Stange in die Erde stieß, um das Netz zu reinigen, »stehe ich da und grüble übers Verliebtsein, statt zu fischen! – Nochmals hinein damit!«
Der Hamen stieß auf einen Wurzelsprossen im Wasser auf.
»Verliebt?« Er zog den Hamen vorsichtig ans Land. »Wenn man einmal in meinem Alter ist, fängt man freilich nicht mehr so leicht Feuer; aber heiraten, heißt es, soll man doch …«
Er senkte den Hamen tief hinab und zog ihn dann in die Höhe. »U – hup!« – Diesmal zappelte es im Netze. »Ein ganz gehöriger Kerl!«
Henrick hielt den schweren, runden, gelbbauchigen Fisch empor und betrachtete ihn. Die unbeweglichen Augen schauten ihn mit so ruhigem, so klug sinnendem Blicke an, während die Kiemen vorsichtig sparsam atmeten, als würde das Tier vollkommen die Gefahr und alle die Umstände erkennen und sich weiter keinen trügerischen Hoffnungen hingeben … Es lag etwas Forschendes in dem Blick.
»Du bist einig mit dem Alten, das sehe ich an deiner ganzen, klugbedächtigen Physiognomie,« plauderte Henrick in seinem Selbstgespräche weiter. »Ich glaube übrigens nicht, daß du es mit dem Verlieben und dergleichen gar so genau nimmst. – Ei nun,« er warf den Fisch in den Kübel, – »es mag ja so übel nicht sein, sich mit einem hübschen, jungen Mädchen zu verheiraten.«
Er legte den Hamen wieder aus; aber ein Fang gelang nicht mehr.
Als er mit dem großen Bratfisch für den Abend in die Küche kam, lachte Jungfer Holst, und man sah ihre weißen Zähne. Sie lachte immer, wenn sie Henrick begegnete; weshalb sie das that, konnte man eigentlich nicht recht verstehen; aber er kam ihr gar so spaßhaft vor.
Er setzte sich jetzt auf die Kuchenbank neben seinen Fisch.
»Uf, wie müde! – Was hielten Sie davon, Kirsten, wenn ich heiratete?«
»Nun, für Sie ist es an der Zeit.«
»Das meint der Alte auch.«
Sie lachte hell auf darüber, mit welch trübseliger Miene er die paar Worte sprach.
»Ja,« fuhr er fort, »aber erst sollte man doch ein wenig, was man so nennt, verliebt sein.«
»Ach, das macht sich im Handumdrehen, denke ich.«
»Wer weiß! Ich will das ganze Feuerloch mit seinen glühenden Kohlen ausessen, wenn ich um ein Haar mehr verliebt bin, als dieser Fisch da. Das stimmt nicht gerade sehr lustig. – Sagen Sie, Kirsten, Sie sind doch ein gescheites Mädel, – wenn ich so vor Sie hinträte und Ihnen sagte, ich bin verliebt, und Ihnen damit Ihr Ja abschwatzte, möchten Sie als Frauenzimmer, das nicht als eine Betrügerei ansehen? Denn hinterher zu charmieren und jahraus jahrein verliebte Katzenbuckel zu machen, das ist meine Sache nicht. – Na, was meinen Sie?«
»O, wenn Sie nur überhaupt als rechtschaffener Mann freien! Wo findet denn ein Mädchen so leicht jemanden, dem sie bis auf den Grund des Herzens schauen kann?«
»Und Sie glauben, es genüge schon, wenn man nur rechtschaffen ist?«
»Ja! Sie haben dann jedenfalls die Frau nicht betrogen, – und wenn sie ihrerseits Sie nicht betrügt –«
»Brav und gut gegen einander sein, wollen Sie sagen? Aber das war's doch nicht allein, was man sich vor der Hochzeit gegenseitig versprach, – so etwas von entzückt und berauscht sein u. s. w.«
»Das ist gar nicht Mode bei den Familien, die mir hier herum bekannt sind,« versetzte Kirsten und trat achselzuckend zum Herde.
»Beiläufig, – ein Prachtkerl, diese alte Karausche, nicht Kirsten? … 's ist doch ganz merkwürdig, wie Marianne den alten Borg noch immer so betrauern kann. Zu meiner Zeit hatte sie die ganze Manneswelt in ihrem Garne, die Alten wie die Jungen, und trieb nur so ihr Spiel mit ihnen, um dann schließlich die alte Seekrabbe ans Land zu ziehen. Da zeigt sich doch deutlich, daß nicht gerade Liebe von nöten ist.«
Er hielt die Hände ineinander gefaltet und baumelte mit den Beinen unter der Küchenbank, als sei er ganz und gar in seine Grübeleien vertieft.
»Wie schön gelb und rund er ist,« – er kam von neuem auf den Fisch zurück, »der braucht gewiß nicht viel Butter.«
»Ei, freilich nicht, solch einer muß sich darein finden, in seinem eigenen Fett zu schmoren,« antwortete sie hitzig, indem sie den Kopf in den Nacken warf.
Man hatte die Absicht gehabt, Hilda in dieselbe Pension nach Lübeck zu bringen, in welcher Bertha Ellingsen ihre Ausbildung genossen hatte. Aber die Sache wurde über den Herbst und den ganzen Winter verschoben. Und nun, als das Frühjahr gekommen war, meinte Mads Foß, das Kind solle sich einstweilen noch damit begnügen, einmal die Woche zu Bertha Ellingsen zu fahren und vierhändig mit ihr zu spielen. Jetzt fortzureisen, wo der Sommer vor der Thür stehe, wäre der bare Unsinn.
Die Schwester mochte so gerne ein wenig hinaus, behauptete Marianne. Und sie hatte damit auch ganz recht. Wie sehnlich aber Hilda es wünschte, ahnte sie dabei nicht einmal; denn die Kleine war ziemlich verschlossenen Wesens.
In den ersten Jahren nach dem Tode der Mutter war sie allein daheimgeblieben, gerade in jenem jugendlichen Entwicklungsalter, das allen Eindrücken am zugänglichsten ist, und sie hatte manches gesehen und erlebt, wovon die Geschwister nichts erfuhren. Wie oft des Abends hatten die lustigen, lärmenden Gelage mit ihrem wüsten Treiben das arme Kind geängstigt, daß es zitternd bis auf die oberste Bodentreppe flüchtete, und am Tage wieder, während sich der Vater mit seiner erbitterten, finstern Gemütsstimmung in sein Zimmer verschloß, wie schlich sie, mit Bangigkeit lauschend, umher und unterdrückte mühsam das hervordringende Schluchzen über das schreckliche Alleinsein.
Sein Aussehen – ob er wohl wieder stark getrunken, ob er nüchtern oder nicht – war der stete Gegenstand ihres instinktiven Forschens und Prüfens, so oft sie in ihrer schattenartigen Weise durch die Thüre aus- und einglitt, mit dem drückenden Bewußtsein belastet, immer etwas verheimlichen, etwas verdecken zu sollen, – selbst den Geschwistern gegenüber.
Und es war nun auch ihrer unruhevollen Aufmerksamkeit nicht entgangen, daß der alte böse Hang zur Völlerei in diesem Frühjahr seinen Einfluß wieder über den Vater geltend gemacht. Er ließ sich nur noch selten unten in der Stube sehen. Er saß meistens allein auf dem Comptoir.
Es fiel dem jungen Mädchen auf, daß er an den Vormittagen ruhelos und finster brütend auf dem Hof umherwanderte und, wie es schien, ängstlich der Ankunft der Post entgegenharrte. Es mußten schwere Zeiten für ihn sein.
Er zeigte sich schroff und mürrisch. Nur erst kürzlich hatte er Hilda bei ihrer und der Schwester Heimkunft von Biermanns, draußen in der Küche in zornigem Tone bedeutet, sie dürften sich wohl etwas Zurückhaltung auferlegen in dem ewigen Umherkutschieren und könnten selbst daran denken, daß man jetzt beim Frühjahrspflügen die Pferde in der Wirtschaft nötig habe. »Es scheint rein,« schloß er grollend, »als wenn ihr, du und die Borg, euch einbildet, alles mache sich nur so von selbst!« Marianne gegenüber that er allerdings nichts dergleichen.
Hilda fühlte, daß etwas vorgehe. Wohl irgend eine Verdrießlichkeit im Geschäfte, welche ihn in Aufregung versetzte.
Die Flaschen und Karaffen im Schranke füllten und leerten sich gar zu schnell.
Eines Nachmittags kam ein Rechtsanwalt aus der Hauptstadt auf den Foßhof gefahren. Mads Foß' ansehnliche Gestalt mit dem Silberhaar erschien sofort in der Flurthüre. Er nötigte den Gast in eigener Person in die Stube. Aus des alten Foß gereizter Miene, mit der er alsbald draußen in der Küche in barschem Tone befahl, alles zum Abendbrot aufzutischen, was sich nur irgend in der Eile auf dem Hofe auftreiben ließe, schloß Jungfer Holst, daß der Besuch nicht eben ein erwünschter sei.
Frau Marianne Borg und Hilda machten nachher auf die zuvorkommendste und liebenswürdigste Weise die Wirtinnen bei der wohlbesetzten Tafel und hatten den Takt, als die Herren von Geschäften zu sprechen begannen, sich zu erheben und zurückzuziehen. Es war noch nicht zu spät, zu Ellingsens hinüber zu fahren, wo Hilda ihre Stunde nehmen sollte. Der Alte erinnerte daran und meinte in väterlicher Fürsorge: »Ihr könnt die beiden Grauschimmel vorspannen lassen und bittet Henrick, daß er euch fährt, damit er euch mit seiner Plauderei den Weg verkürzt.«
Der Rechtsanwalt, Sachwalter der Bank, hatte sich der groß angelegten, ruhig vornehmen Gastlichkeit des Foßhofes nicht entziehen können, und er kam sich mit seinem Auftrage wie eine Kugel vor, die durch eine Wand von weichen Matratzen hindurch sollte. Der schmächtige, förmliche Mann, der mit ängstlicher Reserve die ganze Zeit in den Überkleidern dasaß, aß eigentlich mehr aus Höflichkeit, als mit jenem Appetit, wie er sich hätte nach einer längeren Fahrt erwarten lassen.
Der Ausdruck des urbanen, bedächtigen Antlitzes war etwas gemessen und verriet die peinliche Zurückhaltung, zu welcher die Rücksicht auf die Situation den Gast nötigte, indem er fortwährend Bedacht nehmen mußte, den Höflichkeitsaustausch keine reellen Folgen für die später zu behandelnden Geschäfte nach sich ziehen zu lassen.
Es handelte sich nämlich um die Fristung, daß die Bürgschaften, welche zur Sicherstellung für Johnnys laufenden Kredit der Bank geboten waren, dieser nicht mehr genügten.
»Die Subhastation muß über Bjölstad verhängt werden,« begann der Sachwalter endlich. »Sie ist unabweislich, Herr Foß! Sie wissen, die Statuten der Bank – Sie begreifen – –«
»Natürlich,« unterbrach der alte Foß, »dar sieht der Bank ähnlich; man ist daran gewöhnt, daß sie in dieser Weise vorgeht. Alle Welt weiß ja, daß die Bank ihre Kunden, wenn die Zeiten schwierig werden, drängt, anstatt sie zu unterstützen. Es wäre ja schade, wenn sie diesen vorteilhaften Ruf nicht bei jeder Gelegenheit bestätigen wollte. – – Noch ein Stückchen von dem Schneehuhn, Herr Rechtsanwalt? – Nein?«
Mads Foß' Mienen trugen mit Absichtlichkeit eine gewisse hochmütige Gleichgültigkeit zur Schau. Er arbeitete mit dem goldenen Zahnstocher in seinen langen Zähnen, was bei ihm immer so ein eigenes Zeichen war, und die Art, wie er zurückgelehnt dasaß und vornehm lächelte, machte die Haltung doppelt stolz und abweisend.
»Weitere Bürgschaft wünschen Sie! Ja so! Größere Bürgschaft! Mein Schwiegersohn Biermann weiß nur zu wohl, welchen Wert Bjölstad hat. Er unterschreibt mit verbundenen Augen, und wollen Sie auch noch Konsul Grüners Bürgschaft haben, so bin ich bereit, mich an ihn zu wenden.«
Der Anwalt senkte in vielsagender Weise den Kopf zum Teller herab.
»Sehr fein, sehr fein, diese Herren, gewiß! Aber sie haben sich bereits sehr – für den Herrn Großhändler – engagiert, – allzu umfangreiche Geschäfte, Herr Foß! – Die Bank muß gegenwärtig – neue Namen verlangen,« fügte er etwas scharf hinzu.
»Ach so! Also auf diese Art!« Etwas Feuchtes, Starres teilte sich nach dem letzten Cognak Mads Foß' Blick mit, und ein leichter Nebel schien sich in diesem Augenblick den Gedanken vorübergehend in den Weg zu legen. Die Zunge wurde schwer.
Der Sachwalter lächelte frei und bemerkte kühl: »Und auch vermag ja die Direktion nie recht zu wissen, welchen Wert ein Stück Grund und Boden auf dem Lande, das keinen Waldbestand mehr hat, eigentlich besitzt.«
»Recht so! Redet euch mir immer ein, daß alle Bäume fortgeblasen sind, und daß das übrige keinen Wert hat, daß wir allesamt wieder auf kahlem Heideland und auf dürrem Sandboden sitzen. – Und mein ganzes Mühlengut, wenn ich fragen darf?«
»Ja, falls Sie sich darauf eine annehmbare Hypothek schaffen könnten,« lautete es in eigentümlich gedehntem Tone, der Mads Foß die völlige Hoffnungslosigkeit der Lage vor Augen treten ließ.
Er begann wieder mit etwas zitternder Hand mit dem goldenen Zahnstocher in den Mundwinkeln zu arbeiten.
»Die Ordre der Bank ist klar und unabweislich.«
Der Alte wechselte die Farbe. Unter der Flut von grauem Haar schaute trotz des verrohten Ausdrucks ein prächtiges, wenngleich etwas faltiges und in Selbstzufriedenheit verhärtetes Antlitz hervor. Er erhob sich, daß der Sessel, heftig scharrend, zurückflog.
»Sehen Sie, Mads Foß dazu treiben zu wollen, daß er im Bezirk umherscherwenzelt, um Bürgen zu werben, das geht nun einmal nicht an – selbst um der Bank willen nicht, – so lange er nur immer Mann genug ist, für sich selber gut zu stehen. Und sogar für einen größeren Betrag, als die vierzehn bis fünfzehntausend Thaler wird sich wohl noch bei mir zu Hause Rat finden, denke ich. Zum Beispiel eine erste Hypothek auf Borgs Besitzung.«
»Auf Bastian Borgs – auf Ihrer Tochter Grundstück?«
»Meine Tochter, das ist so viel wie ich!« erwiderte er abweisend; – »so sind wir gewohnt, es hier auf dem Foßhof zu halten.«
Die Gedanken des Bankfachwalters hatten offenbar Mühe, diesem ihm neuen Satz aus dem Familienrechte das richtige Verständnis entgegenzubringen. Indessen beruhigte er sich vollkommen darüber, als Mads Foß geschäftsmäßig fortfuhr: »Die Obligation wird bereits unterschrieben vorliegen, wenn Sie übermorgen auf der Rückfahrt in der Kanzlei des Hardesvogts vorsprechen wollen.«
Mads Foß stand am Fenster und sah dem Wagen des Rechtsanwalts nach, der eben vom Mühlenhofe fuhr. Er strich sich einige Male durch das Haar; die Ohren schienen ihm zu brennen, sei es von dem genossenen Alkohol oder von dem eben Erlebten.
Der Inhalt in der Cognakflasche sank im Verlaufe des Abends bis auf den Nullpunkt, und als Marianne und Hilda heimkamen, war der Alte zu Bett gegangen.
Den andern Morgen um die Frühstückszeit ging er unten in der Stube ruhelos auf ein und demselben Dielenbrette auf und ab. Es lag etwas Hastiges in seinem Gang, und die Finger trommelten ungeduldig auf der Weste. Er blieb beim Schenktische stehen, nahm ein Glas Schnaps und begann dann wieder seine Wanderung. Ein paar Mal stieß er die Thüre des Nebenzimmers auf.
»Merkwürdig, wie lange Marianne heute Morgen da oben herumzieht!«
Er sah ungeduldig zum Fenster hinaus.
Auf dem Hofe stand Henrick mit bis über die Schäfte beschmutzten Stiefeln und drehte und wendete, während er die Pferde vorspannen ließ, an einer Egge, mit der die Leute aufs Feld sollten.
»Henrick!« rief der Alte, klopfte heftig an die Scheibe und riß dann das Fenster auf.
»Henrick! – Henrick!« – Das Fenster klirrte wieder zu.
Der Sohn erschien im Zimmer.
»Was thust du da draußen?«
»O, sie sind rein verrückt; – sie spannen die jungen, mutigen Braunen vor die Egge. Ich habe befohlen, sie sollen ein Gespann von den Mühlpferden nehmen. Andreas mag dagegen reden, so viel er will.«
»Ei wohl, – so! – – Nun ja,« erwiderte der Alte mit einigem Hohn, »der Andreas denkt eben an die Hauptsache, an die Mühle, und will, daß man die Säcke über den Berg bringt.«
»Möchte wissen, wieviele Pferde dieser Berg dem Hofe schon gekostet hat, Vater! Kein kostspieligerer Berg als dieser! Der wahre Mährenmörder ist er, und mit nur geringem Aufwand wäre all' das erspart.«
»Nur gering! Nur gering da, nur gering dort – – nur gering – gering!« fuhr der Alte auf. »Dastehen bis über die Stiefelschäfte im Schlamm, wie ein Ackerknecht sich mit der Egge abmühen, als gäbe es jetzt gar nichts Wichtigeres zu thun, – das ist deine Art und Weise. Da packt es Johnny anders an; – – aber – der eine hinauf, der andere hinab in den Schlamm!«
Er ging und brummte vor sich hin, als sei er voll Unmut, daß die beiden sich so wenig glichen.
»Ein junger Mann zu sein und so gar nichts Höheres für sich anzustreben!«
»O, Vater, daran hat's gerade nicht gefehlt,« entgegnete Henrick ernst und schien den Spieß umkehren zu wollen. »Ich habe in diesen letzteren Jahren vergebens bald auf die eine, bald auf die andere Art hier einzugreifen versucht; nun bleibt mir nichts übrig als zu trachten, mich wenigstens im Kleinen nützlich zu machen, – die Egge zu führen,« fügte er bitter hinzu.
»Im Kleinen, – im Kleinen! Daß die Hölle dareinfahre und dir deine Egge mit allem, was drum und dran hängt, kurz und klein schlage! Ich glaube, der Junge hat rein den Verstand verloren! Ist es mir je eingefallen, es dem ersten besten Bauernknecht gleichthun zu wollen, mit dem Ackerpflug aufs Feld hinaus zu trollen oder im Stall die Gäule zu striegeln? – Du rennst ja förmlich wie ein Tagelöhner einher. Willst du Furchen ziehen, Junge, so thu's mit der Galakutsche, zwei mutige Rosse vorgespannt, auf der Landstraße hinab zu Ellingsens. Und bring's einmal zum guten Ende, daß dich das junge Weibsbild zuletzt nicht auslacht! … Weiß der Himmel, wie lange du dich nun schon ziehst und sperrst. Mache dich fein, fahr' mit Hilda hinunter. Es ist nicht zu sagen, wie lange es her ist, seit ich bei Ellingsens für dich freite!«
»Sieh', Henrick,« fügte er sodann ernst hinzu, da der Sohn Miene machte, das Zimmer zu verlassen, ohne weiter auf das Thema einzugehen, »es giebt eben keinen anderen Weg, willst du den Bjölstadsumpf trocken legen. Und ziehst du von der einen und Johnny von der andern Seite an, dann kann es mit dem Foßhofe immer noch in die Höhe gehen. – – Hö! – Hö!« scherzte er versöhnend. »Ich muß ja, verstehst du, meine beiden Gäule antreiben, und du bist, finde ich, gar so lässig beim Strange, wenn es gilt, sich ins Zeug zu legen.«
Henrick entfernte sich, und sofort war der Alte abermals am Schranke und that wiederholt einige Züge aus der Flasche. »Brrr!« räusperte er sich.
In diesem Augenblicke trat Marianne ein.
»Nun, was hast du für heute vor?« fragte er in etwas milderer Stimmung.
»Was ich für heute vorhabe?«
Sie schaute einigermaßen überrascht und fragend zu ihm auf. Seine stahlgrauen Augen hatten etwas verdächtig Schimmerndes.
»Denn irgend wohin mußt du doch wohl,« fuhr der Vater scherzend fort, »anders geht es nun einmal nicht!«
»Jedenfalls bleibe ich den Vormittag zu Hause. Den Nachmittag planten Hilda und ich allerdings einen kurzen Besuch bei Sorens, um uns einen neuen Toilettenschnitt dort anzusehen.«
»Ach ja, siehst du, Marianne, so denkt eben jeder nur an das Seine.«
Es lag etwas in dem Tone, das sie aufmerksam machte.
»Kirsten, kommst du mit dem Kaffee?« rief sie nach der Küche hinaus, und sie sah aus, als schauere und fröstele es sie.
»Habe eben Henrick gerüffelt, ordentlich gerüffelt, Marianne,« bemerkte er gezwungen lachend. »Ich denke wohl, daß er in Bälde für eigene Rechnung zu Ellingsens hinunter fährt, statt immer nur Hilda an der Thüre abzusetzen. Er sieht selbst ein, daß jetzt Geld herbei muß, – will er anders Bjölstad instand gesetzt und den Sumpf trocken sehen. Das kann einmal sein eigener Wirtschaftshof werden. Und wenn dann das Moor hierher seinen Abfluß hat, gewinnen wir volle Wasserhöhe, – so reißt das eine das andere mit empor. Darum Marianne,« fügte er in gemütlich vertraulichem Tone hinzu, »nehmt ihn jetzt nur hübsch fleißig mit euch hin zu Ellingsens.«
»Nun, ich dächte, er könnte von selbst darüber einig mit sich sein, was er will,« fuhr Marianne heraus, »nämlich, ob er sie mag oder nicht!«
Der Alte begann zu pfeifen. Er stützte sich mit dem Arme auf das Fensterbrett.
»Ja, gewiß, – o gewiß! Wir könnten längst über all' das hinaus sein, du hast vollkommen recht, Marianne! Wir könnten den Jungen verheiratet und alles in Ordnung haben. Er wird einmal nur so im Gold wühlen, d. h. wenn die Bjölstadwaldungen stehen bleiben und nachwachsen können. Mich bringen sie nicht so leicht dazu, den Forst noch weiter zu plündern, das heißt, die Familie gerade an der Wurzel treffen, und ich muß an meine Kinder denken.«
Marianne blickte von dem Kleide, an dem sie trennte, forschend zu ihm auf.
»Bjölstad war nun einmal immer die Krone des zum Foßhof gehörigen Besitzes. Und ich muß dir sagen, es würde vor den Leuten ein sehr trauriges Aussehen haben, wenn wir es verkaufen müßten.«
Er begann mit hastigen Schritten auf und nieder zu gehen.
»Könnte ich mich nur entschließen, den Wald ohne weiteres rücksichtslos auszubeuten! Aber, wie gesagt, es gilt, fest auszuharren und ihn zu schonen, damit etwas bleibe, was euch allen einmal einen Zehrpfennig sichert. Eine wahre Sparbank, diese Waldungen, die wahre Sparbank!«
Die verhüllenden Wimpern in dem bleichen, schmalen Antlitze Mariannens blieben jetzt hartnäckig gesenkt, während sie aufhorchte, was nun kommen würde. Sie trennte unterdes eifrig.
»Ich hatte wohl die Idee, noch ein Stück abzuräumen, um eine Pfandschuld an die Bank zu tilgen; aber weißt du, Marianne, das wäre Wahnsinn, – reiner Wahnsinn. Bjölstad und der Foßhof gehörten von altersher zusammen, und eine Hypothek auf das Borgsche Besitztum, – nur eine Nebenhypothek, verstehst du? – würde uns den ganzen Schlag erhalten, und Johnny könnte es obendrein terminweise abwickeln. Es kostet dich nur einen Federstrich, Kind, und der Foßhof, wie wir alle, hätten zwanzig- bis dreißigtausend gewonnen.«
Mariannens Messer schnitt mit kurzem, kratzendem Laut.
»Du weißt, Vater, daß Bastian niemals Bürgschaft leisten wollte; so wenig, wie er jemanden für sich gut sagen ließ, und ich möchte im selben Geiste handeln wie er.«
»Ich wüßte nicht, daß du früher gar so danach geiztest, in Bastians Geiste zu handeln,« entgegnete er und lächelte höhnisch.
Das Trennmesser fuhr in den Stoff hinein; sie richtete sich heftig in die Höhe, während sie überlegte, ob es nicht geraten wäre, das Gespräch dadurch abzubrechen, daß sie das Zimmer verließ.
»Na ja, ja, Kind,« nahm er sich rasch zusammen, »darüber ist kein Wort zu verlieren; das hängt ganz davon ab, wie es dir beliebt. Mir schadet und nützt es nicht mehr viel. Ich bin alt; ob ich die kurze Spanne Zeit, die mir noch gegönnt ist, etwas mehr oder weniger zu ringen und zu kämpfen habe, ist gleichgültig. Aber wohl hätte ich den Foßhof vorher gefestigt und wieder blühend sehen mögen, und Johnny ist der Mann, der das auszuführen vermag. Indes so muß es denn eben unterbleiben,« schloss er, indem er sich abwandte. »Wie du willst. Mir ist es nur um euch Kinder zu thun.«
»Ich meinte, es könnte uns einmal zu gute kommen, wenn nicht alles in jenen Schlund geschleudert würde,« warf Marianne, leise abwehrend, dazwischen. »Bastian hatte keine sonderliche Meinung von Bjölstad, ausgenützt und ausgesogen, wie es ist.«
»Du hast drüben bei Bastian Borg gar sonderliche Ansichten über das väterliche Eigentum gewonnen. – Ja, ja, du magst recht haben, sehr recht; es ist nicht alles, wie es sein sollte,« versetzte er in gekränktem Tone. »Aber es ist doch eigentlich nicht eins und dasselbe, siehst du, Marianne, – hier oder aus dem Borg'schen Besitztum. Es gab dort nicht so sehr viele, die davon hätten zehren müssen. Aber die Kinder – wenn man ihrer sieben hat, für die man sich einsetzen, und denen man auf die Beine helfen soll, da läßt sich nicht verlangen, daß die Besitzungen so ganz intakt bleiben sollen.« Der Ton klang vorwurfsvoll, bitter.
»Ja, wer so seine junge Arbeitskraft noch hätte! Wenn man in die Jahre kommt, siehst du, da ist man nicht mehr dazu gemacht, so vieles zu ertragen. Mutter ist tot, ich stehe allein. Und wenn alles auf einen einstürmt – –«
Es zuckte um seine Lippen. Er saß lange vornübergebeugt, die Hände ineinandergefaltet, auf seinem Sessel und starrte auf den Boden. In der herrschenden Stille hörte man nur das gleichmäßig trennende Messerchen Mariannens.
»Ja, ja, alter Foß,« murmelte er, »so sollst du es erleben, daß Bjölstad und Foßhof auseinander gerissen werden. Mußt wieder hinaus in Wind und Wetter, bis du zusammenbrichst. – – Trifft den Foßhof die Schande, daß ein Teil des Gutes unter den Hammer kommt, dann treibt's der Alte nicht mehr lange.«
Er erhob sich langsam mit einer Miene der Resignation.
»Ja, das hat mir der Sachwalter gestern angedroht.«
Marianne riß einen Rest des Saumes auf. Sie legte die zertrennte Taille Stück für Stück auf den Nähtisch zusammen.
»Wenn du findest, daß es notwendig ist, Vater, so werde ich unterschreiben,« sagte sie kurz.
Ferdinand Wiese hatte richtig ausgerechnet, daß Mads Foß diesen Tag, es war der erste Dienstag im Monate, beim Friedensgericht zubringen würde. Der Alte war nämlich Friedenskommissär, ein Ehrenamt, das er im Heimatsbezirke noch von seinem Vater her überkommen, und von welchen, sich auch unter den Leuten sein Titel Kommissär herschrieb.
Wieses Berechnungen hätten sich indes leicht als irrig erweisen können; denn Marianne hatte gerade heute alle Beredsamkeit aufgeboten, um den Vater zu bewegen, ein Entschuldigungsschreiben an die Friedenskommission zu senden. Es wäre ganz unverantwortlich, sagte sie, wenn er bei seinem Katarrh sich den kalten, feuchten Herbstnebeln aussetzte.
Mads Foß war die Zeit her nicht eben bei guter Laune. Er ging schweigsam und verschlossen umher; und konnte aufbrausen, sowie nur jemand zu ihm zu sprechen wagte. Die Oberaufsicht über die Mühle blieb Henricks Sorge ganz allein überlassen. Sogar die gewohnten Spielgesellschaften schienen dem Alten ungelegen zu kommen, bis er sich endlich an diesem Nachmittage in eine etwas bessere Stimmung hineinzwang. Er ließ anspannen, um noch heute in der Kreisstadt einzutreffen und morgen rechtzeitig bei dem Beginne der Sitzungen gegenwärtig zu sein.
»Nicht in die Friedenskommission In Norwegen soviel wie Friedensgericht. fahren?« brummte er. Nein, niemandem durfte ein Vorwand geboten werden, von ihm zu sagen, er lasse sich seine Geschäfte nicht angelegen sein – daheim oder im öffentlichen Leben. Er knurrte noch in dieser Weise in heiserem, mürrischem Tone, während die Hand schon nach den Zügeln tastete, die der Stalljunge ihm in den Wagen reichte.
Als Wiese den nächsten Vormittag in den Mühlenhof einfuhr, um mit Mads Foß zu sprechen, fand Jungfer Holst, er sehe merkwürdig geistesabwesend aus. Er schien kaum zu hören, daß der alte Herr nicht zu Hause sei, sondern stand oben auf dem Treppenabsatz und starrte sie an. Seine Augen sprühten förmliche Flammen, indem sie zu fragen schienen, ob etwa auch die Töchter mit aufs Gericht gefahren seien. Er schaute dabei auf Jungfer Holst und auf die Gangthür hinter ihr mit einem Blick, als wollte er sagen, er sei Mann genug dazu, sich den Eingang zu verschaffen. Sie möge sich nicht einbilden, ihm etwas vorspiegeln zu können.
Es hätte dessen Kirsten gegenüber nicht bedurft; sie hatte ohnedem ihre eigenen Gedanken darüber, wen er suche. Und es fiel ihm auch nicht ein, viel zu verbergen. Als Kirsten ihm die Auskunft erteilte, daß Henrick unten in der Mühle und Frau Borg auf ihrem Spaziergange sei, stürmte er, trotzdem in diesem Augenblicke Fräulein Hilda erschien, davon, und zwar quer durch die Felder in der Richtung, die ihm Kirsten angedeutet hatte. Man sah ihn hinter dem Hause des Verwalters auf dem Wege längs des Elvs verschwinden.
»Das wäre ein Mann für Marianne,« dachte Jungfer Holst. »Er ist so lebhaft und schön und unternehmend, und an dem nötigen Liebesfeuer dürfte es gerade auch nicht fehlen, wenigstens danach zu urteilen, wie seine Augen nach ihr spähten und forschten.«
Wiese erblickte Mariannens Hut unten auf dem schmalen Wege, der zur Mühle führte, und er eilte an den Einzäunungen längs des Elvs dahin.
Der Pelzmantel verbarg nur wenig ihre Gestalt, welche an die Johnnys, ins Weibliche übertragen, gemahnte, als sie, den Blick auf den Muff vor sich hingesenkt, mit so leichter, freier Haltung dahinschritt. Es war einer der vielen Reize, die ihm so fesselnd an ihr erschienen. Niemand hatte einen so tannenartigen Wuchs, einen Gang gleich dem ihren. Und dann dieses Etwas um Schulter und Nacken, das so viel vornehme Würde lieh!
Sein Herz hämmerte, und es brauste ihm gewaltsam vor den Ohren, als er näher kam.
Er wartete, ob sie nicht aufschauen würde; doch sie that dies nicht eher, als bis er ganz nahe an sie herangekommen war.
»Marianne!«
Sie hatte sein Kommen erraten, als sie kaum die ersten Schritte vernommen.
»Marianne!« wiederholte er in unwillkürlich kummervollem Tone, als er ihr abgezehrtes Gesicht gewahrte, »willst du dich zu Tode härmen?«
Einen Augenblick nur hatte er sich der schmerzlichen Überraschung hingegeben, im nächsten sah er nichts als die stahlgrauen Augen, die sich unter den dichten, dunklen Brauen mit so wehmütig entsagendem Ausdruck zu ihm wendeten.
»Laß uns alle trügerischen Einbildungen von uns weisen, Ferdinand!« bat sie. »So mildern wir am ehesten das bittere Weh. Nimm eine schöne, brave Frau, an deren Seite du ein ruhiges Gewissen bewahren kannst. Ich sage dir dies, wie du wohl weißt, weil ich dich liebe, und weil ich möchte, daß dein Leben in Frieden dahinfließe.« Sie wendete sich ab und wollte gehen.
»Marianne, es ist wohl heute das letzte Mal, daß wir beisammen sind, wenn wir nicht jetzt zur Klarheit, zu einer Entscheidung gelangen; und deshalb sollst du unsere Begegnung nicht eher abbrechen, als bis nicht alles zwischen uns gesagt ist. – Du nährst Gewissensskrupel, unüberwindliche, wie du meinst – um seinetwillen, der dein Mann war und dich reich machte; etwas anderes hast du ihm wohl nicht zu danken. Oder wäre es etwa dafür, daß er deine Hand erzwang, indem er die Bedrängnis deines Vaters benutzte? Nun denn, so brauchst du ja nur allen den Reichtum fortzuwerfen, den du von ihm hast, mit allem, was er dir schenkte, bis auf den Ring an deinem Finger, den du wie das Glied einer Kette trägst, an der dich der Verstorbene noch heute festhalten möchte, nachdem er nicht mehr ist. Wirf es fort! wirf alles fort! – Gieb's deinem Vater hin, deinem Bruder, deiner Schwester! Gieb jedes bißchen, jedes Krümchen, wofür du jenem zu danken, dich seiner zu erinnern hättest. Fort damit! hinweg! Hinweg aus deinem Eigentume, aus deinem Angedenken! Und dann komm zu mir,« – er breitete die Arme aus, – »ich nehme dich auf und halte dich als mein holdes Weib und küsse dich und liebe dich um dieses alles willen – Marianne.«
Sie sah ihn mit Augen an, die sonderbar feucht glänzten; sie wußte nur allzuwohl, daß die Bahn durch solche Opfer nicht frei würde.
»So!« rief er finster aus. »Einst hattest du nicht so viele Bedenken, Marianne!«
»Sprich nicht davon, Ferdinand!« Sie blickte zu Boden und fügte nach einer Pause hinzu: »Der Weg, der uns zusammenführen könnte, ist uns auf alle Weise verschlossen. Was wäre daraus geworden, wenn – wenn er gelebt hätte.«
»Geworden! – – Geworden! Sollen wir noch heute dafür einstehen, was möglicherweise geworden wäre? Das heißt sich zu tief in ängstliche Bedenken verlieren, Marianne! Daß ich dich einmal, von der Gewalt meiner Liebe zu dir bis zum Wahnsinn gebracht, auf mein Knie niederzog! – So habe ich mich also geradezu gemordet mit diesem Kuß?«
»Ein anderer wurde in der That durch ihn gemordet,« hauchte sie kaum hörbar, – »gedenke, – gedenke dessen.«
»O, wer hätte dem eine solche Tragweite beimessen können! … Daß er auch gerade in diesem Augenblicke kommen mußte! – Und überdies … Wie kannst du nur, als verständiges Wesen, alle Verantwortung dir allein aufbürden?«
»Es ist nicht dies allein, was ich mir nicht verzeihen darf; es ist alles das, was ich dir sagte, ehe wir es an der Thüre knarren hörten. Er erkannte, wie unwiederbringlich du all' mein Sinnen, all' mein Denken ihm gestohlen hattest. – Ich weiß, was ihn in den Tod trieb. Es war mein Geständnis, daß ich dich liebte und ihn haßte. – – Und da that er denn das Einzige, das er zu thun vermochte, – er legte in der Hilflosigkeit seines Alters seine Leiche zwischen uns, auf daß wir nie, nie mehr einander gehören könnten!«
Sie gingen schweigend längs des Zaunes neben einander her. Am Ende desselben bog der Steig in einen Hohlweg, der wie vom Wasser durch den Berg gebrochen schien und geradeaus zur Mühlbrücke führte.
Wieses Antlitz war aschfahl. Zum erstenmale dämmerte in ihm in vollem Ernste die Erkenntnis auf, daß es sich in ihrem gegenseitigen Verhältnisse um mehr als einen bloßen Schatten, um ein bloßes Schreckbild handle.
Es rauschte und sauste in der Luft, als sie sich dem Mühlwehre näherten.
Als das Dach der Mühle hinter dem Abhange am Elv sichtbar wurde, blieb sie stehen und sagte traurig:
»Wir müssen unsern Weg jeder allein gehen, so gut wir können!«
Er sah die ernsten, stahlgrauen Augen ihr schmerzliches Lebewohl sagen.
Sodann reichte sie ihm die Hand und ging rasch zur Mühle hinab.
Mads Foß wurde daheim bis spät in die Nacht erwartet. Aber er konnte ja wohl Anlaß gefunden haben, drüben in der Kreisstadt zu bleiben, besonders diesmal, da die Friedenskommission und das Dinggericht gleichzeitig tagten. Er kam auch nicht den nächsten Tag und die Familie ging in einer gewissen Unruhe umher, die man einander nicht zugestehen wollte.
Erst am kommenden Morgen, bei Tagesanbruch, kehrte er heim; er polterte an die Thüren und hatte einen unsicheren Gang.
Ohne abzulegen, schwankte er mit dem Lichte geradenwegs zum Schenktisch und nahm eine drei Quart haltende Flasche Cognak und eine noch nicht entkorkte Bouteille Rum mit sich unter dem Arme in sein Schlafzimmer hinauf; dort angelangt, verschloß er die Thüre.
Er hatte am Dinggericht teilgenommen und sich die übrige Zeit mit den Karten vertrieben. Dann war er bis in die späte Nacht bei Robarth gewesen, wo es bei halb Zwölf und anderem Hazardspiel heiß herzugehen pflegte.
Drinnen im Zimmer ließ er sich schwer auf einen Sessel fallen, daß dieser in allen Fugen krachte, während die Flaschen seitwärts niederglitten und über den Boden hinrollten.
»Es riecht faul, – riecht faul,« murmelte er, den Kopf langsam vor- und rückwärts bewegend.
»Johnny verpfändet die Lagerhäuser mitsamt den Waren unten am Landungsplatze an Henschen für zweitausend; – wenn das nicht faul ist!«
Er stöhnte und langte dreimal vergebens nach der zunächstliegenden der weggerollten Bouteillen.
Die Kunde war ihm auf dem Thing zugekommen und seither kochte und wühlte es unaufhörlich in seinem Innern. Er hatte ein Glas Branntwein nach dem andern hinabgestürzt, die Sorgen mit Toddy um Toddy hinunterzuspülen sich bemüht und während der Verhandlungspausen mit den Karten sich zu betäuben versucht. – O, diese in Pfand gegebenen Lagerhäuser am Landungsplatze! Er sah sie die ganze Zeit zwischen den Blättern hindurch.
Und so oft er nur an sie dachte, überkam ihn ein Gefühl, als schlage ihm fauliger Geruch von der See her entgegen. Und diesen Gedanken wollte er um jeden Preis entgehen.
Er beugte sich wieder nach der Flasche hinab und fiel vorwärts auf den Boden.
Er fühlte sich eine Weile beinahe wie im Bette, – wie auf weichen Daunen – und bis zur Vergessenheit wohlig und behaglich; doch da begann es in den Daunen wieder zu riechen – faulig, – zwei, drei verschiedene Arten fauligen Geruchs glaubte er zu unterscheiden.
Er stützte sich auf den Arm und erhob sich langsam, nahm die Flaschen auf und ließ sich auf das Bett nieder, die eine Flasche hinter sich legend. Die andere, zur Hälfte gefüllte, die mit dem Cognak, setzte er an den Mund.
»Du hilfst, du!« Er nahm zuletzt keine Spur von etwas Fauligem wahr. »Henschen fordert ja Sicherstellung,« grübelte er weiter, »und handelte es auch nur um ein Darlehn von zwanzig Thalern; da hat denn« – er trank wieder, – »der arme Junge gethan, wozu ihn die Not trieb. Was thut man nicht, wenn man in der Klemme ist.«
Er blieb mit der Flasche in der Hand sitzen und starrte auf den Boden, bis er eine Grimasse schnitt, als grinse ihn von dort etwas Widriges an. Abermals griff er zur Flasche.
Plötzlich fuhr er empor, untersuchte den Riegel, ob dieser vorgeschoben sei, hielt eine Weile das Ohr an die Thüre und horchte, ob sich nicht jemand heraufgestohlen habe, der draußen stehe.
»Niemand,« brummte er und kehrte zum Bett zurück. »Es war nur wieder eine von diesen leeren Einbildungen. Ich kenne das, wenn Ohr und Auge und Nase beginnen, sich voneinander loszusagen, und jedes der eigenen Fährte folgt. Sollte sicherlich nicht mehr trinken! … Nein, ich darf jetzt nicht mehr trinken, – – nicht mehr, als nur noch einen einzigen Schluck von dem Cognak.«
Er wühlte lange in den Taschen nach dem Propfenzieher herum.
»Ich muß ihn haben, soll ich nicht krepieren an diesem Geruch!« rief er aus, indem er die Rumflasche hitzig in der Luft schwenkte, als wollte er sie zerschmettern. Dann schob er sie sachte und vorsichtig unter das Bett hinunter, so, daß er sie liegend zu erreichen vermochte.
Marianne und Hilda trieb die Angst den nächstfolgenden Tag fortwährend vor die Thüre des Vaters. Sie kamen und gingen in steigender Unruhe und lauschten an dem Schlüsselloche, vernahmen aber nur ab und zu ein schweres, stöhnendes, hie und da von einem Ausrufe unterbrochenes Brummen oder auch abgerissene Stücke eines Selbstgesprächs.
Die Armen wußten sich keinen Rat in ihrer zagenden Unentschlossenheit. Sollten sie ihn einfach ungestört ausschlafen lassen? Henrick, den sie schließlich herbeiriefen, riet dazu. Es machte einen erschütternden Eindruck auf ihn, als Hilda dem Ahnungslosen vertraute, wohin es schon im Winter vor zwei Jahren mit dem Vater gekommen war.
Die Bangigkeit der Frauen steigerte es noch, daß der Vater bei der kalten, nebelfeuchten Herbstluft drinnen die Fenster geöffnet hielt.
Es war später Abend geworden, ohne daß sich auch nur das Geringste verändert hätte; unaufhörlich drangen dieselben unheimlichen Laute aus des Vaters Zimmer, das langgezogene Stöhnen, die unverständlichen Reden und das dumpfe, halberstickte Brüllen.
Es wurde einstimmig beschlossen, Nachtwache zu halten.
Henrick nahm unten in der Stube auf dem Sofa Platz, während die anderen oben leise hin- und herschlichen.
Mitternacht war bereits vorüber. Der Bruder saß bei der kleinen, niederen Comptoirlampe mit dem grünen Schirme. Er war in düsteres Hinbrüten versunken.
Seit er auf solche Art hinter die kummervolle Wahrheit gekommen, schien es ihm in der nächtigen Stille allenthalben in dem alten Gebäude so morsch und baufällig zu knistern. Er begriff nur nicht, welche Selbst- oder besser Foßhof-Verblendung es gewesen, die ihn bisher verhindert hatte, alles sofort zu erkennen. Es war zu Ende mit all dem Saus und Braus, – der Vater ein ruinierter Mann.
Die Dinge standen ja ganz anders, als er gewähnt hatte; da mußte er denn selbst sehen, selbst denken und, wie ihm ziemte, als Mann und Mensch handeln. Er durfte nicht bloß den jungen Herrn Sohn spielen, wie irgend eins der Frauenzimmer auf dem Gute umherschlendern und flaniern und darauf warten, daß er rechtschaffen Geld erheirate. Er bereitete sich jetzt darauf vor, sich sofort seinem Vater gegenüber als Mann zu erweisen. Er wußte, der Alte würde herunter kommen, um noch mehr Vorrat aus dem Schenktisch hinauf zu holen.
So saß er da in stiller Entschlossenheit. Nie hätte er gedacht, daß es hier daheim unter den Dielen und hinter den Wänden und dem Getäfel so viele Ratten gebe. Er erinnerte sich ja auch wohl keiner Nacht, in der es so einsam still um ihn gewesen wäre, daß er die Tiere hätte hören können.
Es kamen endlich Schritte die Treppe herab, langsame, schwere. Die Thüre der äußern Stube ging knarrend auf. Der Alte stahl sich, leise brummend, herein und öffnete dann die Thür, die zu Henrick führte.
Um das ungewaschene Antlitz hing der wirre Bart. Die verstörten Augen, das struppige, graue Haar und die dicken, schwarzen Augenbrauen verliehen ihm ein verwildertes Aussehen.
»Was, du sitzest noch auf? Was soll das heißen? – Ich möchte Licht haben, kannst du es mir verschaffen? Drinnen im Comptoir steht die Platte mit dem Leuchter.«
Er wendete sich hastig gegen den Schenktisch, wurde aber von Henrick aufgehalten, der ihm sanft, aber entschieden entgegentrat.
»Du darfst jetzt nicht mehr trinken, Vater! du weißt, es thut dir nicht gut, – wenn dir so unwohl ist, wie eben jetzt. Fliederthee oder dergleichen wird dir bessere Dienste thun. Lege dich nieder und suche in Schweiß zu kommen. Marianne und Hilda ängstigen sich zu Tode, daß du dich bei deiner Erkältung so wenig schonst. Und nun willst du obendrein noch starke Getränke genießen.«
»Dummes Zeug, Junge!« lautete es gutmütig freundlich; »nur ein einziges Gläschen; ich bedarf dessen. Ich weiß am besten, was für mich gut ist. Geh jetzt und hole mir Leuchter und Feuerzeug.«
»Du darfst nicht mehr trinken, Vater!«
Mads Foß blickte den Sohn an, ob er es wirklich wage, ihm entgegen zu treten – sich dessen unterfange! – Ein Ausdruck von brutaler Heftigkeit zuckte in seinen Mienen auf; aber er nahm sich sofort zusammen.
»Na, na – ja, Junge, da du eine solche Angst vor dem einen Gläschen hast, – so – – wollen wir den Schlüssel vom Schranke umdrehen! Hier hast du ihn, mein Junge; – – und nun schau, daß du das Licht bringst. Vielleicht kannst du auch jemanden wecken, daß man mir etwas Kamillen macht. Beeile dich aber nun!«
Henrick war geradezu ergriffen und gerührt von des Vaters Selbstüberwindung und milder Stimmung und ging, das Verlangte zu holen.
Hilda hatte es auch schon einmal versucht, den Schlüssel fortzunehmen; aber der Alte wußte andere Wege; er schob einfach das Brett des oberen Faches zurück. Diese List benutzte er auch jetzt und ging eilends mit einer Bouteille in jeder Rocktasche davon.
Einmal sicher hinter seiner Schlafzimmerthür, lachte er, daß es in seinem Halse gluckste.
Er stellte die beiden Flaschen vorsichtig nieder und überließ sich dann plötzlich einem Paroxismus von Raserei gegen Henrick, stieß den Sessel auf den Boden und schlug sodann mit demselben so wild gegen den Ofen los, daß die Beine entzweisprangen.
»Sich zu erdreisten – – zu unterstehen!«
Eine Flut von Drohungen, Flüchen und Verwünschungen strömte hervor.
»Fortjagen werde ich ihn!«
Dann trat für eine ziemliche Weile Stille ein, und als sie mit dem Kamillenthee hinaufkamen, wurde ihr Klopfen nur mit einem zornigen, wegweisenden Knurren beantwortet.
Am Nachmittage des andern Tags saß der Alte halb ausgekleidet, das graue, borstige Haar emporgesträubt, auf dem Bette. In seinem Antlitz zogen sich vom letzten Anfalle ein paar rote Streifen gegen die Schläfen hin. Henrick hatte ihn vorhin halten müssen und sich nun, um ihn nicht zu reizen, hinter die Thüre des anstoßenden Zimmers zurückgezogen, wo er Wache hielt.
Als Madame Thorbjörnson, die kluge Frau, nach der man gesandt hatte, bei Mads Foß eintrat, hellte ein halb blödsinniges Lächeln seine Züge auf, und er fragte gespannt:
»Knabe oder Mädchen, Madame Thorbjörnson? Hi! hi! hi!«
Der Ausdruck der Lustigkeit in seinen Mienen ging jedoch alsbald zu dem der Bekümmernis über.
»Wenn nur die Mutter es übersteht. – Glauben Sie, sie wird es überstehen?« flüsterte er ängstlich.
»Da schreit jetzt die Kleine da drinnen,« rief er sodann lachend. Es gluckste in ihm.
»Nein, nein, ich gehe nicht hinein,« versicherte er, leise den Kopf schüttelnd. »Aber was ist das für ein Kujon, der dort unten die Tischglocke läutet?« gurgelte er langsam und drohend. Erbitterung erfaßte ihn tiefer und tiefer. »Jetzt, wo es sich um Tod und Leben handelt, so zu läuten!« Er versuchte, sich zu erheben.
»O, ich meine, Sie müssen heute nicht so ganz richtig hören, Herr Kommissär,« ging Madame Thorbjörnson auf seinen Ideengang ein. »Es ist ja nur der Klingelzug drinnen im Zimmer.«
»So, so, so! – Komisch, was einem für Laute ins Ohr kommen.«
Er legte sich zurück, während die Frau die Schläfen mit einem kalten Umschlag versah.
»Hu–hu–hu!« – Seine Zähne klapperten vor Frost. – »Jetzt beginnen sie unten in der Küche mit dem Hackmesser, daß das ganze Haus erzittert; – werden sie nicht einmal damit aufhören!«
Man hätte ihm einen eisgefüllten Darm über das Rückgrat gelegt, behauptete er sodann.
Madame Thorbjörnson bereitete durch den Spalt der halb angelehnten Thüre Henrick auf einen neuen Anfall vor.
»Haltet ein, sag' ich! – Haltet ein!«
»O,« murmelte die Frau, während sie nur mit Mühe einen frischen Umschlag aufzulegen vermochte, – »da giebt's 'was anderes, womit man hier und anderwärts einhalten sollte; dann lägen Leute, die auf Ehre und Ansehen Anspruch machen, nicht in solch schmählicher Verfassung da, daß sie sich nicht einmal vor dem Doktor sehen lassen dürfen.«
Sie war gewohnt, bei derlei Anlässen kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
»Dann thäten,« fuhr sie fort, »sich die kleinen Leute auch nicht so um den Verstand trinken, daß sie gar noch Weib und Kind verschlucken möchten, wenn die sich nur in Schnaps verwandeln ließen. Sie lernen's eben von den Großen.«
Er lag und klapperte immer noch mit den Zähnen.
Nun begann es ihn zu schütteln. Er hätte ja gar keine Zähne mehr zu all' dem Geklapper, klagte er jammernd, er sei ein alter Mann, fügte er weinend hinzu. – »Hu–u–!«
»Hört ihr, – hört ihr –? Ich will das Geklapper nicht, sag' ich! Es schüttet ja Fliegen von Decke und Wänden herab. Alles wird schwarz durch sie. Auf mit den Fenstern!« brüllte er. »Auf damit!«
»Nein, bleiben Sie ruhig, Kommissär!« Und die Frau drückte ihn resolut auf die Kissen zurück. »Wir gehen schon und treiben sie hinaus. Sie sollen sehen. »Nun, nun hina–us! hinaus!« Und sie that, als scheuche sie die Fliegen fort.
»Da soll noch einer sagen, dieser gottlose Branntwein sei nicht das Greulichste, das es auf Erdenwelt giebt,« stieß sie, ihr Selbstgespräch nun wieder fortsetzend, hervor.
»Immer mehr und mehr Fliegen kommen herbei!« behauptete Mads Foß.
»Das ist nur, während ich sie mit dem Wedel aufjage, – so, und jetzt wechseln wir wieder den Umschlag; aber – da sieht man eben das Strafgericht!«
»Ach ja, Mutter Torbjörnson!« stimmte er wimmernd bei, während das Eis sich kühlend um seine Schläfen legte.
»Ach ja – ja!« wiederholte sie, »wenn man so daliegt!«
Er schlug ein Gelächter auf. »Ei bewahre, wie wären denn das Fliegen gewesen? Das ist ja Tinte! Jetzt habe ich es auch gesehen, du Marianne!« rief er aus, da die Tochter gerade vorsichtig die Thüre öffnete. »Riesig, wie dir der ganze Foßhof mit Pfändern belastet ist, du, – bis herab zu den kleinen Lagerhäusern,« flüsterte er.
Er lag nun eine Weile ruhig und zog in kleinen Zwischenräumen mit steigendem Mißbehagen die Luft durch die Nase.
»Pfui, puh! Fünf, sechs, sieben verschiedene Arten Gerüche,« zählte er langsam an den Fingern ab, während er prüfend in die Luft schnüffelte. »Puh! Ich mag es nicht, dein Eau de Cologne, Marianne! – – Sieh' da, jetzt fängt es an, – jetzt wird es lustig werden! Geh' du aber nun vor allem zu deiner Mutter hinunter, Marianne, und sag' ihr, es sei jetzt nicht an der Zeit, mit ihren Beschuldigungen zu kommen, jetzt, wo ich so krank bin, daß ich krepieren könnte; sie soll bis morgen warten. – – Du, Marianne,« – er zupfte sie an ihrem Kleide, – »geh' und sprich ja freundlich und lieb mit ihr. Sag', ich werde nicht mehr trinken, hörst du? Ich werde von nun an nach nichts anderem trachten, als was den Kindern frommen kann. – – Sieh' da, der tausend! juchhe! wie eins nach dem andern von den dummen Dirnen den Hügel heraufspaziert, gerade während ich –. Hab' ich nicht nach Gebühr und Recht gegen euch gehandelt?«
Madame Thorbjörnson schob Marianne mit sanfter Gewalt zur Thüre hinaus und flüsterte: »Dürfen sich gar nicht daran kehren, Frauchen, was er jetzt zusammenredet. Es ist gar kein Sinn in alledem.« –
Im Verlaufe des Nachmittags bekam er einen Anfall nach dem andern, und Henrick und Madame Thorbjörnson hatten alle Mühe, ihn im Bette zu halten.
Für den kräftigen, stämmigen Sohn, der hier Wache saß, waren das herbe, ernste Stunden. Er fühlte sich in seinem Schamgefühl als Sohn verletzt durch alle diese wenig verschleierten Anspielungen und unbewußt hervorgestoßenen, abgebrochenen Reden, die er mit anhören mußte. Er erkannte mit Bitterkeit den Zusammenhang von so manchem Vorfall, und er wunderte sich nur, daß er solange blind und arglos daran vorübergehen konnte.
»Es geht ihm jetzt nicht mehr so heftig zu Kopfe,« meinte Madame Thorbjörnson später am Abend. Es war in einer Angelegenheit ihres eigentlichen Berufs nach ihr gesandt worden, und sie mußte fort. Aber nun sei es auch die höchste Zeit, den Doktor zu rufen, erklärte sie. Der Kommissär klage über Stiche in der Brust und im Rücken. Er hätte sich wohl erkältet, weil er sich so lange der nebligen Herbstluft ausgesetzt. »Denn die Lunge, sehen Sie, Frau Borg,« setzte sie unten in der Stube den beiden Töchtern, die angstvoll und beklommen dasaßen, auseinander, »bei einem so alten Manne, – und wenn die Herren noch dazu nicht besonders vorsichtig leben! Am besten, Sie lassen morgen in aller Frühe den Doktor rufen.«
»Wiederkommen? – Ja! … Wenn aber draußen die Karriole steht und auf die Wehemutter wartet, Frau Marianne, so wird einem sozusagen heiß im Leibe, daß das Essen und der Kaffee kaum hinunterwollen!« kauten die starken Kinnbacken, während die behende, wohlgeformte, kleine Hand die Lederjacke zuknöpfte.
»Es ist weit bis nach Skipperwiek und man muß doch ein wenig für seine Kräfte sorgen!«
Waren das breite Schultern und ein wahrer Stiernacken! Ihr festes Kraftantlitz mit der Stumpfnase in der Mitte, den zwei Warzen beim Mundwinkel, den kleinen, willensscharfen Augen und den dünnen, grauen Haarbüscheln, verriet eine ziemliche Körperstärke.
»Das arme Mädel unten in Skipperwiek!« Sie hätte sie davor gewarnt, in so eine Speisewirtschaft, wo man immer nur zecht und schmaust, in Dienst zu treten.
»Aber übrigens können Sie mir's glauben, Frau Borg!« – sie schob die Pulswärmer über das Handgelenk – »wenn eine, so wie ich, alles das mit ansieht und kennen lernt – diese armen Kinder, die einem die Köpfe und Ärmchen aus dem Mutterleibe entgegenstrecken, in all dem Elend und der Verwahrlosung, wo sie nicht einmal einen nüchternen Vater haben! … dabei nicht mehr Recht für sich –« eiferte sie, »trotz aller Armenkommissionen und Vormundschaften, als nur soviel!« … sie schnalzte mit den Fingern. »Aber o,« sie warf den Theermantel über die Jacke und schlürfte den letzten Schluck Kaffee hinunter, »was das für weise Herren sind, die in der Armenkommission sitzen! … Ich habe es ihnen oft und oft gesagt – 'ne ganz gute Spekulation wär's, wenn sie den armen Würmern zu essen und eine Erziehung geben wollten – und sie 'was Nützliches lernen ließen und sie vor dieser Satans-Muttermilch in der Branntweinflasche bewahrten! Nehmt sie, so lange sie jung sind, – hab' ich gesagt – ihr könnt ihnen denn doch nun einmal den Kopf nicht abhauen … und ich sehe nicht, daß bei der jetzigen Art etwas Anderes heraus kommt, als daß schließlich das Land sie gerade so gut füttern muß, wenn es sie für die Armenkasse oder das Zuchthaus zurück bekommt!«
»Aber,« wendete sie sich, die Hand mit Selbstbewußtsein unter den Mantelkragen in die Seite stemmend – »ich werde Ihnen etwas sagen, Frau Marianne! Eine Geburtshelferin hat eine verfehlte Stellung in der Welt! … eher wird es nicht besser, als bis es ins Gesetzbuch kommt, daß der Mann einer Wehemutter in der Armenkommission zu sitzen hat – – der hat Erfahrungen …
Sie nickte Lebewohl und ihre breite, matronenhafte Figur trabte rasch zur Thüre hinaus. »Thorbjörnson in der Armenkommission!« lachte Kirsten, die hinter ihr das Kaffeebrett hinaustrug. »Er müßte sich wohl immer erst daheim erkundigen, was er dort zu meinen hätte …«
Der Arzt erklärte den Zustand für bedenklich, und es wurde sofort ein Expreßbote nach Johnny und den verheirateten Töchtern geschickt.
Die zahlreichen Botschaften und Anfragen, die auf die beunruhigenden Gerüchte hin andern Tages einliefen, kamen zu spät, – Mads Foß war tagsvorher gegen Abend am Lungenschlag gestorben.
Unruhig und bleich und angegriffen hatte Johnny unausgesetzt am Krankenlager des Vaters geweilt.
»Es gäbe so manches, das geeignet sei ihn nachdenklich zu stimmen, wenn er die augenblickliche Lage übersähe,« äußerte er Henrick gegenüber. »Geht der Vater hinüber, wird das in meinem Geschäfte manche Schwierigkeiten hervorrufen,«
All dies jedoch trat in ihm augenscheinlich vor der bangen Sorge um den Vater in den Hintergrund.
Und da das Gefürchtete nun eintrat, verlor er alle Fassung. Als des Vaters Liebling hing er auch von sämtlichen Kindern am meisten an ihm.
Auf dem Foßhofe sollte alles unverändert fortgehen, sagte er unter Schluchzen, mit rotgeweinten Augen. »Du weißt, Marianne, was wir mitsammen besprochen haben, und so mußt du mir auch, so gut du kannst, behilflich sein, wenn einmal ein Moment der Verlegenheit eintreten sollte.«
Die Todesanzeige in den Blättern, die schwarzgeränderten Meldungen auf feinstem Velinpapier, so wie die Vorbereitungen zum Begräbnisse, alles war in dem Stil, der Johnnys persönlichem Gefühl über die Bedeutung des Todesfalles entsprach.
Und es zeigte sich am Begräbnistage, daß die kindliche Auffassung des Sohnes in der allgemeinen Stimmung ihren vollen Widerhall fand.
Mads Foß vom Foßhofe, – dieser Name hatte stets in aller Ohren geklungen. That man sich im Bezirke auf jemanden etwas zu gute, so war es gewiß auf ihn, und wollte Einer beim fröhlichen Mahle, wenn man so recht in Stimmung war, mit einem Toaste kommen, der allgemeinen Anklangs sicher sein konnte, brauchte er ihn nur auf Mads Foß auszubringen, – auf Mads Foß, wie er so dasaß, leutselig, doch in voller Würde und nur mit einem hingeworfenen Scherzworte dankend. Und handelte es sich darum, von irgend etwas zu behaupten, es sei im Bezirke wirklich und wahrhaftig Brauch und Sitte, bedurfte es nur des Hinweises, daß es also auch auf dem Foßhofe gehalten werde.
Alle diese wehmütigen Erinnerungen schwebten sozusagen in der Atmosphäre, gleich dem Flaum und der Flocke in der milden Schneeluft des Herbsttages, an welchem Mads Foß zur Erde bestattet werden sollte.
Die Reihe der Wagen erstreckte sich von der Vortreppe durch die ganze Allee hinab, während in den unteren Gemächern den Trauergästen mit einem Frühstück aufgewartet wurde, ehe sie den großen Sarg, der, blumenbedeckt, oben in dem schwarz ausgeschlagenen Saale aufgebahrt stand, zur letzten Ruhestätte begleiteten.
Draußen in der Vorhalle lagen auf Tischen und Bänken in friedlicher Eintracht Haufen von Plüschhüten der verschiedensten Jahreszahlen und Façons, – echt provinzliche und dem hochgelegenen Dal oder vom Gestade unten stammende Kübel, die fettig und altehrwürdige, schon durch nahezu ein Menschenalter bei jedweder feierlichen Musterung Püffen und Stößen heldenmütig widerstanden, an der Seite von breiten, französischen oder schmalröhrigen englischen Hüten aus der Hauptstadt oder dem Stapelplatze, von schweren, niedergebogenen Feuereimern oder alten, verlegenen Schornsteinröhren, die mit Garnknäueln und ähnlichem angefüllt, vergessen am Dachboden gestanden und nun in aller Eile für die Gelegenheit ausgeputzt und zum Aufstutzen in die Stadt besorgt worden. Hätten sie ihre Erinnerungen austauschen, einander von allen den erlittenen Schrammen, Beulen und Havarien erzählen können, es würde ein buntes Stück aus der Geschichte des Kreises, mit Kindstaufen, Begräbnissen, Hochzeiten und sonstigen Vorkommnissen ergeben haben.
Doch unter ihnen wurde jetzt einer vermißt, der vor den anderen im Gefolge hervorzuragen und ihnen das Zeichen zu geben pflegte, wenn sie im feierlichen Momente vom Haupte herab sollten, – der hohe Hut von Mads Foß nämlich!
Der Winter und ein langsam vorschreitender Frühling waren verstrichen.
Die Übernahme der Besitzungen des Vaters hatten Johnnys Geschäften eine breitere Grundlage verliehen. Er hätte, wie er sich ausdrückte, einem Teil seines Kapitals die ausschließliche Bestimmung gegeben, den Foßhof wieder in ordentlichen, würdigen Stand zu setzen. Man müsse bei den Häusern beginnen; das Unternehmen mit dem Bjölstadsumpf wäre vorläufig noch zu kostspielig.
Auf der Schlittenbahn wurde Bauholz in großen Partien nach dem Foßhofe gebracht, und auf diesen wie auf die Besitzung der Schwester ein Anlehen ausgenommen.
Welch ein Fest für Johnny, der Tag im Beginne des Sommers, an dem die »Kappe« von dem Gebäude herunter sollte! Andere Leute halten ein Richtfest, wenn Zimmermann und Maurer das Werk im Rohbau vollendet haben und man den Giebel auf das Haus setzt. Johnny jedoch erlaubte sich, die gleiche freudige Stimmung für den Tag zu offenbaren, an dem das alte Dach abgetragen wurde. Er war eigens dieses Anlasses halber auf den Mühlenhof gekommen.
»Man könnte sich eigentlich einigermaßen Gewissensbisse darüber machen,« meinte er, den Arbeitern zuschauend. »Aber andererseits,« fügte er wie zum Troste hinzu, »habe ich es mir doch wieder zum Verdienste anzurechnen, daß ich den Papa nie wegen des Daches gequält habe. Noch heute freut mich das. Aber jede Zeit will nun einmal ihre eigene Schale haben, unter der sie sich häuslich einrichtet. Der alte Papa, ja, modern war er nun einmal nicht; ihm kam das Dach sehr schön vor, dem Guten!«
Henrick hingegen war der Meinung, man fasse die Sache entschieden beim verkehrten Ende an. Beim Bjölstadsumpf müsse begonnen werden; das Haus aufzuputzen hätte man später Zeit.
Er hatte für das bedeutende Gehalt, das Johnny ihm anbot, die Verwaltung des Gutes übernommen. Sein mütterliches Erbe zu kündigen, um etwas auf eigene Hand zu unternehmen, schien ihm in dem gegenwärtigen Übergangsstadium so wenig passend, daß er im Gegenteil Johnny für die auf den Foßhof aufzunehmende Hypothek die Priorität einräumte.
Für Johnny wäre es, wie er nicht müde wurde zu versichern, eine Lust gewesen, auf dem Mühlenhofe seinen Aufenthalt zu nehmen, überall nachzusehen, auszumessen, anzuordnen und den Fortgang der Arbeiten bei dem Bau zu verfolgen; allein er konnte sich nicht für einen halben Tag von seinem Geschäfte entfernen, jetzt, wo alle die Dampfer unablässig ein- und ausliefen und Geschäftsfreunde von allen Seiten brachten. Da galt es, auf dem Posten zu sein, um Aufträge zu erhaschen.
So war auch sein heutiger Besuch nur ein kurzer. Nach dem Kaffee mit ein wenig Cognak dazu, sah der Lord hastig nach der Uhr. »Fünf, sechs,« – berechnete er, – »habe heute Abend jemanden im Klub zu treffen, den ich durchaus sprechen muß. – Ach, du, Marianne, wenn Grüners kommen, sieh ein bißchen darauf, daß dem Alten nicht über dem Kopf gehämmert und geklopft werde. – Und,« – er zog seinen feinen Frühjahrsüberrock an, um in den Wagen zu steigen, – »erinnere auch Antonie, daß sie das Papier, sobald sie die Unterschrift hat, ins Comptoir hinunterschickt. Der Alte ist manchmal stützig, wie du weißt.«
Er hatte Grüners den einen Flügel des Hauses zum Sommeraufenthalte eingeräumt.
Antonie war natürlich schon den Tag vor der Ankunft ihrer Familie auf dem Gute, um die letzten Anordnungen für die Bequartierung zu treffen.
Und es war wirklich gut, daß sie gekommen; denn es galt nach ihrer Ansicht, allerhand Umänderungen in den Einrichtungen durchzuführen, wobei nichts an Ort und Stelle blieb.
Es sei, als fahre der Nordwind durch das Haus, sagte Henrick; die Thüren flögen unter dem Drucke wie von selbst vor ihr auf.
Und als sie dann unter Verwendung zweier Kutschen und eines mächtigen Packwagens mit Grüner und allen den Kindern und zwei Dienstmädchen und unzähligen Kisten und Kasten anlangte, gab es einen unbändigen Lärm und ein hastiges Getümmel, um unter ihrem Kommando im Sturmwind alles abzuladen und unterzubringen.
Aber dann hatte es sich auch mit einemmale wie ein Ungewitter ausgetobt.
Eine Stunde später stapfte Grüner mit seinen gefütterten englischen Patentschuhen zwischen den Hecken umher, und das Kleinste der Grünerschen Familie wurde im Kinderwägelchen, wo es lag und schlief, weit in den Gängen des Gartens umhergerollt. Es war, als weile die Familie schon seit vier Wochen an Ort und Stelle.
Mina Biermann machte einen Abstecher herüber, um die Neuangekommenen zu begrüßen.
Sie mußte in alle Zimmer, in alle Ecken und Winkel gucken und bewundern, wie vorzüglich und aufs zweckmäßigste Antonie alles für den Alten und die Kinder eingerichtet hatte.
»Biermann könnte wahrhaftig öfter herüberkommen und sich des Konsuls ein wenig annehmen, damit diesen den Sommer über nicht gar zu sehr die Langeweile plage,« legte sodann Antonie der Schwester, ans Herz.
»Aber hast du bemerkt, Mina, wie mager. Marianne geworden ist?« plauderte sie, während sie umhergingen weiter. »Und das Magersein läßt Marianne nicht gut, sie wird so lang und schmal im Gesicht. Ich finde, Sie fängt an, ihre Jugendlichkeit zu verlieren.«
Daran hatte Mina gar nicht gedacht.
»Sie wird doch nicht ihr ganzes Leben als die trauernde Witwe Bastians umhergehen wollen?« ereiferte sich Antonie.
»Es ist weder mir noch Biermann möglich, aus Marianne klug zu werden. Da kommen fortwährend der Doktor und der reiche Robarth, wie sie sagen, um Henrick zu besuchen, und ich bin überzeugt, sie brauchte nur mit dem Finger zu winken, um den zu haben, wen sie von den beiden will; aber es scheint fast, als schenke sie lieber Hysing Gehör, wenn er sich über die logischen Widersprüche der Frau in seinem gelehrten Kauderwälsch verbreitet.«
»Aber, liebe Mina, den Kandidaten kann sie doch sicher und gewiß in aller Ewigkeit nicht mögen?« rief Antonie verächtlich. »Viel eher, dächte ich, ist da irgend etwas, was sie abwartet. Diesen Eindruck machte es mir wenigstens,« murmelte sie.
»Grüner! Grüner!« rief sie darauf zum Fenster hinaus. »Du sollst nicht so lange dort unten in der Feuchtigkeit beim Teiche bleiben, geh' lieber ins Birkenholz …«
Am nächsten Morgen war Antonie drüben bei den Geschwistern. »Henrick,« wendete sie sich an den Bruder, »du könntest so wie von ungefähr mit meinem Mann über Johnny sprechen und für den armen Jungen ein wenig eintreten. Grüner hat sich, ich weiß nicht was, in den Kopf gesetzt. Wenn Marianne ihm ihr ganzes Vermögen anvertrauen kann! Und du, Henrick, du hast doch auch gewußt, – –«
»Wo denkst du hin?« erwiderte Henrick; »ich bin viel zu einfältig und zu unerfahren in diesen Dingen, um bei Grüner, einem so gewiegten Geschäftsmanne, etwas ausrichten zu können. Und überdies, Antonie, so alles, was die ganze Familie hat und besitzt, auf diesen einen Segler, den Johnny steuert, zu verladen, – ich muß gestehen, dein Alter dürfte wohl so unrecht nicht haben.«
»So? Ich sehe zu meinem Leidwesen, daß du allzulange dem Hause fern gewesen, Henrick, und dir dadurch der Familiensinn ziemlich abhanden gekommen ist,« fuhr sie entrüstet auf.
»Daß ich nicht wüßte! Mir scheint vielmehr, ich gehe hier herum und warte aus lauter Höflichkeit, Pietät oder Dummheit, – oder wie ich's nennen soll, – der Familie auf, ohne auch bisher nur daran gedacht zu haben, mich auf eigene Füße zu stellen.«
»O, als wenn das nicht durch und durch deine eigene Schuld wäre, Henrick. Hättest du, wie es eigentlich deine Pflicht gewesen, nach des Vaters Wunsch gethan, den er nun unerfüllt mit sich ins Grab genommen hat, so könntest du jetzt ganz anders dastehen und eine Stütze der Familie sein, anstatt daß ich alles meinem armen Grüner auf die Schultern laden muß.«
»Wenn ich was gethan hätte, was?«
»Deine Pflicht, wie ich und Marianne die unsrige erfüllten, wenn ich mir schon heute alles vom Herzen reden soll! Wir fragten wahrlich nicht nach unserem Geschmack und Behagen, wir zwei; wir hatten nur Sinn und Auge dafür, was not that, den Foßhof im alten Glanz zu erhalten. Nun, wir haben den Vater in Ehren und Ansehen in sein Grab gelegt, und bis zu diesem Augenblick stehen Johnny und wir anderen noch aufrecht da, und so scharen wir uns denn auch fürder zusammen, den Besitz zu erhalten, wie wir ihn von Kindheit auf vor Augen gesehen haben. Nur einen giebt es unter uns, der nicht einmal darauf bedacht ist, die Thorheiten, die er beging, und welche die Familie ängstlich verdecken mußte, wieder wett zu machen, und der nun hier auf dem Foßhof liegt, ohne auch nur imstande zu sein, sich auf eigene Füße zu stellen, wie du selbst gesagt.«
»Aber, Antonie!« unterbrach sie Marianne.
»Ach, laß sie reden! Ich kenne nur zu wohl ihre Natur; sie muß sich Luft machen,« erwiderte Henrick, drehte sich auf dem Absatze herum und ging.
»Wir müssen suchen, ihn zur Besinnung zu bringen, du, Marianne! Er hat sich dem Hause wirklich geradezu entfremdet; er ist ganz und gar aus der Art geschlagen. Das wäre so recht geschwisterlich, Johnny stecken zu lassen, jetzt, wo er gerade im besten Zuge ist!«
Sie blickte zu dem Dache empor, an dem gearbeitet wurde.
Henrick kam wie gewöhnlich zur Vesperzeit, gegen fünf in die Speisekammer und ließ sich ein Stück Butterbrot mit irgend einem Beleg dazu reichen. Er hatte sich's in dieser Zeit zum Gesetze gemacht, mit den Arbeitern zugleich aufzustehen und zur Ruhe zu gehen.
Aber Kirsten bemerkte, daß er am heutigen Tage nicht heiter gestimmt sei; er saß mit finster zusammengezogenen Brauen da und starrte nach ihr, wie sie Brot und Rollwurst für den Vespertisch aufschnitt. Das Mädchen machte übrigens jetzt jeden Tag dieselbe Beobachtung; er war durchaus nicht vergnügt.
»Nein, nein! Sie sollten wahrhaftig besser achtgeben! Mir ist immer bange um Ihre Finger, Kirsten. Sie könnten mit dem Messer hineingeraten.« rief er.
»O, ich bin es ja gewohnt.«
Es glitten auch die Brotscheiben so rasch und nett hernieder. Es war ein so wunderbar flinkes und geschicktes Zugreifen mit den mageren, kleinen Händen, die da emsig schafften, und nicht zum erstenmale sah ihnen Henrick, wenn auch mit einiger Unruhe wegen des großen, scharfen Messers, zu. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf. »Da gab es ja doch in alter Zeit einen, der ging hin und diente sieben Jahre um Lea und sieben Jahre um Rahel. So gehe nun auch ich hin und diene um den Bjölstadmoor. – Das Dach abzureißen! Mit dem Z statt mit dem A anzufangen! Aber da kann es einem zuguterletzt auch noch passieren, daß man das ganze ABC von rückwärts buchstabieren muß; es läßt sich ja gar nichts berechnen bei diesem ewigen Sichimkreisedrehen! Ich weiß nur, daß ich zu den verschiedensten Malen, so oft ich schärfer auslugte, über die Aussicht, die sich mir bot, in nicht geringe Verblüffung geriet,« brummte er. – »Anton Johannesen versprach wohl, mir im Herbste einige Winke zu geben,« fuhr er fort; »indes haben nun die Dinge, seit Johnny den Foßhof übernahm, eine andere Gestalt gewonnen; er hat wieder festen Grund unter den Füßen. Ich fürchte nur, daß solche Handelsleute sich auf Gutswirtschaft gerade so verstehen, wie die Katze auf Muskateller. – Ich habe Ordre erhalten, mich zu verheiraten! La, la, – freilich, da käme man zu Besitz, was so viel heißen will, als in den ihren, für Lebenszeit.«
Kirsten war eigentlich im Herzen ganz mit ihm einverstanden; das merkte er wohl. Sie blickte auch jetzt nur deshalb so scharf auf das Schneidebrett herab, um sich nicht zu verraten.
Ja, wenn noch Bertha etwas besäße, was diesem dunkelhaarigen Kopfe ähnelte, wie er sich eben ein wenig seitwärts über die Arbeit geneigt hielt.
»Möchten Sie wohl einen so recht Reichen heiraten, Kirsten? Zum Beispiel so einen wie den alten Grüner,« begann er von neuem.
Sie schnitt mit förmlicher Wut in die Wurst.
»O Kirsten, die Frage ist doch wahrlich nicht dazu angethan, darüber in Zorn zu geraten. – Nehmen Sie sich mit dem Messer in acht; sie können sich arg verletzen! – – Nicht wahr, Sie thäten es nicht und nähmen den alten Grüner; darauf möchte ich einen Schwur ablegen. Sie denken gewiß, was Sie betrifft, Sie würden schon für sich selbst zu sorgen wissen. – – Ich behaupte nicht etwa, daß ich keine Lust hätte, zu heiraten. Im Gegenteil, ich könnte sogar große Lust dazu verspüren. Aber dann müßte es Eine sein, mit der ich freudigen Herzens vereint wäre, ob es nun gut oder schief ginge; zu der ich Zutrauen besäße, die einen Halt in sich hätte, so daß wir uns miteinander emporarbeiten könnten. – Sie müßte von der Art sein, wie ich selber sie will, und nicht so, wie die anderen sie wollen. Ja, eine wie –« Er starrte wieder zerstreut auf das Brett, auf dem Kirsten immer noch vorschnitt, und sagte langsam: »Sie sind tüchtig und ordentlich, Sie sind verständig, Sie sind bescheiden, Kirsten!«
Das Mädchen wurde ein wenig rot um die Ohren und hielt sich immer tiefer über die Arbeit geneigt: sie hatte eben den Zipfel der Wurst mit dem Bindfaden daran unter den Fingern und mußte nun vorsichtig schneiden.
»… arbeiten vom frühen Morgen bis zum späten Abend, ohne je an sich zu denken, – nicht einmal an Ihre Gesundheit … geraten in helle Aufregung, wenn zwei und zwei nicht vier machen wollen, – nein, Sie vertrügen es nicht, das Soll dem Haben über den Kopf wachsen zu lassen; das liegt Ihnen schon so im Blut.«
Kirsten senkte nach einem kurzen Versuch, zu widersprechen, die Augen; sie war nun über und über rot, und in ihrem Antlitz malte sich zunehmende Verlegenheit.
»Und Sie sind hübsch, Kirsten! – – Aber um Himmels willen! Sie schneiden sich ja die ganzen Fingerspitzen weg!«
Er faßte sie um das Handgelenk und hielt dieses mitsamt dem Messer fest.
»Ich weiß ganz bestimmt, soll mir jemals eine Frau beschieden sein, an der ich meine Freude habe, die sich mit mir durchs Leben durchkämpfen mag, so müssen Sie das sein, Kirsten Holst, und keine andere! – – Wollen Sie mich nehmen, Kirsten? Ich bin übrigens durchaus nicht sicher, auch nur einen Heller zu besitzen.«
Sie stand erschrocken da und schaute ihn an, während sich allmählich ihre Augen mit Thränen füllten. Der Gedanke war so unfaßbar. Aber da konnte kein Zweifel obwalten. Er stand vor ihr, breit und groß und treuherzig, und hielt sie um die Hand gefaßt und blickte sie so ernsthaft, so voll Ergriffenheit an, als gelte es das Leben.
Es schwirrten ihr, der Untergebenen, die Rücksichten alle durch den Kopf. Wie das ja rein unmöglich sei! Wie die Familie, wie ein jeder das aufnehmen würde! Es kam ihr vor, als wogte ein wildes Meer vor ihr, in das sie beide sich blindlings stürzen wollten.
»Nun, Kirsten, hast du keine Antwort für mich? Laß sie ein Nein sein, wofern du mich nicht ein wenig lieb haben kannst.«
Sie sah das Bangen des Zweifels in seinem Antlitz.
Das Küchenmesser entsank auf die Bank – – – – und Kirsten stürzte sich in das Meer!
Eine Weile darauf war Henrick bei den Arbeitern draußen. Er stand da mit einem neuen, starken Gefühl im Herzen, als wenn es mit allem erst jetzt so recht beginnen sollte.
Kirsten kam mit dem Theebrett vom Garten her; sie war voll Hast; sie fühlte sich jetzt so beängstigt, die Arme.
Die ganze Familie saß im Lusthause beim Thee und Vesperbrote.
Henrick ging hinab, sich ein wenig schüttelnd und wie zum Kampf emporrichtend, ehe seine breite Person ihren Schatten in den Eingang warf.
Antonie, die eben im Begriffe stand, an die Wand des Lusthauses hinter Grüner, der wohl Luft, aber keinen Zug haben sollte, einen Teppich zu befestigen, war sofort darüber im reinen, der Bruder komme in versöhnlicher Absicht nach dem Auftritte am Nachmittage.
»Du mußt die Cakes kosten, die wir mitbrachten, Henrick,« sagte sie, ohne sich umzuwenden. »Schenk' ihn, doch eine Tasse Thee ein, Hilda.«
»Cakes? – Ei, danke! – Sehr gut, – reiche mir noch so ein Stückchen! Ich erinnere mich jetzt, daß ich rein vergessen habe, mein Vesperbrot zu essen. Es kam daher, daß ich mir deine Worte so sehr zu Herzen nahm, Antonie!«
»Wie?« Sie sah ihn ein wenig ungewiß von der Seite an.
»Ja, allerdings; du sprachst doch auch eindringlich genug, Wie mich dünkt.«
»Siehst du also! – Laß doch Henrick von diesen Zimmetstängelchen nehmen, Marianne! – Könnt ihr nicht ein wenig zusammenrücken und ihm Platz machen?«
Marianne betrachtete den Bruder mit einiger Spannung, während sie ihm den Korb mit dem Weizengebäck reichte. Sie kannte ihn und war nicht halb so vertrauensselig, als Antonie. Er sah ganz und gar nicht danach aus, als ob er kapitulieren wollte.
»Ganz vortrefflich,« bemerkte Henrick, auf das Zimmetstängelchen loskauend. »Hatten Sie Appetit, Konsul, an dem Tage, an dem Sie sich verlobten?«
»Man ist verteufelt gefräßig,« erwiderte der Konsul, lebhaft auf das von dem Schwager angeregte Thema eingehend; »indes kommt hinterher in der Stille so ein leises Würgen, als hätte man doch vielleicht einen zu großen Bissen in den Mund genommen.«
»Dir kann es wahrlich einmal zu gute kommen, Henrick, wenn du etwas besitzest, das dich vor den Folgen deines raschen Mundwerkes schützt,« sagte Antonie; sie war butterweich jetzt, da sie die Hauptsache auf so gutem Wege erachtete. »Zu großem Mund, weißt du ja, gehört ein breiter Rücken.«
»Geld, ja! – damit der Mund wie eine Art Luxuspferd durchgehen kann. Aber siehst du, Antonie, das würde mir bei meiner Natur geradezu den Atem versetzen. Just das verursacht den Kitzel im Rücken, daß man selbst die Prügel ausstehen muß; es giebt die Würze dazu, verstehst du.«
»Er ist wirklich ganz der Vater, Marianne, so wie ich ihn noch von früher her im Gedächtnis habe. Sieh' ihn nur einmal an, wie er da vor uns steht, und ihm der Schalk aus den Augen spricht. Wartet nur! Es wird ihm schon Gebiß und Zaum angelegt werden, wenn er heiratet. Sein Mund hat dabei, muß ich sagen, doch immer etwas Lustiges, Schalkhaftes, ganz wie der meine.«
»Deshalb eben suche ich mich so einzurichten, ihn behalten zu können, wie er ist. Was würdest du nun dazu sagen, Antonie, wenn ich darauf verfallen wäre, mich mit Jungfer Holst zu verloben?«
»Ach, geh' doch mit deinem Unsinn,« entgegnete sie lachend.
»Ja, siehst du, liebe Antonie, das hat so seinen eigenen Grund, warum ich mich hier befinde und deine Cakes verspeise. Angespornt durch deine Reden, ging ich nämlich, statt mein Vesperbrot zu verzehren, hin und verlobte mich mit Kirsten. Nun, ihr kennt sie und wißt so gut wie ich, was für ein vortreffliches – –«
Hilda blickte in jähem Schrecken auf Antonie, die das Cakesstück, das sie in der Hand hielt, zu Krümeln zerdrückte und in den Brotkorb schleuderte. Marianne richtete ihre großen, grauen Augen verwundert und gespannt auf den Bruder.
Die gewitterschwüle Atmosphäre entlud sich, als Henrick es für gut fand, sich zu entfernen.
»Sagt' ich es nicht immer?« brach Antonie los. »Er hat nicht eine Faser von uns anderen! – – Da liegt deine Wolldecke schon wieder auf der Erde, Grüner! Daß sich Gott erbarme! Auf dem kalten, feuchten Boden wirst du ja wieder die Beine voll Gicht bekommen, wenn du sie nicht auf dem Schemel hältst!« – Sie riß ungestüm an dem Teppich. – »Grüner vermag es gar nicht zu fassen! Kann uns ein größeres Unglück treffen? Was sagst du, Grüner? Ich weiß nicht, wie wir das Mina beibringen, wenn sie morgen herüberkommt; sie wird rein verzweifeln – und Johnny erst! Es ist ein wahrer Schlag für die Familie! Hättest du so etwas für möglich gehalten, Marianne?«
»O, von diesem Standpunkte darfst du die Sache nicht nehmen,« meinte letztere; sie hatte in tiefem Sinnen dagesessen. Daß Henrick allen Rücksichten zum Trotz seiner Neigung zu folgen gewagt, hatte sie mächtig ergriffen.
»Das sollen wir also als vollendete Thatsache hinnehmen, das!« nahm Antonie nach kurzem Schweigen wieder das Wort. »In einem, dächte ich, Marianne, dürften wir aber denn doch gleicher Meinung sein. – Laß doch nicht wieder den Teppich fallen! – Wir können uns keine Stunde länger von einer Person bedienen lassen, die unsere Schwägerin werden soll. Entweder gehen wir oder sie, – nicht wahr, Grüner?« –
Als Marianne später hinaufkam und Kirstens bangem, erschrockenem Antlitz begegnete, faßte sie sie plötzlich, nahm sie um den Hals und küßte sie lange und heftig. Kirsten fühlte, daß große, schwere Thränen auf ihre Wange niederfielen.
Es folgte eine bewegte Unterredung zwischen den beiden Frauen; Henrick trat später hinzu, und man kam endlich zu dem Entschlusse, daß Kirsten zu einer alten Tante in dem Städtchen unten am Seehafen ziehen sollte, bis Henrick in der Lage sein würde, sein Heim zu gründen.
Das Hauptgebäude des Foßhofes war den Winter über mit einem bloßen Notdache an Stelle des niedergerissenen stehen geblieben.
Johnny hatte für ratsam gefunden, die Arbeiten auf das Frühjahr zu verschieben, und nun begann man dieselben allmählich wieder aufzunehmen, wenn auch keineswegs in der Art, wie das Gerücht wissen wollte. Es hieß nämlich, daß er im Begriff stehe, oben auf dem Foßhofe ein wahres Schloß aufführen zu lassen, und es rief nicht geringe Verwunderung unter den Leuten hervor, daß er in so schweren Zeiten, wo bald die eine, bald die andere Firma ins Wanken kam, die Mittel für die Bauten aus seinem Geschäfte ziehen könne.
Der Familiensitz sollte zugleich vornehm und ländlich sein, mit Spiegelscheiben und Altanen versehen werden.
Begreiflich war es jedenfalls, daß ein so vielfach engagierter Mann wie Johnny ab und zu wegen der nötigen Baarmittel in einige Verlegenheit geraten konnte. Doch daß dem Geschwätze und Gerede, welches zeitweise wie ein Windstoß durch die Stadt fuhr, um bald wieder zu verstummen, keine tiefere Berechtigung zu Grunde liege, ließ sich aus mancherlei Zeichen absehen.
So etwas, wie Hilda in die Pension nach Lübeck zu schicken, würde man nicht thun, wenn es mit den Verlegenheiten ernst wäre.
Das Stichwort zur Charakterisierung des Großhändlers Foß blieb das alte, – eine seltene merkantile Tüchtigkeit; aber er spanne seinen Kredit auch an; er wolle mit Hochdruck Geld verdienen.
»Nein, nein, nein, Henrick!« erklärte Johnny, »laß nur den Andreas in der Mühle schaffen, der versteht sich auf das Getriebe. Hat das Gummi-Elastikum und den Kork schon von Vaters Zeiten her in sich. Er kann dir eine Sonnabend-Abrechnung mit den Leuten halten, ohne nur ein Zwölfschillingstück in der Hand zu haben. Das ist nun einmal nichts für dich, so etwas! Laß du dir nur alles Übrige angelegen sein und sieh, dich so einzurichten, daß dem Geschäfte unten keine Barmittel entzogen werden. – Es sind schwere Zeiten, muß ich dir sagen. Wenn sie doch nur eine leichte Wendung zum Besseren nehmen wollten! Aber die Leute sind dir in den Banken und anderwärts förmlich kopfscheu, sobald sie nur einen Streifen Papier sehen. Da heißt es denn, eine strenge imponierende Maske vornehmen, – das ist Nummer eins, – als hätte man von jeder Mutterseele, die einem in den Weg tritt, Geld einzufordern. Davor haben sie dir Respekt, siehst du; denn in heutiger Zeit hat mehr oder weniger ein jeder etwas auf dem Gewissen. Da gilt es, zu schrecken, wenn man nicht selbst geschreckt werden will! Nur Popanze können noch auf Kredit rechnen. – Nummer zwei ist, in den eigenen Töpfen alles bis auf die letzte Scharre zusammenzukratzen, – zu Geld machen, was sich nur immer in Kontanten verwandeln läßt. Man muß eben aus nichts etwas zu schaffen wissen, verstehst du?« schloß er überlegen.
Er mußte bald wieder fort, und Henrick sah mit Besorgnis den exaltierten, gespannten Ausdruck seines erhitzten Gesichts und den etwas stieren Blick des umflorten Auges.
Es war fast, als ob ihm Angstschweiß auf den Schläfen perle, und sicherlich hatte er den Vormittag seine zwei bis drei Glas Portwein hinuntergestürzt.
»Der Arme, – auf wie vieles mag er sich eingelassen haben, das ihm nun über den Kopf wächst!«
Henrick fuhr nach dem Foßhofe zurück. Ganz versunken in seinen Grübeleien, saß er in dem Wagen und verspürte heute nicht die geringste Lust, bei seinem Freunde Anton Johannesen für eine Weile vorzusprechen.
Auf der weiten Welt mochte es wohl keinen zweiten geben, der sich so geschmeidig zu drehen und zu winden gewußt hätte, wie dieser Andreas. Er verlor nie seine zuversichtliche Haltung und verstand es, den Kecksten zu verblüffen, indem er ihm die Bücher, auf einen Schilling stimmend, die Posten mit roten und blauen Linien unterstrichen, unter die Nase hielt, – wollte sich jener etwa erdreisten, zu behaupten, daß hier in den Buchungen der Mühle keine Ordnung sei?
»Siehst du … dir gutgeschrieben, dir bezahlt – in Mehl … kontant … Vorschuß – Saldo!« – schrie er um die Wette mit dem Gebrause der Mühle. – »Dir zu Gunsten – elf Mark … Mehl oder Zettel? – Erklär' dich, Mann! … Es giebt kein Bargeld für heute … Da hast du's schriftlich, – das ist so sicher, Junge, wie der Foßhof selber.«
Und an den Foßhof glaubte er wie an sein Evangelium.
Es gab Zeiten, da der Foßhof nur bar zahlte, und dann kamen andere Zeiten, in denen nur Scheine ausgeteilt wurden. Das verhielt sich gerade so wie mit dem Mühlwasser, das auch nicht das ganze Jahr gleichmäßigen Zufluß hatte. Aber sollte nur einer einen Schein aufweisen, und rührte das Papier noch aus des seligen Kommissarius Zeit, der schließlich nicht eingelöst worden wäre?
Andreas hätte nie geglaubt, daß es dahin kommen könnte, sich oder andere etwas so Müßiges, Unnützes fragen zu müssen, wäre nicht das Schändliche passiert, daß Buaas unten in der Strandgasse sich plötzlich weigerte, Waren zum vollen Betrage, auf den die Scheine lauteten, zu liefern, so daß die Arbeitsleute mit Klagen und Lärmen herbeigelaufen kamen.
Es hatte, im Grunde genommen, nicht die geringste Bedeutung, – würde doch Buaas beim Quartalsschluß, unten im Comptoir des Großhändlers seine Zettel sicher und gewiß saldiert erhalten.
Aber am Montag Morgen erschienen die Arbeiter mit den Anweisungen in der Faust und erklärten, Buaas nähme die Zettel nicht länger an.
So? – Andreas riß ihnen allen die Scheine aus der Hand und wünschte, sie möchten zur Hölle fahren. Er machte sich hierauf eiligst zum Großhändler auf den Weg und meldete die Sache.
Er traf Johnny mit der Cigarre im Munde, eben im Begriff, das Comptoir zu verlassen.
Der Großhändler stutzte und schien etwas betroffen, als er seinen Mühlenverwalter sah.
»Gräßlich überhäuft, Andreas, – keine Minute Zeit, – werde schon alles arrangieren, – fahren Sie nur wieder heim!«
»Aber – die Arbeiter alle, – sie warten!« gab Andreas in gedehntem Tone seinem Bedenken Ausdruck.
»Können Sie ihnen nicht Mehl geben? – Sie wollen doch Mehl,« versetzte der Lord ungeduldig.
Andreas wand sich förmlich; die dünne Nase bekam Zuckungen.
»Müssen etwas thun, ihnen ihre Schrullen aus dem Kopf zu treiben; sie wollen keine Fuhren für die Mühle mehr übernehmen.«
Johnny warf einen raschen Blick nach ihm und fragte nicht weiter; er zog nur seine goldene Uhr hervor und folgte mit den Augen dem Zeiger.
»Kommen Sie um zwei Uhr präzise wieder aufs Comptoir, Andreas, – jetzt muß ich fort in die Bank.«
Andreas hatte es gleich gedacht, daß das nichts als dummes Zeug mit den Scheinen sei. Diesem Peter Haalbacken, der sich am Morgen so dreiste Reden herausgenommen, dem würde er das ungewaschene Maul schon putzen, – gehörig putzen.
Er schlenderte in den Gassen umher und labte sich im vorhinein an dem Donnerwetter, mit dem er in sie hineinfahren wollte. Nur so prasseln sollte es! Zu verschiedenen Malen sah er auch von der Ferne den Großhändler auftauchen, am obern Ende der Straße, wie er eben aus der Bank heraustrat, und wieder unten bei einem Packhause, wo er stehen blieb und nach jemandem fragte.
Mit dem Schlage zwei war Andreas auf dem Comptoir. Da lag ein Bescheid für ihn, daß er den Großhändler vor vier Uhr nicht erwarten könne.
Es war ihm etwas bange zu Mute bei diesem langen Verzug. Andreas hatte daheim längs der Wände die ganzen Mehlvorräte stehen.
Am besten war es, wie die Sachen lagen, dem Braunen einstweilen etwas Hafer geben zu lassen, damit er dann die drei Meilen in einer Tour laufen könne. – Dieser Peter Haalbacken hatte sich so unehrerbietig ausgelassen: aufs Trockene gesetzt, ständen sie nunmehr rat- und mittellos da! Er hatte sogar auf die Scheine gespien. Jetzt ging er wohl daheim umher und wiegelte sie alle miteinander auf.
Punkt vier Uhr steckte er sein erwartungsvolles Antlitz wieder zur Comptoirthüre hinein.
Der Herr Großhändler war noch nicht zurück. Andreas möchte sich setzen, hieß es, und warten.
Der Weiser der schönen Wanduhr über der Thüre, die in das Privatcomptoir des Großhändlers führte, rückte langsam vorwärts. Punkt um Punkt schob er sich weiter. Er stand jetzt auf halb fünf und war endlich bei fünf angelangt.
Nun verlautete, der Großhändler dürfte schwerlich vor sieben Uhr im Comptoir sein.
Andreas gab dem Pferde nochmals Hafer und spannte es sodann ein. Er mußte doch jedenfalls zeitig genug oben sein, um den stürmischen Gläubigern Mehl verabreichen zu lassen; sie wären sonst imstande, auszusprengen, er sei durchgebrannt.
Er steckte ein letztes Mal seine ängstlich zugespitzte Nase zur Comptoirthüre hinein. »Noch nicht da, der Großhändler?« klang es matt.
Und so denn fort! –
In einer der Seitengassen aber, am äußersten Ende der Stadt, fuhr er plötzlich dem Großhändler, der längs des Straßengrabens am Plankenwerk eines Gartens einherschritt, gerade in den Weg.
»Nu, nu, Andreas! Sie wären mir ja bald ohne Bescheid auf und davon gefahren! – Aber ein Mensch, sehen Sie, ist doch immer nur ein Mensch; – ich war so angestrengt die ganze Zeit, daß ich nicht wußte, wo ich zuerst hin sollte. Das Ganze beruhte, wie ich mir's gleich gedacht, auf einem bloßen Mißverständnis. Buaas nimmt die Scheine frischweg, so wie sie nur in der Mühle ausgestellt werden!«
Des Andreas Antlitz hellte sich über und über auf; er wuchs förmlich um ein Stück, wie er da im Wagen saß. »Und so erachte ich es,« fuhr Johnny fort, »im Augenblicke nicht für nötig, mit etwas anderem, als mit den Scheinen in der Mühle auszuzahlen. Ich will nun die Einrichtung so getroffen wissen, daß Sie mir die Bargelder, die in die Mühlenkasse eingehen, alle Sonnabend herunter ins Comptoir abliefern! Ist wohl am besten, Sie nehmen für diesmal etwas klingende Münze mit, um den Kerls oben heute den Mund zu stopfen,« fügte er hinzu, ihm sein Taschenbuch einhändigend.
Andreas fuhr vorwärts. Der Wagen flog, daß die Funken unter den Rädern stoben. Allmählich stieg der Zorn wieder in ihm auf. – Die Schufte! – Er wollte ihnen Salz zu ihrem Mehl mischen, heute Abend!
Johnny wanderte, mit einem kalten Cigarrenstumpfe im Munde, heimwärts. Was hatte er sich heute abgemüdet! Wie hatte er umherirren müssen, wie ein gepeitschter Kreisel, konnte er beinahe sagen!
Wucherzinsen mußte er versprechen, sündige, blutige vierundzwanzig Prozent – eine wahre Blutsaugerei.
Aber so war doch zum mindesten das erreicht, was ihm in dieser Zeit am dringendsten not that, etwas Bargeld, der Vorteil, alle Bareinnahmen der Mühle in seinem kaufmännischen Geschäfte verwenden zu können, und Kredit für die Scheine.
Es war letzteres eine delikate, Diskretion heischende Angelegenheit. Er hatte dem Retter aus der Not, dem Geldmanne Wolleback, für die quartalsweise, volle und prompte Ausbezahlung der Buaas'schen Scheine in einer für seinen Kredit kitzlichen Weise Sicherheit leisten müssen. Die Sache gewann eigentlich ein immer besseres Ansehen, je länger und genauer er sie betrachtete. Es war sein Vorgehen schließlich, wie er es beifällig bezeichnete, das findige Schaffen eines Ausweges, eine geniale Idee!
Am Abend beim Toddy versenkte er sich in eine tiefere Betrachtung derselben.
Sie stieg, mit jedem Glase, das er sich zurecht machte, sozusagen um eine Etage höher an Klarheit; und bei dem dritten und letzten stellte sie sich ihm als eine wahrhaft kunstvolle Maschinerie dar, durch welche die Mühle förmlich Gold mahlen würde!
Alette sah heute den Gatten endlich wieder einmal einen Abend daheim und bei guter Laune. Sonst pflegte er jetzt im Hause wie abwesend umherzugehen. Er antwortete auf ihre Fragen und lächelte, doch so, daß es ihr fast den Anschein hatte, als ob sie und die Kinder gar nicht für ihn vorhanden wären. Die schlechten Zeiten nahmen wohl sein Denken ganz gefangen.
Daß die Geschichte mit den Scheinen auf dem Foßhofe, in der Stadt wieder Aufsehen und Beunruhigung hervorgerufen hatte, konnte Johnny recht wohl bemerken, als er den nächsten Vormittag in Bergs Restauration erschien, wo er stehend, noch den Hut auf dem Kopfe, einen ersten Zug that und sich dann hinsetzte bei einem Glas Portwein sein Butterbrot zu verzehren. Er ließ denn auch von ungefähr ein Telegramm der Privatbank in –dal des Inhalts: »Papiere honoriert« auf dem Tische liegen. Wußte er doch, daß, kaum er sich entfernt, Massen neugieriger Augen sich wie Fliegen darüber hermachen würden. Er zündete noch rasch bei der Kellnerin die Cigarre an, – eine von seinen eigenen, – rief dem Mädchen noch ein scherzendes Wort zu, und dann ging's in Eile fort, – an Bord – in die Bank, ins Zollhaus hinunter, – hinüber auf die andere Seite des Hafens, in Söborgs Comptoir mit den Wechselblanketten.
Er und Söborg standen heut beisammen, wie zwei ernüchterte Zechbrüder, und Söborg war so verwünscht mutlos. Man mußte ihn auf seine eigene derbe Weise aufzurütteln suchen, – galt es doch, ihn zu ziehen und zu zerren, daß er noch weiter sein bißchen Unterschrift hergebe.
»Nu, Söborg, bist du ein Hasenfuß, Alter? Es kann dir doch wahrlich einerlei sein, mein Junge, ob du Ja oder Nein sagst, – jetzt, wo du den Berg schon so weit hinauf bist!« rief er lachend, um dessen Bedenklichkeiten zu beseitigen.
Genau auf ein Haar dasselbe sagte auch der alte Konsul Grüner, wenn er mit seinen zitternden Schriftzügen jedesmal, so oft der Postbeutel mit Foß & Cie.'s Papieren anlangte, unterfertigte. »Hat man X gesagt, muß man auch Y sagen,« war stets seine melancholische Bemerkung. Es hatte seine geheime, bittere Bedeutung, daß er nicht einfach A und B sagte; entweder mußte er sich weiter engagieren, oder mit großen Kapitalien für seine Giroverbindlichkeiten aufkommen. Das war alles.
Seine Frau befand sich in geradezu fanatischer Aufregung über alle die schurkischen Gerüchte, mit denen Johnnys Feinde einem bald in dieser, bald in jener Richtung aufwarteten. Unermüdlich zeigten sie sich, schwor sie, in ihren Bestrebungen, ihn zu untergraben. Und doch war ihnen noch jedesmal tüchtig heimgeleuchtet worden!
Eine philosophische Betrachtung von seiten des Konsuls, daß nämlich die Leute in der Regel viele Feinde bekämen, sobald der Boden unter ihren Füßen zu wanken begänne, wurde erstickt von der ganzen Wucht der Verachtung in ihrem mächtigen Antlitz, das den vollen Typus der Rasse trug und dessen dunkle, flammende Augen nur noch auf den Wällen des Foßhofes ihre Geschosse schleuderten.
»Nun, hatten die Neider nicht sogar Johnnys Mühlenscheine in Mißkredit gebracht und selbst bei der Mühle Skandal hervorzurufen gesucht?«
»Ja, ja!« versetzte Grüner bitter, als sie fort war; »wir können uns wenigstens sagen, wir haben gekämpft. Alle unsere Munition steckt in Herrn Johnnys Kanone, und – paff!« Er schüttelte den Kopf und starrte mit der Resignation der Hoffnungslosigkeit in die Luft. –
Es gab eigentlich kaum eine unter den neueren, modernen Firmen der Küstenstadt, die nicht auf irgend eine Weise mit Foß & Cie. engagiert gewesen wäre.
Und die aus Anlaß der Mühlscheine aufzuckende Flamme des Gerüchtes und Geredes war denn auch in aller Hast wieder gedämpft worden. Der interessierten Brandlöscher gab es hier zur Genüge, ja, selbst Buaas wollte auf einmal von nichts wissen.
Im Umsehen wurde dann auch an sämtlichen Kaffeetischen darauf geschworen, daß nichts über jede Anfechtung erhabener sei, als der Kredit des Hauses Foß & Cie. Derselbe gehe aus jedem Angriffe nur um so gerechtfertigter hervor. Da gab es weder Frau, noch Zofe, noch kleine Beamten, noch Lehrer, lauter Unparteiische also, – die von der unerschütterlichen Solidität der Firma Foß & Cie. nicht aufs wärmste durchdrungen gewesen wären. Und Johnny begegnete Sympathien von allen Seiten, las sie in allen Mienen; – nur schade, daß man ihm gerade in der Sparkasse und an verschiedenen anderen Orten, wo es ihm reelle Vorteile gebracht hätte, nicht mit demselben Vertrauen entgegenkam. Übrigens gab es auch außerdem noch etliche ängstliche Seelen, bei denen kein Beweis verfangen wollte.
Man sollte sich mit den Geldern solcher Witwen und alleinstehender Frauenzimmer eigentlich gar nicht befassen, war der Schluß, zu dem Johnny gelangte, wenn er des Abends, allein auf seinem Comptoir sitzend, in tiefes Brüten verfallen war. »Sie sind gefährlicher, als die mißtrauischste Bank; sie sind imstande, einen mit ihrem Schreien und Jammern und Lamentieren zu Grunde zu richten, ehe man sich dessen nur versieht. Gefährliches Geld das!«
Sein Antlitz sah grau und gefurcht aus.
Das war heute wieder ein gehörig heißer Tag gewesen, ein ewiges wie auf glühenden Kohlen wandeln; und dabei von früh um neun unausgesetzt in Atem!
Er hatte sich geweigert, dem Segelmacher Sunde die Wechsel weiter zu prolongieren, dem armen Teufel! Er zuckte die Achseln, als er daran dachte, und konnte sich einer Regung des Mitleids nicht erwehren. Aber sauve qui peut! Das würde in der Bank imponieren. Er hatte ihm kurz und bündig die Alternative gestellt, entweder die Wechsel einzulösen, oder Konkurs anzusagen; man mußte ja den Popanz spielen, sich hoch über die andern stellen und keinen als »gut« gelten lassen. Das Herz müsse sich platterdings zu Stein verhärten.
Und doch konnte er das Bild des Mannes nicht loswerden, wie er totenbleich, mit der stummen Bitte in den Augen, vor ihm gestanden!
Darauf war Jungfer Fejer bei ihm im Comptoir gewesen und hatte vor ihm gejammert und geweint wegen ihrer dreihundert Thaler, die sie bei diesen Zeiten nicht mehr den Mut und das Herz hätte, im Geschäfte stehen zu lassen. – Sie würde rein von Sinnen kommen, beteuerte sie, wenn sie die drei Monate Kündigungsfrist auf ihr Geld warten müsse, das sie sich so mühsam während ihrer langen Dienstjahre zusammengespart, – ihr alles, was sie besitze, was sie auf Erden ihr eigen nenne!
Er hatte das Geld für einen am Sonnabend fälligen Wechsel zusammengeklaubt, – aber es mußte jetzt an dieses Frauenzimmer hintangegeben werden, und er wies sie an die Kasse.
»Da soll noch einer sagen, daß Foß nicht solid und zuverlässig ist,« rief sie, indem sie aus der Comptoirthüre taumelte, halb von Sinnen und zitternd vor Freude, ihr alles, »was sie auf Erden besitze und ihr eigen nenne,« dicht an ihrer Brust zu fühlen.
»Wird seine Wirkung thun,« meinte Johnny und setzte seufzend hinzu: »Wenn solche Wirkungen einem nur nicht die Taschen leeren möchten!«
Aber das schwerste Stück Arbeit an diesem Tage hatten die zweitausendsiebenhundert Thaler der Pröpstin Baltyertsen gebildet. Diese Dame hatte den Stadtvogt zu Rate gezogen und war bei Alette zum Kaffee gewesen. Es handele sich, wie sie der jungen Frau vertraute, um eine äußerst delikate Angelegenheit. Der Bruder der Frau Pröpstin, der Kaufmann Kaspersen im Westlande, befände sich in der peinlichsten Verlegenheit und riskierte, Konkurs ansagen zu müssen, wenn er nicht vor Ablauf des Monats das Geld in Händen hätte. So möchte denn Frau Foß bei ihrem Herrn Gemahl erwirken, daß die besagten zweitausendsiebenhundert Gulden ehestens zurückgezahlt würden.
Das Geld der Pröpstin bildete den Schwerpunkt der sorgenvollen Gedanken des Großhändlers. Solch einer Pröpstin Geld, die fatalste Einlage, mit der sich ein Geschäft befassen kann, ist schlimmer als Schießbaumwolle in der Schmiedewerkstätte!
Seine Gedanken schweiften, indem sie nach einem Auskunftsmittel suchten, mit einer gewissen scheuen Neugierde über den Rand des Abgrunds hinüber.
Ja, warum sollte es denn eigentlich nicht bei dieser Pröpstin, die klagen und jammern würde, ihr Bruder mit seinen vielen Kindern sei durch die Schuld von Foß & Cie. in Not und Elend gestoßen worden, seinen Anfang nehmen? Ob bei ihr oder den andern?
Blässe überzog Johnnys Gesicht. Er mußte sich mit Toddy stärken; er sah im Geiste ganze Scharen von Menschen, die über ihn ein Wehegeschrei erheben würden, wenn es zum äußersten mit ihm kam.
Nun aber, – war er es denn nicht allen diesen schuldig, sich in seiner Stellung zu behaupten? Wenn so auch drei oder vier sich die Flügel versengten und in das Risiko mit hineingerissen würden, was bedeutete das im Vergleich zu der Menge?
Er blieb einen Augenblick, den Ellbogen auf dem Hauptbuche aufgestützt, unbeweglich sitzen.
Der Plan zu einem Auswege stand plötzlich fertig vor seinen Augen. Er wuchs aus dem Entschlusse heraus, zweitausendsiebenhundert in sieben-, achttausend zu verwandeln. Das Ganze war so einfach, nichts weiter als eine Rundtour durch das nördlich von Bjölstad gelegene Dal zu etlichen der größeren Grundbesitzer, bei denen das Ansehen des Namens Foß noch festwurzelte, wie ein alter Glaube. Von jedem brauchte er nur für eine bestimmte Summe das Giro zu erlangen, und sein jetziger Bedarf war mehr als doppelt gedeckt.
Das konnte wahrhaftig noch zu einer neuen Kreditquelle werden.
Er hielt das Toddyglas vor sich hin und murmelte: »Wollen es morgen probieren. Ich lasse anspannen und nehme auf dem Foßhofe frische Pferde.«
Und der Plan gelang! In den nächsten Tagen wurde die Summe auf Grundlage allenthalben als vollkommen zuverlässig anerkannter Sicherheiten hin, in den gewohnten Formen von der Sparbank der Stadt bewilligt.
Der Pröpstin wurde angezeigt, sie möge belieben, ihr Geld auf dem Comptoir zu beheben, und zwar »sofort«, wie der verletzte Stolz dem Schreiben beifügte. Es liege für Foß & Cie. kein Grund vor, erst noch die vorbedungene Kündigungsfrist abzuwarten.
Nach einer in der eleganten englischen Trille (kleiner, leichter Wagen) mit dem Kutscher auf dem Bocke, unternommenen Rundfahrt, bei welcher Johnny als Sohn und Erbe des Fossegaard, als Reflektor all der stolzen Erinnerungen, die sich an das Geschlecht und den alten Großgaard knüpften, mit seinem sonnigsten Lächeln auftrat – war es in der That geglückt, achttausend Thaler herbeizuschaffen.
Johnnys Aktien konnten in seinem Heimatsorte plötzlich wieder gar nicht besser stehen, nie besser gestanden haben.
War der Fall mit der Pröpstin nicht ein eklatanter Beweis? Da rede man noch von einem Manne, der in diesen Zeiten, ungeachtet er das Recht hat, Kündigungsfrist zu beanspruchen, sofort und auf das erste Wort hin, eine derartige Summe auf den Tisch legt. Die Scheine aus seiner Mühle gingen wie Gold.
Es war ein Moment freieren Aufatmens, der Ruhe, des Friedens. Foß und Cie. sandte im vorhinein Accepte zur Erneuerung der Wechsel nach den vielen, höchst verschiedenartigen Plätzen, wo die Firma Engagements hatte.
Johnny saß wieder hocherhobenen Hauptes in seinem Comptoirstuhle drinnen im Allerheiligsten, traf seine Entscheidungen und war je nach Umständen strenge oder barmherzig und gnädig gegen seine Kunden. Seine schlanke Gestalt mit dem spähenden Blick und der selbstbewußten Haltung wurde wieder an der Dampfschiffstreppe gesehen, vom Boote aus laut grüßend und winkend, die unvermeidliche Cigarre im Munde und die englische Schornsteinröhre tief über den Augen.
Er schlenderte aufs neue umher mit der Miene eines väterlichen Protektors der Stadt und redete von Zukunftsplänen, »sobald die Zeiten nur eine kleine Wendung zum Besseren nehmen würden«, – von Spekulationen in Hausse oder Baisse, wie nicht minder vom Foßhofe, der binnen drei Jahren fertig dastehen sollte.
Die Arbeiten daselbst wurden auch wieder etwas lebhafter in Angriff genommen.
Er hatte ungefähr drei Monate Frist, sich in dem vorübergehenden Glanze zu sonnen und seinen Selbsttäuschungen hinzugeben – bis abermals die Verfallzeit der Wechsel kam.
Henrick erhielt ein Briefchen nach dem andern von Kirsten. Unter den kleinen Leuten dort unten im Städtchen bekam sie gar mancherlei zu sehen und zu hören, das, in Zusammenhang gebracht, ihr die Augen öffnete und ihr nichts weniger als wünschenswert war zu vernehmen.
Sie lag die halben Nächte wach und mußte an den durch die Roggenfelder der Foßhofgründe rauschenden Wind denken, nur einschlummern zu können; und am Morgen erwachte sie wieder mit derselben bangen Sorge, daß es mit Johnny nicht gut bestellt sei.
»Es geht etwas vor, es steht nicht so, wie es sollte, Henrick. Ich merkte es Alette an, als ich neulich Sonnabends dort war, obzwar sie selbst kaum einen klaren Einblick in die Verhältnisse hat. Aber sie schrickt zusammen, sobald er nur die Thüre aufmacht, und blickt ihn ängstlich an und kann die Augen nicht von ihm lassen, so lange er im Zimmer ist.
»Sie saß oben in der Kinderstube, Willi am hellen Vormittage auf dem Schoße, wie es sonst nicht ihre Art ist. Es giebt ja so viel zu schaffen in ihrem großen Hause. Johnny kam hinauf, ihr zu sagen, er müsse mit einigen Freunden im Hotel speisen. Ehe er fort ging, strich er so lieb, wie du weißt, daß es seine Art ist, dem kleinen Willi mit der Hand über den Kopf, und ich sah, daß ihr die Thränen aus den Augen quollen.
»Mir ist so angst, Henrick! Bei deiner Natur widerstreben dir Geschäfte wie die seinen und da wirst du es am Ende auch nicht verstehen, ihm beizuspringen, so lange es noch Zeit ist. Und er hat jetzt doch niemanden, der sich seiner annimmt, seit der Kommissär nicht mehr am Leben.
»Er ist eben gar zu nachgiebig, gegen sich wie gegen andere, und dann von klein auf gewöhnt, daß alles, was ihm durch den Kopf fährt, wie auf Rädern läuft.
»Nein, nein, bei deinem Bruder steht die Sache nimmer gut; mir ahnte das schon, als er mit dem Dach anfing.«
Just in diesem Lichte waren die Umstände auch Henrick, dem das alles schon lange schwer im Sinne lag, erschienen; er brauchte sich nun nicht mehr zu seinem Freunde Anton Johannesen hinab zu bemühen, um einen Einblick zu gewinnen.
Es hatte wiederholter ernster Aufrüttelungen aus seiner Foßhof-Verblendung bedurft, ehe es ihm wie Schuppen von den Augen fiel – ja, nach der Erschütterung bei dem Tode des Vaters verfiel er abermals in dieselbe, verführt von seiner Vertrauensseligkeit zu Johnnys ehrenhaftem, kaufmännischem Gebahren.
Er war sich jetzt klar darüber, daß Marianne gewarnt werden müsse.
Er ging, bleich vor Erregung, zu ihr in den Südflügel hinauf und wies ihr den alles verschlingenden Mahlstrom des Foßhofes; ließ sie den Blick in den Strudel hinabsenken, wie derselbe, so lange sie zurückdenken konnten, seine Wirbel gedreht und über den ganzen Umkreis des Hauses seine dampfenden Nebel abgelagert hatte. Tabakswolken und Toddydunst!
Und in diesem Schlunde der hinabsaugende, hinabschlingende Trichter: das Branntweinglas, der Schnaps der kleine Schluck mit den vielerlei Namen, dem sein Vater verfallen gewesen, vielleicht auch dessen Vater.
Das Gläschen war es, das kleine Gläschen, das jene um Verstand, Moral, Wohlstand und Leben gebracht! Mariannens, Biermanns, Grüners Eigentum, sein eigenes Erbe, Hab und Gut von vertrauensseligen Bürgen in weit, weit längerer Kette, als sein Auge zu übersehen vermochte, – alles und alles dahin. Es mußte als ein Glück betrachtet werden, wenn nicht noch Schmach und Schande in des Verderbens Gefolge kämen.
Er für sein Teil sei bereit, die grobe Friesjacke des Arbeiters anzuziehen, wäre von Herzen froh, wenn endlich etwas Reelles begonnen werden könnte, das festen Grund und Boden unter sich hätte, auf dem ein ehrlicher Mann sorglos und sicher auftreten kann, ohne mit den Stiefelabsätzen durchzubrechen und in den Morast einzusinken.
Henrick sah dabei aus, als wollte er eben den Rock abwerfen und sofort zugreifen.
Marianne saß mit gesenkten, halb geschlossenen Augen da und schlug sie nicht ein einziges Mal zu ihm auf. Sie hätte durch die grellen Bilder, die der Bruder vom Vaterhause vor ihr entrollte – von des Vaters, von Johnnys und aller anderen düsterem Geschick, wohl gerührt oder erschüttert sein sollen. Aber nicht also empfand sie es, wie sie so dasaß, die Zähne übereinander beißend und rote Flecken auf den Wangen oben, gegen die Schläfen zu.
»Denn siehst du, Marianne,« setzte Henrick seine Auseinandersetzungen weiter fort, »davon läßt sich nichts abstreichen. Du magst dich darauf gefaßt machen, alles Gut, das dein Mann dir hinterlassen hat, vom Abgrunde mitverschlungen zu sehen. Es wäre thöricht, es dir verbergen zu wollen. Es ist hin, wie alles miteinander, – wie jeder Heller, – jeder Nagel an der Wand. Da ist es am besten, der Sache gerade ins Auge zu schauen.
»Soviel ich zu beurteilen vermag, bleibt dir nur Gulwiek, diese unbedeutende Besitzung, aus dem Nachlasse der Mutter. Die einzige von uns, die das Ihre behält, ist Hilda. Ihr mütterliches Erbe hat die Obervormundschaft sichergestellt.
»Und so müssen wir denn bei Zeiten, jeder von seiner Seite, mit Besonnenheit gewaffnet sein, um uns von den Dingen nicht überraschen zu lassen.
»Was mich betrifft, so sehe ich mich, sobald ich kann, nach einer Stellung irgendwo um; ich will meine Arbeit hier nicht länger unnütz verschwenden, zu dem alleinigen Zwecke, mit meiner Person eine Schirmwand abzugeben. Andreas reicht als Leiter dieses Betriebes hier in jeder Beziehung aus.«
Er begegnete jetzt endlich einem Blicke Mariannens. – Wie im Starrkrampfe waren ihre Gedanken unbeweglich bei dem einen Eindrucke geblieben. Man hatte sie in doppelter Hinsicht betrogen, – um ihr Glück, indem man sie zu der Heirat mit dem alten Borg zwang, und nun nach der Hand, um all' das mit der freudlosen Ehe Erkaufte, ihr Hab und Gut!
»Nein, Henrick,« stieß sie heiser und außer sich vor Aufregung hervor, »ich werde es niemals dem Vater, niemals Johnny verzeihen!« –
Es wogte und tobte in ihr, während sie so den ganzen Abend, bis tief in die Nacht hinein, in dem großen Gemache auf- und niederschritt.
Als sie endlich ihr Lager aufgesucht, warf sie sich ruhelos auf den Kissen umher und verzehrte sich im Schmerz darüber, wie man ihr Leben verwüstet, sie immer und immer wieder dem Eigennutze geopfert, wie unbarmherzig man sie ausgebeutet hatte!
Wie ein Eisklumpen starrer Verbitterung lag es ihr auf dem Herzen, als sie endlich in später Nachtstunde in Schlummer versank.
Sie erwachte am Morgen nach einem langen, unerquicklichen Schlafe.
Aber sei es nun, daß sie selbst im Schlafe weiter gedacht, daß ihre Gedanken sich unbewußt fortgesponnen, oder war es durch ein Spiel der Träume geschehen, sie hatte einen gewissermaßen tröstlichen Abschlußpunkt gefunden. Der Verlust ihrer Habe, ihrer durch Bastian Borgs Vermögen gesicherten, angesehenen Stellung, – je länger sie diese Thatsachen erwog und darüber brütete, desto mächtiger überkam sie eine Empfindung, als hätte sie eine schwere, drückende Bürde abgeworfen, um ein beseligendes Gefühl der Erleichterung und der Befreiung einzutauschen, an das sie kaum zu glauben gewagt.
Es schien ihr, als verflüchtige sich mit Bastians Geld, auch das drohende Bild ihres verstorbenen Gatten, samt allen Verpflichtungen gegen den Toten und allen Gewissensskrupeln.
Sie horchte und horchte in ihr Inneres hinein, mit Beben, sozusagen, jeden Daumen breit und jede Fuge in sich prüfend und betastend, ob das Gespenst nicht doch noch aus irgend einem Schlupfwinkel hervorzusteigen vermöchte.
Nach mehreren Tagen erst, nachdem sie mit stillem Bangen umhergegangen, sich selbst erforscht und belauscht, um sich vor Selbsttrug zu hüten, wagte sie anfangs schüchtern, doch immer mehr und mehr, sich der wachsenden, glückseligen Freude hinzugeben.
Mitten unter den trüben Verhältnissen einer unabwendbar hereinbrechenden Katastrophe genoß Marianne einiger Wochen beglückten, zitternden Hoffens, des wiederbelebenden Gefühls, daß die Welt ihr zuletzt denn doch noch an dem großen Schatz von Lebensfreude ihren Anteil gewahrt habe.
Er, den aus ihren Gedanken zu verdrängen sie so hart mit sich gekämpft, trat in ihrer Seele nun wieder in den Vordergrund.
Gleich nach ihrer Begegnung im Herbste vor nun zwei Jahren, hatte sich Ferdinand Wiese ins Ausland begeben, um in Dundee, in Hartlepool und anderen englischen Häfen Schiffsbau zu studieren, währenddessen sein jüngerer Bruder daheim dem Geschäfte Vorstand. Erst nach einer Abwesenheit von über einem Jahre hatte er einen kurzen Abstecher in die Heimat gemacht, um alsbald wieder nach Dundee zurückzukehren, wo er sich im Hause seines Onkels aufhielt.
Und jetzt im Herbste, – es fehlten kaum noch vier Wochen bis dahin, – wurde er in der Heimat zu dauerndem Aufenthalte zurückerwartet.
Es schwebte ihr, schattenhaft wie ein Traum, ein Brief vor, – ein Brief, den sie ihm entgegensenden wollte – mit nur einem einzigen Worte als Inhalt: »Ferdinand!«
Kandidat Hysing täuschte sich nicht, wenn es ihm vorkam, daß sich Mariannens Augensterne unter den gesenkten, mit langen Wimpern wie mit Fransen eingefaßten Lidern regten, als beschäftige, ja als ergötze sie etwas. Ihr ganzes Wesen hatte heute etwas so Frisches, Neues, Lebensvolles.
Es war ihm soeben geglückt, sie beim Erdbeerbeet, zwischen dem Lusthause und dem Gartenzaun, »zu isolieren« und von der Treppe abzuschneiden. Und er hatte die Gelegenheit gefunden, die er in letzter Zeit wiederholt gesucht, Marianne in optima forma seinen Heiratsantrag zu machen.
Da stand er, von der Unwiderstehlichkeit seiner nach den besten klassischen Mustern gebildeten Beredsamkeit, von dem zuverlässigen Erfolge seiner Werbung aufs tiefste durchdrungen, und Marianne betrachtete ihn mit einer prüfenden Neugierde. Er kam ihr vor, als entstamme er einer andern Welt, einer Welt, in der man nur für geistreiche Spitzfindigkeit, nebelhafte Gedanken und unterschiedliche scharfsinnige Thesen und Behauptungen lebte und schwärmte, und als ob aus deren Höhen der Redner auf all das niedrige Irdische herabsähe. O, wie der am Hochzeitstage mit seiner jungen Frau gelehrte Meinungen austauschen würde!
Marianne fühlte sich so glücklich in dieser Zeit, daß sie sich einen Augenblick vergaß und unbarmherzig wurde. Doch kleidete sie ihre Antwort in einen milden Ton. Es kam ein bestimmtes, ernstes Nein von ihren Lippen.
»Aber weshalb?« fragte der Kandidat voller Erstaunen und Entrüstung. »Ich darf doch bitten, mir einen Grund anzugeben? – Sie sind es mir schuldig, Frau Borg, es mir zu sagen, was Sie einzuwenden haben könnten, – – nur einen einzigen haltbaren Grund möchte ich wissen.«
Er hatte wie zu einem energischen Kampfe seine schmächtige Gestalt emporgereckt und stand bereit seine Sache weiter zu verfechten. Offenbar schien er der Meinung, er müsse die junge Frau überzeugt und sie geradezu von allen Seiten logisch eingeschlossen haben.
»Ich will Ihnen einen Grund sagen und Ihnen mit Ihrer eigenen Behauptung antworten, Herr Hysing,« erwiderte sie mit einem leichten Lächeln, indem sie sich zum Gehen wendete: »Weil wir Frauen häufig so unlogisch sind.«
Wie sehr nun auch die drohende Zukunft Mariannens Umgebung niederdrückte und auch die junge Frau selbst nicht unberührt ließ, so erhob sich letztere dennoch mit stets wachsendem Mut und festerer Zuversicht, um allem und jedem, was noch von außen anstürmen konnte, unbeirrt zu begegnen. Sie rechtete nicht länger mit dem Geschick; sie wollte sich aber auch nicht wieder niederbeugen lassen.
Sie begann ja eigentlich erst jetzt zu leben, und es schwindelte ihr manchmal der Kopf, weil es ihr bisher so ungewohnt gewesen, um sich her zu schauen, nachzudenken, Pläne für die Zukunft in Bezug auf etwas zu schmieden, wofür ihr Herz sich wirklich erwärmen, das sie mit voller Freude erfassen konnte.
Sie wurde es erst jetzt inne, in welchem Grade ihr ganzes Leben in stumpfer Gleichgültigkeit dahingegangen war. Welches Ziel hatte sie vor Augen gehabt? Nur das, in Ruhe zu vegetieren, sich durch etwas Geselligkeit zu zerstreuen und ihre Renten zu beziehen.
Und nun? Zukunftspläne! – Arbeit! – Sie wollte mit all der in ihr aufgespeicherten Kraft teilnehmen an der Thätigkeit des energischen Mannes.
Sie war eben ein ganz anderes Wesen geworden. Sie schritt zuversichtlich dahin und harrte des Kommenden in all der Leidenschaftlichkeit, dem Ungestüm, dem Bangen der Ungewißheit, mit dem ein Mensch der Erfüllung seines seligsten Lebenstraumes entgegenzuharren vermag.
Es war Nachmittagsgesellschaft beim Vogte, und Marianne saß heiter und angeregt am Theetische. Eben trat der Hausherr ein. Er schwang einen Brief in der Hand und forderte die Gesellschaft auf, seine große Neuigkeit zu erraten.
»Großvater geworden? – Beförderung?« überschrie fragend der Major in der Hitze seines Eifers alle anderen.
»Eine Verlobung!« schaltete Frau Biermann ein. »O, Vogt, heraus damit; ich sehe es Ihnen an, – eine Verlobung!«
»Ei, wohl!« Die Spannung hatte einen hohen Grad erreicht.
»Keine Verlobung,« – der Vogt hielt zwei Photographien in die Höhe, – »aber eine Vermählung! Unser alter Freund Ferdinand Wiese hat sich dieser Tage drüben in Dundee mit seiner Cousine verehelicht und ist nun auf der Heimreise begriffen.«
Das war allerdings eine Neuigkeit, die Sensation erregte, eine großartige Neuigkeit. – Eine Cousine drüben in Dundee!
Alles war von der Nachricht lebhaft erfüllt. Marianne saß da, bleich, ein krampfhaftes Lächeln umspielte ihren Mund.
»Keine Tasse Thee mehr, Frau Borg?« Sie dankte und besichtigte die Porträts, die von Hand zu Hand gegangen waren und endlich auf dem Tische vor ihr liegen blieben.
Sie sah den Abend über den Major und die anderen wie durch einen Nebel, plauderte mit ihnen, lächelte, so oft sie lächeln sollte, und blieb mit einem Worte gesellschaftlich korrekt. –
»Hohl wie eine taube Nuß! – Gott verdamme mich, – daß der schimmlige Staub nur so herausdampft!«
Der Zollinspektor war voll Geifer und that sich recht vom Herzen gütlich in dieser Zeit der schlimmen Gerüchte. Er hörte nicht auf, sich über Foß & Cie.'s Geschäfte auszulassen. Das war wie ein Proviantsack für seine Schmähsucht, in der er pêle-mêle die ganze Familie Foß – den alten Grüner nicht ausgenommen – hineingethan.
»Ein netter Junge das, – ein netter Junge, – ein kostbarer Junge!« Er schwang den Stock zornig in der Luft, als wollte er auf jemanden losschlagen.
»Und nun – noch dieser sein letzter Verheerungszug – mit Wagen und Kutscher, – daß die Messingbeschläge des Geschirrs nur so durch das Thal hin blitzten! Bei uns fuhr er hübsch vorbei; natürlich, wir sind nicht so vertrauensduselig, wir! – Und so ging's fort. Heisa, hopsa, hussa! Schändlich!« Er starrte dem ihm gegenüberstehenden Zuhörer mit tückischer Schadenfreude in die Augen. »Der Bursche nahm Euch auf der Fahrt, – hui! nur so mit einem Federstrich,« – der Alte machte mit der Hand eine schwungvolle, schreibende Bewegung in der Luft, – »das halbe oder ganze Gehöft mit sich … Das nenn' ich mir eine radikale Ausräumung, das! Und daraufhin schaffte er sich Kredit unten in der Bank, man spricht von zwanzigtausend Thalern; und daraufhin gab er Gesellschaften und Schmausereien, bis … krach!« – Er krümmte den Oberleib, die Hände an die Kinnbacken haltend, als schmerzten ihn beim Aufknacken einer überharten Nuß die Zähne. – »Nichts als modriger Schimmel mufft einem entgegen! – – Und, – hi – hi – hi – Herr Robarth, der so schöne Verse dichtete, – nun wird er sich mit der dürren Prosa vertraut machen müssen.« –
Die kurze Zeit des Friedens und schönen Wetters, die Johnny genossen, war vorüber. Er fuhr wieder unter allen möglichen Schwierigkeiten, Prolongationen zu erwirken, in Herbstnässe und Schnee- und Regenschauern, den Kragen des langen, grauen Paletots über die Ohren hinaufgeschlagen, den Cigarrenstumpf im Munde und verschiedene Glas Portwein im Leibe, auf die hunderterlei Geschäfte aus, durch die er sich den lieben langen Tag über zu winden und zu schmiegen hatte.
Kluge, vertraute Geschäftsfreunde waren gezwungen, ihre Unterschriften auch weiter herzugeben, obwohl sie die Situation durchschautem; sie riskierten im andern Falle selbst alles, und fanden vorläufig ihre Rechnung dabei, mit lauten Stimmen die Kreditwürdigkeit der Firma Foß & Cie. zu behaupten. Sie luden einander zu Gesellschaften ein, schüttelten sich die Hände und zeigten sich um das Befinden der beiderseitigen Familien überaus besorgt. Die Gattinnen waren herzinnige Freundinnen, doch in ihrem Innern wußten sie alle nur zu wohl, daß sie keinen Augenblick Anstand nehmen würden, einander nackt auf die Straße zu stoßen, sofern sie sich dadurch nur selbst zu retten vermöchten.
Aber da ließ sich eben nichts thun, – sie mußten über den unterhöhlten Boden hinweg sich die Hände reichen und – auf Johnny hoffen. War es doch immer möglich, daß er in der letzten Stunde noch ein Wunder wirke. Seine Anweisungen von der Mühle gingen ja und wurden bei Buaas vollwertig honoriert. Es handelte sich dabei allerdings nur um kleine Beträge; allein es erbrachte doch sozusagen den täglichen Beweis, daß Foß & Cie.'s Kredit bei besonnenen Leuten noch immer fest stehe; denn Buaas warf sein Geld nicht ins Wasser, darauf konnte man sich verlassen.
Das war eine schlimme Zeit für Johnny, diese zwei Monate vor Weihnachten! Eine solche Hochflut von Sorgen und Verlegenheiten war noch nie über ihn hereingebrochen. Zweifel, Zurückhaltung, Mißtrauen begegneten ihm von Seiten aller Firmen, mit denen er in Verbindung stand. Telegramme ganz verfänglicher Art kamen ihm zu, und er fragte sich nur, ob die Telegraphisten auch ihrer Pflicht des Amtsgeheimnisses eingedenk bleiben würden?
Zu Hause begegnete ihm stets ein seltsam bleiches, forschendes Antlitz, dem er am liebsten ausgewichen wäre.
»Du quälst mich, Alette, du siehst mich so ängstlich forschend an,« brach er eines Tages ungeduldig los. »Kannst du denn gar nicht verstehen, daß ich an allerlei zu denken habe, jetzt, wo die Zeiten so schlecht sind, für mich wie für alle anderen?«
Es war ihm beinahe eine Erleichterung, als sie einen besonderen Grund für ihre Beängstigung vorschützte. Es gingen, meinte sie, viele Kinderkrankheiten in der Stadt um, Scharlachfieber und Diphteritis, und er möchte sich nicht daran kehren, daß sie ein wenig beunruhigt sei.
Am Abend, nachdem sich die Leute aus dem Comptoir entfernt hatten, saß er allein hinter den geschlossenen Fensterläden und arbeitete; vor ihm, neben der Kopierpresse auf dem Tische, stand die Spiritusmaschine mit dem brodelnden Wasser für seinen Toddy. Es galt, den Verlegenheiten an allen Ecken und Enden zu begegnen, die Contenance nicht zu verlieren; er mußte thun, als verstehe er nicht, wenn die Geschäftsfreunde ihn höflich kalt drängten und schraubten, ihn zwangen, die letzten rettenden Hilfsquellen zu erschöpfen, während Verfallstermine nicht wieder zu prolongierender Wechsel über seinem Haupte drohten.
Am heutigen Abend brütete er nun über einen abermaligen Ausweg zu seiner Rettung. – Brechen oder Biegen, dies stand mit Flammenschrift vor seinen Augen.
Ein Schreiben der Privatbank aus Dal lag vor ihm, im Namen der Bank selbst wie in ihrer Eigenschaft als Vertreterin eines Londoner Hauses an ihn gerichtet.
Die wenigen formellen Zeilen auf dem großen, blauen, mit der Firma versehenen Postpapier hatte er seit dem Vormittage wieder und wieder gelesen, als wollte er sie durchdringen und hinter den Buchstaben im Antlitze des Bankchefs lesen. Waren es bloße Mahnredensarten, eine Art Schreckschuß, diese Worte, daß die fälligen Wechsel unverzüglich eingelöst, oder wenigstens eine größere Abschlagssumme erlegt werden müsse, sollte die Bank sich nicht in die Notwendigkeit versetzt sehen, zu ihrer Sicherstellung sich an die Borgschen Besitzungen und den Foßhof zu halten?
Der Bankchef war ja sein guter Freund und konnte es doch nicht geradezu darauf abgesehen haben, ihn zu ruinieren.
Er notierte die am wenigsten engagierten Namen aus der Schar seiner Freunde in der Stadt, fügte einige Bürgschaften hinzu, die aus der Ferne her einen gewissen Klang haben konnten, und spekulierte darauf, Hildas Erbe in Aussicht zu stellen, sobald sie nächsten Sommer das Alter erreicht haben würde, darüber zu verfügen.
Aber hinreisen mußte er unter allen Umständen, und das unverzüglich – in aller Frühe, mit dem ersten Dampfschiffe. Jedem kreditschädigenden Schritte mußte, und koste es was es wolle, vorgebeugt werden, – sonst war der Ruin da.
Nach wiederholtem Überlegen hatte er das einzureichende Gesuch derart stilisiert, wie er dachte, daß es, unterstützt von seiner persönlichen Gegenwart und dem letzten, gewichtigen Überredungsgrunde, – der in Aussicht zu stellenden Erbschaft Hildas, – seine Wirkung nicht verfehlen würde.
Es war über elf Uhr nachts, als er endlich nach Hause kam und Alette hastig von seiner vor Tagesanbruch anzutretenden Abreise in Kenntnis setzte.
Sie stand unschlüssig vor ihm und blickte ihn an.
»Willy hat einen sehr häßlichen Husten.«
»Ich brauche bloß den Handkoffer.«
»Es ist nicht gerade die Bräune; aber er hat ein so abscheuliches Rasseln in der Kehle, und so wollte ich nicht länger zögern und habe nach dem Doktor geschickt.«
»Willy?« Erst jetzt faßte er den Sinn ihrer Worte. »Bräune? – Ach, was du dir nicht gleich alles einbildest! Du solltest dich in deiner Ängstlichkeit etwas zu mäßigen suchen, Alette! Weil er vielleicht ein wenig hörbarer Atem holt, was alle Kinder beim Husten thun, bist du gleich aus dem Häuschen.«
Er fing an einzupacken, hatte aber doch keine rechte Ruhe, ehe er nicht drinnen im Schlafzimmer gewesen und nach Willy gesehen hatte.
Da saß Alette, über das Kinderbettchen gebeugt, er konnte ihr Antlitz nicht wahrnehmen; sie weinte wohl, – und, mehr und mehr erschrocken, horchte er hin. Man konnte sich keiner Täuschung darüber hingeben; der Knabe atmete schwer und mit einem rasselnden Geräusch in der wie zugeschnürten Kehle.
»Der Doktor muß sofort kommen, es geht nicht an, noch länger auf ihn zu warten,« sprach er. Im Nu hatte er den Überrock übergethan und war fort, zur Gangthüre hinaus.
Er holte den Arzt mitten aus einer Gesellschaft.
»Ich muß zeitig in der Frühe mit dem Dampfschiff fort,« erzählte er demselben unterwegs, – »soll mir nicht ein bedeutender Gewinn entgehen. Es ist eine Sache von großer Wichtigkeit, von Pflicht, Doktor, in diesen Zeiten.«
Der Arzt fand den Zustand des Kindes bedenklich; es litt an einem Anfall von Bräune.
Kübel mit warmem Wasser wurden an das Bett des Kindes gestellt, um das Atemholen zu erleichtern.
Johnny saß in Verzweiflung am Krankenlager und hielt bald die Hand des Kleinen umfaßt, bald ließ er sie wieder los, während Stunde um Stunde der Nacht in unausgesetztem Bangen verrann. »Willy, mein Herzensjunge, lieber, kleiner Willy!«
Willy war dasjenige unter den Kindern, für das Johnny die meiste Schwäche hatte.
Mitten in all der Verstellung und Lüge, in deren Schlamm er Tag für Tag watete, gab es hier ein Verhältnis, wo er wahr, wo er ein Mensch sein durfte. Ein schneidender Schmerz zerwühlte sein Inneres, dessen wilder Ausbruch immer und immer wieder mit Gewalt zurückgedämmt werden mußte.
Er konnte hier bei dem Knaben bis ein Viertel, bis zwölf, elf Minuten vor sechs verweilen, – dann mußte er die Maske wieder vors Antlitz nehmen und fort, – ob auch das junge Leben verendete.
»Ich muß reisen,« flüsterte er Alette zu, sanft ihre Hand drückend. Er saß vornübergebeugt und erstickte das krampfhafte Schluchzen, das hervorbrechen wollte.
Und sie versetzte, daß sie es einsehe, vollkommen einsehe. Es stehe vielleicht mit dem Kinde nicht so gefährlich, als sie befürchteten.
Er fühlte sich ganz überzeugt, daß dem so sei. Aber des Knaben Hand ließ er nun nicht mehr los, außer wenn dieser nun öfter und öfter nach Luft rang.
Die Lampe stand hinter dem Bette und Alettes Schatten bewegte sich sachte bald in, bald außer deren Schein auf dem Teppich hin und her, während die Thüre ab und zu leise von dem Arzt, der draußen auf dem Sofa schlief, geöffnet wurde.
Der Zustand verschlimmerte sich zusehends, und der Arzt fand es gegen Morgen für notwendig, eine künstliche Luftröhre anzubringen.
Die Dampfschiffpfeife ertönte eben, als die Operation vorgenommen werden sollte.
Johnny küßte den kleinen in der Luft fechtenden Arm des Kindes, strich über die schweißige, heiße Stirn und das feuchtklebrige Haar und –
»Adieu, Alette! Du telegraphierst, adressierst an das Dampfschiff ›Nordstern‹. Ich bin ungefähr zur Mittagszeit in Vierdal.«
Er stürzte in der allerletzten Minute fort.
Am Bord des Schiffes verlangte er eine Koje; er hätte die ganze Nacht, sagte er dem Kapitän, bei seinem kranken Kinde gewacht.
Nachdem er in der Morgenkälte einige Glas Portwein hinuntergestürzt, lag er drinnen in der Koje, von der ganzen Welt in diesem engen Verschlage abgeschieden, und lauschte dem betäubenden Schwall des Meeres, dessen Wogen schäumend an die Seiten des Schiffes schlugen, wie dem monotonen Kolbenschlag der Maschine, der sich mehr und mehr zu einer einförmigen Melodie verwandelte: Foß & Cie. – Foß & Cie.
Als der Dampfer »Nordstern« gegen Mittag rauschend in den Hafen von Vierdal einfuhr, stand Johnny in eleganter Reisekleidung am Fallreep, innen und äußerlich gerüstet, sich geradeaus in den Kampf zu stürzen. Er wußte, daß die Bureaustunden in der Bank früh endeten.
Während er eilends über das Landungsbrett wegschritt, kam ihm der Telegraphenbote entgegen und händigte ihm ein Telegramm ein.
In einer Angst, die sein Blut erstarren machte, ging er ein Stück über die Brücke vorwärts, – unschlüssig, ob er mit dem Öffnen des Telegramms nicht lieber warten sollte, bis es drüben in der Bank vorüber wäre. Er steckte es in die Tasche und holte es ein paarmal wieder hervor, stand einen Augenblick beklommen still und riß das Couvert auf.
Er starrte auf die Worte, bis sie in einem Nebel vor ihm zusammenliefen; er fühlte etwas Dumpfschweres an seine Brust fassen und sie zusammenschnüren; er mußte gewaltsam die Thränen zurückhalten, die ihm in den Augen brannten.
Alette telegraphierte, daß ihr kleiner Willy um halb elf Uhr vormittags hinübergegangen sei, bat ihn, es mit Fassung zu ertragen, vertraute auf Gott, daß sie selbst die Kraft finden würde, sich darein zu ergeben. –
Er sah nichts weiter vor Thränen, die ihn blendeten, und sein Atem kam schluchzend, während er mechanisch seinen Weg fortsetzte. Als er von weitem das weiße Gebäude der Privatbank erblickte, war er nahe daran, an der Ecke wieder umzukehren, eilte aber dennoch hastig vorwärts.
»Als ob ich nicht gewohnt wäre, glühende Kohlen zu verschlucken, ohne den Mund zu verziehen,« stieß er bitter hervor. »Guter Junge, du bist bewahrt davor, du – – dir ist wohl – bist glücklicher als dein Vater.«
Er schritt geradenwegs dem großen, gelben Thore der Bank zu, hinein durch das Vestibüle und – freundschaftlich, siegesgewiß, nur ein wenig verwundert thuend, auf seinen Freund, den Bankchef, los, dessen Hand er drinnen im Direktionszimmer schüttelte. – Wahrhaftig, erklärte er, der Freund habe ihm mit seiner gestrigen Zuschrift einen förmlichen Schrecken eingejagt. Deshalb wäre er direkt mit dem ersten Dampfschiffe heute Morgen hierhergeeilt mit – er entnahm seiner Brieftasche das zu überreichende Gesuch – einem, wie er hoffe, vollkommen acceptablen Vorschlage zur Beilegung der Sache. Er biete eine bedeutende Verstärkung der gebotenen Sicherheiten an, bekannte Firmen, und hoffe, daß der Herr Bankchef sich ein wenig einsetzen werde für einen – Freund, namentlich in Zeiten, wie den gegenwärtigen.
Der Bankchef war ein Herr in mittleren Jahren, mit Blondhaar und Blondbart und von seemännischem Aussehen. Es lag eine Art breite, biedere Gutmütigkeit in seinem Wesen, zugleich aber etwas scharf Durchdringendes in seinen Augen, die sich wohl zum Auslugen zu eignen schienen, sei es zur See, sei es in Geschäften. Er hatte sein Vermögen größtenteils durch eigene Thätigkeit begründet, und er und Johnny waren alte Freunde vom Yachtklub her.
Nun drehte er den Brief zwischen den Händen und blickte nachdenklich zu Boden, während Johnny im Lehnstuhle seiner Antwort harrte.
Es währte etwas lange, und Johnny begann nervös mit den übereinandergeschlagenen Beinen zu schaukeln.
»Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß es ein Beschluß ist, der von dem ganzen versammelten Direktorium gefaßt wurde,« sagte der Bankchef und schlug die Augen zu dem Gast auf.
»So, – ja, – eine Redensart, – und das Direktorium, das sind doch wieder nur Sie.«
Johnny wußte, daß er bei aller scheinbaren Derbheit ein Kompliment sagte, welches die schwache Seite traf.
Die Augen des Bankchefs starrten abermals einen Augenblick vor sich hin, als gehe er mit sich zu Rate.
»Es sind hier allerlei Gerüchte verbreitet, welche die Leute schrecken. – Man sagt, daß Sie oben am Foßhof wie toll darauf losbauen.«
»O, – pah, – Sie können sich leicht vorstellen, was in Wirklichkeit an der Sache ist; in anderthalb Jahren geschah nichts weiter, als daß das Dach abgetragen wurde, – keine sechshundert Thaler hat das gekostet.«
»Natürlich, ganz, wie ich mir's dachte. – Nur so um den Kredit zu unterstützen, – nicht wahr? – Der war eines Hebels bedürftig.«
Der Bankchef sandte ihm einen Blick zu, wie ihn Johnny diesem Manne niemals zugetraut haben würde; ihm war, als dringe er prüfend tief in sein Inneres.
»Begreife nicht, weshalb nicht Ihre eigene Bank, die Ihnen doch so viel näher ist, mit Ihren Papieren beglückt wurde,« rief der Bankchef unwillig aus.
»O, das wird ein Mann wie Sie wohl besser als sonst wer begreifen können, – weil sie nicht mit genügend großem Kapital arbeitet.«
»Zählte Ihnen aber denn doch vor wenigen Monaten ohne weiteres bare achttausend Thaler auf den Tisch, – gegen Sicherheiten ganz eigener Art, wie ich hörte.«
Johnny wurde rot.
»Ja, sehen Sie,« fuhr der Bankchef fort, »lauter solche Gerüchte! – Und dann dieses Mühlengut. Die Geschichte mit den Anweisungen an den Kaufmann, – ich entsinne mich nicht, wie er heißt, – riecht nicht gut in die Nase. – Sagen Sie mir aufrichtig, wieviel Prozente zahlen Sie?«
»Leeres Getratsche, dem Sie Gehör schenken, – nicht einen roten Heller!« war Johnnys aufrichtige Erwiderung. »Schändlich!« fügte er indigniert hinzu. Die Haarwurzeln wurden ihm feucht vor Schweiß, da er seine Angelegenheiten so durchspäht sah.
»Mag sein –, ich persönlich glaube Ihnen natürlich; aber alle diese Namen hier,« – er deutete mit einer raschen, geringschätzigen Bewegung auf den Brief, – »und all dieser Abhub zusammengeraffter Bürgschaften; – Sie müssen selbst einsehen, daß die Bank denselben nur so lange annehmen konnte, als sie ihn nicht für das hielt, was er in Wirklichkeit ist, – neuen Zuwachs zu dem Plunder, den sie schon hat.«
»Hm, hm!« – Johnny räusperte sich und richtete sich gekränkt in dem Lehnstuhle auf, nicht ohne eine gewisse selbstbewußte Würde, die andeuten sollte, daß er müde sei, sich auf diese wegwerfende Weise behandeln zu lassen.
Es war der letzte entscheidende Schlag, der nun geführt werden sollte.
Er sah dem Bankchef steif und kalt ins Auge, – mochte dieser in seinem Innern nun über ihn denken, wie er wollte, – und erklärte, so sei er denn bereit, der Bank einen mit deren Interesse in vollem Einklange stehenden Antrag zu stellen. Er that das Angebot, binnen zwei oder drei Monaten die Sicherheiten durch Verpfändung von – Hildas Erbanteil, neun bis zehntausend Thaler, zu verstärken, sobald sie mündig sein würde, um die Vollmacht dazu ausstellen zu können.
»Interesse der Bank, – möglich, Herr Foß, – aber auch das Gegenteil.« Der Bankchef trat dicht an Johnny heran und fragte: »Verlangen Sie, daß ich diesen Vorschlag dem Direktorium vorlege?«
Johnny starrte auf den Boden. Er sah Ruin und Schande vor sich, – alles, alles hing an einem Haare.
»Im Notfalle ja,« kam es endlich von seinen Lippen, »wenn Sie nicht zu bewegen sein sollten, mir die Prolongation ohne dieses, auf eigene Verantwortung zu erwirken. Ich bitte Sie zu bedenken, daß es sich hier um den Ruin einer ganzen, angesehenen Familie handelt – und,« – halb stieß er es unfreiwillig hervor, halb demütigte er sich zu diesem Appell, – »mein Kind ist mir heute gestorben; ich mußte fort während seines Todeskampfes.«
Der Bankchef stand eine Weile und betrachtete den bleichen Mann, der wie gebrochen im Lehnstuhle saß; dann sagte er mit etwas wie leiser Rührung in der Stimme:
»Ich glaube, Ihnen und Ihrer Familie sowie der Bank den besten Dienst zu erweisen, wenn ich auf Ihr Ansuchen nicht eingehe. – Sagen Sie Konkurs an, Herr Foß!«
Johnny schüttelte den Kopf.
»Sie glauben doch nicht, daß Sie imstande wären, sich noch auf Jahre hinaus zu halten?« fragte der Bankchef weiter.
Johnny richtete sich steif, wie um Widerspruch zu erheben, in die Höhe.
»Wissen Sie, daß Sie wie ein Raubtier sind, das kein Recht hat, zu existieren?« herrschte ihn jener brutal an.
Johnny fuhr von seinem Sessel empor.
»Ich meine, Sie haben eine zu gut angelegte Natur, um länger so fortzufahren, Herr Foß!« Der Bankchef begegnete in Johnnys Mienen dem Versuch einer neuen, trotzigen Abweisung … »Ja, melden Sie nicht selbst Konkurs an, so wird von seiten der Bank hier das Verlangen gestellt werden,« lautete die scharfe, bestimmte Erklärung … »Wir haben leider nur zu gegründeten Anlaß zu einem solchen Vorgehen …«
»Ich soll mein Kind begraben,« flüsterte Johnny leise.
»Wir wollen acht Tage warten … Und damit muß ich unsere Konferenz als geschlossen betrachten, Herr Foß!«
Der Bankchef geleitete ihn höflich zur Thüre hinaus.
Man befand sich noch unter dem ersten Eindrucke der verblüffenden Nachricht, daß der Stadtvogt des Morgens um acht Uhr mit Zeugen bei Foß & Cie. erschienen sei und daselbst an alles die Siegel gelegt habe.
Kleine Gruppen zu zwei oder drei sammelten sich in der Straße, auf den Treppen, in den Thoren und stahlen sich dann einzelnweise und auf verschiedenen Umwegen hin, um mit eigenen Augen zu sehen, daß die Fenster des Comptoirs von Foß & Cie. wirklich mit Eisenstangen quer vor den Laden geschlossen waren.
Und von da eilte und schlenderte oder ging man wie geschäftsmäßig hinab zu den Packhäusern, um sich auch dort von dem Vorhandensein der Eisenstangen, Schlösser und Siegel an den Thüren zu überzeugen; man blieb dann an der Schiffbrücke stehen; es kamen immer mehr und mehr Leute, begierig zu erfahren, wie es sich denn mit den beiden Briggs der Firma, die im Hafen lagen und für den Winter abgetakelt werden sollten, verhielt, ob auch diese mit Beschlag belegt worden seien.
Prahmen stießen von dort ab, nach verschiedenen Seiten ans Land rudernd. Ja wohl, man hatte sich hinreichend überzeugt. Jetzt galt es nur, rasch zu den Seinen heim zu eilen und die Neuigkeit brühwarm zu überbringen.
Foß & Cie., – das hieß beinahe so viel als der ganze moderne Teil der Stadt. Nicht eine Unternehmung, nicht eine Fabrik oder irgendwelches bedeutende Handelsprojekt, bei dem Johnny nicht, sei es bei der Leitung oder als Aktionär beteiligt gewesen wäre.
Auf seine nimmermüde, keinerlei ängstliches Bedenken kennende Rührigkeit war im Grunde alle die rege Bewegung, welche unter den jungen Firmen geherrscht, zurückzuführen. Von seiner Unternehmungslust mit fortgerissen, hatte man unentwegt Papierwerte geschaffen und so den überraschenden Aufschwung im merkantilen Leben hervorgerufen, der in letzter Zeit der Stadt seinen Stempel aufgedrückt.
Beinahe alle die neuen, großen Häuser längs des Hafens und auf dem Markte waren in den letzten zehn bis zwölf Jahren entstanden und im Besitze der neu emporgekommenen kommerziellen Größen. Auf dem Papier! – behaupteten wohl einige der veralteten Kaufleute aus der Zopfzeit, die noch in den gartenumgebenen Balkenhäusern mit den spitzen Dächern in den engen Straßen und Gäßchen drüben auf der Flußseite wohnten.
Das Ereignis wirkte beinahe lähmend und wurde denselben Tag sozusagen nur flüsternd erörtert.
Es gab Firmen, von denen man fürchtete, sie würden mitgerissen werden, und andere, von denen sich hoffen ließ, daß sie es überstehen dürften.
Die Stadt schwebte in Sorge und Angst. Gerüchte tauchten auf, schwirrten umher und verschwanden wieder; immer wilder und ungereimter ging es so die ganze Woche lang. Alles, bis hinab zu dem Arbeitervolke in den Winkelgäßchen, war wie im Fieber.
Sonntags hieß es in der Stadt, Johnny Foß hätte den ganzen Wirrwarr doch wieder in Ordnung gebracht. Seine Feinde versuchten ihn zu stürzen, er aber hätte ihnen haarklein bewiesen, daß ihm für den Foßhof hunderttausende zu Gebote ständen.
Man war nahe daran, diese Nachricht mit einem Hurra für Johnny Foß zu beantworten. Und wahrhaftig, thäten seine Comptoirthüren sich nur erst wieder auf, in Prozessionen würde man zu ihm hinziehen.
Gab es denn jemand im Orte, der so bekannt und beliebt, wie der Großhändler Foß; gab es jemand, dem die Stadt nur halb so vielen Dank schuldete als ihm?
Am Montag sprach man schon nicht mehr so. Eisenstangen und Hängeschlösser und Siegel befanden sich in der Hafenstraße an fünf Comptoiren in der Reihe, an zweien oben bei der Kirche, und drüben bei Söborgs auf der Schiffswerfte wurde nun gleichfalls von Gerichtswegen eingeschritten.
Und Konsul Grüner und Biermann vom Sägewerk sollten aus der Handelsliste gestrichen sein. Die Tragweite des Unglücks ließe sich gar nicht ermessen, hieß es nun.
Gerüchte über die Verzweiflung der Armen, die da fallit geworden, drangen durch Wände und Thüren unter die Leute.
Wiggers & Söhne wären verschwunden, und Kaufmann Olafse hätte versucht, sich das Leben zu nehmen, erzählte man sich.
Und was war die Ursache all dieses Unglücks? – Was anders, als Johnny Foß' ruchlose, leichtfertige Geschäftsgebarung!
Die geschlossenen Laden erschienen als ebensoviele schwere Anklagen. Die Besitzer waren von Johnny Foß mitgerissen worden; die Armen hatten sich blenden lassen von Johnny Foß, hatten sich falsche Vorstellungen beibringen, hatten sich betrügen lassen von Johnny Foß. Seine glatte Zunge, seine kaltblütige Ausbeutung ihres Kredits bis aufs alleräußerste, während er mit der Miene des Freundes in ihrem Hause verkehrte, bei ihren Kindern zu Gevatter stand, – das hatte sie in den Ruin getrieben.
Daß sie auch an seinem Kredit nach besten Kräften gemolken, war mit einemmale rein vergessen, wie ein Hauch zerstoben; die Situation erheischte eben unabweislich ihren Sündenbock.
Die ganze Stadt, von den obersten bis zu den untersten Kreisen, war mit wahrem Fanatismus in ihrem Urteile einig. Nur zu denken, wie viele Menschen dieser Johnny aufs Trockene gesetzt hatte, wie viele nun zur Winterszeit brotlos und ohne Arbeit dem Elend entgegenstarrten!
Man zählte die Gesellschaften auf, die er gegeben, die Schmausereien, bei denen er für anderer Geld gepraßt; man sprach von den Weinen, von dem Champagner.
Man erzählte sich, daß er allein sieben Überröcke besäße, des Luxus an Guttaperchamänteln gar nicht zu gedenken, – und erst die Kleider seiner Frau! Sie starrte ja förmlich von Seide.
Und Johnny bekam es zu fühlen, daß die öffentliche Meinung Macht besitze. Bei jedem, wenn auch noch so flüchtigen Versuche einer Berührung mit der Außenwelt, zeigten sich ihm allenthalben eiskalte Mienen und Blicke, welche zu sagen schienen, er sei eine Schlange, die zertreten zu werden verdiene. Es war eine Kette von Demütigungen, denen er sich zu unterziehen hatte.
Als eine besondere Gnade gestand man ihm bis zur Erledigung des Konkurses ein paar Eckzimmer oben auf dem Foßhofe als freie Wohnung, sowie etwas unentbehrliches Hausgeräte nebst vier Silberlöffeln zu.
Antonie hatte mit der ganzen Gewalt ihrer Kraftnatur den Schmerz der Enttäuschung durchempfunden, hatte, wild die Hände ringend, in dem Zusammensturze all das, was sie bisher hochgehalten, Stück für Stück zerbröckeln sehen. Nun bot sie, inmitten eines sich in ihr vollziehenden gewaltigen Umschwunges, nach jener wahren Hochflut von Familienillusionen, das trostlose Bild niederer Wirklichkeitsebbe dar. Unter dem Einflusse der herrschenden, mitleidigen Strömung hatte sich – ihnen sowohl als Biermanns – tags zuvor die Aussicht eröffnet, mit den Kreditoren zu einem Ausgleiche zu gelangen, wenn dabei auch bloß die letzten kümmerlichen Reste ihrer Habe gerettet werden konnten.
Was Biermann von seinem Sägewerke übrig behielt, War gerade so viel, als der bloße Direktorposten.
»Du, Alterchen, thut dir die neue Baumwollwatte gut?«
»Ei ja, hm, – – so, so,« brummte er in sich hinein.
»Du sollst sehen, ich werde dir trotz allem nichts an deiner Pflege abgehen lassen. – Ich bin heute die ganze Nacht wach gelegen und habe nachgegrübelt, – ich glaube, ich hab's.«
»Siehst du, mein Alter, wir müssen herausfinden, was sich mit dem Wenigen unternehmen läßt.«
»Ja, kannst du das, du?« sagte er, langsam den Kopf schüttelnd, »Dann hast du wahrhaftig die Quadratur des Cirkels entdeckt,«
»O, o, – du bist ein so kluger, heller Kopf, Grüner, – hast eine so richtige Einsicht als Geschäftsmann.«
Er sah hilflos zu ihr auf,
»Hier sitze ich wie ein alter Kutscher, der Pferde und Wagen verloren hat,«
Sie nickte. »Du sollst auch nur ruhig in deiner Ecke sitzen und Rat geben! – Kraft zur Ausführung habe ich.«
Der Greis that mit einem Seufzer seine Anerkennung kund: »Ja wohl, Antonie, ob du Kräfte hast; ich habe es empfunden.«
»Und ich kann etwas unternehmen, Grüner! Es fiel mir so die alte Kalkbrennerei ein, die du aufgabst.«
»Die Kalkbrennerei?« Er warf einen betrübten Blick auf seine Beinfutterale. »Das ist ein gar beschwerliches Geschäft. Ich könnte mich gerade so gut gleich selbst in den Kalk hineinstürzen.«
»Ich will nur wissen, ob du glaubst, daß sie sich lohnen würde, Grüner!«
»Ja gewiß, – ja gewiß; aber es fehlt nur jemand, der die Kraft dazu hat.«
»Wenn du der Kopf sein willst, bin ich der Arm, Alterchen! Wir fangen die Sache im kleinen an. Und ich will doch sehen, ob es mir nicht gelingt, uns emporzuarbeiten. – Ich denke auch an eine Seifensiederei. Das alte Fräulein Elgers betrieb eine bis an ihren Tod. Die Hände sollen sich uns doch noch wieder füllen.«
»Hm, ja, – ich zweifle nicht daran.«
»Ja, spotte nur, Grüner, ich sehe dir deinen Zweifel an. Aber, wenn du das Haupt bist, – und das bist du doch, – und dich mit den Büchern befassen und mich unterweisen willst, wie ich mich beim Verkauf anzustellen habe, – so will ich prächtige Seife produzieren und ebenso Kalk brennen. Du sollst in aller Ruhe drinnen in deinem Comptoir sitzen und es nicht um ein Jota unbequemer haben als sonst, Alterchen!«
Der Alte nickte langsam mit dem Kopfe und klappte sie auf die Hand. »Ja, ja, mein gutes Tonchen!« –
»Sie ist wahrhaftig imstande und setzt es durch,« sagte er nachdenklich, als sie sich entfernt hatte. »Ich glaube fast, ich war für sie bisher Kalkbrennerei und Seifensiederei zugleich.«
Ein förmlich sinnverwirrender Umsturz hatte in den Anschauungen des Andreas Platz gegriffen, an dem harten Tage, an dem die Versiegelung oben auf dem Mühlengute vorgenommen worden, und er dastand – gleich dem Herrenhause des Foßhofes – mit abgenommener Kappe.
Er führte nun die Mühle für Rechnung der Konkursmasse, deren Verwaltung von dem System mit den »Scheinen, welche gerade so gut wären wie comptant,« nichts wissen wollte.
Nachdem die Mühle in letzter Zeit ihre Schaufeln im Dienste »höherer merkantiler Aufgaben« gedreht und sich sozusagen beinahe zu einer Mühlenbank emporgeschnellt hatte, ging das Werk nun wieder mit dem alten nüchternen Sausen und Knarren der Räder.
Henrick hatte eine Anstellung angenommen, und Marianne war schon einige Zeit, bevor es zum Konkurse gekommen, nach Gullwiek übersiedelt.
Das Hauptgebäude des Mühlenhauses mit seinem Notdache stand nun bald wiederum einen vollen Winter dem Schneewetter ausgesetzt, und der Wind fegte in den Gängen und pfiff durch die alten Schlüssellöcher.
In dem einen Seitenflügel ließ sich im letzten Teile des Winters an den Abenden Lichtschimmer bemerken. Johnny hatte hier in diesen Räumen seines verfallenen väterlichen Hauses Unterkunft gefunden.
Das Hauptthor war geschlossen. Der durch Geschlechter hindurch angesammelte Hausrat, Betten, wärmende Teppiche, Silberzeug und aller Art Bedürfnisgegenstände, fand sich in Fülle drinnen hinter den versiegelten Thüren als Fremden gehöriger Besitz, der nicht benutzt werden durfte und nur des Tages jetzt im März harrte, an dem die gesamte fahrende Habe unter den Hammer kommen sollte.
Johnny war wieder den ganzen Nachmittag draußen auf einer seiner einsamen Wanderungen, in Richtungen, wo er am wenigsten ausgesetzt war, jemandem zu begegnen. Es gab so viele kleine Leute, die Geld von ihm zu fordern hatten.
Das Klappern der Mühle, das Brausen des von den Schneewassern des Frühjahrs angeschwollenen Elv tönte überlaut und erfüllte die Luft.
Johnny hatte dasselbe so manchen Frühling vernommen; es hatte ihm stets das Herz mit frohen Hoffnungen geschwellt; wie anders dieses Jahr.
Er irrte umher mit einem schneidenden Bewußtsein der harten Wirklichkeit, des vollen Kontrastes von jetzt und ehemals.
Die Dämmerung begann hereinzubrechen. Er wanderte planlos hin und her zwischen den Wirtschaftsgebäuden … Vesperzeit – doch die Tischglocke schwieg. Alle Arbeit war eingestellt; es herrschte Stille auf dem ganzen Gute wie nie zuvor.
Die Wassertropfen, welche die Sonne am Tage aus dem Schnee geschmolzen, begannen an den Zweigen und Dachrinnen wieder zu gefrieren.
Drinnen bei Alette und den Kindern wurde Licht angezündet.
Er blieb stehen und schaute hinein. Alette saß bei der Lampe und nähte.
Es schnitt ihm ins Herz, zu sehen, wie sie da flickte und besserte und die schadhaften Kinderkleidchen brauchbar zu machen suchte. Sie hatte die beiden Kleinsten ins Bettchen gebracht, die anderen zwei neigten sich schläfrig über ihre Lehrbücher; dann und wann sprach die Mutter ein Wort.
Johnny ging weiter und war schon an der Thüre, begab sich aber doch wieder auf seinen Posten ans Fenster zurück und betrachtete das sanftgeduldige Antlitz seiner Gattin; – sie war die einzige auf dieser Erde, die ihm noch vertraute!
Ein Schatten lag über alle Gesichter der Familie gebreitet, und dieser ging von ihm aus. »Unter meiner Unehre, meiner Schande haben sie zu leiden! Besser, weit besser, sie mit einemmale davon zu befreien!« stieß er dumpf hervor.
Er machte einen hastigen Gang in den Garten hinab, kam aber wieder zurück und stahl sich leise in die Küche, wo der Cognak, wie er wußte, im Schranke aufbewahrt war. Mit angehaltenem Atem blieb er einen Augenblick stehen, da er aus Unachtsamkeit ein Messer oder eine Gabel von dem Geschirrgestell herabgerissen, und eilte dann mit fieberhafter Hast hinaus und über die gefrorenen Wege im Garten dahin.
Beim Karauschenteich hielt er inne. Die Flasche wollte er austrinken und sich in dieser Weise Mut machen, um –
Es fiel ihm in diesem Augenblick ein, wie oft er drüben an der Mauer Flaschen zerschellt und die Scherben in den Teich geschleudert hatte; nun glich er selbst solch einer zerschellten Flasche, die da hinab sollte.
Er zitterte und schauerte. Er that einen raschen Zug aus der Flasche.
»Alette und meine schönen Kinder! Vater kann nun nichts mehr für euch thun!« Schluchzen erstickte seine Stimme. – »Und auch für sie ist es am besten so. Bin ich tot, wird alles Erbarmen mit ihr haben. –
»Wenn man nur so ein schädliches Raubtier ist; wenn man nicht weiß, was man im Leben noch beginnen soll, muß man das Recht haben, abzuschließen.«
Es wühlte ein schwerer Kampf in seinem Innern. Wieder trank er und stand still und starrte hinab in den Teich, auf dem kalte Eisschollen lagerten. Wie Angstschweiß des Todes trat es ihm auf die Stirn.
Er leerte die Flasche.
»So ist es denn vorbei mit dem Lord!« lachte er hohl; »er muß zu den Karauschen hinab!«
Er stand zaudernd und holte einige Male tief Atem.
»Wenn es damit nur aus und zu Ende wäre!« –
Der Kopf senkte sich tiefer und tiefer auf die Brust.
»Sie sagen, ich habe Fähigkeiten. Vielleicht ist doch, wer weiß – noch eine Möglichkeit vorhanden … wenn der Konkurs abgeschlossen. Ob es sich nicht doch verlohnte, dem Kommenden ins Auge zu schauen?«
Plötzlich schleuderte er die Flasche weit von sich in das Wasser.
»Ja liege da und versinke!« scholl es höhnisch.
Er stürmte mit flüchtenden Schritten von dannen und kam leichenblaß in die Stube.
Einen Augenblick blieb er regungslos an der Thüre und betrachtete den kleinen Kreis seiner Familie.
»Es werden wieder bessere Zeiten für uns kommen, du sollst sehen, Alette, sobald ich mich nur einmal freier regen kann.« Er umarmte sie in heftiger Bewegung.
»O, wenn du nur den Mut nicht sinken läßt, Johnny!« versetzte sie. »Jetzt ist ja bald der Sommer da; die Kinder haben es dann leichter und wärmer.«
Er nahm in seiner freudigen Erregung das Kleinste aus dem Bettchen auf und marschierte, während sich die übrigen Kinder an seinen Leib hingen, unter Lärm und Jubel im Zimmer umher – das Jüngste im Hemdchen oben, über dem Nacken.
Frei von allen beengenden Rücksichten, hatte Henrick mit der ganzen ursprünglichen Kraft des Foßgeschlechtes Hand ans Werk gelegt.
Mit den sechshundert Thalern, die er von dem Heimgebrachten noch erübrigt, glückte es ihm, den strategischen Punkt – das Centrum aller seiner Pläne – den Bjölstadsumpf, der augenblicklich als nicht zu bearbeitender Boden so ziemlich gering bewertet wurde, separat von der Masseverwaltung anzukaufen.
In dem Besitz des Sumpfes, so dachte Henrick, würde er die Situation beherrschen können, und die Lösung der Frage, ob der Wasserfall beim Foßhof das ganze Jahr hindurch Zufluß haben sollte, war somit ihm anheimgegeben.
Es galt nun, im Verlaufe des Jahres, binnen welchem die verschiedenen zum Foßhof gehörigen Besitzungen unter den Hammer kommen sollten, die zehn- bis zwölftausend Thaler bar aufzutreiben, deren es bedurfte, um den Sumpf abzapfen und gleichzeitig die Foßmühle erwerben zu können. Sein Plan ging dahin, diese Summe durch Aktien aufzubringen.
Und so lange und mit solch unermüdlicher Geduld entwickelte er in dem kleinen Stübchen hinter dem Laden des Anton Johannesen seine Pläne und setzte deren Ausführbarkeit auseinander, bis sein vorsichtiger, skeptischer Freund im letzten Augenblick, als Henrick eben im Begriffe stand, die Aktien zur Subskription auflegen zu lassen, sich willig erklärte, »in den Sumpf hineinzuwaten«, d. h. mit ihm in Compagnie zu treten.
Sie schlossen dahin ab, daß Henrick die Leitung übernehmen und als Einlage ins Compagniegeschäft den Bjölstadsumpf geben sollte; Johannesen dagegen würde die Kapitalien liefern.
Anfangs wurde allerdings ein wenig debattiert, wie hoch der Bjölstadsumpf veranschlagt werden sollte; aber Henrick bestand darauf, der Preis sei zwölftausend, – da helfe kein Markten und Feilschen, – Wollte Johannesen mitthun oder nicht? – Und dabei blieb es.
»Einsam und still dahier in Gullwiek, sagen Sie?« nahm Frau Torbjörnson, die eines schönen Tages bei Frau Marianne auf deren neuem Wohnsitz vorgesprochen, das Wort. »Einsam und still? Wär' ich so 'ne alleinstehende, kinderlose Witwe, ich wollt' mir Leben genug ins Haus schaffen! Sitzt da junge Brut die Fülle in allen den elenden Nestern und schreit nach Barmherzigkeit. Nehmen Sie die Kleinen auf gegen das Geld aus der Waisenkasse, und etwas Beihilfe schafft sich schon. Sie haben wie niemand die Gabe, Frau Borg, die Leute zu bereden und zu bewegen, mit ihren Schillingen herauszurücken, wo es sich um ein gutes Werk handelt. Zeigen Sie den Herren Gemeindevätern, daß aus den verlassenen, armen Würmern ordentliche Leute werden können!«
Die Worte trafen eine ins Herz, die das Schicksal zur Genüge gelehrt hatte, was ein leeres Leben bedeutet.
Von Frau Borg wurden alsbald Schritte gethan, Ansuchen gestellt, welche den Leuten Stoff zur Verwunderung gaben. Sie machte den Anfang damit vorerst ein verlassenes Kind, dann noch eins zu sich zu nehmen.
Sie war weit entfernt, sich und anderen vorzureden, daß es sich um ein Unternehmen in höherem Stile handle. Sie faßte es praktisch an und gab sich dem begonnenen Werke mit vollem Herzen hin; sie setzte es auf die Weise durch, wie es sich im Augenblicke eben thun ließ, von der würdigen Frau Thorbjörnson, die ihr in allem mit ihrem Rat und ihren reichen Erfahrungen zur Seite stand, aufs kräftigste unterstützt.
Marianne wurde dabei wieder, die sie gewesen.
Unter den langwimperigen Augenlidern blickte es nicht mehr verstört hervor, und sie konnte wie ehemals sich im munteren Geplauder mit ihren bejahrten Kavalieren unterhalten, die gern, bald der eine, bald der andere, in vertraulicher Angelegenheit des Bezirks, wohl auch ab und zu ein wenig in eigener, bei ihr vorsprachen.
Sie fühlte sich nach der überstandenen Krise ruhig, und ihre Gemütsverfassung war in ein Gleichgewicht gekommen, wie sie es seit Jahren nicht gekannt; sie war befreit von dem Hangen und Bangen zwischen ängstlichen Zweifeln und trügerischer Hoffnung, befreit nicht minder, wie sie mit tiefer Befriedigung empfand, von dem drückenden Gefühle Bastian Borg um des Vermögens willen, noch über das Grab hinaus verpflichtet zu sein. –
Es sah sich wahrhaftig ganz so an, als wollte der Zollinspektor, ehe er sein letztinstanzliches Urteil fälle, den Ortsaugenschein aufnehmen, was denn eigentlich in Gullwiek vorgehe.
Eines Tages sah ihn Marianne, den Stock schwenkend und beide Ellbogen nach auswärts gebogen, langsam des Weges von dem Landungsplatze heraufschlendern.
»Schau, schau!« sagte er pustend und blickte sich, nachdem er gegrüßt, auf der Treppe prüfend um, »man blüht nicht so ganz im Verborgenen; man will doch auch ein wenig die Augen der Leute auf sich lenken; man hat eigentlich von jeher eine kleine Schwäche dafür gehabt, – so ein bißchen von einer Spitzbübin steckte nun einmal immer in Ihnen, Frau Marianne!« Er kniff dabei die Augen pfiffig zusammen und trat ins Zimmer.
»Weshalb Sie auch so klug waren, mir möglichst scharf auf die Finger zu passen, Inspektorchen!«
»Hm! he – he –!« Der alte Herr wurde sehr verlegen und hustete.
»Ich darf Ihnen wohl eine Tasse Chokolade bereiten lassen, Inspektor?« fuhr sie, Frieden bietend, fort.
Statt aller Antwort fuhr er in seiner Verlegenheit nur fort sich zu räuspern. »Nun ja!« Plötzlich stieß er den Stock auf den Boden. »Ich habe – Ihnen wirklich unrecht gethan, Frau Marianne! Ich gestehe es zu; ob–gleich –,« er legte eine besondere Betonung auf seine Worte, – »etwas – – etwas – – ein Haar war doch in der Sache – –. »Indes,« – setzte er mit einem Nicken hinzu, als wollte er das Saldo der ganzen Rechnung ziehen, – »Sie haben recht gehandelt, – recht gehandelt, sage ich. Das war einmal ein rechtschaffener Zug, daß Sie nicht hingingen und –, nu, nu,« verbesserte er sich, – »hm! hm! – Ich wollte nur sagen, daß ich ganz begeistert von Ihnen bin, Frau Marianne!« schloß er mit ritterlicher Artigkeit.
»Sehen Sie, Inspektor,« begann sie bei der inzwischen herbeigebrachten Chokolade, »Sie und ich befinden uns in der Welt in so ziemlich gleicher Lage. Sie sind pensioniert, und ich bin Witwe; wir werden so ziemlich als abgethane Menschen betrachtet. Aber man mag deswegen ja doch noch nicht tot und begraben sein.«
»Beileibe nicht!« war die sehr bestimmte Erwiderung.
»So muß man dann der ganzen Welt zum Trotz leben –«
»Ja gewiß, ja gewiß!« stimmte der Inspektor mit Feuer bei. – »Aber Sie sind jung, das ist der Unterschied.«
Er schüttelte den Kopf und blickte betrübt zu Boden, als sähe er plötzlich ein Licht, das ihm geleuchtet, verlöschen.
»Und Sie dagegen, Sie haben eine Pension und ein hübsches Vermögen obendrein; ich wüßte also nicht, warum Sie rein wie begraben sein sollten. Beteiligen Sie sich mit ein paar Aktien an meiner Unternehmung, und Sie sollen ein paar Waisenkinder für Ihr Geld haben.«
»Ei, in der That! – Soll ich vielleicht mein schwer erworbenes Vermögen als bequemes Kissen für allerlei Leichtsinn hergeben?«
»Komm her, Janne!« rief sie. »Schauen Sie sich diesen Jungen an, Inspektor, die prächtigen Augen, die er hat; o, schauen Sie sich ihn an! Wäre es nicht gut, wenn wir ihn auferziehen könnten, daß er nicht in Leichtsinn und in noch etwas Schlimmeres verfiele?«
»Ei nun, – ei nun!« Der Zollinspektor schlürfte seine Chokolade. »'s ist nicht gut, – im Princip nicht gut –«
»O, weiter nichts? Wenn es nur für den da gut ist.«
»Nein, – nein!« Er nahm zerstreut wieder ein paar Schluck aus seiner Tasse.
»Man könnte sich übrigens auch einmal, wo es sich besonders empfiehlt und keinerlei Gefahr nach sich zieht, einer Inkonsequenz schuldig machen.«
»Aber dann, Frau Marianne Borg, dann werden Sie eines schönen Tages hingehen, sich verheiraten und die ganze Caprice fahren lassen. Es giebt schmachtende Ritter genug, die Sie umwerben, und der alte Tropf von einem Zöllner hätte nur seine vierhundert Thaler zum Spott und Gelächter der Leute ins Wasser geworfen.«
»Sagen Sie sechshundert, Inspektor, und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß ich mich nie verheiraten werde.« –
Der Zollinspektor stapfte ein Stündchen später heim, mit dem schwerwiegenden Saldo einer guten That in seinem Bewußtsein und dem Manko von baren sechshundert Thalern in seiner Kasse. Er war an diesem Vormittage völlig erobert worden, und es würde ihm eine wahre Freude gewähren, sie alle miteinander herzlich zu ärgern und ihnen zu zeigen, was das für eine Frau sei.
Aber nie in aller Ewigkeit vermochten dagegen der Major und mit ihm viele andere daraus klug zu werden, was Borgs Witwe mit ihrem »Kinderheim« dort unten in Gullwiek denn eigentlich wollte; sie hatte sich ja eine Filiale der Frau Thorbjörnson eingerichtet. Über ein Dutzend kleiner Kobolde krabbelten da in allen Zimmern und zwischen den Thüren bei ihr herum, daß man ordentlich acht haben mußte, wohin man den Fuß setzte. – Eine Frau wie sie, die sich so prächtig verheiraten und versorgen könnte: das ist etwas, wobei einem der Verstand stillstehen muß.
Die Grasdecke über dem Karauschenteich unterhalb des Gartens war verschwunden. Die Wassermasse des Moores hatte nicht mehr nötig, sich ein jedes Plätzchen zwischen all' den grünenden und auch verrotteten Pflanzen zu suchen und sich über die ganze Niederung auszudehnen, um dichten Nebel und modrigen Dunst auszuatmen. Es war dem Wasser ein tiefes und breites, säuberliches Bett geschaffen, in welchem aus allen Winkeln des Moores hier die Tropfen krystallrein zusammensickerten und zu leichten Wellen vereinigt, sich fröhlich dahinwiegten. Und rund umher an den Ufern waren Pflanzungen mit freundlichen Wegen entstanden; die Sonne hatte überall Zutritt und warf ihre Strahlen bis auf den Grund des Wassers.
Doch in die des Dunkels gewohnten Augen der Karauschen stachen diese noch schärfer als einstens die Glassplitter. Der starke Tagesschein benahm ihnen fast die Sehkraft. Der Glanz that ihnen weh, daß es ihnen tief bis ins Hirn drang. Es kam ihnen vor, als umtanze sie alles in blendendem Wirbel. Und keine Veränderung Tag aus, Tag ein – bevor nicht der Winter kam und seine Decke über das Wasser breitete. Da wurde es denn endlich wieder gut und dunkel … Sie konnten doch ruhig und ungestört an einem Flecke bleiben und behaglich die Köpfe zusammenstecken! … Doch im Frühjahr, da spielte die junge Brut lustig an der Oberfläche und im Lichtscheine – sie war wie toll und von Sinnen und trieb es schier wie von einem Rausche ergriffen … Sie war eben das Kind selbigen Jahres und hatte minder empfindliche Augen; ja sie schien sogar ein bacchantisch-wollüstiges Behagen dort oben zu empfinden. Behext mußten sie geradezu sein, diese Jungen! Sie plätscherten umher und tummelten sich, daß sie förmlich abmagerten und im Wachstum zurückblieben, und tanzten und schossen mit solcher sich überstürzender Lust im Sonnenschein dahin, daß sie blindlings in den Hamen rannten und haufenweise gefangen wurden. Die Alten aber konnten sich mit dem Tagesglanz so schnell nicht aussöhnen. Sie schlüpften am liebsten in heimlich stille Winkel, wo sie so viele Jahre in Frieden geweilt, und erheiterten und trösteten sich mit der Aussicht auf den Winter.
Indes ließ ihr bedächtig prüfender Sinn sie doch allmählich zu der Erkenntnis kommen, daß sich ein gewisses Gefühl von Wärme und Wohlbehagen nicht ableugnen ließ, wenn man sich – in gehöriger Entfernung natürlich – dem Sonnenschein näherte. Und nach und nach sah man ihrer immer mehre und mehre, den eigenen Schatten unter sich, die Rückenflossen mit bedächtiger Langsamkeit regend, in den lichtern, sonnerfüllten, wärmenden obern Wässern gemächlich dahingleiten. – Und Jahr um Jahr gewöhnten sie sich immer höher hinauf – wenngleich sie sich nicht selten sagen mochten, daß doch der Winter mit seiner Ruhe für eine alte Karausche der Vorzüge gar viele habe.
Auch mit der Foßmühle waren große Veränderungen vorgegangen. Das knarrte und knackte und krachte in den Eingeweiden, und die alten soliden Holzeinrichtungen fielen unter nimmermüden, geschäftigen Händen. Ganz neue Betriebsmaschinen wurden angebracht, und das ehrwürdige, gemessene Geklapper verwandelte sich in ein Surren und Sausen, daß die Mühle jeden Augenblick fürchtete, den Atem zu verlieren, und späterhin, beinahe ganz vergnügt, sich bloß noch verwunderte, welche ungeahnte Kräfte sie besaß.
Henrick, der dies alles auf dem Gewissen hatte, strahlte vor Glück und Zufriedenheit. Er meinte sogar, er habe in seinem ganzen Leben nur zweimal etwas Vernünftiges gethan. Das eine Mal, als er den Bjölstadmoor kaufte, und das zweite Mal, als er Kirsten zum Altare führte. Mann und Frau waren beide in der Hauptsache einig: daß zwei und zwei, so in der Mühle, wie zu Hause, accurat vier gaben, und daß von zwei niemand mehr abziehen könne, als just nur zwei, er müßte denn ausborgen … so sei nun einmal die Ordnung in dieser Welt.
Im übrigen hatte es ganz den Anschein, als ob Frau Kirsten auf »Jahresgang« eingerichtet sei. Es waren binnen drei Jahren drei junge Foß ins Haus gekommen!
Wenn der Mahlstrom den Segler in seine Wirbel hinabgezogen hat, tauchen allmählich Trümmer wieder auf, mehr oder weniger geborsten, beschädigt und zerschmettert, je nachdem Kraft zum Widerstande in dem Fahrzeuge gewesen.
Von den massiven Eichenstücken können auch manche aufs neue verwendet werden. In Johnny Foß war von einem derartigen knorrigen Kern indes nichts vorhanden.
Jahre waren dahingegangen. Man hatte Foß & Cie.'s Konkurs halb und halb vergessen; die Meinungen waren wieder ins Gleichgewicht gekommen. Es gab zum mindesten niemanden, in dessen Erinnerung Johnny als »Scheusal« lebte, ja, der nicht gelächelt hätte, würde über den »Lord« eine derartige Äußerung gefallen sein.
»Laß dem Lord ein oder zwei Glas guten Portwein einschenken und regaliere ihn mit einer Havanna, so bringt er dir die Sachen im Handumdrehen ins reine.«
Er war der Mann dazu, überall einzuspringen, wo sich irgend jemand in der Klemme befand, wo es ein Gewirre zu lösen, eine Verlegenheit zu beseitigen gab. Er war der erste, an den man dachte, wenn es im Spiel an einem vierten fehlte, wenn die volle Anzahl der Trauzeugen nicht beisammen war, wenn es in einer Gesellschaft an einer genügenden Menge gentlemännisch aussehender Herren oder zufällig an einem Sprachkundigen mangelte.
Eine Art Agent ohne eigentliche Agentur, dem allerhand Geschäfte und Kommissionen übertragen, aber deshalb doch nicht gerade anvertraut wurden, – war er eine allseitig bekannte, allseitig verwendete Größe, ein findiger Kopf, zu dem sich bei schwierigen Fällen Zuflucht nehmen ließ.
Er hatte fortwährend den Kopf voll von Geschäften, und zwar von solchen, die ihm etwas eintrugen, und solchen, die er gratis besorgte. Aber er verdiente alles in allem doch so viel, als seine sparsame Gattin für den Unterhalt der Familie brauchte; außerdem erbeutete er tagsüber für eigenen Bedarf die verschiedenen Glas Portwein, Sherry, Madeira, was die Comptoire vom allerbesten nur zu bieten vermochten, sodann auch hier und dort in der Stadt ein Frühstück mit Kaviar oder sonstigen Delikatessen. Man mochte sich nicht gern dem aussetzen, daß der Lord über das Gebotene die Nase rümpfe, und hatte gewaltigen Respekt vor seinem Urteil auf diesem Gebiete.
Flott und sorgsam in seiner Toilette, umweht von einer leisen Atmosphäre feinen Cigarrendufts, mit einer gewissen Sicherheit in der Haltung – nur gegen Abend etwas schlottrig, – so verkehrte er mit den Leuten und überschritt beim Genusse der verschiedentlichen nassen Aufmerksamkeiten nur selten das gehörige Maß. Niemand würde es sich haben beikommen lassen, den »Lord« von oben herab zu behandeln, oder ihn durch die geringste Hintansetzung zu verletzen.
Etwas kahl oben am Scheitel, mit ziemlich schütterem Haarwuchs zu beiden Seiten der Stirne, ein wenig aufgedunsen, ein wenig bleich und für gewöhnlich in den Zügen etwas schlaff, zeigte er sich voll Eifer, aufmerksam horchend und äußerst höflich in der Haltung, wenn er zu jemandem sprach, der ihm ein oder das andere zu thun übertrug. So lebte und webte und schwamm er eigentlich in diesen, seinem Element, wie der Fisch im Wasser.
Henrick, der mit dem ganzen Gehaben nichts weniger als einverstanden war, versuchte wiederholt ihn zu bewegen, mit der Familie zu längerem Besuche zu ihm auf den Mühlenhof zu kommen. Aber diese »Höhle der Nüchternheit« wie Johnny des Bruders Heim zu bezeichnen pflegte, war nicht nach dem Geschmacks des Lord; – »er riskiere unten in der Stadt aus allen seinen Geschäften herauszukommen« – und sobald er nur konnte, eilte er denn wieder fort.
Die einzige wahrhafte Demütigung, die ihn beugte, widerfuhr ihm von seiten seiner Schwester Grüner, welche weder in Bezug auf ihren Kalk, noch auf ihre Seife die geringste Notiz von ihm nehmen wollte. Beide Artikel begannen sehr flott zu gehen; aber Johnny würde gewiß den Absatz noch um das Dreifache gesteigert haben, hätte sich die Schwester nicht eine förmliche fixe Idee in den Kopf gesetzt, sich nicht von ihm beraten zu lassen.
Wenn jedoch die bekannte, etwas verfallene Gestalt sich im Boote zeigte, einen Fuß auf jeder Ruderbank, mit Papieren und Kommissionen irgend eines Hauses betraut, rufend, grüßend und nickend, den Cigarrenstumpf im Munde und die englische Schornsteinröhre auf dem Kopfe; wenn er dann die Dampfschifftreppe hinaufstieg: wurde von seiten des Kapitäns oder eines andern Anwesenden wohl selten unterlassen, dem Steward je nach Umständen und der Tageszeit eine Ordre hinabzurufen, für ein Glas Portwein oder einen Imbiß mit einem Cognak oder einen Toddy für den »Lord« zu sorgen.
Ende.
Im Weltkrieg auf K.-Papier gedruckt.